- Trendbüro

Wir bewegen Marken
05 Ausgabe Oktober 2014
IN
SPIRE
Power of Happiness.
Happiness-Economy, Cycle-Lust,
Foodies, Serendipity
In Kooperation mit
Prof. Peter
Wippermann
Trendbüro, Hamburg
Prof. Peter Wippermann
VORWORT
Unsere Gesellschaft befindet sich mitten in einer Transformation. Der Übergang von der Industriezur Netz­gesellschaft ist in vollem Gange und verlangt von jedem Einzelnen optimistische Zukunftsstrategien. Nach vielen Jahren des Booms von Fitness und Wellness geht es zukünftig um mentale
Fitness und die bewusste Steigerung der eigenen Lebensfreude.
Die Erkenntnis, dass Wohlstand auch Wohlbefinden braucht, ist ein Grundsatz der Happiness-­
Economy. Immer mehr Menschen machen ihre Lebensqualität nicht mehr nur von Einkommen und
Konsum abhängig. Vielen geht es heute darum, immateriellen und
materiellen Wohlstand miteinander zu verbinden. Wirtschaftlicher
Erfolg ist dabei immer noch ein wichtiger Faktor, wird aber durch
das Streben nach Lebensfreude ergänzt.
Cycle-Lust – die wachsende Popularität des Fahrrades – sorgt
nicht nur für eine Balance z
­ wischen Körper und Geist, sondern
bringt auch Veränderungen in anderen Bereichen mit sich. Ob
­Stadtplanung, Start-up-Konferenz oder Fashion-Blog: Das Fahrrad
ist in aller Munde und steht für Autonomie, Gesundheit und Nachhaltigkeit.
Die Foodies vereinen eine hohe Affinität zu Speisen mit einem genussorientierten und nachhaltigen ­Lebensstil. Auch hier spielt der
technologische Wandel trotzdem eine große Rolle. Foodies haben
einen großen Drang zur Selbstdarstellung und nutzen deshalb
ausgiebig digitale Netzwerke. Hier teilen sie ihre Leidenschaft und
­vernetzen sich mit anderen.
Malte Hildebrandt
Die von Professor Peter Wippermann beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungen sind überall
sichtbar und in der Medienbranche zeigen sie sich besonders deutlich! In gravierender Weise haben
sich sowohl TV-Inhalte als auch der Umgang mit den Medien verändert. Was wäre unser soziales Leben
ohne das Gespräch über die neuesten TV-Trends, ohne mobile Devices, ohne ständige Erreichbarkeit?
Was bedeuten neue Trends, welche Auswirkungen haben sie auf die Gesellschaft und was heißt das für
jeden einzelnen von uns? In welcher Art und Weise beeinflussen neue Trends unsere tägliche Arbeit in
Deutschlands größtem TV-Konzern?
Auf diese und viele andere Fragen möchten wir Antworten finden. Dafür haben wir die Trendtage und
das SevenOne Inspire implementiert. Beides erfreut sich einer ständig wachsenden Fangemeinde.
Aktuell sind die Dänen die glücklichsten Menschen
der Welt (World Happiness Report 2013)
Der Trend Serendipity vereint Zufall und Digitalisierung miteinander. Viele Menschen wünschen sich
die Abgabe von Verantwortung und eine Erleichterung bei der Entscheidungsfindung. Dabei dient die
Technologie nicht wie bisher als Zugang zu einem grenzenlosen Angebot, sondern wird zum Ermöglicher der glücklichen Zufälle.
Liebe Mitarbeiter der ProSiebenSat.1 Media AG, ich wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Entdecken
der neuesten Trends.
Auch unser SevenOne Media Future Lab ist mittlerweile eine feste Institution und wird von Euch
gerne als inspirierendes Umfeld für interne und externe Termine genutzt. Zu den aktuell v­ orgestellten
Trends findet Ihr dort wieder Produktexponate „zum Anfassen“. Selbstverständlich steht P
­ rofessor
­Wippermann uns und unseren Kunden sowohl für vertiefende Fragestellungen als auch für
­kundenindividuelle Themen gerne zur Verfügung.
Nur wenn wir Trends frühzeitig erkennen, können wir daraus neue Ideen gewinnen und G
­ eschäftsfelder
­entwickeln. Stellt Euch den Trends und nutzt diese als Mehrwert für Eure G
­ espräche mit Kunden,
­Geschäftspartnern und Kollegen!
Viel Spaß beim Eintauchen in das neue Inspire.
Euer Malte
Prof. Peter Wippermann
Leitung Central Marketing ProSiebenSat.1 TV Deutschland
Neue Folklore
Inhalt
01Vorwort
04Happiness-Economy
Die Suche nach dem Dauerglück
14Foodies
Essen ist der neue Sex
28Cycle-Lust
Tausche Auto gegen Jugend
38Serendipity
Die Jagd nach dem glücklichen Zufall
4
5
Happiness-Economy
Happiness-Economy
Spiel & Leichtigkeit zurück in den Alltag bringen. 21 Balancoires (21 Schaukeln), ist ein Projekt, das zur gemeinsamen
Interaktion in Städten motiviert. Durch gemeinsames Schaukeln wird eine Melodie erzeugt. Lebensfreude im grauen
urbanen Umfeld. Foto: Olivier Blouin
Happiness-Economy
Die Suche nach dem Dauerglück
Persönliches Wohlbefinden wird zur Leitwährung unseres Daseins. Rein materielle Faktoren reichen als Indikator für unsere
Lebensqualität nicht mehr aus. Stattdessen erheben wir den Anspruch auf Dauerglück. Ein gelungenes Leben hat der, welcher
seine Lebensfreude optimiert. Mentale Fitness wird so wichtig wie körperliche Sportlichkeit.
Trend-Definition
In der Happiness-Economy regiert das
Lebensglück. Es rückt in den Mittelpunkt gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und persönlicher Erfolgsrechnungen. Die Erkenntnis lautet: Wohlstand
braucht auch Wohlbefinden. Der Ein­
zelne macht seine Lebensqualität nicht
mehr hauptsächlich von finanziellen
Faktoren wie Einkommen und Konsum
4
abhängig. Status genießt, wer materiellen und immateriellen Wohlstand verbindet, also die wirtschaftlichen Anforderungen der Realität und die emotionalen
Bedürfnisse im Gleichgewicht hält. Denn
ein gutes Leben braucht auch in der
Happiness-Economy einen gewissen
Wohlstand. Die Gleichung eines gelungenen Lebens wird vielmehr um die
Variable der Lebensfreude entscheidend erweitert.
Die Rahmenbedingungen für ein zu­
friedenes Leben werden schwieriger:
steigender Leistungsdruck, rasante
Geschwindigkeiten, explodierende Möglichkeiten, ständige Erreichbarkeit, grassierende Statusangst – um nur einige zu
nennen. Psychische Belastungen sind
zur größeren Gefahr für unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit geworden
als körperliche Gebrechen. Umso wertvoller und erstrebenswerter wird tat-
Glück als Positionierung. Lulu
Lemon vertreibt Sportkleidung
mit dem Ziel Menschen zu einem
glücklichen, gesunden Leben zu
verhelfen. Der spirituelle Kapitalismus kommt gut an – mehr
als 400 Menschen erschienen
zum gemeinsamen Yoga zur
Eröffnung des Flagship Stores
in London. Foto: getty images
5
Happiness-Economy
Der kürzeste
Weg durch die
Londoner City,
… der schönste,
sächlich gefundene Zufriedenheit. Dabei
setzt das Lebensglück heute die gleichen Fähigkeiten voraus, die es in der
Netzökonomie allgemein zu beherrschen
gilt: seine Prioritäten zu kennen und
umsetzen zu können; trotz hoher Komplexität die Orientierung zu behalten; in
seinem Netzwerk geben und nehmen zu
können; rasante Dynamiken für sich zu
nutzen. Glücklich zu sein wird zum Projekt, das der Einzelne planen und umsetzen muss. Das Lebensglück wird zum
Statussymbol und Ausweis der Leistungsfähigkeit. „Im Fluss zu sein ist
keine Bedrohung, sondern der eigent­
liche Glückszustand. Diese Erkenntnis
ist entscheidend“, sagt Prof. Norbert
Bolz. Das Meer kann als Bedrohung
oder Freude erlebt werden. Der Nichtschwimmer wird im Meer nicht glücklich.
Der Surfer hingegen zieht aus der Kraft
des Ozeans seine Energie.
Die notwendige Absage an manche der
endlosen Möglichkeiten unserer Zeit beweist ökonomische, intellektuelle und
moralische Überlegenheit: Wer genau
weiß, was er will, braucht keine endlosen Möglichkeiten mehr – und kann es
sich auch leisten, Nein zu sagen. „Genug“ ersetzt das „Mehr“ in vielerlei Hinsicht. Auch Wirtschaft und Politik be­
ginnen diesen Paradigmenwechsel zu
vollziehen: Glücksindizes und alterna­tive Wohlstandsindikatoren werden er­forscht und implementiert. Unternehmen
erkennen, dass sie ihren Mitarbeitern,
Kunden und Stakeholdern mehr als Produkte und Profit bieten müssen – nämlich Werte und Sinn.
… der ruhigste
Key Findings
-
Das persönliche Lebensglück wird zum Barometer des Erfolgs
-Anforderungen an ein ganzheitliches Glück steigen:
Balance aus immateriellen und materiellen Faktoren
-Glück wird messbar und damit optimierbar
-„Genug“ ersetzt das „Mehr“ als Lebensstrategie
- Mood Management als Faktor in Arbeit- und Privatleben
Glücklich als Index
für nationalen
Wohlstand. Der
World Happiness
Report versucht,
das Wohlbefinden
von Nationen
messbar zu
machen. Aktuell
sind die Dänen
die glücklichsten
Menschen der
Welt. Foto:
Stig Nygaard
https://www.flickr.
com/photos/
stignygaard/
Sozialer Wandel
… und der Weg, der
am meisten Lebensfreude bereitet.
Von Effizienz- zu Happiness-Algorithmen. Statt der kürzesten Strecke zeigt
die Yahoo Map die schönste Strecke, errechnet auf Basis von user-generierten
Bewertungen von Stadtbildern.
6
Die Wirtschaftswunderjahre haben uns
gelehrt, dass Konsum und Geld nur bedingt glücklich machen. Zahlreiche Studien belegen: Sind die wichtigsten materiellen Bedürfnisse gedeckt, ist jedes
zusätzliche Einkommen zwar mit Anstrengungen, aber keiner gesteigerten
Lebensqualität mehr verbunden. Ein
Streben nach immer mehr materiellem
Wohlstand führt am Glück vorbei. Das
konnten jüngere Generationen am Beispiel ihrer Eltern beobachten. Für die
älteren Generationen war aber zumindest klar, dass hoher Arbeitseinsatz
auch entsprechend finanziell belohnt
wird. Dieses Versprechen gilt heute
nicht mehr. Es ist unwahrscheinlich geworden, dass sich ein Angestellter aus
der Mittelschicht über seine Arbeit so
etwas wie Wohlstand schafft. Jüngere
World
Happiness Report 2013
am glücklichsten
am wenigsten
glücklich
Die „glücklichsten
Staaten“ laut
World Happiness
Report 2013:
1.Dänemark
2.Norwegen
3.Schweiz
4.Niederlande
5.Schweden
6.Kanada
7.Finnland
8.Österreich
9.Island
10. Australien
7
Happiness-Economy
Shitstorm-Prävention. Die Software Mood Panda misst die Stimmungslage in Online Communities
und gibt Tipps, wie diese verbessert werden kann.
erkennen, dass sie es nicht mehr so
gut haben werden wie ihre Eltern. Da
liegt es nahe, den eigenen Lebenserfolg
weniger davon abhängig zu machen.
Mit dem materiellen Wohlstand der ver­gangenen 60 Jahre nahm auch die
Individualisierung zu: Die Selbstverwirk­
lichung – als Abgrenzung von der Gesellschaft und ihren Erwartungen–
rückte in den Mittelpunkt. Heute ist es
selbstverständlich, individuell zu sein.
Dafür wird es wichtiger und wertvoller,
Zugehörigkeit und soziale Verbundenheit zu fühlen. Im digitalisierten Alltag
werden Treffen von Angesicht zu Angesicht seltener und kostbarer. Aber digitale Kontakte reichen nicht für unser
Lebensglück aus. Dafür braucht es gemeinsame Erlebnisse und Erinnerungen.
Denn: „Lebensfreude ist für die meisten
Menschen gleichbedeutend mit anderen
Menschen: Erlebnisse werden geteilt –
zuerst, wenn sie passieren, und danach
immer wieder, wenn man anderen davon
erzählt“, bringt Derek Thompson von
„The Atlantic“ es auf den Punkt. Das
analoge Beziehungsleben erfährt einen
neuen Stellenwert. Es wird sorgfältig
geplant und zelebriert.
Wie wichtig die Faktoren Selbstverwirklichung bei gleichbleibender Zugehörigkeit zu einem Netzwerk sind, zeigt sich
auch im Phänomen steigender Selbstständigkeit. Das Bedürfnis, sein eigenes
Ding zu machen, zählt zu den wichtigsten Motivationen dafür, sich selbstständig zu machen, wie eine Studie des DIW
Berlin (2013) zeigt. Diese Rechnung
geht auch auf: Selbstständige sind in
der Regel zufriedener und glücklicher
als Angestellte. Jedoch gilt: Einmal aus
dem Unternehmen mit seinen vorge­
gebenen Beziehungen herausgelöst,
werden funktionierende persönliche
Beziehungen für Selbstständige zum
entscheidenden Erfolgsfaktor: Kontakte,
die einen emotional unterstützen, helfen, wenn der Hut brennt, und – vor
allem – weitere Kontakte vermitteln.
Glückliche Menschen sind produktiver. Ob Unternehmen oder Universitäten, Daten­analysen werden als Stimmungsbarometer genutzt, um rechtzeitig schlechter Laune
entgegen zu wirken und so für perfekte Arbeitsbedingungen zu sorgen.
Im stressigen Alltag kommen Pausen oft zu kurz. Biometrische Sensoren im OMShirt
messen unsere Anspannung und geben Alerts, wenn es Zeit ist zu entspannen.
Kultureller Wandel
Der MIT MoodMeter am Massachussets Institute of Technology wertete über Kamerabilder die Anzahl der lachenden oder zufriedenen Gesichter aus.
Daraus konnte auf die Stimmung in verschiedenen Campus-Teilen geschlossen werden. http://moodmeter.media.mit.edu/index.html
8
Mit den Rahmenbedingungen hat sich
auch unser Verständnis von Lebens­
freude verändert. Unser Begriff vom
Glück hat heute eine aktivere, dynamischere Bedeutung als früher: „Die Zufriedenheit, die mit einem ruhigen Dahinplätschern des Lebens einhergeht,
genügt uns nicht“, analysiert die Philosophin Rebekka Reinhard, Autorin von
„Die Sinn-Diät. Warum wir schon alles
haben, was wir brauchen“, den Wandel.
„Hppy“ dokumentiert die Zufriedenheit von Mitarbeitern. Sind Mitarbeiter demotiviert,
können Unternehmen umgehend reagieren. www.gethppy.com
9
Happiness-Economy
Was macht Lebensfreude aus und was
brauchen wir, um glücklich zu sein?
Die Coca-Cola-Happiness Studie hat diese
Fragen untersucht und auf dem zweitägigen
Happiness-Kongress im Frühjahr 2014 live
erlebbar gemacht. Mit einer Mischung aus
Forschungsergebnissen und Vorträgen von
Prominenten wie Dr. Eckart von Hirschhausen sowie TV-Moderatorin und Schauspielerin Palina Rojinski wurde beleuchtet, wie
lebensfroh die Deutschen sind. Fotos: Gero
Breloer für das Coca-Cola Happiness Institut
Mit der Individualisierung wurde das Lebensglück zur persönlichen Leistung:
Lebensläufe und Beziehungen werden
nicht mehr von Traditionen und Normen
vorgegeben. Die Gestaltung des Lebens
liegt in der Verantwortung des Einzelnen – und damit auch sein Gelingen.
„Wir wollen uns das Glück erarbeiten,
und dabei gehen wir bewusst und unbewusst davon aus, dass Glück planbar
sei. Wir haben die Anspruchshaltung:
Wenn ich nur genug leiste, dann habe
ich mir das Glück auch verdient – dann
steht es mir zu“, bringt Rebekka Reinhard das Leistungsversprechen auf den
Punkt. Der Healthstyle wendet das Prinzip der Plan- und Gestaltbarkeit auf
Körper und Gesundheit an. In diesem
Rahmen rücken mentale und emotionale
Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden
stärker ins Zentrum: Wer unglücklich ist,
wird nicht nur krank, sondern gefährdet
auch seine Produktivität. Leistungsbereitschaft setzt auch Bereitschaft zur
Arbeit an der eigenen Seele voraus.
Mihály Csikszentmihályi definiert das
Glück als Flow, der sich einstellt, wenn
der Einzelne weder über- noch unterfordert ist und vollständig in seiner Tätigkeit aufgehen kann. Die Balance zwischen den eigenen Fähigkeiten und
äußeren Anforderungen wird heute
schwieriger, weil die Anforderungen immer höher werden. Darüber hinaus werden mit der globalen Vernetzung die
Vergleichsfolien, die der Mensch seit
jeher als Gradmesser seiner Zufriedenheit heranzieht, immer unrealistischer:
Früher war es der Nachbar, mit dessen
Lebenssituation wir unser eigenes Glück
evaluierten. Heute vergleichen wir uns
mit dem globalen Best-of diverser So­
cial-Media-Streams.
Bei aller Planung und sorgfältigem Management wissen wir, dass das Glück
auch Spontaneität und Muße braucht,
um lebendig zu sein. Daher werden
Raum und Zeit für das Ungeplante immer wichtiger und wertvoller: als Zeitraum, für den man sich nichts Spezifisches vornimmt und in dem sich daher
spontan etwas ergeben kann, oder als
Aktivität, die man ohne besondere
Agenda verfolgt und bei der man sich
einfach treiben lassen kann.
So geht’s! Lebensfreude-Strategie:
Mehr Optionsvielfalt für mehr Lebensfreude
#1 –Eigene Werte, Ziele und
Bedürfnisse identifizieren
– Sich bewusst machen, was einen wirklich glücklich macht
– Eine „Vision“ für das eigene Leben entwickeln
#2 –In soziale Beziehungen
investieren
– Lebensfreude braucht ein Gegenüber und das Miteinander
– Wertschätzung und Aufmerksamkeit schenken
– Offline geht vor Online
#3 –Zeit aktiv planen und managen
– Arbeit und Privatleben, aber auch Auszeiten und Me Time planen
– Online-Erreichbarkeit einschränken
#4 –Aufmerksamkeit und
Konzentration üben
– Die eigenen Energien auf wenige, wichtige Ziele fokussieren
– Klare Prioritäten setzen
– Perfektionismus reduzieren und Gelassenheit üben
#5 –Das Leben aktiv gestalten
– Lebensfreude aus verschiedenen Quellen ziehen
– Einseitige Orientierung z. B. auf Arbeit oder Familie vermeiden
– Bewusst ungewohnte Perspektiven einnehmen (Reframing)
Technologischer Wandel
Mit dem Internet expandierten Möglichkeiten und Geschwindigkeit ins Unendliche. Alles passiert im Hier und Jetzt.
Die Herausforderungen und zuweilen
Belastungen, die daraus für den Einzel10
Die Coca-Cola Happiness Studie: Die Megatrends unserer Gesellschaft und ihr Potenzial für
Lebensfreude. Die Delphistudie wurde im Rahmen eines Panels erarbeitet, das sich aus folgen­den Experten zusammensetzte: Dr. Stefan Bergheim, Prof. Dr. Bolz, Prof. Dr. Hilke Brockmann,
Prof. Dr. Tobias Esch, Ernst Fritz-Schubert, Dr. Eckart von Hirschhausen, Christoph Koch,
Heino von Meyer, Prof. Dr. Jule Specht, Prof. Dr. Ruut Veenhoven und Prof. Peter Wippermann.
11
Happiness-Economy
Reisestress minimieren.
Die Happiness Blanket
von British Airways
misst die Gehirnströme
und passt ihre Farbe
der jeweiligen Stimmung
des Nutzers an. Foto:
Nick Morrish/British
Airways
nen resultieren, sind hinlänglich bekannt.
Als Reaktion etabliert sich zunehmend
die Sehnsucht nach einem „Digital Detox“ (siehe auch Ausgabe 4/Mai 2014):
offline gehen und in eine künstliche
Einfachheit entfliehen. Gleichzeitig erweiterten gerade die Netzwerktechno­
lo­­gien auch die Möglichkeiten, persön­li­ches Glück zu finden, enorm. Nicht
lokale Nähe oder Normen geben uns
unsere Bekannten vor, sondern tatsächliches Interesse und emo­tionale
Nähe. Über soziale Medien entwickeln
wir ein lokal unabhängiges Sensorium
dafür, wie sich unsere Freunde fühlen.
Diese „Ambient Awareness“ erlaubt
uns, auch für abwesen­de Freunde wichtig zu sein – weil wir wissen, wie es
dem anderen geht.
Vernetzte Technologien bieten aber
auch neue Möglichkeiten des gezielten
„Mood Managements“. Das Prinzip der
Selbstoptimierung wird auf den Bereich
der emotionalen und mentalen Fitness
ausgeweitet. Die Technik unterstützt
den Einzelnen dabei, seine Fähigkeit
zum Glück bzw. seine Stressresistenz
zu trainieren. Das Prinzip des „Quantified Self“ – vor allem bekannt durch
Sport- und Gesundheitsanwendungen –
wird dabei zur Beobachtung der Erfolge
verwendet. Biometrische Sensoren, die
in Schmuckstücken oder Kleidung eingearbeitet sind, zeichnen Körperfunktionen (wie z. B. Puls, Körpertemperatur,
Stimme beim Telefonieren, Atem etc.)
auf und schließen daraus auf einen Gemütszustand. Andere Apps werten di12
rekt die Eingaben des Users aus. Die
Analyse möglicher Zusammenhänge zu
anderen Lebensumständen wird möglich. Big-Data-Algorithmen machen in
Verbindung mit den Daten anderer User
Vergleiche möglich. Vorschläge und
Hinweise für die Optimierung der eigenen Stimmung oder den Aufbau von
mehr Stressresistenz werden gegeben.
Auch Service und Produkte greifen auf
Emotionsdaten ihrer Nutzer zurück, um
deren Erlebnis zu verbessern und damit
die Stimmung zu heben: Audi entwickelte einen Bordcomputer, der die Stimmung des Fahrers erkennt und seine
Funktionsweise darauf anpasst. Die
„Happiness-Decken“ von British Airways verändern ihre Farbe abhängig
vom Gemütszustand des Passagiers
und lassen Rückschlüsse auf die Qualität des Services zu. Es ist aber auch
möglich, die Stimmung direkt zu beeinflussen – z. B. über gezielte Lichtanwendungen. Digital gesteuerte Beleuchtungskörper simulieren Stärke, Dynamik
und Farbe des Tageslichts, um die körpereigene Serotonin-Produktion anzukurbeln.
Ökonomischer Wandel
In der Wissens- und Netzökonomie wird
persönliches Lebensglück zur Grundlage von Produktivität und unternehmerischem Erfolg. Glückliche Mitarbeiter
sind kreativer, produktiver und eigeninitiativer; sie machen weniger Fehler und
sind weniger oft krank. Vor allem bereichern sie mit ihrer eigenen Zufrieden-
heit die Beziehungen zu Kunden, Mitarbeitern und Partnern.
Das haben Unternehmen schon längst
erkannt. Diesbezügliche Maßnahmen
gehen weit über Work-Life-Balance,
flexible Arbeitszeiten und Home-OfficeDays hinaus. Die Arbeit im Unternehmen
muss Spaß machen und Sinn für die
Welt ergeben. Selbstverwirklichung, Mitbestimmung und nette Kollegen am Arbeitsplatz werden entscheidend – auch
weil wir die positiven Energien wesentlich für die steigenden Anforderungen
an Arbeitsergebnisse brauchen. „Wir
sind heute in der Arbeit voll und ganz
mit all unserer Aufmerksamkeit und allen Ressourcen gefragt. Das macht es
erforderlich, dass [...] man dort keine
Energien darauf verwendet, sich zu ärgern oder Unangenehmes abzublocken“,
bringt Frank Hauser, Geschäftsführer
von Great Place To Work, die ökonomische Notwendigkeit guter Stimmung am
Arbeitsplatz auf den Punkt. Gleichzeitig
braucht es erstrebenswerte und gelebte
Unternehmenswerte, um sich langfristig
Commitment und Identifikation der Mitarbeiter zu sichern – aber auch die
Loyalität und Begeisterung der Kunden.
Hier kam es schon Anfang der 2000erJahre zu einem Paradigmenwechsel: weg
von der Produkt-, hin zur Erlebnisökonomie. Joseph Pine und James Gilmore
prägten den Begriff der „Experience
Economy“: In übersättigten Märkten
gelten nicht materielle Produkte als erstrebenswert, sondern besondere Erlebnisse und die Erinnerung daran. Ein
zentraler Aspekt der Erlebnisqualität
sind heute einmal mehr die Werte, die
ein Unternehmen oder eine Marke
transportiert. Was gut für die Welt ist,
macht auch den Einzelnen glücklich.
Corporate Social Responsibility – soziale Verantwortung – kommt zunehmend ohne demonstrative Ernsthaftigkeit aus. Im Gegenteil, sie bedeutet
heute mehr Leichtigkeit und eine höhere Erlebnisqualität, gerade weil sie
auf einem guten Gewissen beruht. Zudem setzen Unternehmen mit dem
Trend „Gamification“ (siehe auch Ausgabe 1/Mai 2013) sowohl intern als
auch extern zunehmend auf Prinzipien
von Computer-Games. Das Erreichen
von Kennzahlen und Zielen macht
mehr Spaß, wenn es spielerisch angegangen wird.
Der Paradigmenwechsel in der Happiness-Economy ist eine enorme Chance
für den Einzelnen. Das Streben nach
persönlichem Glück erhält wirtschaftliche Relevanz und damit Legitimation,
Wichtigkeit – und nicht zuletzt die richtigen Lösungen und Unterstützungsangebote. Die Happiness-Economy bedeutet noch keine glückliche Gesellschaft,
aber eine, die bessere Chancen darauf
hat als alle Systeme zuvor.
der emotionalen Ansprache. Oft wird
über rationalen Kaufargumenten die
gute Stimmung vergessen. Versetzen
Sie sich dazu radikal in die Lage Ihrer
Kunden, um zu verstehen, was sie lächeln lässt.
Happiness als Key-PerformanceIndikator behandeln.
Bereits Henry Ford hat gesagt: “A business that makes nothing but money is a
poor business.” Unternehmen sind gefordert, sich ihrer Wertschöpfung abseits ökonomischer Profite bewusst zu
werden. Geschäfte werden nicht von
Zielgruppen oder Organisationen gemacht, sondern von Menschen. Ideen,
Commitment und Engagement setzen
zufriedene Mitarbeiter voraus. Vertrauensvolle und gute Beziehungen werden
zum entscheidenden Erfolgsfaktor in
der Netzökonomie. Daher gilt es, Glück,
Zufriedenheit und Wohlgefühl konsequent und integriert in allen Beziehungen zu Kunden, Mitarbeitern, Partnern
und Stakeholdern mitzudenken.
Sinn für Humor beweisen.
Bei aller Planung und Optimierung darf
die Leichtigkeit und Unbeschwertheit,
die das Glück unbedingt braucht, nicht
vergessen werden. Ein grundlegender
Schritt dafür ist, sich selbst nicht zu
ernst zu nehmen. Das gilt für die Führungskräfte ebenso wie für die Marke
und das Unternehmen an sich. Über sich
selbst lachen zu können beweist nicht
nur Humor – sondern auch Intelligenz
und Selbstbewusstsein. Das strahlt auf
sympathische Art Kompetenz aus.
Außerdem: Wo Spaß erlaubt ist, fallen
auch Fehler leichter. Eine solche Kultur
ist unerlässlich für Experimente und
Innovationen.
Implikationen für Unternehmen
Emotionale und mentale Optimierung
ansprechen.
Der Trend Healthstyle – das Mainstreaming eines gesunden Lebensstils in alle
Lebensaspekte – hat über die vergangenen Jahre enorme Relevanz bewiesen.
Jetzt erlangt der Trend einen neuen
Spin mit den Schwerpunkten emotionale
und mentale Selbstoptimierung. Gesundheit beginnt im Kopf und in der
Seele. Hier können neue Produkte und
Services ansetzen. Apps, CoachingServices, Functional Food, Curated
Shopping, Gamification – um nur einige
zu nennen – eignen sich ideal dafür.
Happiness-Design für Produkte und
Services.
Unterwerfen Sie Ihre Produkte und Services einem kritischen Blick: Welche
Stimmung wird in Ihrer Kommunikation
verbreitet? Welche am Point of Sale
oder beim Auspacken des Produkts?
Wie glücklich wird Ihr Kunde im Kontakt
mit Ihrem Kundenservice? Wer systematisch checkt, ob und wie viel Freude die
Kunden an jedem Punkt der Customer
Journey fühlen, entdeckt neue Potenziale
Das renomierte Wirtschafts-Magazin brand eins widmete dem Thema Happiness
als Wirtschaftsfaktor bereits eine ganze Ausgabe (brand eins 08/August 2014).
13
Foodies
Foodies
Berlins wichtigster Ort für Street Food ist die „Markthalle Neun“ in Kreuzberg (Eisenbahnstraße 42). Freitags und samstags ist dort Wochenmarkt,
und seit einigen Monaten wird in der Halle jede Woche am „Street Food
Thursday“ die Straßenküche zelebriert. Etwa 40 Köche kochen, backen und
verkaufen hier so gut wie alles, was ein wenig Exotik verspricht und auch
so schmeckt – von Empanadas über Fish’n’Chips und neuseeländische Pies
bis zu sizilianischen Reisbällchen. Von 18 Uhr an wird es eng – bis zu 4.000
Besucher drängeln sich donnerstags in der Markthalle. Zur Berlinale gab es
zudem eine Street-Food-Meile; und das erste deutsche Street-Food-Festival
ist in Planung – ein Veranstaltungsformat, das etwa in New York, London
oder Paris schon fest etabliert ist. Zu dieser Gelegenheit bieten dann StreetFood-Köche in ihren Wagen ihre Köstlichkeiten aus verschiedenen Regionen
der Erde an – ein echter Foodie-Spaß.
Food Porn ist ein glamouröses, visuell geprägtes Internetportal für Foodies. Die Seite ist der spektakuläre Versuch, die
Food-Fotografie und –Styling permanent zu überbieten und mit Geschichten für die Community zu aktualisieren.
Foodies
Essen ist der Neue Sex
Foodies haben viele Gesichter. Viele sind echte Experten, was einzelne Lebensmittel oder Zubereitungsformen angeht,
andere wählen sogar ihr Urlaubsziel danach aus, was die Landesküche zu bieten hat. Aber alle eint eine hohe Affinität zu
Ess- und Trinkbarem. Aus der zweitschönsten Nebensache der Welt ist die allerschönste geworden: Lebensmittel und Drinks
als High-Interest-Themen. Foodies formen eine lustvolle neue Zielgruppe für Produkthersteller und Medienschaffende.
Trend-Definition
Foodies sind Menschen, die sich für Lebensmittel und Getränke begeistern. So
lässt sich dieser Trend auf einen Nenner
bringen: Foodies eint ein Lebensgefühl,
in dem Essen und Trinken einen festen
14
Platz hat. Vor dem Hintergrund der Nahrungsaufnahme wird heute ein ganzes
Set an Werten definiert. Der Foodie positioniert sich als cooler und stylischer
Öko-Genussmensch. Ein Foodie interessiert sich für die Herstellung von Lebensmitteln und ihre Ökobilanz. Und er
identifiziert sich mit diesem Lifestyle.
Wer einen seltenen Biokäse im Kühlschrank hat, ist cool, wer weiß, auf welchem Bauernmarkt es das knusprigste
Brot und den ursprünglichsten Schinken
zu kaufen gibt, hat Sex-Appeal. Essen
als neue Popkultur.
„Wer ein richtiger Foodie werden will, muss
zunächst seine Liebe zum Essen neu entdecken“, heißt es im „Foodie Handbuch“ aus dem
Christian Verlag – „der (fast) perfekte Begleiter
für GernEsser“. Medial wird inzwischen einiges
für die Foodies geboten. Waren es in der
Vergangenheit noch in der Hauptsache Einzelpersonen, die sich als Foodie inszenierten, ist
diese Entwicklung inzwischen weitergegangen.
Neben den „Foodies“- Printmagazinen aus
Großbritannien („a celebration of fine foods“),
den Niederlanden und Neu-England gibt es
„foodies ... aus wahrer Liebe zum Kochen“
– ein neues Online-Magazin als App für die
genussvolle Kochkultur. Und mit dem „Foodies
TV Network“ existiert jetzt ein On-demandFoodie-TV-Programm im Internet. Kostenlos
werden hier Kochshows und Wissenswertes
über Nahrungsmittel sowie Stylisches für
Foodies und Neuigkeiten rund um das Themen
Essen und Trinken filmisch aufbereitet. Man
richtet sich dabei explizit an den Foodie: „a
person keenly interested in food, especially in
eating or cooking“.
15
Foodies
Key Findings
-
Foodies vereinen eine hohe Affinität zu Speisen und Getränken mit einem
genussorientierten nachhaltigen Lebensstil.
-
Foodies sind modern, jung und haben vielfältige Interessen. Die Anzahl der Frauen
ist etwas größer als die der Männer.
-
Ihr Selbstdarstellungsdrang ist groß, sie sind multimedial interessiert und
extrem gut vernetzt.
-
Aus ihrem Interesse für Essen, Kochen und Genießen lassen sich vielfältige neue
Impulse für weitere Branchen ableiten: für die Medienbranche, die Tourismusindustrie,
das Home-Fashion-Segment, die Technikbranche.
„Schwein 1“ wurde am 18. November 2011 geschlachtet. Aus seinen 123 Kilo Fleisch machte ein Metzger
geräucherten Schinken, Sülze, Leberwurst, Blutwurst und Mettringe. Und mit „Schwein 1“ begann auch die
Mission von Biologe Dennis Buchmann, Gründer von „Meine kleine Farm“. Seine Botschaft: weniger Fleisch,
mehr Respekt. Gemeinsam mit seinen Partnerbauern gibt er Wurst ein Gesicht – und zwar wörtlich.
Inzwischen hat er das Fleisch von weit über 100 Schweinen über das Internet verkauft. Die Wurst in Gläsern trägt das Konterfei des jeweiligen Tieres, die entsprechende Vita (von der Geburt bis zur Schlachtung)
kann man auf der Webseite nachlesen und dazu Bilder und Filme ansehen. (www.meinekleinefarm.org)
Der Hype bei amerikanischen Foodies war in den vergangenen Monaten Grünkohl. Die einschlägigen Social-Media-Seiten waren voll von
Gerichten und Rezept­tipps, bei denen Grünkohl („Kale“) verarbeitet wurde. Und natürlich gibt es das neue Superfood in den USA auch als
fertigen Snack: Kale-Chips fehlen dort in keinem gut sortierten Biosupermarkt. Bei uns hat es sich nun der Hersteller Heimatgut zur
Aufgabe gemacht, ein anderes altes Gemüse neu zu beleben.
16
Das perfekte Produkt, mit dem ich mich als Foodie
outen kann, ist das Olivenöl. Wo kommt es her,
ist es bio? Rund um die Oliven und ihre Pressungen
ist ein echter Hype entstanden. Das Olivenöl
„JusComte“ aus Kreta fügt diesem Thema jetzt noch
eine weitere Komponente hinzu: Es ist so schön
verpackt wie eine teure Creme. Ein edles InsiderProdukt. Ähnliche Assoziationen wecken die
Öle im Sprühapplikator (etwa von Venterra). Sie
sind so premium, dass sie tröpfchenweise ver­
wendet werden sollten – so hochwertig wie ein
exklusi­ves Parfüm. (Tenuta Venterra, Contrada
Mannara, 74023 Grottaglie, www.tenutaventerra.it)
Wir kennen die Geschmacksrichtungen süß, salzig,
sauer, bitter. Tja, und dann gibt es noch umami.
Das ist Japanisch und heißt: fleischig, lecker, herz­haft. Starköchin Laura Santtini füllt den Geschmacksknaller aus Oliven, Tomaten, Steinpilzen
und Parmesan in Tuben – und gibt auf ihrer Web­­seite auch noch eine Menge Tipps und Re­zepte
preis, wie umami den Speiseplan bereichern kann.
(www.laurasanttini.com)
17
Foodies
Im Restaurant „Roberta’s“ (www.robertaspizza.com) im New Yorker Stadtteil Brooklyn finden am Wochenende Seminare statt,
in denen die Teilnehmer lernen, wie man Hasen schlachtet, häutet, ausweidet und dann zubereitet. Nebenbei wird ein eigener
Farmer’s Markt abgehalten oder zu „Wine, Bread and Cheese“ geladen.
Der Hamburger Versender Foodist.de stellt monatlich eine neue Gourmetbox zusammen. Darin enthalten sind kleine Produktgrößen
mit Lebensmitteln von Manufakturen aus ganz Europa. Ein Überraschungspaket für Foodies, das auf Wunsch nach den eigenen
Vorstellungen vorkonfiguriert werden kann oder als freie Geschenkbox ins Haus kommt.
Foodies sind weltoffene
Genussmenschen
Was sie essen und nicht essen, die
Qualität der Nahrungsmittel, die Art der
Zubereitung ihrer Speisen sind das zentrale Thema der Foodies, ihr Hobby und
ihre Passion. Sie haben die Dimension,
dass Essen satt machen soll, längst gesprengt: Food ist Genuss, ist Leidenschaft, ist Statement und Ausdruck der
eigenen Persönlichkeit. Diesen Lifestyle
lässt sich der Foodie auch etwas kosten, weswegen Foodies in der Mehrzahl
zwischen Ende 20 und Anfang 60 sind,
gut gebildet, gut verdienend. Foodies interessieren sich für ein genussvolles,
gesundes Leben, für die Kultur des Essens und das Essen anderer Kulturen.
Es sind mehr Frauen unter den Foodies,
aber auch unter Männern verbreitet sich
dieser Lebensstil.
rant wie „Le Pain Quotidien“ („Unser
täglich Brot“), in dem die Gäste an langen Tischen zusammenkommen, um frisches Holzofenbrot mit grobkörnigem
Salz zu genießen und den Kaffee dabei
mit beiden Händen aus großen Schalen
zu trinken, entspricht ganz seinem Geschmack. Da stört es auch nicht weiter,
dass es den Verantwortlichen mit diesem Konzept gelungen ist, das Prinzip
der Systemgastronomie ihrem Lebens-
Soziodemografie der Foodies
Die Verbraucheranalyse weist aus, dass
sowohl Menschen, die gerne kochen
und Spaß daran haben, neue Rezepte
auszuprobieren, als auch diejenigen, die
sich selbst als „Feinschmecker“ klassifizieren, eine besonders spannende Stilgruppe bilden: Sie sind gesundheitsbe18
wusst und vielseitig interessiert. Zu
ihren Interessensgebieten gehören Einrichtungsgegenstände und Modeartikel,
Kultur und Bildung. Sie sind bereit, für
besondere Produkte auch mehr Geld
auszugeben, und leisten sich bisweilen
ganz bewusst Dinge von hoher Qualität.
Vor allem die „Feinschmecker“ sind
überdurchschnittlich zufrieden mit ihrem eigenen Leben, wollen gut aussehen und sich gut fühlen. Nachhaltigkeit
und ökologisch korrekte Produkte sind
für sie ausgesprochen wichtig. Zu ihrem
Gesundheitsverständnis gehört es auch,
Körper, Geist und Seele in Einklang zu
bringen.
In diesem Spannungsfeld schafft es der
Foodie, ein Paradoxon erfolgreich für
sich zu lösen: Er isst gern, allerdings
nicht zu viel, denn er möchte ja auch total gesund sein. Und er schätzt die Gemeinschaft beim Genießen: Ein Restau„Mixology“ ist ein Fachmagazin
für Barkultur, das alle zwei Monate
erscheint. Sehr professionell wird hier
über hochwertige neue Drinks, besondere Veranstaltungen und Nachrichten
aus der Bartender-Szene berichtet.
Cocktailrezepte, Geschichten rund um
die Produkte und Zubereitungstechniken aus der Barkultur bilden den Kern
der Zeitschrift, die im Direktvertrieb
und über ausgewählte Zeitschriftenhändler, an Bahnhöfen und Flughäfen
im deutschsprachigen Raum vertrieben
wird. Gestaltung und Layout sind
hochwertig und schön. Neben dem
Printmagazin erscheint seit 2012
jährlich der „Mixology Bar Guide“. Er
ist eine umfassende Sammlung der
schönsten Tempel des Trinkvergnügens
und ein Wegweiser zu großartigen
Bartresen in Deutschland, Österreich
und der Schweiz sowie ausgewählten
internationalen Metropolen.
stil anzupassen: LePainQuotidien.com
gibt es schon 150-mal auf der Welt in
19 verschiedenen Ländern.
Ein zentrales Motiv im Leben des Foodies ist die Selbstdarstellung: Der Foodie möchte nicht allein sein mit seiner
guten Mahlzeit, sondern diese am liebsten mit aller Welt teilen. Foodies sprechen ausgiebig über Mahlzeiten, tauschen Rezepte und verraten, wo es die
besten Restaurants und den besten
Rohmilchkäse der Stadt gibt. Foodies
genießen es, ihren Lebensstil in fremden
Küchen weiterzupflegen – gemeinsames
Kochen mit Freunden bildet ein Highlight ihrer Freizeitbeschäftigungen.
Wenn sie doch einmal für sich alleine
kochen, kann man sicher sein, das Ergebnis danach via Social Media sehen
zu können – Bilder vom Essen sind
parallel mit dem Aufkommen der FoodieBewegung groß geworden. Ob im
„Yoga for Foodies“ heißt ein neues
An­gebot des Exhale Spa in Manhattan
(www.exhalespa.com). Nach der Yoga­einheit setzen sich die Foodies hier zu
Pasta, Wein und Schokolade gemeinsam an lange Tische. Andere amerika­
nische Yoga-Center offerieren seit
diesem Jahr Kochkurse und Weinproben, um die Yoga-liebenden Foodies
in ihrem Bemühen zu unterstützen,
sich jeden Bissen zu vergegenwärtigen,
den sie zu sich nehmen. Und auch
der umgekehrte Weg wird bereits
gegangen: Der Whole Foods Market
in Richmond/London UK bietet Yogakurse, sonn­tags in seinem Geschäft.
19
Foodies
„In food we trust“ ist der Leitspruch der „Kitchen Guerilla“. Diese Hamburger Truppe hat es sich zur Aufgabe gemacht, kulinarische Erfahrungen
in außeralltäglicher Atmosphäre anzubieten. Dafür kapern die Underground-Gastronomen und -Köche fremde Restaurants, Segelschiffe,
Landgasthöfe, Baustellen, Kombüsen und eröffnen dort ihre Pop-up-Küche. Inzwischen bietet Geschirrhersteller Rosenthal ein „Kitchen
Guerilla“-Gewinnspiel an und ihr mobiler Biergarten geht auf Sommertournee – gesponsert von Pilsner Urquell. www.kitchenguerilla.com
Köche sind die Kenner. Die anderen
aus ihrem Netzwerk wiederum beweisen mit dem Klick auf den „Gefällt mir“
Button, dass sie diese Zeichen der Inszenierung verstehen. Neben den üblichen sozialen Netzwerken haben sich
jetzt auch eigene Verbindungen für
Freunde der Nahrungsdokumentation
etabliert wie die Apps „CrazyChow –
The new fotosharing network just for
foodies“ und „Burp – like Instagram for
foodies“.
Die Liebe des Foodies zur Dokumentation seiner selbst gekochten Speisen hat die Verantwortlichen bei Nikon, Sony und Olympus dazu
bewogen, Kameras mit speziellen Modi für Kochfotos („Food Mode“) auf den Markt zu bringen. Dieser Modus erhöht die Farbsättigung,
um die abfoto­grafierten Nahrungsmittel und Gerichte anschaulicher zu machen. Zudem muss der Blitz bei gewähltem Food Modus
jeweils extra eingestellt werden – zu grelles Licht verzerrt viele Food-Bilder.
Lokal oder zu Hause, Foodies sind so
stolz auf ihre Kreationen, dass sie diese
selbstverständlich dokumentieren. Was
soziologisch dahintersteckt, erläutert
Soziologie-Professorin Eva Barlösius
von der Universität Hannover: „Mit diesen Food-Bildern zeigt man: Ich kann
mir das leisten. Aber auch, und das ist
viel wichtiger: Ich habe kulturelle Kenntnisse und weiß gutes Essen zu würdigen. Essen ist ein zentrales Gebiet, auf
dem man seine moralischen und ethischen Überzeugungen, seinen Geschmack und Lebensstil dokumentiert.“
(Der Spiegel 21/2013).
20
Das Web 2.0 ist auch ein Foodies-Tool
Aus Esskultur, Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein, garniert mit Ethnologie, formt der Foodie eine Lebenswelt,
die andere Interessen – zum Beispiel
Popmusik, Mode oder Literatur – in den
Hintergrund drängt. Dennoch ist der
mitteilsame Foodie durchaus medienund technikaffin. Weil die „klassischen“
Medienangebote sein Genussverständnis bislang nicht suffizient abdecken,
führt er gerne selbst einen Blog oder
veröffentlicht gar ein eigenes Kochbuch.
Über das Essen kann der Foodie sich
differenzieren, es ist Ausdruck seines
Styles und seines sozialen Standings.
Mögen die Wohnungen auch kleiner
werden – die Esstische für die gemeinschaftlichen Mahlzeiten mit Freunden
werden immer größer.
Die Foodies sind Teil der Network
Society
Das Aufkommen von Social-MediaAngeboten im Internet hat die FoodiesBewegung beschleunigt: Nie war es
so einfach wie heute, ein Auditorium
für ein gelungenes Soufflé oder das
perfekte Wildschweinragout zu finden.
„The food is the star“ – aber seine
Und dann wäre da noch FoodPorn. Dieser Name ist sowohl der Gattungsbegriff aller glamourösen visuellen Inszenierungen geiler Gerichte als auch der
Name einer Reihe spektakulärer Foren
für Foodies: Auf foodporn.tumblr.com,
foodpoorn.tumblr.com oder der Food­
Porn-Facebook-Seite, die von 1,7 Millionen Menschen gelikt wurde, finden sich
grandiose Aneinanderreihungen fantastischer Food-Bilder. Die kanadische
Psychiaterin Valery Taylor warnte zwar
bereits, Food Porn könne Essstörungen
begünstigen. Führen die Seiten doch
vor Augen, was wir alles genießen
könnten, wenn wir uns nicht immer Fett,
Zucker, Kalorien zu verkneifen suchten.
Solche Bedenken werden von eingefleischten Foodies aber mit einem Bild
ihres jüngsten Käsekuchen-Traums zur
Seite gewischt. Eine andere Reaktion
auf die Flut an Foodies-Medien stellen
das Blog „Pictures of Hipsters Taking
Pictures of Food“ sowie das Netzwerk
„Sad Desk Lunch“ dar. Letzteres listet
selbstironisch Bilder von traurigen Bürosnacks.
Ein Lifestyle mit Promi-Faktor
Dass es zudem auch Prominente verstehen, gut zu leben und gleichzeitig auf
Nachhaltigkeit und Gesundheit zu achten, lässt sich in den zahllosen FoodBlogs und Foodies-Twitter-Nachrichten
sehr gut nachzeichnen. Schauspielerin
Jessica Alba etwa postet mit Vorliebe
Bilder ihrer aktuellen Mahlzeiten –
selbst gekocht oder im authentischen
Beverly Hills Caviar heißt das Unternehmen, das in Los Angeles an drei prominenten Standorten
eine ganz neue Art Verkaufsautomat aufgestellt hat. Hier gibt es keine Cola-Dosen oder
Scho­koriegel sondern teuersten Kaviar. Für fünf Dollar bekommt man bereits ein kleines
Döschen, erhältlich sind aber auch feinste Fischeier wie etwa „Imperial River Beluga“Kaviar – 200 Gramm für 1.000 Dollar. Das Gerät akzeptiert ausschließlich Bargeld.
21
Foodies
Restaurant. Kollegin Gwyneth Paltrow
betreibt bereits seit gut vier Jahren
einen E-Mail-Newsletter/Weblog zu den
Themen Food, Health, Fashion und Every­day Life.
Supermodel Kate Moss bekennt sich offiziell dazu, ein Foodie zu sein, gerne im
Garten zu arbeiten und nun sogar eine
eigene Marmelade unter dem Namen
„Kate’s Damson Jam“ auf den Markt
bringen zu wollen. Andere Stars der
Szene sind die Amerikanerinnen Laena
McCarthy, die als „Jam Queen“ von
Brooklyn ihre eingekochten Früchte und
hausgemachten Konfitüren mit Namen
wie „Anarchy Strawberry Balsamic Jam“
auf den Bauernmärkten New Yorks an
den Mann bringt, sowie Cathy Erway,
Autorin von Blog und Buch mit dem Titel
„Not Eating Out in New York“. Darin beschreibt die Endzwanzigerin ihr Leben
ohne Restaurants – dort zu essen konnte sie sich jahrelang mit ihrem Job als
Teamassistentin eines Konzerns nicht
leisten. Stattdessen hat sie das Kochen
mit Freunden zu einem Lifestyle erhoben. Genau dieses Motiv wurde jetzt
von den Machern der niederländischen
App „Koken met Aanbiedingen“ aufgegriffen. Sie bieten täglich neue Rezeptvorschläge – und verwenden dabei nur
Zutaten, die bei den beteiligten Supermarktketten aktuell im Angebot sind.
Ein Service für kreative Foodies, die
aufs Geld achten müssen.
Foodies – wo kommen sie her?
Streng genommen sind die Foodies gar
keine neue Bewegung. Bereits 1984
veröffentlichten die Amerikaner Paul
Levy und Ann Barr „The Official Foodie
Handbook“. Inhalt: alles, was Genuss­
begeisterte interessiert – von der Theorie gesunden Essens bis zu Reiseempfehlungen für die besten Restaurants
der Welt. Auch sie wollten damals schon
gutes Essen und Trinken weniger als
Edelküche und Luxusattitüden denn
vielmehr als naturgegebene Selbstverständlichkeit verstanden wissen. Die
beiden Autoren nahmen damit eine Diskussion vorweg, die erst knapp 30 Jahre
später wirklich leidenschaftlich geführt
werden sollte: Welche Auswirkungen
haben schlechtes Essen, Fast Food und
lieblos hergestellte Lebensmittel auf
Gesundheit und Lebensqualität des
Menschen?
Weiblich, jung, fleischfrei
Dieser Gesundheitsaspekt ist es auch,
der eine Reihe von Foodies in Vegeta­
rier und ihre vielfältigen Untergruppie22
Camu-Beeren aus Südamerika, die sie
zu Hause dann in ihrer gut ausgestatteten, aber umweltverträglichen Küche
ihren Freunden präsentieren. Foodies
begründen die wichtigste Esskultur des
21. Jahrhunderts – eine Stilgruppe mit
hohem Zukunftspotenzial.
Konsequenzen für die
Unternehmen
Den Großstädter, der mit Leidenschaft
kocht und isst, kennt die Sozialforschung schon länger – ihm verdanken
wir hochwertiges Kochgeschirr, Kochsendungen auf allen Kanälen und den
Boom bei Kochbüchern. Der Foodie jedoch sprengt diese Dimension: Für ihn
ist gutes Essen und Trinken Lebenssinn
und -elixier gleichermaßen. Jeder Produktverantwortliche, der Dinge anbietet, die irgendetwas mit Essen und Trinken zu tun haben, wird sich über die
Foodies als neue Käufergruppe freuen
können.
Eine Generation junger Käser befreit derzeit die Schweiz von ihrem langweiligen EmmentalerImage – und schafft es, auch für die Foodies attraktiv zu werden. Der Stanser Flada von Sepp
Barmettler (www.cheesenet.ch/stanser_fladae.htm) etwa sorgt für ein besonders haptisches
Käseerlebnis: Die obere Rinde des Käses wird mit einem Löffel abgekratzt, mit dem man
dann auch die zähflüssige Käsemasse in den Mund befördert. Eine Essanleitung für
diesen spektakulären Nachtisch findet sich auf der Holzschachtel.
rungen verwandelt (Lacto-Vegetarier
zum Beispiel, die Milchprodukte essen,
Ovo-Vegetarier, die auch Eier zu sich
nehmen, Flexitarier, die im Prinzip
fleischlos leben, aber ab und zu von
diesem Grundsatz abweichen). Je nach
Definition des fleischlosen Ernährens
lassen sich laut Vegetarierbund
Deutschland bis zu neun Prozent der
Bundesbürger zu den Vegetariern zählen, 20-mal so viele wie vor 20 Jahren.
In anderen Ländern Europas (Italien,
Spanien, Niederlande, Schweden) ist
der Vegetarismus nur mit jeweils drei
bis vier Prozent in der Bevölkerung verbreitet.
Schicke neue Restaurants positionieren
sich über ihre fleischfreien Kreationen,
der „moralische Vegetarier“, der auf tote
Tiere, nicht aber auf Lebensqualität verzichtet, stellt aktuellen Studien gemäß
inzwischen die große Mehrheit. In diesem Sinne kann der Foodie auch als
Neuinterpretation des LOHAS angesehen werden. Der Lifestyle of Health and
Sustainability wird hier mit einem klaren
Fokus auf Spaß an gutem Essen neu interpretiert.
Der Foodie ist der Lifestyle-Ethno
von heute und damit der Weltbürger
von morgen
Weil die Foodies-Bewegung auch sehr
stark durch die Globalisierung beeinflusst wird, gedeiht sie vorzüglich in den
internationalen Metropolen. Die Großstädter in Europa und Nordamerika verabreden sich online zum gemeinsamen
Abendessen (bei uns zum Beispiel mithilfe der Mitesszentrale.de), bei denen
sie Fremde mit ihren Kochkünsten in
Freunde verwandeln oder aber das neue
Rezept erst an Unbekannten ausprobieren können; sie können zwischen Wochenmärkten, Supermärkten und den
Gourmetabteilungen der großen Warenhäuser hin- und herwechseln, zum Einkaufen von Zutaten zu Bauernhöfen im
Umland fahren oder sich das Ganze
gleich im Abo mit ihrer edlen Gemüsekiste liefern lassen. Multinationale Restaurants und kleine Originalläden verkürzen die Zeit bis zur nächsten – auch
kulinarisch inspirierten – Reise. Von dort
bringen sie ihre neuesten Errungenschaften mit: Matcha-Tee aus Japan,
schwarzes Salz aus Hawaii, Camu-
Schlüsselmarkt der Zukunft:
Food & Beverages
Im Bereich hochwertiger roher Zutaten
und Gewürze sowie dem Verkauf handgefertigter Lebensmittel (auch via
E-Commerce) ist mit einem weiteren
Wachstum zu rechnen, wenn es die
Verantwortlichen hinbekommen, die
Foodies ernsthaft als neue Stilgruppe
anzusprechen: Ihre Sehnsucht nach Gesundheit, Genuss und multiethnischen
Einflüssen kann in neuen Foodie-Produkten zusammengeführt werden. Zeitaufwendige und komplizierte Gerichte
schrecken den Foodie nicht ab, lange
vergessen geglaubte Rezepte werden
zum Gesprächsthema für Insider.
Gemeinschaftliches Erleben erhöht
den Genuss
Der Foodie ist ein Herdentier. Er möchte
auch andere für seine Kochkreationen
begeistern und auf seinen Erfahrungstrips Land und Leute kennenlernen. Die
Reisebranche sollte sich auf den Foodie
und seine Bedürfnisse einrichten. Auch
für Weinhändler und erstklassige Nahrungsmittelproduzenten ergeben sich
durch diese Entwicklung Chancen für
Foodie-Seminare oder -Reisen. Daneben
scheint auch das Potenzial für FoodieMedienformate noch nicht ausgeschöpft.
Neue Printmagazine wie „Slowly Veggie“
(seit September 2013, Burda Verlag),
das Jamie-Oliver-Magazin („Jamie“, Gruner + Jahr, seit März 2011) oder „Beef“
(ebenfalls Gruner + Jahr) zeugen davon.
Letzteres, im Herbst 2009 gegründet,
verkauft mittlerweile im Schnitt 60.000
Exemplare, erscheint seit 2013 sechsstatt viermal im Jahr und wurde nun sogar als TV-Format adaptiert. Am 16. August lief der Pilot auf dem Männerkanal
RTL Nitro.
Die Zukunft mit den Foodies
So wie sich das Interesse an Speisen
und Getränken, am Hobby Kochen sowie am Zusammenhang zwischen Gesundheit und Genuss in den nächsten
Jahren weiter zum Mainstream entwickeln wird, vergrößert sich auch die
Zahl der Foodies. Je älter wir werden,
desto jünger und gesünder wollen wir
sein. Gesundes Essen, aber auch Lebensfreude und Freunde sind der wichtigste Weg dorthin. Speisen und Getränken kommt dementsprechend eine
Schlüsselposition zu. Die Foodies werden als Stilgruppe weiter wachsen. In
den nächsten Jahren werden sich immer mehr Menschen über ihre Ernährung und ihren bewussten Lebensgenuss positionieren. Diesen Lifestyle
wird man auf der Ebene von Produkten,
Medien und Technologie nachzeichnen
können.
Ein britisches Start-up mischt die Bartender-Szene auf. Unter dem Namen
„Twist“ wird ein Geschenke- oder AboSet verkauft, das alle Zutaten enthält,
die man zur Herstellung eines erstklassigen Cocktails benötigt. Zusammen
mit den benötigten Rezepten in Form
eines hochwertigen Booklets wird
das Paket ins Haus geschickt. Die alko­holischen Zutaten sind erstklassig
und sonst nur in Spezialgeschäften
oder hinter den edelsten Bars zu finden.
Die Käufer werden ermutigt, damit
auch ihre eigenen Kreationen auszuprobieren. (www.givemeatwist.com)
23
Cycle-Lust
Cycle-Lust
Kopenhagen investiert in die Beschleunigung
des Radverkehrs. Der Radschnellweg „Snake“
ist allerdings nur der Anfang. Insgesamt sind 26
Superhighways für Radfahrer in Planung. Foto:
© Rasmus Hjortshøj - COAST Studio.
Die „Critical Mass“ ist eine Form des Straßenprotests, mit dem Radfahrer auf der ganzen Welt darauf aufmerksam machen
möchten, dass sie ebenso wie motorisierte Fahrzeuge Teil des Straßenverkehrs sind. Während einer Critical Mass im
ungarischen Debrecen halten Teilnehmer ihre Fahrräder in die Höhe. Foto: dpa
Cycle-Lust
Tausche Auto gegen Jugend
Immer mehr Menschen entscheiden sich für das Fahrrad, um von A nach B zu kommen. Wer mit dem Rad fährt,
ist zum einen finanziell unabhängiger und zeitlich flexibler. Zum anderen ist jede Fahrt eine Trainingseinheit für Körper
und Geist und steigert dadurch unsere Leistungsfähigkeit.
Trend-Definition
Das Fahrrad ist längst kein reines Fortbewegungsmittel mehr. Vor allem junge
Menschen nutzen ihr Zweirad, um ihrer
Individualität Ausdruck zu verleihen.
Dies geschieht nach dem Motto „Zeig
mir dein Rad und ich sag dir, wer du
bist“. Vintage-Rennrad, Beachcruiser,
Fixie oder schlichtes Trekkingrad: Jedes
Fahrradmodell ist Ausdruck einer individuellen Haltung und deshalb ein Aushängeschild für die Persönlichkeit des
Besitzers. Beim Kauf eines Fahrrades ist
somit nicht nur die Funktionalität, sondern auch das Design entscheidend.
Darüber hinaus bieten sich zahlreiche
Möglichkeiten, das eigene Rad weiter zu
individualisieren. Durch die Applikation
besonderer Einzelteile und das Anbringen von Accessoires entstehen nahezu
unendlich viele Möglichkeiten. Die Innovationen in diesem Bereich werden
maßgeblich durch neue Produktions­
verfahren vorangetrieben. Start-ups
können ohne immenses Eigenkapital
neue Produkte entwickeln und vertreiben; immer häufiger auch mit der Option
auf Individualisierung des Produkts
durch den Kunden. Auch Modemarken
haben den Trend erkannt und bieten
den Konsumenten Kleidungstücke an,
die Funktionalität und Stil geschickt miteinander vereinen.
Wer einen Blick auf die Straßen und
Radwege unserer Großstädte wirft, bemerkt schnell, dass Fahrräder auf dem
Vormarsch sind. Autos, Busse und Fußgänger müssen sich ihre Infrastruktur
immer häufiger mit der wachsenden
Anzahl von Fahrrädern teilen – Ten­denz steigend. Der Fahrradbestand in
Deutschland belief sich 2013 nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbands
(ZIV) e. V. auf 71 Millionen Stück. 2007
waren es noch drei Millionen weniger.
Diese Tatsache ist vor allem deshalb
bemerkenswert, weil die Politik in
Deutschland den motorisierten Individualverkehr in den vergangenen Jahrzehnten bei der Stadtplanung bevorzugt hat.
Das Projekt BiTiBi (gefördert
durch die EU) will die Lebensqualität und die Energieeffizienz in
den großen Städten steigern und
widmet sich deshalb der Verknüpfung von Rad- und Schienenverkehr. www.bitibi.eu
28
Cycle-Lust
Key Findings
-
-
-
-
-
Das Fahrrad ist kein reines Fortbewegungsmittel mehr.
Es steht für Autonomie, Flexibilität und Individualisierung.
E-Bikes sind der Megatrend der Fahrradindustrie.
Smarte Technologien beflügeln den Fahrradmarkt.
Rad fahren steigert die körperliche und mentale Fitness der Mitarbeiter.
Der private Fahrradverleih wird mit der App „Spinlister“ zu einem Kinderspiel. Mit wenigen Klicks kann der Nutzer heraus­
finden, welche Fahrräder in seiner Umgebung zum Verleih bereit stehen und diese ausleihen. www.spinlister.com
Das Lastenfahrrad „Load Hybrid“ der Firma Riese & Müller kann bis zu 200 Kilogramm zusätzliches Gewicht transportieren.
Dadurch wird es zu einer echten Alternative zum Auto. Foto: www.r-m.de | pd-f
Radfahrer haben es in Deutschland –
zum Beispiel im Vergleich zu Groß­
städten in Dänemark oder den Niederlanden – nicht mit optimalen Bedingun­gen im Straßenverkehr zu tun. Dennoch
erobern sie die Großstädte und fordern
darüber hinaus eine intakte und angemessene Infrastruktur für ihr bevorzugtes Fortbewegungsmittel.
Aus diesem Sachverhalt heraus entwickelte sich zum Beispiel die Aktionsform „Critical Mass“ („kritische Masse“).
Hierbei handelt es sich um eine inter­
natio­nale Bewegung, die sich dadurch
auszeichnet, dass sich Radfahrer
scheinbar zufällig und unorganisiert
treffen, um gemeinsam in möglichst
großen und nicht hierarchisch organisierten Gruppen durch die Innenstädte
zu fahren. Dadurch wollen die Beteiligten auf den Radverkehr als Form des
Individualverkehrs aufmerksam machen.
Im Mai 2014 fuhren in Hamburg 4.500
Menschen bei der Ak­tion mit. Auch hier
gilt: Tendenz steigend.
verantwortung bei der Lebensplanung
unumgänglich ist.
Die Popularität des Fahrrades ist Ausdruck der zuvor beschriebenen sozialen
Veränderungen. Ein Fahrrad garantiert
Mobilität und kommt im Vergleich zum
Auto ohne Versicherung, Parkplatz­
suche und unstete Benzinpreise aus.
Dadurch bietet es dem Benutzer ein hohes Maß an Autonomie und Flexibilität.
Wenn es doch mal ein Auto sein muss,
dann nutzen die Menschen immer häu­
figer Carsharing-Angebote. Außerdem
ist der Preis eines Fahrrades erheblich
günstiger. Ein Auto wird oft auf Raten
gekauft. In Zeiten, in denen man seine
berufliche Zukunft nur noch bedingt
sicher planen kann, tun sich viele Menschen schwerer damit, einen Kredit für
die eigene Mobilität aufzunehmen.
Autonomie und Flexibilität
Unser Alltag ist vermehrt von Unsicherheit und Beschleunigung geprägt. Dies
ist zum einen dadurch bedingt, dass
sich der Wohlfahrtsstaat immer weniger
für unser soziales, materielles und kultu-
relles Wohlergehen verantwortlich zeigt.
Zum anderen sorgt die flächendeckende
Digitalisierung unseres Alltags für kontinuierliche Veränderungen. Um auf
diese Veränderungen angemessen reagieren zu können, benötigen wir ein
hohes Maß an Anpassungsfähigkeit
und Flexibilität. In unserer Zeit geht es
politisch und wirtschaftlich unruhig zu.
Einen Job auf Lebenszeit wird es voraussichtlich kaum noch geben. Die Generation Y (auch Millennials genannt,
geboren nach 1980) zeichnet sich dadurch aus, dass sie den Umgang mit
Unsicherheit und Ungewissheit in der
Lebensplanung gewohnt ist. Die Generation Y hat verinnerlicht, dass Eigen-
www.chillbikes.com
www.beatnecksbikes.com
www.createbikes.com
www.tannus.com
www.osloh.com
30
Hintergründe und Treiber
Individualisierung auf Rädern
Heute prägt jeder Einzelne seinen Lebenslauf selbst. Die Gemeinschaft hat
kaum noch Einfluss darauf. Institutionen
wie Kirchen, Gewerkschaften und Parteien haben erheblich an Bedeutung
verloren. Dies liegt daran, dass die Normen und Werte der Institutionen von jedem Einzelnen stärker hinterfragt werden. Diese Individualisierung äußert sich
auch im Konsumverhalten der Menschen.
Der Nutzen eines Produkts ist heute oft
zweitrangig. Die Konsumenten interes-
sieren sich vermehrt für Angebote, die
zu ihnen und ihrem Lebensentwurf passen. Das Öko-Image war gestern. Das
Fahrrad symbolisiert heute die Individu­
ali­sierung. Aus eigener Kraft an ein gewünschtes Ziel zu gelangen war noch
nie so sexy.
Leistungsfähigkeit sichern und steigern
Wir sind selbst für uns verantwortlich,
wenn es um Erfolg und Glück in unserem Leben geht. Und je mehr wir auf
uns selbst gestellt sind, desto leistungsfähiger müssen wir sein. Deshalb wird
der Körper zu unserem zentralen Kapital. Dabei spielt das Aussehen nur eine
untergeordnete Rolle. Wichtiger ist,
www.trendwizzard.de
31
Cycle-Lust
Die Firma OTO Cycles aus Barcelona fertigt hochwertige E-Bikes im Retro-Design. Der Sattel und die Lenkergriffe
lassen sich nach den Wünsch des Käufers individualisieren. www.otocycles.com
Das „NCycle“ setzt neue Maßstäbe in der Entwicklung von E-Bikes. In diesem Modell trifft minimalistisches Design auf
neueste Technik. Dazu zählt unter anderem das integrierte Zusammenfalten des Schließsystems NLock. www.ncycle.net
dass nach außen sichtbar wird, dass der
eigene Körper leistungsfähig ist. Auch
im Bereich Gesundheit verlassen wir
uns längst nicht mehr auf öffentliche
und institutionelle Strukturen. Unser Bedürfnis nach Selbstbestimmung veranlasst uns dazu, unsere Gesundheit zu
einem individuellen Projekt zu machen.
Regelmäßige Bewegung steigert unser
Wohlbefinden und unsere Leistungsfähigkeit. Auch deshalb entscheiden sich
immer mehr Menschen für das Fahrrad.
Es befördert einen nicht nur zügig zum
gewünschten Ziel, sondern trägt auch
maßgeblich dazu bei, unsere Fitness und
damit unsere Leistungsfähigkeit zu erhalten und zu steigern. Durch die Fahrt
von einem Megatrend. Schnelle Elektrofahrräder liegen meistens bei einer
Durchschnittsgeschwindigkeit von 25
bis 30 km/h. Dadurch zählen sie innerorts auf kürzeren Strecken zu den
schnellsten Fahrzeugen. Da Zeit heutzutage eines der wertvollsten Güter
darstellt, bieten sie dem Nutzer dadurch
einen klaren Vorteil, auch gegenüber
normalen Fahrrädern.
Durch die Unterstützung des Elektroantriebs muss der Fahrer im Vergleich zu
einem normalen Fahrrad weniger Energie aufbringen. Dadurch ermüdet der
Körper beim Radfahren langsamer. Klarer Vorteil: Es können größere Entfernungen zurückgelegt werden. Der Ak­
32
mit dem Rad spart man also nicht nur
Zeit, sondern tut auch noch etwas Gutes für Körper und Geist. Der Wert Gesundheit verdrängte laut Werte-Index
2014 erstmalig den Wert Freiheit von
der Spitzenposition des Rankings. Diese
Veränderung im Werte-Set unserer Gesellschaft äußert sich eindeutig in der
vermehrten Fahrradnutzung.
E-Bikes boomen
E-Bikes (auch Pedelecs genannt) sind
Elektrofahrräder, bei denen der Nutzer
beim Tritt in die Pedale durch einen Elek­troantrieb unterstützt wird. In Deutschland ist die Geschwindigkeit von E-Bikes
durch einen maximal 250 Watt starken
Motor auf 25 km/h begrenzt. Dadurch
gelten sie nach der StraßenverkehrsZulassungs-Ordnung nicht als Kraftfahrzeug. Deutschlandweit wurden im Jahr
2009 150.000 E-Bikes verkauft. 2013
waren es bereits 410.000 (Statista/2014).
Damit ist Deutschland heute der mit
Abstand größte Absatzmarkt für E-Bikes
in Europa.
Der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) e. V.
schätzt, dass in diesem Jahr 450.000
Stück in Deutschland verkauft werden.
Mittelfristig, so eine Prognose des ZIV,
soll der jährliche Anteil am Gesamtmarkt
sogar 15 Prozent erreichen. Dies entspräche einer Stückzahl von 600.000
E-Bikes jährlich. Die Branche spricht
tionsradius vergrößert sich. Weiter sorgt
der Elektroantrieb für eine gleichmäßige
körperliche Belastung. Hierdurch kommt
der Fahrer weniger ins Schwitzen. Dies
ist vor allem für Berufstätige auf der
Fahrt zur Arbeit ein wichtiger Vorteil.
Smarte Technologien beflügeln den
Fahrradmarkt
Smarte Technologien feiern weltweit
einen Siegeszug. Vor allem das Smart­
phone ist integraler Bestandteil des Alltags vieler Menschen. Für das Jahr 2014
wird ein Absatz von rund 24 Millionen
Ge­räten prognostiziert (Statista/2014).
Die Smartphone-Nutzung wächst in
Deutschland dementsprechend weiter
stark an. Der Bundesverband Digitale
Wirtschaft (BVDW) spricht in seiner
Studie „Faszination Mobile“ von einer
Steigerung um 25 Prozent für das Jahr
2014 im Vergleich zu 2013 (BVDW/
Google/TNS: Faszination Mobile, Mai
2014). In diesem Zusammenhang ist zunächst das Angebot an Apps und deren
Nutzung interessant. Es gibt eine Vielzahl von Apps, die für Radfahrer entwickelt wurden. Diese Apps vereinen oftmals mehrere relevante Funktionen. So
bietet die App „Runtastic Road Bike“
beispielsweise folgende Funktionen:
Messung von Distanz, Zeit, Geschwindigkeit/Pace, Kalorienverbrauch, dazu
Kartenansicht, Trainingstagebuch, Teilen
33
Cycle-Lust
Die Firma SCOTT entwickelte Fahrradkleidung aus abriebfestem Material, um die Radfahrer besser vor Verletzungen zu
schützen. Das Material ist gleichzeitig besonders schonend für die Haut. www.scott-sports.de
Der Elektronikhersteller Samsung entwickelte gemeinsam mit dem Rahmenbauer Giovanni Pelizzoli das „Samsung Smart Bike“.
Durch den Einsatz neuester Technik, soll das Radfahren sicherer und komfortabler werden. www.maestrosacademy.it
in sozialen Netzwerken, Wetter und vieles mehr. Früher brauchten Fahrradfahrer ein separates Navigationsgerät und
einen Fahrrad-Computer für die Erfassung von Geschwindigkeit und Zeit.
Heute finden sich diese Funktionen gebündelt in einer einzigen App. Das erleichtert allen Interessierten den Radsport, zumal die meisten Nutzer das
Smartphone immer bei sich haben.
Darüber hinaus automatisiert es benutzerfreundlich die Erfassung und Auswertung von zurückgelegten Strecken
und Trainingserfolgen. In Zeiten von
Healthstyle und Quantified Self sind solche Apps ein begehrtes Werkzeug für
die Selbstoptimierung. Da wir unsere
des Problems hochgeladen hat, verschafft sich ein erfahrener Techniker
einen Überblick und macht sich anschließend mit den benötigten Ersatzteilen auf
den Weg zum Kunden. Die Zeiten, in denen man sein kaputtes Fahrrad zu einer
Werkstatt schiebt, sind damit vorbei. Das
sorgt für erheblich weniger Frust.
34
Leistungen und Erfolge gerne teilen, ist
die Verknüpfung mit Social Media ein
weiteres wichtiges Feature. So macht
nicht nur trainieren, sondern auch Fahrrad fahren an sich Spaß. Auf diese Weise
tragen Apps zur Popularität des Fahr­
rades bei.
Apps erleichtern den Alltag
Aktuell arbeiten Entwickler an weiteren
Produkten und Dienstleistungen, die
den Alltag der Fahrradfahrer verändern.
Das „Skylock“ der Firma Velo Labs Inc.
zeichnet sich dadurch aus, dass kein
Schlüssel mehr zur Öffnung des Schlosses notwendig ist. Ähnlich den Technologien, die im Bereich Smart Homes
Anwendung finden, lässt sich dieses
Schloss über eine App öffnen und
schließen. Der Nutzer kann sein Fahrrad
sogar spontan Freunden zur Verfügung
stellen, weil sich das Schloss mit der
App von überall aus öffnen lässt. Das
„Skylock“ ist außerdem mit Solarzellen
ausgestattet, damit die Stromversorgung des Empfängers gesichert ist.
Ein weiterer spannender Service kommt
vom Start-up Veloyo aus Hamburg. Wer
während einer Fahrt Probleme mit seinem Fahrrad hat – einen platten Reifen,
kaputte Bremszüge oder eine defekte
Schaltung –, kann über die App von Veloyo schnelle Hilfe anfordern. Nachdem der
Benutzer Fotos und eine Beschreibung
Das Smart Bike steht in den
Startlöchern
Der Elektronikhersteller Samsung präsentierte auf der Mailänder Designwoche 2014 das „Samsung Smart Bike“. Im
Rahmen dieses smarten Fahrrades stecken ein Akku, Wi-Fi, Bluetooth, ein
Arduino-Microcontroller, vier Laserpro-
jektoren und eine Digitalkamera. Die Digitalkamera filmt nach hinten und überträgt via Echtzeit-Streaming das Bild auf
ein Smartphone, das am Lenker befestigt ist. So kann der Fahrer jederzeit sehen, was hinter ihm geschieht, ohne sich
umzudrehen. Das gewährleistet eine erhöhte Fahrsicherheit.
Das Smartphone dient aber nicht nur als
Rückspiegel. Weiter ermöglicht es die
Steuerung anderer Fahrradfunktionen.
So lässt sich alles vom Licht bis hin zur
Aktivierung einer Fahrbahnmarkierung
mit Laserprojektoren steuern. Weiter
bekommt der Nutzer ein Navigationspro­gramm zur Verfügung gestellt. Selbst
eine Community-Funktion ist vorgese-
hen. Jeder Nutzer sendet seine Position
über die GPS-Funktion des Smart­
phones. So kann jeder Nutzer sehen,
wo besonders viele Radfahrer entlangfahren. Diese Information gilt als Indikator für besonders fahrradfreundliche
Strecken.
3-D-Druck ermöglicht Customizing
Die Marktforschungs- und Technologieberatungsfirma Gartner prognostiziert in
ihrem Bericht „Hype Cycles 2014“, dass
3-D-Druck in fünf bis zehn Jahren bei
den Mainstream-Konsumenten etabliert
sein wird. Das bedeutet, dass in den
kommenden Jahren immer häufiger auch
Privathaushalte 3-D-Drucker nutzen
35
Cycle-Lust
Das Designunternehmen
„INDUSTRY“ kooperierte
mit den FahradbauSpezialisten von „Ti
Cycles“ bei der Entwicklung des Fahrradmodells
„Solid“. „Solid“ besteht
aus Titan und wird mit
Hilfe des 3D Druck­
verfahrens hergestellt.
www.ticycles.com
Fotos: INDUSTRY
werden. Aktuell gibt es bereits eine ak­
tive Szene von Tüftlern und Designern,
die sich seit einiger Zeit diesem recht
jungen Druckverfahren widmen und unter anderem neue Produkte für den
Fahrradmarkt entwickeln. Die Lust an
der Entwicklung neuer Gadgets und Accessoires wird dadurch gesteigert, dass
Prototypen heute mit geringem finan­
ziellem Aufwand angefertigt werden
können. Fehlt für die Serienproduktion
das Geld, so kann die benötigte Summe
mithilfe einer überzeugenden Idee via
Crowdfunding erfolgreich gesammelt
werden.
Weiter schafft 3-D-Druck neue Möglichkeiten, auf die persönlichen Wünsche
36
des Kunden einzugehen. Die Firmen
Renishaw und Empire Cycles haben gemeinsam einen Fahrradrahmen entwickelt, der vollständig von einem 3-DDrucker produziert wird. Am Rechner
lässt sich der Rahmen zusätzlich an die
individuellen Bedürfnisse eines Fahrers
anpassen. So kann mit verhältnismäßig
geringem Kostenaufwand ein einzigartiger Rahmen produziert werden.
Konsequenzen für
Unternehmen
Das eigene Image formen und stärken
Unternehmen können von dem Trend
Cycle-Lust profitieren, wenn es um die
Pflege des eigenen Images geht. Da das
Fahrrad für viele Menschen ein Symbol
für Unabhängigkeit und Individualität ist,
eignet es sich für die Verwendung in
Werbekampagnen als starker Image­
träger. Das Fahrrad ist heute außerdem
kein Drahtesel mehr. Es ist – genauso
wie das Auto – ein Statussymbol von
hoher ästhetischer Qualität. Je nach
Modell und Inszenierung kann es Agilität, Autonomie, Kraft, Erfolg und vieles
mehr kommunizieren. Das Fahrrad besitzt deshalb ein großes Potenzial für
die Konzeption von Kampagnen und eignet sich für viele Branchen und alle
Medienkanäle. Die Prognosen stehen
gut: Der Fahrradmarkt wird in den kom-
Die Produkte der
schwedischen Firma
Bookman zeugen vom
Stilbewusstsein der
neuen Fahrrad-Kultur.
www.bookman.se
menden Jahren weiter wachsen. Deshalb
bietet es sich an, einen Blick auf diesen
Markt zu werfen und zu überlegen, welche bestehenden Produkte sich gegebenenfalls dort platzieren lassen. Bisweilen reichen kleine Anpassungen, um
sich eine neue Zielgruppe zu erschließen. Weiter ist es lohnenswert, sich
über eine Erweiterung des eigenen Angebots Gedanken zu machen oder ein
neues Produkt/eine neue Produktpalette zu entwickeln. Vor allem im Segment
der Nahrungsmittel und Lifestyle-Produkte ist das Angebot gegenwärtig
noch überschaubar. Hier zahlt es sich
aus, die Zielgruppe der Fahrradfahrer zu
fokussieren und direkt anzusprechen.
Die neue Popularität des Fahrrades
sorgt für eine Vielzahl von Innovationen.
Ingenieure, IT-Spezialisten und Gestalter
arbeiten an immer neuen Produktionsverfahren und Designs zur Optimierung
des Radfahrens. Dabei fokussieren die
Entwicklerteams häufig gesellschaftlich
relevante Werte wie Nachhaltigkeit, Einfachheit und/oder Gesundheit. So entstehen spannende Konzepte und Ideen,
die sich auch auf andere Branchen anwenden lassen. Darüber hinaus lohnt
sich ein Blick auf die Start-up-Szene.
Dort entstehen neue Dienstleistungen
und Gadgets, die auch für andere Märkte spannende Impulse liefern.
Vor allem in Großstädten fahren immer
mehr Menschen mit dem Rad zur Arbeit.
Deshalb sollte jedes Unternehmen einen
Blick auf die vorhandene Infrastruktur
des Firmengeländes oder der unmittelbaren Umgebung werfen. Bestehen zum
Beispiel keine Abstellmöglichkeiten für
Fahrräder, so lohnt es sich, diese zeitnah
für seine Mitarbeiter bereitzustellen.
Dadurch setzen Unternehmen ein klares
Zeichen und steigern die Mitarbeiterzufriedenheit. Eine gute Infrastruktur ist
außerdem eine Motivation für weitere
Mitarbeiter, sich für das Fahrrad zu entscheiden. Diese Motivation zahlt sich
aus: Durch regelmäßiges Radfahren
steigert sich die körperliche und men­
tale Fitness der Mitarbeiter.
37
Serendipity
Serendipity
Durch den Einbau der „Get Lost“-Option im Navigationssystem erhöhte Jeep in den USA die Konversation
um seine Marke um das 10fache in nur 2 Wochen.
Serendipity
die Jagd nach dem glücklichen Zufall
Technologischer Wandel
Algorithmen werden zum Metronom
unseres Alltags
Predictive Analytics prägen zunehmend
unseren Alltag. Vernetzende digitale
Technologien sind nicht nur in der Lage,
unsere Abläufe zeiteffizient zu struk­
turieren. Durch das Lernen unserer
Gewohnheiten und die intelligente Aus­
wertung von Bewegungs- und Trans­38
ak­tions­da­ten können sie auch unsere
Verhaltensmuster erkennen und diese
effektiver strukturieren und lotsen.
Damit können digitale Devices unsere
nahe Zukunft nicht nur voraussagen,
sondern sogar aktiv mitbestimmen.
Algorithmen werden zum Metronom unseres Lebens. In einigen Teilbereichen,
in denen wir nach Optimierung und Effizienzgewinn streben, kommen uns die
smarten Devices ganz recht. Ob es
Google Now ist, das unseren Kalender
intelligenter strukturiert und automatisch die optimalen Zeitfenster erkennt,
oder Touch & Travel von der Deutschen
Bahn, das unser Fahrverhalten analysiert und den günstigsten Fahrpreis berechnet.
Intelligente Programme nehmen uns das
Denken ab, lösen lästige Probleme und
geben uns im besten Fall mehr Zeit für
die schönen Dinge im Leben.
Foto: getty images
In einer Zeit, in der Technologie unser gesamtes Leben immer vorhersagbarer und planbarer macht, sehnen sich Menschen
zurück nach dem Überraschenden und möchten dem Schicksal wieder mehr Verantwortung überlassen. Serendipity, der glückliche Zufall, wird zum Sehnsuchtsfeld. Er soll nicht nur Spannung in unser persönliches Umfeld bringen, sondern auch Innova­
tionspotenziale in Unternehmen entfalten. Statt unseren Alltag dem Diktat der Selbstoptimierung zu unterwerfen, suchen wir
nach den unvorhersagbaren Ausreißern in unserer Routine.
39
Serendipity
Foto: getty images
Heineken forderte Reisende an Flughäfen heraus, ihre Pläne über den Haufen zu werfen und stattdessen einen Flug zu
buchen, dessen Destination erst kurz vor Boarding aufgelöst wurde.
40
Doch die Optimierung unserer täglichen Routine hat auch zur Folge, dass
unser Leben ein Stück langweiliger daherkommt. Wenn alles nach Plan läuft,
drängen wir die glücklichen Zufälle, die
spannenden Überraschungen und die
schicksalhaften Begegnungen aus unserem Leben. Das Unvorhersehbare
wird eliminiert, der Zufall wird abgeschafft. In der Statistik spricht man in
diesem Kontext von Outliers, den Daten, die jeglichem Muster und jeder
Norm widersprechen und damit zum
Ausreißer aus dem Durchschnitt werden. Doch genau nach diesen unvorsehbaren Interaktionen, den Ausreißern
in unserem Tagesdurchschnitt, sehnen
sich Menschen zurück. Wir suchen
nach dem glücklichen Zufall, nach Serendipity. Damit bezeichnet man eine
zufällige Begegnung oder einen Zwischenfall, aus dem sich eine glückliche –
manchmal auch lebensverändernde –
Fügung ergibt. Er gilt aus Ausbruch aus
der Normalität und trifft damit den aktuellen Zeitgeist. Denn normal oder
berechenbar möchte heute niemand
mehr sein.
Stattdessen streben wir nach Erlebnismaximierung. Trendforscher sprechen
vom Polarity Paradox, einem zunehmend
extremen und kontextabhängigen Konsumentenverhalten, das von Kontinuität
und Konvergenz Abstand nimmt. Denn
die goldene Mitte kommt uns immer häufiger vor wie das Mittelmaß. Moderates
Verhalten ist nicht länger Ars Operandi.
Stattdessen wird es abgelöst von einem
sprunghaftem Verhalten entlang der Extrempole, das eine Maximierung der Erlebnisqualität verspricht. Serendipity bedeutet jedoch keinesfalls Willkür oder
Dinge dem bloßen Zufall zu überlassen.
Die Ironie an der Erfüllung dieses Bedürfnisses ist, dass die Technologie, der
wir eigentlich aus dem Weg gehen
möchten, die gleiche ist, die uns Serendipity zurückbringen soll. Statt einer
technischen Auszeit sorgen auch hier
Algorithmen für den glücklichen Zufall.
Auf Basis von Geo-Location- oder Bewegungsverhalten werden User mit relevanten Informationen gematcht. Apps,
die sich solche Mechanismen zunutze
machen, sind in den vergangenen Monaten in allen Bereichen aus dem Boden
gesprossen. Doch gerade in unserem
sozialen Umfeld und der Suche nach
neuen Kontakten erfreut sich das Prinzip Serendipity großer Beliebtheit.
Sozialer Wandel
Serendipitous Technology
als digitaler Amor
Social-Media-Profile sind zu unserer digitalen Visitenkarte geworden. Sie ermöglichen es, anhand von gemeinsamen
Interessen Gleichgesinnte zu finden und
mögliche Bekanntschaften nach gemeinsamen Nennern abzuscannen, bevor wir sie überhaupt getroffen haben.
Technologie erhöht unsere Bequemlichkeit und vermeidet unangenehme Situationen und Reibungsflächen mit unserem Gegenüber: der soziale Filter als
Risikominimierung. KLM machte sich
den Mechanismus mit ihrem Social Seating „Meet & Seat“ zunutze. Interes­
sierte können auf Basis eines Abgleichs
ihrer Nutzerprofile Reisende mit ähnlichen Interessen finden und sich neben
diese setzen lassen (www.klm.com/travel/de_de/prepare_for_travel/on_board/
41
Serendipity
Neue Dating-Apps wie Tinder oder Happn setzen nicht auf kalkulierte Gemeinsamkeiten, sondern rein auf örtliche Verbundenheit.
Die Zufallsbegegnung wird digitalisiert.
42
Insbesondere im Online-Dating wird eine
Bewegung deutlich, die weg von Vorhersagbarkeit zurück zur Serendipity führt.
In den vergangenen Jahren erweckten
Anbieter wie ElitePartner und Co. Vertrauen beim Konsumenten, indem sie
den Anspruch stellten, Menschen auf
Basis ähnlicher Vorlieben zusammenzubringen. Es schien, als würde Liebe berechenbar werden. Je besser Menschen
auf Testskalen zusammenpassten, desto
wahrscheinlicher würde es sein, dass sie
auch im wahren Leben ein gutes Pärchen abgeben. Doch wenn Algorithmen
Amors Pfeil ersetzen, verlieren Partnerschaften und Beziehungen ein großes
Stück an Romantik und damit auch an
Substanz. Gerade in der heutigen Singlegesellschaft gewinnen traditionelle Beziehungsbilder, geprägt durch Schicksal
und Romantik, wieder an Bedeutung und
Attraktivität. Menschen wehren sich dagegen, dass die Berechenbarkeit ihres
Berufslebens auch in privaten Sphären
Einzug hält. Neue Dating-Apps wie Tinder oder Happn setzen auf dieses Bedürfnis und suggerieren, den glücklichen
Zufall zurück ins Leben der User zu holen. Allein auf Basis von geografischer
Nähe werden User einander vorgestellt.
Finden sich beide attraktiv, können Kontaktdaten ausgetauscht werden. Ein
Schicksalsprinzip mit Erfolgspotenzial.
Tinder hat mittlerweile bis zu 50 Millionen Matches generiert und bedient über
eine Million User. Damit kann das Startup eine Wachstumsrate verzeichnen, die
sich mit den Anfangszeiten von Facebook, Twitter und Instagram vergleichen
lässt (http://techcrunch.com/2013/05/
24/50m-matches-strong-hot-mobiledating-app-tinder-is-ready-to-go-globaland-move-beyond-flirting/).
Während Tinder allein auf Attraktivität
setzt, setzt Happn noch stärker auf das
Prinzip von Serendipity und versucht, die
zufällige Begegnung im realen Leben mit
digitaler Kommunikation zu verknüpfen.
User werden sich nur gegenseitig vorgeschlagen, sollten sie sich schon tatsächlich einmal zur selben Zeit am selben Ort
befunden haben (www.happn.com).
Kultureller Wandel
Verantwortung an den Zufall abgeben
Nicht zuletzt ist der Wunsch nach Serendipity auch ein Indikator für das Bedürfnis nach Erleichterung. Im Angesicht
Foto: getty images
Your_seat_on_board/meet_and_seat.
htm). Die Zeiten, in denen man Lang­
streckenflüge neben schreienden Kindern oder unpassenden Menschen ertragen mussten, sind damit vorbei. Aber
mit der Assimilation der Begegnungen
setzt bei Usern immer häufiger die Erkenntnis ein, dass durch den sozialen
Filter nicht nur Reibungsfläche, sondern
auch Spannung abhanden gekommen
ist. Schränkt es uns auf Dauer nicht in
unserer Lebensqualität ein, sich nur mit
Menschen zu unterhalten, die uns ähnlich sind? Digitalforscher und Internetaktivist Eli Pariser warnte schon 2011
vor dem „Echo Chamber Effekt“ – der
Informationsblase, die entsteht, indem
wir Algorithmen unsere Medieninhalte
bestimmen lassen. Wenn uns nur noch
der Content zugeführt wird, der auf Basis unserer Interessen gefiltert wurde,
glauben wir irgendwann, es gebe keine
andere Meinung außer unserer eigenen.
Dies kann gefährliche Auswirkungen im
politischen Leben haben, da Minderheiten oder konträre Ansichten die Mehrheit der Menschen nicht mehr erreichen.
Doch auch außerhalb der politischen
Ebene wird Vorhersagbarkeit in unserem
sozialen Leben zunehmend unattraktiv.
43
Serendipity
Foto: Sascha Kohlmann
Musik-Streaming-Service Spotify entwickelte in 2014 das Projekt Serendipity, das visualisiert, wenn zwei Hörer zur selben
Zeit den gleichen Song hören. Egal ob in Frankreich, Äthiopien oder Nicaragua – das Projekt zeigt, Musik verbindet.
44
der ständigen Informationsüberflutung,
die einen hohen Suchaufwand mit sich
bringt, und der wachsenden Möglichkeiten wird es immer schwieriger für Konsumenten, sich zu entscheiden. Der persönliche Druck, das optimale Ergebnis
für sich zu finden, resultiert im Gegenteil: Wir fühlen uns wie gelähmt. So argumentiert der Psychologe Barry Schwartz
in seinem Buch „The Paradox of Choice“,
dass eine große Auswahl zunächst zwar
Autonomie bedeutet, ab einem bestimmten Grad jedoch in Unzufriedenheit und
psychologischer Überlastung gipfelt. An
der Vielzahl der Möglichkeiten zu scheitern macht unglücklich. Indem wir die
Entscheidungen wieder dem Zufall überlassen, geben wir Verantwortung ab und
entkommen dem Optimierungsdruck. Da
das Ergebnis nicht mehr durch uns beeinflussbar ist, sehen wir dem Problem
gelassener entgegen.
Serendipity – Erlebnishunger als
Phänomen der Echtzeitgesellschaft
Ein weiterer Faktor, der Serendipity attraktiv macht, ist der Wunsch nach
mehr Erlebnissen. Die wachsende Personalisierung unserer Umgebung hat
zur Folge, dass es schwierig wird, Unbekanntes zu entdecken. E-CommerceAngebote, Kontaktanfragen, Social Recommendations – ein Großteil der Informationen, die an uns herangetragen
wird, ist auf unsere Vorlieben ausgerichtet und damit auf das, was wir eh schon
kennen. Gleichzeitig werden alle Erlebnisse in Echtzeit geteilt und kommuniziert; die Halbwertzeit in der Experience
Economy wird immer kürzer. Gleichzeitig leiden wir unter einem ungebremsten
Erlebnishunger und Thaasophobie, der
Angst vor Stillstand oder Langeweile.
Serendipity kann einen Ausweg aus dieser Eindruckswüste darstellen. Es gibt
eine Vielzahl von Apps, die Empfehlungen absichtlich nicht von Gleichgesinnten sourcen lassen, sondern durch Beliebigkeit überzeugen. Lokast ist ein
Media-Sharing-Service, der Menschen
die Möglichkeit gibt, mit anderen, die
sich in ihrer Nähe befinden, in Mini-So­
cial-Networks Inhalte auszutauschen;
kennen muss man sich dafür nicht. Das
Programm Forgotify führt User zu den
Musiktiteln, die noch von keinem anderen Nutzer auf Spotify gehört wurden –
der Gegenentwurf zu den Charts
(http://forgotify.com/).
Nicht nur im digitalen Raum sind solche
Angebote zu finden. German Wings verzeichnet riesige Erfolge mit seinem
Blind Booking, bei dem der bloße Zufall
entscheidet, wohin die Reisenden fliegen. Erst nach dem Buchungsvorgang
wird das Ziel bekannt gegeben (https://
www.germanwings.com/skysales/BlindBooking.aspx?culture=de-DE).
Es geht darum, bekannten Mustern und
Rollen zu entkommen und den Sprung
ins kalte Wasser zu wagen. So startete
das Dalai Lama Center for Ethics and
Transformative Values des MIT das Forschungsprojekt „20 Day Stranger“, bei
dem durch einen Zufallsmechanismus
zwei anonyme Nutzer gepaart werden,
die 20 Tage lang ihr tägliches Leben
durch das Versenden persönlicher Fotos
teilen. Nach dem Ablauf der Zeit können
45
Serendipity
Key Findings
- Ausbruch aus dem Diktat der Selbstoptimierung
Abgabe von Verantwortung und Erleichterung der Entscheidungsfindung
Technologie als Enabler der glücklichen Zufälle und digitales Schicksal
Hunger nach neuen, unbekannten Erlebnissen
Interdisziplinarität und Cross-Pollination als Basis für Innovation
sich die Teilnehmer eine einzige Nachricht schreiben. Danach wird der Kanal
zum jeweils anderen wieder geschlossen (www.20daystranger.com/).
Ökonomischer Wandel
Der glückliche Zufall als Indikator für
Innovationsfähigkeit
Was sich nach sentimentaler Nachfrage,
nach Zufälligkeit und Magie anhört, hat
jedoch weitreichende Implikationen,
auch im Wirtschaftsbereich. Denn die
Strategie der zufälligen Entdeckung ist
keinesfalls ineffizient, sondern kann für
Innovation und Kreativität sorgen. Der
Zufall spielt seit jeher eine wichtige Rolle
im Bereich der Erfindungen und Startups. Die Mikrowelle, Impfungen, Röntgenstrahlen, die Pille und Penicillin, all
diese bahnbrechenden Erfindungen sind
Ergebnisse puren Zufalls.
Bei der Neuentwicklung von Produkten
und Services entziehen sich grundsätzlich einige Aspekte der Vorhersagbarkeit. Die Fähigkeit, mit Unwissenheit
umzugehen und diese als inhärenten
Einflussfaktor in der Entwicklungsphase
zu verstehen, unterscheidet zu großem
Anteil erfolgreiche von erfolglosen
Start-ups. Denn das Wettbewerbs­um­
feld heutiger Unternehmen wird kom­
plexer und schnelllebiger und damit
unvorher­sag­bar. Traditionelle Extrapolationsmethoden, welche die Zukunft auf
Basis der Vergangenheit voraussagen
wollen, führen zu falschen Annahmen.
Unsicherheit ist integraler Bestandteil
jeder Unternehmung. Nur die Firmen,
welche flexibel genug bleiben, sich den
wandelnden Bedingungen zu stellen und
sich kurzfristig anzupassen, werden
überleben können. Die Forscherin Saras
D. Sarasvathy hat eine ganze Entscheidungslogik auf der Annahme des glücklichen Zufalls entworfen, die gerade für
Start-ups eine relevante Alternative zur
46
traditionellen Planung darstellt. Demnach werden Strategien und Entscheidungen nicht von einem Finalziel abhängig gemacht, sondern vielmehr davon,
welche Mittel dem Unternehmen zur
Verfügung stehen und wie sich diese
kontextabhängig umsetzen lassen. Die
Forscherin illustriert den Unterschied
der beiden Denkweisen anhand des
Kochens. Statt sich ein Rezept herauszusuchen und die entsprechenden
Zu­taten einzukaufen, würde nach der
Effectuation-Theorie das finale Gericht
noch gar nicht feststehen, sondern davon abhängig sein, welche Zutaten der
Koch noch zur Verfügung hat. Mit dieser
Strategie können Eventualitäten in den
Planungsprozess integriert werden;
statt Zufälle vermeiden zu wollen, wird
ihnen Raum gegeben und sogar versucht, sie herbeizuführen. Eine These,
die zahlreiche Anhänger findet. Mit dem
Projekt „Serendipitystories“, bei dem
Menschen aufgefordert sind, ihre persönlichen Zufallsgeschichten zu teilen,
versucht das University College London
Muster zu erkennen, um zu untersuchen, ob es Menschen gibt, denen solche Zufälle öfter begegnen als anderen,
und wie man es schaffen kann, mehr
dieser Begegnungen zu erfahren beziehungsweise diese im richtigen Moment
zu erkennen. Es geht darum, empfänglicher zu werden für Möglichkeiten und
somit die persönliche Lebensqualität zu
steigern.
mehr sind, ist allgegenwärtig. Das Ziel
ist es, Lösungen abseits der betretenen
Pfade zu suchen und somit Differen­
zierungs­potenziale zu eröffnen. Es sind
nicht mehr nur Vorreiter wie Google
und Facebook, die innerhalb ihrer
Un­ter­neh­mensprozesse Freiräume für
Ungeplan­tes schaffen möchten, um
so Inspiration zu stimulieren oder CrossPolli­nation zu forcieren. Das For­­schungs­­projekt Serena setzt sich zum
Ziel, Tools und Methoden zu ent­wi­
ckeln, die glückliche Interaktionen im
Research-Bereich möglich machen
(www.serena.ac.uk/vision/) – Ansätze,
die in jedem Unternehmen umgesetzt
werden könnten.
Dieses Verständnis hält Einzug in die
Art und Weise, wie Organisationen geführt werden. Neue Unternehmenskulturen führen vor, dass das Unbekannte
und Ungeplante Kreativität und Inno­
vation fördert – die beiden Charakte­ris­­tiken, die aktuell als die wichtigsten
Erfolgskompetenzen zukunftsfähiger
Unternehmen gelten. Die Erkenntnis,
dass Standardlösungen und Normen
keine adäquaten Erfolgsstrategien
- Unsicherheit akzeptieren und mit ihr
planen
Serendipity kann als Strategie gesehen
werden, die sich das Ziel setzt, Lebensfreude und Lebensqualität zu maximieren. Ob im Berufsleben oder im privaten
Alltag, es ist eine Abkehr von einer all­
umfassenden Planung, zurück zu einem
Leben, in dem Freiraum für Aktivitäten
und Begegnungen bleibt, die unter Gesichtspunkten der Effizienz keine Berechtigung mehr finden würden. Technologie wird genutzt, um Kontakte
abseits unserer bestehenden Kreise zu
finden, neue Interessen zu entdecken
und Ausreißermomente zu gestalten, die
für neue Inspiration in unserem Alltag
sorgen.
Ableitungen für Unternehmen
- kürzere Planungszyklen
- Freiräume schaffen für zufällige
Begegnungen und Austausch außerhalb des Tagesgeschäfts
- interdisziplinäre Teams als Basis für
Ideenaustausch und Cross-Pollination
Foto: JHG-Design
-
-
-
-
47
Neue Folklore
Ausgaben 2013–2014
1 MAI 2013
Maker Movement
Die neue Lust am „Machen“
Gamification
Spielend zum Erfolg
Brain Boost
Hirnen als extremSport
Beyond Belief
Die Sehnsucht nach dem Mystischen
2 OKTOBER 2013
EGo economy
SINGLES SIND DIE NEUE MITTELKLASSE
Jetztzeit
Gleichzeitigkeit statt Gegenwart
Selbstoptimierer
Die Lust am Besseren Ich
Heimathafen
Home is where the heart is
Impressum
Verantwortlich für den Inhalt:
Trendbüro Beratungsunternehmen
für gesellschaftlichen Wandel
Projektleitung Trendbüro:
Prof. Peter Wippermann
www.peterwippermann.com
Projektverantwortlicher ProSiebenSat.1 TV Deutschland:
Malte Hildebrandt, Leitung Central Marketing ProSiebenSat.1 TV Deutschland
Projektleitung ProSiebenSat.1 TV Deutschland:
Christiane Steidle, Leiterin On the Ground Marketing
Manuela Bach, Leiterin Sales Creation
Mitarbeit:
Maria Angerer
Kristina Bonitz
Stefan Mosebach
Corinna Mühlhausen
3 FEBRUAR 2014
Neue Folklore
Analoge Internet-Kultur
Private Bots
Ego Robots
Gender Travel
Die Neue Lust am Spiel mit den Geschlechtern
New Work
Die Flexibilisierung der Unternehmen
4 MAI 2014
Net Natives
Individualisten und Planer
Selfie-ism
Selbstmarketing in der Netzgesellschaft
Shareconomy
Konsumkultur im Wandel
Digital Detox
Entspannen in der vernetzten Welt
Layout:
Thomas Escher
Fotoredaktion:
Martina Schneider
Änderungen und Druckfehler vorbehalten. Ausgabe 5 – Oktober 2014
48
49
SevenOne Media GmbH
Medienallee 4
85774 Unterföhring
Tel +49 (0) 89/95 07-40
Fax +49 (0) 89/95 07-43 99
www.sevenonemedia.de
[email protected]
Ein Unternehmen der ProSiebenSat.1 Media AG
50