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Der Postwachstumsatlas
Weniger wird mehr
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ATLAS der
DER
GLOBALISIERUNG
Weniger wird mehr
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Impressum
Infografik: Adolf Buitenhuis
Redaktion: Barbara Bauer, Dorothee d’Aprile, Sabine Jainski, Niels Kadritzke, Steffen Liebig, Petra Thorbrietz
Übersetzung: Niels Kadritzke, Steffen Liebig
Korrektur: Stefan Mahlke
Mitarbeit: Mathias Halbauer, Simone Hieber, Peter Rabe, Johanna Sittel
Umschlag, Gestaltung und Herstellung: Adolf Buitenhuis
Druck: möller druck, Ahrensfelde
Die deutsche Ausgabe von Le Monde diplomatique geht auf eine Initiative der taz-Genossenschaft im Jahr 1994 zurück.
Mehr über die Genossenschaft erfahren Sie unter: www.taz.de/genossenschaft
©2014 Le Monde diplomatique/taz Verlags- und Vertriebs GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Aufnahme in Online-Diensten und Internet und Vervielfältigung auf Datenträgern
wie CD-ROM, DVD usw. dürfen nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung des Verlages erfolgen.
Printed in Germany
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Postwachstum
Vorwort
D
ie anhaltende globale Wirtschafts- und Finanzkrise
böte Grund genug, die allgemeine Wachstumseuphorie in Skepsis umschlagen zu lassen. Doch
auch und gerade in Krisenzeiten gilt die Steigerung des Wirtschaftswachstums offenbar als Patentrezept für die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Probleme. Von Arbeitslosigkeit und Armut über die Verschuldung von Staaten
und Privathaushalten bis hin zum Wandel der Geschlechterverhältnisse und der Entwicklung neuer Technologien: Ohne
Wachstum lassen sich angeblich auf keinem dieser Felder
Fortschritte erzielen. In der Wachstumsfrage herrscht eine
erstaunlich große, parteien- und länderübergreifende Einigkeit. In Deutschland haben das die Slogans zur Europawahl im
Mai 2014 in aller Deutlichkeit gezeigt. Während die CDU mit
»Wachstum braucht Weitblick. Und einen stabilen Euro« warb,
plädierte die SPD für »Ein Europa des Wachstums. Nicht des
Stillstands«. Ohne Wachstum herrscht Stillstand – eine
Horrorvision, die nicht nur die Sozialdemokratie umtreibt.
Doch ist die ungebrochene Fixierung breiter Mehrheiten
auf Wachstum durchaus verständlich. Immerhin scheinen
wesentliche Einrichtungen unserer Gesellschaft, etwa der
Wohlfahrtsstaat mit seinen sozialen Sicherungssystemen, nur
unter der Voraussetzung einer wachsenden Wirtschaft zu
funktionieren. Staatliche (Sozial-)Politik hängt am Tropf des
Wachstums, für das auch ein Großteil der Bevölkerung seit
langem ein wohlverstandenes Eigeninteresse entwickelt hat.
Schließlich wissen wir alle, dass sich die Institutionen und
Lebensweisen in modernen Wettbewerbsgesellschaften nur
dynamisch, durch permanente Bewegung, stabilisieren
lassen: Wer stehen bleibt, fällt zurück. Und damit alles so
bleibt, wie es ist, oder zumindest nicht deutlich schlechter
wird, ist eben Wachstum erforderlich.
Spätestens die desaströsen Folgen der Krise in Griechenland, dessen Wirtschaftsleistung seit 2009 um mehr als ein
Viertel geschrumpft ist, haben der Welt vorgeführt, was es
heißt, wenn die negative Utopie einer Wachstumsgesellschaft,
die nicht mehr wächst, Wirklichkeit wird. Wo alles auf
Wachstum ausgelegt ist, sprich: im Kapitalismus mit seinen
Verwertungs- und Profitabilitätszwängen, führt ein rückläufiges oder ganz ausbleibendes Wachstum unausweichlich
zu ökonomischen Krisen und sozialen Konflikten.
Einerseits. Doch andererseits wird zunehmend offensichtlich: Ein bloßes »Weiter so« auf dem Weg des Wachstums
kann es nicht mehr lange geben. Die gesellschaftliche und
politische Fixierung auf immer neue Zuwachsraten blockiert
mitunter die Erkenntnis, dass 2 Prozent BIP-Wachstum im
Jahr 2014 eben nicht gleichbedeutend sind mit 2 Prozent
Wachstum vor einigen Jahrzehnten, als das globale BIPVolumen noch einen Bruchteil des heutigen ausmachte. In
absoluten Größen betrachtet, bestehen gewaltige Unterschiede zwischen den gleichen prozentualen Steigerungsraten
von heute und früher. Nur wenn wir uns diese Entwicklung
vergegenwärtigen, können wir ermessen, welch ungeheure
Mengen an Energie es kostet, wie viele Ressourcen verbraucht
und wie viel Arbeit verrichtet werden muss, um den globalen
Wachstumsmotor immer weiter in Gang zu halten.
Nicht nur die schwindenden Reserven fossiler Rohstoffe
und die Umweltschädlichkeit des herkömmlichen Wirtschaftens, sondern auch die im Mittel seit Jahrzehnten
rückläufigen Wachstumsraten der entwickelten Ökonomien
selbst lassen das Ende des Wachstums näher rücken. Hinzu
kommt, dass es die globalen Ungleichheiten nur noch
verschärft hat, aber davon hat sich das Wachstumsregime
noch nie irritieren lassen.
Dieser Problematik begegnet die Postwachstumsbewegung mit dem Grundgedanken: Auf einem begrenzten
Planeten kann es kein unbegrenztes Wachstum geben.
Die Frage laute also nicht, ob wir uns vom Wachstum verabschieden wollen, sondern, wie dieser Abschied vonstattengehen soll: geplant oder erzwungen, »by design« oder »by
desaster«. Was heute dringlicher denn je ansteht, ist folglich
ein grundlegender Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft
im Sinne einer Entkopplung der gesellschaftlichen Wohlfahrt
und des sozialen Fortschritts von den Zwängen der Kapitalakkumulation, damit ein selbstbestimmter und demokratischer Verzicht auf Wachstum stattfinden kann.
Doch das Gute Leben jenseits des Wachstums und die
Gesellschaftsform, die ein solches Leben ermöglicht, müssen
erst noch gefunden werden. Die Voraussetzungen für eine
derart umfassende gesellschaftliche Transformation mögen
zurzeit nicht besonders günstig erscheinen. Und doch zeigen
viele größere und kleinere, lokale und länderübergreifende
Initiativen, dass sich etwas bewegt. Und diesen Elan wird
nicht zuletzt die »Vierte Internationale Degrowth-Konferenz
für ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit«
beflügeln.
Mit dem vorliegenden Auszug aus dem nächsten, im
Frühsommer 2015 erscheinenden »Atlas der Globalisierung.
Weniger wird mehr« möchten Le Monde diplomatique und
das Jenaer Kolleg Postwachstumsgesellschaften einen Beitrag
zu dieser gesellschaftlichen Bewegung leisten. Präsentiert
werden Schlüsselthemen der aktuellen wachstumskritischen
Debatte, von der Analyse des Bestehenden über die
Darstellung wichtiger Einzelaspekte bis hin zum Ausblick
auf das Mögliche. Die ausgewählten Artikel geben einen
Einblick in die Bandbreite der Diskussion – und liefern einen
Vorgeschmack auf die deutlich umfangreichere Endfassung
des neuen »Atlas der Globalisierung«.
3
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Ein Rückblick auf den Wachstumsstaat
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann in Europa die Ära des Wohlstands
D
ie europäische Nachkriegsgeschichte ist eine
Geschichte des Wachstums: Jahrzehnte der mehr oder
weniger kontinuierlich zunehmenden wirtschaftlichen Wertschöpfung bedeuteten für die Menschen in Europa
zugleich auch die Erfahrung eines nie dagewesenen, von Jahr
zu Jahr steigenden Wohlstands. Dieser Wohlstand des langen
Nachkriegsbooms war nicht zuletzt deshalb gesellschaftshistorisch einmalig, weil breite Mehrheiten in den Genuss
einer ungeahnten Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse
kamen. Die Ära der europäischen Wachstumsgesellschaft
bedeutete für viele der vielen Millionen Menschen, deren Alltag durch die Abhängigkeiten und Unwägbarkeiten der Lohnarbeiterexistenz geprägt war, einen Quantensprung in ihrer
Lebensqualität und den kollektivbiografischen »Abschied von
der Proletarität«: Längerfristige Einkommenssicherheit,
akzeptable Wohnverhältnisse, erweiterte Bildungschancen
und umfassende Gesundheitsversorgung ließen aus Arbeitern
Bürger werden und ermöglichten auch den proletarischen
Milieus eine zwar immer noch ungleiche Teilhabe am
wachsenden Sozialprodukt, die aber mehr als nur basale
Bedürfnisse zufriedenstellte.
Dass es so kam und dem so war, ist maßgeblich der
Existenz nationaler Wohlfahrtsstaaten in Europa geschuldet.
Denn eine florierende Marktwirtschaft allein gewährleistet
noch keinen breiten gesellschaftlichen Genuss der Früchte
des Wachstums. Die Umverteilung der Wachstumsgewinne
auf viele oder jedenfalls deutlich mehr Köpfe – namentlich auf
die von Leuten, deren Arbeit die wirtschaftliche Wachstumsmaschine überhaupt erst befeuert und in Gang hält – bedarf
der Intervention eines marktexternen Akteurs: des Staats.
Die europäischen Nationalstaaten haben sich im
20. Jahrhundert – und in anderer politischer Verfasstheit
auch im staatssozialistischen Osten – zu Wohlfahrtsstaaten
entwickelt, zu Staaten also, die sich das Wohlergehen
tendenziell der Gesamtbevölkerung zur öffentlichen Aufgabe
machen. Durch Arbeitsschutz und Tarifrecht, Sozialversicherungen und soziale Infrastrukturen, Ausbildungsförderung und Familienpolitik und vieles andere mehr hat der
Wohlfahrtsstaat dazu beigetragen, dass die Lebenschancen in
der Wachstumsgesellschaft gleichmäßiger verteilt wurden.
Nicht dass wohlfahrtsstaatliche Eingriffe und Einrichtungen
nur den Schlechtestgestellten oder gar allen Leuten
gleichermaßen zugutegekommen wären: Gerade am
deutschen Beispiel lässt sich ablesen, wie auch die Arbeitgeberseite vom Sozialstaat profitiert (in Form etwa des
öffentlichen Bildungswesens), wie viele seiner Programme
gerade den Mittelschichten nützen (zum Beispiel bei der
Eigenheimförderung), wie geschlechterungerecht seine
Leistungen verteilt sind (man denke nur an die Altersrenten)
und wie konsequent er sich gegen etwaige Ansprüche nicht-
Drei Länder, fünf Wohlfahrtsindikatoren
SCHWEDEN
30 000
Bruttoinlandsprodukt (BIP)
Pro Kopf, in internationalen Dollar, 1990
40
25 000
35
20 000
30
15 000
25
10 000
20
5 000
15
Gini-Koeffizient*
DEUTSCHLAND
* Einkommensverteilung: 0 = volkommen gleich, 100 = maximal ungleich.
Angaben für Deutschland: bis 1990 alte Bundesländer.
SPANIEN
0
1950
4
1960
1970
1980
1990
2000
2010
10
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2010
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Postwachstum
1,4
Vertrauen in das Sozialsystem
in Prozent der Bevölkerung
1990
1999
2008
Leistungsfelder
in Prozent der Sozialaufwendungen
40,1
41,0
1991
SCHWEDEN
37,8
DEUTSCHLAND
DEUTSCHLAND
1,6
11,0
7,5
Krankheit und Invalidität
41,7
2000
2,8
10,9 4,2
SPANIEN
41,5
»Ich habe …
sehr viel Vertrauen …
viel Vertrauen …
40
8,7
8,4
kaum Vertrauen …
kein Vertrauen … in das Sozialsystem in meinem Land.«
2012*
Renten und Waisenrenten
Arbeitslosigkeit
Kinder und Ehe
Wohnen und Lebenshilfe
40,9
*Schätzung
Der gefühlte Sozialstaat
Sozialleistungen in Deutschland
deutscher Staatsbürgerinnen (mit abgesenkten Mindestleistungen für Asylbewerber) abzuschließen weiß. Und dennoch
– in Meinungsumfragen erweist sich der Wohlfahrtsstaat
immer wieder als eine äußerst beliebte Einrichtung.
Aus gutem Grund, denn der europäische Wohlfahrtsstaat
ist im Grunde seines Herzens ein »Wachstumsstaat« – und
ebendies ist auch die lebensweltliche Erfahrung mehrerer
Generationen europäischer Wohlfahrtsstaatsbürgerinnen
gewesen. Der Wohlfahrtsstaat übersetzt wirtschaftliches
Wachstum in gesellschaftliches Wohlergehen – und ist damit
zum Bezugspunkt unterschiedlichster Interessen geworden,
denen an seiner Aufrechterhaltung gelegen ist, von weitsichtigen Unternehmern über den durchschnittlichen
Mittelschichtshaushalt bis hin zu den Beziehern von
Sozialhilfeleistungen. Wer daher die mehr oder weniger
segensreichen Effekte des Wohlfahrtsstaats erhalten möchte,
der muss – zumindest auf den ersten Blick – zugleich auch
an der Fortführung des ihn speisenden (und zugleich von
ihm mit ermöglichten) Wachstumsregimes interessiert sein.
Wo Wohlfahrt auf Wachstum beruht, da bilden sich wie
selbstverständlich breite gesellschaftliche Koalitionen zum
Erhalt dieses Funktionszusammenhangs.
Eine Gesellschaft, die sich von Wachstumszwängen
emanzipieren wollte, müsste daher auch ihre politischen
Strukturen grundsätzlich infrage stellen. Dies freilich nicht
im Sinne der hinlänglich bekannten neoliberalen Staatskritik,
die radikale soziale Entsicherung gern als individuellen
Autonomiegewinn verkauft – und damit gerade diejenigen
Gruppen zu treffen sucht, die wohlfahrtsstaatliche
Unterstützung am nötigsten haben. Nein, von wohlfahrtsstaatlichen Privilegierungen Abschied nehmen müssten
die marktökonomisch Bessergestellten – die vermögensbesitzenden, steuerabschreibenden, Höchstrenten
beziehenden Milieus. Eine Postwachstumsgesellschaft wäre
eine Gesellschaft der radikalen materiellen Umverteilung,
und zwar nicht nur intern, sondern mehr noch nach außen,
im globalen Maßstab: nämlich zugunsten all derjenigen
Menschen auf der Welt, die jahrzehntelang das wirtschaftliche
Wachstum und den Wachstumswohlfahrtsstaat der
europäischen Wohlstandsgesellschaften überhaupt erst
möglich gemacht haben.
Stephan Lessenich
Sozialleistungen
in Prozent des BIPs
Bücher &c.
• Andreas Fischer-Lescano, Kolja Möller, Der Kampf um globale soziale Rechte. Zart wäre
das Gröbste, Berlin (Wagenbach; Lizenzausgabe Bundeszentrale für politische Bildung) 2012.
• Stephan Lessenich, Theorien des Sozialstaats zur Einführung, Hamburg (Junius) 2012.
• Werner Rätz, Horst Lüdtke, Sozialstaat oder: Globale Soziale Rechte?, Hamburg (VSA) 2009.
Lebenserwartung
bei der Geburt
Unterrichtsjahre
der volljährigen Bevölkerung
35
9,0
9,3
9,6 10,1 10,5 11,0 11,7 12,1 12,7 13,1 13,4
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010
30
25
9,6 10,0 10,5 10,9 11,4 11,8 12,0 12,0 12,1 12,1 12,2
20
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010
1960
1970
1980
1990
2000
2010
73,1
74,8
75,9
77,7
79,7
81,6
1960
1970
1980
1990
2000
2010
69,1
70,6
72,9
75,3
78,2
80,5
1960
1970
1980
1990
2000
2010
69,8
72,0
75,4
77,0
79,4
82,2
Angaben für Deutschland: bis einschließlich 1985 alte Bundesländer.
15
10
1980
4,7
1985
1990
1995
2000
2005
2010
4,8
5,0
5,3
5,7
6,2
6,7
7,4
8,1
9,0
9,4
1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010
5
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Sand, ein knappes Gut
Die Nachfrage aus der Bau-, Mineral- und Frackingindustrie erschöpft
die globalen Vorkommen und führt zu irreparablen Umweltschäden
W
as ist der meistgebrauchte Rohstoff der Erde? Die
Antwort mag überraschen und ist doch naheliegend: Sand und Kies. Diese Zuschlagstoffe, wie
sie in der Baubranche genannt werden, haben in puncto
Ressourcenverbrauch inzwischen sogar das Wasser überholt.
Die Menschen denken über Sand nicht viel nach, es sei denn,
sie planen gerade ihre nächsten Ferien am Meer. Und doch ist
dieser Rohstoff so dominant und allgegenwärtig wie kein
anderer. Sand wird nicht nur zur Herstellung von Glaswaren,
Fensterscheiben und natürlich Beton verwendet, er steckt
auch in Zahnpasta und Kreditkarten, in Mobiltelefonen,
Computern und anderen Geräten, die unsere hypervernetzten
Gesellschaften am Laufen halten.
Sand wird auf unterschiedliche Weise gewonnen, je nach
Verwendungszweck und abhängig von den Bedingungen am
Fundort. Erstaunlich ähnlich sind allerdings die Probleme,
die der Sandabbau in den entwickelten und den unterentwickelten Ländern gleichermaßen verursacht. Abgesehen
von den wenigen Einheimischen, die vom Sandabbau
unmittelbar profitieren, leistet die örtliche Bevölkerung an
vielen Stätten der Sandgewinnung Widerstand. In Ländern
ohne funktionierende Presse- und Meinungsfreiheit wird die
lokale Opposition jedoch häufig unterdrückt, und die
Regierungen lassen sich von mächtigen Eliten – Lokalpolitikern oder internationalen Großkonzernen – einschüchtern
und herumkommandieren.
Wie stark die Globalisierung das Leben der Menschen verändert hat, sehen wir nicht nur an der Kleidung, beim Essen
und bei der Sprache. Die globale Vereinheitlichung zeigt sich
auch in den rasant wachsenden Städten, in denen sich die
Wolkenkratzer und Glasfassaden immer mehr ausbreiten,
sowie im Ausbau der Infrastruktur, die die Bevölkerung
erwartet. So entstehen überall – ohne große Rücksicht auf
die geografischen und geologischen Bedingungen – Straßen,
Flughäfen, Brücken, Häfen, Parkplätze und Golfplätze.
Seit jeher gilt Sand – schon die Römer haben aus
gebranntem Kalk, Wasser, Bruchstein und Sand Beton
hergestellt, um damit Fundamente, Wasserleitungen und
Hafenmauern zu bauen – als Symbol für unendliche Mengen
(»wie Sand am Meer«). Doch nicht alle Sande sind wirtschaftlich nutzbar. Die Körnchen des Wüstensands sind zu rund und
zu glatt zum Bauen, und der von Meerwasser überspülte Sand
muss erst aufwendig aufbereitet und vollständig entsalzt
werden. Da aber der Sand aus Flussbetten und Kiesgruben
allmählich zur Neige geht, deckt die boomende Bauwirtschaft
ihren Bedarf auch zunehmend mit Meeressand.
Inzwischen ist also ausgerechnet der Sand vielerorts zu
einem knappen Gut geworden. Und seine Gewinnung ist
häufig umstritten, weil sie soziale und ökologische Probleme
verursacht. Ein Beispiel: An den Küsten Marokkos wird viel
Dünensand gewonnen, der in erster Linie für staatliche Bauund Entwicklungsprojekte gebraucht wird. Diese ungezügelte
Ohne Sand keine Straßen, Häuser und Büros
Gewinnung und Verwendung von Sand, Kies und Naturstein EU, 2011, in Prozent
2
10
2
KIES
HAUPTBODENARTEN
0,1
0,063
SCHLUFF
DEUTSCHLAND
41
Sand und Kies
aus Kiesgruben
Maßstab Sandkörner 10:1
0,01
0,001
6
SAND UND KIES
Die vier Hauptbodenarten
Ton, Schluff, Sand und Kies werden nach Korngröße eingeteilt.
Die chemische Zusammensetzung spielt keine Rolle.
Sand hat eine Korngröße zwischen 0,063 mm und 2 mm,
Kies zwischen 2 mm und 63 mm.
Als sogenannte Zuschlagstoffe sind Sand und Kies
wichtige Rohstoffe für die Herstellung von Beton.
20%
Gesamtproduktion
von Sand, Kies und
Naturstein in der EU (2011):
3 000 Mio. Tonnen
49
zerkleinertes Gestein
aus Steinbrüchen
10
20
Asphaltprodukte
Straßen, Landebahnen,
Eisenbahnen, Wasserwege
Schutt und Blockschutt
2
VERARBEITUNG
0
recyceltes Bau-, Abbruchund Aushubmaterial
2,0
GEWINNUNG
1
6
gemahlene Hochofenschlacken,
Flugasche
aus dem Meer oder aus Seen
3
gebaggerte Zuschlagstoffe
Schienenschotter
15
Infrastruktur
(Brücken, Häfen usw.),
Stabilisierung
von Offshoreanlagen
40
5
Schüttgut (Sand und Kies)
Sichtbeton
20
öffentliche Gebäude
15
Fertigbetonteile
20
Gewerbegebäude
25
Fertigbeton
25
Wohngebäude
ENDPRODUKT
Äquivalentdurchmesser
in mm (logarithmische Skala)
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Postwachstum
Singapur ist ein Inselstaat mit einer schnell wachsenden Bevölkerung. Der Raum ist knapp.
Seit den 1960er Jahren wird darum durch Aufschüttung im angrenzenden Meer Land
hinzugewonnen. Seit 1973 wurde die Landfläche mit 130 Quadratkilometern um mehr als
20 Prozent vergrößert.
MALAYSIA
160
Sand
in Mio. Tonnen
Import aus Indonesien
Export nach Singapur
140
120
100
80
Landfläche
SINGAPUR
1973
60
1989
40
2009
20
2013
5 km
INDONESIEN
0
1995
2000
2005
2010
Singapur ist mit Abstand der weltweit größte Importeur von Sand: über 517 Millionen Tonnen
seit 1989. Der wichtigste Lieferant ist das benachbarte Indonesien. Die Grafik zeigt
den großen Unterschied zwischen den offiziellen Handelsstatistiken der beiden Länder:
ein deutlicher Hinweis auf illegalen Sandhandel.
Landgewinnung in Singapur
Sandgewinnung ist jedoch eine ernste Gefahr für die
marokkanische Mittelmeerküste, weil sie den Meeresspiegel
ansteigen lässt. Manchen Prognosen zufolge wird schon
im Jahr 2050 rund die Hälfte aller Sandstrände im Nordosten
des Landes überspült sein.
In der Umgebung der zehn Kilometer vom Meer entfernt
liegenden Stadt Tetuan werden bis dahin – angesichts des
ökonomischen Entwicklungstempos und des vollständigen
Verzichts auf den Schutz von Dünen- und Strandflächen –
bereits mehr als 95 Prozent der Küstendünen zerstört sein.
In der gesamten marokkanischen Küstenregion wird der
Dünensand unkontrolliert für den Bau privater Strandvillen
genutzt, aber auch kommerziell abgebaut und verkauft. Die
durch den Tourismus angetriebene ökonomische
Entwicklung beschleunigt diesen Prozess: An den Küsten
verzehnfacht sich die Bevölkerung im Sommer allein durch
den Zustrom von Urlaubern. An vielen Stellen ist die
Dünenlandschaft, die als Speicher und Nachfüllreservoir für
die Sandstrände unentbehrlich ist und diese zugleich wie ein
Puffer vor Stürmen schützt, bereits unwiederbringlich
zerstört.
Trotz massiver Proteste geht nicht nur in Marokko die
rücksichtslose Sandgewinnung ungebremst weiter. In anderen
Regionen der Welt hat der vom Bauboom angeheizte
Sandabbau dazu geführt, dass Flussufer erodieren und
Grundwasserspiegel sinken, womit die Wasserversorgung
bedroht ist. Hinzu kommt, dass die Biodiversität leidet, dass
Ernten ausfallen und die Fischfangquoten zurückgehen. Und
wenn in vormals ruhigen Gegenden der Schwerverkehr
zunimmt, weil Lkws massenhaft Sand über kleine Straßen
transportieren, gehen Brücken, Abzugskanäle, Dorfstraßen
und ältere Gebäude kaputt.
In vielen Ländern ist aufgrund der großen Nachfrage eine
»Sandmafia« entstanden. Und die illegale Sandgewinnung hat
auch schon Spannungen zwischen Nachbarländern ausgelöst.
So arrondiert zum Beispiel Singapur seine Küstenzone
mithilfe von Sandmengen, die illegal in benachbarten Staaten
abgebaut wurden.
Sand dient auch als Ausgangsstoff für die Gewinnung
strategischer Mineralien, die für unser modernes Leben
unentbehrlich sind. Derivate solcher Mineralstoffe werden zur
Herstellung etlicher Produkte sowie in bestimmten
technischen Fertigungsprozessen gebraucht. Zum Beispiel
gehören Mineralsande für viele Länder zu den strategischen
Naturreserven. In manchen Fällen wird der Sand nach der
Extraktion der begehrten Mineralstoffe wieder an den
Abbauort zurückgebracht – anders als der Bausand, der
vollständig aufgebraucht wird. Aber auch bei Mineralsanden
hat schon der Abbau langfristige Folgewirkungen. Sie treffen
nicht nur die lokale Fauna und Flora, sondern führen auch
zu einer Absenkung des Grundwasserspiegels.
Zu den bekanntesten Abbaustätten gehört Stradbroke
Island im Nordosten Australiens. Die zweitgrößte Sandinsel
der Welt (die größte ist die nahe gelegene Fraser Island, die
Das 20. Jahrhundert: Bauen mit Stahlbeton
3 000
Gewinnung
in Mio. Tonnen
USA
zerkleinertes Gestein
Sand und Kies
2 500
2 000
1 500
1 000
1903
In Cincinatti, Ohio, wird
das Ingalls Building gebaut,
der erste Wolkenkratzer
aus Stahlbeton.
500
0
1900
1910
1920
1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2010
20
7
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Kopenhagen
Doggerbank
Roskilde
Kolding
Odense
Östliche Deutsche
Bucht
SJÆLLAND
Nyborg
DÄNEMARK
FYN
ALS
TASINGE
LOLLAND
Fehmarnbelt
RÜGEN
Stralsund
Ribnitz-Damgarten
Kiel
Borkum-Riffgrund
Rostock
Lübeck
Wismar
NIEDERLANDE
Küstenmeer (12 Seemeilen)
ausschließliche Wirtschaftszone
(AWZ, 200 Seemeilen)
für Sand- und Kiesgewinnung genehmigt
Norden
Wilhelmshaven
Adlergrund
Pommersche Bucht
Kadetrinne
FEHMARN
Cuxhaven
Rønne
Westliche
Rönnebank
FALSTER
Eckernförde
Nordsee
BORNHOLM
Ostsee
MØN
LANGELAND
ÆRØ
Flensburg
Sylter Außenriff
SCHWEDEN
Malmö
Trelleborg
Hamburg
Greifswald
Oderbank
USEDOM WOLLIN
DEUTSCHLAND
POLEN
Bremerhaven
FFH-Gebiete* Doggerbank: Sandbänke
Borkum-Riffgrund: Sandbänke, Riffe
Östliche Deutsche Bucht: Seetaucherarten, Rastvögel
Sylter Außenriff: Schweinswale, Sandbänke, Riffe
*europäische Schutzgebiete nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie
Adlergrund: Sandbänke, Riffe
Fehmarnbelt: Schweinswale, Sandbänke, Riffe
Kadetrinne: Riffe
Oderbank: Schweinswale, Sandbänke
Pommersche Bucht: Seetaucherarten, Rastvögel
Die Sandgewinnung in der deutschen Nord- und Ostsee findet überwiegend in geschützten Gebiete statt
zum Naturwelterbe gehört) liegt nur 40 Kilometer von
Brisbane entfernt und ist ein beliebtes Touristenziel.
Stradbroke Island ist großenteils Naturschutzgebiet und
besteht zur Hälfte aus Feuchtgebieten, die eigentlich durch
die Ramsar-Konvention geschützt sind. Hier liegen aber auch
die beiden größten Sandabbaugebiete der Welt, ausgebeutet
von Sibelco, einem belgischen Multi für mineralische
Rohstoffe, der im Jahr 2000 seine Tätigkeit in Australien und
Neuseeland aufgenommen hat.
Aus dem Sand von Stradbroke Island werden vor allem die
Mineralien Rutil, Zirkon und Ilmenit (Titaneisen), aber auch
Silika (Siliziumdioxid) gewonnen. Die Minen reichen bis in
einhundert Meter Tiefe und damit weit unter den
Grundwasserspiegel, graben also den angrenzenden
Rückläufiger Bedarf auf hohem Niveau
Nachfrage nach Sand und Kies
in Mio. Tonnen
8
2010
229
2009
236
2008
238
2007
252
2006
266
2005
252
2004
267
2003
286
2002
292
2001
313
2000
343
1999
369
1998
359
1997
375
1996
388
1995
415
DEUTSCHLAND
Feuchtgebieten buchstäblich das Wasser ab. Die Inselbewohner beklagen, dass die Regierung von Queensland die
Umweltschutzbestimmungen nie durchgesetzt hat. Die
Proteste der indigenen Bevölkerung haben in der Gegend eine
lange Tradition, doch der Druck der Industrie ist stärker.
Des Weiteren ist Sand für das Fracking unerlässlich. Bei
dieser umstrittenen Methode der Erdgasförderung wird ein
Chemikaliencocktail unter hohem Druck in tiefer liegende
Gesteinsschichten gepresst, zusammen mit gigantischen
Mengen von Sand und Wasserdampf. Dabei hat der Sand die
Funktion, die entstehenden Risse und Fugen auszufüllen,
damit die Gesteinsformation nicht zusammenbricht. Durch
die Sandkörner entstehen Abzugskanäle, über die das Gas in
die Bohrlöcher geleitet wird, durch die es dann abgesaugt
werden kann. Nur auf diese Weise lassen sich diese »unkonventionellen« Erdgasvorkommen kommerziell erschließen.
Der dafür eingesetzte Sand muss ganz bestimmte Eigenschaften haben (Quarzgehalt, Form der Sandkörner), über die
der Sand von Fluss- und Meeresufern allerdings nicht verfügt.
Fracking ist bekanntlich sehr unpopulär: Es kann lokale
Erdbeben auslösen, das Grundwasser mit Chemikalien
kontaminieren und damit die Lebensgrundlage der ländlichen Bevölkerung gefährden, aber auch soziale Konflikte
auslösen. Ähnliche ökologische und soziale Probleme drohen
in den Gegenden, wo der Fracking-Sand abgebaut wird. Etwa
wenn fruchtbare Bodenschichten abgetragen oder Sandsteinhügel zerstört werden, die als natürlicher Filter für das
Grundwasser dienen oder Wasseradern führen.
Wo das ökologische Gleichgewicht zerstört wird, ist die
Artenvielfalt gefährdet und langfristig sogar die lokale
Nahrungsmittelversorgung. Der beim Fracking freigesetzte
Quarzstaub erhöht das Lungenkrebsrisiko. Zudem müssen die
Anwohner mit einem Wertverlust ihrer Häuser und Grundstücke rechnen, sie müssen die grelle nächtliche Beleuchtung
und die Lärmbelästigung durch Lastwagen und Güterzüge
ertragen und darauf gefasst sein, dass ihre Häuser durch
atlas_prerelease_v15.qxp_prerelease-atlas-2015 14/08/14 16:50 Page 9
Postwachstum
Wassersport
DÜSSELDORF
Naturschutz
Naturschutz, Wassersport
Angeln
Angeln
Angeln
Angeln
Angeln, Naturschutz
Angeln Angeln
Angeln
Angeln, Naturschutz
keine Nutzung
keine Nutzung
RHEI
N
Explosionen erschüttert werden. Und sobald sie gegen all das
protestieren, müssen sie sich sagen lassen, dass die
Forderungen der Industrie Vorrang haben, weil damit Jobs
geschaffen und die nationale Energieversorgung gesichert
würden. Kein Wunder, dass die Fracking-Branche trotz der
geschilderten Risiken und Nebenwirkungen kontinuierliche
Zuwächse verzeichnet. Interessanterweise gehört der oben
erwähnten Sibelco Group auch die Unimin Corporation an,
eines der Großunternehmen, die in den USA Fracking-Sand
abbauen.
Sand entsteht als Resultat natürlicher Prozesse von einigen
Hunderten oder sogar Millionen Jahren Dauer. Folglich ist er
kein erneuerbarer Rohstoff, jedenfalls nicht nach menschlichen Zeitdimensionen. Da sowohl für die Bauindustrie als
auch für die Mineraliengewinnung und für das Fracking
gigantische Sandmengen gebraucht werden, finden die
Abbaumaßnahmen rund um die Uhr und ganzjährig statt.
So verschwinden Sanddünen oder Sandsteinhügel, die über
die Jahrtausende entstanden sind, innerhalb von wenigen
Jahrzehnten.
Sand ist ein »hegemonialer« Rohstoff, zu dem es
gegenwärtig praktisch keine Alternativen gibt. Auch fehlen
die Anreize zur Entwicklung solcher Alternativen, weil
ökonomisch nutzbarer Sand nach heutigen Marktpreisen
stark unterbewertet ist. Die wichtigsten Kostenfaktoren bei
der Sandgewinnung betreffen die Maschinen für den Abbau,
den Transport, die Löhne sowie Lizenzgebühren und
Pachtzahlungen für das genutzte Gelände (zumindest im Fall
legaler Gewinnung). Der Sand selbst kostet dagegen nichts –
er ist ein »high volume – low value«-Rohstoff (»große Menge –
geringer Wert«). Wenn er knapp wird, holt man ihn sich eben
woanders. Das Problem wird lediglich geografisch
verschoben. So läuft es überall – ob in den USA, Australien
oder Indien – ähnlich ab, wenn die lokalen Behörden von
Politikern und Interessenvertretern derart eingeschüchtert
werden, dass sie am Ende den unbegrenzten Sandabbau
zulassen – alles im Interesse von Wirtschaftswachstum,
nationaler Sicherheit, Fortschritt oder Arbeitsbeschaffung,
versteht sich.
Dabei tritt oft auch eine Art Umwelt-Rassismus zutage,
wenn etwa unterdrückte und enteignete Gruppen oder
indigene Gemeinschaften hinnehmen müssen, dass die
Sandproduzenten ihre Lebensgrundlage vernichten, ihre
Lebensqualität schädigen und ihr Ökosystem zerstören,
während sie selbst Gewinne machen und irgendwann wieder
verschwinden, um in einer anderen Gegend mehr und neuen
Sand abzubauen.
Hier ist allerdings anzumerken, dass nicht alle Sandarten
für alle Nutzungsformen geeignet sind. Denn Sand muss
häufig strenge Kriterien erfüllen – und dann wird das
Verhältnis von Angebot und Nachfrage in der Regel sehr
volatil. Insgesamt ist davon auszugehen, dass der Sandbedarf
aus den drei Bereichen Bau, Mineralindustrie und Fracking
in den nächsten Jahrzehnten stabil bleiben wird. Deshalb
werden derzeit auch vielerorts neue Sandquellen offshore,
also auf dem Meeresboden erschlossen. Diese Abbaumethode
ist extrem teuer, aber technisch möglich, ihre Auswirkungen
auf die Umwelt sind dagegen völlig unerforscht.
Nehmen wir das Beispiel Dubai. Hier sind die Vorkommen
an Meeressand erschöpft, das Emirat importiert seinen Bau-
DORMAGEN
Angeln
Wassersport
Angeln Angeln, Naturschutz, Wassersport
Angeln
Naturschutz
Angeln
Angeln
Angeln, Wassersport
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Wassersport Naturschutz
Angeln Angeln, Wassersport
2 km
LEVERKUSEN
Nutzung nach dem Abbau: In den meisten Baggerseen wird geangelt
sand derzeit aus Australien. Dabei hat der maßlose Abbau von
Meeressand das maritime Ökosystem stark geschädigt. Das
beeinträchtigt die Lebensgrundlage der Fischer, weil der Sand
am Meeresboden zugleich Substrat und Nährboden für die
Mikororganismen ist, von denen sich die größeren Fische
ernähren.
Für Sand gilt – wie für alle natürlichen Rohstoffe –, dass
wir seinen Wert für den Erhalt des gesamten Ökosystems in
Betracht ziehen müssen. Denn Sand erfüllt Funktionen, die
nicht ohne weiteres zu ersetzen sind, zum Beispiel für die
Nahrungsmittelsicherheit in Regionen, wo er als Puffer
zwischen den Landmassen und den Ozeanen dient und so
agrarische Anbaugebiete vor Sturmfluten schützt – und
angesichts des Klimawandels auch vor einem Ansteigen des
Meeresspiegels. In vielen Regionen wirkt der Sand als Filter
für Wasseradern, die für den Erhalt der Artenvielfalt so
unentbehrlich sind wie für die Nahrungsketten in der
ozeanischen und terrestrischen Biosphäre.
Immerhin gibt es schon vereinzelt Alternativen zum Sand
als Zuschlagstoff bei der Betonherstellung: etwa Schlacken,
die bei der Stahlproduktion anfallen, Flugasche, Steinbruchstaub oder aufbereiteter Bauschutt. Zudem laufen
Forschungen über Bautechniken, die ganz ohne Beton
auskommen. Alternativen gibt es auch für den Sand, der beim
Fracking zum Einsatz kommt, wie zum Beispiel Keramikperlen oder Bauxitpulver. Dass diese Stoffe heute noch nicht
verwendet werden, liegt allein daran, dass Sand praktisch
umsonst zu haben ist.
Kiran Pereira
Bücher &c.
• »Sand – Die neue Umweltzeitbombe. Der Kampf um eine unterschätzte Ressource«,
Regie: Denis Delestrac, Frankreich 2013.
• Michael Welland, Sand: A Journey Through Science and the Imagination, Oxford
(Oxford University Press) 2009.
• »Gasland«, Regie: Josh Fox, USA 2010 (Dokumentarfilm über Fracking).
9
atlas_prerelease_v15.qxp_prerelease-atlas-2015 14/08/14 16:51 Page 10
Der Fall Griechenland
Wenn Wachstumgesellschaften nicht mehr wachsen
und die Sparpolitik die Probleme nur verschlimmert
V
or der gegenwärtigen Krise erlebte Griechenland
deutschen. Die Herabstufungen der Ratingagenturen
zwischen 1995 und 2008 eine Phase kräftigen Wirtmachten es Griechenland zunehmend unmöglich, sich an den
schaftswachstums. Mit jährlichen Wachstumsraten
internationalen Finanzmärkten Geld zu leihen. Eine vom
von 3,7 Prozent, boomenden Finanz-, Dienstleistungs- und
Ministerpräsidenten angekündigte Volksabstimmung über
Immobilienmärkten sowie einer florierenden Tourismuseuropäische Finanzhilfen und die Euro-Mitgliedschaft wurde
und Schifffahrtsindustrie gehörte das Land zu den
auf Druck der EU und verschiedener griechischer Parteien
dynamischeren Volkswirtschaften Europas. Es handelte sich
abgesagt. Anschließend vereinbarten die griechische
allerdings um ein größtenteils finanzgetriebenes Wachstum.
Regierung und Vertreter der Troika aus EU-Kommission, EZB
Gemäß den damaligen Leitlinien der EZB gab es aufgrund
und IWF zwischen 2010 und 2014 mehrere »Rettungspakete«
niedriger Zinsen große Zuflüsse an Geld, das die Unter– der Preis dafür war eine drastische Sparpolitik und eine
nehmen für Investitionen im Importsektor oder in den
innere Abwertung.
Billiglohnländern des Balkans nutzten, statt die lokale
Es folgte eine Schocktherapie: Löhne, Gehälter und Renten
Produktion zu fördern. Umgekehrt erhielt die Regierung Geld wurden innerhalb von drei Jahren um 20 Prozent und mehr
aus Krediten und EU-Transferleistungen, um die Infrastruktur gesenkt, Tarifverträge teilweise aufgelöst, öffentliche
auszubauen und damit ausländische Investitionen anzuDienstleistungen abgebaut, Stellen gekürzt, der Kündigungslocken oder Großprojekte wie die Olympischen Sommerspiele schutz gelockert und frei werdende Stellen nicht wieder
2004 zu finanzieren, die zur wachsenden öffentlichen
besetzt. Außerdem wurden Kommunen zusammengelegt,
Verschuldung beitrugen. Während dieses »griechischen
Universitätsbereiche und weiterführende Schulen
Wirtschaftswunders« blieb das Problem chronisch knapper
geschlossen, Krankenhäuser verkleinert und die GesundheitsStaatseinnahmen jedoch bestehen und wurde durch
versorgung reduziert, wodurch viele Beschäftigte arbeitslos
Steuervergünstigungen für Unternehmen sowie ein löchriges
oder in den vorgezogenen Ruhestand gezwungen wurden.
Steuererhebungssystem sogar noch verschärft.
Stadtwerke, Häfen, Schienennetze, Flughäfen und verbliebene
Nachdem die US-Finanzkrise im Herbst 2008 ihren Höheöffentliche Unternehmen wurden zur Privatisierung
punkt erreicht hatte, wurden bald auch die Eurozone und
freigegeben. Der Mindestlohn wurde um 22 Prozent gesenkt,
Griechenland in einen Abwärtsstrudel gerissen – entgegen
für unter 25-Jährige sogar um 32 Prozent.
allen Versicherungen, dass die griechische Wirtschaft stabil
Von 2009 bis 2013 schrumpfte das BIP um mehr als 25 Prosei, da griechische Banken nur wenig faule Wertpapiere
zent. Der Binnenkonsum nahm dramatisch ab, zehntausende
hielten. Als dann die neue Regierung 2009 das Haushaltskleine und mittlere Unternehmen gingen insolvent. Im Januar
defizit von 6 auf 12,7 Prozent des BIPs korrigieren musste,
2013 kletterte die Arbeitslosenquote auf 27,1 Prozent, die
schossen die Refinanzierungszinsen für Staatsanleihen in
Jugendarbeitslosigkeit sogar auf 59,1 Prozent. Die Kosten für
die Höhe und lagen schließlich 8 Prozentpunkte über den
Heizöl stiegen um mehr als 35 Prozent, was zur vermehrten
Die Etappen des Niedergangs
2000–2009 Nach dem Beitritt zur Eurozone kann Griechenland seine Staatsschuldenquote
nicht so deutlich reduzieren, wie es die Maastricht-Verträge vorsehen.
Seit 2005 stieg die Quote an: von 100 auf 112,9 Prozent des BIPs.
Die neue Regierung Papandreou korrigiert das geschätzte Haushaltsdefizit für 2009 von
6,7 auf 12,8 Prozent des BIPs. Diese Zahl muss später auf 15,6 Prozent heraufgesetzt werden,
womit die Staatsschuldenquote Ende 2009 fast die 130-Prozent-Grenze erreicht. Ab Dezember
stufen Ratingagenturen die Bewertung griechischer Anleihen radikal zurück, und die Zinsen
für griechische Staatsanleihen steigen dramatisch.
Oktober 2009
Trotz eines Sparprogramms, das Gehaltskürzungen für Staatsbedienstete und erhöhte Mehrwertsteuern vorsieht, und trotz eines »Rettungsprogramms« der EU in Höhe von 30 Milliarden Euro
kann Griechenland die im Mai fällig werdenden Staatsanleihen nicht mehr bedienen. Papandreou
muss den Staat für insolvent erklären. Die Troika aus EU, EZB und IWF schnürt ein zweites »Rettungspaket« mit Krediten von 110 Milliarden Euro. Dafür muss der griechische Staat 30 Milliarden Euro
einsparen: durch weitere Gehalts- und Pensionskürzungen, Stellenstreichungen im öffentlichen
Sektor, neue Steuererhöhungen und eine Anhebung des Renteneintrittsalters.
Mai 2010
2009
2010
10
Durch die Sparmaßnahmen verschärft sich die Krise weiter. Sinkende Steuereinnahmen vergrößern
das Staatsdefizit, auf das die Troika mit einem dritten »Rettungsprogramm« in Höhe von 109 Milliarden
Euro reagiert. Die neuen Kredite (mit niedrigerem Zinssatz und längeren Laufzeiten) werden erstmals
über den neu geschaffenen Stabilisierungsmechanismus EFSF abgewickelt. Als »Gegenleistung« muss
Athen zusätzliche Sparmaßnahmen akzeptieren.
Juli 2011
Papandreou übersteht ein Vertrauensvotum im Parlament nur, indem er die Bildung eines November 2011
Technokratenkabinetts unter dem ehemaligen EZB-Vizepräsidenten Papadimos ankündigt.
Die neue Regierung wird erstmals von den beiden »Systemparteien« Pasok und ND gemeinsam getragen.
Das Kreditpaket der Troika wird auf 130 Milliarden Euro aufgestockt, dafür muss die Regierung Februar 2012
Papadimos mit einem vierten Sparprogramm »bezahlen«. Es enthält neben harten Einschnitten
im Gesundheits- und Sozialwesen (nun auch beim Arbeitslosengeld) weitere Gehalts- und Rentenkürzungen und erstmals auch radikale Lohneinbußen für den privaten Sektor (stark reduzierte
Mindestlöhne). Die Gesamtverschuldung steigt weiter an und erreicht die 150-Prozent-Marke,
auch aufgrund der sich vertiefenden Rezession. Der endgültige Staatsbankrott ist nur durch einen
Schuldenschnitt abzuwenden. Der »freiwillige« Forderungsverzicht der privaten Gläubiger
reduziert die griechische Staatsschuld um 107 Milliarden Euro.
2011
2012
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Postwachstum
Nutzung von Holz als Brennstoff und damit zu schweren
Luftverschmutzungen führte. Zwischen 2009 und 2011 stieg
die Obdachlosigkeit um 25 Prozent, die Selbstmordrate um
traurige 75 Prozent. Trotz Massenprotesten und Generalstreiks wurden weitere Sparmaßnahmen beschlossen.
Besonders besorgniserregend ist nicht zuletzt das Erstarken
der neonazistischen Partei Goldene Morgenröte, die sich
bei den Parlamentswahlen im Juni 2012 von zuvor vernachlässigbaren 0,3 Prozent auf fast 7 Prozent verbessern konnte.
Die gegenwärtige Krise in Griechenland lässt sich somit
auf drei miteinander verwobene Ursachen zurückführen:
erstens die globale Krisenanfälligkeit des finanzgetriebenen
Kapitalismus und die US-Finanzkrise 2008; zweitens die
europäischen Entscheidungsträger, die Griechenland zu
einer restriktiven Sparpolitik zwingen und keine Währungsabwertungen im Euroraum zulassen; und drittens die
hausgemachten Probleme, nämlich zu geringe Staatseinnahmen, die Steuerhinterziehung vieler Selbstständiger und
Unternehmer sowie der Maritim- und Finanzwirtschaft und
ein verbreiteter Klientelismus, der selektive Vorteilsnahme
ermöglichte und erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden
anrichtete.
Reformen sollen Griechenland aus der Krise manövrieren,
doch das Spardiktat der Troika hat nur zu noch mehr
Arbeitslosigkeit, sozialer Verwundbarkeit und einem
massiven Abbau öffentlicher Leistungen geführt, kurz: zu
einer Verstetigung von Rezession und Krise. Eine Rückkehr
zum alten Wachstumsmodell erscheint unwahrscheinlich,
und so stellt sich die Frage, wie moderne Gesellschaften auch
ohne hohes Wirtschaftswachstum stabilisiert werden können.
Der Fall Griechenland zeigt jedenfalls eindrücklich, welche
katastrophalen Folgen es hat, wenn unter den gegebenen
kapitalistischen Bedingungen Wachstum langfristig
ausbleibt.
Maria Markantonatou
Gesamtarbeitslosigkeit
Jugendarbeitslosigkeit
(15–24 Jahre)
DEUTSCHLAND
ITALIEN
21,3 6,7
40,0 12,2
2008
10,6 7,5
2013
7,9
2008
5,3
2013
IRLAND
13,3 6,4
2008
26,8 27,3
2013
GRIECHENLAND
SPANIEN
22,1 7,7
58,3 27,3
24,5 11,3
55,5 26,1
2013
2008
2013
2008
PORTUGAL
20,2 8,5
37,7 16,5
2008
2013
Südeuropas verlorene Generation
10
Bruttoinlandsprodukt (BIP)
in Prozent zum Vorjahr/Vorjahrsquartal (Griechenland)
DEUTSCHLAND
IRLAND
ITALIEN
PORTUGAL
SPANIEN
8
6
GRIECHENLAND
4
2
0
-2
-4
-6
-8
-10
2009
2010
2011
2012
2013
Die große Depression
Das größte Defizit
Bücher &c.
• www.nachdenkseiten.de (Beiträge von Niels Kadritzke)
• Stephan Kaufmann,»Schummel-Griechen machen unseren Euro kaputt«: Beliebte
Irrtümer in der Schuldenkrise, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Reihe »Luxemburg Argumente«,
Nr. 2, Berlin, März 2012, www.rosalux.de/publication/38265.
• Klaus Busch, Christoph Hermann, Karl Hinrichs, Thorsten Schulten, »Eurokrise,
Austeritätspolitik und das Europäische Sozialmodell: Wie die Krisenpolitik in Südeuropa
die soziale Dimension der EU bedroht«, in: Politikanalyse, Friedrich-Ebert-Stiftung,
November 2012, http://library.fes.de/pdf-files/id/ipa/09444.pdf.
Staatseinnahmen und Staatsausgaben
in Prozent des BIPs
Ausgaben
Einnahmen
2009
Überschreitung des im EU-Stabilitätspakt festgelegten
Haushaltsdefizits (3 Prozent).
EU-Mitgliedstaat
2013
34,5 48,2 35,9 42,9
Der ND-Vorsitzende Samaras bildet eine neue Regierung unter Beteiligung der Pasok
Juni 2012 und der Dimar (die im Juli 2013 die Koalition verlässt). Obwohl Samaras bis 2011 alle Sparprogramme der Troika bekämpft hat, bringt er im November ein fünftes Sparprogramm
durchs Parlament, das neue Einsparungen von 13,5 Milliarden Euro vorsieht.
IRLAND
45,2 48,3 44,7 44,7
DEUTSCHLAND
April 2013
Um die Freigabe weiterer Tranchen des »Rettungsprogramms« durch die Troika zu erreichen,
muss die Regierung Samaras ein sechstes Sparprogramm verabschieden. Es enthält zusätzlich
zu weiteren Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst eine neue Grundbesitzsteuer.
39,6 49,8 43,7 48,7
April 2014
Die Regierung Samaras verkündet einen Überschuss im Primärhaushalt (ohne Schuldendienst) und feiert die »Rückkehr« auf die Finanzmärkte, nachdem sie fünfjährige Staatsanleihen
zu einem Zinssatz von unter 5 Prozent absetzen konnte. Dieser »Erfolg« steht für die Überzeugung
der Anleger, dass Griechenland innerhalb der nächsten fünf Jahre keinen Staatsbankrott
zu befürchten hat. Er lässt allerdings die Gesamtverschuldung des Landes weiter ansteigen,
die Ende 2014 bei 177 Prozent des BIPs liegen wird. Die Realwirtschaft zeigt noch keine Anzeichen
der Erholung.
2013
2014
PORTUGAL
46,5 51,9 47,7 50,6
ITALIEN
35,1 46,2 37,8 44,8
SPANIEN
38,3 54,0 45,8 58,5
GRIECHENLAND
11
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Deutschland – der eingebildete Gesunde
Der Exportweltmeister profitiert von Lohndumping und Sozialabbau
E
ntgegen dem krisenhaften Trend in Europa gilt Deutschland als wirtschaftliches Erfolgsmodell – »Nehmt euch
an uns ein Beispiel«, scheinen die Bundesregierungen
jeglicher Couleur den anderen zuzurufen. Doch bei den
Angesprochenen hält sich die Begeisterung oft in Grenzen.
Warum?
Deutschland ist die größte Volkswirtschaft Europas, und
seine wirtschaftliche Entwicklung ist wichtig für die ganze
Währungsunion: Ist sie gut, kommt dies auch anderen
Ländern zugute. Gibt es aber Probleme, werden diese leicht
auch zu Problemen der Nachbarn. Rund 40 Prozent seines
Außenhandels wickelt Deutschland mit den Ländern der
Eurozone ab. Deshalb ist die gemeinsame Währung auch so
wichtig für die deutsche Wirtschaft: Wenn diese 40 Prozent
von Währungsschwankungen befreit sind, gibt das Planungssicherheit und mindert für die Exportunternehmen das Risiko
von Verlusten durch die Abwertung anderer Währungen.
Dass die deutsche Wirtschaft am Export hängt, ist nichts
Neues. Deutsche Industrieprodukte wie Autos und Maschinen
sind seit langem weltweit wegen ihrer Qualität gefragt. Dies
hat viel mit dem dualen deutschen Berufsbildungssystem zu
tun, mit dem Selbstbewusstsein qualifizierter Beschäftigter
und mit den Mitbestimmungsmöglichkeiten ihrer Interessenvertretungen. Neu ist etwas anderes: Kurz nach Einführung
des Euro hat die Politik den deutschen Arbeitsmarkt
umgekrempelt. Die im Zuge von Agenda 2010 und »HartzGesetzen« eingeführten »Arbeitsmarktreformen« öffneten
die Schleusen für einen Boom von Leiharbeit und Minijobs,
Arbeitssuchende wurden gezwungen, Jobs auch zu sehr
schlechten Bedingungen anzunehmen. Seit den 1990er Jahren
gehen die Mitgliederzahlen von Arbeitgeberverbänden und
Gewerkschaften zurück – das dadurch geschwächte Tarifvertragssystem verlor an Einfluss auf die Entwicklung der
tatsächlichen Einkommen. Es entstand ein großer
Niedriglohnsektor, der die durchschnittlichen Löhne nach
unten zog. Gleichzeitig wurden die hohen Einkommen und
Gewinne durch Steuerreformen erheblich entlastet.
So geschah etwas Ungewöhnliches in Deutschland, und
zwar nur dort: Bis kurz vor Ausbruch der weltweiten Finanzkrise sanken die durchschnittlichen Erwerbseinkommen,
obwohl die Wirtschaft wuchs, während sie im restlichen
Europa stiegen, wie es in Wachstumsphasen üblich ist. In
Frankreich zum Beispiel sind die Reallöhne etwa im selben
Tempo gestiegen wie die Arbeitsproduktivität, so dass die
Verteilung zwischen Löhnen und Gewinnen gleich blieb.
Spiegelbildlich dazu boomten in Deutschland die Gewinne.
Dies hatte zwei für die Europäische Währungsunion
verhängnisvolle Folgen. Erstens wurde der Binnenmarkt der
größten Volkswirtschaft fast in die Stagnation getrieben, so
dass er kaum noch zusätzliche Exporte aus anderen Euroländern aufnahm – während die deutschen Exporte in diese
Länder weiter kräftig zulegten. Die daraus erwachsenden
wirtschaftlichen Ungleichgewichte sind Sprengstoff für eine
Währungsunion, deren Konstrukteure keine Ausgleichsmechanismen, kein gemeinsames Steuersystem, keine
gemeinsame Wirtschaftspolitik, keine gegenseitige Unterstützung und auch keine Sozialunion wollen. Zweitens aber
gab es für die rapide wachsenden Gewinne auf dem
schwächelnden deutschen Binnenmarkt kaum lukrative
Anlagemöglichkeiten. Stattdessen flossen ungeheure
Summen in den boomenden US-Immobilienmarkt, aber auch
in die mit Schulden aufgepumpten Immobilienblasen der
Euroländer Irland und Spanien. So gab die Deregulierung des
deutschen Arbeitsmarkts nicht nur im In-, sondern auch im
Ausland Wachstumsmodellen Auftrieb, die aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht zukunftsfähig waren.
Die Überschüsse der Deutschen und die Defizite der anderen
300
Mehr Leistung, weniger Lohn
Außenhandelsbilanz
weltweit, in Mrd. US-Dollar
250
200
150
2000
DEUTSCHLAND
GRIECHENLAND
IRLAND
ITALIEN
PORTUGAL
SPANIEN
2012
DEUTSCHLAND
100
Produktivität
114
100
Tariflöhne
107
100
Effektivlöhne
98
100
50
0
-50
-100
-150
1996
12
2000
2005
2010
2013
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Postwachstum
Außenhandelsbilanz von Deutschland (
in Mrd. Euro
) mit den Ländern der Europäischen Währungsunion (
)
100
USA
POLEN
90
NIEDERLANDE
BELGIEN
80
71,0
70
88,4
50
75,6
40
GROSSBRITANNIEN
Exporte
2013, in Mrd. Euro
42,4
42,3
60
ÖSTERREICH
56,2
DEUTSCHLAND
53,3
47,3
30
20
ITALIEN
100,3
1. Januar 1999:
Euroeinführung
67,0
FRANKREICH
10
SCHWEIZ
0
CHINA
-10
1990
1995
2000
2005
2010
2013
Zwischen Euroeinführung und Eurokrise
Exporte in alle Welt
Die weltweite Finanzkrise brachte diese fragwürdige
Symbiose zum Einsturz. Seitdem nutzen die deutschen
Regierungen ihre Macht in Europa, um vor allem den
südeuropäischen Staaten die eigenen Rezepte aufzuzwingen.
Massive Kürzungen der Staatsausgaben, die Deregulierung
der Arbeitsmärkte und die Schwächung des öffentlichen
Sektors nach deutschem Vorbild werden als Medizin verabreicht, die die Patienten jedoch nur noch kränker macht.
Auch wenn die Wirtschaft jetzt teilweise wieder wächst – die
Millionen arbeitsloser und in Armut getriebener Menschen
bleiben als Flurschäden dieser Politik zurück. Großen Teilen
der jungen Generation in den am stärksten von der Krise
betroffenen Ländern wird die Zukunft verdüstert. Und mit
der Verschleuderung von staatlichem Eigentum sowie der
Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen vor allem im
Bildungs- und Gesundheitsbereich berauben die Regierungen
den Staat der Mittel, die für neue gesellschaftliche
Entwicklungschancen dringend benötigt werden.
Eine Gesundung der Eurozone erfordert radikale
Kurskorrekturen bei allen Hauptbeteiligten. Neue sozialökologische Entwicklungsmodelle werden nicht nur in
Südeuropa gebraucht, sondern auch in Deutschland.
Der deutsche Arbeitsmarkt muss neu reguliert werden,
um die soziale Ungleichheit zurückzudrängen. Die Politik
muss die Wirtschaft sowohl zwingen als auch anregen,
zum Motor der Energie- und Ressourcenwende zu werden.
Die deutsche Gesellschaft braucht große öffentliche
Investitionen vor allem im kommunalen Bereich, und sie
braucht einen Boom sozialer Dienstleistungen – von Kindertagesstätten bis zur Altenpflege. Das ist unabdingbar, nicht
zuletzt für die Gleichstellung der Geschlechter und die
Bewältigung des demografischen Wandels, aber es geht nicht
ohne große Steuerreformen, mit denen vor allem Kapitaleinkommen und Vermögen gesellschaftlich nutzbar gemacht
werden. Dies käme auch Deutschlands Partnerländern
zugute – wie ihnen zuvor durch verfehlte »Reformen« in
Deutschland geschadet wurde.
Steffen Lehndorff
Einkommensentwicklung vor und in der Krise
Bruttogewinnquote und Bruttolohnquote
in Prozent des BIPs
-6,2 DEUTSCHLAND
2,8
*deflationiert um den nationalen HVPI ESTLAND 75,0
(harmonisierter Verbraucherpreisindex)
-1,8
FRANKREICH 8,4
-1,1
GRIECHENLAND 13,4
-22,9
IRLAND 20,8
-4,1
ITALIEN 5,6
2001–2009,
-3,2
2001 = 100 Prozent
PORTUGAL 6,4
-6,7
2010–2013,
SPANIEN 10,7
2010 = 100 Prozent
-7,0
-20
-15
-10
-5
0
• Thomas Fricke, Wie viel Bank braucht der Mensch?, Frankfurt am Main (Westend) 2013.
• Steffen Lehndorff (Hg.), Spaltende Integration. Der Triumph gescheiterter Ideen
in Europa – revisited. Zehn Länderstudien, Hamburg (VSA) 2014.
• Thomas Sauer und Peter Wahl (Hg.), Welche Zukunft hat die EU? Eine Kontroverse,
Hamburg (VSA) 2013.
Gewinne auf Kosten der Löhne
Nominallöhne*
in Prozent
-25
Bücher &c.
5
0
Bruttolohnquote
10
DEUTSCHLAND
20
30
40
50
40
30
20
63,2
71,1
36,8
15
20
25
32,7
28,9
0
1995
70
80
Bruttogewinnquote
10
10
67,3 60
2000
2005
2010
2012
13
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Umweltfreundlich mehr verbrauchen
Wer ein Hybridauto hat, fährt mit gutem Gewissen mehr. Das nennt man den Rebound-Effekt
M
anche hoffen, ein »grünes Wachstum» könne
unseren materiellen Wohlstand immer weiter
mehren und zugleich helfen, wichtige Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und die Ökosysteme zu schützen
– durch eine »Effizienzrevolution«. Die Idee: Wenn unsere
Kraftwerke, Autos, Fernseher und Smartphones viel energieeffizienter laufen, darf das Volkseinkommen durchaus noch
weiter wachsen; der Naturverbrauch würde dann vom BIPWachstum entkoppelt und in absoluten Zahlen wie auch in
der Gesamtbilanz zurückgehen. Doch diese Hoffnung beruht
auf einem Irrtum: Effizienzsteigerungen bedeuten eben nicht
automatisch Einsparungen. Tatsächlich führen sie zu
Rebound-Effekten, die Produktion und Konsum erhöhen.
Jede Effizienzsteigerung löst Wachstumsimpulse aus,
sagen die Ökonomen. Folglich hat die enorm gestiegene
Arbeitsproduktivität – vom Ochsenpflug zur Hightech-Landwirtschaft – in der Entwicklung der kapitalistischen Industriegesellschaften nicht zu mehr Freizeit geführt, sondern vor
allem zu einem Wachstum der Wirtschaft und damit zu neuen
Jobs und Bedarfen. Dieser Zusammenhang gilt genauso für
die Verbesserung der Energieeffizienz. In den USA und sechs
Wärmebedarf
DEUTSCHLAND
Raumwärmebedarf
pro m2 Wohnfläche in kWh/Jahr
pro Kopf in kWh/Jahr
Wohnfläche
pro Kopf in m2
8 000 400
80
7 000 350
70
6 000 300
60
5 000 250
50
4 000 200
40
3 000 150
30
2 000 100
1 000
50
0
1960
14
20
Raumwärmebedarf pro Kopf
Raumwärmebedarf pro m2 Wohnfläche
Wohnfläche pro Kopf
1970
1980
1990
2000
2010
10
2020
0
2030
EU-Staaten wurde die Energieeffizienz zwischen 1970 und 1991
um rund 30 Prozent gesteigert – und im gleichen Zeitraum
wuchs der Energieverbrauch um 20 Prozent.
Zunächst gibt es finanzielle Rebound-Effekte: Effizientere
Technologien sparen häufig Geld ein, das man an anderer
Stelle für Konsum oder Investitionen ausgeben kann. Wenn
eine Autofahrerin von einem konventionellen Pkw mit einem
Spritverbrauch von sechs Liter pro 100 Kilometer auf ein DreiLiter-Auto umsteigt, zahlt sie fürs Benzin nur noch die Hälfte.
Sie kann für das gleiche Geld nun doppelt so weit fahren.
Genauso können Unternehmer durch Effizienzersparnisse
kostenneutral mehr produzieren, ja, oft müssen sie dies sogar
tun, um sich am Markt behaupten zu können. In beiden Fällen
hat die Verbesserung der Energieeffizienz keine Einsparung
von Energie zur Folge: Selbst wenn das Geld in wenig
energieintensive Dienstleistungen investiert wird, etwa in
Friseurbesuche oder Volkshochschulkurse, werden immer
noch gewisse Rebound-Effekte eintreten. Denn in modernen
Gesellschaften, die auf Massenproduktion und -konsum
basieren, werden dann die Friseure oder Lehrerinnen mehr
konsumieren.
Zweitens gibt es materielle Rebound-Effekte, da schon die
Herstellung effizienterer Geräte und Maschinen einen Teil
des Einsparpotenzials auffrisst. Um die tatsächliche Energiebilanz eines Elektroautos zu erstellen, reicht es nicht aus,
lediglich auf dessen Verbrauch zu schauen. Auch der Energieaufwand für den Aufbau neuer Produktionsstätten und
Stromtankstellen wird das Einsparpotenzial jedes einzelnen
E-Autos reduzieren. Derzeit entfallen durchschnittlich
20 Prozent des Energieverbrauchs eines Autos auf die Produktion und 80 Prozent auf die Nutzung. Werden mehr Quecksilber oder Leichtbauteile aus Aluminium in hocheffizienten
Fahrzeugen eingesetzt, wird der produktionsbedingte
Energieverbrauch steigen.
Drittens gibt es psychologische Rebound-Effekte:
Effizientere Produkte verändern nämlich nicht nur ihre
technischen, sondern auch ihre symbolischen Eigenschaften.
Eine Erhebung in Japan hat gezeigt, dass Autofahrer, die sich
einen ihrer Meinung nach ökologischen Pkw zugelegt hatten
(zum Beispiel ein Hybridauto), ein Jahr nach dessen Kauf gut
1,6-mal mehr Kilometer damit gefahren sind als zuvor mit
ihrem herkömmlichen Auto. Andere Studien legen nahe, dass
sich manche Verbraucher nach dem Konsum »ethischer»
Produkte berechtigt fühlen, an anderer Stelle »unethisch» zu
konsumieren.
atlas_prerelease_v15.qxp_prerelease-atlas-2015 14/08/18 16:52 Page 15
Postwachstum
Index
1960 = 100 Prozent
Kilometer pro Liter Kraftstoff 1960 100
2010 140
Kraftstoffverbrauch pro Fahrzeug 1960 100
2010 87
USA
Kilometer pro Fahrzeug 1960 100
2010 123
zugelassene Fahrzeuge 1960 100
2010 339
Gesamtkraftstoffverbrauch 1960 100
2010 294
Kraftstoffverbrauch
Schließlich lösen Energieeffizienzsteigerungen in der
gesamten Wirtschaft Wachstumsschübe aus. Die Summe aller
Rebound-Effekte eines solchen Wachstumsschubs bemisst
sich nach dem Verhältnis von Energienachfrage und Output;
mit anderen Worten, es hängt davon ab, wie energie- und
materialintensiv die zusätzlich hergestellten Güter und
Dienstleistungen sind. Der Summe all dieser Rebound-Effekte
wird langfristig – das legen etliche Analysen nahe –
mindestens 30 bis 50 Prozent des Einsparpotenzials von
Effizienzmaßnahmen aufzehren. Technologie- und
Innovationsoffensiven werden also allein nicht ausreichen,
um in den Industrieländern bis 2050 die Treibhausgasemissionen um 80 bis 90 Prozent zu verringern. Das Konzept des
»grünen Wachstums» greift zu kurz.
Deswegen sind aber die technischen und politischen
Maßnahmen zur Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz nicht alle schlecht. Im Gegenteil. Natürlich muss es
darum gehen, Energie und Materialien möglichst sparsam
einzusetzen. Es gibt keinen Grund, statt einer konsequenten
Dämmung von Häusern und Wohnungen die Wärme
weiterhin aus dem Fenster zu pusten. Aber Rebound-Effekte
zeigen, als »unerwünschte Nebenwirkungen» der Effizienzrevolution, die Wachstumsgrenzen des Systems auf. Erst wenn
die Wirtschaft aufhört zu wachsen, können Effizienzstrategien einen uneingeschränkt konstruktiven Beitrag zur
Nachhaltigkeit leisten.
Tilman Santarius
Der Preis des Lichts
Lichtmenge
in Billionen (10 12) Lumenstunden
Kosten für elektrische Beleuchtung
in Pfund (2000) pro Mio. Lumenstunden
30
1 500
Kosten
Menge
GROSSBRITANNIEN
20
1 000
10
500
0
1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
0
2000
Wachstum macht Effizienzgewinne zunichte
Index
1980 = 100
225
Bruttoinlandsprodukt (BIP)
Rohstoffausbeutung
Bevölkerung
Materialintensität*
200
175
150
125
Bücher &c.
• Jesse Jenkins, Ted Nordhaus, Michael Shellenberger, Energy Emergence. Rebound & Backfire
as Emergent Phenomena, Oakland (Breakthrough Institute) 2011.
• Reinhard Madlener, Blake Alcott, Herausforderungen für eine technisch-ökonomische
Entkoppelung von Naturverbrauch und Wirtschaftswachstum unter besonderer
Berücksichtigung der Systematisierung von Rebound-Effekten und Problemverschiebungen,
Berlin 2011.
• Tilman Santarius, Der Rebound-Effekt. Über die unerwünschten Folgen der erwünschten
Energieeffizienz, Wuppertal 2012. Download: www.santarius.de/967.
100
75
* Menge an Rohstoffen und Land, die zur Herstellung einer Ware gebraucht werden;
je effizienter die Produktion, desto niedriger der Wert.
50
1980
1985
1990
1995
2000
2005
15
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Gutes Leben statt Wachstum
Degrowth, Klimagerechtigkeit, Subsistenz – eine Einführung
in die Begriffe und Ansätze der Postwachstumsbewegung
P
ostwachstum. Degrowth. Décroissance. Das sind die
Schlagworte einer wachsenden europäischen Bewegung
von Aktivisten und Wissenschaftlerinnen, die das
vorherrschende Entwicklungsmodell des kontinuierlichen
kapitalistischen Wachstums kritisiert. Gesucht werden
Alternativen – welche unterschiedlichen Ansätze werden
diskutiert?
Die Kritik am Wirtschaftswachstum ist fast so alt wie das
Phänomen selbst. Eine neue Dimension bekam sie durch die
Wahrnehmung der Endlichkeit der Ressourcen auf diesem
Planeten. Der erste Bericht im Auftrag des Club of Rome von
1972 führte zu einer breiten gesellschaftlichen Diskussion
über »Die Grenzen des Wachstums«, die bis heute nicht
abgerissen ist. Der wichtigste neue Impuls im 21. Jahrhundert
kam von der Décroissance- oder Degrowth-Bewegung, die sich
in den vergangenen zehn Jahren von Frankreich über Spanien
und Italien in den angelsächsischen Raum ausgebreitet hat.
Auch in Deutschland wurde sie aufgegriffen. Die Forderung
nach »Décroissance«, was so viel heißt wie Ent-Wachstum oder
Wachstumsrücknahme, richtet sich nicht nur gegen die
Unendlichkeitsvorstellungen der neoklassischen Wachstumsökonomie. Sie kritisiert auch öko-keynesianische
Bestrebungen, die krisengeschüttelten Ökonomien durch
einen Green New Deal wieder auf Wachstumskurs zu bringen.
Kritik an grünem Wachstum
Im deutschsprachigen Raum entwickelte sich unter dem
Stichwort »Postwachstum« ein vielgestaltiges Feld von
Positionen zur sozialökologischen Transformation.
Gemeinsam ist ihnen, dass sie alle den Technikoptimismus
der 1990er Jahre kritisieren – die Vorstellung, dass durch
Ökotechnologien »grüne« Produktion und »grüner« Konsum
vom Umweltverbrauch entkoppelt und begrenzt werden
könnte. Ökologische Gerechtigkeit, so der Schluss, müsse
daher ein Ende des Wachstums im globalen Norden bedeuten.
Die zweite wesentliche Gemeinsamkeit liegt in dem
Versuch, konkrete Utopien als Alternativen zum Wachstumsdiktat zu entwerfen und diese mit widerständigen Praktiken
zu verbinden. Inspiriert von so unterschiedlichen Quellen wie
ökologischer Ökonomie, Kritik an Entwicklungspolitik und
Diskussionen zum Guten Leben, beschäftigen sich die
unterschiedlichen Ansätze mit der Frage, wie die sozialökologische Transformation in den hochindustrialisierten
Ländern aussehen könnte.
Dabei geht es ausdrücklich um die hochindustrialisierten
Länder des globalen Nordens, auch wenn soziale Bewegungen
aus dem Süden wichtige Bündnispartner sind (Diskussionen
zu Buen Vivir und Graswurzel-Umweltbewegung der Armen).
Rohstoff-, Ressourcen- und Landschaftsverbrauch sowie
Abfallaufkommen und Emissionen der reichen Länder sollen
auf ein Niveau gesenkt werden, das langfristig nachhaltig ist
und den Ländern des Südens gleichberechtigte Entwicklungsmöglichkeiten lässt.
Einfach und pauschal eine Schrumpfung des BIPs zu
verordnen, würde ökonomische Krisen auslösen – einen
rasanten Anstieg der Arbeitslosigkeit, Schulden, Armut und
einen generellen Rückgang der Lebensqualität. Beim Postwachstum geht es deshalb um mehr: um eine grundsätzliche
Drei Modelle für Kanada
300
Index
2005 = 100 Prozent
200
300
Modell 1: business as usual
200
100
0
2005
16
Index
2005 = 100 Prozent
Modell 2: ausbleibendes Wachstum
100
2015
2025
2035
0
2005
2015
2025
2035
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Postwachstum
Bruttoinlandsprodukt (BIP)
in Mrd. britischen Pfund, kumulativ
4 000
3 500
3 000
Prognose 1 (
) ist ein Business-as-usual-Modell und basiert
auf Angaben der Internationalen Energieagentur (IAE). Die zweite
Prognose (
) stammt vom britischen Tyndall Centre for
Climate Change Research und bildet ein Modell mit
Emissionsrechten für Treibhausgase ab. Das Ziel ist eine
kritische Schwelle von 550 ppm CO2 in der Atmosphäre nicht zu überschreiten. Beide Modelle
sind mit der Annahme berechnet, dass die
soziale Ungleichheit unverändert bleibt.
2 500
2 000
1 500
1 000
500
0
2010
2020
2030
2040
2050
Zwei Prognosen für Großbritannien
Umgestaltung der Gesellschaft. Es geht es um konkrete
Veränderungsprozesse in Ökonomie und Gesellschaft, die
sich an Bedürfnissen, dem Guten Leben und ökologischer
Nachhaltigkeit orientieren und die im Ergebnis zu einer
Stabilisierung oder Verringerung des BIPs führen. Dazu gibt
es drei Positionen, die sich teilweise überlappen:
• A-growth: Einige Wachstumskritikerinnen argumentieren,
dass es vollkommen unbedeutend sei, ob das BIP als Ergebnis
der notwendigen sozialökologischen Veränderungen weiter
wachse, stagniere oder schrumpfe. Um die kulturelle und
politische Ablehnung jeglicher Orientierung am BIP zu
betonen, sprechen sie in Anlehnung an A-theismus von
A-growth (Latouche).
• Steady State: Andere betonen, dass sich BIP-Wachstum und
Ressourcenverbrauch nie ganz entkoppeln ließen, und ziehen
daraus den Schluss, dass die Ökonomien des Nordens nicht
weiter wachsen dürften, sondern stabilisiert werden müssten,
wenn ökologische Ziele eingehalten werden sollen. Die
Wirtschaft müsse vom Wachstum unabhängig werden.
300
Index
2005 = 100 Prozent
Wachstumskritik in Deutschland –
ein umkämpftes Terrain
Im deutschsprachigen Raum wurde Wachstumskritik
besonders im Kontext der Weltwirtschaftskrise ab 2007 laut.
Neben einem zunehmenden Forschungsinteresse an
Universitäten lassen sich dabei fünf Ansätze mit unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Stoßrichtung unterscheiden:
1. konservative, 2. sozialreformerische, 3. suffizienzorientierte, 4. kapitalismuskritische und 5. feministische
Ansätze. Auch wenn sie nur teilweise Verbindungen zur
Décroissance haben, werden sie hier kurz dargestellt, da sie
die aktuellen wachstumskritischen Diskussionen prägen.
Charakteristisch für die Diskussion in Deutschland ist
erstens der starke Einfluss einer neoliberalen und
konservativen Richtung der Wachstumskritik, die vor allem
BIP pro Kopf
Treibhausgasemissionen
Armut
Arbeitslosigkeit
Staatsverschuldung
Modell 3: Degrowth
200
Der Ökonom Peter Victor berechnete mögliche Entwicklungswege für die
kanadische Wirtschaft. Das Business-as-Usual-Modell prognostiziert einen
Anstieg des CO2-Ausstoßes und der Armut. Wegen knapper Ressourcen ist es
eher unwahrscheinlich, verdeutlicht aber die negative Entwicklung, falls die
Politik nicht steuernd eingreift. Demgegenüber erlaubt das zweite Modell
einen Ausblick auf die desaströsen Folgen, falls unter gegebenen Bedingungen
kein (starkes) Wachstum generiert werden kann: fast alle übrigen Parameter
schießen in die Höhe. Im Degrowth-Modell wird wirtschaftliches Wachstum
zugunsten von Gutem Leben und sozialer Gerechtigkeit zurückgenommen,
umweltschädliche Emissionen und Verschuldung erreichen ein Minimum.
100
0
2005
• Degrowth: Eine dritte Position geht davon aus, dass im
globalen Norden ein zeitlich begrenzter Rückgang der
Wirtschaftsproduktion als Übergang zu einem niedrigeren,
global gerechten und ökologisch nachhaltigen Zustand
notwendig ist.
Da das Wirtschaftswachstum die Schlüsselrolle in
kapitalistischen Gesellschaften spielt, geht es in allen
Varianten um die Frage, wie die bestehenden ökonomischen
und gesellschaftlichen Institutionen davon unabhängig
werden können. Besonders einflussreich sind die Arbeiten des
französischen Ökonomen und Philosophen Serge Latouche.
Er charakterisiert den Wachstumsglauben als eine Religion,
von der es sich durch die »Dekolonialisierung der
Vorstellungswelt« zu befreien gelte. Im englischsprachigen
Raum sind vor allem die Arbeiten von Tim Jackson sehr
einflussreich, der erste makroökonomische Überlegungen zu
einer Wirtschaftspolitik jenseits des Wachstums angestellt
hat und darüber hinaus die Unmöglichkeit grünen
Wachstums und ein neues Verständnis von Wohlergehen
diskutiert. Einige Leitgedanken finden sich zudem in der
ökologischen, globalisierungskritischen und feministischen
Diskussion. Hieraus leiten sich Forderungen ab wie
»Deglobalisierung« von Produktion und Lebensweise, radikale
Arbeitszeitverkürzung sowie eine gerechte Verteilung
»produktiver« Arbeit und »reproduktiver« Sorgearbeit,
auch zwischen Männern und Frauen, außerdem Grundeinkommen, Maximaleinkommen und gemeingüterbasierte
Wirtschaftsdemokratie.
2015
2025
2035
17
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von dem CDU-Berater und Vordenker der neoliberalen
Rentenreform, Meinhard Miegel, propagiert wird. In Büchern,
Artikeln, Interviews und im Rahmen des von ihm gegründeten
Thinktanks »Denkwerk Zukunft« argumentiert er, »wir alle«
hätten über unsere Verhältnisse gelebt und müssten daher
den Gürtel enger schnallen. Die Schrumpfung der Wirtschaft
wird als unvermeidliches Schicksal moderner Industriegesellschaften gesehen, was Miegel zum einen ökologisch,
zum anderen auch mit Wachstumsgrenzen begründet, die
durch den demografischen Wandel, übersättigte Märkte und
einen überbordenden Sozialstaat entstanden sind.
Konservative Wachstumskritik plädiert dafür, den Sozialstaat
durch freiwilliges Engagement, eine Kultur der Almosen und
vornehmlich weibliche Familienarbeit zu ersetzen.
Wachstumskritik wird auf diesem Wege zum Rechtfertigungsinstrument und Hebel von Sozialabbau, Privatisierung, einem
Rollback der Geschlechterverhältnisse und Sparzwang.
Ein zweiter, den Umweltverbänden nahestehender Ansatz
ist die sozialreformerische und liberale Wachstumskritik,
die vor allem die Ökonominnen Angelika Zahrnt und
Irmi Seidl stark gemacht haben. Er geht davon aus, dass die
politische Fixierung auf das Wirtschaftswachstum ökologisch
und moralisch falsch sei. Als wesentliche Triebkräfte für
Wirtschaftswachstum werden wachstumsabhängige
gesellschaftliche und ökonomische Institutionen sowie
politische Parteien ausgemacht. Die Ökonominnen fordern
ein Ende dieser Wachstumspolitik, eine Reduzierung des
Energie- und Ressourcenverbrauchs entsprechend den
Nachhaltigkeitszielen und – das macht den Kern ihres
Ansatzes aus – den Umbau bislang noch wachstumsabhängiger und -treibender Bereiche, Institutionen und
Strukturen. Ob das Ergebnis weiteres Wirtschaftswachstum
oder eine Abnahme von Produktion und Konsum ist,
bleibt offen. Wachstumskritik ist hier strukturkonservativ
gedacht: Es geht nicht um eine grundlegende Transformation,
die umfassend gesellschaftliche Probleme in den Blick
nimmt, sondern darum, Institutionen wie Alterssicherungssysteme, Gesundheitsversorgung, Bildung, Arbeit, Steuern,
Finanzmärkte und Staatsfinanzen umzubauen – sofern
sie vom Wachstum abhängig sind.
Postwachstum: Denkschulen und ihre Köpfe
Konservativ
Diagnose Wachstum kommt an natürliche und soziale Grenzen,
Sozialreformerisch
Auf BIP-Wachstum fixierte Politik führt in die ökologische Krise
weil Bürger und Staat »über ihre Verhältnisse leben«
Wachstumstreiber Konsum, Sozialstaatsausgaben, Verschuldung, Gier, Dekadenz
Notwendige Schritte Wertewandel und Verzicht, Entlastung der Sozialsysteme
Instrumente Abbau des Sozialstaates, mehr »Eigenverantwortung«,
Spenden statt Umverteilen, Stärkung von Familie und
patriarchaler Arbeitsteilung
Ziel Unvermeidliche Schrumpfung
Akteure des Wandels Konsumenten und Politikerinnen
Initiatorinnen Meinhard Miegel, Kurt Biedenkopf, Denkwerk Zukunft
Zum Weiterlesen • Meinhard Miegel, Exit: Wohlstand ohne Wachstum,
Berlin (List) 2010
• www.denkwerkzukunft.de
18
Alle wachstumsabhängigen Wirtschaftsbereiche, Institutionen
und Strukturen
Loslösung der bestehenden Institutionen (soziale Sicherungssysteme etc.) vom Wachstum, nachhaltiger Liberalismus
Ökosteuer, Suffizienzpolitik, solidarische Bürgerversicherung,
nachhaltiger Konsum, Entwicklung alternativer Wohlstandsindikatoren
A-growth, Befreiung vom Wachstumsdogma
Politiker und Zivilgesellschaft
Angelika Zahrnt, Irmi Seidl, Umweltverbände, Teile der EKD
• Irmi Seidl, Angelika Zahrnt, Postwachstumsgesellschaft,
Marburg (Metropolis) 2010
• Uwe Scheidewind, Angelika Zahrnt, Damit gutes Leben
einfacher wird, München (oekom) 2013
• www.postwachstum.de
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Postwachstum
Da Wachstumskritik hier als nachhaltiger Liberalismus
gedacht wird, sind ökologische Steuern (zum Beispiel auf
den umweltschädlichen Ressourcenverbrauch) ein
wichtiges Veränderungsinstrument. Aufbauend auf diesem
Ansatz haben Angelika Zahrnt und der Präsident des
Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Uwe
Schneidewind, Vorschläge für eine solche »Suffizienzpolitik«
gemacht, die weniger verbrauchende Lebensstile erleichtern
soll.
Sowohl die konservative Wachstumskritik à la Miegel
als auch die sozialreformerischen Ansätze von Seidl ⁄ Zahrnt
zielen nicht auf einen bewusst herbeigeführten Rückgang
der Wirtschaftsaktivität mit dem Ziel des Guten Lebens ab.
Während die erste Position Schrumpfung als unvermeidliches
Schicksal sieht, weicht die zweite der Frage aus, ob eine
Entkopplung möglich ist.
Globale Gerechtigkeit und Subsistenz
Zwei weitere Strömungen sehen dies anders: Sie halten eine
grundlegende Abkehr vom Wachstum für unumgänglich und
erstrebenswert, wenn ökologische Ziele ernst genommen
werden und globale Klimagerechtigkeit kein Luftschloss
bleiben soll. Der Oldenburger Ökonom Niko Paech hat ein
konkretes Modell einer Postwachstumsökonomie vorgelegt:
Ausgehend von dem Postulat, alle sieben Milliarden
Menschen der Erde hätten das gleiche Anrecht auf
Umweltraum (das heißt beispielsweise 2,7 Tonnen CO2Ausstoß pro Person und Jahr), macht Paech zwei Wachstumstreiber aus: auf der individuellen Ebene Konsumentinnen, die
überproportional viel Umweltraum in Anspruch nehmen (für
Wohnen, Essen, Autofahren, technische Geräte et cetera), auf
der ökonomischen Ebene die Fremdversorgung und
Arbeitsteilung in globalisierten Märkten, die über lange
Wertschöpfungsketten Wachstum erzwingen, oft noch
verstärkt durch Zinsen. Darauf aufbauend stützt sich Paechs
Postwachstumsökonomie auf zwei Grundpfeiler: eine
individuelle Strategie der Suffizienz, kombiniert mit einem
radikalen Rückgang der Fremdversorgung zugunsten
regionaler und lokaler Ökonomien, Selbstversorgung und
Eigenproduktion. Die wichtigsten Akteure des Wandels sind
Suffizienzorientiert
Kapitalismuskritisch
Feministisch
Jegliches Wachstum vernutzt Ressourcen:
Entkopplung von Verbrauch und BIP ist unmöglich,
Überkonsum im Norden geht zulasten des
globalen Südens
Kapitalistisches Wachstum verursacht multiple
Krisen, »imperiale Lebensweise« (Brand)
im Norden geht zulasten des globalen Südens
(Klimaschuld)
Wachstumsökonomie führt zu Ausbeutung
und Verelendung der Subsistenz (Hausarbeit,
globaler Süden, Natur) und gefährdet
die Reproduktion
Konsum, Fixierung auf Fremdversorgung, Zins
Das kapitalistische System, seine Eigentumsund Herrschaftsverhältnisse, Privatisierungen
Die kapitalistische Akkumulation, die Trennung
zwischen Produktion und unbezahlter, entwerteter,
zumeist weiblicher Reproduktion
Suffizienz und Konsumverzicht, weniger
Fremdversorgung, mehr lokalisierte (Selbst-)
Versorgung
Commons, solidarische Ökonomie,
Klimagerechtigkeit, mehr demokratische
Elemente in Wirtschaft und Staat
Entkommerzialisierung, Verteidigung der Allmende,
Aufbau nichthierarchischer, lokaler Strukturen
Ausbau von Subsistenz- und Regionalwirtschaft,
Umverteilung der Arbeitszeit,
Geld- und Bodenreform
Modellprojekte, Wirtschaftsdemokratie
und Investitionslenkung, Arbeitszeitverkürzung,
Grund- und Maximaleinkommen, staatliche
Regulierungen
Wiederaneignung der Allmende, Förderung von
kleinbäuerlicher Landwirtschaft, lokaler Ökonomie
und nichtmonetärer Subsistenz
Degrowth
Degrowth
Degrowth, gendergerecht
Prosumentinnen, alternative Wirtschaftsprojekte
wie Transition Towns, Gemeinschaftsgärten etc.
Soziale Bewegungen, Klimacamps,
Gewerkschaften, Projekte alternativen
Wirtschaftens
Soziale Bewegungen gegen Privatisierung und für
Commons, kleinbäuerliche Subsistenzbetriebe
Niko Paech, VÖÖ, Netzwerk Wachstumswende
Attac, Social Innovation,
Initiative Ökosozialismus
Bielefelder Schule
• Niko Paech, Befreiung vom Überfluss,
München (oekom) 2012
• www.postwachstumsoekonomie.org
• Werner Rätz u. a., Ausgewachsen,
Hamburg (VSA) 2010
• Matthias Schmelzer, Alexis Passadakis,
Postwachstum, Hamburg (VSA) 2010
• www.postwachstum.net
• www.social-innovation.org
• www.oekosozialismus.net
• Veronika Bennholdt-Thomsen u. a.,
Das Subsistenzhandbuch, Wien (Promedia) 1999
• Veronika Bennholdt-Thomsen, Geld oder Leben,
München (oekom) 2010
• Netzwerk Vorsorgendes Wirtschaften,
Wege Vorsorgenden Wirtschaftens, Marburg
(Metropolis) 2012
19
PRODUKTE
VERTRIEB
DIENSTLEISTUNGEN
PADERBORN
1 250 km2
300 000 Einwohner
LAND
REGION
KREIS
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NORDRHEIN-WESTFALEN
34 000 km2
17,5 Mio. Einwohner
Grundnahrungsmittel für den lokalen Verbrauch
Agrarprodukte für den Export
Wohnungsbau
Erneuerbare Energie: Kleinanlagen
Energieeffizienz, Wohnungssanierung
Baustoffe
Verarbeitete Lebensmittel
Möbel
Werkzeuge
Erneuerbare Energie (Wind, Wasser, Sonne)
Frische Nahrungsmittel
Artikel des täglichen Bedarfs
Lebensmittel
Kleidung
Autos
Haushaltsgeräte
Saatgut
Schulen
Hausarzt
Hausinstandhaltung
Restaurants
Hotels
Abfallrecycling
Produktion und Distribution im Raum: Small is beautiful
dabei »Prosumentinnen«, also Personen, die nicht nur weniger
konsumieren, sondern auch gemeinsam zum Beispiel in
Reparaturwerkstätten die Lebensdauer vorhandener Produkte
verlängern, Formen von Eigenproduktion entwickeln (Urban
Gardening) und so Lokalisierung und Entkommerzialisierung
praktisch vorantreiben.
DEUTSCHLAND
357 000 km 2
81 Mio. Einwohner
Kleidung, Textilien
Kleingeräte und Bauteile
Elektronische Geräte
Stahl
Öl, Gas, Kohle
Öffentliches Bauwesen
Fahrräder
Massengüter, z. B. Getreide
Industriemaschinen
Versicherungen
Eisenbahn
Medien
Telekommunikation
Banken
Stromversorgung
Universitäten
Krankenhäuser
Öffentliches Gesundheitswesen
Sicherheit
Sparkassen
Busse
Theater, Kino
Wasserversorgung
Ein vierter Ansatz betont die umfassenden gesellschaftlichen Veränderungen, die eine sozialökologische
Transformation beinhaltet. Als Ursachen der multiplen
Krisen werden kapitalistischer Wachstumszwang und die
zunehmende Vermarktung und Privatisierung von
Lebensbereichen gesehen. Daher streben sie ein Zurück-
Die globalen Indikatoren zeigen: So kann es nicht weitergehen
Belastungsgrenze des Planeten
Klimawandel Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Atmosphäre, in ppm (Teile pro Million)
350
280
387
Artensterben Anzahl der ausgestorbenen Arten, pro Million und Jahr
0,1–1
10
>100
35
121
Vorindustrieller Wert
Stickstoffkreislauf Der Atmosphäre entzogene Stickstoffmenge, in Mio. Tonnen pro Jahr
0
Phosphorkreislauf Phosphorzufluss in die Meere, in Mio. Tonnen pro Jahr
-1
11
8,5–9,5
Verlust der Ozonschicht Ozonkonzentration, in DB (Dobson-Einheit)
290
283
276
Übersäuerung der Meere Mittlerer Sättigungsgrad von Aragonit an der Meeresoberfläche, in Prozent
3,44
415
2,90
Süßwasserverbrauch Süßwasserverbrauch der Weltbevölkerung, in km3 pro Jahr
2 600
Flächenverbrauch Landwirtschaftliche Flächennutzung, in Prozent der Gesamtfläche
5
2,75
4 000
11,7
15
Atmosphärische Aerosole Noch nicht quantifiziert
Verschmutzung durch Chemikalien z. B. durch langlebige organische Schadstoffe, Schwermetalle oder Atommüll,
noch nicht quantifiziert
20
Aktueller Wert
atlas_prerelease_v15.qxp_prerelease-atlas-2015 14/08/14 16:53 Page 21
Öl, Gas
tumsökonomie sind Gemeingüter und Commoning, die
Stärkung von Projekten der solidarischen Ökonomie, eine
radikale Arbeitszeitverkürzung sowie Grund- und Maximaleinkommen. Zentrale Akteure sind soziale Bewegungen und
Menschen, die sich in Alternativprojekten engagieren. Mit
etwas anderer Stoßrichtung setzen Diskussionen um
Ökosozialismus auf die Überwindung von Kapitalismus und
Industriegesellschaft durch planwirtschaftliche Schrumpfung
und die Verstaatlichung der Produktionsmittel.
Der fünfte Ansatz ist die feministische Ökonomie,
insbesondere die Subsistenzperspektive. Sie wurde zwar nicht
explizit als Beitrag zur Postwachstumsdiskussion konzipiert,
ist aber eine wichtige Inspirationsquelle. Die sozialen und
ökologischen Krisen erklären ihre Vertreter aus der
patriarchalen, kapitalistischen Ausbeutung von (weiblicher)
Reproduktionsarbeit, der Natur und den (postkolonialen)
Ökonomien des globalen Südens. Vor allem die lange
Tradition der Kritik am BIP hat deutlich gemacht, wie
umfassend das Wachstumsparadigma nichtmarktförmige
Arbeit (zum Beispiel Kindererziehung, Pflege) entwertet. Im
Gegensatz dazu zielen feministische Perspektiven darauf ab,
diese Tätigkeiten, die zugleich die Basis für die Gesellschaft
und das Leben überhaupt darstellen, in den Mittelpunkt zu
rücken. Zentrale Prinzipien sind dabei Vorsorge, Kooperation
und Orientierung am für das Gute Leben Notwendigen.
Luftfahrt
Schifffahrt
Widerstreitende Visionen
WELT
KONTINENT
Postwachstum
EUROPA
10,2 Mio. km2
740 Mio. Einwohner
DIE WELT
149 Mio. km 2
7,16 Mrd. Einwohner
Fahrzeuge
Elektronische Systeme
Kleinflugzeuge
Schiffe
Mikrochips
Arzneimittel
Großflugzeuge
Der Entwurf der New Economic Foundation (NEF) verdeutlicht,
in welchem Maße Güter regional produziert werden können.
Obwohl viele Vertreterinnen einer Postwachstumsökonomie noch
stärker lokalisieren möchten, ist der Unterschied zur heute
vorherrschenden globalisierten Produktionsweise eindrücklich.
drängen von Marktmechanismen, die Vergesellschaftung
zentraler Wirtschaftsbereiche und den Abbau von
Machtverhältnissen an. Betont wird in Abgrenzung zu den
vorher genannten Positionen, dass die soziale und die
ökologische Frage nicht gegeneinander ausgespielt werden
dürfen. Wichtige Bausteine einer solidarischen Postwachs-
Macht Verzicht glücklich?
Was meinen Sie, muss die Wirtschaft immer weiter wachsen?
Haupt-/Volksschule
22
31
67
76
DEUTSCHLAND
Mittlere Reife
Ost
18
24
74
79
Abitur
ja
49
West
34
49
64
nein
International wurde die Postwachstumsbewegung stark durch
die drei großen Degrowth-Konferenzen 2008 in Paris, 2010 in
Barcelona und 2012 in Venedig vorangebracht, auf denen
Aktivistinnen und Wissenschaftler an der Entwicklung
gemeinsamer Positionen gearbeitet haben. Dass dieser
kontinuierliche Arbeitsprozess mit der »Vierten Internationalen Degrowth-Konferenz für ökologische Nachhaltigkeit
und soziale Gerechtigkeit« im September 2014 nach Leipzig
kommt, veranschaulicht, dass die Postwachstumsdebatte
auch im deutschsprachigen Raum angekommen ist. Dennoch
bleibt Wachstumskritik ein umkämpftes Terrain mit sich teils
stark widersprechenden Visionen; auch wenn wachstumskritische Perspektiven von vielen Gruppierungen der
deutschen Umweltbewegung aufgegriffen wurden, ist kaum
zu erkennen, welche gesellschaftlichen Akteure eine so
grundsätzliche Veränderung herbeiführen können. Trotzdem
bilden die dabei entstehenden Praktiken, zusammen mit
etablierten Gruppen wie den Transition-Towns, Projekten der
solidarischen Ökonomie und Klimaaktivistinnen eine
wichtige Grundlage für die Entstehung einer Postwachstumsbewegung. Es bleibt zu hoffen, dass die Postwachstumsperspektiven stärker als bisher an aktuellen Konflikten wie
den Flüchtlingskämpfen, Klimaprotesten, Kämpfen um das
Recht auf Stadt oder den Widerstand gegen die neoliberale
Transformation der Europäischen Union anknüpfen.
Matthias Schmelzer
weiß nicht/keine Antwort
Glauben Sie, dass ein Verzicht auf Karriere und Konsum Ihr persönliches Glück eher steigern
oder eher mindern würde?
West
35
46
44
40
Ost
38
46
eher mindern
eher steigern
weiß nicht/keine Antwort
Bücher &c.
• Barbara Muraca, Gut leben. Eine Gesellschaft jenseits des Wachstums, Berlin (Wagenbach) 2014.
• Frank Adler, Ulrich Schachtschneider, Green New Deal, Suffizienz oder Ökosozialismus?
Konzepte für gesellschaftliche Wege aus der Ökokrise, München (Oekom) 2010.
• Tim Jackson, Wohlstand ohne Wachstum. Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt,
München (Oekom) 2013.
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Die bessere Technik für morgen
Mit Wiederverwertung, Open Design und gemeinschaftlichem Eigenbau
lassen sich zukunftsfähige Produkte entwickeln
W
ie oft haben Sie heute schon technische Geräte und
Infrastrukturen genutzt? Wohl unzählige Male.
Technik bestimmt unseren Alltag, zum Guten und
zum Schlechten. Und jetzt stellen Sie sich vor, sie wäre weg:
Eine Welt ohne Laubpuster? Fantastisch. Eine Welt ohne
Tintenstrahldrucker mit eingebautem Verschleißdatum?
Durchaus denkbar. Eine Welt ohne Waschmaschine?
Schwierig. Eine Welt ohne Internet? Lieber nicht. Ohne
Kanalisation? Ohne befestigte Straßen? Ohne Strom? Nein,
nein, nein.
Vordenkerinnen für eine Postwachstumsgesellschaft
haben sich seit Jahrzehnten mit der Frage der notwendigen
Technik beschäftigt, viele Grundgedanken stammen aus dem
Kampf gegen zerstörerische Großtechnologien wie Atomkraft
oder überdimensionierte Staudämme. Doch das bedeutet
nicht, dass Wachstumskritiker technikfeindlich sind. Sie
arbeiten an einer ganz anderen Technik. Das Konzept der
»konvivialen« (»lebensfreundlichen«) Technik, das auf
Ivan Illich zurückgeht, berücksichtigt nicht nur – wie die
»grüne Technik« – die Ressourcenintensität von Technologien,
sondern auch ihre sozialen Auswirkungen. Aktuell lassen
sich drei gesellschaftliche Entwicklungen beobachten,
in denen mit konvivialer Technik experimentiert wird:
das Open Design, die Wieder- und Weiterverwertung sowie
der gemeinschaftliche Eigenbau.
Ein Beispiel für den ersten Bereich ist der LifeTrac, ein
Traktor, der eher wie ein Steckbaukasten für Kinder aussieht:
ein rechteckiger Metallkäfig bildet die Grundkonstruktion,
die Fortbewegung erfolgt auf Ketten mit hydraulischem
Antrieb, modular können als Werkzeuge Schaufel, Pflug und
so weiter eingesetzt werden. Er gehört zum »Global Village
Construction Set«, einem Baukastensystem für 50 Maschinen,
»die man braucht, um eine kleine Zivilisation aufzubauen«,
wie es auf der Homepage des Projekts heißt. Der Bauplan und
multimediale Bauanleitungen für diesen Traktor sind Open
Source, das heißt öffentlich einsehbar und nachzubauen.
Diese Idee der Quelloffenheit ist bei der Programmierung
von Software entstanden und wird seit einigen Jahren als
Open Design auf den Bereich physischer Güter ausgedehnt.
Peer-to-Peer-Produktion nennt sich diese Produktionsweise,
die ihre Vertreterinnen als Keimform für eine Neuordnung
der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsform
betrachten. Patente gibt es nicht mehr, das Prinzip heißt
Kooperation statt Konkurrenz. Daraus ergeben sich zahlreiche
Merkmale des Open-Source-Traktors (die man auch auf andere
quelloffene Geräte übertragen kann): Er ist modular
aufgebaut, damit Menschen an anderen Orten leichter
Zusatzteile entwickeln können. Er ist einfach zu bauen und
zu reparieren, denn sonst wird er nicht nachgebaut. Seine
Größe kann verändert und damit an lokale Verhältnisse
angepasst werden. Das Material soll möglichst lokal erzeugt
oder wiederverwertet sein.
Damit rückt zweitens eine Utopie in greifbare Nähe:
Künftig könnten Menschen die Gegenstände des täglichen
Gebrauchs in gemeinsam genutzten und verwalteten offenen
Werkstätten vor Ort selbst herstellen und reparieren. Noch
Lifetrac, ein Traktor zum Selbstbauen
3
1
2
4
5
22
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Postwachstum
Dieser Laptop …
wurde 2009 in China hergestellt …
1,7 GHz Prozessor,
60 GB Festplatte,
15-Zoll Bildschirm,
3,5/2,8 kg
(mit/ohne Verpackung)
Der geringere Stromverbrauch kann das Treibhauspotenzial des
neuen Laptops jedoch nicht ausgleichen. Aus ökologischer Sicht
hätte sich ein Neukauf wahrscheinlich erst 2042 gelohnt.
Schanghai
230 kg CO 2
Wuhan
Nutzung:
60%
180
Energieeffizienz
Index, 2009 = 100 Prozent
160
Warschau
140
CO 2-Bilanz 2009–2014
Hamburg
Abschreibung
realistische Energieeffizienzsteigerung
Hamburg
Warschau
in Hamburg verkauft …
Einkaufsfahrt:
1%
Transport:
4%
Herstellung:
35%
und 2014 durch einen Rechner mit geringerem Stromverbrauch ersetzt.
120
100
2009
2020
2030
2040
2050
Eine bessere Ökobilanz wird eher erreicht durch:
ɼ eine modulare Bauweise
ɼ standardisierte Einzelteile
ɼ die Ermöglichung des Einbaus neuer Hardware
ɼ eine lange Verfügbarkeit von Ersatzteilen
ɼ eine recycelbare Konstruktion
Hightech: Lieber länger nutzen als neu kaufen
werden in solchen Werkstätten meist massenindustriell
erzeugte Dinge repariert oder weiterverwendet, es entstehen
Ersatzteillager für nicht mehr hergestellte oder defekte
Geräte. Während das gegenwärtige Wirtschaftssystem auf
dem immer schnelleren Austauschen von Waren beruht
– durch geplanten Verschleiß oder modische Neuerungen –,
wird die Wieder- und Weiterverwertung von Vorhandenem
eine der zentralen Säulen einer Postwachstumsgesellschaft
sein. Das ist keine bloße Spielerei, schließlich birgt eine
solche Wirtschaftsweise bei Ressourcen und CO2-Emissionen
ein enormes Einsparpotenzial. Es schont auch Ressourcen,
wenn Arbeitsplätze weg von der Neuproduktion hin zum
Reparieren und Warten verlagert werden.
Drittens bringt der gemeinschaftliche Eigenbau, das
Do-it-Together, technische Lösungen hervor, die sich von
einem instrumentellen Naturverständnis verabschieden.
So geht es beispielsweise in der Permakultur (englisch:
permanent agriculture, eine Form der ökologischen Landwirtschaft) nicht länger darum, die Natur auszutricksen und
zu überwinden, sondern biologische oder geologische Abläufe
mit möglichst wenig Aufwand für den Menschen nutzbar zu
machen. Das Do-it-Together führt zu unkonventionellen, aber
effektiven Lowtech-Lösungen: die Trocken-Trenn-Toilette
kompostiert menschliche Ausscheidungen, mit dem Mikrovergaser aus alten Konservendosen kann man sowohl Kaffee
kochen als auch Holzkohle herstellen, aus alten Fahrradteilen
lassen sich Lastenfahrräder zusammenmontieren. Ein
wichtiges Element der Lowtech-Bewegung ist die Weitergabe
von technischem Wissen und die Erfahrung, selbst etwas
bewirken zu können. Man bleibt also nicht Technik-Konsument, sondern wird selbst Technik-Entwicklerin und
bekommt dadurch einen ganz neuen Blick auf die alltägliche
Umgebung. Ein Tetrapack ist dann kein Müll mehr, sondern
wertvolles Baumaterial; ein kaputtes Fahrrad und ein paar alte
Teile werden zu Rohstoffen für ein neues Rad, die Baupläne
dafür stehen Open Source im Netz, und der Bau erfolgt
vielleicht in einer kleinen Gruppe in einer offenen Werkstatt.
Andrea Vetter
Bücher &c.
• LifeTrac auf: www.Opensourceecology.org, mehr zu Peer-Produktion: http://p2pfoundation.net.
• Über das ecuadorianische Projekt einer Gesellschaft, die auf offenem Wissen beruht
(»Buen Saber«): http://floksociety.org.
• Ivan Illich, Selbstbegrenzung, Reinbek bei Hamburg (Rowohlt) 1973.
• Offene Werkstätten: www.offene-werkstaetten.org und www.rusz.at
Leitlinien für eine menschenfreundlichere Technik
manipulative Technik
ɼ fördert und erfordert Konkurrenz
ɼ trennt Menschen
ɼ ist kapital-, nicht bedarfsorientiert
ɼ wird »top down« entwickelt
und gebaut
ɼ setzt starke (z. B. staatliche)
Hierarchien für die Nutzung voraus
Beziehungsfähigkeit
ɼ fördert und erfordert Kooperation
ɼ verbindet Menschen
ɼ bietet direkte Nutzer-EntwicklerKommunikation
ɼ wird innerhalb einer Netzwerkstruktur entwickelt und gebaut
ɼ lässt sich innerhalb einer
flachen Hierarchie betreiben
ɼ bietet keine verallgemeinbare
Nützungsmöglichkeit
ɼ ist nicht geschlechtergerecht
ɼ ist schwierig zu lernen
ɼ setzt elitäres Wissen zur Herstellung
oder Nutzung voraus
ɼ wird mit schwer zugänglichem,
patentiertem oder geheimem
Wissen produziert
ɼ ist teuer
Gerechtigkeit
ɼ bietet eine verallgemeinerbare
Nützungsmöglichkeit
ɼ ist geschlechtergerecht
ɼ ist einfach zu lernen
ɼ setzt nur frei zugängliches Wissen
zur Herstellung oder Nutzung voraus
ɼ lässt freie Wissensverbreitung zu
ɼ ist günstig
ɼ kann nur von Experten gewartet
oder repariert werden
ɼ hat eine begrenzte Nutzungsdauer
ɼ ist nicht erweiterbar
ɼ ist nur auf eine Art nutzbar
ɼ ist an eine (überregionale)
Infrastruktur gebunden
ɼ ist zeitaufwändig
ɼ kann nur mit Spezialkenntnissen
oder von Spezialmaschinen
hergestellt werden
Autonomie
ɼ ist leicht zu warten und
zu reparieren
ɼ ist langlebig
ɼ ist anschlussfähig und erweiterbar
ɼ lässt sich dem lokalen Gebrauch
anpassen
ɼ ist für eine lokale Infrastruktur
geeignet
ɼ ist zeitsparend
ɼ kann im Eigenbau hergestellt werden
ɼ vergiftet oder verarmt den Boden
ɼ vergiftet Wasser
ɼ emittiert schädliche Substanzen
in die Atmosphäre
ɼ zerstört Ökosysteme
ɼ birgt hohe Risiken durch noch
unbekannte Schädlichkeit
Gesundheit
ɼ erhöht die Bodenfruchtbarkeit
ɼ verbessert die Wasserqualität
ɼ fördert die Reinheit der Luft
ɼ hilft, Ökosysteme zu erhalten
und zu erschaffen
ɼ hat eine erwiesenermaßen
unschädliche Funktionsweise
ɼ ist ineffizient
ɼ verbraucht nichtnachwachsende
Materialien
ɼ nutzt Rohstoffe, die von weit
her kommen
ɼ ist nicht recycelbar
ɼ arbeitet gegen natürlich
vorkommende Gegebenheiten
ɼ benötigt fossile Energieträger
Ressourcenintensität:
ɼ ist effizient
ɼ verbraucht nachwachsende
Materialien
ɼ nutzt lokale Rohstoffe
ɼ ist recyclebar
ɼ nutzt örtliche Gegebenheiten
ɼ benötigt erneuerbare Energie
konviviale Technik
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AutorInnen
• Steffen Lehndorff ist Volkswirt und Arbeitsmarktforscher am Institut Arbeit und Qualifikation,
Universität Duisburg-Essen. www.iaq.uni-due.de ⁄ personal ⁄ maseite.php?mid=005
• Stephan Lessenich lehrt Soziologie an der FSU Jena und ist Kodirektor des Kollegs Postwachstumsgesellschaften.
www.kolleg-postwachstum.de
• Maria Markantonatou unterrichtet politische Soziologie an der Universität der Ägäis, Lesbos, Griechenland.
• Kiran Pereira forscht in den Bereichen Umwelt, Entwicklung und Nachhaltigkeit. Sie hat sich auf die Themen
Wasser und Sand spezialisiert.
• Tilman Santarius ist Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler, arbeitet als freier wissenschaftlicher Autor
und promoviert an der Universität und Gesamthochschule Kassel. www.santarius.de
• Matthias Schmelzer ist Wirtschaftshistoriker und Politologe und arbeitet am Paul Bairoch Institute of Economic History
an der Universität Genf und in der Vorbereitungsgruppe für die Internationale Degrowth-Konferenz 2014.
• Andrea Vetter ist Kulturanthropologin, promoviert an der Humboldt-Universität in Berlin zu konvivialer Technik
und engagiert sich in der Degrowth-Bewegung.
Quellen
Seite 4/5
• Drei Länder, fünf Wohlfahrtsindikatoren
World Income Inequality Database (WIID2c), 2008, http://www.wider.unu.edu/research/
Database/en_GB/database/; Eurostat, 2014; J. Bolt und J. L. van Zanden, »The First Update
of the Maddison Project. Re-Estimating Growth Before 1820«, Maddison Project Working
Paper 4, 2013; OECD, 2014; BBVA, »Educational Attainment in the OECD, 1960–2010«,
Working Papers Number 12/20, 2012; OECD Health Statistics, 2013.
• Sozialleistungen in Deutschland
Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Sozialbudget, 2011.
• Der gefühlte Sozialstaat
European Value Survey 2008.
Seite 6/7
• Ohne Sand keine Straßen, Häuser und Büros
European Aggregrates Association (UEPG), Annual Review 2012–2013; Bundesanstalt für
Geowissenschaften und Rohstoffe, Steine- und Erden-Rohstoffe in der Bundesrepublik
Deutschland, Geologisches Jahrbuch, Sonderheft 10, 2012.
• Landgewinnung in Singapur
UNEP/GRID-Geneva; UN Comtrade, 2014.
• Das 20. Jahrhundert: Bauen mit Stahlbeton
U.S. Geological Survey, Data Series 140.
Seite 8/9
• Rückläufiger Bedarf auf hohem Niveau
Fritz Schwarzkopp und Jochen Drescher, Die Nachfrage nach Primar- und Sekundär rohstoffen der Steine-und-Erden-Industrie bis 2030 in Deutschland, Deutsches Institut
für Wirtschaftsforschung (DIW), 2013.
• Die Sandgewinnung in der deutschen Nord- und Ostsee findet überwiegend in
geschützten Gebiete statt
Bundesamt für Naturschutz (BfN).
• Nutzung nach dem Abbau: In den meisten Baggerseen wird geangelt
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), »Baggerseen, Ersatzlebensraum
oder Wunden in den Flusstalern?«, BUNDBerichte 17, 2000.
Seite 10/11
• Die Etappen des Niedergangs
Le Monde diplomatique, Berlin.
• Südeuropas verlorene Generation
Eurostat, 2014.
• Die große Depression
Eurostat, 2014. Hellenic Statistical Authority, 2014, www.statistics.gr.
• Das größte Defizit
Eurostat, 2014.
Seite 12/13
• Die Überschüsse der Deutschen und die Defizite der anderen
OECD, Economic Outlook Nº 95, 2014.
• Mehr Leistung, weniger Lohn
VGR, WSI-Tarifarchiv, Berechnung durch Steffen Lehndorff.
• Zwischen Euroeinführung und Eurokrise
Deutsche Bundesbank, 2014.
• Exporte in alle Welt
Statistisches Bundesamt, Außenhandel, Rangfolge der Handelspartner im Ausland, 2013.
• Einkommensentwicklung vor und in der Krise
AMECO-Datenbank, Berechnungen durch das WSI.
24
• Gewinne auf Kosten der Löhne
Statistisches Bundesamt 2012, zit. nach und Berechnungen durch Claus Schäfer,
WSI-Mitteilungen 8, 2012.
Seite 14/15
• Wärmebedarf
Johannes Venjakob und Thomas Hanke, 2006, zit. nach: BUND Hamburg, Diakonie Hamburg
und Zukunftsrat Hamburg (Hg.), Zukunftsfähiges Hamburg. Zeit zum Handeln, 2010.
• Kraftstoffverbrauch
Research and Innovative Technology Administration (RITA), 2014, http://www.rita.dot.gov.
• Der Preis des Lichts
Roger Fouquet und Peter J.G. Pearson, »Seven Centuries of Energy Services: The Price and
Use of Light in the United Kingdom (1300–2000)«, The Energy Journal, Vol. 27, No. 1, 2006.
• Wachstum macht Effizienzgewinne zunichte
UNEP, Towards a Green Economy: Pathways to Sustainable Development and Poverty
Eradication, 2011, www.unep.org/greeneconomy.
Seite 16/17
• Drei Modelle für Kanada
P. A. Victor, »Growth, degrowth and climate change: A scenario analysis«,
Ecological Economics 84, 2012.
• Zwei Prognosen für Großbritannien
New Economics Foundation (NEF), The Great Transition, 2010.
Seite 18/19
• Postwachstum: Denkschulen und ihre Köpfe
Matthias Schmelzer
Seite 20/21
• Die globalen Indikatoren zeigen: So kann es nicht weitergehen
Johan Rockström u. a., »A safe operating space for humanity«, Nature Vol. 461, 2009;
Johan Rockström u. a., Supplementary Information, http://www.stockholmresilience.org/.
• Produktion und Distribution im Raum: Small is beautiful
New Economics Foundation (NEF), The Great Transition, 2010.
• Macht Verzicht glücklich?
TNS Forschung, 2014 (n=900), zit. nach Spiegel 14, 2014.
Seite 22/23
• Lifetrac, ein Traktor zum Selbstbauen
http://opensourceecology.org.
• Hightech: Lieber länger nutzen als neu kaufen
Prakash Siddharth u. a., »Zeitlich optimierter Ersatz eines Notebooks unter ökologischen
Gesichtspunkten«, Umweltbundesamt, 2012,
http://www.oeko.de/oekodoc/1583/2012-439-de.pdf.
• Leitlinien für eine menschenfreundlichere Technik
Andrea Vetter
temp.qxp_single_pages 15-04-21 11:00 Page 2
monde-diplomatique.de