Seite 18 FEUILLETON FEU_FW-1 Getrieben von Wut und Sehnsucht Kopfnote Selfie-Verbot W er beim Filmfest in Cannes, das seit Mittwoch läuft, Selfies vom roten Teppich machen will, könnte in diesem Jahr Schwierigkeiten bekommen: Der künstlerische Leiter Thierry Frémaux hat vorab angekündigt, die Premierengäste mit einer Kampagne von der „Unart der Selfies“ abbringen zu wollen. Sie seien albern und grotesk, erklärte er. Wie das Festival das genau durchsetzen möchte, blieb offen. Eine offizielle Regelung oder Bekanntmachung gab es bislang nicht. Bei Festivalgästen sorgte Frémauxs Ankündigung eher für Unverständnis. In den Vorjahren hatten Premierengäste zwar auch Handyfotos von sich gemacht, ernste Beeinträchtigungen auf dem roten Teppich, wie etwa ein Stau, waren aber eher nicht zu bemerken. Die Selfies haben sich als eigene Form in der Fotografie etabliert. Sie aus persönlichen Animositäten untersagen zu wollen: Das ist albern. dpa/ap Kult-Figur Weiter Horizont D er Autor Wulf Kirsten erhält den Thüringer Literaturpreis 2015. Er werde als Dichter, Prosaautor, Essayist und Herausgeber ausgezeichnet, dessen literarisches Werk mehr als ein halbes Jahrhundert umfasse, teilte die Staatskanzlei in Erfurt mit. „Kirsten ist ein herausragender Dichter, dessen Sprache traditionsbezogen und modern ist. Er verwandelt seine sächsische Herkunftslandschaft und thüringische Wahlheimat in einen poetischen Stoff mit weitem Horizont“, sagte Thüringens Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke). Der Preis ist mit 12000 Euro dotiert und wird am 3. September verliehen. dpa Kultur-Notizen Dresdner Musikfestspiele zwischen Feuer und Eis Dresden – Unter dem Titel „Feuer Eis“ bieten die Musikfestspiele in Dresden bis 7. Juni knapp 50 Aufführungen. Mit Blick auf das Motto umfasst das Angebot Musik aus dem Norden Europas bis hin zum Mittelmeer. Zu Gast sind unter anderen die Pianistin Hélène Grimaud, das Philadelphia Orchestra und das Venice Barock Orchestra. Die Dresdner Musikfestspiele wurden 1978 gegründet und entwickelten sich rasch auch für Künstler aus dem Westen zu einer dpa angesagten Adresse. Achenbachs Kunstsammlung wird versteigert Düsseldorf – Rund ein Jahr nach der Inhaftierung des Kunstberaters Helge Achenbach kommen rund 2000 Werke aus seiner Kunstsammlung unter den Hammer. Vom 17. bis 19. Juni versteigert das Auktionshaus Van Ham Arbeiten von bekannten Künstlern wie Georg Baselitz, Gerhard Richter, Jörg Immendorff oder Joseph Beuys in Düsseldorf. Die Objekte gehören zur Insolvenzmasse von Achenbach. Der 63-Jährige war wegen Millionenbetrugs an reichen Kunden im März zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden. dpa Bibliotheca Albertina bekommt Dauerausstellung Leipzig – Im Foyer der traditionsreichen Bibliotheca Albertina in Leipzig ist seit Mittwoch eine neue Dauerausstellung über das Haus und seine wertvollen Schätze zu sehen. Auf 16 großen Glastafeln werden Handschriften, die Sammlung und die Geschichte der Bibliothek vorgestellt. Im Frühjahr 1945 war das Hauptgebäude der Leipziger Universitätsbibliothek zerstört worden. Die jetzige Ausstellung soll Ersatz für die damals vernichteten Bildmaterialien an den epd Wänden schaffen. Donnerstag, 14. Mai 2015 Er kämpfte für seine anarchistischen Ideale und starb dafür im KZ: Dem Literaten Erich Mühsam widmet sich ab Sonntag eine Ausstellung im Schloss Elisabethenburg. Von Alexandra Paulfranz E s ist dieser eine Satz, der das Flair vergangener Zeiten in das Museum Schloss Elisabethenburg weht: „Das Leben ist eine Begleiterscheinung zum Kaffeehaus.“ Der Duft frisch gemahlener Bohnen, das Rascheln von Zeitungsseiten und das Gemurmel der Literaten, das Kratzen ihrer Bleistifte auf Papier scheinen den Besucher zu umhüllen. Eine Atmosphäre, die so gar nicht zum wilden Anarchisten Erich Mühsam passen will, um den sich die neue Ausstellung in Meiningen dreht. Und doch stammt der zitierte Satz aus seinem Mund. KaffeehausRomantik trifft auf politischen Querschläger. Gefühl auf kämpferische Härte. Erich Mühsam hat diese zwei Pole in sich vereint. „Er war ein Enfant terrible“, sagt Andreas Seifert, der die Ausstellung betreut. „Er wusste nicht wohin mit sich. Mit seinem Elternhaus hatte er sich verkracht und der Sprung in die Freiheit führte ihn in Künstlerkneipen.“ Konflikt mit dem Vater Das Leben von Mühsam beginnt im Jahr 1878 in Berlin. Schon früh schwelt der Konflikt mit seinem Vater Siegfried. Der will den Sohn in die für seine Familie logische bürgerliche Bahn lenken: Erich soll einmal die Apotheke des Vaters übernehmen und als Jude folglich eine jüdische Frau heiraten. Letzteres hält Siegfried sogar in seinem Testament fest – als Bedingung dafür, dass Erich sein Erbe bekommt. Beide Wünsche erfüllt der Sohn dem Vater nicht. Im Gegenteil: Wie tief die Kluft zwischen den beiden ist, zeigt sich bereits zu Schulzeiten. Als sich Lehrer über das Benehmen des Gymnasiasten und seinen mangelnden Fleiß beklagen, antwortet der Vater: „An Strenge meinerseits soll es nicht fehlen.“ Und er schließt Erich künftig von Familienausflügen aus. Entgegen seiner Überzeugung lernt der Junge später zuerst den Beruf des Apothekers, entscheidet sich aber 1901 dazu, als freier Schriftsteller sein Geld zu verdienen. Ein Jahr danach knüpft er erste Kontakte zu All seine anarchistische Wut hämmerte der Literat Erich Mühsam in seine Schreibmaschine. In der Ausstellung im Schloss Elisabethenburg, die Andreas Seifert betreut, ist das Original zu sehen. Foto: ari anarchistischen Gruppen. Wie haltlos er sich trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen fühlt, beschreibt Erich Mühsam in seinem Lyrikband „Die Wüste“ von 1904. „Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt“, heißt es darin. Und: „Ich bin ein Träumer, den ein Lichtlein narrt; der in dem Sonnenstrahl nach Golde scharrt.“ Die diffuse Sehnsucht, der der junge Mann hinterherjagt und die sich nie zu erfüllen scheint, spiegelt sich in seinem Lebensstil wider: Ausschweifungen, ein freizügiges Liebesleben, ständige Geldsorgen und rauschende Künstlerfeste – all das hält der Literat ab 1910, nach seinem Umzug nach München, in Tagebüchern fest. Und immer unterschwellig in seinem Herzen: Die Auflehnung gegen seinen Vater, die er mit seinem verlotterten Erscheinungsbild auch äußerlich deutlich zu machen versucht. Seine Wut und Verzweiflung hämmert Erich Mühsam in die Tasten seiner Schreibmaschine. Von 1911 an erscheint über drei Jahre seine „Zeitschrift für Menschlichkeit“, wie sich der Untertitel nennt. Der eigentliche Titel: „Kain“. Angelehnt an die Bibel, an den Brudermörder Kain als Sym- bol für die Rebellion des Menschen gegen Ungerechtigkeit und Herrschermacht. Mühsam kritisiert in seinen Texten scharf die imperialistische Politik und den Militarismus im Kaiserreich. Kirchliche Moral und bürgerliche Sittlichkeit sind für ihn nichts als Unterdrückungssysteme. Seine Kritik reicht noch weiter: Die deutsche Sozialdemokratie habe sich demnach vom revolutionären sozialistischen System verabschiedet. Zu Kompromissen zeigt er sich nicht bereit: „Die Utopie ist Vorbedingung jeder Entwicklung.“ Mit Schlinge um den Hals Tatsächlich setzen sich die Anarchisten im Jahr 1919 durch: Mühsam und sein Weggefährte Gustav Landauer proklamieren am 7. April die Münchner Räterepublik. Nur eine Woche später, am 13. April, wird Erich Mühsam nach einem Putsch der bürgerlichen Regierung verhaftet und landet im Gefängnis. Dort verschlechtert sich sein psychischer und körperlicher Gesundheitszustand derart, dass er später selbst der Überzeugung ist: Kein Jahr länger hätte er die Schikane mit Schreibund Besuchsverbot oder Schlafentzug durchgehalten. Nach seiner Freilassung 1924 erwartet Mühsam ein triumphaler Empfang von Anarchisten und Kommunisten. Für sie ist er inzwischen zum Helden ihrer Ideale geworden. Als er 1933 in Schutzhaft ins Konzentrationslager gesteckt wird, wenden sich sogar Mitglieder des britischen House of Commons direkt an Adolf Hitler und bitten um die Freilassung von Erich Mühsam. Doch es gibt keine Gnade für den unbequemen Aktivisten: Sich selbst erhängen soll er im Juli 1934, so der Befehl der SS. Tatsächlich wird er mit einer Schlinge um den Hals auf der Toilette gefunden. Tot. Was genau passiert ist, bleibt ungeklärt. Die Leiche hat laut Zeugen keine Anzeichen eines Erhängungstods aufgewiesen. Vermutlich haben ihm seine Mörder die Schlinge erst postum umgelegt. Erich Mühsams Beisetzung verläuft unspektakulär. Nur eine kleine Trauergemeinde kommt zusammen, darunter keine prominenten Schriftsteller. Zu diesem Zeitpunkt ist der Literat wieder da, wo er mal begonnen hat: Ein unscheinbarer Künstler. Einst in Kaffeehäusern umgetrieben, um sich mit Stegreif-Dichtung finanziell über Wasser zu halten. Die Ausstellung über Erich Mühsam ist auf Initiative des Wandervereins Bakuninhütte entstanden, erklärt Andreas Seifert. Der Verein setzt sich dafür ein, den geschichtsträchtigen Ort wieder öffentlich zugänglich zu machen: Ursprünglich ist die Hütte auf einer Selbstversorgungsfläche hungernder Arbeiter in den 1920er Jahren entstanden. Zu Zeiten des Nationalsozialismus diente sie der SS und der NS-Jugend, nach 1945 wurde sie dem SED-Kreisvorstand übertragen und vielfältig genutzt. Die Geschichte der Bakuninhütte bildet ebenfalls einen Teil der Ausstellung, genauso wie ein Überblick über weitere lebensreformatorische Bewegungen. Erich Mühsam selbst war mehrere Male in der Hütte bei den Meininger Syndikalisten zu Gast. „Sich fügen heißt lügen! Mühsam in Meiningen und seine Anarchisten“, Ausstellung der Erich-Mühsam-Gesellschaft Lübeck, des Wandervereins Bakuninhütte und der Meininger Museen, Schloss Elisabethenburg, 17. Mai bis 27. September, Eröffnung am Sonntag, 17. Mai, zum Internationalen Museumstag um 15 Uhr in der Schlosskirche. Museumsabend am Sonntag, 14. Juni, als Abschluss einer Fachtagung. Lucas Cranach – eine Bildbetrachtung Caritas Thüringen feiert Cranach – wir erklären Motive aus dem gewaltigen Kosmos der Wittenberger Werkstatt. Eine Bildbetrachtung von Bettina Keller. S o schön kann Wohltätigkeit sein. Lucas Cranach der Ältere setzte die Verkörperung der christlichen Tugend der Nächstenliebe nackt in Szene. Seine „Caritas“, entstanden nach 1537, folgt mit ihrer glatten, rosigen Haut dem bewährten weiblichen Schönheitstypus seiner Werkstatt. Ihre Konfektionsgröße ist im Vergleich zu den anderen Frauenakten jener Zeit etwas größer – eine halbwegs mütterliche Erscheinung passt besser zum Betätigungsfeld der Dame. Sie sitzt auf einem Stein mit einer entsprechenden Inschrift, um eine größtmögliche Deutlichkeit des dargestellten Sachverhalts zu gewährleisten. Geschmückt ist die Caritas mit den üblichen Cranachschen Zugaben: Halsband, Kette und dem Durchsichtigsten aller Schleierchen. Sie unterstreichen die Nacktheit auf reizvolle Art. Züchtig ist ihr Haar gebändigt. Streng gescheitelt und mit Reif, dazu leicht verschleiert macht es dem Betrachter deutlich, dass die stillende Frau in jeder Hinsicht integer ist. Ihr Sitzkomfort ist hart, ebenso wie der kieselübersäte Boden zu ihren Füßen – ihre Aufgabe ist kein Zuckerschlecken. Trotzdem sind ihre madonnenhaften Gesichtszüge, mit dem kleinen Kinn, den leicht schrägstehenden Augen und den runden Wangen ganz im normierten Modus der Cranachschen Gesichtsproduktion stehend, heiter. Sie ist sichtlich erfüllt. Der zu kurz geratene rechte Arm scheint ihr keine Probleme zu bereiten. Die Kinder neben ihr sind am Zanken, eventuell geht es um eine Eifersüchtelei. Die Personengruppe befindet sich in einer Nische aus Gesträuch und einem Apfelbaum. Im Hintergrund breitet sich eine wasserreiche Landschaft aus. Das Motiv wurde häufig von Cranach gemalt. Die Caritas (Liebe), die zum überlieferten christlichen Tugendkatalog gehört, wird traditionell als Mutter mit Kindern dargestellt. Insofern war das Thema dem damaligen Betrachter verständlich. Die Rebhühner am rechten Bildrand könnten einer in Mühlhausen spielenden Legende nach als Zeichen der sich durchsetzenden Reformation gedeutet werden. Über die Bedeutung der vielfach bei Cranach eingesetzten Äpfel kann in diesem Zusammenhang nur spekuliert werden: In der Hand des Mädchens scheiden Verweise auf die Gottesmutter Maria aus. Vielleicht sind sie reine Dekoration. Zuzutrauen wäre das der stark auf Effizienz ausgelegten CranachWerkstatt. Zu sehen ist das großformatige Bild noch bis zum 14. Juni in der Ausstellung „Cranach in Weimar“ im Schillermuseum Weimar. Cranach-Entdeckertour D ie Bilder aus der Wittenberger Cranach-Werkstatt sind allgegenwärtig – mehrere große Ausstellungen zeigen im 500. Geburtsjahr von Lucas Cranach d. J. die Meisterwerke von Vater und Söhnen. Anlass für uns, Ihnen die Kunst der Reformationszeit näher zu bringen: Wir laden Sie, liebe Leserinnen und Leser, am 30. Mai zu einer thematischen Tagesfahrt ein, die einen exklusiven Blick in die beiden Cranach-Ausstellungen in Gotha (Herzogliches Museum) und Weimar (Schillermuseum) ermöglicht. In beiden Museen erhalten wir Führungen durch die Bilderwelt, die das turbulente Reformationszeitalter illustrieren. In Weimar wollen wir auch die Herderkirche mit dem bekannten Cranach-Altar besuchen. Weitere Informationen zu dieser Entdeckertour Ihrer Heimatzeitung erhalten Sie bei unserem PartnerReisebüro, dem Reisebüro Schmidt in Suhl ( 03681/804579). Dort können Sie sich auch für diese Fahrt anmelden.
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