Eiskalt an die Spitze - Nagel

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.05.2015, Nr. 108, S. 18
Eiskalt an die Spitze
Der größte deutsche Lebensmittellogistiker Nagel-Group baut sein Tiefkühlgeschäft aus.
Auch mit dem Online-Handel liebäugelt das Unternehmen.
bü. DÜSSELDORF, 10. Mai. So frostig geht es in wenigen anderen Unternehmen zu.
Minustemperaturen von 22 Grad sind in den Tiefkühllagern der Nagel-Group das Maß der
Dinge. Fünfzehn dieser gigantischen Eisschränke betreibt das Familienunternehmen aus
dem westfälischen Versmold allein in Deutschland, und wenn das Geschäft weiter so gut
läuft, werden wohl bald einige hinzukommen. "Tiefkühlware ist ein vergleichsweise kleines
Segment in der Lebensmittellogistik, aber es ist das mit den höchsten Wachstumsraten",
sagt Bernhard Heinrich, der Vorsitzende der Geschäftsführung. Ein Gang durch die
Supermärkte zeigt den Trend. Zu Hause wird immer weniger frisch zubereitet, dafür werden
die Gefriertheken mit Fertiggerichten stetig länger. Gleichzeitig wächst der Außer-HausVerzehr, und auch Restaurants, Kantinen, Bäckereien und Großküchen greifen verstärkt auf
tiefgekühlte Vorprodukte zurück. Zusätzlich profitieren die Lebensmitteltransporteure davon,
dass ein wachsender Teil der Ware über weite Strecken herangeschafft werden muss. "Die
Kohlrouladen werden dort gewickelt, wo die Löhne niedrig sind", beschreibt Heinrich die
Entwicklung.
Gerade vier Jahre ist es her, dass sich Nagel auf das neue Feld gewagt hat. Seitdem haben
sich die Westfalen neben den Platzhirschen Nordfrost aus dem friesischen Schortens und
der Münchener Transthermos als feste Größe im Markt etabliert. Soeben wurden 90 neue
Transporter mit Zwei-Kammer-Kühlsystemen bestellt, in denen neben Gefrierware auch
Frischprodukte transportiert werden können. Die Fahrzeuge sind nicht für die Langstrecke
bestimmt, sondern sie ergänzen die Zustellflotte für die Verteilung der Ware in
Ballungsräumen. Insgesamt sind mehr als 6000 Lastwagen für Nagel unterwegs - die
meisten davon mit Mehrkammersystemen für verschiedene Temperaturen. "So können wir
die Transporte von Lebensmitteln mit ganz unterschiedlichen Temperaturanforderungen
bündeln, was uns entscheidende Effizienzvorteile bringt", erläutert Heinrich.
"Eurocool" haben die Westfalen ihr Tiefkühlgeschäft getauft. Der Name ist Programm: Nach
dem erfolgreichen Start in Deutschland zieht es die Gruppe, die mehr als 11 000 Mitarbeiter
beschäftigt, nun auch in dieser Sparte verstärkt ins europäische Ausland: Als erster Anbieter
will sie ein flächendeckendes europäisches Netz für Tiefkühltransporte aufbauen. "Unsere
sechzehn Landesgesellschafen bieten dafür eine hervorragende Basis", sagt Heinrich, der
seit 2002 der Geschäftsführung angehört. An die Spitze des Unternehmens rückte er 2008,
als Kurt Nagel, der Sohn des Unternehmensgründers, im Alter von nur 46 Jahren starb.
Auch mit dem richtigen Blick für günstige Übernahmegelegenheiten hat Heinrich das
Unternehmen in den vergangenen Jahren rasch nach vorn gebracht. Im Moment gebe es
"ganz konkrete" Gespräche über weitere Verstärkungen in Deutschland; auch in Polen, den
Niederlanden, Österreich und in Italien kann er sich kleinere Zukäufe vorstellen. Mit einem
2014 um 100 Millionen auf 1,7 Milliarden Euro gestiegenen Gesamtumsatz ist die NagelGroup, die in diesem Jahr ihren 80. Geburtstag feiert, die Nummer eins unter den deutschen
Lebensmittellogistikern. Mit weitem Abstand folgt Dachser aus Kempten im Allgäu, ebenfalls
ein traditionsreiches Familienunternehmen.
Die beiden Konkurrenten gehen völlig unterschiedliche Wege. Während sich Nagel
ausschließlich auf Lebensmittel konzentriert, bedient Dachser zahlreiche andere Branchen
und baut zudem sein außereuropäisches Geschäft in großen Schritten aus. Der
Gesamtumsatz der Kemptener hat 2014 zum ersten Mal die Marke von 5 Milliarden Euro
überschritten, davon stammten knapp 700 Millionen Euro aus der Nahrungsmittellogistik.
Heinrich will dem alten Kontinent und dem angestammten Geschäft treu bleiben. "Bei einem
Marktvolumen von mindestens 25 Milliarden Euro haben wir auf absehbare Zeit genügend
Wachstumsmöglichkeiten", sagt er.
Anders als Dachser, das stärker auf die Zusammenarbeit mit selbständigen
Transportunternehmen setzt, hält er auch an der großen eigenen Fahrzeugflotte fest. Den
Bestand werde man möglicherweise sogar weiter ausbauen. Dass der Fuhrpark mit 4000
Trailern, wie die Anhänger im Branchenjargon heißen, und 1500 eigenen Zugmaschinen viel
Kapital bindet, nimmt Heinrich in Kauf. "Hohe Qualität und Flexibilität rechtfertigen diesen
Preis. Das eigene Equipment gehört zur Rezeptur unserer Logistik", sagt er.
Als zusätzliche Chance betrachtet Heinrich den Online-Handel mit Lebensmitteln. In einem
seit zwei Jahren laufenden Pilotversuch testet das Unternehmen zusammen mit dem
Hamburger Anbieter KommtEssen, wie sich die Haustürzustellung am besten organisieren
lässt. Etwa 50 Fahrzeuge sind dafür unterwegs. "Wir sammeln Erfahrungen, aber wir werden
sicherlich im Moment kein Zustellnetz aufbauen, um den Leuten das Essen nach Hause zu
bringen. Das können Paketdienste besser und preiswerter. Unsere Stärke liegt in den
vorgelagerten Prozessen", sagt Heinrich. Wer auch immer die Ware "auf der letzten Meile"
ausliefert, braucht gut erreichbare Zwischenlager und Logistikspezialisten, die für
regelmäßigen Nachschub sorgen, sich um die Kühlung verderblicher Lebensmittel kümmern
und gegebenenfalls die Pakete für die Endkunden zusammenstellen. Und darin sieht Nagel
die Kernkompetenzen eines Lebensmittellogistikers.
Im Moment tritt Heinrich beim Wachstum aber eher etwas auf die Bremse, anstatt die
Expansion weiter zu beschleunigen. "Bei den Aufträgen und den Kunden werden wir
wählerischer. Es gibt nicht immer die Preise, die wir uns vorstellen." Vorrang habe im
Moment eine höhere Rendite. Der Vorsteuergewinn hat sich 2014 nach dem schwierigen
Vorjahr zwar auf etwa 1 Prozent des Umsatzes erholt. "Unser Ziel ist eine Vorsteuerrendite
von 3 Prozent. Dafür kann es meinetwegen auch ein oder zwei Jahre länger dauern, bis wir
beim Umsatz die zweite Milliarde sehen", sagt der Logistiker.
Ende einer Dienstfahrt: Von der steigenden Nachfrage nach Tiefkühlware profitieren auch
Logistiker wie Nagel.
Foto Ullstein
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