16. März 2015 | Dresden 1 Impuls 1 Rechtspopulismus – Situationsbeschreibung und Handlungsempfehlungen Prof. Dr. Thomas Grumke, Politikwissenschaftler und Rechtsextremismusforscher Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für die Als Sozialwissenschaftler habe ich am Anfang eine Einladung. Ich bin gebeten worden, in einer halben kleine Kurzdefinition Rechtspopulismus – damit wir Stunde über das Phänomen Rechtspopulismus zu auf dem gleichen Stand sind: Was ist überhaupt sprechen. In dieser Zeit kann ich natürlich nur eine Rechtspopulismus? Zum einen ist Rechtspopulis- Skizze dessen liefern. Ich werde zusehen, dass ich mus ein Phänomen gesellschaftlicher Modernisie- so präzise wie möglich dieses Phänomen einordne rungskrisen. Das können ökonomische, kulturelle – auch im Kontrast zum Phänomen Rechtsextremis- oder politische Krisen sein, die unterschiedlich mus. Mit dem, wenn ich das richtig verstehe, Sie alle empfunden werden. Wir haben zweitens eine un- beruflich zu tun haben. Deshalb ist es mir wichtig, terschiedliche Anordnung von Krisen. Man spricht beide Phänomene in Kontrast zu setzen: Wo gibt es von Verteilungskrise, Identitätskrise oder auch Re- Gemeinsamkeiten? Wo gibt es Unterschiede? Wo präsentationskrise. gibt es möglicherweise auch Unterschiede im Umgang? Dabei folge ich einer Gliederung in zehn Punk- Dann würde ich sagen, und da befinde ich mich in ten. Zehn Hypothesen, die ich ausführen werde. Übereinstimmung mit der veröffentlichten Literatur, dass Rechtspopulismus in erster Linie ein poli- Ich bin an der Fachhochschule für Öffentliche Ver- tischer Stil ist. Es ist anders als Rechtsextremismus waltung am Studienort Gelsenkirchen – Fachbe- keine orthodoxe Ideologie, die ich mir aneignen reich Polizei – tätig. Das heißt, meine Studierenden muss, sondern ich kann in den Rechtspopulismus sind alles zukünftige Polizistinnen und Polizisten. sofort einsteigen. Ich muss keine ideologischen Das prägt natürlich auch meine Sichtweise. Vorkenntnisse haben. Es ist ein Stil mit Bewegungscharakter und charismatischen Führungsfiguren, 2 Impuls 1 die sich als Volkstribune positionieren Das sehen Ich beginne mit meinen eingangs erwähnten zehn wir ja allenthalben, wenn wir uns in unseren Nach- Punkten zum Umgang mit dem Phänomen Rechts- barländern umschauen. Dieser politische Stil nutzt populismus. Verschwörungstheorien und fordert Tabubrüche. Dabei werden oft Dinge als Tabus bezeichnet, die es möglicherweise überhaupt nicht sind. Aber man rechnet sich das selbst positiv zu. Man sucht Sündenböcke und findet sie. Vorteile werden geschürt und Ängste werden instrumentalisiert. Wir haben es beim Rechtspopulismus mit einer sogenannten „dünnen Ideologie“ zu tun – mit fließenden Grenzen zum Rechtsextremismus und austauschbaren Feindbildern –, die sich kulturell gegen das Fremde wendet, die das Nationale betont und einen imaginären Volkswillen gegen die Verfassungsordnung ausspielt. Das kommt aus der englischen Literatur, man nennt das eine „Thin-Centered Ideology“, also eine „dünne Ideologie‘“. Nicht zuletzt haben wir es hier mit einer Anti-Establishment-Haltung zu tun, die häufig aus dem Establishment selbst kommt. Das heißt, man hat die Rhetorik: Ich vertrete das einfache Volk gegen die gesellschaftlichen Eliten, und ich habe den Mut, mich dagegenzustellen. Die da oben und wir hier unten. Erstens: Rechtsextremismus und Rechtspopulismus stellen die Demokratie vor große Herausforde- Insofern haben wir es hier mit Irrationalitäten zu rungen. Die Eindämmung dieser beiden Krisensym- tun. Diese Anti-Establishment-Haltung ist eigentlich ptome kann sich jedoch nicht auf die Bekämpfung immer im Rechtspopulismus eingebaut. Rechts- ihrer Organisationen beschränken, das würde viel populismus hat genauso wie Rechtsextremismus zu kurz greifen, weil beide Bewegungscharakter in Deutschland Bewegungscharakter. An diesem haben. Wir müssen uns vor allem auf die Stärkung Punkt möchte ich kurz auf die klassische Bewe- einer nachhaltigen demokratischen Kultur konzen- gungsforschung – nach Dieter Rucht – eingehen. trieren. Es gibt sowohl im Populismus als auch im Extremismus eine Angebotsseite und eine Nach- Jede Bewegung ist so organisiert, dass wir einen frageseite: Was wird aus der Szene angeboten und Bewegungskern mit sogenannten Bewegungseli- welche Nachfrage herrscht in der Bevölkerung? Das ten und Bewegungsunternehmern haben. Das ist heißt, wenn man keine starke demokratische Kultur entweder deren Beruf oder aber deren Berufung. hat, ist die Nachfrage groß. Genauso gilt, wenn man Da sind die Anmelder. Das sind diejenigen, die die sich nicht um die Eindämmung rechter Symptome Reden halten. Dann haben wir in der Regel den Ring kümmert, generieren diese – früher oder später – der sogenannten Basis-Aktivisten. Die kommen im- attraktive Angebote. Hier in Dresden haben wir ein mer mit, wenn es was zu tun gibt. Die kleben Plaka- starkes Angebot und eine starke Nachfrage. Oft ist te und sorgen für die Infrastruktur. Dann haben wir die Nachfrage das Problem. Wir reden meistens einen dritten Ring: die sogenannten Unterstützer. über das Angebot und müssten eigentlich die Nach- Die sind sporadisch dabei, haben aber auf jeden frage bearbeiten. Fall eine klare Sympathie zur Sache und unterstützen diese punktuell. Und dann gibt es den äußeren Zweitens: Rechtsextremisten und Rechtspopu- Ring der Sympathisanten. Das sollte Ihre Zielgruppe listen profitieren gleichermaßen von der abneh- sein. menden Bindekraft zentraler demokratischer Institutionen und mangelnden Antworten der reIn der Auseinandersetzung mit sozialen Bewegun- präsentativen Demokratie auf den massiven öko- gen sind Differenzierungen notwendig. Wir sollten nomischen und sozialen Wandel gesellschaftlicher die Bewegungsunternehmer nicht genauso be- Modernisierungsprozesse. Man spricht in den handeln wie die Sympathisanten und umgekehrt. Sozialwissenschaften bzgl. Ostdeutschlands von 3 Impuls 1 einer sogenannten doppelten Modernisierung: die Absagen an die Menschenrechte im Mittelpunkt. Einführung der sozialen Marktwirtschaft und die Vor diesem Hintergrund verbreiten und intensi- gleichzeitige Globalisierung. Das heißt, die Belas- vieren sich demokratiefeindliche Diskurse in der tung in Ostdeutschland war doppelt. Die Bindekraft Gesellschaft. Wenn Demokratiezweifel oder Demo- der Institutionen konnte dabei nicht Schritt halten. kratieentleerung ethnisiert werden, verbreiten und Das ist ein ernstes Problem. Im Jahr 25 der Deut- intensivieren sich demokratiefeindliche Diskurse in schen Einheit haben wir deshalb im Bewusstsein der Gesellschaft. eines Teils der Bevölkerung erhebliche Verschleißerscheinungen der repräsentativen Demokratie Das geht einher mit Demokratieermäßigung. Wer festzustellen. Man spricht auch von einer „entleer- schon immer hier lebt, sollte mehr Rechte haben ten Demokratie“. Das umfasst die gesamten Insti- als die, die später zugezogen sind. Wenn Arbeits- tutionen der Demokratie. Natürlich hat jeder Ort plätze knapp werden, sollte man die in Deutschland einen Bürgermeister, ein Stadtparlament. Aber es lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurück- kann im Extremfall entleert sein, nicht mit Leben, schicken. Alle, die nicht so sind wie wir, bekommen mit demokratischer Gesinnung gefüllt. klare pauschale Zuschreibungen. Das ist die Folie, auf der sich alles abspielt. Ich möchte auf eine neue Studie verweisen, die die Friedrich-Ebert-Stiftung vor ein paar Wochen Viertens: Rechtsextremismus und Rechtspopulis- veröffentlicht hat. Diese Studie heißt: Fragile Mitte mus sind jeweils spezifische Herausforderungen – feindselige Zustände. Wenn wir diese Demons- der deutschen Demokratie. Es besteht ein hetero- trationen sehen, ist das kein neues Phänomen. genes Netzwerk rechtsextremistischer Gruppierungen, die in einigen Orten als kulturelle, politische oder sogar geistige Institutionen etabliert sind und vereinzelt sogar die lokale Öffentlichkeit dominieren. Allgemein kann Rechtsextremismus heute als internationales, modernes und vielschichtiges Phänomen beschrieben werden, als soziale Bewegung und als Erlebniswelt. Gleichzeitig existiert ein erheblicher Resonanzboden in der Bevölkerung für rechtspopulistische Deutungsmuster. Rechtspopulismus ist ein Politikstil mit Bewegungscharakter und – wenn auch oftmals schwach ausgeprägten – rechtsextremistischer Kernideologie. Es gilt herauszuarbeiten, was ideologisch und was diffuse Angst ist. Man spricht – nach Pierre-André Taguieff – von Identitätspopulismus und Protestpopulismus. Identitätspopulismus ist das, was wir in NRW mit Pro NRW oder Pro Köln oder hier in Dresden in Teilen bei Pegida haben. Das ist die Ethnisierung Der einzige Unterschied ist nur, dass die Einstel- von Protest. Und dann haben wir den Protestpo- lungsmuster, die wir in der Gesellschaft schon pulismus, der klassisch von der AfD vertreten wird, lange messen, organisiert werden. Diese Einstel- sozusagen der Professoren-Populismus. Protest- lungsmuster hatten bisher noch keinen Bewe- populismus heißt, man protestiert nicht aus ei- gungscharakter. Wir haben offensichtlich eine ner sozialen Notlage heraus, sondern weil es eine hohe Nachfrageseite. Das ist der gesellschaftliche grundsätzliche Frage ist. Wir sehen an den Rändern Zustand, mit dem wir es zu tun haben. Und jetzt von Pegida, wie auch an den Rändern der AfD, den haben wir auch ein Angebot, das plötzlich die Nach- Wettkampf der beiden Populismen. frageseite befriedigt. Das ist das Novum. Fünftens: Wie eine genaue Analyse der gesellDrittens: Die Ethnisierung gesellschaftlicher schaftlichen Kontextbedingungen zeigt, sind Verhältnisse, also die Verknüpfung von wahrge- Rechtsextremisten gegenwärtig eben keine ernste nommenen gesellschaftlichen Missständen mit Gefahr für die Institution der Parlamentarischen bestimmten ethnischen Gruppen, denen immer Demokratie. Dessen ungeachtet ist allerdings die negative Eigenschaften zugeschrieben werden, und rechtsextremistische Bewegung sehr wohl in der 4 Impuls 1 Lage, einen Teil der öffentlichen Meinung in ihrem Achtens: Die politisch etablierte Klasse steht Sinne zu beeinflussen. Aber mit so orthodoxem scheinbar vor der Wahl, einerseits auf inhaltliche Rassismus erreicht man eben nur einen kleinen Teil Unterschiede in den Programmen zu verweisen der Bevölkerung. Rechtsextremisten sind in erster (und damit die Bevölkerung zu langweilen oder zu Linie eine Gefahr für die freiheitliche Gesellschaft überfordern) oder sich an der Depolitisierung der durch die direkte oder indirekte Androhung oder Wählerschaft durch Symbolpolitik zu beteiligen. Wir sogar Anwendung von Gewalt. In dieser monisti- sollten unsere Rhetorik dieser Simplifizierung und schen Ideologie gibt kein Vielleicht, sondern nur Symbolpolitik nicht anpassen. Einmal angerichteter Ja-Nein, Freund-Feind, Entweder-Oder. Gewalt ist, Schaden, eine Rechtsverschiebung des politischen wenn man diese Ideologie zu Ende denkt, zwin- Spektrums, sei es jetzt durch Verschärfung von gend. Im Gegensatz dazu hat der Rechtspopulismus Einwanderungsgesetzen und Asylgesetzen – Ermä- keine monistische Ideologie. ßigung bei den Menschenrechten, würde ich das nennen –, ist nicht so einfach reparabel und liegt Sechstens: Deutsche Rechtsextremisten setzen als Schatten schwer auf der pluralistischen Demo- im Allgemeinen keine politische Themen, springen kratie. Wenn Menschenrechte als teilbar etabliert aber routiniert auf fahrende Züge auf. Anders als werden, ist das ein ernsthaftes Problem. die ideologisch zumeist orthodoxen Aktivisten der rechtsextremistischen Bewegung verstehen sich Neuntens: Gelingende Bildungs-, Informations- die rechtspopulistischen Akteure besser darauf, und Sozialpolitik sind der Kern demokratisch-poli- diese Züge auch zu lenken. Beide sind gleicherma- tischer Kultur. Man kann es nicht oft genug sagen. ßen jedoch auf Fehler und Lücken der etablierten Es besteht die Gefahr, dass menschenfeindliche so- politischen Klasse angewiesen, die dann als Beweis ziale Praxis eben auch menschenfeindliche Einstel- der Untauglichkeit des bestehenden Systems post- lung sukzessive normalisiert. Das heißt, eine Politik, wendend ausgeschlachtet und vorgeführt werden. die auch nur den Anschein erweckt, dass Banken Deswegen mein Appell: Solche Lücken dürfen wir systemrelevant sind, sozial Schwache jedoch nicht, gar nicht erst zu lassen. Das ist das Problem der leistet menschenfeindlichen Einstellungsmustern entleerten Demokratie: Wenn die etablierte politi- Vorschub. Auch wenn man das ökonomisch erklä- sche Klasse diese Lücken lässt oder Fehler macht, ren kann, ist es Gift für das Gemeinwesen. dann ist es ein Leichtes für Rechtspopulisten, mit Kampagnen da hineinzustoßen. Es ist wichtig, eine demokratische Anerkennungskultur für alle, die in dieser Gesellschaft leben, zu Siebtens: Mit ihrer Tendenz zur radikalen Simpli- etablieren. Es geht um nicht weniger als eine po- fizierung und Komplexitätsreduktion sind Rechts- sitive Anerkennungsbilanz. Dieser Begriff stammt populisten in der Lage, einen Schein von Klarheit von Wilhelm Heitmeyer und seinem Team: positive anzubieten, der in der heutigen politischen Realität Anerkennungsbilanz. Das gefällt mir sehr gut. Das schmerzlich vermisst wird. Dabei üben Rechtspo- heißt: Du bist als Mensch mit Grundrechten – mit pulisten eine ätzende und damit korrosive Kritik Menschenrechten – ausgestattet, und wir sehen zu, der demokratischen Wirtschaftlichkeit, während dass du als Person in unserer Gesellschaft positi- Rechtsextremisten die freiheitliche Demokratie in ve Anerkennung findest. Extremismus-Prävention Gänze abschaffen wollen. Extremisten wollen den muss dabei ein ständiger demokratiebegleitender offenen Marktplatz der Ideen komplett schließen. Prozess von staatlichen und auch von nicht staatli- Das ist ihre autokratische Weltanschauung. Auch chen Akteuren sein. Ich bin nicht der Meinung, dass wenn sie auf dem Weg dorthin natürlich an demo- die Gesellschaft das mit sich selber ausmacht. kratischen Wahlen teilnehmen. Populisten wollen hingegen diesen Marktplatz per se nicht schließen, Und zehntens: Rechtsextremismus ist in Deutsch- sondern ihn dominieren. Das ist ein entscheiden- land heute weitgehend gesellschaftlich geächtet. der Unterschied dieser beiden Bewegungen. Das orthodoxe offene Bekenntnis zu oder das Engagement für die extremistische Rechte führt in Die modernen Massenmedien sind dabei das Viag- der Regel zu empfindlichen sozialen, beruflichen ra des Rechtspopulismus. Es spielt dabei keine Rol- und staatlichen Sanktionen. Diese Stigmatisierung le, ob die Berichterstattung positiv oder negativ ist. gibt es. Diesen Zustand gilt es zu bewahren. Denn Es zählen nur breitenwirksame Schlagzeilen. Hier- wer sich dieser klaren orthodoxen rassistischen aus ergibt sich eine erhebliche Verantwortung der Ideologie verschreibt, der stellt sich selber ins Ab- Medien. seits. Beim Rechtspopulismus allerdings gilt es aus 5 Impuls 1 meiner Sicht sehr klug zu differenzieren zwischen Frage fehlender Informationen und Bildung. Das den Bewegungsunternehmern, die es auszugren- sind oft Menschen, die für die politische Bildung zen gilt, und den Sympathisanten, die es in das plu- insgesamt empfänglich sind. ralistische liberale Gemeinwesen zu „reintegrieren“ gilt. Und da komme ich wieder auf mein Schema: Interessant sind insbesondere die Sympathisanten. Was ist zu tun? Das können nur zielgruppenspe- Die Sympathisanten bekommen wir meistens von zifische Maßnahmen sein. „Alles Nazis!“ halte ich den Fernsehkameras vorgeführt. Hier haben wir für eine absolute Katastrophe. Damit kommt man es mit diffusen Ängsten, Vorurteilen und Uninfor- keinen Schritt weiter. Erst mal ist es falsch, und miertheit zu tun. In diesem Sympathisanten-Um- zweitens ist damit noch nicht einmal die Diskussi- feld sehe ich einen besonderen Bildungsauftrag. on eröffnet. Oder „Faschismus ist keine Meinung, Hier ist eine soziale Einbindung und Integration sondern ein Verbrechen!“ Was soll das heißen? Das zwingend und möglich. Deshalb sehe ich eine klare bedeutet gar nichts, das ist eine leere Formel. Dar- Abstufung, wie zielgruppenspezifisch reagiert wer- auf kann man keine Strategie aufbauen. Ich würde den sollte. sagen, zielgruppenspezifisch vorgehen heißt: Wir haben einmal die Bewegungseliten. Da würde ich Wer hier die Akteure sind, muss man im Einzelnen sagen, Prävention greift dort nicht mehr. Mit dieser betrachten. Für all diese Stufen gibt es entspre- Zielgruppe eine Diskussion zu führen, können Sie chende Akteure. Repression ist weitgehend Ange- sich sparen. Da muss leider mit Repression gear- legenheit der Polizei. beitet werden oder es können – unter Umständen – Ausstiegsszenarios angeboten werden. Bei den Als Abschluss würde ich gerne Robert Altemeyer Basisaktivisten greifen im Wesentlichen Repres- zitieren: „Autoritäre Anhänger werden sich sogar sionen. Insbesondere bei Gewaltaffinität sollten noch enger an ihren Glauben klammern, je falscher Gesetze durchsetzt werden. Allerdings gibt es hier er sich erwiesen hat. Versuche, hoch dogmatische durchaus auch Möglichkeiten zur punktuellen An- beweisimmune demagogische Menschen in einem sprache. Bei Unsicherheiten, Brüchen in der Biogra- solchen Rahmen zu ändern, ist wie gegen den Wind fie usw. gibt es ab und zu ein Gelegenheitsfenster, zu pinkeln.“ diese Menschen anzusprechen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue Auf der dritten Ebene, dem Unterstützerring, ha- mich auf die Diskussion. ben wir es mit klassischer Deradikalisierung zu tun. Hier ist Ansprache geboten. Dort ist es oft auch eine 6 Impuls 2 Erfahrungen aus der Beratungspraxis Bernd Stracke, Aktion Zivilcourage e.V. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus der Wis- Wenn ich auf die letzten zehn Jahre zurückschaue senschaft und der wissenschaftlichen Begleitung! und mir die Erfahrungen vor Augen halte, in welchen Themenbereichen beraten wurde und ich Beratung Liebe Vertreterinnen und Vertreter aus der Bundes- erfahren habe, konzentriert sich der Themenbereich zentrale für politische Bildung, liebe Kolleginnen vor allen Dingen auf Rechtsextremismus, sprich: Wie aus der Regiestelle! kann ich in meinem Verein, in meinem Verband, in meinem sozialen Umfeld Rechtsextremismus erken- Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Beratung nen und wie reagiere ich darauf? Wie bilde ich Multi- und den Verbänden! plikatoren aus, um diese Merkmale und die Entwicklungen zu erkennen oder darauf zu reagieren? Beim Nachdenken über dieses Thema bin ich schnell zum Schluss gekommen, dass auch in Sa- Wir kennen mittlerweile fast alle Symbole und die chen Rechtspopulismus der Ansatz von „Zusam- Kleidung Rechtsextremer. Wir sollten wissen, was menhalt durch Teilhabe“ der richtige ist. verboten und was noch nicht verboten ist. Wir erkennen die kleinen Hinweise auf rechtsextreme Struk- Durch die Vertretungen der übergeordneten Ver- turen. bände gibt es bei der Diskussion in den Vereinen eine fachliche Nähe und dadurch eine hohe Akzep- Der Rechtspopulismus – angefangen mit den Stamm- tanz. Auch die Verbreitung in der Fläche, vor allem im tischen bis zu den politischen Parteien – ist nicht an ländlichen Raum, ist durch diesen Ansatz gegeben. Marken und Symbolen festzumachen, und Handlungsstrategien sind nicht so einfach zu entwickeln. 7 Impuls 2 Rechtspopulismus kennen wir aber nicht erst seit Bei einer Auswertung der letzten Wahl in Sach- dem Herbst 2014. Er hat sich schon immer mal sen fällt auf, wie hoch der Anteil der Nichtwähler breitgemacht, vor allen Dingen im Spektrum rechts- ist. Dies ist ein deutliches Zeichen der Frustration radikaler Parteien. Ich denke dabei an Franz Schön- und Politikmüdigkeit. Ich glaube, dass aus dieser huber und seine Republikaner und heute an Teile Nicht-Wählerschaft viele Demonstranten in Dres- der AfD, ich denke dabei aber auch an Thilo Sarra- den, Leipzig und anderen Großstädten kommen. zin, seine Bücher und Lesungen, also populistische Strömungen, die in demokratischen Parteien vor- Fast 50 Prozent Nichtwähler werden im medialen kommen. Nachgang der Wahlen kurz erwähnt und verschwinden schnell wieder in der Versenkung, bevor wir uns Durch Pegida und Co., durch Bürgerinitiativen ge- auf die Platzvergabe im Parlament konzentrieren. gen Asylbewerberheime sind die Stammtische allerdings jetzt auf die Straße und damit in die Wir vergessen dabei, dass die Aufteilung nur für Öffentlichkeit getragen worden und nun auch ein Menschen repräsentativ ist, die zur Wahl gegangen Streitthema in den Medien. Durch die Anonymität sind. Der große Teil der Menschen, der die Wahl der Masse ist die Hemmschwelle immer weiter ge- verweigert hat, ist erst wieder Zielgruppe der Poli- sunken, sich an rechtspopulistischen Veranstaltun- tik, wenn es an die nächsten Wahlen geht. gen zu beteiligen. Dadurch entsteht für uns Beraterinnen und Berater Über die Medien begegnen mir Krieg, Terror und an der Basis eine neue Herausforderung. Wir müs- Katastrophen in unmittelbarer Nähe. Die Bilder sen uns die Fragen stellen: Wo sind bei uns die Lü- kommen immer schneller, werden immer größer cken? Wo sind die konzeptionellen Ideen? Wo sind und immer schärfer. Die Nachrichten werden von neue Ansätze? Wo sind neue Strategien, um mit die- schrecklichen Ereignissen dominiert. Man ist live sem breiten Thema umzugehen? dabei, wenn Menschen ums Leben kommen, Schülerinnen entführt und Städte bombardiert werden. An dieser Stelle haben wir kaum Symbole, keine Durch die ständige Verbindung, vor allem über elek- Verbote. Stattdessen Sprüche, Parolen, und Ver- tronische Massenmedien, Nachrichtenportale, so- schwörungstheorien, die es zu erkennen und zu ziale Netzwerke, über die Möglichkeiten, die neues- entlarven gilt. ten Nachrichten auf Smartphone und Tablett sofort parat zu haben, haben wir kaum noch eine Chance Bei den Akteuren der aktuellen, rechtspopulisti- abzuschalten, die Gedanken zu sortieren und eige- schen Entwicklungen handelt es sich nicht um ge- ne Schlüsse zu ziehen. Es ist kaum noch nachzuvoll- sellschaftlich ausgestoßene Menschen, es handelt ziehen, welche Dinge real und welche irreal sind, bei sich nicht um Protest aus Mangel, geschweige denn der Geschwindigkeit sind es „Andere“, die für uns aus Armut. Wir haben es hier mit Menschen zu tun, Schlüsse ziehen. Verschwörungstheorien jeglicher die aus der Mitte der Gesellschaft kommen und gut Couleur – aus dem rechten, genauso wie aus dem situiert sind. linken Spektrum, mit antisemitischen oder anti8 Impuls 2 islamischen Hintergrund – geben den Nährboden bedingt eine noch größere Akzeptanz der Berater in für Rechtspopulismus. Dies gilt auch für die aktu- der Breite. Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt ellen Entwicklungen in Deutschland, speziell hier zu leisten ist. In diesen Fällen sind alle in der Ver- in Sachsen, wo die sogenannte „Pegida“ ihren Ur- antwortung, und es dürfen zu den bisherigen Bera- sprung gefunden hat. Ständig habe ich das Gefühl, tungsansätzen im ländlichen Raum nicht zu große sofort auf Ereignisse reagieren zu müssen, eine kla- Lücken entstehen. Mit diesen Lücken meine ich die re Meinung haben zu müssen und diese Meinung anderen Vereine und Strukturen auf dem Dorf, die nach außen zu geben. Es ist aber äußerst schwierig, für das Gemeinwesen einen prägenden Charakter eine mutige These, eine mutige Idee zu vertreten haben. Dies sind zum Beispiel Schützenvereine, oder einem mutigen Schritt zu vollziehen, ohne fast Heimat- und Traditionsvereine, das sind Bürgerini- zeitgleich selber ins Fadenkreuz der Medien zu ge- tiativen, Karnevals-, Jugend- und Kulturvereine und raten. Am schnellsten geht das über das Internet vor allen Dingen auch die kleinen Verwaltungen in und die sozialen Netzwerken. den Ortschaften. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Menschen an dieser Stelle nur errei- Ich komme nun zu den Herausforderungen als chen, wenn wir deren Sprache sprechen. Dies setzt politischer Berater in den Kommunen. Ich selber voraus, dass es eine gewisse Identifikation mit dem wohne auf dem Land. Auch wenn ich nicht „vom Ort oder der Region gibt. Das wiederum erfordert Land“ stamme, so bin ich doch im ländlichen Raum eine Bereitschaft, sich mit diesen Menschen an der in Sport und Politik engagiert. Immer wieder stelle Basis auseinandersetzen zu wollen. ich dabei fest, wie sehr sich meine Sprache von der Sprache der Menschen vor Ort unterscheidet, die Ich möchte Ihnen ein ganz praktisches Beispiel aus seit Jahren in ihren Vereinen aktiv sind. meinem Dorf schildern: den Sportverein SV Horken Kittlitz, bei dem ich in verschiedenen Abteilungen In Sachen Rechtsextremismus, Symbolik und Er- aktiv mitarbeite. Wenn ich dort in einer Mitglie- kennung rechtsextremer Infiltration in Vereinen derversammlung oder einer Versammlung der Ab- haben wir mittlerweile eine hohe Akzeptanz. Aber teilungsleiter in eine Diskussion verwickelt werde, ich glaube, dass die Beraterinnen und Berater in Zu- fällt es mir schwer, unter meinen Sportkameraden kunft eine wesentlich schwierigere Aufgabe vor sich Gehör zu finden. Ihr gesellschaftlicher Konsens ist haben, wenn es darum geht, menschenverachten- sehr stark. Hier muss ich dazugehören, um Akzep- de Einstellungen in den Vereinen an der Basis an- tanz zu genießen. Es wird schwierig, wenn ich einen zusprechen. Das heißt für uns als Berater, dass wir anderen Dialekt spreche oder mit akademischer möglicherweise einen völlig neuen Fokus setzen Sprache Barrieren aufbaue, und fast unmöglich, müssen. Einen Fokus, bei dem wir den Rechtsextre- wenn ich völlig von außen komme, mich als Berater mismus weiterhin im Blick haben, aber versuchen fühle und mit einer Mission beseelt bin, die Dinge die Stammtische nicht links liegen zu lassen, an de- zu richten. nen die Mitglieder unserer Vereine diskutieren. Dies 9 Impuls 2 Aber wie kommen wir nun an die Stammtische? Es ist ganz wichtig, vor Ort Partizipationsprozesse zu fördern und die Beteiligung der Menschen zu Wir werden nur Erfolg haben, wenn wir es schaffen, gewährleisten. Dies dürfen keine Alibiveranstaltun- die gesamte Breite des Gemeinwesens in den Fokus gen sein, dort müssen die Erfolge sichtbar gemacht zu nehmen, die Menschen vor Ort als Partner wahr- werden, eine positive Stimmung in die Ortschaften zunehmen und gemeinsam mit ihnen Lösungen zu getragen und eine Identifikation mit der Region er- finden. Der systemische Ansatz in der Beratung ist zeugt werden. Meiner Ansicht nach sind dazu Zu- nicht neu, aber er hat sich noch lange nicht auf allen kunftswerkstätten, World Cafés und andere Partizi- Ebenen als erfolgversprechender Ansatz durchge- pationsmethoden geeignet, in denen die Bewohner setzt. Ich plädiere dafür, Beratung nicht mehr als der Ortschaften gemeinsam an relevanten Thema- das stärkste Wort in den Mittelpunkt zu stellen, tiken arbeiten. sondern Worte wie Begleitung und Moderation von Prozessen in den Mittelpunkt zu stellen. Ich bin mir Ich möchte kurz ein Fazit ziehen: Wir sollten an- sicher, dass wir als Berater nicht als inhaltliche Ex- kommen in den Orten mit unserer fachlichen Nähe perten auftreten sollten, auch wenn wir es mögli- und nicht missionieren. Wir sollten uns mit Empa- cherweise sind, sondern als methodische Experten. thie und Eloquenz auf die Bedingungen und Bege- Als jemand, der in der Lage ist, die Prozesse vor Ort benheiten vor Ort einlassen. Wir sollten mit den mit den handelnden Protagonisten vor Ort zu or- regionalen Partnern und Spezialisten gemeinsam ganisieren. Das heißt, es ist wichtig, nicht als politi- analysieren, entwickeln und gestalten, Erfolge he- scher Akteur mit eigener Mission zu handeln. rausstellen, Medien gewinnen und nicht defizitorientiert arbeiten. Wir sollten als Berater, Begleiter, Die thematische und inhaltliche Nähe zu den Ver- Mediator und Moderator unsere Meinungen und einen und Verbänden ist dabei unverzichtbar. Aber politischen Ideen professionell von unserer Bera- genauso wichtig sind die regionale Verankerung ter- und Begleiter-Aufgabe trennen. und die Akzeptanz als Mensch aus der Region. Es ist unverzichtbar, dass wir bei der Bearbeitung von Problemen in Vereinen gemeinsam arbeiten, staatliche und nichtstaatliche Experten einbeziehen und nach Bedarf einsetzen. Dies gilt für Intervention ebenso wie für die Prävention. 10 World-Café Thementische World-Café Thementische 11 World-Café Thementische Reden oder nicht reden? Wie kann sensibilisiert und argumentiert werden? Reden oder nicht reden? Wie kann sensibilisiert und argumentiert werden? Kristin Heinig Seit dem Aufkommen rechtspopulistischer Bewe- gab es zu den Fragen nach der konkreten Ausge- gungen und Parteien in Deutschland wird hierzulan- staltung dieses Dialoges. So diskutierten die Teil- de gestritten: Reden oder nicht reden? Bei Rechts- nehmenden, mit wem überhaupt in den Dialog ge- extremisten wie der NPD war der Umgang vielerorts treten werden soll. Entsprechend des von Thomas klar. So verfolgte man etwa im Sächsischen Landtag Grumke vorgestellten Schemas im Eröffnungsvor- eine Politik des Nicht-Redens: Die demokratischen trag sollten aus Sicht der Teilnehmenden eher die Parteien reagierten ablehnend auf alle Anträge der Sympathisant/-innen (welche sich durchaus auch NPD-Fraktion, mit den Abgeordneten sprach man in den eigenen Reihen finden lassen) in den Blick nicht, außer in den öffentlichen Gegenreden vom genommen werden, statt Funktionären rechtspo- Rednerpult. So sah es auch der „Schweriner Weg“ pulistischer Organisationen eine Bühne zu bieten. in Mecklenburg-Vorpommern vor. Doch wo kann ein solcher Dialog stattfinden? AnDieser Konsens ist bezüglich rechtspopulistischer knüpfungspunkte finden sich v.a. in den eigenen Akteure brüchig geworden. Am Thementisch dis- Strukturen und Projekten – an anderen Stellen sind, kutieren die Teilnehmenden das Ob und Wie eines so einige der Teilnehmenden – andere Akteure ge- Dialogs mit Rechtspopulist/-innen. Die Kernfrage fragt. Neben dem Initiieren spezieller thematischer nach dem Ja oder Nein eines Dialogs beantworteten Veranstaltungen sahen es die Diskutant/-innen als die meisten am Tisch mit einem klaren Ja. Die Devi- wichtig an, innerhalb der Regelangebote und im all- se müsse sein, so eine Teilnehmerin, mehr mitein- täglichen Miteinander das Gespräch zu suchen und ander, statt übereinander zu reden. Und einander Möglichkeiten des offenen Austauschs zu schaffen, zunächst einmal zuzuhören. Einen regen Austausch etwa mit ehrenamtlichen Mitarbeiter/-innen. 12 World-Café Thementische Reden oder nicht reden? Wie kann sensibilisiert und argumentiert werden? Warum und mit welchem Ziel wird der Dialog ge- empathisch und auf Augenhöhe stattfinden, the- führt? Die Teilnehmenden ging es hier v.a. um Bil- matisch einen konkreten Lebensweltbezug auf- dung und Vermittlung von Informationen, um ver- weisen und in dialogorientierten und interaktiven kürzten und unterkomplexen rechtspopulistischen Formaten umgesetzt werden. Je nach Rahmen kann Darstellungen zu begegnen. Ebenfalls wichtig: das sich ein/e Moderator/-in als sinnvoll erweisen – für Vermitteln der eigenen, demokratischen und men- die alltägliche Auseinandersetzung mit Rechtspo- schenfreundlichen Werthaltung, das Anregen zum pulismus braucht es zudem Argumentationskom- Nachdenken über vereinfachte Darstellungen und petenzen, Hintergrundwissen und die Beschäfti- Deutungen von Problemen sowie die Sensibilisie- gung mit der eigenen Werthaltung. Hier können die rung, Perspektiverweiterung und Empathie-Förde- Projekte Unterstützung und Kompetenzförderung rung (z. B. in Bezug auf Flüchtlinge, Muslime etc.). beispielsweise für Kolleg/-innen, Berater/-innen und Ehrenamtliche bieten. Wie ein solcher Dialog konkret aussehen kann, dafür formulierten die Teilnehmenden des Thementisches verschiedene Kriterien: Der Dialog müsse 13 World-Café Thementische Beratung vs. politische/-r Akteur/-in Beratung vs. politische/-r Akteur/-in: Welche Rolle können die Berater/-innen übernehmen? Ramona Meisel Die Diskussionsteilnehmer/-innen setzten sich im Auch stellten einzelne Teilnehmer/-innen fest, dass Wesentlichen mit der Fragestellung auseinander, der beratende politische Akteur Informationsvor- ob eine gelungene Beratung durch politische Ak- sprünge hat und durch die Praxisnähe die Bedarfe teure grundsätzlich möglich ist. des zu Beratenden besser erfassen kann. Viele der Teilnehmer/-innen konstatierten ihren Anspruch auf Augenhöhe und ihr Ziel, mit genügend professionaler Distanz die jeweiligen Beratungsgespräche zu führen. Die überwiegende Mehrzahl von ihnen sieht sich selbst als Begleiter/-in bzw. als Moderator/-in der zu unterstützenden Entscheidungsprozesse. Dennoch bekräftigten viele der Diskussionsteilnehmer/-innen gemäß den Programmzielen von „Zusammenhalt durch Teilhabe“, in den Beratungsgesprächen eine bewusste Wertehaltung einzunehmen. Vor allem wurden für das Beratungshandeln demokratiestärkende Aspekte als handlungsleitend genannt. Die Diskussionsteilnehmer/-innen brachten ihre Dem in den Tischgesprächen geäußerten Einwand, praktischen Erfahrungen ein und stellten punktuell dass bei der Beratung durch politische Akteure der eigene Fälle vor, in denen es zu einer Überschnei- Beratungsprozess durch Gestaltungsziele des poli- dung der Rollen des Beraters und des politischen tischen Akteurs überlagert werden könnte, könne Akteurs bereits gekommen ist. Grundsätzlich stell- entgegengewirkt werden, indem im Vorhinein der ten dabei alle Tischteilnehmer/-innen fest, dass sie Beratungsauftrag eindeutig und klar festgelegt selbst in einem Spannungsfeld arbeiten würden werden müsse. Hierdurch würde Handlungssicher- und es immer wieder kritischer Selbstreflexion be- heit und Transparenz sowohl für den zu Beraten- dürfe, damit professionelle Beratung auch bei die- den als auch für den Berater hergestellt. ser Rollenvermengung möglich bleibe. 14 World-Café Thementische Bündnisse schaffen und stärken Bündnisse schaffen und stärken – Wie können Themen, wie z. B. die Kritik und die Proteste gegen die Aufnahme von Flüchtlingen, durch Bündnisse und Unterstützer/-innen-Netzwerke durch die Vernetzung verschiedener Akteure vor Ort bearbeitet werden? Judith Brombacher Vereinzelt besteht der Wunsch, Bündnisse zu grün- Die wesentlichen Gründe für die vorschnelle Auflö- den. Dafür gibt es Beratungsbedarf. Bündnisse sung von Bündnissen sind: Es finden sich sehr he- werden als notwendig gesehen, um – insbesondere terogene Interessengruppen zusammen. Diese sind bei rechtspopulistischen und -extremistischen Ak- dann nur schwer zu koordinieren. Andere Gründe tivitäten z. B. gegen Unterkünfte für Asylsuchende sind z. B. parteibezogene Befindlichkeiten, persön- – gegenhalten zu können. Einzelnen Vereinen oder liche Eitelkeiten, Konkurrenzdenken und blinder Einzelpersonen wird in diesen Fällen keine Chance Aktivismus ohne fundierte Ursachenanalyse. Dazu auf wirksamen Widerstand eingeräumt. kommt, dass operative Aufgaben manche Bündnisse überfordern können, z. B. konkrete Übernahme Es gibt Gründungen von Bündnissen ohne Anstoß von Verantwortungen wie Moderations- und Orga- von außen. Bündnisse werden häufig anlassbezo- nisationsaufgaben. gen initiiert. Die Herausforderungen bestehen in der operativen Phase von Bündnissen, diese von Lösungsansätze, um die genannten Hindernisse zu der anlassbezogenen Gründung zu einem funkti- überwinden sind: Eventuell sollte eine Organisati- onsfähigen dauerhaften Bündnis bzw. in eine dau- onsberatung – als neutrale Instanz, die von allen erhafte Institution zu überführen, um damit dem Beteiligten weitgehend akzeptiert wird – hinzuge- Zusammenschluss auch präventiven Charakter zu zogen werden. Damit können die Prozesse, die eine geben. Bündnisentwicklung mit sich bringt, neutral mode15 World-Café Thementische Bündnisse schaffen und stärken riert werden. So können leichter ein Konsens erzielt aus der gemeinsamen Diskussion ausgeklammert und Aufgaben und Funktionen entsprechend der werden. Wenn eine externe Moderation abgelehnt Ziele und Rollen verteilt werden. Unter den genann- wird, kann auch eine Moderationsrotation der Be- ten Voraussetzungen kann besser ein Kernbündnis teiligten verabredet werden. gebildet werden. Neben bloßem Aktivismus, wie Gegendemonstrationen, sollten mehr Fakten und Bündnisse können bei Bürgerversammlungen, z. B. Wissen für sachbezogene und lösungsorientierte der Diskussion um eine neue Asylsuchenden-Un- Aktivitäten, wie z. B. Strukturänderungen und me- terkunft, deeskalierend wirken. thodisch fundierte Arbeitsweisen, in die Bündnisse getragen werden. In der Gruppe wurde die Frage diskutiert, inwieweit ein Bündnis oder eine Kooperation mit klarer Auf- Eine Supervision kann heterogene Bündnisse gabenverteilung und wenigen Partnern nicht ziel- strukturieren. Dafür müssen aber alle Beteiligte führender und effizienter ist. den Beratungsbedarf anerkennen. Befindlichkeiten Einzelner können der Arbeit des Bündnisses schaden. Diese Konflikte sollten bilateral geklärt und 16 World-Café Thementische Social Media – Facebook und Co. Social Media – Facebook und Co.: Was sollten Projekte, Berater/-innen und Projektleiter/-innen beachten? Franziska Kuhne In Deutschland gibt es über 28 Millionen Face- werden sollten. Bei langen Diskussionen (Threads) book-Profile, jeder Dritte nutzt das Netzwerk. Viele wurde empfohlen, dass das Projekt abschließend nutzen Facebook zur Bekanntmachung ihres Pro- Stellung bezieht. jekts, insbesondere um Kontakte mit Berater/innen und Ehrenamtlichen zu halten und Projektergebnis- Was man tun kann, wenn sich Menschen aus dem se zeitnah zu veröffentlichen. Eine Facebook-Seite Umfeld des Verbandes populistisch äußern oder erfordert viel Pflege und sollte immer aktuell gehal- populistische Posts teilen? Einige Teilnehmer/-in- ten werden. nen äußerten sich dazu, dass bereits solche Fälle aufgetreten seien. Bisher wurde daraufhin ein per- Im World-Café wurde zunächst die Frage diskutiert, sönliches Gespräch geführt und erklärt, was die wie im Projekt mit diskriminierenden Kommentaren Hintergründe für die geteilten Kommentare sind. umgegangen wird. Dabei wurde deutlich, dass auf Es wurde deutlich gemacht, dass man im Verband einem großen Teil der Facebook-Seiten gar keine damit nicht einverstanden ist. Wichtig sei auch, sich Kommentare zugelassen werden oder Kommenta- intern in der Organisation auszutauschen und zu re erst von einem Moderator freigeschaltet werden klären, was problematische Äußerungen seien und müssen. Einig war man sich am Tisch, dass men- wie man dagegen vorgehen wolle. schenverachtende Kommentare sofort gelöscht 17 World-Café Thementische Social Media – Facebook und Co. Besonders intensiv diskutierten die Teilnehmer/-in- verachtende Kommentare und Posts melden und nen mögliche Ursachen für den riesigen Erfolg von hätten daraufhin auch Antworten bekommen. Es Pegida bei Facebook. Im Januar 2015 hatte die Sei- würden sogar Identitäten bekannt gegeben, damit te fast 160.000 Likes. Bei Facebook ist es möglich, man Anzeige erstatten könnte. Andere waren der komplexe Sachverhalte einfach und kurz zu darzu- Meinung, dass Facebook schwer zu kontrollieren stellen. Insbesondere zugespitzte und emotionale sei und es sehr viel Mühe machen würde, Autoren Inhalte verbreiten sich sehr schnell. Die Mobilisie- von Posts zu recherchieren. rung und Aktivierung der Anhänger von Pegida gelingen über Facebook sehr gut. Außerdem sind bei Zur Frage, ob in den Projekten die sozialen Netz- Facebook sind nicht nur die lokalen Unterstützer, werke genutzt würden, um sich zu aktuellen poli- sondern Sympathisanten aus ganz Deutschland. tischen Themen zu positionieren, wurde deutlich, Zum Teil sind auch Journalisten oder Gegner der dass dies bisher noch nicht der Fall war. Der Groß- Bewegung dabei, die über die Aktionen informiert teil der Teilnehmer/-innen war sich aber einig, dass sein wollen. man zu wichtigen Aktionen im eigenen Umfeld Stellung beziehen sollte. Die Gruppe tauschte sich weiterhin aus, ob Facebook als rechtsfreier Raum wahrgenommen wird. Dazu gab es unterschiedliche Ansichten. Einige Teilnehmer/-innen meinten, sie würden menschen- 18 World-Café Thementische Pressearbeit und Publikationen Pressearbeit und Publikationen: Wie können die Projekte im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit reagieren? Tom Waurig Die Teilnehmenden sprachen über die Möglichkeiten, in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Verbandes/des Vereins auf die Proteste der Pegida-Bewegung zu reagieren. Ein solches Vorgehen wurde vor allem von größeren Trägern bejaht, die in ihrem Wirken eine öffentliche Verantwortung sehen. In einer öffentlichen Stellungnahme sehen viele die Chance, ein Signal an die eigenen Mitglieder und Sympathisanten zu senden und eine Grundhaltung zu kommunizieren. Verbände haben durch ihre breite Mitgliederstruktur die Möglichkeit, Diskurse zu beeinflussen. Der Mehrwert solcher Veröffentlichungen liegt insbesondere in der Aufklärung der Mitarbeiter/-innen. Schwierig sei in diesem Zusammenhang, überhaupt eine Haltung auszuhandeln und abzustimmen, die nach außen kommuniziert werden kann. ein mangelndes Interesse der Presse konstatiert. Aus der Erfahrung vieler Träger wurde empfohlen, Die Diskutanten hielten es für deutlich sinnvoller, Medien- und Pressevertreter in die Geschäftsstelle positive Aspekte an die Presse zu kommunizie- einzuladen und Projekte vorzustellen. Der Versand ren und Projektvorhaben vorzustellen, als sich an einer Pressemitteilung führe meist nicht zum ge- den Pegida-Protesten abzukämpfen. Dabei wurde wünschten Erfolg. 19 World-Café Thementische Gegenproteste und öffentliche Aktionen Gegenproteste und öffentliche Aktionen Johannes Enke Im Vordergrund der Diskussion standen die Fragen: Darüber hinaus wurde der Spagat zwischen Bil- Muss auf jede Aktion von Rechtsextremisten(-po- dungsauftrag und symbolischen Aktionen disku- pulisten) reagiert werden? Wie viel Provokation tiert. Es wurde deutlich, dass der Fokus der Arbeit müssen wir ertragen und aushalten? Wer hilft bei auf der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Er- der Bewertung der Situationen? Wer trifft die Ent- scheinungen des Rechtsextremismus und -popu- scheidungen, ob und wie reagiert werden sollte? lismus in den Vereins- oder Verbandsstrukturen liegen sollte. Die Teilnehmenden waren sich einig, In diesem Kontext ergaben sich zwangsläufig wei- dass durch Bildungsarbeit eine nachhaltigere Wir- tere Themen, z. B. nach der Angemessenheit der kung erzielt werden kann. Im Besonderen dann, Mittel oder der Protestform. Besonders intensiv wenn die Möglichkeit genutzt wird, rechtspopulis- wurde von den Teilnehmenden die Frage nach der tische Parolen mit dem eigenen Leitbild – den ver- Wirkung und der Wahrnehmung von Gegenprotes- bandsinternen Werten und Normen – zu hinterfra- ten und öffentlichen Aktionen auf Stakeholder, wie gen. Presse, Anwohner, Rechtsextremisten etc., diskutiert. Dabei wurde der schmale Grat verdeutlicht zwischen dem „Ertragen ohne Wegzuschauen“ und dem „angemessenem Reagieren ohne (die Provokateure) aufzuwerten“. 20 World-Café Thementische Gegenproteste und öffentliche Aktionen Dennoch wurden Presseerklärungen, öffentlichkeitswirksame Aktionstage und Kampagnen bis hin zu (Gegen-)Kundgebungen als wichtig erachtet. Die Teilnehmenden äußerten insbesondere bei Letzterem Bedenken, damit nicht nur reflexhaft, sondern als souveräner Akteur zu handeln. Die Aktionen sollten in einem deutlich erkennbaren Zusammenhang zur Provokation (z. B. Anti-Asyl-Demo) stehen, aber nicht zwangsläufig auch zeitlich zusammenfallen. Dabei können auch kreative und humoristische Aktionen – die die ideologischen Ziele der Rechtsextremisten/Rechtspopulisten deutlich machen und kontrapunktieren – eine sinnvolle Handlungsoption sein. 21 Impressum Impressum Das Vernetzungstreffen Rechtspopulismus wurde veranstaltet von der Aktion Zivilcourage e. V. (↗ www.aktion-zivilcourage.de) und gefördert durch das Bundesministerium des Innern (↗ www.bmi.bund.de) im Rahmen des Bundesprogramms „Zusammenhalt durch Teilhabe“ (↗ www.zusammenhalt-durch-teilhabe.de). Konzept, Organisation und Text Parts – Gesellschaft für soziale Praxis und Projekte mbH (↗ www.parts-berlin.de) Corinna Korb und Thomas Köster Gestaltung, Grafik und Layout DAUTERSTEDT (↗ www.dauterstedt.de) Fotos Benjamin Jenak 22
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