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16. März 2015 | Dresden
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Impuls 1
Rechtspopulismus – Situationsbeschreibung und Handlungsempfehlungen
Prof. Dr. Thomas Grumke, Politikwissenschaftler und Rechtsextremismusforscher
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für die
Als Sozialwissenschaftler habe ich am Anfang eine
Einladung. Ich bin gebeten worden, in einer halben
kleine Kurzdefinition Rechtspopulismus – damit wir
Stunde über das Phänomen Rechtspopulismus zu
auf dem gleichen Stand sind: Was ist überhaupt
sprechen. In dieser Zeit kann ich natürlich nur eine
Rechtspopulismus? Zum einen ist Rechtspopulis-
Skizze dessen liefern. Ich werde zusehen, dass ich
mus ein Phänomen gesellschaftlicher Modernisie-
so präzise wie möglich dieses Phänomen einordne
rungskrisen. Das können ökonomische, kulturelle
– auch im Kontrast zum Phänomen Rechtsextremis-
oder politische Krisen sein, die unterschiedlich
mus. Mit dem, wenn ich das richtig verstehe, Sie alle
empfunden werden. Wir haben zweitens eine un-
beruflich zu tun haben. Deshalb ist es mir wichtig,
terschiedliche Anordnung von Krisen. Man spricht
beide Phänomene in Kontrast zu setzen: Wo gibt es
von Verteilungskrise, Identitätskrise oder auch Re-
Gemeinsamkeiten? Wo gibt es Unterschiede? Wo
präsentationskrise.
gibt es möglicherweise auch Unterschiede im Umgang? Dabei folge ich einer Gliederung in zehn Punk-
Dann würde ich sagen, und da befinde ich mich in
ten. Zehn Hypothesen, die ich ausführen werde.
Übereinstimmung mit der veröffentlichten Literatur, dass Rechtspopulismus in erster Linie ein poli-
Ich bin an der Fachhochschule für Öffentliche Ver-
tischer Stil ist. Es ist anders als Rechtsextremismus
waltung am Studienort Gelsenkirchen – Fachbe-
keine orthodoxe Ideologie, die ich mir aneignen
reich Polizei – tätig. Das heißt, meine Studierenden
muss, sondern ich kann in den Rechtspopulismus
sind alles zukünftige Polizistinnen und Polizisten.
sofort einsteigen. Ich muss keine ideologischen
Das prägt natürlich auch meine Sichtweise.
Vorkenntnisse haben. Es ist ein Stil mit Bewegungscharakter und charismatischen Führungsfiguren,
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die sich als Volkstribune positionieren Das sehen
Ich beginne mit meinen eingangs erwähnten zehn
wir ja allenthalben, wenn wir uns in unseren Nach-
Punkten zum Umgang mit dem Phänomen Rechts-
barländern umschauen. Dieser politische Stil nutzt
populismus.
Verschwörungstheorien und fordert Tabubrüche.
Dabei werden oft Dinge als Tabus bezeichnet, die
es möglicherweise überhaupt nicht sind. Aber man
rechnet sich das selbst positiv zu. Man sucht Sündenböcke und findet sie. Vorteile werden geschürt
und Ängste werden instrumentalisiert.
Wir haben es beim Rechtspopulismus mit einer
sogenannten „dünnen Ideologie“ zu tun – mit fließenden Grenzen zum Rechtsextremismus und austauschbaren Feindbildern –, die sich kulturell gegen
das Fremde wendet, die das Nationale betont und
einen imaginären Volkswillen gegen die Verfassungsordnung ausspielt. Das kommt aus der englischen Literatur, man nennt das eine „Thin-Centered
Ideology“, also eine „dünne Ideologie‘“. Nicht zuletzt
haben wir es hier mit einer Anti-Establishment-Haltung zu tun, die häufig aus dem Establishment
selbst kommt. Das heißt, man hat die Rhetorik: Ich
vertrete das einfache Volk gegen die gesellschaftlichen Eliten, und ich habe den Mut, mich dagegenzustellen. Die da oben und wir hier unten.
Erstens: Rechtsextremismus und Rechtspopulismus stellen die Demokratie vor große Herausforde-
Insofern haben wir es hier mit Irrationalitäten zu
rungen. Die Eindämmung dieser beiden Krisensym-
tun. Diese Anti-Establishment-Haltung ist eigentlich
ptome kann sich jedoch nicht auf die Bekämpfung
immer im Rechtspopulismus eingebaut. Rechts-
ihrer Organisationen beschränken, das würde viel
populismus hat genauso wie Rechtsextremismus
zu kurz greifen, weil beide Bewegungscharakter
in Deutschland Bewegungscharakter. An diesem
haben. Wir müssen uns vor allem auf die Stärkung
Punkt möchte ich kurz auf die klassische Bewe-
einer nachhaltigen demokratischen Kultur konzen-
gungsforschung – nach Dieter Rucht – eingehen.
trieren. Es gibt sowohl im Populismus als auch im
Extremismus eine Angebotsseite und eine Nach-
Jede Bewegung ist so organisiert, dass wir einen
frageseite: Was wird aus der Szene angeboten und
Bewegungskern mit sogenannten Bewegungseli-
welche Nachfrage herrscht in der Bevölkerung? Das
ten und Bewegungsunternehmern haben. Das ist
heißt, wenn man keine starke demokratische Kultur
entweder deren Beruf oder aber deren Berufung.
hat, ist die Nachfrage groß. Genauso gilt, wenn man
Da sind die Anmelder. Das sind diejenigen, die die
sich nicht um die Eindämmung rechter Symptome
Reden halten. Dann haben wir in der Regel den Ring
kümmert, generieren diese – früher oder später –
der sogenannten Basis-Aktivisten. Die kommen im-
attraktive Angebote. Hier in Dresden haben wir ein
mer mit, wenn es was zu tun gibt. Die kleben Plaka-
starkes Angebot und eine starke Nachfrage. Oft ist
te und sorgen für die Infrastruktur. Dann haben wir
die Nachfrage das Problem. Wir reden meistens
einen dritten Ring: die sogenannten Unterstützer.
über das Angebot und müssten eigentlich die Nach-
Die sind sporadisch dabei, haben aber auf jeden
frage bearbeiten.
Fall eine klare Sympathie zur Sache und unterstützen diese punktuell. Und dann gibt es den äußeren
Zweitens: Rechtsextremisten und Rechtspopu-
Ring der Sympathisanten. Das sollte Ihre Zielgruppe
listen profitieren gleichermaßen von der abneh-
sein.
menden
Bindekraft
zentraler
demokratischer
Institutionen und mangelnden Antworten der reIn der Auseinandersetzung mit sozialen Bewegun-
präsentativen Demokratie auf den massiven öko-
gen sind Differenzierungen notwendig. Wir sollten
nomischen und sozialen Wandel gesellschaftlicher
die Bewegungsunternehmer nicht genauso be-
Modernisierungsprozesse. Man spricht in den
handeln wie die Sympathisanten und umgekehrt.
Sozialwissenschaften bzgl. Ostdeutschlands von
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einer sogenannten doppelten Modernisierung: die
Absagen an die Menschenrechte im Mittelpunkt.
Einführung der sozialen Marktwirtschaft und die
Vor diesem Hintergrund verbreiten und intensi-
gleichzeitige Globalisierung. Das heißt, die Belas-
vieren sich demokratiefeindliche Diskurse in der
tung in Ostdeutschland war doppelt. Die Bindekraft
Gesellschaft. Wenn Demokratiezweifel oder Demo-
der Institutionen konnte dabei nicht Schritt halten.
kratieentleerung ethnisiert werden, verbreiten und
Das ist ein ernstes Problem. Im Jahr 25 der Deut-
intensivieren sich demokratiefeindliche Diskurse in
schen Einheit haben wir deshalb im Bewusstsein
der Gesellschaft.
eines Teils der Bevölkerung erhebliche Verschleißerscheinungen der repräsentativen Demokratie
Das geht einher mit Demokratieermäßigung. Wer
festzustellen. Man spricht auch von einer „entleer-
schon immer hier lebt, sollte mehr Rechte haben
ten Demokratie“. Das umfasst die gesamten Insti-
als die, die später zugezogen sind. Wenn Arbeits-
tutionen der Demokratie. Natürlich hat jeder Ort
plätze knapp werden, sollte man die in Deutschland
einen Bürgermeister, ein Stadtparlament. Aber es
lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurück-
kann im Extremfall entleert sein, nicht mit Leben,
schicken. Alle, die nicht so sind wie wir, bekommen
mit demokratischer Gesinnung gefüllt.
klare pauschale Zuschreibungen. Das ist die Folie,
auf der sich alles abspielt.
Ich möchte auf eine neue Studie verweisen, die
die Friedrich-Ebert-Stiftung vor ein paar Wochen
Viertens: Rechtsextremismus und Rechtspopulis-
veröffentlicht hat. Diese Studie heißt: Fragile Mitte
mus sind jeweils spezifische Herausforderungen
– feindselige Zustände. Wenn wir diese Demons-
der deutschen Demokratie. Es besteht ein hetero-
trationen sehen, ist das kein neues Phänomen.
genes Netzwerk rechtsextremistischer Gruppierungen, die in einigen Orten als kulturelle, politische oder sogar geistige Institutionen etabliert sind
und vereinzelt sogar die lokale Öffentlichkeit dominieren. Allgemein kann Rechtsextremismus heute
als internationales, modernes und vielschichtiges
Phänomen beschrieben werden, als soziale Bewegung und als Erlebniswelt. Gleichzeitig existiert ein
erheblicher Resonanzboden in der Bevölkerung für
rechtspopulistische Deutungsmuster. Rechtspopulismus ist ein Politikstil mit Bewegungscharakter
und – wenn auch oftmals schwach ausgeprägten
– rechtsextremistischer Kernideologie. Es gilt herauszuarbeiten, was ideologisch und was diffuse
Angst ist. Man spricht – nach Pierre-André Taguieff
– von Identitätspopulismus und Protestpopulismus. Identitätspopulismus ist das, was wir in NRW
mit Pro NRW oder Pro Köln oder hier in Dresden
in Teilen bei Pegida haben. Das ist die Ethnisierung
Der einzige Unterschied ist nur, dass die Einstel-
von Protest. Und dann haben wir den Protestpo-
lungsmuster, die wir in der Gesellschaft schon
pulismus, der klassisch von der AfD vertreten wird,
lange messen, organisiert werden. Diese Einstel-
sozusagen der Professoren-Populismus. Protest-
lungsmuster hatten bisher noch keinen Bewe-
populismus heißt, man protestiert nicht aus ei-
gungscharakter. Wir haben offensichtlich eine
ner sozialen Notlage heraus, sondern weil es eine
hohe Nachfrageseite. Das ist der gesellschaftliche
grundsätzliche Frage ist. Wir sehen an den Rändern
Zustand, mit dem wir es zu tun haben. Und jetzt
von Pegida, wie auch an den Rändern der AfD, den
haben wir auch ein Angebot, das plötzlich die Nach-
Wettkampf der beiden Populismen.
frageseite befriedigt. Das ist das Novum.
Fünftens: Wie eine genaue Analyse der gesellDrittens:
Die
Ethnisierung
gesellschaftlicher
schaftlichen
Kontextbedingungen
zeigt,
sind
Verhältnisse, also die Verknüpfung von wahrge-
Rechtsextremisten gegenwärtig eben keine ernste
nommenen gesellschaftlichen Missständen mit
Gefahr für die Institution der Parlamentarischen
bestimmten ethnischen Gruppen, denen immer
Demokratie. Dessen ungeachtet ist allerdings die
negative Eigenschaften zugeschrieben werden, und
rechtsextremistische Bewegung sehr wohl in der
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Impuls 1
Lage, einen Teil der öffentlichen Meinung in ihrem
Achtens: Die politisch etablierte Klasse steht
Sinne zu beeinflussen. Aber mit so orthodoxem
scheinbar vor der Wahl, einerseits auf inhaltliche
Rassismus erreicht man eben nur einen kleinen Teil
Unterschiede in den Programmen zu verweisen
der Bevölkerung. Rechtsextremisten sind in erster
(und damit die Bevölkerung zu langweilen oder zu
Linie eine Gefahr für die freiheitliche Gesellschaft
überfordern) oder sich an der Depolitisierung der
durch die direkte oder indirekte Androhung oder
Wählerschaft durch Symbolpolitik zu beteiligen. Wir
sogar Anwendung von Gewalt. In dieser monisti-
sollten unsere Rhetorik dieser Simplifizierung und
schen Ideologie gibt kein Vielleicht, sondern nur
Symbolpolitik nicht anpassen. Einmal angerichteter
Ja-Nein, Freund-Feind, Entweder-Oder. Gewalt ist,
Schaden, eine Rechtsverschiebung des politischen
wenn man diese Ideologie zu Ende denkt, zwin-
Spektrums, sei es jetzt durch Verschärfung von
gend. Im Gegensatz dazu hat der Rechtspopulismus
Einwanderungsgesetzen und Asylgesetzen – Ermä-
keine monistische Ideologie.
ßigung bei den Menschenrechten, würde ich das
nennen –, ist nicht so einfach reparabel und liegt
Sechstens: Deutsche Rechtsextremisten setzen
als Schatten schwer auf der pluralistischen Demo-
im Allgemeinen keine politische Themen, springen
kratie. Wenn Menschenrechte als teilbar etabliert
aber routiniert auf fahrende Züge auf. Anders als
werden, ist das ein ernsthaftes Problem.
die ideologisch zumeist orthodoxen Aktivisten der
rechtsextremistischen Bewegung verstehen sich
Neuntens: Gelingende Bildungs-, Informations-
die rechtspopulistischen Akteure besser darauf,
und Sozialpolitik sind der Kern demokratisch-poli-
diese Züge auch zu lenken. Beide sind gleicherma-
tischer Kultur. Man kann es nicht oft genug sagen.
ßen jedoch auf Fehler und Lücken der etablierten
Es besteht die Gefahr, dass menschenfeindliche so-
politischen Klasse angewiesen, die dann als Beweis
ziale Praxis eben auch menschenfeindliche Einstel-
der Untauglichkeit des bestehenden Systems post-
lung sukzessive normalisiert. Das heißt, eine Politik,
wendend ausgeschlachtet und vorgeführt werden.
die auch nur den Anschein erweckt, dass Banken
Deswegen mein Appell: Solche Lücken dürfen wir
systemrelevant sind, sozial Schwache jedoch nicht,
gar nicht erst zu lassen. Das ist das Problem der
leistet menschenfeindlichen Einstellungsmustern
entleerten Demokratie: Wenn die etablierte politi-
Vorschub. Auch wenn man das ökonomisch erklä-
sche Klasse diese Lücken lässt oder Fehler macht,
ren kann, ist es Gift für das Gemeinwesen.
dann ist es ein Leichtes für Rechtspopulisten, mit
Kampagnen da hineinzustoßen.
Es ist wichtig, eine demokratische Anerkennungskultur für alle, die in dieser Gesellschaft leben, zu
Siebtens: Mit ihrer Tendenz zur radikalen Simpli-
etablieren. Es geht um nicht weniger als eine po-
fizierung und Komplexitätsreduktion sind Rechts-
sitive Anerkennungsbilanz. Dieser Begriff stammt
populisten in der Lage, einen Schein von Klarheit
von Wilhelm Heitmeyer und seinem Team: positive
anzubieten, der in der heutigen politischen Realität
Anerkennungsbilanz. Das gefällt mir sehr gut. Das
schmerzlich vermisst wird. Dabei üben Rechtspo-
heißt: Du bist als Mensch mit Grundrechten – mit
pulisten eine ätzende und damit korrosive Kritik
Menschenrechten – ausgestattet, und wir sehen zu,
der demokratischen Wirtschaftlichkeit, während
dass du als Person in unserer Gesellschaft positi-
Rechtsextremisten die freiheitliche Demokratie in
ve Anerkennung findest. Extremismus-Prävention
Gänze abschaffen wollen. Extremisten wollen den
muss dabei ein ständiger demokratiebegleitender
offenen Marktplatz der Ideen komplett schließen.
Prozess von staatlichen und auch von nicht staatli-
Das ist ihre autokratische Weltanschauung. Auch
chen Akteuren sein. Ich bin nicht der Meinung, dass
wenn sie auf dem Weg dorthin natürlich an demo-
die Gesellschaft das mit sich selber ausmacht.
kratischen Wahlen teilnehmen. Populisten wollen
hingegen diesen Marktplatz per se nicht schließen,
Und zehntens: Rechtsextremismus ist in Deutsch-
sondern ihn dominieren. Das ist ein entscheiden-
land heute weitgehend gesellschaftlich geächtet.
der Unterschied dieser beiden Bewegungen.
Das orthodoxe offene Bekenntnis zu oder das Engagement für die extremistische Rechte führt in
Die modernen Massenmedien sind dabei das Viag-
der Regel zu empfindlichen sozialen, beruflichen
ra des Rechtspopulismus. Es spielt dabei keine Rol-
und staatlichen Sanktionen. Diese Stigmatisierung
le, ob die Berichterstattung positiv oder negativ ist.
gibt es. Diesen Zustand gilt es zu bewahren. Denn
Es zählen nur breitenwirksame Schlagzeilen. Hier-
wer sich dieser klaren orthodoxen rassistischen
aus ergibt sich eine erhebliche Verantwortung der
Ideologie verschreibt, der stellt sich selber ins Ab-
Medien.
seits. Beim Rechtspopulismus allerdings gilt es aus
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Impuls 1
meiner Sicht sehr klug zu differenzieren zwischen
Frage fehlender Informationen und Bildung. Das
den Bewegungsunternehmern, die es auszugren-
sind oft Menschen, die für die politische Bildung
zen gilt, und den Sympathisanten, die es in das plu-
insgesamt empfänglich sind.
ralistische liberale Gemeinwesen zu „reintegrieren“
gilt. Und da komme ich wieder auf mein Schema:
Interessant sind insbesondere die Sympathisanten.
Was ist zu tun? Das können nur zielgruppenspe-
Die Sympathisanten bekommen wir meistens von
zifische Maßnahmen sein. „Alles Nazis!“ halte ich
den Fernsehkameras vorgeführt. Hier haben wir
für eine absolute Katastrophe. Damit kommt man
es mit diffusen Ängsten, Vorurteilen und Uninfor-
keinen Schritt weiter. Erst mal ist es falsch, und
miertheit zu tun. In diesem Sympathisanten-Um-
zweitens ist damit noch nicht einmal die Diskussi-
feld sehe ich einen besonderen Bildungsauftrag.
on eröffnet. Oder „Faschismus ist keine Meinung,
Hier ist eine soziale Einbindung und Integration
sondern ein Verbrechen!“ Was soll das heißen? Das
zwingend und möglich. Deshalb sehe ich eine klare
bedeutet gar nichts, das ist eine leere Formel. Dar-
Abstufung, wie zielgruppenspezifisch reagiert wer-
auf kann man keine Strategie aufbauen. Ich würde
den sollte.
sagen, zielgruppenspezifisch vorgehen heißt: Wir
haben einmal die Bewegungseliten. Da würde ich
Wer hier die Akteure sind, muss man im Einzelnen
sagen, Prävention greift dort nicht mehr. Mit dieser
betrachten. Für all diese Stufen gibt es entspre-
Zielgruppe eine Diskussion zu führen, können Sie
chende Akteure. Repression ist weitgehend Ange-
sich sparen. Da muss leider mit Repression gear-
legenheit der Polizei.
beitet werden oder es können – unter Umständen
– Ausstiegsszenarios angeboten werden. Bei den
Als Abschluss würde ich gerne Robert Altemeyer
Basisaktivisten greifen im Wesentlichen Repres-
zitieren: „Autoritäre Anhänger werden sich sogar
sionen. Insbesondere bei Gewaltaffinität sollten
noch enger an ihren Glauben klammern, je falscher
Gesetze durchsetzt werden. Allerdings gibt es hier
er sich erwiesen hat. Versuche, hoch dogmatische
durchaus auch Möglichkeiten zur punktuellen An-
beweisimmune demagogische Menschen in einem
sprache. Bei Unsicherheiten, Brüchen in der Biogra-
solchen Rahmen zu ändern, ist wie gegen den Wind
fie usw. gibt es ab und zu ein Gelegenheitsfenster,
zu pinkeln.“
diese Menschen anzusprechen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue
Auf der dritten Ebene, dem Unterstützerring, ha-
mich auf die Diskussion.
ben wir es mit klassischer Deradikalisierung zu tun.
Hier ist Ansprache geboten. Dort ist es oft auch eine
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Impuls 2
Erfahrungen aus der Beratungspraxis
Bernd Stracke, Aktion Zivilcourage e.V.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus der Wis-
Wenn ich auf die letzten zehn Jahre zurückschaue
senschaft und der wissenschaftlichen Begleitung!
und mir die Erfahrungen vor Augen halte, in welchen
Themenbereichen beraten wurde und ich Beratung
Liebe Vertreterinnen und Vertreter aus der Bundes-
erfahren habe, konzentriert sich der Themenbereich
zentrale für politische Bildung, liebe Kolleginnen
vor allen Dingen auf Rechtsextremismus, sprich: Wie
aus der Regiestelle!
kann ich in meinem Verein, in meinem Verband, in
meinem sozialen Umfeld Rechtsextremismus erken-
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Beratung
nen und wie reagiere ich darauf? Wie bilde ich Multi-
und den Verbänden!
plikatoren aus, um diese Merkmale und die Entwicklungen zu erkennen oder darauf zu reagieren?
Beim Nachdenken über dieses Thema bin ich
schnell zum Schluss gekommen, dass auch in Sa-
Wir kennen mittlerweile fast alle Symbole und die
chen Rechtspopulismus der Ansatz von „Zusam-
Kleidung Rechtsextremer. Wir sollten wissen, was
menhalt durch Teilhabe“ der richtige ist.
verboten und was noch nicht verboten ist. Wir erkennen die kleinen Hinweise auf rechtsextreme Struk-
Durch die Vertretungen der übergeordneten Ver-
turen.
bände gibt es bei der Diskussion in den Vereinen
eine fachliche Nähe und dadurch eine hohe Akzep-
Der Rechtspopulismus – angefangen mit den Stamm-
tanz. Auch die Verbreitung in der Fläche, vor allem im
tischen bis zu den politischen Parteien – ist nicht an
ländlichen Raum, ist durch diesen Ansatz gegeben.
Marken und Symbolen festzumachen, und Handlungsstrategien sind nicht so einfach zu entwickeln.
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Impuls 2
Rechtspopulismus kennen wir aber nicht erst seit
Bei einer Auswertung der letzten Wahl in Sach-
dem Herbst 2014. Er hat sich schon immer mal
sen fällt auf, wie hoch der Anteil der Nichtwähler
breitgemacht, vor allen Dingen im Spektrum rechts-
ist. Dies ist ein deutliches Zeichen der Frustration
radikaler Parteien. Ich denke dabei an Franz Schön-
und Politikmüdigkeit. Ich glaube, dass aus dieser
huber und seine Republikaner und heute an Teile
Nicht-Wählerschaft viele Demonstranten in Dres-
der AfD, ich denke dabei aber auch an Thilo Sarra-
den, Leipzig und anderen Großstädten kommen.
zin, seine Bücher und Lesungen, also populistische
Strömungen, die in demokratischen Parteien vor-
Fast 50 Prozent Nichtwähler werden im medialen
kommen.
Nachgang der Wahlen kurz erwähnt und verschwinden schnell wieder in der Versenkung, bevor wir uns
Durch Pegida und Co., durch Bürgerinitiativen ge-
auf die Platzvergabe im Parlament konzentrieren.
gen Asylbewerberheime sind die Stammtische
allerdings jetzt auf die Straße und damit in die
Wir vergessen dabei, dass die Aufteilung nur für
Öffentlichkeit getragen worden und nun auch ein
Menschen repräsentativ ist, die zur Wahl gegangen
Streitthema in den Medien. Durch die Anonymität
sind. Der große Teil der Menschen, der die Wahl
der Masse ist die Hemmschwelle immer weiter ge-
verweigert hat, ist erst wieder Zielgruppe der Poli-
sunken, sich an rechtspopulistischen Veranstaltun-
tik, wenn es an die nächsten Wahlen geht.
gen zu beteiligen.
Dadurch entsteht für uns Beraterinnen und Berater
Über die Medien begegnen mir Krieg, Terror und
an der Basis eine neue Herausforderung. Wir müs-
Katastrophen in unmittelbarer Nähe. Die Bilder
sen uns die Fragen stellen: Wo sind bei uns die Lü-
kommen immer schneller, werden immer größer
cken? Wo sind die konzeptionellen Ideen? Wo sind
und immer schärfer. Die Nachrichten werden von
neue Ansätze? Wo sind neue Strategien, um mit die-
schrecklichen Ereignissen dominiert. Man ist live
sem breiten Thema umzugehen?
dabei, wenn Menschen ums Leben kommen, Schülerinnen entführt und Städte bombardiert werden.
An dieser Stelle haben wir kaum Symbole, keine
Durch die ständige Verbindung, vor allem über elek-
Verbote. Stattdessen Sprüche, Parolen, und Ver-
tronische Massenmedien, Nachrichtenportale, so-
schwörungstheorien, die es zu erkennen und zu
ziale Netzwerke, über die Möglichkeiten, die neues-
entlarven gilt.
ten Nachrichten auf Smartphone und Tablett sofort
parat zu haben, haben wir kaum noch eine Chance
Bei den Akteuren der aktuellen, rechtspopulisti-
abzuschalten, die Gedanken zu sortieren und eige-
schen Entwicklungen handelt es sich nicht um ge-
ne Schlüsse zu ziehen. Es ist kaum noch nachzuvoll-
sellschaftlich ausgestoßene Menschen, es handelt
ziehen, welche Dinge real und welche irreal sind, bei
sich nicht um Protest aus Mangel, geschweige denn
der Geschwindigkeit sind es „Andere“, die für uns
aus Armut. Wir haben es hier mit Menschen zu tun,
Schlüsse ziehen. Verschwörungstheorien jeglicher
die aus der Mitte der Gesellschaft kommen und gut
Couleur – aus dem rechten, genauso wie aus dem
situiert sind.
linken Spektrum, mit antisemitischen oder anti8
Impuls 2
islamischen Hintergrund – geben den Nährboden
bedingt eine noch größere Akzeptanz der Berater in
für Rechtspopulismus. Dies gilt auch für die aktu-
der Breite. Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt
ellen Entwicklungen in Deutschland, speziell hier
zu leisten ist. In diesen Fällen sind alle in der Ver-
in Sachsen, wo die sogenannte „Pegida“ ihren Ur-
antwortung, und es dürfen zu den bisherigen Bera-
sprung gefunden hat. Ständig habe ich das Gefühl,
tungsansätzen im ländlichen Raum nicht zu große
sofort auf Ereignisse reagieren zu müssen, eine kla-
Lücken entstehen. Mit diesen Lücken meine ich die
re Meinung haben zu müssen und diese Meinung
anderen Vereine und Strukturen auf dem Dorf, die
nach außen zu geben. Es ist aber äußerst schwierig,
für das Gemeinwesen einen prägenden Charakter
eine mutige These, eine mutige Idee zu vertreten
haben. Dies sind zum Beispiel Schützenvereine,
oder einem mutigen Schritt zu vollziehen, ohne fast
Heimat- und Traditionsvereine, das sind Bürgerini-
zeitgleich selber ins Fadenkreuz der Medien zu ge-
tiativen, Karnevals-, Jugend- und Kulturvereine und
raten. Am schnellsten geht das über das Internet
vor allen Dingen auch die kleinen Verwaltungen in
und die sozialen Netzwerken.
den Ortschaften. Ich bin der festen Überzeugung,
dass wir die Menschen an dieser Stelle nur errei-
Ich komme nun zu den Herausforderungen als
chen, wenn wir deren Sprache sprechen. Dies setzt
politischer Berater in den Kommunen. Ich selber
voraus, dass es eine gewisse Identifikation mit dem
wohne auf dem Land. Auch wenn ich nicht „vom
Ort oder der Region gibt. Das wiederum erfordert
Land“ stamme, so bin ich doch im ländlichen Raum
eine Bereitschaft, sich mit diesen Menschen an der
in Sport und Politik engagiert. Immer wieder stelle
Basis auseinandersetzen zu wollen.
ich dabei fest, wie sehr sich meine Sprache von der
Sprache der Menschen vor Ort unterscheidet, die
Ich möchte Ihnen ein ganz praktisches Beispiel aus
seit Jahren in ihren Vereinen aktiv sind.
meinem Dorf schildern: den Sportverein SV Horken
Kittlitz, bei dem ich in verschiedenen Abteilungen
In Sachen Rechtsextremismus, Symbolik und Er-
aktiv mitarbeite. Wenn ich dort in einer Mitglie-
kennung rechtsextremer Infiltration in Vereinen
derversammlung oder einer Versammlung der Ab-
haben wir mittlerweile eine hohe Akzeptanz. Aber
teilungsleiter in eine Diskussion verwickelt werde,
ich glaube, dass die Beraterinnen und Berater in Zu-
fällt es mir schwer, unter meinen Sportkameraden
kunft eine wesentlich schwierigere Aufgabe vor sich
Gehör zu finden. Ihr gesellschaftlicher Konsens ist
haben, wenn es darum geht, menschenverachten-
sehr stark. Hier muss ich dazugehören, um Akzep-
de Einstellungen in den Vereinen an der Basis an-
tanz zu genießen. Es wird schwierig, wenn ich einen
zusprechen. Das heißt für uns als Berater, dass wir
anderen Dialekt spreche oder mit akademischer
möglicherweise einen völlig neuen Fokus setzen
Sprache Barrieren aufbaue, und fast unmöglich,
müssen. Einen Fokus, bei dem wir den Rechtsextre-
wenn ich völlig von außen komme, mich als Berater
mismus weiterhin im Blick haben, aber versuchen
fühle und mit einer Mission beseelt bin, die Dinge
die Stammtische nicht links liegen zu lassen, an de-
zu richten.
nen die Mitglieder unserer Vereine diskutieren. Dies
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Impuls 2
Aber wie kommen wir nun an die Stammtische?
Es ist ganz wichtig, vor Ort Partizipationsprozesse
zu fördern und die Beteiligung der Menschen zu
Wir werden nur Erfolg haben, wenn wir es schaffen,
gewährleisten. Dies dürfen keine Alibiveranstaltun-
die gesamte Breite des Gemeinwesens in den Fokus
gen sein, dort müssen die Erfolge sichtbar gemacht
zu nehmen, die Menschen vor Ort als Partner wahr-
werden, eine positive Stimmung in die Ortschaften
zunehmen und gemeinsam mit ihnen Lösungen zu
getragen und eine Identifikation mit der Region er-
finden. Der systemische Ansatz in der Beratung ist
zeugt werden. Meiner Ansicht nach sind dazu Zu-
nicht neu, aber er hat sich noch lange nicht auf allen
kunftswerkstätten, World Cafés und andere Partizi-
Ebenen als erfolgversprechender Ansatz durchge-
pationsmethoden geeignet, in denen die Bewohner
setzt. Ich plädiere dafür, Beratung nicht mehr als
der Ortschaften gemeinsam an relevanten Thema-
das stärkste Wort in den Mittelpunkt zu stellen,
tiken arbeiten.
sondern Worte wie Begleitung und Moderation von
Prozessen in den Mittelpunkt zu stellen. Ich bin mir
Ich möchte kurz ein Fazit ziehen: Wir sollten an-
sicher, dass wir als Berater nicht als inhaltliche Ex-
kommen in den Orten mit unserer fachlichen Nähe
perten auftreten sollten, auch wenn wir es mögli-
und nicht missionieren. Wir sollten uns mit Empa-
cherweise sind, sondern als methodische Experten.
thie und Eloquenz auf die Bedingungen und Bege-
Als jemand, der in der Lage ist, die Prozesse vor Ort
benheiten vor Ort einlassen. Wir sollten mit den
mit den handelnden Protagonisten vor Ort zu or-
regionalen Partnern und Spezialisten gemeinsam
ganisieren. Das heißt, es ist wichtig, nicht als politi-
analysieren, entwickeln und gestalten, Erfolge he-
scher Akteur mit eigener Mission zu handeln.
rausstellen, Medien gewinnen und nicht defizitorientiert arbeiten. Wir sollten als Berater, Begleiter,
Die thematische und inhaltliche Nähe zu den Ver-
Mediator und Moderator unsere Meinungen und
einen und Verbänden ist dabei unverzichtbar. Aber
politischen Ideen professionell von unserer Bera-
genauso wichtig sind die regionale Verankerung
ter- und Begleiter-Aufgabe trennen.
und die Akzeptanz als Mensch aus der Region. Es
ist unverzichtbar, dass wir bei der Bearbeitung von
Problemen in Vereinen gemeinsam arbeiten, staatliche und nichtstaatliche Experten einbeziehen und
nach Bedarf einsetzen. Dies gilt für Intervention
ebenso wie für die Prävention.
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World-Café Thementische
World-Café Thementische
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World-Café Thementische
Reden oder nicht reden? Wie kann sensibilisiert und argumentiert werden?
Reden oder nicht reden? Wie kann sensibilisiert und
argumentiert werden?
Kristin Heinig
Seit dem Aufkommen rechtspopulistischer Bewe-
gab es zu den Fragen nach der konkreten Ausge-
gungen und Parteien in Deutschland wird hierzulan-
staltung dieses Dialoges. So diskutierten die Teil-
de gestritten: Reden oder nicht reden? Bei Rechts-
nehmenden, mit wem überhaupt in den Dialog ge-
extremisten wie der NPD war der Umgang vielerorts
treten werden soll. Entsprechend des von Thomas
klar. So verfolgte man etwa im Sächsischen Landtag
Grumke vorgestellten Schemas im Eröffnungsvor-
eine Politik des Nicht-Redens: Die demokratischen
trag sollten aus Sicht der Teilnehmenden eher die
Parteien reagierten ablehnend auf alle Anträge der
Sympathisant/-innen (welche sich durchaus auch
NPD-Fraktion, mit den Abgeordneten sprach man
in den eigenen Reihen finden lassen) in den Blick
nicht, außer in den öffentlichen Gegenreden vom
genommen werden, statt Funktionären rechtspo-
Rednerpult. So sah es auch der „Schweriner Weg“
pulistischer Organisationen eine Bühne zu bieten.
in Mecklenburg-Vorpommern vor.
Doch wo kann ein solcher Dialog stattfinden? AnDieser Konsens ist bezüglich rechtspopulistischer
knüpfungspunkte finden sich v.a. in den eigenen
Akteure brüchig geworden. Am Thementisch dis-
Strukturen und Projekten – an anderen Stellen sind,
kutieren die Teilnehmenden das Ob und Wie eines
so einige der Teilnehmenden – andere Akteure ge-
Dialogs mit Rechtspopulist/-innen. Die Kernfrage
fragt. Neben dem Initiieren spezieller thematischer
nach dem Ja oder Nein eines Dialogs beantworteten
Veranstaltungen sahen es die Diskutant/-innen als
die meisten am Tisch mit einem klaren Ja. Die Devi-
wichtig an, innerhalb der Regelangebote und im all-
se müsse sein, so eine Teilnehmerin, mehr mitein-
täglichen Miteinander das Gespräch zu suchen und
ander, statt übereinander zu reden. Und einander
Möglichkeiten des offenen Austauschs zu schaffen,
zunächst einmal zuzuhören. Einen regen Austausch
etwa mit ehrenamtlichen Mitarbeiter/-innen.
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World-Café Thementische
Reden oder nicht reden? Wie kann sensibilisiert und argumentiert werden?
Warum und mit welchem Ziel wird der Dialog ge-
empathisch und auf Augenhöhe stattfinden, the-
führt? Die Teilnehmenden ging es hier v.a. um Bil-
matisch einen konkreten Lebensweltbezug auf-
dung und Vermittlung von Informationen, um ver-
weisen und in dialogorientierten und interaktiven
kürzten und unterkomplexen rechtspopulistischen
Formaten umgesetzt werden. Je nach Rahmen kann
Darstellungen zu begegnen. Ebenfalls wichtig: das
sich ein/e Moderator/-in als sinnvoll erweisen – für
Vermitteln der eigenen, demokratischen und men-
die alltägliche Auseinandersetzung mit Rechtspo-
schenfreundlichen Werthaltung, das Anregen zum
pulismus braucht es zudem Argumentationskom-
Nachdenken über vereinfachte Darstellungen und
petenzen, Hintergrundwissen und die Beschäfti-
Deutungen von Problemen sowie die Sensibilisie-
gung mit der eigenen Werthaltung. Hier können die
rung, Perspektiverweiterung und Empathie-Förde-
Projekte Unterstützung und Kompetenzförderung
rung (z. B. in Bezug auf Flüchtlinge, Muslime etc.).
beispielsweise für Kolleg/-innen, Berater/-innen
und Ehrenamtliche bieten.
Wie ein solcher Dialog konkret aussehen kann, dafür formulierten die Teilnehmenden des Thementisches verschiedene Kriterien: Der Dialog müsse
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World-Café Thementische
Beratung vs. politische/-r Akteur/-in
Beratung vs. politische/-r Akteur/-in: Welche Rolle können die Berater/-innen übernehmen?
Ramona Meisel Die Diskussionsteilnehmer/-innen setzten sich im
Auch stellten einzelne Teilnehmer/-innen fest, dass
Wesentlichen mit der Fragestellung auseinander,
der beratende politische Akteur Informationsvor-
ob eine gelungene Beratung durch politische Ak-
sprünge hat und durch die Praxisnähe die Bedarfe
teure grundsätzlich möglich ist.
des zu Beratenden besser erfassen kann.
Viele der Teilnehmer/-innen konstatierten ihren Anspruch auf Augenhöhe und ihr Ziel, mit genügend
professionaler Distanz die jeweiligen Beratungsgespräche zu führen. Die überwiegende Mehrzahl
von ihnen sieht sich selbst als Begleiter/-in bzw. als
Moderator/-in der zu unterstützenden Entscheidungsprozesse. Dennoch bekräftigten viele der Diskussionsteilnehmer/-innen gemäß den Programmzielen von „Zusammenhalt durch Teilhabe“, in den
Beratungsgesprächen eine bewusste Wertehaltung
einzunehmen. Vor allem wurden für das Beratungshandeln demokratiestärkende Aspekte als handlungsleitend genannt.
Die Diskussionsteilnehmer/-innen brachten ihre
Dem in den Tischgesprächen geäußerten Einwand,
praktischen Erfahrungen ein und stellten punktuell
dass bei der Beratung durch politische Akteure der
eigene Fälle vor, in denen es zu einer Überschnei-
Beratungsprozess durch Gestaltungsziele des poli-
dung der Rollen des Beraters und des politischen
tischen Akteurs überlagert werden könnte, könne
Akteurs bereits gekommen ist. Grundsätzlich stell-
entgegengewirkt werden, indem im Vorhinein der
ten dabei alle Tischteilnehmer/-innen fest, dass sie
Beratungsauftrag eindeutig und klar festgelegt
selbst in einem Spannungsfeld arbeiten würden
werden müsse. Hierdurch würde Handlungssicher-
und es immer wieder kritischer Selbstreflexion be-
heit und Transparenz sowohl für den zu Beraten-
dürfe, damit professionelle Beratung auch bei die-
den als auch für den Berater hergestellt.
ser Rollenvermengung möglich bleibe.
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World-Café Thementische
Bündnisse schaffen und stärken
Bündnisse schaffen und stärken – Wie können Themen,
wie z. B. die Kritik und die Proteste gegen die Aufnahme von Flüchtlingen, durch Bündnisse und Unterstützer/-innen-Netzwerke durch die Vernetzung verschiedener Akteure vor Ort bearbeitet werden?
Judith Brombacher Vereinzelt besteht der Wunsch, Bündnisse zu grün-
Die wesentlichen Gründe für die vorschnelle Auflö-
den. Dafür gibt es Beratungsbedarf. Bündnisse
sung von Bündnissen sind: Es finden sich sehr he-
werden als notwendig gesehen, um – insbesondere
terogene Interessengruppen zusammen. Diese sind
bei rechtspopulistischen und -extremistischen Ak-
dann nur schwer zu koordinieren. Andere Gründe
tivitäten z. B. gegen Unterkünfte für Asylsuchende
sind z. B. parteibezogene Befindlichkeiten, persön-
– gegenhalten zu können. Einzelnen Vereinen oder
liche Eitelkeiten, Konkurrenzdenken und blinder
Einzelpersonen wird in diesen Fällen keine Chance
Aktivismus ohne fundierte Ursachenanalyse. Dazu
auf wirksamen Widerstand eingeräumt.
kommt, dass operative Aufgaben manche Bündnisse überfordern können, z. B. konkrete Übernahme
Es gibt Gründungen von Bündnissen ohne Anstoß
von Verantwortungen wie Moderations- und Orga-
von außen. Bündnisse werden häufig anlassbezo-
nisationsaufgaben.
gen initiiert. Die Herausforderungen bestehen in
der operativen Phase von Bündnissen, diese von
Lösungsansätze, um die genannten Hindernisse zu
der anlassbezogenen Gründung zu einem funkti-
überwinden sind: Eventuell sollte eine Organisati-
onsfähigen dauerhaften Bündnis bzw. in eine dau-
onsberatung – als neutrale Instanz, die von allen
erhafte Institution zu überführen, um damit dem
Beteiligten weitgehend akzeptiert wird – hinzuge-
Zusammenschluss auch präventiven Charakter zu
zogen werden. Damit können die Prozesse, die eine
geben.
Bündnisentwicklung mit sich bringt, neutral mode15
World-Café Thementische
Bündnisse schaffen und stärken
riert werden. So können leichter ein Konsens erzielt
aus der gemeinsamen Diskussion ausgeklammert
und Aufgaben und Funktionen entsprechend der
werden. Wenn eine externe Moderation abgelehnt
Ziele und Rollen verteilt werden. Unter den genann-
wird, kann auch eine Moderationsrotation der Be-
ten Voraussetzungen kann besser ein Kernbündnis
teiligten verabredet werden.
gebildet werden. Neben bloßem Aktivismus, wie
Gegendemonstrationen, sollten mehr Fakten und
Bündnisse können bei Bürgerversammlungen, z. B.
Wissen für sachbezogene und lösungsorientierte
der Diskussion um eine neue Asylsuchenden-Un-
Aktivitäten, wie z. B. Strukturänderungen und me-
terkunft, deeskalierend wirken.
thodisch fundierte Arbeitsweisen, in die Bündnisse
getragen werden.
In der Gruppe wurde die Frage diskutiert, inwieweit
ein Bündnis oder eine Kooperation mit klarer Auf-
Eine Supervision kann heterogene Bündnisse
gabenverteilung und wenigen Partnern nicht ziel-
strukturieren. Dafür müssen aber alle Beteiligte
führender und effizienter ist.
den Beratungsbedarf anerkennen. Befindlichkeiten
Einzelner können der Arbeit des Bündnisses schaden. Diese Konflikte sollten bilateral geklärt und
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World-Café Thementische
Social Media – Facebook und Co.
Social Media – Facebook und Co.: Was sollten Projekte,
Berater/-innen und Projektleiter/-innen beachten?
Franziska Kuhne
In Deutschland gibt es über 28 Millionen Face-
werden sollten. Bei langen Diskussionen (Threads)
book-Profile, jeder Dritte nutzt das Netzwerk. Viele
wurde empfohlen, dass das Projekt abschließend
nutzen Facebook zur Bekanntmachung ihres Pro-
Stellung bezieht.
jekts, insbesondere um Kontakte mit Berater/innen
und Ehrenamtlichen zu halten und Projektergebnis-
Was man tun kann, wenn sich Menschen aus dem
se zeitnah zu veröffentlichen. Eine Facebook-Seite
Umfeld des Verbandes populistisch äußern oder
erfordert viel Pflege und sollte immer aktuell gehal-
populistische Posts teilen? Einige Teilnehmer/-in-
ten werden.
nen äußerten sich dazu, dass bereits solche Fälle
aufgetreten seien. Bisher wurde daraufhin ein per-
Im World-Café wurde zunächst die Frage diskutiert,
sönliches Gespräch geführt und erklärt, was die
wie im Projekt mit diskriminierenden Kommentaren
Hintergründe für die geteilten Kommentare sind.
umgegangen wird. Dabei wurde deutlich, dass auf
Es wurde deutlich gemacht, dass man im Verband
einem großen Teil der Facebook-Seiten gar keine
damit nicht einverstanden ist. Wichtig sei auch, sich
Kommentare zugelassen werden oder Kommenta-
intern in der Organisation auszutauschen und zu
re erst von einem Moderator freigeschaltet werden
klären, was problematische Äußerungen seien und
müssen. Einig war man sich am Tisch, dass men-
wie man dagegen vorgehen wolle.
schenverachtende Kommentare sofort gelöscht
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World-Café Thementische
Social Media – Facebook und Co.
Besonders intensiv diskutierten die Teilnehmer/-in-
verachtende Kommentare und Posts melden und
nen mögliche Ursachen für den riesigen Erfolg von
hätten daraufhin auch Antworten bekommen. Es
Pegida bei Facebook. Im Januar 2015 hatte die Sei-
würden sogar Identitäten bekannt gegeben, damit
te fast 160.000 Likes. Bei Facebook ist es möglich,
man Anzeige erstatten könnte. Andere waren der
komplexe Sachverhalte einfach und kurz zu darzu-
Meinung, dass Facebook schwer zu kontrollieren
stellen. Insbesondere zugespitzte und emotionale
sei und es sehr viel Mühe machen würde, Autoren
Inhalte verbreiten sich sehr schnell. Die Mobilisie-
von Posts zu recherchieren.
rung und Aktivierung der Anhänger von Pegida gelingen über Facebook sehr gut. Außerdem sind bei
Zur Frage, ob in den Projekten die sozialen Netz-
Facebook sind nicht nur die lokalen Unterstützer,
werke genutzt würden, um sich zu aktuellen poli-
sondern Sympathisanten aus ganz Deutschland.
tischen Themen zu positionieren, wurde deutlich,
Zum Teil sind auch Journalisten oder Gegner der
dass dies bisher noch nicht der Fall war. Der Groß-
Bewegung dabei, die über die Aktionen informiert
teil der Teilnehmer/-innen war sich aber einig, dass
sein wollen.
man zu wichtigen Aktionen im eigenen Umfeld Stellung beziehen sollte.
Die Gruppe tauschte sich weiterhin aus, ob Facebook als rechtsfreier Raum wahrgenommen wird.
Dazu gab es unterschiedliche Ansichten. Einige
Teilnehmer/-innen meinten, sie würden menschen-
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World-Café Thementische
Pressearbeit und Publikationen
Pressearbeit und Publikationen: Wie können die Projekte
im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit reagieren?
Tom Waurig
Die Teilnehmenden sprachen über die Möglichkeiten, in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des
Verbandes/des Vereins auf die Proteste der Pegida-Bewegung zu reagieren. Ein solches Vorgehen
wurde vor allem von größeren Trägern bejaht, die
in ihrem Wirken eine öffentliche Verantwortung sehen. In einer öffentlichen Stellungnahme sehen viele die Chance, ein Signal an die eigenen Mitglieder
und Sympathisanten zu senden und eine Grundhaltung zu kommunizieren. Verbände haben durch
ihre breite Mitgliederstruktur die Möglichkeit, Diskurse zu beeinflussen. Der Mehrwert solcher Veröffentlichungen liegt insbesondere in der Aufklärung
der Mitarbeiter/-innen. Schwierig sei in diesem Zusammenhang, überhaupt eine Haltung auszuhandeln und abzustimmen, die nach außen kommuniziert werden kann.
ein mangelndes Interesse der Presse konstatiert.
Aus der Erfahrung vieler Träger wurde empfohlen,
Die Diskutanten hielten es für deutlich sinnvoller,
Medien- und Pressevertreter in die Geschäftsstelle
positive Aspekte an die Presse zu kommunizie-
einzuladen und Projekte vorzustellen. Der Versand
ren und Projektvorhaben vorzustellen, als sich an
einer Pressemitteilung führe meist nicht zum ge-
den Pegida-Protesten abzukämpfen. Dabei wurde
wünschten Erfolg.
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World-Café Thementische
Gegenproteste und öffentliche Aktionen
Gegenproteste und öffentliche Aktionen
Johannes Enke
Im Vordergrund der Diskussion standen die Fragen:
Darüber hinaus wurde der Spagat zwischen Bil-
Muss auf jede Aktion von Rechtsextremisten(-po-
dungsauftrag und symbolischen Aktionen disku-
pulisten) reagiert werden? Wie viel Provokation
tiert. Es wurde deutlich, dass der Fokus der Arbeit
müssen wir ertragen und aushalten? Wer hilft bei
auf der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Er-
der Bewertung der Situationen? Wer trifft die Ent-
scheinungen des Rechtsextremismus und -popu-
scheidungen, ob und wie reagiert werden sollte?
lismus in den Vereins- oder Verbandsstrukturen
liegen sollte. Die Teilnehmenden waren sich einig,
In diesem Kontext ergaben sich zwangsläufig wei-
dass durch Bildungsarbeit eine nachhaltigere Wir-
tere Themen, z. B. nach der Angemessenheit der
kung erzielt werden kann. Im Besonderen dann,
Mittel oder der Protestform. Besonders intensiv
wenn die Möglichkeit genutzt wird, rechtspopulis-
wurde von den Teilnehmenden die Frage nach der
tische Parolen mit dem eigenen Leitbild – den ver-
Wirkung und der Wahrnehmung von Gegenprotes-
bandsinternen Werten und Normen – zu hinterfra-
ten und öffentlichen Aktionen auf Stakeholder, wie
gen.
Presse, Anwohner, Rechtsextremisten etc., diskutiert. Dabei wurde der schmale Grat verdeutlicht
zwischen dem „Ertragen ohne Wegzuschauen“ und
dem „angemessenem Reagieren ohne (die Provokateure) aufzuwerten“.
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World-Café Thementische
Gegenproteste und öffentliche Aktionen
Dennoch wurden Presseerklärungen, öffentlichkeitswirksame Aktionstage und Kampagnen bis hin
zu (Gegen-)Kundgebungen als wichtig erachtet. Die
Teilnehmenden äußerten insbesondere bei Letzterem Bedenken, damit nicht nur reflexhaft, sondern
als souveräner Akteur zu handeln.
Die Aktionen sollten in einem deutlich erkennbaren
Zusammenhang zur Provokation (z. B. Anti-Asyl-Demo) stehen, aber nicht zwangsläufig auch zeitlich
zusammenfallen. Dabei können auch kreative und
humoristische Aktionen – die die ideologischen Ziele der Rechtsextremisten/Rechtspopulisten deutlich machen und kontrapunktieren – eine sinnvolle
Handlungsoption sein.
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Impressum
Impressum
Das Vernetzungstreffen Rechtspopulismus wurde veranstaltet von der
Aktion Zivilcourage e. V. (↗ www.aktion-zivilcourage.de) und gefördert
durch das Bundesministerium des Innern (↗ www.bmi.bund.de) im
Rahmen des Bundesprogramms „Zusammenhalt durch Teilhabe“
(↗ www.zusammenhalt-durch-teilhabe.de).
Konzept, Organisation und Text
Parts – Gesellschaft für soziale Praxis und Projekte mbH
(↗ www.parts-berlin.de)
Corinna Korb und Thomas Köster
Gestaltung, Grafik und Layout
DAUTERSTEDT
(↗ www.dauterstedt.de)
Fotos
Benjamin Jenak
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