Günther Bachmann Politische Innovationen zur Nachhaltigkeitspolitik Think Piece zum Vortrag im Öffentlichen Symposium „Nachhaltige Entwicklung stärken“ des Parlamentarischen Beirates für nachhaltige Entwicklung am 20.5.20151 Aufwerten, Ausrichten, Aufklären Die letzte große politische Innovation zur Nachhaltigkeitspolitik ist fünfzehn Jahre her. Die erstmalige Herausgabe einer Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie im Jahr 2002 setzte jahrelange Diskussionen um. In ihrem Zusammenhang schuf die Politik neue Institutionen: den Nachhaltigkeitsrat, den Staatssekretärsausschuss, wenig später auch den Parlamentarischen Beirat. Sie etablierte Langfristigkeit als Politikfeld und etablierte dazu das Instrument ambitionierter Ziele und deren Messung durch Indikatoren. Sie führte eine Nachhaltigkeitsprüfung von Gesetzen und die Nachhaltigkeitsberichte von Ministerien ein. Einige der wichtigsten der rund sechzig Politikinnovationen, die der Bundestag zuvor erörtert hatte, sind damit aufgegriffen2. Jetzt sind erneut tiefgreifende politische Innovationen nötig; und zwar in drei Richtungen: Aufwerten: Das Grundgesetz muss die Nachhaltigkeit zu verfassungsrechtlichen Grundwert aufwerten. Institutionen mit Nachhaltigkeitsauftrag müssen sich und ihr Anliegen besser in der politischen Kultur verankern. Ausrichten: Globale Ziele zur nachhaltigen Entwicklung erfordern eine institutionelle Verbindung von nationaler und internationaler Nachhaltigkeitspolitik. Ziel ist eine neue Ausrichtung der Globalisierung. Aufklären: Anliegen und Konsequenzen von „Nachhaltigkeit“ müssen verständlicher erklärt werden und auch die Regeln und Prozesse der Nachhaltigkeitspolitik umfassen. 1 Anmerkung: Dieses „think piece“ drückt meine persönliche Auffassung aus und ist nicht in allen Aspekten mit Empfehlungen des Rates für Nachhaltige Entwicklung identisch. 2 Deutscher Bundestag (1998) Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt - Ziele und Rahmenbedingungen einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung" - Konzept Nachhaltigkeit. Vom Leitbild zur Umsetzung; Drs. 13/11200 vom 26.06.1998; vgl. http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/13/112/1311200.pdf 1 Der Grund: Schwäche und Stärke zugleich Nachhaltigkeitspolitik in Deutschland ist stark und schwach zugleich. Diese Ambivalenz durchzieht auch die Diskussionen und Erörterungen der beiden internationalen Peer Reviews 2009 und 2013, die unter Leitung von Björn Stigson standen3. Warum Stärke? Der Begriff ist durchgesetzt. Die öffentliche Zustimmung nimmt weiter zu. Größer wird die Zahl der Fachforen, die sich anspruchsvoll mit Nachhaltigkeitsfragen beschäftigen. Die Praxiswirksamkeit des Nachhaltigkeitskodex nimmt zu. Im Konsum brechen positive Trends zwar noch nicht den Mainstream, aber sie sind nicht mehr so schwach, dass sie negiert werden können. Die weichen Elemente der Governance (soft policies) enthalten Wirkung, die oft denen von Institutionen und Verbänden gleichkommen oder sie übertreffen. Deutlich wird dies in Projekte der Werkstatt Nachhaltigkeit, in den Aktionstagen Nachhaltigkeit, in Bildungsnetzwerken und -projekten, in Dialogen mit jungen Kommunalpolitikern und Visionären. Der Wettbewerb und die Vergabe des Deutschen Nachhaltigkeitspreises spielen für Pionierunternehmen eine wichtige Rolle zur Selbstbestärkung. Zugleich sind gravierende Schwächen auszumachen: bei wichtigen Zielen und Anliegen der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie und in der Adressierung von nicht nachhaltigen Trends insbesondere im Konsum und im Hinblick auf die zukunftsfähige Infrastruktur. Gleichzeitig nehmen die Erwartungen zu. Immer mehr Menschen verbinden ein gutes Leben mit „Nachhaltigkeit“. Sie nehmen die Nachhaltigkeitspolitik – wenn überhaupt - als routinierte Wirkungslosigkeit wahr. In der Nachhaltigkeitspolitik, wiederum, lässt sich beobachten, was auch für andere zivilgesellschaftlichen Politikfeldern gilt: Konferenzen haben lediglich weitere Konferenzen zur Folge. Und allzu oft reden die Akteure nur untereinander. Die letzten fünfzehn Jahre haben die technische Entwicklung beschleunigt und das politische und wirtschaftliche Gefüge Deutschlands verändert. Das hervorstechende, aber nicht einzige Merkmal ist die Energiewende. Aber Gremien und Institutionen hinterfragen ihre eigene Anteile an einer Kultur der Nachhaltigkeit zu wenig. Eine „verbesserte Selbstorganisation“ nichtstaatlicher Akteure zur Nachhaltigkeit und eine „erhöhte Reflexivität“ (Enquête-Kommission 1998) sind wohl bisher nicht erreicht. Mit anderen Worten: Wir ändern uns selbst zu wenig. Als regulative Leitidee ist die Nachhaltigkeitsfrage Schritt für Schritt über die ökologische Frage hinaus gewachsen und weitgehend unwidersprochen, als politischer Grundwert ist sie aber nicht anerkannt. Erste These: Nachhaltigkeit aufwerten Die Aufwertung ist dringlich. Verschiedene Optionen sind dafür auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiet denkbar. Am wirkungsvollsten ist allerdings die politische Option. 3 Vgl. http://www.nachhaltigkeitsrat.de/projekte/eigene-projekte/peer-review/?size=etubqeehfr&blstr=0 2 Nachhaltigkeit sollte zu einem politischen Grundwert im Grundgesetz werden. Ohne diese Aufwertung kommen Instrumente und sektorale Strategien nicht hinreichend voran. Auf der Makroebene, also im Bereich politischer Orientierung und richtungsweisender Kompetenz, müssen die Gewichte zu Gunsten der Nachhaltigkeit verschoben werden. Nur zwei Beispiele: Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ist ein zentral wichtiges Element, um ein Transformationswerk zu begründen. Noch ist ihr dieser Anspruch aber nicht immanent. Ihm geht es darum, Verantwortung und Verbindlichkeit auch jenseits des Zuständigkeitsbereiches der Bundesregierung zu organisieren, also bei Ländern und Kommunen, im privaten Sektor und der Zivilgesellschaft. Im Status quo ist das nicht zu erreichen. Deutschland gibt sich über eine Entscheidung der Vereinten Nationen zu den globalen Nachhaltigkeitszielen, wie alle Staaten der Welt, einen erweiterten Verantwortungsrahmen. Der Nachhaltigkeitsstrategie erwächst zunehmende Bedeutung. Ihr Transformationsimpuls ist im Status quo zu schwach. Der Boden ist bereitet. Das Grundgesetz nimmt schon heute implizit einige Gedanken der Nachhaltigkeit auf. Andere Länder haben Nachhaltigkeit eine verfassungsrechtliche Relevanz zuerkannt. Der Entwurf für eine Europäische Verfassung aus dem Jahr 2003 wollte die Union durch das Ziel Nachhaltigkeit stärken. 2006 schlug eine fraktionsübergreifende Gruppe von Bundestagsabgeordneten eine Ergänzung von Artikel 20a GG vor: "Der Staat hat in seinem Handeln das Prinzip der Nachhaltigkeit zu beachten und die Interessen künftiger Generationen zu schützen." Zwar lehnte die damalige Mehrheit im Bundestag den Vorschlag ab, bestärkte aber die politische Auffassung, dass Nachhaltigkeit als Verfassungsprinzip eine Rolle spielen kann. Immerhin wurde der intergenerative, finanzielle Interessenschutz (Schuldenbremse) als eine Dimension der Nachhaltigkeit grundgesetzlich verankert. Heute sind die Voraussetzungen besser. Die materiellen Probleme sind noch drängender, aber die Orientierung auf Lösungen hat zugenommen. Nachhaltigkeit ist für die Lebenswirklichkeit und Wertorientierung relevanter Gruppen relevanter geworden. Das Anliegen der Nachhaltigkeit bewährt sich in praktischen Verhaltensweisen der Menschen, also in der politischen Kultur unserer Gesellschaft. Wunsch und Wirklichkeit liegen zwar noch immer oftmals auseinander, aber unübersehbar ist, dass sich Wertpräferenzen und Lebenswandel der Menschen bis in den persönlichen Bereich ändern. Von einem politischen Grundwert Nachhaltigkeit wäre zu erwarten, dass er Defizite abbaut, an gesellschaftlich relevante Werthorizonte und anknüpft und das Verständnis von Verantwortung weiterentwickelt. Defizite bestehen im Hinblick auf die Anerkennung ökologischer Belastungsgrenzen und des Prinzips einer integrierten sozialen Verantwortung. Defizitär ist auch das Verständnis der Nachhaltigkeitspolitik als Prozess und Politikintegration sowie die dialogische Vermittlung von Zielkonflikten. Das Prinzip der Nachhaltigkeit muss als Handlungsziel des Staates bindend wirksam sein. Eine grundgesetzliche Verankerung des Nachhaltigkeitsprinzips ermöglichte es dem Staat, den Menschen, deren politischen Mandatsträger und der Wirtschaft, verlässlicher als bisher in 3 Richtung auf eine nachhaltige Entwicklung tätig zu werden. Rechtsstaatsprinzipien würden gestärkt werden. Eine verfassungspolitische Aufwertung hätte auch einen erheblichen und positiven Impuls auf „weiche“ Instrumente, Forschung und Bildung. Die regionale Vernetzung der Akteure und Kompetenzen würde angeregt. Die Management-Regeln der Nachhaltigkeitsstrategie würden praktisch voran gebracht. Für Unternehmen, Zivilgesellschaft und den Staat kämen verstärkt freiwillige Selbstverpflichtungen, etwa auf Basis des Nachhaltigkeitskodex, kommen in Frage. Eine grundgesetzliche Aufwertung hat Folgen für das Selbstverständnis des Nachhaltigkeitsrates und muss sich in Mandat und Funktionalität niederschlagen. Zweite These: Globale Verantwortung ausrichten Die Grenzen der ökologischen Belastbarkeit und des sozialen Zusammenhalts werden weltweit allenthalben herausgefordert und überschritten. Das transformiert die Welt, nur eben nicht in jene Richtung auf Nachhaltigkeit, die gemeint ist, wenn von einer großen Transformation die Rede ist, eher im Gegenteil. Die globale Nachhaltigkeitspolitik bildet kein Korrektiv. Deutschland muss international unter Beweis stellen, dass Nachhaltigkeit ohne Verzicht auf Wohlstand und Arbeitsplätze möglich ist. Als Export-Nation setzen wir die weltweite Verantwortung für eine globale, nachhaltige Entwicklung zu wenig in die Tat um. „Made in Germany“ wird noch vorwiegend als Qualität von Technik verstanden und zu wenig indessen für das, was die Welt zunehmend nachfragt: Als „Sustainability – made possible in and by Germany“. Deutschland tritt nicht als „Land in Entwicklung“ auf und bringt seine Beiträge zur Kreislaufökonomie, zum Sparen und Ersetzen von Rohstoffen, als Wissenschaftsstandort und Ideen-Inkubator, als Energiewende-Labor und zur Zukunft von Urbanismus (um nur wenige zu nennen) nur unterkomplex dar. Eine Verankerung im Diskurs der Ideen fehlt oft. Dennoch hat Deutschland einen Vorteil, den es zu nutzen gilt. Als postklassischer Nationalstaat unterliegt die politische Kultur Deutschlands einem multinationalen, europäischen Imperativ. Das erklärte auch Heinrich August Winkler im Deutschen Bundestag aus Anlass der Wiederkehr des 8. Mai 1945. Für die deutsche Politik sei es keine Selbstaufgabe, wenn wichtige politische Hoheitsrechte im multinationalen Kontext und im gesellschaftlichen Dialog ausgeübt würden, und nicht mehr alleine durch Regierungshandeln auf nationaler Ebene. Die globalen Nachhaltigkeitsziele der VN sollen national adaptiert und umgesetzt werden. Die globale Klimaschutzpolitik erwägt ähnliche Umsetzungsinstrumente auf nationaler Ebene. Das unterstreicht, dass der Nationalstaat kein Auslaufmodell ist. Seine Verantwortung wird größer. Der moderne Staat hat eine Verantwortung über seine Grenzen hinaus. Er muss die seine extraterritorialen Menschenrechtsverpflichtungen wahrnehmen und sich den Grenzen der ökologischen Belastbarkeit stellen. Risiko, Chancen und Verantwortung von Unternehmen sind umfassend zu berücksichtigen. 4 Allerdings fehlen noch spezifische Zuschnitte für Institutionen und Arbeitsstrukturen, die eine solche neue Schnittstelle von global und national kreativ umsetzen könnten. Kooperative Vorgehensweisen und Vereinbarungen sind nötig. Die nachhaltige Nutzung von Ressourcen gebietet die Kooperation. Effizienz und Ersatz, Suffizienz, Verzicht und Wachstum haben dort auch ihren Platz. Nachhaltigkeitsvereinbarungen zu einzelnen Massengütern wie etwa Kaffee, Kakao, Holz, Fisch, Palmöl, Baumwolle und Textilien, kritischen Mineralien, müssen qualitativ verbessert, bestärkt und ausgeweitet werden. Wo es sie nicht gibt, müssen sie initiiert werden. Nachhaltigkeitsstandards entlang von Lieferketten sollen durch ordnungspolitische Maßnahmen des Staates unterstützt werden, etwa wenn es um die Bekämpfung von Korruption und Kriminalität geht. Dritte These: Kommunikation neu denken und aufklären Große Fortschritte hat die Kommunikation zur Nachhaltigkeitspolitik erst in jüngster Zeit gemacht. Neue Formate wie Auszeichnungen und Preise, aber auch Stakeholder-Dialoge nutzen Kommunikationsstrategien, die über einseitige Vermittlung und Belehrung hinausgehen. Auf Augenhöhe sprechen Praktiker und Interessierte über Chancen, Möglichkeiten und Herausforderungen. Strategische Interventionen sind nur mitteilender Kommunikation überlegen. Dennoch: Der Nachhaltigkeitspolitik wird oft vorgeworfen, dass sie Beliebigkeit erzeuge. Der Begriff sei inhaltlich entleert und ausgequetscht wie eine Zitrone. Er diene nur zur Bekenntnis-Lyrik. Diese würde die harten Kanten der Menschenrechts- und Ökologiepolitik, aber auch jene der klassischen Wirtschaftspolitik (das Argument gibt es auf allen Seiten) unzulässig glätten und wegdefinieren wollen. Neben politischer Aufwertung und globaler Ausrichtung ist die Kommunikation also der dritte Schwerpunkt, wo Neuerungen gefragt sind. Sie beginnen ohne Zweifel mit der glaubwürdigen und substantiellen Nutzung des Begriffes. Darüber hinaus sind sie aber auch eine Anfrage an Institutionen und Politik. Sprachkritik ist zu einem gewissen Teil auch Politikkritik. In Fall der Nachhaltigkeit überwiegt der Politikanteil und macht ein Unbehagen deutlich, das beachtlich ist. Es geht über den Kreis der ersten Generation von Nachhaltigkeitsakteuren hinaus, die befürchten, die Themenhoheit über die ökologische Maxime des Begriffes zu verlieren. Es reflektiert das faktische Zusammenfallen von individuellem Wertbewusstsein und dem Bemühen von Unternehmensführern und Mitarbeitern, sich mit ihren Produkten oder Dienstleistungen auf Nachhaltigkeit auszurichten und dabei Innovation und Gemeinwesen zu verbinden. Diese Gleichzeitigkeit ist neu. Oft trifft sie auf Vorbehalte und „alte Rechnungen“, mitunter aber bereits auf Kooperation und kritische Selbstreflektion. Staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure der Nachhaltigkeitspolitik sind in offenen, rechtstaatlichen Gesellschaften immer wieder erneut gezwungen, für ihr Verständnis des Prinzips Nachhaltigkeit zu werben. Der „Definition“ von Nachhaltigkeit kommt erhebliche Bedeutung zu. Seit fast dreißig Jahren wird auf die Definition durch Groh Harlem Brundtland und der von ihr geleiteten Kommission 4 verwiesen. Diese Definition hat sich als gut und hilfreich erwiesen. Aber seit 4 http://en.wikipedia.org/wiki/Brundtland_Commission 5 jeher fällt auf, dass sie ganz ohne die Nennung des Menschen auskommt. Das hat sie gemein mit den jüngsten Großbegriffen wie etwa Transformation oder auch Anthropozän, die eine aktuelle Beschreibung der Weltverhältnisse vorschlagen. Der Mensch, so scheint es, stört. Zumindest erscheint er nur objekthaft und ist gegen seinen Willen und zumindest gegen seine kurzfristigen Schnäppchen-Gewohnheiten auf eine Bahn in Richtung Nachhaltigkeit zu bringen. Wie sieht eine aufgeklärte und transformative Nachhaltigkeit mit menschlichem Gesicht aus? „Nachhaltigkeit stärken“ muss beim Menschen ansetzen und hierzu sollte die Selbstorganisation der Menschen besser ermöglicht werden, die sich sachverständig oder / und initiativ und engagiert für Nachhaltigkeit einsetzen. Mittelfristig muss das das Ziel der Kommunikationsstrategie sein. Menschen und Gesellschaften sind lernfähig. Lernfähigkeit hat oft einen Moment der Angst als Ausgangspunkt. Man will etwas vermeiden, was ansonsten schädlich wäre und also sucht man nach Chancen und Wahlmöglichkeiten, die diese Angst ausräumen. Die öffentliche Kommunikation zu Klimaschutz und zur Nachhaltigkeit setzt hier oftmals mit Bedrohungsszenarien und Alarmmeldungen an. Zum Beispiel wird die Verletzung planetarer Grenzen genannt. Dennoch mangelt es dieser Kommunikation an Erfolg. Sie überfrachtet den Angst-Faktor. Was ängstigen soll, führt nach lange nicht zu Angst, sondern kann auch ganz anders aufgenommen werden. Zudem ist Angst zwar ein wichtiger Ratgeber, aber eben auch ein schlechter Anführer, wenn Auswege und Alternativen gesucht werden. Phantasie und Innovation, Chancen und Hoffnungen zählen dann mehr als der analytische Blick zurück. Richtigerweise versprechen wir uns von der Aneignung von Wissen, dass es von Angst befreit, indem Wahlmöglichkeiten vergrößert werden und Lösungen möglich erscheinen. Noch nie zuvor war so viel Wissen verfügbar. Aber Masse ist nicht Klasse. Aus reiner Anhäufung entsteht nicht automatisch gesellschaftlich relevante Gewissheit. Dafür brauchen wir mehr Investitionen in die Erarbeitung von wissenschaftlichen Grundlagen und Lösungen sowie in deren Rückbindung in Bildung und das gesellschaftliche Verständnis von Nachhaltigkeit. Auch hier bedarf es institutioneller Innovationen. Erforschtes Wissen muss in die Ausbildung und Bildung rückgekoppelt werden. Das geschieht in Anfängen und auf Ebene von einzelnen Projekten bereits. Aber mit der Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitspolitik muss auch hier ein struktureller Schritt erfolgen. Zwei Anregungen sollen zeigen, in welche Richtung gedacht werden kann. Wie wäre es, wenn jährlich die Ergebnisse aus zwanzig der wichtigsten Forschungsvorhaben zur nachhaltigen Entwicklung mit den technischen Möglichkeiten des Internets aufbereitet und Schulen, Berufsschulen und Hochschulen als modularer Hilfestellung bei ihrem Bildungs- und Ausbildungsauftrag zur Verfügung gestellt würden? Das wäre ein neues Herangehen an die Forschungsstrategie und Wissensinfrastruktur. Die selektive Fokussierung würde Aufmerksamkeit schaffen. Integratives und transdisziplinäres Denken würde belohnt und als Innovation ginge diese über den Wissenschaftssektor hinaus. 6 Wie viele Visitenkarten es in Deutschland gibt, auf denen heute die Worte Nachhaltigkeitsmanager, nachhaltig, Nachhaltigkeit stehen, weiß niemand zu sagen. Vermutlich gar nicht so wenige. Und wie viele Menschen beschäftigen sich mit diesen Inhalten zu 70 Prozent ihrer Arbeitszeit, ohne dass der Begriff auf ihrer Visitenkarte steht? Viele Kreise von Aktiven und Sachverständigen bleiben unter sich. Das Gemeinsame kann so nicht zur Gemeinschaft wachsen. Kommunikation verbessern heißt daher, mit dem Inhalt des Begriffes Nachhaltigkeit sorgsam umzugehen, seinen Grundwert politisch aufzuwerten und Strukturen für das gesellschaftliche Gespräch neu zu denken. 7
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