D ie G ärten der Z ukunft wachsen vertikal

The gardens of
the future will
be vertical
© Guildford Town Centre
Die Gärten der
Zukunft wachsen
vertikal
TOMORROW – 33
Die sogenannte «Living Wall» im Guildford Town Centre, einem Einkaufszentrum in Kanada.
The so-called "Living Wall" in the Guildford Town Centre, a shopping centre in Canada.
Begrünte Fassaden sind im Trend.
Bekannte Objekte wie der Bosco
Verticale in Mailand, das Tree
House in Singapur oder die Green
Wall in London sorgen für Aufsehen. Die vertikalen Gärten sehen
ästhetisch aus und haben laut Azra
Korjenic auch diverse positive
Eigenschaften in Bezug auf das
Wohlbefinden. Die Wiener Professorin erhielt 2014 zwei Preise für
ihre Forschungen in den Bereichen
Bauphysik und Schallschutz.
Interview: Christian Nill — Porträt: Patricia Weisskirchner
AFG WORLD: Frau Korjenic, welches sind die wichtigsten
Vorteile begrünter Fassaden?
Azra Korjenic: Grundsätzlich gelten für alle begrünten Fassaden folgende Punkte: Sie schützen die Fassade, und sie helfen,
den Energiebedarf im Gebäude zu senken. Dazu kommt die
Verbesserung der Luftqualität. Mit ihrem Blätterwerk sorgen sie
für vergrösserte Oberflächen. Das zieht Feinstaub und andere
Schadstoffe an und bindet sie. Aufgrund der Photosynthese
wird ausserdem CO2 in Sauerstoff umgewandelt. Damit leisten
begrünte Fassaden auch etwas für das Wohlbefinden der
Menschen. Und das Mikroklima in entsprechenden Stadtteilen
wird positiv beeinflusst.
Planted façades are in fashion.
Famous buildings, such as the Bosco
Verticale (Vertical Forest) in Milan,
the Tree House in Singapore and the
Green Wall in London, are causing
quite a stir. These vertical gardens
are pleasing to the eye and, according to Azra Korjenic, have a variety
of positive effects on our well-being.
In 2014, this Viennese professor
received two awards for her research
in the fields of building physics and
soundproofing.
Interview: Christian Nill — Portrait: Patricia Weisskirchner
AFG WORLD: Ms Korjenic, what are the most important
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Azra Korjenic: Generally speaking, the following is true of all living
façades: they protect the shell and help reduce the energy needed in
the building. They also improve the air quality. Their foliage creates
larger surface areas. This attracts and binds particulate matter and
other harmful substances. Plus, photosynthesis converts CO2 into
oxygen. As a result, living façades also contribute to people’s health
and well-being. What’s more, they have a positive impact on the
micro-climate in the city districts where they grow.
34 – TOMORROW
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Der Schallschutz wird auf jeden Fall verbessert. Es hängt vom
System und der Bepflanzung ab. Je nach Blattstellung, Blattdichte und Substrat fällt die Lärmdämmung aus. Hier gibt es noch
viel zu erforschen. Als weiteren Vorteil sehe ich den Ausgleich
von Niederschlagsspitzen. Bei versiegelten Oberflächen ist eine
Flächenentwässerung notwendig, wodurch die Kanalisation
schnell überlastet sein kann, wie es beispielsweise in Wien oft der
Fall ist. Begrünte Fassaden haben eine Puffereigenschaft.
Sie erwähnten den Fassadenschutz. Wie sieht dieser aus?
Fassadenbegrünung schützt die Unterkonstruktion vor Witterung und Strahlung. Denn Letztere erhöhen die Wärmeverluste
im Winter sowie die Wärmezunahme im Sommer, beanspruchen
die Oberfläche stark und reduzieren damit die Lebensdauer.
In einer Studie schreiben Sie, dass trotz Fassadenbegrünung
Photovoltaikanlagen montiert werden können. Da immer
noch 80 Prozent des Lichtes durchkommt, blieben die Vorteile
erhalten.
Wir erforschen die Kombination von begrünten Fassaden mit
Photovoltaik (PV) und halten diese für die Zukunft ausschlaggebend. Sie ergänzen sich positiv, das zeigen auch Ergebnisse
unserer Projekte zusammen mit der Universität für Bodenkultur
(BOKU). PV ist ja bereits anerkannt als beste Möglichkeit zur
Energiegewinnung in Städten.
Wo sehen Sie Nachteile?
Immobilienbesitzer interessieren sich zwar für begrünte Fassaden, entscheiden sich aber oft für die PV, da sie lieber Energie
gewinnen möchten. Und noch nicht wissen, dass man beides
miteinander kombinieren kann, weil noch konkrete, wissenschaftliche Belege fehlen. Nun haben wir Prüfstände gebaut, wo
wir die optimale PV-Begrünungs-Kombination erforschen sowie
verschiedene Pflanzenarten, die hinter PV-Anlagen wachsen
können. Dafür benötigt eine Pflanze besondere Eigenschaften,
da im Sommer die Temperaturen sehr hoch, im Winter aber sehr
tief sind.
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They definitely improve noise protection. It all depends on the
system and on which plants are used. The level of noise insulation
depends on the arrangement and density of the leaves, as well as
the substrate. We still have a great deal of research to carry out in
this area. Another benefit is the offsetting of periods with little rain.
Sealed surfaces require area drainage that can easily overload the
sewage system, as is often the case in Vienna, for example. Living
façades act as a kind of buffer.
You mentioned the element of protection before.
What form does this take?
Living façades protect the substructure against the weather and
radiation. The latter increases heat loss in winter and heat gain in
summer, and also places extreme stress on the surface, shortening its
lifespan.
In one of your studies, you stated that photovoltaic
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since 80 % of the light is still able to penetrate, the
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We are researching ways of mixing living façades with photovoltaics
(PV) and believe that this will be essential in future. The two are
mutually beneficial, which has been proven by the findings of our
projects in partnership with BOKU University. PV is already recognised as the best option for generating energy in cities.
What are the disadvantages in your opinion?
Property owners are interested in living façades, but they often
opt for PV as they would rather generate energy. And the lack of
concrete, scientific evidence means that they don’t even know
that they can combine the two. We have now established test facilities where we can study the optimum PV/plant combination, as
well as various types of plants that can grow behind PV equipment.
Plants need to possess special attributes in order to grow in this way,
since the temperatures are very high in summer and very low in
winter.
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Das ist nur dank Finanzierung von Dritten möglich. Die
Ermöglicher unserer Prüfstände sind: Longin, Seca, Frischeis,
ATB-Becker Photovoltaik GmbH, Sand & Lehm, Internorm,
Baumit, Dämmwool, Fa. Optigrün und Isover.
Our work is only possible thanks to financing from third parties.
The test facilities are made possible by the following: Longin, Seca,
Frischeis, ATB-Becker Photovoltaik GmbH, Sand & Lehm, Internorm, Baumit, Dämmwool, Fa. Optigrün and Isover.
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Wie viel Energie spart Fassadenbegrünung ein?
Internationale Fachmagazine wie Energy and Buildings und
Energy & Environment haben dazu publiziert. Die Untersuchungen kommen jedoch hauptsächlich aus mediterranen
Ländern wie Griechenland oder Italien. Daher geht es vorwiegend um den Kühlbedarf. Die Einsparungen, die dazu gemessen
wurden, betragen rund 25 Prozent. Das bedeutet, dass zum
Beispiel auf eine Kühlanlage verzichtet werden könnte.
International specialist magazines, such as Energy and Buildings
and Energy & Environment, have published articles on this subject.
However, most of the studies have been carried out in Mediterranean countries, such as Greece and Italy. Consequently they mainly
deal with the need for cooling. The savings measured in this context
were around 25 %. That means, for example, that there would be
no need for a cooling system.
How do you calculate the heat demand?
Wie berechnen Sie den Wärmebedarf?
Im Moment läuft bei mir eine weitere Dissertation, die die
U-Wert-Verbesserung durch verschiedene Fassadenbegrünungen
erforscht sowie die Integration dieser in den Energieausweis.
Sowohl bei Kletterpflanzen als auch bei verschiedenen fassadengebundenen Begrünungssystemen wie Pflanzentrögen oder
Plattensystemen.
I’m in the process of working on another dissertation exploring improvements in the U-value through various living façades, as well
as their integration into the energy certificate. It discusses climbing
plants as well as different fixed façade planting systems, such as tub
planters and panel systems.
Prof. Azra Korjenic von der TU Wien.
Prof. Azra Korjenic of Vienna University
of Technology.
Foto: zvg photo: provided
© Patricia Weisskirchner
TOMORROW – 35
Forschungsobjekt der TU Wien: Die begrünte Fassade des Hotels Stadthalle in Wien.
Research object: the green façade of the Hotel Stadthalle in Vienna.
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Ich fordere die Unternehmen auf, mehr zu investieren, auch um
Forschungslücken zu schliessen. Sehr grossen Firmen sind am
Thema interessiert und planen Projekte mit uns. Hier handelt
es sich um langfristige Investitionen in Techniken. Grundsätzlich zeigt der Trend klar Richtung Fassadenbegrünung. Denn
unsere Städte werden grösser und Prognosen sagen, dass bis 2050
zwei Drittel der Menschheit in Städten leben werden. Deshalb
müssen wir dichter bauen, was weniger Platz für Grünflächen
bedeutet. Also muss man damit in die Vertikale gehen. Sonst
wird die Lebensqualität in den Städten der Zukunft leiden.
I would ask these companies to invest more so that we can close gaps
in the research. Very large companies are interested in these matters
and are planning projects with us. We are talking about long-term
investment in technologies. Basically, the trend is clearly heading
towards green façades. After all, our cities are getting larger and
forecasts predict that two-thirds of the world’s population will live
in cities in 2050. That is why we need denser construction, which
will leave less room for green spaces. So we have to move into the
vertical. Otherwise the quality of life in cities will suffer in future.
Zur Person: Azra Korjenic
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Azra Korjenic wurde in Sarajevo geboren. Während des JugoslawienKrieges Anfang der 1990er-Jahre geht sie nach Wien, ohne ein Wort
Deutsch zu sprechen. In kürzester Zeit findet sie eine Anstellung
in einem Planungsbüro und setzt ihr Ingenieursstudium an der TU
Wien fort. Heute ist sie daselbst Professorin im Forschungsbereich
für Bauphysik und Schallschutz. 2014 hat sie den VCE-Innovationspreis für Exzellenzforschung im Ingenieurbau sowie den ÖGUTUmweltpreis für ihre Forschungsarbeit erhalten. Azra Korjenic ist
verheiratet und lebt mit Ehemann und zwei Kindern in Wien.
Azra Korjenic was born in Sarajevo. During the Yugoslav Wars in
the 1990s, she left for Vienna despite not speaking a single word of
German. She quickly found work in a planning office and continued
her engineering studies at the Technical University in Vienna. Today
she still calls Vienna home, where she has a position as a professor in
the research field of building physics and soundproofing. In 2014 she
won both the VCE Innovation Prize for Excellent Research in Civil
Engineering and the OGUT Environmental Prize for her research
efforts. Azra Korjenic is married and lives with her husband and two
children in Vienna.
www.bph.tuwien.ac.at/home – www.boku.ac.at