Wir bewegen Marken 05 Ausgabe Oktober 2014 IN SPIRE Power of Happiness. Happiness-Economy, Cycle-Lust, Foodies, Serendipity In Kooperation mit Prof. Peter Wippermann Trendbüro, Hamburg Prof. Peter Wippermann VORWORT Unsere Gesellschaft befindet sich mitten in einer Transformation. Der Übergang von der Industriezur Netzgesellschaft ist in vollem Gange und verlangt von jedem Einzelnen optimistische Zukunftsstrategien. Nach vielen Jahren des Booms von Fitness und Wellness geht es zukünftig um mentale Fitness und die bewusste Steigerung der eigenen Lebensfreude. Die Erkenntnis, dass Wohlstand auch Wohlbefinden braucht, ist ein Grundsatz der Happiness- Economy. Immer mehr Menschen machen ihre Lebensqualität nicht mehr nur von Einkommen und Konsum abhängig. Vielen geht es heute darum, immateriellen und materiellen Wohlstand miteinander zu verbinden. Wirtschaftlicher Erfolg ist dabei immer noch ein wichtiger Faktor, wird aber durch das Streben nach Lebensfreude ergänzt. Cycle-Lust – die wachsende Popularität des Fahrrades – sorgt nicht nur für eine Balance z wischen Körper und Geist, sondern bringt auch Veränderungen in anderen Bereichen mit sich. Ob Stadtplanung, Start-up-Konferenz oder Fashion-Blog: Das Fahrrad ist in aller Munde und steht für Autonomie, Gesundheit und Nachhaltigkeit. Die Foodies vereinen eine hohe Affinität zu Speisen mit einem genussorientierten und nachhaltigen Lebensstil. Auch hier spielt der technologische Wandel trotzdem eine große Rolle. Foodies haben einen großen Drang zur Selbstdarstellung und nutzen deshalb ausgiebig digitale Netzwerke. Hier teilen sie ihre Leidenschaft und vernetzen sich mit anderen. Malte Hildebrandt Die von Professor Peter Wippermann beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungen sind überall sichtbar und in der Medienbranche zeigen sie sich besonders deutlich! In gravierender Weise haben sich sowohl TV-Inhalte als auch der Umgang mit den Medien verändert. Was wäre unser soziales Leben ohne das Gespräch über die neuesten TV-Trends, ohne mobile Devices, ohne ständige Erreichbarkeit? Was bedeuten neue Trends, welche Auswirkungen haben sie auf die Gesellschaft und was heißt das für jeden einzelnen von uns? In welcher Art und Weise beeinflussen neue Trends unsere tägliche Arbeit in Deutschlands größtem TV-Konzern? Auf diese und viele andere Fragen möchten wir Antworten finden. Dafür haben wir die Trendtage und das SevenOne Inspire implementiert. Beides erfreut sich einer ständig wachsenden Fangemeinde. Aktuell sind die Dänen die glücklichsten Menschen der Welt (World Happiness Report 2013) Der Trend Serendipity vereint Zufall und Digitalisierung miteinander. Viele Menschen wünschen sich die Abgabe von Verantwortung und eine Erleichterung bei der Entscheidungsfindung. Dabei dient die Technologie nicht wie bisher als Zugang zu einem grenzenlosen Angebot, sondern wird zum Ermöglicher der glücklichen Zufälle. Liebe Mitarbeiter der ProSiebenSat.1 Media AG, ich wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Entdecken der neuesten Trends. Auch unser SevenOne Media Future Lab ist mittlerweile eine feste Institution und wird von Euch gerne als inspirierendes Umfeld für interne und externe Termine genutzt. Zu den aktuell v orgestellten Trends findet Ihr dort wieder Produktexponate „zum Anfassen“. Selbstverständlich steht P rofessor Wippermann uns und unseren Kunden sowohl für vertiefende Fragestellungen als auch für kundenindividuelle Themen gerne zur Verfügung. Nur wenn wir Trends frühzeitig erkennen, können wir daraus neue Ideen gewinnen und G eschäftsfelder entwickeln. Stellt Euch den Trends und nutzt diese als Mehrwert für Eure G espräche mit Kunden, Geschäftspartnern und Kollegen! Viel Spaß beim Eintauchen in das neue Inspire. Euer Malte Prof. Peter Wippermann Leitung Central Marketing ProSiebenSat.1 TV Deutschland Neue Folklore Inhalt 01Vorwort 04Happiness-Economy Die Suche nach dem Dauerglück 14Foodies Essen ist der neue Sex 28Cycle-Lust Tausche Auto gegen Jugend 38Serendipity Die Jagd nach dem glücklichen Zufall 4 5 Happiness-Economy Happiness-Economy Spiel & Leichtigkeit zurück in den Alltag bringen. 21 Balancoires (21 Schaukeln), ist ein Projekt, das zur gemeinsamen Interaktion in Städten motiviert. Durch gemeinsames Schaukeln wird eine Melodie erzeugt. Lebensfreude im grauen urbanen Umfeld. Foto: Olivier Blouin Happiness-Economy Die Suche nach dem Dauerglück Persönliches Wohlbefinden wird zur Leitwährung unseres Daseins. Rein materielle Faktoren reichen als Indikator für unsere Lebensqualität nicht mehr aus. Stattdessen erheben wir den Anspruch auf Dauerglück. Ein gelungenes Leben hat der, welcher seine Lebensfreude optimiert. Mentale Fitness wird so wichtig wie körperliche Sportlichkeit. Trend-Definition In der Happiness-Economy regiert das Lebensglück. Es rückt in den Mittelpunkt gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und persönlicher Erfolgsrechnungen. Die Erkenntnis lautet: Wohlstand braucht auch Wohlbefinden. Der Ein zelne macht seine Lebensqualität nicht mehr hauptsächlich von finanziellen Faktoren wie Einkommen und Konsum 4 abhängig. Status genießt, wer materiellen und immateriellen Wohlstand verbindet, also die wirtschaftlichen Anforderungen der Realität und die emotionalen Bedürfnisse im Gleichgewicht hält. Denn ein gutes Leben braucht auch in der Happiness-Economy einen gewissen Wohlstand. Die Gleichung eines gelungenen Lebens wird vielmehr um die Variable der Lebensfreude entscheidend erweitert. Die Rahmenbedingungen für ein zu friedenes Leben werden schwieriger: steigender Leistungsdruck, rasante Geschwindigkeiten, explodierende Möglichkeiten, ständige Erreichbarkeit, grassierende Statusangst – um nur einige zu nennen. Psychische Belastungen sind zur größeren Gefahr für unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit geworden als körperliche Gebrechen. Umso wertvoller und erstrebenswerter wird tat- Glück als Positionierung. Lulu Lemon vertreibt Sportkleidung mit dem Ziel Menschen zu einem glücklichen, gesunden Leben zu verhelfen. Der spirituelle Kapitalismus kommt gut an – mehr als 400 Menschen erschienen zum gemeinsamen Yoga zur Eröffnung des Flagship Stores in London. Foto: getty images 5 Happiness-Economy Der kürzeste Weg durch die Londoner City, … der schönste, sächlich gefundene Zufriedenheit. Dabei setzt das Lebensglück heute die gleichen Fähigkeiten voraus, die es in der Netzökonomie allgemein zu beherrschen gilt: seine Prioritäten zu kennen und umsetzen zu können; trotz hoher Komplexität die Orientierung zu behalten; in seinem Netzwerk geben und nehmen zu können; rasante Dynamiken für sich zu nutzen. Glücklich zu sein wird zum Projekt, das der Einzelne planen und umsetzen muss. Das Lebensglück wird zum Statussymbol und Ausweis der Leistungsfähigkeit. „Im Fluss zu sein ist keine Bedrohung, sondern der eigent liche Glückszustand. Diese Erkenntnis ist entscheidend“, sagt Prof. Norbert Bolz. Das Meer kann als Bedrohung oder Freude erlebt werden. Der Nichtschwimmer wird im Meer nicht glücklich. Der Surfer hingegen zieht aus der Kraft des Ozeans seine Energie. Die notwendige Absage an manche der endlosen Möglichkeiten unserer Zeit beweist ökonomische, intellektuelle und moralische Überlegenheit: Wer genau weiß, was er will, braucht keine endlosen Möglichkeiten mehr – und kann es sich auch leisten, Nein zu sagen. „Genug“ ersetzt das „Mehr“ in vielerlei Hinsicht. Auch Wirtschaft und Politik be ginnen diesen Paradigmenwechsel zu vollziehen: Glücksindizes und alternative Wohlstandsindikatoren werden erforscht und implementiert. Unternehmen erkennen, dass sie ihren Mitarbeitern, Kunden und Stakeholdern mehr als Produkte und Profit bieten müssen – nämlich Werte und Sinn. … der ruhigste Key Findings - Das persönliche Lebensglück wird zum Barometer des Erfolgs -Anforderungen an ein ganzheitliches Glück steigen: Balance aus immateriellen und materiellen Faktoren -Glück wird messbar und damit optimierbar -„Genug“ ersetzt das „Mehr“ als Lebensstrategie - Mood Management als Faktor in Arbeit- und Privatleben Glücklich als Index für nationalen Wohlstand. Der World Happiness Report versucht, das Wohlbefinden von Nationen messbar zu machen. Aktuell sind die Dänen die glücklichsten Menschen der Welt. Foto: Stig Nygaard https://www.flickr. com/photos/ stignygaard/ Sozialer Wandel … und der Weg, der am meisten Lebensfreude bereitet. Von Effizienz- zu Happiness-Algorithmen. Statt der kürzesten Strecke zeigt die Yahoo Map die schönste Strecke, errechnet auf Basis von user-generierten Bewertungen von Stadtbildern. 6 Die Wirtschaftswunderjahre haben uns gelehrt, dass Konsum und Geld nur bedingt glücklich machen. Zahlreiche Studien belegen: Sind die wichtigsten materiellen Bedürfnisse gedeckt, ist jedes zusätzliche Einkommen zwar mit Anstrengungen, aber keiner gesteigerten Lebensqualität mehr verbunden. Ein Streben nach immer mehr materiellem Wohlstand führt am Glück vorbei. Das konnten jüngere Generationen am Beispiel ihrer Eltern beobachten. Für die älteren Generationen war aber zumindest klar, dass hoher Arbeitseinsatz auch entsprechend finanziell belohnt wird. Dieses Versprechen gilt heute nicht mehr. Es ist unwahrscheinlich geworden, dass sich ein Angestellter aus der Mittelschicht über seine Arbeit so etwas wie Wohlstand schafft. Jüngere World Happiness Report 2013 am glücklichsten am wenigsten glücklich Die „glücklichsten Staaten“ laut World Happiness Report 2013: 1.Dänemark 2.Norwegen 3.Schweiz 4.Niederlande 5.Schweden 6.Kanada 7.Finnland 8.Österreich 9.Island 10. Australien 7 Happiness-Economy Shitstorm-Prävention. Die Software Mood Panda misst die Stimmungslage in Online Communities und gibt Tipps, wie diese verbessert werden kann. erkennen, dass sie es nicht mehr so gut haben werden wie ihre Eltern. Da liegt es nahe, den eigenen Lebenserfolg weniger davon abhängig zu machen. Mit dem materiellen Wohlstand der vergangenen 60 Jahre nahm auch die Individualisierung zu: Die Selbstverwirk lichung – als Abgrenzung von der Gesellschaft und ihren Erwartungen– rückte in den Mittelpunkt. Heute ist es selbstverständlich, individuell zu sein. Dafür wird es wichtiger und wertvoller, Zugehörigkeit und soziale Verbundenheit zu fühlen. Im digitalisierten Alltag werden Treffen von Angesicht zu Angesicht seltener und kostbarer. Aber digitale Kontakte reichen nicht für unser Lebensglück aus. Dafür braucht es gemeinsame Erlebnisse und Erinnerungen. Denn: „Lebensfreude ist für die meisten Menschen gleichbedeutend mit anderen Menschen: Erlebnisse werden geteilt – zuerst, wenn sie passieren, und danach immer wieder, wenn man anderen davon erzählt“, bringt Derek Thompson von „The Atlantic“ es auf den Punkt. Das analoge Beziehungsleben erfährt einen neuen Stellenwert. Es wird sorgfältig geplant und zelebriert. Wie wichtig die Faktoren Selbstverwirklichung bei gleichbleibender Zugehörigkeit zu einem Netzwerk sind, zeigt sich auch im Phänomen steigender Selbstständigkeit. Das Bedürfnis, sein eigenes Ding zu machen, zählt zu den wichtigsten Motivationen dafür, sich selbstständig zu machen, wie eine Studie des DIW Berlin (2013) zeigt. Diese Rechnung geht auch auf: Selbstständige sind in der Regel zufriedener und glücklicher als Angestellte. Jedoch gilt: Einmal aus dem Unternehmen mit seinen vorge gebenen Beziehungen herausgelöst, werden funktionierende persönliche Beziehungen für Selbstständige zum entscheidenden Erfolgsfaktor: Kontakte, die einen emotional unterstützen, helfen, wenn der Hut brennt, und – vor allem – weitere Kontakte vermitteln. Glückliche Menschen sind produktiver. Ob Unternehmen oder Universitäten, Datenanalysen werden als Stimmungsbarometer genutzt, um rechtzeitig schlechter Laune entgegen zu wirken und so für perfekte Arbeitsbedingungen zu sorgen. Im stressigen Alltag kommen Pausen oft zu kurz. Biometrische Sensoren im OMShirt messen unsere Anspannung und geben Alerts, wenn es Zeit ist zu entspannen. Kultureller Wandel Der MIT MoodMeter am Massachussets Institute of Technology wertete über Kamerabilder die Anzahl der lachenden oder zufriedenen Gesichter aus. Daraus konnte auf die Stimmung in verschiedenen Campus-Teilen geschlossen werden. http://moodmeter.media.mit.edu/index.html 8 Mit den Rahmenbedingungen hat sich auch unser Verständnis von Lebens freude verändert. Unser Begriff vom Glück hat heute eine aktivere, dynamischere Bedeutung als früher: „Die Zufriedenheit, die mit einem ruhigen Dahinplätschern des Lebens einhergeht, genügt uns nicht“, analysiert die Philosophin Rebekka Reinhard, Autorin von „Die Sinn-Diät. Warum wir schon alles haben, was wir brauchen“, den Wandel. „Hppy“ dokumentiert die Zufriedenheit von Mitarbeitern. Sind Mitarbeiter demotiviert, können Unternehmen umgehend reagieren. www.gethppy.com 9 Happiness-Economy Was macht Lebensfreude aus und was brauchen wir, um glücklich zu sein? Die Coca-Cola-Happiness Studie hat diese Fragen untersucht und auf dem zweitägigen Happiness-Kongress im Frühjahr 2014 live erlebbar gemacht. Mit einer Mischung aus Forschungsergebnissen und Vorträgen von Prominenten wie Dr. Eckart von Hirschhausen sowie TV-Moderatorin und Schauspielerin Palina Rojinski wurde beleuchtet, wie lebensfroh die Deutschen sind. Fotos: Gero Breloer für das Coca-Cola Happiness Institut Mit der Individualisierung wurde das Lebensglück zur persönlichen Leistung: Lebensläufe und Beziehungen werden nicht mehr von Traditionen und Normen vorgegeben. Die Gestaltung des Lebens liegt in der Verantwortung des Einzelnen – und damit auch sein Gelingen. „Wir wollen uns das Glück erarbeiten, und dabei gehen wir bewusst und unbewusst davon aus, dass Glück planbar sei. Wir haben die Anspruchshaltung: Wenn ich nur genug leiste, dann habe ich mir das Glück auch verdient – dann steht es mir zu“, bringt Rebekka Reinhard das Leistungsversprechen auf den Punkt. Der Healthstyle wendet das Prinzip der Plan- und Gestaltbarkeit auf Körper und Gesundheit an. In diesem Rahmen rücken mentale und emotionale Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden stärker ins Zentrum: Wer unglücklich ist, wird nicht nur krank, sondern gefährdet auch seine Produktivität. Leistungsbereitschaft setzt auch Bereitschaft zur Arbeit an der eigenen Seele voraus. Mihály Csikszentmihályi definiert das Glück als Flow, der sich einstellt, wenn der Einzelne weder über- noch unterfordert ist und vollständig in seiner Tätigkeit aufgehen kann. Die Balance zwischen den eigenen Fähigkeiten und äußeren Anforderungen wird heute schwieriger, weil die Anforderungen immer höher werden. Darüber hinaus werden mit der globalen Vernetzung die Vergleichsfolien, die der Mensch seit jeher als Gradmesser seiner Zufriedenheit heranzieht, immer unrealistischer: Früher war es der Nachbar, mit dessen Lebenssituation wir unser eigenes Glück evaluierten. Heute vergleichen wir uns mit dem globalen Best-of diverser So cial-Media-Streams. Bei aller Planung und sorgfältigem Management wissen wir, dass das Glück auch Spontaneität und Muße braucht, um lebendig zu sein. Daher werden Raum und Zeit für das Ungeplante immer wichtiger und wertvoller: als Zeitraum, für den man sich nichts Spezifisches vornimmt und in dem sich daher spontan etwas ergeben kann, oder als Aktivität, die man ohne besondere Agenda verfolgt und bei der man sich einfach treiben lassen kann. So geht’s! Lebensfreude-Strategie: Mehr Optionsvielfalt für mehr Lebensfreude #1 –Eigene Werte, Ziele und Bedürfnisse identifizieren – Sich bewusst machen, was einen wirklich glücklich macht – Eine „Vision“ für das eigene Leben entwickeln #2 –In soziale Beziehungen investieren – Lebensfreude braucht ein Gegenüber und das Miteinander – Wertschätzung und Aufmerksamkeit schenken – Offline geht vor Online #3 –Zeit aktiv planen und managen – Arbeit und Privatleben, aber auch Auszeiten und Me Time planen – Online-Erreichbarkeit einschränken #4 –Aufmerksamkeit und Konzentration üben – Die eigenen Energien auf wenige, wichtige Ziele fokussieren – Klare Prioritäten setzen – Perfektionismus reduzieren und Gelassenheit üben #5 –Das Leben aktiv gestalten – Lebensfreude aus verschiedenen Quellen ziehen – Einseitige Orientierung z. B. auf Arbeit oder Familie vermeiden – Bewusst ungewohnte Perspektiven einnehmen (Reframing) Technologischer Wandel Mit dem Internet expandierten Möglichkeiten und Geschwindigkeit ins Unendliche. Alles passiert im Hier und Jetzt. Die Herausforderungen und zuweilen Belastungen, die daraus für den Einzel10 Die Coca-Cola Happiness Studie: Die Megatrends unserer Gesellschaft und ihr Potenzial für Lebensfreude. Die Delphistudie wurde im Rahmen eines Panels erarbeitet, das sich aus folgenden Experten zusammensetzte: Dr. Stefan Bergheim, Prof. Dr. Bolz, Prof. Dr. Hilke Brockmann, Prof. Dr. Tobias Esch, Ernst Fritz-Schubert, Dr. Eckart von Hirschhausen, Christoph Koch, Heino von Meyer, Prof. Dr. Jule Specht, Prof. Dr. Ruut Veenhoven und Prof. Peter Wippermann. 11 Happiness-Economy Reisestress minimieren. Die Happiness Blanket von British Airways misst die Gehirnströme und passt ihre Farbe der jeweiligen Stimmung des Nutzers an. Foto: Nick Morrish/British Airways nen resultieren, sind hinlänglich bekannt. Als Reaktion etabliert sich zunehmend die Sehnsucht nach einem „Digital Detox“ (siehe auch Ausgabe 4/Mai 2014): offline gehen und in eine künstliche Einfachheit entfliehen. Gleichzeitig erweiterten gerade die Netzwerktechno logien auch die Möglichkeiten, persönliches Glück zu finden, enorm. Nicht lokale Nähe oder Normen geben uns unsere Bekannten vor, sondern tatsächliches Interesse und emotionale Nähe. Über soziale Medien entwickeln wir ein lokal unabhängiges Sensorium dafür, wie sich unsere Freunde fühlen. Diese „Ambient Awareness“ erlaubt uns, auch für abwesende Freunde wichtig zu sein – weil wir wissen, wie es dem anderen geht. Vernetzte Technologien bieten aber auch neue Möglichkeiten des gezielten „Mood Managements“. Das Prinzip der Selbstoptimierung wird auf den Bereich der emotionalen und mentalen Fitness ausgeweitet. Die Technik unterstützt den Einzelnen dabei, seine Fähigkeit zum Glück bzw. seine Stressresistenz zu trainieren. Das Prinzip des „Quantified Self“ – vor allem bekannt durch Sport- und Gesundheitsanwendungen – wird dabei zur Beobachtung der Erfolge verwendet. Biometrische Sensoren, die in Schmuckstücken oder Kleidung eingearbeitet sind, zeichnen Körperfunktionen (wie z. B. Puls, Körpertemperatur, Stimme beim Telefonieren, Atem etc.) auf und schließen daraus auf einen Gemütszustand. Andere Apps werten di12 rekt die Eingaben des Users aus. Die Analyse möglicher Zusammenhänge zu anderen Lebensumständen wird möglich. Big-Data-Algorithmen machen in Verbindung mit den Daten anderer User Vergleiche möglich. Vorschläge und Hinweise für die Optimierung der eigenen Stimmung oder den Aufbau von mehr Stressresistenz werden gegeben. Auch Service und Produkte greifen auf Emotionsdaten ihrer Nutzer zurück, um deren Erlebnis zu verbessern und damit die Stimmung zu heben: Audi entwickelte einen Bordcomputer, der die Stimmung des Fahrers erkennt und seine Funktionsweise darauf anpasst. Die „Happiness-Decken“ von British Airways verändern ihre Farbe abhängig vom Gemütszustand des Passagiers und lassen Rückschlüsse auf die Qualität des Services zu. Es ist aber auch möglich, die Stimmung direkt zu beeinflussen – z. B. über gezielte Lichtanwendungen. Digital gesteuerte Beleuchtungskörper simulieren Stärke, Dynamik und Farbe des Tageslichts, um die körpereigene Serotonin-Produktion anzukurbeln. Ökonomischer Wandel In der Wissens- und Netzökonomie wird persönliches Lebensglück zur Grundlage von Produktivität und unternehmerischem Erfolg. Glückliche Mitarbeiter sind kreativer, produktiver und eigeninitiativer; sie machen weniger Fehler und sind weniger oft krank. Vor allem bereichern sie mit ihrer eigenen Zufrieden- heit die Beziehungen zu Kunden, Mitarbeitern und Partnern. Das haben Unternehmen schon längst erkannt. Diesbezügliche Maßnahmen gehen weit über Work-Life-Balance, flexible Arbeitszeiten und Home-OfficeDays hinaus. Die Arbeit im Unternehmen muss Spaß machen und Sinn für die Welt ergeben. Selbstverwirklichung, Mitbestimmung und nette Kollegen am Arbeitsplatz werden entscheidend – auch weil wir die positiven Energien wesentlich für die steigenden Anforderungen an Arbeitsergebnisse brauchen. „Wir sind heute in der Arbeit voll und ganz mit all unserer Aufmerksamkeit und allen Ressourcen gefragt. Das macht es erforderlich, dass [...] man dort keine Energien darauf verwendet, sich zu ärgern oder Unangenehmes abzublocken“, bringt Frank Hauser, Geschäftsführer von Great Place To Work, die ökonomische Notwendigkeit guter Stimmung am Arbeitsplatz auf den Punkt. Gleichzeitig braucht es erstrebenswerte und gelebte Unternehmenswerte, um sich langfristig Commitment und Identifikation der Mitarbeiter zu sichern – aber auch die Loyalität und Begeisterung der Kunden. Hier kam es schon Anfang der 2000erJahre zu einem Paradigmenwechsel: weg von der Produkt-, hin zur Erlebnisökonomie. Joseph Pine und James Gilmore prägten den Begriff der „Experience Economy“: In übersättigten Märkten gelten nicht materielle Produkte als erstrebenswert, sondern besondere Erlebnisse und die Erinnerung daran. Ein zentraler Aspekt der Erlebnisqualität sind heute einmal mehr die Werte, die ein Unternehmen oder eine Marke transportiert. Was gut für die Welt ist, macht auch den Einzelnen glücklich. Corporate Social Responsibility – soziale Verantwortung – kommt zunehmend ohne demonstrative Ernsthaftigkeit aus. Im Gegenteil, sie bedeutet heute mehr Leichtigkeit und eine höhere Erlebnisqualität, gerade weil sie auf einem guten Gewissen beruht. Zudem setzen Unternehmen mit dem Trend „Gamification“ (siehe auch Ausgabe 1/Mai 2013) sowohl intern als auch extern zunehmend auf Prinzipien von Computer-Games. Das Erreichen von Kennzahlen und Zielen macht mehr Spaß, wenn es spielerisch angegangen wird. Der Paradigmenwechsel in der Happiness-Economy ist eine enorme Chance für den Einzelnen. Das Streben nach persönlichem Glück erhält wirtschaftliche Relevanz und damit Legitimation, Wichtigkeit – und nicht zuletzt die richtigen Lösungen und Unterstützungsangebote. Die Happiness-Economy bedeutet noch keine glückliche Gesellschaft, aber eine, die bessere Chancen darauf hat als alle Systeme zuvor. der emotionalen Ansprache. Oft wird über rationalen Kaufargumenten die gute Stimmung vergessen. Versetzen Sie sich dazu radikal in die Lage Ihrer Kunden, um zu verstehen, was sie lächeln lässt. Happiness als Key-PerformanceIndikator behandeln. Bereits Henry Ford hat gesagt: “A business that makes nothing but money is a poor business.” Unternehmen sind gefordert, sich ihrer Wertschöpfung abseits ökonomischer Profite bewusst zu werden. Geschäfte werden nicht von Zielgruppen oder Organisationen gemacht, sondern von Menschen. Ideen, Commitment und Engagement setzen zufriedene Mitarbeiter voraus. Vertrauensvolle und gute Beziehungen werden zum entscheidenden Erfolgsfaktor in der Netzökonomie. Daher gilt es, Glück, Zufriedenheit und Wohlgefühl konsequent und integriert in allen Beziehungen zu Kunden, Mitarbeitern, Partnern und Stakeholdern mitzudenken. Sinn für Humor beweisen. Bei aller Planung und Optimierung darf die Leichtigkeit und Unbeschwertheit, die das Glück unbedingt braucht, nicht vergessen werden. Ein grundlegender Schritt dafür ist, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Das gilt für die Führungskräfte ebenso wie für die Marke und das Unternehmen an sich. Über sich selbst lachen zu können beweist nicht nur Humor – sondern auch Intelligenz und Selbstbewusstsein. Das strahlt auf sympathische Art Kompetenz aus. Außerdem: Wo Spaß erlaubt ist, fallen auch Fehler leichter. Eine solche Kultur ist unerlässlich für Experimente und Innovationen. Implikationen für Unternehmen Emotionale und mentale Optimierung ansprechen. Der Trend Healthstyle – das Mainstreaming eines gesunden Lebensstils in alle Lebensaspekte – hat über die vergangenen Jahre enorme Relevanz bewiesen. Jetzt erlangt der Trend einen neuen Spin mit den Schwerpunkten emotionale und mentale Selbstoptimierung. Gesundheit beginnt im Kopf und in der Seele. Hier können neue Produkte und Services ansetzen. Apps, CoachingServices, Functional Food, Curated Shopping, Gamification – um nur einige zu nennen – eignen sich ideal dafür. Happiness-Design für Produkte und Services. Unterwerfen Sie Ihre Produkte und Services einem kritischen Blick: Welche Stimmung wird in Ihrer Kommunikation verbreitet? Welche am Point of Sale oder beim Auspacken des Produkts? Wie glücklich wird Ihr Kunde im Kontakt mit Ihrem Kundenservice? Wer systematisch checkt, ob und wie viel Freude die Kunden an jedem Punkt der Customer Journey fühlen, entdeckt neue Potenziale Das renomierte Wirtschafts-Magazin brand eins widmete dem Thema Happiness als Wirtschaftsfaktor bereits eine ganze Ausgabe (brand eins 08/August 2014). 13 Foodies Foodies Berlins wichtigster Ort für Street Food ist die „Markthalle Neun“ in Kreuzberg (Eisenbahnstraße 42). Freitags und samstags ist dort Wochenmarkt, und seit einigen Monaten wird in der Halle jede Woche am „Street Food Thursday“ die Straßenküche zelebriert. Etwa 40 Köche kochen, backen und verkaufen hier so gut wie alles, was ein wenig Exotik verspricht und auch so schmeckt – von Empanadas über Fish’n’Chips und neuseeländische Pies bis zu sizilianischen Reisbällchen. Von 18 Uhr an wird es eng – bis zu 4.000 Besucher drängeln sich donnerstags in der Markthalle. Zur Berlinale gab es zudem eine Street-Food-Meile; und das erste deutsche Street-Food-Festival ist in Planung – ein Veranstaltungsformat, das etwa in New York, London oder Paris schon fest etabliert ist. Zu dieser Gelegenheit bieten dann StreetFood-Köche in ihren Wagen ihre Köstlichkeiten aus verschiedenen Regionen der Erde an – ein echter Foodie-Spaß. Food Porn ist ein glamouröses, visuell geprägtes Internetportal für Foodies. Die Seite ist der spektakuläre Versuch, die Food-Fotografie und –Styling permanent zu überbieten und mit Geschichten für die Community zu aktualisieren. Foodies Essen ist der Neue Sex Foodies haben viele Gesichter. Viele sind echte Experten, was einzelne Lebensmittel oder Zubereitungsformen angeht, andere wählen sogar ihr Urlaubsziel danach aus, was die Landesküche zu bieten hat. Aber alle eint eine hohe Affinität zu Ess- und Trinkbarem. Aus der zweitschönsten Nebensache der Welt ist die allerschönste geworden: Lebensmittel und Drinks als High-Interest-Themen. Foodies formen eine lustvolle neue Zielgruppe für Produkthersteller und Medienschaffende. Trend-Definition Foodies sind Menschen, die sich für Lebensmittel und Getränke begeistern. So lässt sich dieser Trend auf einen Nenner bringen: Foodies eint ein Lebensgefühl, in dem Essen und Trinken einen festen 14 Platz hat. Vor dem Hintergrund der Nahrungsaufnahme wird heute ein ganzes Set an Werten definiert. Der Foodie positioniert sich als cooler und stylischer Öko-Genussmensch. Ein Foodie interessiert sich für die Herstellung von Lebensmitteln und ihre Ökobilanz. Und er identifiziert sich mit diesem Lifestyle. Wer einen seltenen Biokäse im Kühlschrank hat, ist cool, wer weiß, auf welchem Bauernmarkt es das knusprigste Brot und den ursprünglichsten Schinken zu kaufen gibt, hat Sex-Appeal. Essen als neue Popkultur. „Wer ein richtiger Foodie werden will, muss zunächst seine Liebe zum Essen neu entdecken“, heißt es im „Foodie Handbuch“ aus dem Christian Verlag – „der (fast) perfekte Begleiter für GernEsser“. Medial wird inzwischen einiges für die Foodies geboten. Waren es in der Vergangenheit noch in der Hauptsache Einzelpersonen, die sich als Foodie inszenierten, ist diese Entwicklung inzwischen weitergegangen. Neben den „Foodies“- Printmagazinen aus Großbritannien („a celebration of fine foods“), den Niederlanden und Neu-England gibt es „foodies ... aus wahrer Liebe zum Kochen“ – ein neues Online-Magazin als App für die genussvolle Kochkultur. Und mit dem „Foodies TV Network“ existiert jetzt ein On-demandFoodie-TV-Programm im Internet. Kostenlos werden hier Kochshows und Wissenswertes über Nahrungsmittel sowie Stylisches für Foodies und Neuigkeiten rund um das Themen Essen und Trinken filmisch aufbereitet. Man richtet sich dabei explizit an den Foodie: „a person keenly interested in food, especially in eating or cooking“. 15 Foodies Key Findings - Foodies vereinen eine hohe Affinität zu Speisen und Getränken mit einem genussorientierten nachhaltigen Lebensstil. - Foodies sind modern, jung und haben vielfältige Interessen. Die Anzahl der Frauen ist etwas größer als die der Männer. - Ihr Selbstdarstellungsdrang ist groß, sie sind multimedial interessiert und extrem gut vernetzt. - Aus ihrem Interesse für Essen, Kochen und Genießen lassen sich vielfältige neue Impulse für weitere Branchen ableiten: für die Medienbranche, die Tourismusindustrie, das Home-Fashion-Segment, die Technikbranche. „Schwein 1“ wurde am 18. November 2011 geschlachtet. Aus seinen 123 Kilo Fleisch machte ein Metzger geräucherten Schinken, Sülze, Leberwurst, Blutwurst und Mettringe. Und mit „Schwein 1“ begann auch die Mission von Biologe Dennis Buchmann, Gründer von „Meine kleine Farm“. Seine Botschaft: weniger Fleisch, mehr Respekt. Gemeinsam mit seinen Partnerbauern gibt er Wurst ein Gesicht – und zwar wörtlich. Inzwischen hat er das Fleisch von weit über 100 Schweinen über das Internet verkauft. Die Wurst in Gläsern trägt das Konterfei des jeweiligen Tieres, die entsprechende Vita (von der Geburt bis zur Schlachtung) kann man auf der Webseite nachlesen und dazu Bilder und Filme ansehen. (www.meinekleinefarm.org) Der Hype bei amerikanischen Foodies war in den vergangenen Monaten Grünkohl. Die einschlägigen Social-Media-Seiten waren voll von Gerichten und Rezepttipps, bei denen Grünkohl („Kale“) verarbeitet wurde. Und natürlich gibt es das neue Superfood in den USA auch als fertigen Snack: Kale-Chips fehlen dort in keinem gut sortierten Biosupermarkt. Bei uns hat es sich nun der Hersteller Heimatgut zur Aufgabe gemacht, ein anderes altes Gemüse neu zu beleben. 16 Das perfekte Produkt, mit dem ich mich als Foodie outen kann, ist das Olivenöl. Wo kommt es her, ist es bio? Rund um die Oliven und ihre Pressungen ist ein echter Hype entstanden. Das Olivenöl „JusComte“ aus Kreta fügt diesem Thema jetzt noch eine weitere Komponente hinzu: Es ist so schön verpackt wie eine teure Creme. Ein edles InsiderProdukt. Ähnliche Assoziationen wecken die Öle im Sprühapplikator (etwa von Venterra). Sie sind so premium, dass sie tröpfchenweise ver wendet werden sollten – so hochwertig wie ein exklusives Parfüm. (Tenuta Venterra, Contrada Mannara, 74023 Grottaglie, www.tenutaventerra.it) Wir kennen die Geschmacksrichtungen süß, salzig, sauer, bitter. Tja, und dann gibt es noch umami. Das ist Japanisch und heißt: fleischig, lecker, herzhaft. Starköchin Laura Santtini füllt den Geschmacksknaller aus Oliven, Tomaten, Steinpilzen und Parmesan in Tuben – und gibt auf ihrer Webseite auch noch eine Menge Tipps und Rezepte preis, wie umami den Speiseplan bereichern kann. (www.laurasanttini.com) 17 Foodies Im Restaurant „Roberta’s“ (www.robertaspizza.com) im New Yorker Stadtteil Brooklyn finden am Wochenende Seminare statt, in denen die Teilnehmer lernen, wie man Hasen schlachtet, häutet, ausweidet und dann zubereitet. Nebenbei wird ein eigener Farmer’s Markt abgehalten oder zu „Wine, Bread and Cheese“ geladen. Der Hamburger Versender Foodist.de stellt monatlich eine neue Gourmetbox zusammen. Darin enthalten sind kleine Produktgrößen mit Lebensmitteln von Manufakturen aus ganz Europa. Ein Überraschungspaket für Foodies, das auf Wunsch nach den eigenen Vorstellungen vorkonfiguriert werden kann oder als freie Geschenkbox ins Haus kommt. Foodies sind weltoffene Genussmenschen Was sie essen und nicht essen, die Qualität der Nahrungsmittel, die Art der Zubereitung ihrer Speisen sind das zentrale Thema der Foodies, ihr Hobby und ihre Passion. Sie haben die Dimension, dass Essen satt machen soll, längst gesprengt: Food ist Genuss, ist Leidenschaft, ist Statement und Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Diesen Lifestyle lässt sich der Foodie auch etwas kosten, weswegen Foodies in der Mehrzahl zwischen Ende 20 und Anfang 60 sind, gut gebildet, gut verdienend. Foodies interessieren sich für ein genussvolles, gesundes Leben, für die Kultur des Essens und das Essen anderer Kulturen. Es sind mehr Frauen unter den Foodies, aber auch unter Männern verbreitet sich dieser Lebensstil. rant wie „Le Pain Quotidien“ („Unser täglich Brot“), in dem die Gäste an langen Tischen zusammenkommen, um frisches Holzofenbrot mit grobkörnigem Salz zu genießen und den Kaffee dabei mit beiden Händen aus großen Schalen zu trinken, entspricht ganz seinem Geschmack. Da stört es auch nicht weiter, dass es den Verantwortlichen mit diesem Konzept gelungen ist, das Prinzip der Systemgastronomie ihrem Lebens- Soziodemografie der Foodies Die Verbraucheranalyse weist aus, dass sowohl Menschen, die gerne kochen und Spaß daran haben, neue Rezepte auszuprobieren, als auch diejenigen, die sich selbst als „Feinschmecker“ klassifizieren, eine besonders spannende Stilgruppe bilden: Sie sind gesundheitsbe18 wusst und vielseitig interessiert. Zu ihren Interessensgebieten gehören Einrichtungsgegenstände und Modeartikel, Kultur und Bildung. Sie sind bereit, für besondere Produkte auch mehr Geld auszugeben, und leisten sich bisweilen ganz bewusst Dinge von hoher Qualität. Vor allem die „Feinschmecker“ sind überdurchschnittlich zufrieden mit ihrem eigenen Leben, wollen gut aussehen und sich gut fühlen. Nachhaltigkeit und ökologisch korrekte Produkte sind für sie ausgesprochen wichtig. Zu ihrem Gesundheitsverständnis gehört es auch, Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen. In diesem Spannungsfeld schafft es der Foodie, ein Paradoxon erfolgreich für sich zu lösen: Er isst gern, allerdings nicht zu viel, denn er möchte ja auch total gesund sein. Und er schätzt die Gemeinschaft beim Genießen: Ein Restau„Mixology“ ist ein Fachmagazin für Barkultur, das alle zwei Monate erscheint. Sehr professionell wird hier über hochwertige neue Drinks, besondere Veranstaltungen und Nachrichten aus der Bartender-Szene berichtet. Cocktailrezepte, Geschichten rund um die Produkte und Zubereitungstechniken aus der Barkultur bilden den Kern der Zeitschrift, die im Direktvertrieb und über ausgewählte Zeitschriftenhändler, an Bahnhöfen und Flughäfen im deutschsprachigen Raum vertrieben wird. Gestaltung und Layout sind hochwertig und schön. Neben dem Printmagazin erscheint seit 2012 jährlich der „Mixology Bar Guide“. Er ist eine umfassende Sammlung der schönsten Tempel des Trinkvergnügens und ein Wegweiser zu großartigen Bartresen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie ausgewählten internationalen Metropolen. stil anzupassen: LePainQuotidien.com gibt es schon 150-mal auf der Welt in 19 verschiedenen Ländern. Ein zentrales Motiv im Leben des Foodies ist die Selbstdarstellung: Der Foodie möchte nicht allein sein mit seiner guten Mahlzeit, sondern diese am liebsten mit aller Welt teilen. Foodies sprechen ausgiebig über Mahlzeiten, tauschen Rezepte und verraten, wo es die besten Restaurants und den besten Rohmilchkäse der Stadt gibt. Foodies genießen es, ihren Lebensstil in fremden Küchen weiterzupflegen – gemeinsames Kochen mit Freunden bildet ein Highlight ihrer Freizeitbeschäftigungen. Wenn sie doch einmal für sich alleine kochen, kann man sicher sein, das Ergebnis danach via Social Media sehen zu können – Bilder vom Essen sind parallel mit dem Aufkommen der FoodieBewegung groß geworden. Ob im „Yoga for Foodies“ heißt ein neues Angebot des Exhale Spa in Manhattan (www.exhalespa.com). Nach der Yogaeinheit setzen sich die Foodies hier zu Pasta, Wein und Schokolade gemeinsam an lange Tische. Andere amerika nische Yoga-Center offerieren seit diesem Jahr Kochkurse und Weinproben, um die Yoga-liebenden Foodies in ihrem Bemühen zu unterstützen, sich jeden Bissen zu vergegenwärtigen, den sie zu sich nehmen. Und auch der umgekehrte Weg wird bereits gegangen: Der Whole Foods Market in Richmond/London UK bietet Yogakurse, sonntags in seinem Geschäft. 19 Foodies „In food we trust“ ist der Leitspruch der „Kitchen Guerilla“. Diese Hamburger Truppe hat es sich zur Aufgabe gemacht, kulinarische Erfahrungen in außeralltäglicher Atmosphäre anzubieten. Dafür kapern die Underground-Gastronomen und -Köche fremde Restaurants, Segelschiffe, Landgasthöfe, Baustellen, Kombüsen und eröffnen dort ihre Pop-up-Küche. Inzwischen bietet Geschirrhersteller Rosenthal ein „Kitchen Guerilla“-Gewinnspiel an und ihr mobiler Biergarten geht auf Sommertournee – gesponsert von Pilsner Urquell. www.kitchenguerilla.com Köche sind die Kenner. Die anderen aus ihrem Netzwerk wiederum beweisen mit dem Klick auf den „Gefällt mir“ Button, dass sie diese Zeichen der Inszenierung verstehen. Neben den üblichen sozialen Netzwerken haben sich jetzt auch eigene Verbindungen für Freunde der Nahrungsdokumentation etabliert wie die Apps „CrazyChow – The new fotosharing network just for foodies“ und „Burp – like Instagram for foodies“. Die Liebe des Foodies zur Dokumentation seiner selbst gekochten Speisen hat die Verantwortlichen bei Nikon, Sony und Olympus dazu bewogen, Kameras mit speziellen Modi für Kochfotos („Food Mode“) auf den Markt zu bringen. Dieser Modus erhöht die Farbsättigung, um die abfotografierten Nahrungsmittel und Gerichte anschaulicher zu machen. Zudem muss der Blitz bei gewähltem Food Modus jeweils extra eingestellt werden – zu grelles Licht verzerrt viele Food-Bilder. Lokal oder zu Hause, Foodies sind so stolz auf ihre Kreationen, dass sie diese selbstverständlich dokumentieren. Was soziologisch dahintersteckt, erläutert Soziologie-Professorin Eva Barlösius von der Universität Hannover: „Mit diesen Food-Bildern zeigt man: Ich kann mir das leisten. Aber auch, und das ist viel wichtiger: Ich habe kulturelle Kenntnisse und weiß gutes Essen zu würdigen. Essen ist ein zentrales Gebiet, auf dem man seine moralischen und ethischen Überzeugungen, seinen Geschmack und Lebensstil dokumentiert.“ (Der Spiegel 21/2013). 20 Das Web 2.0 ist auch ein Foodies-Tool Aus Esskultur, Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein, garniert mit Ethnologie, formt der Foodie eine Lebenswelt, die andere Interessen – zum Beispiel Popmusik, Mode oder Literatur – in den Hintergrund drängt. Dennoch ist der mitteilsame Foodie durchaus medienund technikaffin. Weil die „klassischen“ Medienangebote sein Genussverständnis bislang nicht suffizient abdecken, führt er gerne selbst einen Blog oder veröffentlicht gar ein eigenes Kochbuch. Über das Essen kann der Foodie sich differenzieren, es ist Ausdruck seines Styles und seines sozialen Standings. Mögen die Wohnungen auch kleiner werden – die Esstische für die gemeinschaftlichen Mahlzeiten mit Freunden werden immer größer. Die Foodies sind Teil der Network Society Das Aufkommen von Social-MediaAngeboten im Internet hat die FoodiesBewegung beschleunigt: Nie war es so einfach wie heute, ein Auditorium für ein gelungenes Soufflé oder das perfekte Wildschweinragout zu finden. „The food is the star“ – aber seine Und dann wäre da noch FoodPorn. Dieser Name ist sowohl der Gattungsbegriff aller glamourösen visuellen Inszenierungen geiler Gerichte als auch der Name einer Reihe spektakulärer Foren für Foodies: Auf foodporn.tumblr.com, foodpoorn.tumblr.com oder der Food Porn-Facebook-Seite, die von 1,7 Millionen Menschen gelikt wurde, finden sich grandiose Aneinanderreihungen fantastischer Food-Bilder. Die kanadische Psychiaterin Valery Taylor warnte zwar bereits, Food Porn könne Essstörungen begünstigen. Führen die Seiten doch vor Augen, was wir alles genießen könnten, wenn wir uns nicht immer Fett, Zucker, Kalorien zu verkneifen suchten. Solche Bedenken werden von eingefleischten Foodies aber mit einem Bild ihres jüngsten Käsekuchen-Traums zur Seite gewischt. Eine andere Reaktion auf die Flut an Foodies-Medien stellen das Blog „Pictures of Hipsters Taking Pictures of Food“ sowie das Netzwerk „Sad Desk Lunch“ dar. Letzteres listet selbstironisch Bilder von traurigen Bürosnacks. Ein Lifestyle mit Promi-Faktor Dass es zudem auch Prominente verstehen, gut zu leben und gleichzeitig auf Nachhaltigkeit und Gesundheit zu achten, lässt sich in den zahllosen FoodBlogs und Foodies-Twitter-Nachrichten sehr gut nachzeichnen. Schauspielerin Jessica Alba etwa postet mit Vorliebe Bilder ihrer aktuellen Mahlzeiten – selbst gekocht oder im authentischen Beverly Hills Caviar heißt das Unternehmen, das in Los Angeles an drei prominenten Standorten eine ganz neue Art Verkaufsautomat aufgestellt hat. Hier gibt es keine Cola-Dosen oder Schokoriegel sondern teuersten Kaviar. Für fünf Dollar bekommt man bereits ein kleines Döschen, erhältlich sind aber auch feinste Fischeier wie etwa „Imperial River Beluga“Kaviar – 200 Gramm für 1.000 Dollar. Das Gerät akzeptiert ausschließlich Bargeld. 21 Foodies Restaurant. Kollegin Gwyneth Paltrow betreibt bereits seit gut vier Jahren einen E-Mail-Newsletter/Weblog zu den Themen Food, Health, Fashion und Everyday Life. Supermodel Kate Moss bekennt sich offiziell dazu, ein Foodie zu sein, gerne im Garten zu arbeiten und nun sogar eine eigene Marmelade unter dem Namen „Kate’s Damson Jam“ auf den Markt bringen zu wollen. Andere Stars der Szene sind die Amerikanerinnen Laena McCarthy, die als „Jam Queen“ von Brooklyn ihre eingekochten Früchte und hausgemachten Konfitüren mit Namen wie „Anarchy Strawberry Balsamic Jam“ auf den Bauernmärkten New Yorks an den Mann bringt, sowie Cathy Erway, Autorin von Blog und Buch mit dem Titel „Not Eating Out in New York“. Darin beschreibt die Endzwanzigerin ihr Leben ohne Restaurants – dort zu essen konnte sie sich jahrelang mit ihrem Job als Teamassistentin eines Konzerns nicht leisten. Stattdessen hat sie das Kochen mit Freunden zu einem Lifestyle erhoben. Genau dieses Motiv wurde jetzt von den Machern der niederländischen App „Koken met Aanbiedingen“ aufgegriffen. Sie bieten täglich neue Rezeptvorschläge – und verwenden dabei nur Zutaten, die bei den beteiligten Supermarktketten aktuell im Angebot sind. Ein Service für kreative Foodies, die aufs Geld achten müssen. Foodies – wo kommen sie her? Streng genommen sind die Foodies gar keine neue Bewegung. Bereits 1984 veröffentlichten die Amerikaner Paul Levy und Ann Barr „The Official Foodie Handbook“. Inhalt: alles, was Genuss begeisterte interessiert – von der Theorie gesunden Essens bis zu Reiseempfehlungen für die besten Restaurants der Welt. Auch sie wollten damals schon gutes Essen und Trinken weniger als Edelküche und Luxusattitüden denn vielmehr als naturgegebene Selbstverständlichkeit verstanden wissen. Die beiden Autoren nahmen damit eine Diskussion vorweg, die erst knapp 30 Jahre später wirklich leidenschaftlich geführt werden sollte: Welche Auswirkungen haben schlechtes Essen, Fast Food und lieblos hergestellte Lebensmittel auf Gesundheit und Lebensqualität des Menschen? Weiblich, jung, fleischfrei Dieser Gesundheitsaspekt ist es auch, der eine Reihe von Foodies in Vegeta rier und ihre vielfältigen Untergruppie22 Camu-Beeren aus Südamerika, die sie zu Hause dann in ihrer gut ausgestatteten, aber umweltverträglichen Küche ihren Freunden präsentieren. Foodies begründen die wichtigste Esskultur des 21. Jahrhunderts – eine Stilgruppe mit hohem Zukunftspotenzial. Konsequenzen für die Unternehmen Den Großstädter, der mit Leidenschaft kocht und isst, kennt die Sozialforschung schon länger – ihm verdanken wir hochwertiges Kochgeschirr, Kochsendungen auf allen Kanälen und den Boom bei Kochbüchern. Der Foodie jedoch sprengt diese Dimension: Für ihn ist gutes Essen und Trinken Lebenssinn und -elixier gleichermaßen. Jeder Produktverantwortliche, der Dinge anbietet, die irgendetwas mit Essen und Trinken zu tun haben, wird sich über die Foodies als neue Käufergruppe freuen können. Eine Generation junger Käser befreit derzeit die Schweiz von ihrem langweiligen EmmentalerImage – und schafft es, auch für die Foodies attraktiv zu werden. Der Stanser Flada von Sepp Barmettler (www.cheesenet.ch/stanser_fladae.htm) etwa sorgt für ein besonders haptisches Käseerlebnis: Die obere Rinde des Käses wird mit einem Löffel abgekratzt, mit dem man dann auch die zähflüssige Käsemasse in den Mund befördert. Eine Essanleitung für diesen spektakulären Nachtisch findet sich auf der Holzschachtel. rungen verwandelt (Lacto-Vegetarier zum Beispiel, die Milchprodukte essen, Ovo-Vegetarier, die auch Eier zu sich nehmen, Flexitarier, die im Prinzip fleischlos leben, aber ab und zu von diesem Grundsatz abweichen). Je nach Definition des fleischlosen Ernährens lassen sich laut Vegetarierbund Deutschland bis zu neun Prozent der Bundesbürger zu den Vegetariern zählen, 20-mal so viele wie vor 20 Jahren. In anderen Ländern Europas (Italien, Spanien, Niederlande, Schweden) ist der Vegetarismus nur mit jeweils drei bis vier Prozent in der Bevölkerung verbreitet. Schicke neue Restaurants positionieren sich über ihre fleischfreien Kreationen, der „moralische Vegetarier“, der auf tote Tiere, nicht aber auf Lebensqualität verzichtet, stellt aktuellen Studien gemäß inzwischen die große Mehrheit. In diesem Sinne kann der Foodie auch als Neuinterpretation des LOHAS angesehen werden. Der Lifestyle of Health and Sustainability wird hier mit einem klaren Fokus auf Spaß an gutem Essen neu interpretiert. Der Foodie ist der Lifestyle-Ethno von heute und damit der Weltbürger von morgen Weil die Foodies-Bewegung auch sehr stark durch die Globalisierung beeinflusst wird, gedeiht sie vorzüglich in den internationalen Metropolen. Die Großstädter in Europa und Nordamerika verabreden sich online zum gemeinsamen Abendessen (bei uns zum Beispiel mithilfe der Mitesszentrale.de), bei denen sie Fremde mit ihren Kochkünsten in Freunde verwandeln oder aber das neue Rezept erst an Unbekannten ausprobieren können; sie können zwischen Wochenmärkten, Supermärkten und den Gourmetabteilungen der großen Warenhäuser hin- und herwechseln, zum Einkaufen von Zutaten zu Bauernhöfen im Umland fahren oder sich das Ganze gleich im Abo mit ihrer edlen Gemüsekiste liefern lassen. Multinationale Restaurants und kleine Originalläden verkürzen die Zeit bis zur nächsten – auch kulinarisch inspirierten – Reise. Von dort bringen sie ihre neuesten Errungenschaften mit: Matcha-Tee aus Japan, schwarzes Salz aus Hawaii, Camu- Schlüsselmarkt der Zukunft: Food & Beverages Im Bereich hochwertiger roher Zutaten und Gewürze sowie dem Verkauf handgefertigter Lebensmittel (auch via E-Commerce) ist mit einem weiteren Wachstum zu rechnen, wenn es die Verantwortlichen hinbekommen, die Foodies ernsthaft als neue Stilgruppe anzusprechen: Ihre Sehnsucht nach Gesundheit, Genuss und multiethnischen Einflüssen kann in neuen Foodie-Produkten zusammengeführt werden. Zeitaufwendige und komplizierte Gerichte schrecken den Foodie nicht ab, lange vergessen geglaubte Rezepte werden zum Gesprächsthema für Insider. Gemeinschaftliches Erleben erhöht den Genuss Der Foodie ist ein Herdentier. Er möchte auch andere für seine Kochkreationen begeistern und auf seinen Erfahrungstrips Land und Leute kennenlernen. Die Reisebranche sollte sich auf den Foodie und seine Bedürfnisse einrichten. Auch für Weinhändler und erstklassige Nahrungsmittelproduzenten ergeben sich durch diese Entwicklung Chancen für Foodie-Seminare oder -Reisen. Daneben scheint auch das Potenzial für FoodieMedienformate noch nicht ausgeschöpft. Neue Printmagazine wie „Slowly Veggie“ (seit September 2013, Burda Verlag), das Jamie-Oliver-Magazin („Jamie“, Gruner + Jahr, seit März 2011) oder „Beef“ (ebenfalls Gruner + Jahr) zeugen davon. Letzteres, im Herbst 2009 gegründet, verkauft mittlerweile im Schnitt 60.000 Exemplare, erscheint seit 2013 sechsstatt viermal im Jahr und wurde nun sogar als TV-Format adaptiert. Am 16. August lief der Pilot auf dem Männerkanal RTL Nitro. Die Zukunft mit den Foodies So wie sich das Interesse an Speisen und Getränken, am Hobby Kochen sowie am Zusammenhang zwischen Gesundheit und Genuss in den nächsten Jahren weiter zum Mainstream entwickeln wird, vergrößert sich auch die Zahl der Foodies. Je älter wir werden, desto jünger und gesünder wollen wir sein. Gesundes Essen, aber auch Lebensfreude und Freunde sind der wichtigste Weg dorthin. Speisen und Getränken kommt dementsprechend eine Schlüsselposition zu. Die Foodies werden als Stilgruppe weiter wachsen. In den nächsten Jahren werden sich immer mehr Menschen über ihre Ernährung und ihren bewussten Lebensgenuss positionieren. Diesen Lifestyle wird man auf der Ebene von Produkten, Medien und Technologie nachzeichnen können. Ein britisches Start-up mischt die Bartender-Szene auf. Unter dem Namen „Twist“ wird ein Geschenke- oder AboSet verkauft, das alle Zutaten enthält, die man zur Herstellung eines erstklassigen Cocktails benötigt. Zusammen mit den benötigten Rezepten in Form eines hochwertigen Booklets wird das Paket ins Haus geschickt. Die alkoholischen Zutaten sind erstklassig und sonst nur in Spezialgeschäften oder hinter den edelsten Bars zu finden. Die Käufer werden ermutigt, damit auch ihre eigenen Kreationen auszuprobieren. (www.givemeatwist.com) 23 Cycle-Lust Cycle-Lust Kopenhagen investiert in die Beschleunigung des Radverkehrs. Der Radschnellweg „Snake“ ist allerdings nur der Anfang. Insgesamt sind 26 Superhighways für Radfahrer in Planung. Foto: © Rasmus Hjortshøj - COAST Studio. Die „Critical Mass“ ist eine Form des Straßenprotests, mit dem Radfahrer auf der ganzen Welt darauf aufmerksam machen möchten, dass sie ebenso wie motorisierte Fahrzeuge Teil des Straßenverkehrs sind. Während einer Critical Mass im ungarischen Debrecen halten Teilnehmer ihre Fahrräder in die Höhe. Foto: dpa Cycle-Lust Tausche Auto gegen Jugend Immer mehr Menschen entscheiden sich für das Fahrrad, um von A nach B zu kommen. Wer mit dem Rad fährt, ist zum einen finanziell unabhängiger und zeitlich flexibler. Zum anderen ist jede Fahrt eine Trainingseinheit für Körper und Geist und steigert dadurch unsere Leistungsfähigkeit. Trend-Definition Das Fahrrad ist längst kein reines Fortbewegungsmittel mehr. Vor allem junge Menschen nutzen ihr Zweirad, um ihrer Individualität Ausdruck zu verleihen. Dies geschieht nach dem Motto „Zeig mir dein Rad und ich sag dir, wer du bist“. Vintage-Rennrad, Beachcruiser, Fixie oder schlichtes Trekkingrad: Jedes Fahrradmodell ist Ausdruck einer individuellen Haltung und deshalb ein Aushängeschild für die Persönlichkeit des Besitzers. Beim Kauf eines Fahrrades ist somit nicht nur die Funktionalität, sondern auch das Design entscheidend. Darüber hinaus bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, das eigene Rad weiter zu individualisieren. Durch die Applikation besonderer Einzelteile und das Anbringen von Accessoires entstehen nahezu unendlich viele Möglichkeiten. Die Innovationen in diesem Bereich werden maßgeblich durch neue Produktions verfahren vorangetrieben. Start-ups können ohne immenses Eigenkapital neue Produkte entwickeln und vertreiben; immer häufiger auch mit der Option auf Individualisierung des Produkts durch den Kunden. Auch Modemarken haben den Trend erkannt und bieten den Konsumenten Kleidungstücke an, die Funktionalität und Stil geschickt miteinander vereinen. Wer einen Blick auf die Straßen und Radwege unserer Großstädte wirft, bemerkt schnell, dass Fahrräder auf dem Vormarsch sind. Autos, Busse und Fußgänger müssen sich ihre Infrastruktur immer häufiger mit der wachsenden Anzahl von Fahrrädern teilen – Tendenz steigend. Der Fahrradbestand in Deutschland belief sich 2013 nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) e. V. auf 71 Millionen Stück. 2007 waren es noch drei Millionen weniger. Diese Tatsache ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die Politik in Deutschland den motorisierten Individualverkehr in den vergangenen Jahrzehnten bei der Stadtplanung bevorzugt hat. Das Projekt BiTiBi (gefördert durch die EU) will die Lebensqualität und die Energieeffizienz in den großen Städten steigern und widmet sich deshalb der Verknüpfung von Rad- und Schienenverkehr. www.bitibi.eu 28 Cycle-Lust Key Findings - - - - - Das Fahrrad ist kein reines Fortbewegungsmittel mehr. Es steht für Autonomie, Flexibilität und Individualisierung. E-Bikes sind der Megatrend der Fahrradindustrie. Smarte Technologien beflügeln den Fahrradmarkt. Rad fahren steigert die körperliche und mentale Fitness der Mitarbeiter. Der private Fahrradverleih wird mit der App „Spinlister“ zu einem Kinderspiel. Mit wenigen Klicks kann der Nutzer heraus finden, welche Fahrräder in seiner Umgebung zum Verleih bereit stehen und diese ausleihen. www.spinlister.com Das Lastenfahrrad „Load Hybrid“ der Firma Riese & Müller kann bis zu 200 Kilogramm zusätzliches Gewicht transportieren. Dadurch wird es zu einer echten Alternative zum Auto. Foto: www.r-m.de | pd-f Radfahrer haben es in Deutschland – zum Beispiel im Vergleich zu Groß städten in Dänemark oder den Niederlanden – nicht mit optimalen Bedingungen im Straßenverkehr zu tun. Dennoch erobern sie die Großstädte und fordern darüber hinaus eine intakte und angemessene Infrastruktur für ihr bevorzugtes Fortbewegungsmittel. Aus diesem Sachverhalt heraus entwickelte sich zum Beispiel die Aktionsform „Critical Mass“ („kritische Masse“). Hierbei handelt es sich um eine inter nationale Bewegung, die sich dadurch auszeichnet, dass sich Radfahrer scheinbar zufällig und unorganisiert treffen, um gemeinsam in möglichst großen und nicht hierarchisch organisierten Gruppen durch die Innenstädte zu fahren. Dadurch wollen die Beteiligten auf den Radverkehr als Form des Individualverkehrs aufmerksam machen. Im Mai 2014 fuhren in Hamburg 4.500 Menschen bei der Aktion mit. Auch hier gilt: Tendenz steigend. verantwortung bei der Lebensplanung unumgänglich ist. Die Popularität des Fahrrades ist Ausdruck der zuvor beschriebenen sozialen Veränderungen. Ein Fahrrad garantiert Mobilität und kommt im Vergleich zum Auto ohne Versicherung, Parkplatz suche und unstete Benzinpreise aus. Dadurch bietet es dem Benutzer ein hohes Maß an Autonomie und Flexibilität. Wenn es doch mal ein Auto sein muss, dann nutzen die Menschen immer häu figer Carsharing-Angebote. Außerdem ist der Preis eines Fahrrades erheblich günstiger. Ein Auto wird oft auf Raten gekauft. In Zeiten, in denen man seine berufliche Zukunft nur noch bedingt sicher planen kann, tun sich viele Menschen schwerer damit, einen Kredit für die eigene Mobilität aufzunehmen. Autonomie und Flexibilität Unser Alltag ist vermehrt von Unsicherheit und Beschleunigung geprägt. Dies ist zum einen dadurch bedingt, dass sich der Wohlfahrtsstaat immer weniger für unser soziales, materielles und kultu- relles Wohlergehen verantwortlich zeigt. Zum anderen sorgt die flächendeckende Digitalisierung unseres Alltags für kontinuierliche Veränderungen. Um auf diese Veränderungen angemessen reagieren zu können, benötigen wir ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und Flexibilität. In unserer Zeit geht es politisch und wirtschaftlich unruhig zu. Einen Job auf Lebenszeit wird es voraussichtlich kaum noch geben. Die Generation Y (auch Millennials genannt, geboren nach 1980) zeichnet sich dadurch aus, dass sie den Umgang mit Unsicherheit und Ungewissheit in der Lebensplanung gewohnt ist. Die Generation Y hat verinnerlicht, dass Eigen- www.chillbikes.com www.beatnecksbikes.com www.createbikes.com www.tannus.com www.osloh.com 30 Hintergründe und Treiber Individualisierung auf Rädern Heute prägt jeder Einzelne seinen Lebenslauf selbst. Die Gemeinschaft hat kaum noch Einfluss darauf. Institutionen wie Kirchen, Gewerkschaften und Parteien haben erheblich an Bedeutung verloren. Dies liegt daran, dass die Normen und Werte der Institutionen von jedem Einzelnen stärker hinterfragt werden. Diese Individualisierung äußert sich auch im Konsumverhalten der Menschen. Der Nutzen eines Produkts ist heute oft zweitrangig. Die Konsumenten interes- sieren sich vermehrt für Angebote, die zu ihnen und ihrem Lebensentwurf passen. Das Öko-Image war gestern. Das Fahrrad symbolisiert heute die Individu alisierung. Aus eigener Kraft an ein gewünschtes Ziel zu gelangen war noch nie so sexy. Leistungsfähigkeit sichern und steigern Wir sind selbst für uns verantwortlich, wenn es um Erfolg und Glück in unserem Leben geht. Und je mehr wir auf uns selbst gestellt sind, desto leistungsfähiger müssen wir sein. Deshalb wird der Körper zu unserem zentralen Kapital. Dabei spielt das Aussehen nur eine untergeordnete Rolle. Wichtiger ist, www.trendwizzard.de 31 Cycle-Lust Die Firma OTO Cycles aus Barcelona fertigt hochwertige E-Bikes im Retro-Design. Der Sattel und die Lenkergriffe lassen sich nach den Wünsch des Käufers individualisieren. www.otocycles.com Das „NCycle“ setzt neue Maßstäbe in der Entwicklung von E-Bikes. In diesem Modell trifft minimalistisches Design auf neueste Technik. Dazu zählt unter anderem das integrierte Zusammenfalten des Schließsystems NLock. www.ncycle.net dass nach außen sichtbar wird, dass der eigene Körper leistungsfähig ist. Auch im Bereich Gesundheit verlassen wir uns längst nicht mehr auf öffentliche und institutionelle Strukturen. Unser Bedürfnis nach Selbstbestimmung veranlasst uns dazu, unsere Gesundheit zu einem individuellen Projekt zu machen. Regelmäßige Bewegung steigert unser Wohlbefinden und unsere Leistungsfähigkeit. Auch deshalb entscheiden sich immer mehr Menschen für das Fahrrad. Es befördert einen nicht nur zügig zum gewünschten Ziel, sondern trägt auch maßgeblich dazu bei, unsere Fitness und damit unsere Leistungsfähigkeit zu erhalten und zu steigern. Durch die Fahrt von einem Megatrend. Schnelle Elektrofahrräder liegen meistens bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 bis 30 km/h. Dadurch zählen sie innerorts auf kürzeren Strecken zu den schnellsten Fahrzeugen. Da Zeit heutzutage eines der wertvollsten Güter darstellt, bieten sie dem Nutzer dadurch einen klaren Vorteil, auch gegenüber normalen Fahrrädern. Durch die Unterstützung des Elektroantriebs muss der Fahrer im Vergleich zu einem normalen Fahrrad weniger Energie aufbringen. Dadurch ermüdet der Körper beim Radfahren langsamer. Klarer Vorteil: Es können größere Entfernungen zurückgelegt werden. Der Ak 32 mit dem Rad spart man also nicht nur Zeit, sondern tut auch noch etwas Gutes für Körper und Geist. Der Wert Gesundheit verdrängte laut Werte-Index 2014 erstmalig den Wert Freiheit von der Spitzenposition des Rankings. Diese Veränderung im Werte-Set unserer Gesellschaft äußert sich eindeutig in der vermehrten Fahrradnutzung. E-Bikes boomen E-Bikes (auch Pedelecs genannt) sind Elektrofahrräder, bei denen der Nutzer beim Tritt in die Pedale durch einen Elektroantrieb unterstützt wird. In Deutschland ist die Geschwindigkeit von E-Bikes durch einen maximal 250 Watt starken Motor auf 25 km/h begrenzt. Dadurch gelten sie nach der StraßenverkehrsZulassungs-Ordnung nicht als Kraftfahrzeug. Deutschlandweit wurden im Jahr 2009 150.000 E-Bikes verkauft. 2013 waren es bereits 410.000 (Statista/2014). Damit ist Deutschland heute der mit Abstand größte Absatzmarkt für E-Bikes in Europa. Der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) e. V. schätzt, dass in diesem Jahr 450.000 Stück in Deutschland verkauft werden. Mittelfristig, so eine Prognose des ZIV, soll der jährliche Anteil am Gesamtmarkt sogar 15 Prozent erreichen. Dies entspräche einer Stückzahl von 600.000 E-Bikes jährlich. Die Branche spricht tionsradius vergrößert sich. Weiter sorgt der Elektroantrieb für eine gleichmäßige körperliche Belastung. Hierdurch kommt der Fahrer weniger ins Schwitzen. Dies ist vor allem für Berufstätige auf der Fahrt zur Arbeit ein wichtiger Vorteil. Smarte Technologien beflügeln den Fahrradmarkt Smarte Technologien feiern weltweit einen Siegeszug. Vor allem das Smart phone ist integraler Bestandteil des Alltags vieler Menschen. Für das Jahr 2014 wird ein Absatz von rund 24 Millionen Geräten prognostiziert (Statista/2014). Die Smartphone-Nutzung wächst in Deutschland dementsprechend weiter stark an. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) spricht in seiner Studie „Faszination Mobile“ von einer Steigerung um 25 Prozent für das Jahr 2014 im Vergleich zu 2013 (BVDW/ Google/TNS: Faszination Mobile, Mai 2014). In diesem Zusammenhang ist zunächst das Angebot an Apps und deren Nutzung interessant. Es gibt eine Vielzahl von Apps, die für Radfahrer entwickelt wurden. Diese Apps vereinen oftmals mehrere relevante Funktionen. So bietet die App „Runtastic Road Bike“ beispielsweise folgende Funktionen: Messung von Distanz, Zeit, Geschwindigkeit/Pace, Kalorienverbrauch, dazu Kartenansicht, Trainingstagebuch, Teilen 33 Cycle-Lust Die Firma SCOTT entwickelte Fahrradkleidung aus abriebfestem Material, um die Radfahrer besser vor Verletzungen zu schützen. Das Material ist gleichzeitig besonders schonend für die Haut. www.scott-sports.de Der Elektronikhersteller Samsung entwickelte gemeinsam mit dem Rahmenbauer Giovanni Pelizzoli das „Samsung Smart Bike“. Durch den Einsatz neuester Technik, soll das Radfahren sicherer und komfortabler werden. www.maestrosacademy.it in sozialen Netzwerken, Wetter und vieles mehr. Früher brauchten Fahrradfahrer ein separates Navigationsgerät und einen Fahrrad-Computer für die Erfassung von Geschwindigkeit und Zeit. Heute finden sich diese Funktionen gebündelt in einer einzigen App. Das erleichtert allen Interessierten den Radsport, zumal die meisten Nutzer das Smartphone immer bei sich haben. Darüber hinaus automatisiert es benutzerfreundlich die Erfassung und Auswertung von zurückgelegten Strecken und Trainingserfolgen. In Zeiten von Healthstyle und Quantified Self sind solche Apps ein begehrtes Werkzeug für die Selbstoptimierung. Da wir unsere des Problems hochgeladen hat, verschafft sich ein erfahrener Techniker einen Überblick und macht sich anschließend mit den benötigten Ersatzteilen auf den Weg zum Kunden. Die Zeiten, in denen man sein kaputtes Fahrrad zu einer Werkstatt schiebt, sind damit vorbei. Das sorgt für erheblich weniger Frust. 34 Leistungen und Erfolge gerne teilen, ist die Verknüpfung mit Social Media ein weiteres wichtiges Feature. So macht nicht nur trainieren, sondern auch Fahrrad fahren an sich Spaß. Auf diese Weise tragen Apps zur Popularität des Fahr rades bei. Apps erleichtern den Alltag Aktuell arbeiten Entwickler an weiteren Produkten und Dienstleistungen, die den Alltag der Fahrradfahrer verändern. Das „Skylock“ der Firma Velo Labs Inc. zeichnet sich dadurch aus, dass kein Schlüssel mehr zur Öffnung des Schlosses notwendig ist. Ähnlich den Technologien, die im Bereich Smart Homes Anwendung finden, lässt sich dieses Schloss über eine App öffnen und schließen. Der Nutzer kann sein Fahrrad sogar spontan Freunden zur Verfügung stellen, weil sich das Schloss mit der App von überall aus öffnen lässt. Das „Skylock“ ist außerdem mit Solarzellen ausgestattet, damit die Stromversorgung des Empfängers gesichert ist. Ein weiterer spannender Service kommt vom Start-up Veloyo aus Hamburg. Wer während einer Fahrt Probleme mit seinem Fahrrad hat – einen platten Reifen, kaputte Bremszüge oder eine defekte Schaltung –, kann über die App von Veloyo schnelle Hilfe anfordern. Nachdem der Benutzer Fotos und eine Beschreibung Das Smart Bike steht in den Startlöchern Der Elektronikhersteller Samsung präsentierte auf der Mailänder Designwoche 2014 das „Samsung Smart Bike“. Im Rahmen dieses smarten Fahrrades stecken ein Akku, Wi-Fi, Bluetooth, ein Arduino-Microcontroller, vier Laserpro- jektoren und eine Digitalkamera. Die Digitalkamera filmt nach hinten und überträgt via Echtzeit-Streaming das Bild auf ein Smartphone, das am Lenker befestigt ist. So kann der Fahrer jederzeit sehen, was hinter ihm geschieht, ohne sich umzudrehen. Das gewährleistet eine erhöhte Fahrsicherheit. Das Smartphone dient aber nicht nur als Rückspiegel. Weiter ermöglicht es die Steuerung anderer Fahrradfunktionen. So lässt sich alles vom Licht bis hin zur Aktivierung einer Fahrbahnmarkierung mit Laserprojektoren steuern. Weiter bekommt der Nutzer ein Navigationsprogramm zur Verfügung gestellt. Selbst eine Community-Funktion ist vorgese- hen. Jeder Nutzer sendet seine Position über die GPS-Funktion des Smart phones. So kann jeder Nutzer sehen, wo besonders viele Radfahrer entlangfahren. Diese Information gilt als Indikator für besonders fahrradfreundliche Strecken. 3-D-Druck ermöglicht Customizing Die Marktforschungs- und Technologieberatungsfirma Gartner prognostiziert in ihrem Bericht „Hype Cycles 2014“, dass 3-D-Druck in fünf bis zehn Jahren bei den Mainstream-Konsumenten etabliert sein wird. Das bedeutet, dass in den kommenden Jahren immer häufiger auch Privathaushalte 3-D-Drucker nutzen 35 Cycle-Lust Das Designunternehmen „INDUSTRY“ kooperierte mit den FahradbauSpezialisten von „Ti Cycles“ bei der Entwicklung des Fahrradmodells „Solid“. „Solid“ besteht aus Titan und wird mit Hilfe des 3D Druck verfahrens hergestellt. www.ticycles.com Fotos: INDUSTRY werden. Aktuell gibt es bereits eine ak tive Szene von Tüftlern und Designern, die sich seit einiger Zeit diesem recht jungen Druckverfahren widmen und unter anderem neue Produkte für den Fahrradmarkt entwickeln. Die Lust an der Entwicklung neuer Gadgets und Accessoires wird dadurch gesteigert, dass Prototypen heute mit geringem finan ziellem Aufwand angefertigt werden können. Fehlt für die Serienproduktion das Geld, so kann die benötigte Summe mithilfe einer überzeugenden Idee via Crowdfunding erfolgreich gesammelt werden. Weiter schafft 3-D-Druck neue Möglichkeiten, auf die persönlichen Wünsche 36 des Kunden einzugehen. Die Firmen Renishaw und Empire Cycles haben gemeinsam einen Fahrradrahmen entwickelt, der vollständig von einem 3-DDrucker produziert wird. Am Rechner lässt sich der Rahmen zusätzlich an die individuellen Bedürfnisse eines Fahrers anpassen. So kann mit verhältnismäßig geringem Kostenaufwand ein einzigartiger Rahmen produziert werden. Konsequenzen für Unternehmen Das eigene Image formen und stärken Unternehmen können von dem Trend Cycle-Lust profitieren, wenn es um die Pflege des eigenen Images geht. Da das Fahrrad für viele Menschen ein Symbol für Unabhängigkeit und Individualität ist, eignet es sich für die Verwendung in Werbekampagnen als starker Image träger. Das Fahrrad ist heute außerdem kein Drahtesel mehr. Es ist – genauso wie das Auto – ein Statussymbol von hoher ästhetischer Qualität. Je nach Modell und Inszenierung kann es Agilität, Autonomie, Kraft, Erfolg und vieles mehr kommunizieren. Das Fahrrad besitzt deshalb ein großes Potenzial für die Konzeption von Kampagnen und eignet sich für viele Branchen und alle Medienkanäle. Die Prognosen stehen gut: Der Fahrradmarkt wird in den kom- Die Produkte der schwedischen Firma Bookman zeugen vom Stilbewusstsein der neuen Fahrrad-Kultur. www.bookman.se menden Jahren weiter wachsen. Deshalb bietet es sich an, einen Blick auf diesen Markt zu werfen und zu überlegen, welche bestehenden Produkte sich gegebenenfalls dort platzieren lassen. Bisweilen reichen kleine Anpassungen, um sich eine neue Zielgruppe zu erschließen. Weiter ist es lohnenswert, sich über eine Erweiterung des eigenen Angebots Gedanken zu machen oder ein neues Produkt/eine neue Produktpalette zu entwickeln. Vor allem im Segment der Nahrungsmittel und Lifestyle-Produkte ist das Angebot gegenwärtig noch überschaubar. Hier zahlt es sich aus, die Zielgruppe der Fahrradfahrer zu fokussieren und direkt anzusprechen. Die neue Popularität des Fahrrades sorgt für eine Vielzahl von Innovationen. Ingenieure, IT-Spezialisten und Gestalter arbeiten an immer neuen Produktionsverfahren und Designs zur Optimierung des Radfahrens. Dabei fokussieren die Entwicklerteams häufig gesellschaftlich relevante Werte wie Nachhaltigkeit, Einfachheit und/oder Gesundheit. So entstehen spannende Konzepte und Ideen, die sich auch auf andere Branchen anwenden lassen. Darüber hinaus lohnt sich ein Blick auf die Start-up-Szene. Dort entstehen neue Dienstleistungen und Gadgets, die auch für andere Märkte spannende Impulse liefern. Vor allem in Großstädten fahren immer mehr Menschen mit dem Rad zur Arbeit. Deshalb sollte jedes Unternehmen einen Blick auf die vorhandene Infrastruktur des Firmengeländes oder der unmittelbaren Umgebung werfen. Bestehen zum Beispiel keine Abstellmöglichkeiten für Fahrräder, so lohnt es sich, diese zeitnah für seine Mitarbeiter bereitzustellen. Dadurch setzen Unternehmen ein klares Zeichen und steigern die Mitarbeiterzufriedenheit. Eine gute Infrastruktur ist außerdem eine Motivation für weitere Mitarbeiter, sich für das Fahrrad zu entscheiden. Diese Motivation zahlt sich aus: Durch regelmäßiges Radfahren steigert sich die körperliche und men tale Fitness der Mitarbeiter. 37 Serendipity Serendipity Durch den Einbau der „Get Lost“-Option im Navigationssystem erhöhte Jeep in den USA die Konversation um seine Marke um das 10fache in nur 2 Wochen. Serendipity die Jagd nach dem glücklichen Zufall Technologischer Wandel Algorithmen werden zum Metronom unseres Alltags Predictive Analytics prägen zunehmend unseren Alltag. Vernetzende digitale Technologien sind nicht nur in der Lage, unsere Abläufe zeiteffizient zu struk turieren. Durch das Lernen unserer Gewohnheiten und die intelligente Aus wertung von Bewegungs- und Trans38 aktionsdaten können sie auch unsere Verhaltensmuster erkennen und diese effektiver strukturieren und lotsen. Damit können digitale Devices unsere nahe Zukunft nicht nur voraussagen, sondern sogar aktiv mitbestimmen. Algorithmen werden zum Metronom unseres Lebens. In einigen Teilbereichen, in denen wir nach Optimierung und Effizienzgewinn streben, kommen uns die smarten Devices ganz recht. Ob es Google Now ist, das unseren Kalender intelligenter strukturiert und automatisch die optimalen Zeitfenster erkennt, oder Touch & Travel von der Deutschen Bahn, das unser Fahrverhalten analysiert und den günstigsten Fahrpreis berechnet. Intelligente Programme nehmen uns das Denken ab, lösen lästige Probleme und geben uns im besten Fall mehr Zeit für die schönen Dinge im Leben. Foto: getty images In einer Zeit, in der Technologie unser gesamtes Leben immer vorhersagbarer und planbarer macht, sehnen sich Menschen zurück nach dem Überraschenden und möchten dem Schicksal wieder mehr Verantwortung überlassen. Serendipity, der glückliche Zufall, wird zum Sehnsuchtsfeld. Er soll nicht nur Spannung in unser persönliches Umfeld bringen, sondern auch Innova tionspotenziale in Unternehmen entfalten. Statt unseren Alltag dem Diktat der Selbstoptimierung zu unterwerfen, suchen wir nach den unvorhersagbaren Ausreißern in unserer Routine. 39 Serendipity Foto: getty images Heineken forderte Reisende an Flughäfen heraus, ihre Pläne über den Haufen zu werfen und stattdessen einen Flug zu buchen, dessen Destination erst kurz vor Boarding aufgelöst wurde. 40 Doch die Optimierung unserer täglichen Routine hat auch zur Folge, dass unser Leben ein Stück langweiliger daherkommt. Wenn alles nach Plan läuft, drängen wir die glücklichen Zufälle, die spannenden Überraschungen und die schicksalhaften Begegnungen aus unserem Leben. Das Unvorhersehbare wird eliminiert, der Zufall wird abgeschafft. In der Statistik spricht man in diesem Kontext von Outliers, den Daten, die jeglichem Muster und jeder Norm widersprechen und damit zum Ausreißer aus dem Durchschnitt werden. Doch genau nach diesen unvorsehbaren Interaktionen, den Ausreißern in unserem Tagesdurchschnitt, sehnen sich Menschen zurück. Wir suchen nach dem glücklichen Zufall, nach Serendipity. Damit bezeichnet man eine zufällige Begegnung oder einen Zwischenfall, aus dem sich eine glückliche – manchmal auch lebensverändernde – Fügung ergibt. Er gilt aus Ausbruch aus der Normalität und trifft damit den aktuellen Zeitgeist. Denn normal oder berechenbar möchte heute niemand mehr sein. Stattdessen streben wir nach Erlebnismaximierung. Trendforscher sprechen vom Polarity Paradox, einem zunehmend extremen und kontextabhängigen Konsumentenverhalten, das von Kontinuität und Konvergenz Abstand nimmt. Denn die goldene Mitte kommt uns immer häufiger vor wie das Mittelmaß. Moderates Verhalten ist nicht länger Ars Operandi. Stattdessen wird es abgelöst von einem sprunghaftem Verhalten entlang der Extrempole, das eine Maximierung der Erlebnisqualität verspricht. Serendipity bedeutet jedoch keinesfalls Willkür oder Dinge dem bloßen Zufall zu überlassen. Die Ironie an der Erfüllung dieses Bedürfnisses ist, dass die Technologie, der wir eigentlich aus dem Weg gehen möchten, die gleiche ist, die uns Serendipity zurückbringen soll. Statt einer technischen Auszeit sorgen auch hier Algorithmen für den glücklichen Zufall. Auf Basis von Geo-Location- oder Bewegungsverhalten werden User mit relevanten Informationen gematcht. Apps, die sich solche Mechanismen zunutze machen, sind in den vergangenen Monaten in allen Bereichen aus dem Boden gesprossen. Doch gerade in unserem sozialen Umfeld und der Suche nach neuen Kontakten erfreut sich das Prinzip Serendipity großer Beliebtheit. Sozialer Wandel Serendipitous Technology als digitaler Amor Social-Media-Profile sind zu unserer digitalen Visitenkarte geworden. Sie ermöglichen es, anhand von gemeinsamen Interessen Gleichgesinnte zu finden und mögliche Bekanntschaften nach gemeinsamen Nennern abzuscannen, bevor wir sie überhaupt getroffen haben. Technologie erhöht unsere Bequemlichkeit und vermeidet unangenehme Situationen und Reibungsflächen mit unserem Gegenüber: der soziale Filter als Risikominimierung. KLM machte sich den Mechanismus mit ihrem Social Seating „Meet & Seat“ zunutze. Interes sierte können auf Basis eines Abgleichs ihrer Nutzerprofile Reisende mit ähnlichen Interessen finden und sich neben diese setzen lassen (www.klm.com/travel/de_de/prepare_for_travel/on_board/ 41 Serendipity Neue Dating-Apps wie Tinder oder Happn setzen nicht auf kalkulierte Gemeinsamkeiten, sondern rein auf örtliche Verbundenheit. Die Zufallsbegegnung wird digitalisiert. 42 Insbesondere im Online-Dating wird eine Bewegung deutlich, die weg von Vorhersagbarkeit zurück zur Serendipity führt. In den vergangenen Jahren erweckten Anbieter wie ElitePartner und Co. Vertrauen beim Konsumenten, indem sie den Anspruch stellten, Menschen auf Basis ähnlicher Vorlieben zusammenzubringen. Es schien, als würde Liebe berechenbar werden. Je besser Menschen auf Testskalen zusammenpassten, desto wahrscheinlicher würde es sein, dass sie auch im wahren Leben ein gutes Pärchen abgeben. Doch wenn Algorithmen Amors Pfeil ersetzen, verlieren Partnerschaften und Beziehungen ein großes Stück an Romantik und damit auch an Substanz. Gerade in der heutigen Singlegesellschaft gewinnen traditionelle Beziehungsbilder, geprägt durch Schicksal und Romantik, wieder an Bedeutung und Attraktivität. Menschen wehren sich dagegen, dass die Berechenbarkeit ihres Berufslebens auch in privaten Sphären Einzug hält. Neue Dating-Apps wie Tinder oder Happn setzen auf dieses Bedürfnis und suggerieren, den glücklichen Zufall zurück ins Leben der User zu holen. Allein auf Basis von geografischer Nähe werden User einander vorgestellt. Finden sich beide attraktiv, können Kontaktdaten ausgetauscht werden. Ein Schicksalsprinzip mit Erfolgspotenzial. Tinder hat mittlerweile bis zu 50 Millionen Matches generiert und bedient über eine Million User. Damit kann das Startup eine Wachstumsrate verzeichnen, die sich mit den Anfangszeiten von Facebook, Twitter und Instagram vergleichen lässt (http://techcrunch.com/2013/05/ 24/50m-matches-strong-hot-mobiledating-app-tinder-is-ready-to-go-globaland-move-beyond-flirting/). Während Tinder allein auf Attraktivität setzt, setzt Happn noch stärker auf das Prinzip von Serendipity und versucht, die zufällige Begegnung im realen Leben mit digitaler Kommunikation zu verknüpfen. User werden sich nur gegenseitig vorgeschlagen, sollten sie sich schon tatsächlich einmal zur selben Zeit am selben Ort befunden haben (www.happn.com). Kultureller Wandel Verantwortung an den Zufall abgeben Nicht zuletzt ist der Wunsch nach Serendipity auch ein Indikator für das Bedürfnis nach Erleichterung. Im Angesicht Foto: getty images Your_seat_on_board/meet_and_seat. htm). Die Zeiten, in denen man Lang streckenflüge neben schreienden Kindern oder unpassenden Menschen ertragen mussten, sind damit vorbei. Aber mit der Assimilation der Begegnungen setzt bei Usern immer häufiger die Erkenntnis ein, dass durch den sozialen Filter nicht nur Reibungsfläche, sondern auch Spannung abhanden gekommen ist. Schränkt es uns auf Dauer nicht in unserer Lebensqualität ein, sich nur mit Menschen zu unterhalten, die uns ähnlich sind? Digitalforscher und Internetaktivist Eli Pariser warnte schon 2011 vor dem „Echo Chamber Effekt“ – der Informationsblase, die entsteht, indem wir Algorithmen unsere Medieninhalte bestimmen lassen. Wenn uns nur noch der Content zugeführt wird, der auf Basis unserer Interessen gefiltert wurde, glauben wir irgendwann, es gebe keine andere Meinung außer unserer eigenen. Dies kann gefährliche Auswirkungen im politischen Leben haben, da Minderheiten oder konträre Ansichten die Mehrheit der Menschen nicht mehr erreichen. Doch auch außerhalb der politischen Ebene wird Vorhersagbarkeit in unserem sozialen Leben zunehmend unattraktiv. 43 Serendipity Foto: Sascha Kohlmann Musik-Streaming-Service Spotify entwickelte in 2014 das Projekt Serendipity, das visualisiert, wenn zwei Hörer zur selben Zeit den gleichen Song hören. Egal ob in Frankreich, Äthiopien oder Nicaragua – das Projekt zeigt, Musik verbindet. 44 der ständigen Informationsüberflutung, die einen hohen Suchaufwand mit sich bringt, und der wachsenden Möglichkeiten wird es immer schwieriger für Konsumenten, sich zu entscheiden. Der persönliche Druck, das optimale Ergebnis für sich zu finden, resultiert im Gegenteil: Wir fühlen uns wie gelähmt. So argumentiert der Psychologe Barry Schwartz in seinem Buch „The Paradox of Choice“, dass eine große Auswahl zunächst zwar Autonomie bedeutet, ab einem bestimmten Grad jedoch in Unzufriedenheit und psychologischer Überlastung gipfelt. An der Vielzahl der Möglichkeiten zu scheitern macht unglücklich. Indem wir die Entscheidungen wieder dem Zufall überlassen, geben wir Verantwortung ab und entkommen dem Optimierungsdruck. Da das Ergebnis nicht mehr durch uns beeinflussbar ist, sehen wir dem Problem gelassener entgegen. Serendipity – Erlebnishunger als Phänomen der Echtzeitgesellschaft Ein weiterer Faktor, der Serendipity attraktiv macht, ist der Wunsch nach mehr Erlebnissen. Die wachsende Personalisierung unserer Umgebung hat zur Folge, dass es schwierig wird, Unbekanntes zu entdecken. E-CommerceAngebote, Kontaktanfragen, Social Recommendations – ein Großteil der Informationen, die an uns herangetragen wird, ist auf unsere Vorlieben ausgerichtet und damit auf das, was wir eh schon kennen. Gleichzeitig werden alle Erlebnisse in Echtzeit geteilt und kommuniziert; die Halbwertzeit in der Experience Economy wird immer kürzer. Gleichzeitig leiden wir unter einem ungebremsten Erlebnishunger und Thaasophobie, der Angst vor Stillstand oder Langeweile. Serendipity kann einen Ausweg aus dieser Eindruckswüste darstellen. Es gibt eine Vielzahl von Apps, die Empfehlungen absichtlich nicht von Gleichgesinnten sourcen lassen, sondern durch Beliebigkeit überzeugen. Lokast ist ein Media-Sharing-Service, der Menschen die Möglichkeit gibt, mit anderen, die sich in ihrer Nähe befinden, in Mini-So cial-Networks Inhalte auszutauschen; kennen muss man sich dafür nicht. Das Programm Forgotify führt User zu den Musiktiteln, die noch von keinem anderen Nutzer auf Spotify gehört wurden – der Gegenentwurf zu den Charts (http://forgotify.com/). Nicht nur im digitalen Raum sind solche Angebote zu finden. German Wings verzeichnet riesige Erfolge mit seinem Blind Booking, bei dem der bloße Zufall entscheidet, wohin die Reisenden fliegen. Erst nach dem Buchungsvorgang wird das Ziel bekannt gegeben (https:// www.germanwings.com/skysales/BlindBooking.aspx?culture=de-DE). Es geht darum, bekannten Mustern und Rollen zu entkommen und den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. So startete das Dalai Lama Center for Ethics and Transformative Values des MIT das Forschungsprojekt „20 Day Stranger“, bei dem durch einen Zufallsmechanismus zwei anonyme Nutzer gepaart werden, die 20 Tage lang ihr tägliches Leben durch das Versenden persönlicher Fotos teilen. Nach dem Ablauf der Zeit können 45 Serendipity Key Findings - Ausbruch aus dem Diktat der Selbstoptimierung Abgabe von Verantwortung und Erleichterung der Entscheidungsfindung Technologie als Enabler der glücklichen Zufälle und digitales Schicksal Hunger nach neuen, unbekannten Erlebnissen Interdisziplinarität und Cross-Pollination als Basis für Innovation sich die Teilnehmer eine einzige Nachricht schreiben. Danach wird der Kanal zum jeweils anderen wieder geschlossen (www.20daystranger.com/). Ökonomischer Wandel Der glückliche Zufall als Indikator für Innovationsfähigkeit Was sich nach sentimentaler Nachfrage, nach Zufälligkeit und Magie anhört, hat jedoch weitreichende Implikationen, auch im Wirtschaftsbereich. Denn die Strategie der zufälligen Entdeckung ist keinesfalls ineffizient, sondern kann für Innovation und Kreativität sorgen. Der Zufall spielt seit jeher eine wichtige Rolle im Bereich der Erfindungen und Startups. Die Mikrowelle, Impfungen, Röntgenstrahlen, die Pille und Penicillin, all diese bahnbrechenden Erfindungen sind Ergebnisse puren Zufalls. Bei der Neuentwicklung von Produkten und Services entziehen sich grundsätzlich einige Aspekte der Vorhersagbarkeit. Die Fähigkeit, mit Unwissenheit umzugehen und diese als inhärenten Einflussfaktor in der Entwicklungsphase zu verstehen, unterscheidet zu großem Anteil erfolgreiche von erfolglosen Start-ups. Denn das Wettbewerbsum feld heutiger Unternehmen wird kom plexer und schnelllebiger und damit unvorhersagbar. Traditionelle Extrapolationsmethoden, welche die Zukunft auf Basis der Vergangenheit voraussagen wollen, führen zu falschen Annahmen. Unsicherheit ist integraler Bestandteil jeder Unternehmung. Nur die Firmen, welche flexibel genug bleiben, sich den wandelnden Bedingungen zu stellen und sich kurzfristig anzupassen, werden überleben können. Die Forscherin Saras D. Sarasvathy hat eine ganze Entscheidungslogik auf der Annahme des glücklichen Zufalls entworfen, die gerade für Start-ups eine relevante Alternative zur 46 traditionellen Planung darstellt. Demnach werden Strategien und Entscheidungen nicht von einem Finalziel abhängig gemacht, sondern vielmehr davon, welche Mittel dem Unternehmen zur Verfügung stehen und wie sich diese kontextabhängig umsetzen lassen. Die Forscherin illustriert den Unterschied der beiden Denkweisen anhand des Kochens. Statt sich ein Rezept herauszusuchen und die entsprechenden Zutaten einzukaufen, würde nach der Effectuation-Theorie das finale Gericht noch gar nicht feststehen, sondern davon abhängig sein, welche Zutaten der Koch noch zur Verfügung hat. Mit dieser Strategie können Eventualitäten in den Planungsprozess integriert werden; statt Zufälle vermeiden zu wollen, wird ihnen Raum gegeben und sogar versucht, sie herbeizuführen. Eine These, die zahlreiche Anhänger findet. Mit dem Projekt „Serendipitystories“, bei dem Menschen aufgefordert sind, ihre persönlichen Zufallsgeschichten zu teilen, versucht das University College London Muster zu erkennen, um zu untersuchen, ob es Menschen gibt, denen solche Zufälle öfter begegnen als anderen, und wie man es schaffen kann, mehr dieser Begegnungen zu erfahren beziehungsweise diese im richtigen Moment zu erkennen. Es geht darum, empfänglicher zu werden für Möglichkeiten und somit die persönliche Lebensqualität zu steigern. mehr sind, ist allgegenwärtig. Das Ziel ist es, Lösungen abseits der betretenen Pfade zu suchen und somit Differen zierungspotenziale zu eröffnen. Es sind nicht mehr nur Vorreiter wie Google und Facebook, die innerhalb ihrer Unternehmensprozesse Freiräume für Ungeplantes schaffen möchten, um so Inspiration zu stimulieren oder CrossPollination zu forcieren. Das Forschungsprojekt Serena setzt sich zum Ziel, Tools und Methoden zu entwi ckeln, die glückliche Interaktionen im Research-Bereich möglich machen (www.serena.ac.uk/vision/) – Ansätze, die in jedem Unternehmen umgesetzt werden könnten. Dieses Verständnis hält Einzug in die Art und Weise, wie Organisationen geführt werden. Neue Unternehmenskulturen führen vor, dass das Unbekannte und Ungeplante Kreativität und Inno vation fördert – die beiden Charakteristiken, die aktuell als die wichtigsten Erfolgskompetenzen zukunftsfähiger Unternehmen gelten. Die Erkenntnis, dass Standardlösungen und Normen keine adäquaten Erfolgsstrategien - Unsicherheit akzeptieren und mit ihr planen Serendipity kann als Strategie gesehen werden, die sich das Ziel setzt, Lebensfreude und Lebensqualität zu maximieren. Ob im Berufsleben oder im privaten Alltag, es ist eine Abkehr von einer all umfassenden Planung, zurück zu einem Leben, in dem Freiraum für Aktivitäten und Begegnungen bleibt, die unter Gesichtspunkten der Effizienz keine Berechtigung mehr finden würden. Technologie wird genutzt, um Kontakte abseits unserer bestehenden Kreise zu finden, neue Interessen zu entdecken und Ausreißermomente zu gestalten, die für neue Inspiration in unserem Alltag sorgen. Ableitungen für Unternehmen - kürzere Planungszyklen - Freiräume schaffen für zufällige Begegnungen und Austausch außerhalb des Tagesgeschäfts - interdisziplinäre Teams als Basis für Ideenaustausch und Cross-Pollination Foto: JHG-Design - - - - 47 Neue Folklore Ausgaben 2013–2014 1 MAI 2013 Maker Movement Die neue Lust am „Machen“ Gamification Spielend zum Erfolg Brain Boost Hirnen als extremSport Beyond Belief Die Sehnsucht nach dem Mystischen 2 OKTOBER 2013 EGo economy SINGLES SIND DIE NEUE MITTELKLASSE Jetztzeit Gleichzeitigkeit statt Gegenwart Selbstoptimierer Die Lust am Besseren Ich Heimathafen Home is where the heart is Impressum Verantwortlich für den Inhalt: Trendbüro Beratungsunternehmen für gesellschaftlichen Wandel Projektleitung Trendbüro: Prof. Peter Wippermann www.peterwippermann.com Projektverantwortlicher ProSiebenSat.1 TV Deutschland: Malte Hildebrandt, Leitung Central Marketing ProSiebenSat.1 TV Deutschland Projektleitung ProSiebenSat.1 TV Deutschland: Christiane Steidle, Leiterin On the Ground Marketing Manuela Bach, Leiterin Sales Creation Mitarbeit: Maria Angerer Kristina Bonitz Stefan Mosebach Corinna Mühlhausen 3 FEBRUAR 2014 Neue Folklore Analoge Internet-Kultur Private Bots Ego Robots Gender Travel Die Neue Lust am Spiel mit den Geschlechtern New Work Die Flexibilisierung der Unternehmen 4 MAI 2014 Net Natives Individualisten und Planer Selfie-ism Selbstmarketing in der Netzgesellschaft Shareconomy Konsumkultur im Wandel Digital Detox Entspannen in der vernetzten Welt Layout: Thomas Escher Fotoredaktion: Martina Schneider Änderungen und Druckfehler vorbehalten. 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