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FEUILLETON
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Getrieben von Wut und Sehnsucht
Kopfnote
Selfie-Verbot
W
er beim Filmfest in Cannes, das
seit Mittwoch läuft, Selfies vom
roten Teppich machen will, könnte in
diesem Jahr Schwierigkeiten bekommen:
Der künstlerische Leiter Thierry Frémaux
hat vorab angekündigt, die Premierengäste mit einer Kampagne von der „Unart der Selfies“ abbringen zu wollen. Sie
seien albern und grotesk, erklärte er.
Wie das Festival das genau durchsetzen
möchte, blieb offen. Eine offizielle Regelung oder Bekanntmachung gab es bislang nicht. Bei Festivalgästen sorgte Frémauxs Ankündigung eher für Unverständnis. In den Vorjahren hatten Premierengäste zwar auch Handyfotos von
sich gemacht, ernste Beeinträchtigungen
auf dem roten Teppich, wie etwa ein
Stau, waren aber eher nicht zu bemerken. Die Selfies haben sich als eigene
Form in der Fotografie etabliert. Sie aus
persönlichen Animositäten untersagen
zu wollen: Das ist albern.
dpa/ap
Kult-Figur
Weiter Horizont
D
er Autor Wulf Kirsten erhält den
Thüringer Literaturpreis 2015. Er
werde als Dichter, Prosaautor, Essayist
und Herausgeber ausgezeichnet, dessen
literarisches Werk mehr als ein halbes
Jahrhundert umfasse, teilte die Staatskanzlei in Erfurt mit. „Kirsten ist ein herausragender Dichter, dessen Sprache
traditionsbezogen und modern ist. Er
verwandelt seine sächsische Herkunftslandschaft und thüringische Wahlheimat
in einen poetischen Stoff mit weitem Horizont“, sagte Thüringens Kulturminister
Benjamin-Immanuel Hoff (Linke). Der
Preis ist mit 12000 Euro dotiert und
wird am 3. September verliehen.
dpa
Kultur-Notizen
Dresdner Musikfestspiele
zwischen Feuer und Eis
Dresden – Unter dem Titel „Feuer
Eis“ bieten die Musikfestspiele in
Dresden bis 7. Juni knapp 50 Aufführungen. Mit Blick auf das Motto umfasst das Angebot Musik aus dem
Norden Europas bis hin zum Mittelmeer. Zu Gast sind unter anderen die
Pianistin Hélène Grimaud, das Philadelphia Orchestra und das Venice Barock Orchestra. Die Dresdner Musikfestspiele wurden 1978 gegründet
und entwickelten sich rasch auch für
Künstler aus dem Westen zu einer
dpa
angesagten Adresse.
Achenbachs Kunstsammlung
wird versteigert
Düsseldorf – Rund ein Jahr nach der
Inhaftierung des Kunstberaters Helge Achenbach kommen rund 2000
Werke aus seiner Kunstsammlung
unter den Hammer. Vom 17. bis 19.
Juni versteigert das Auktionshaus
Van Ham Arbeiten von bekannten
Künstlern wie Georg Baselitz, Gerhard Richter, Jörg Immendorff oder
Joseph Beuys in Düsseldorf. Die Objekte gehören zur Insolvenzmasse
von Achenbach. Der 63-Jährige war
wegen Millionenbetrugs an reichen
Kunden im März zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden.
dpa
Bibliotheca Albertina
bekommt Dauerausstellung
Leipzig – Im Foyer der traditionsreichen Bibliotheca Albertina in Leipzig
ist seit Mittwoch eine neue Dauerausstellung über das Haus und seine
wertvollen Schätze zu sehen. Auf 16
großen Glastafeln werden Handschriften, die Sammlung und die Geschichte der Bibliothek vorgestellt.
Im Frühjahr 1945 war das Hauptgebäude der Leipziger Universitätsbibliothek zerstört worden. Die jetzige
Ausstellung soll Ersatz für die damals
vernichteten Bildmaterialien an den
epd
Wänden schaffen.
Donnerstag, 14. Mai 2015
Er kämpfte für seine anarchistischen Ideale und
starb dafür im KZ: Dem
Literaten Erich Mühsam
widmet sich ab Sonntag
eine Ausstellung im
Schloss Elisabethenburg.
Von Alexandra Paulfranz
E
s ist dieser eine Satz, der das
Flair vergangener Zeiten in das
Museum Schloss Elisabethenburg weht: „Das Leben ist eine Begleiterscheinung zum Kaffeehaus.“
Der Duft frisch gemahlener Bohnen, das Rascheln von Zeitungsseiten und das Gemurmel der Literaten,
das Kratzen ihrer Bleistifte auf Papier
scheinen den Besucher zu umhüllen.
Eine Atmosphäre, die so gar nicht
zum wilden Anarchisten Erich Mühsam passen will, um den sich die
neue Ausstellung in Meiningen
dreht. Und doch stammt der zitierte
Satz aus seinem Mund. KaffeehausRomantik trifft auf politischen Querschläger. Gefühl auf kämpferische
Härte.
Erich Mühsam hat diese zwei Pole
in sich vereint. „Er war ein Enfant
terrible“, sagt Andreas Seifert, der die
Ausstellung betreut. „Er wusste nicht
wohin mit sich. Mit seinem Elternhaus hatte er sich verkracht und der
Sprung in die Freiheit führte ihn in
Künstlerkneipen.“
Konflikt mit dem Vater
Das Leben von Mühsam beginnt
im Jahr 1878 in Berlin. Schon früh
schwelt der Konflikt mit seinem Vater Siegfried. Der will den Sohn in die
für seine Familie logische bürgerliche
Bahn lenken: Erich soll einmal die
Apotheke des Vaters übernehmen
und als Jude folglich eine jüdische
Frau heiraten. Letzteres hält Siegfried
sogar in seinem Testament fest – als
Bedingung dafür, dass Erich sein Erbe bekommt. Beide Wünsche erfüllt
der Sohn dem Vater nicht.
Im Gegenteil: Wie tief die Kluft
zwischen den beiden ist, zeigt sich
bereits zu Schulzeiten. Als sich Lehrer über das Benehmen des Gymnasiasten und seinen mangelnden Fleiß
beklagen, antwortet der Vater: „An
Strenge meinerseits soll es nicht fehlen.“ Und er schließt Erich künftig
von Familienausflügen aus.
Entgegen seiner Überzeugung
lernt der Junge später zuerst den Beruf des Apothekers, entscheidet sich
aber 1901 dazu, als freier Schriftsteller sein Geld zu verdienen. Ein Jahr
danach knüpft er erste Kontakte zu
All seine anarchistische Wut hämmerte der Literat Erich Mühsam in seine Schreibmaschine. In der Ausstellung im Schloss Elisabethenburg, die Andreas Seifert betreut, ist das Original zu sehen.
Foto: ari
anarchistischen Gruppen. Wie haltlos er sich trotzdem oder vielleicht
auch gerade deswegen fühlt, beschreibt Erich Mühsam in seinem Lyrikband „Die Wüste“ von 1904.
„Ich bin ein Pilger, der sein Ziel
nicht kennt“, heißt es darin. Und:
„Ich bin ein Träumer, den ein Lichtlein narrt; der in dem Sonnenstrahl
nach Golde scharrt.“
Die diffuse Sehnsucht, der der junge Mann hinterherjagt und die sich
nie zu erfüllen scheint, spiegelt sich
in seinem Lebensstil wider: Ausschweifungen, ein freizügiges Liebesleben, ständige Geldsorgen und rauschende Künstlerfeste – all das hält
der Literat ab 1910, nach seinem
Umzug nach München, in Tagebüchern fest. Und immer unterschwellig in seinem Herzen: Die Auflehnung gegen seinen Vater, die er mit
seinem verlotterten Erscheinungsbild auch äußerlich deutlich zu machen versucht.
Seine Wut und Verzweiflung hämmert Erich Mühsam in die Tasten seiner Schreibmaschine. Von 1911 an
erscheint über drei Jahre seine „Zeitschrift für Menschlichkeit“, wie sich
der Untertitel nennt. Der eigentliche
Titel: „Kain“. Angelehnt an die Bibel,
an den Brudermörder Kain als Sym-
bol für die Rebellion des Menschen
gegen Ungerechtigkeit und Herrschermacht. Mühsam kritisiert in
seinen Texten scharf die imperialistische Politik und den Militarismus im
Kaiserreich. Kirchliche Moral und
bürgerliche Sittlichkeit sind für ihn
nichts als Unterdrückungssysteme.
Seine Kritik reicht noch weiter: Die
deutsche Sozialdemokratie habe sich
demnach vom revolutionären sozialistischen System verabschiedet. Zu
Kompromissen zeigt er sich nicht bereit: „Die Utopie ist Vorbedingung jeder Entwicklung.“
Mit Schlinge um den Hals
Tatsächlich setzen sich die Anarchisten im Jahr 1919 durch: Mühsam
und sein Weggefährte Gustav Landauer proklamieren am 7. April die
Münchner Räterepublik. Nur eine
Woche später, am 13. April, wird
Erich Mühsam nach einem Putsch
der bürgerlichen Regierung verhaftet
und landet im Gefängnis. Dort verschlechtert sich sein psychischer
und körperlicher Gesundheitszustand derart, dass er später selbst der
Überzeugung ist: Kein Jahr länger
hätte er die Schikane mit Schreibund Besuchsverbot oder Schlafentzug durchgehalten.
Nach seiner Freilassung 1924 erwartet Mühsam ein triumphaler
Empfang von Anarchisten und Kommunisten. Für sie ist er inzwischen
zum Helden ihrer Ideale geworden.
Als er 1933 in Schutzhaft ins Konzentrationslager gesteckt wird, wenden
sich sogar Mitglieder des britischen
House of Commons direkt an Adolf
Hitler und bitten um die Freilassung
von Erich Mühsam. Doch es gibt keine Gnade für den unbequemen Aktivisten: Sich selbst erhängen soll er im
Juli 1934, so der Befehl der SS. Tatsächlich wird er mit einer Schlinge
um den Hals auf der Toilette gefunden. Tot.
Was genau passiert ist, bleibt ungeklärt. Die Leiche hat laut Zeugen keine Anzeichen eines Erhängungstods
aufgewiesen. Vermutlich haben ihm
seine Mörder die Schlinge erst postum umgelegt.
Erich Mühsams Beisetzung verläuft unspektakulär. Nur eine kleine
Trauergemeinde kommt zusammen,
darunter keine prominenten Schriftsteller. Zu diesem Zeitpunkt ist der
Literat wieder da, wo er mal begonnen hat: Ein unscheinbarer Künstler.
Einst in Kaffeehäusern umgetrieben,
um sich mit Stegreif-Dichtung finanziell über Wasser zu halten.
Die Ausstellung über Erich Mühsam ist auf Initiative des Wandervereins Bakuninhütte entstanden, erklärt Andreas Seifert. Der Verein setzt
sich dafür ein, den geschichtsträchtigen Ort wieder öffentlich zugänglich
zu machen: Ursprünglich ist die Hütte auf einer Selbstversorgungsfläche
hungernder Arbeiter in den 1920er
Jahren entstanden. Zu Zeiten des Nationalsozialismus diente sie der SS
und der NS-Jugend, nach 1945 wurde sie dem SED-Kreisvorstand übertragen und vielfältig genutzt. Die Geschichte der Bakuninhütte bildet
ebenfalls einen Teil der Ausstellung,
genauso wie ein Überblick über weitere lebensreformatorische Bewegungen. Erich Mühsam selbst war
mehrere Male in der Hütte bei den
Meininger Syndikalisten zu Gast.
„Sich fügen heißt lügen! Mühsam in
Meiningen und seine Anarchisten“,
Ausstellung der Erich-Mühsam-Gesellschaft Lübeck, des Wandervereins Bakuninhütte und der Meininger Museen,
Schloss Elisabethenburg, 17. Mai bis
27. September, Eröffnung am Sonntag,
17. Mai, zum Internationalen Museumstag um 15 Uhr in der Schlosskirche.
Museumsabend am Sonntag, 14. Juni,
als Abschluss einer Fachtagung.
Lucas Cranach – eine Bildbetrachtung
Caritas
Thüringen feiert Cranach –
wir erklären Motive aus
dem gewaltigen Kosmos
der Wittenberger Werkstatt. Eine Bildbetrachtung
von Bettina Keller.
S
o schön kann Wohltätigkeit sein.
Lucas Cranach der Ältere setzte
die Verkörperung der christlichen
Tugend der Nächstenliebe nackt in
Szene. Seine „Caritas“, entstanden
nach 1537, folgt mit ihrer glatten, rosigen Haut dem bewährten weiblichen Schönheitstypus seiner Werkstatt. Ihre Konfektionsgröße ist im
Vergleich zu den anderen Frauenakten jener Zeit etwas größer – eine
halbwegs mütterliche Erscheinung
passt besser zum Betätigungsfeld der
Dame. Sie sitzt auf einem Stein mit
einer entsprechenden Inschrift, um
eine größtmögliche Deutlichkeit des
dargestellten Sachverhalts zu gewährleisten.
Geschmückt ist die Caritas mit den
üblichen Cranachschen Zugaben:
Halsband, Kette und dem Durchsichtigsten aller Schleierchen. Sie unterstreichen die Nacktheit auf reizvolle
Art. Züchtig ist ihr Haar gebändigt.
Streng gescheitelt und mit Reif, dazu
leicht verschleiert macht es dem Betrachter deutlich, dass die stillende
Frau in jeder Hinsicht integer ist. Ihr
Sitzkomfort ist hart, ebenso wie der
kieselübersäte Boden zu ihren Füßen
– ihre Aufgabe ist kein Zuckerschlecken. Trotzdem sind ihre madonnenhaften Gesichtszüge, mit dem
kleinen Kinn, den leicht schrägstehenden Augen und den runden
Wangen ganz im normierten Modus
der Cranachschen Gesichtsproduktion stehend, heiter. Sie ist sichtlich erfüllt.
Der zu kurz geratene rechte Arm
scheint ihr keine Probleme zu bereiten. Die Kinder neben ihr sind am
Zanken, eventuell geht es um eine Eifersüchtelei. Die Personengruppe befindet sich in einer Nische aus Gesträuch und einem Apfelbaum. Im
Hintergrund breitet sich eine wasserreiche Landschaft aus.
Das Motiv wurde häufig von Cranach gemalt. Die Caritas (Liebe), die
zum überlieferten christlichen Tugendkatalog gehört, wird traditionell
als Mutter mit Kindern dargestellt.
Insofern war das Thema dem damaligen Betrachter verständlich. Die Rebhühner am rechten Bildrand könnten einer in Mühlhausen spielenden
Legende nach als Zeichen der sich
durchsetzenden Reformation gedeutet werden. Über die Bedeutung der
vielfach bei Cranach eingesetzten
Äpfel kann in diesem Zusammenhang nur spekuliert werden: In der
Hand des Mädchens scheiden Verweise auf die Gottesmutter Maria
aus. Vielleicht sind sie reine Dekoration. Zuzutrauen wäre das der stark
auf Effizienz ausgelegten CranachWerkstatt.
Zu sehen ist das großformatige Bild
noch bis zum 14. Juni in der Ausstellung „Cranach in Weimar“ im Schillermuseum Weimar.
Cranach-Entdeckertour
D
ie Bilder aus der Wittenberger
Cranach-Werkstatt sind allgegenwärtig – mehrere große Ausstellungen zeigen im 500. Geburtsjahr von Lucas Cranach d. J. die
Meisterwerke von Vater und Söhnen. Anlass für uns, Ihnen die
Kunst der Reformationszeit näher
zu bringen: Wir laden Sie, liebe Leserinnen und Leser, am 30. Mai zu
einer thematischen Tagesfahrt ein,
die einen exklusiven Blick in die
beiden Cranach-Ausstellungen in
Gotha (Herzogliches Museum) und
Weimar (Schillermuseum) ermöglicht. In beiden Museen erhalten
wir Führungen durch die Bilderwelt, die das turbulente Reformationszeitalter illustrieren. In Weimar
wollen wir auch die Herderkirche
mit dem bekannten Cranach-Altar
besuchen.
Weitere Informationen zu dieser
Entdeckertour Ihrer Heimatzeitung
erhalten Sie bei unserem PartnerReisebüro, dem Reisebüro Schmidt
in Suhl ( 03681/804579). Dort
können Sie sich auch für diese
Fahrt anmelden.