- Heimvolkshochschule Hohebuch

Materialien zum
Erntebittgottesdienst
2015
Bei dir ist die Quelle des Lebens.
Psalm 36, Vers 10
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wird, bitten wir um genaue Absenderangabe.
Herausgeber:
Evang. Landesbauernpfarramt
Evang. Bauernwerk in Württemberg e. V.
74638 Waldenburg-Hohebuch
Tel: 07942/107–0
Fax: 07942/107-20
[email protected]
www.hohebuch.de
Redaktion:
Dr. Jörg Dinger, Landesbauernpfarrer
Sandra Dörr, Sekretariat
Foto Umschlagseite:
Patrick Schneider, Blaufelden
2
Materialien zum Erntebittgottesdienst 2015
Inhaltsangabe
Vorwort
4
Lieder und Psalmen
5
Gestaltungs- und Dekorationsideen, Quiz
7
Sprechmotette
8
Anspiel 1: „Nordic Talking“
10
Anspiel 2: „Quelle des Lebens“
12
Eingangsgebete
12
Anmerkungen zum Predigttext
13
Predigtvorschlag
18
Fürbitten
23
Aus der Landwirtschaftlichen Familienberatung
25
Landwirtschaftliche Nutztierhaltung –
eine ethische Perspektive
28
3
Vorwort
Liebe Pfarrerinnen und Pfarrer,
liebe Prädikantinnen und Prädikanten,
liebe Vorbereitungsteams der Erntebittgottesdienste!
„Bei dir ist die Quelle des Lebens.“ Der Psalmvers spricht uns unmittelbar an, auch wenn wir schon lange nicht mehr direkt aus einer
Quelle getrunken haben. Nicht zuletzt als Taufspruch ist der Vers beliebt. Nun ist er Motto für den Erntebittgottesdienst 2015.
Mindestens drei Aspekte waren dem Vorbereitungskreis wichtig.
Zum einen: Bei Gott entspringt alles Leben. Auf ihn als Schöpfer
und auf die Ressourcen, die uns die Schöpfung zur Verfügung stellt,
sind und bleiben wir angewiesen.
Zweitens verweist das Bild der Quelle auf die Lebensnotwendigkeit
des Wassers. Immer wieder ein Thema, wenn – wie auch dieses Jahr
– März und April sehr trockene Monate sind.
Schließlich geht es im übertragenen Sinne um die Quellen, aus denen
wir Menschen schöpfen. Die Quellen unserer Kraft, unsere geistiggeistlichen Quellen. Nicht zuletzt darum feiern wir den Erntebittgottesdienst, um in Verbindung zu kommen mit der Quelle des Lebens.
Sehr herzlich bedanken möchte ich mich beim Arbeitskreis Schwäbisch Gmünd des Evangelischen Bauernwerks mit der Prälaturreferentin Renate Wittlinger und dem Bezirksbauernpfarrer Uwe Bauer
für die inspirierende Zusammenarbeit.
Ihnen allen wünsche ich im Sinne des Mottos die Seele erfrischende
Erntebittgottesdienste und eine gesegnete Erntezeit.
Mit herzlichen Grüßen, Ihr
Jörg Dinger, Landesbauernpfarrer
Hohebuch, Ende April 2015
4
Lieder und Psalmen
Zum Eingang bzw. vor der Predigt
EG 324
Ich singe dir mit Herz und Mund
EG 447
Lobet den Herren, alle, die ihn ehren
EG 455
Morgenlicht leuchtet
EG 503
Geh aus, mein Herz, und suche Freud
EG 504
Himmel, Erde, Luft und Meer
EG 508
Wir pflügen und wir streuen
NL 56
Ich sing dir mein Lied
Nach EG 334 Danke-Lied (Nachdichtung R. Wittlinger, s.u.)
Nach der Predigt
EG 432
Gott gab uns Atem
EG 638
Wo ein Mensch Vertrauen gibt
NL 23
Du bist der Atem der Ewigkeit
NL 66
Leben aus der Quelle
NL 93
Wo Menschen sich vergessen
Schluss-/ Segenslied
EG 140
Brunn alles Heils, dich ehren wir
EG 171
Bewahre uns, Gott
EG 457
Der Tag ist seiner Höhe nah
EG 646
Aus Gottes guten Händen
NL 71
Mögen sich die Wege
Psalmen
Ps. 8 (EG 705); Ps. 23 (EG 711); Ps. 36 (EG 719); Ps. 104 (EG 743);
Ps. 145 (EG 756)
Vorschläge für die Schriftlesung
Sprüche 14, 27.31-34; Jesaja 55, 1-3a; Johannes 4, 10-14; Johannes
7, 37-39.
Er lässt mich auf grünen Auen lagern,
behutsam führt er mich zum Wasser der Oase –
er lässt mich wieder zu mir kommen.
(Psalm 23, 2+3a, Übs. Manfred Kuntz)
5
Danke–Lied
Nachdichtung von Renate Wittlinger zum Erntedankgottesdienst am
5. Oktober 2014 auf der Landesgartenschau in Schwäbisch Gmünd
Melodie und Strophen 1 und 6 aus EG 334, Strophen 2-5 R.W.
1. Danke für diesen guten Morgen, danke für jeden neuen Tag,
danke, dass ich all meine Sorgen auf dich werfen mag.
2. Danke, o Herr, für Sonn` und Regen, danke für unser täglich` Brot.
danke für diesen Erntesegen, Leben ohne Not.
3. Danke für alle guten Gaben, danke für anvertrautes Gut,
danke für unser Feld und Garten, Liebe macht uns Mut.
4. Danke für alle schönen Blumen, danke für diese Farbenpracht,
danke, dass du so viele Menschen damit froh gemacht.
5. Danke für Jesus, Brot des Lebens, danke für Freunde aller Ort.
Danke fürs freie Singen, Beten, Hören auf dein Wort.
6. Danke, dein Heil kennt keine Schranken, danke, ich halt mich fest
daran.
Danke, ach Herr ich will dir danken, dass ich danken kann.
Kanon
Lennart Faustmann
6
Gestaltungs- und Dekorationsideen
Ein Wasserkrug steht auf dem Altar. Findet der Gottesdienst in der
Kirche statt, kann ein blaues Tuch oder ein Quellstein den Bezug
zum Thema symbolisieren. Auf einem landwirtschaftlichen Betrieb
könnte dies durch eine Viehtränke, ein Wasserfass o. Ä. geschehen.
Zum Mitgeben für die Gottesdienstbesucher/innen: Kleine FischAusstecher-Kekse aus Mürbteig. Kärtchen mit Segenssprüchen.
Für Kinder und/oder Erwachsene: Quiz – hier zwei Vorschläge
(Lösungen auf der letzten Seite)
Kirchenlieder- Quiz
1. O treuer Hüter,………………………… , ach lass doch ferner
über unserm Leben
2. Ich weiß, daß du der …………………………….. Gnad und
ewge ……………………… bist.
3. Jesus ist kommen, die …………………………….; komm,
wen dürste, und trinke, wer will..
4. O du unergründ´ter …………………………., wie will doch
mein schwacher Geist, ob er sich gleich
5. O Gott , du frommer Gott,
…………………………………………… guter Gaben.
6. ………… alles Heils, dich ehren wir und öffnen unsern Mund
vor dir.
Wo entspringen die folgenden Flüsse?
1. Rhein:
a) Vogesen
b) Allgäu
c) Alpen
2. Donau: a) Bayerischer Wald b) Schwarzwald c) Böhmer Wald
3. Mosel:
a) Eifel
b) Hunsrück
c) Vogesen
4. Ahr:
a) Eifel
b) Hunsrück
c) Vogesen
5. Oder:
a) Böhmer Wald
b) Mähren
c) Erzgebirge
7
6. Neckar:
a) Alpenvorland
c) Bayerischer Wald
b) Schwarzwald
7. Elbe: a) Riesengebirge
b) Erzgebirge
c) Karpaten
8. Lahn: a) Rhön
b) Spessart
c) Rothaargebirge
9. Main: a) Fichtelgebirge
b) Schwäbische Alb c) Schwarzwald
10. lsar:
a) Appenzeller Land
c) Oberbayern
b) Bayerischer Wald
Sprechmotette
Alle: Bei dir ist die Quelle des Lebens.
I.
Quelle, da stelle ich mir munter sprudelndes, klares Wasser
vor.
II.
Manche Quellen sind aber auch mickrige Rinnsale.
III.
Man sieht ihnen nicht an, dass mal ein großer Fluss draus
wird.
I.
Schön ist es, wenn eine Quelle in einem Becken gefasst wird,
bevor sich das Wasser auf seinen Weg Richtung Meer macht.
II.
Andere Quellen behandeln wir achtlos und schütten sie zu.
III.
Oder sie versiegen – zeitweise oder für immer.
Alle: Bei dir ist die Quelle des Lebens.
I.
Da wird Gott angesprochen, der alles Leben geschaffen hat.
II.
Aber das Leben ist doch einfach da und pflanzt sich fort. Ist
nicht das Leben selbst die Quelle des Lebens?
III.
Oder die Natur, die Evolution?
I.
So kann man es sehen. Aber zu allererst ist das Leben ein
großes Wunder.
8
II.
Ja, wenn ein Kind auf die Welt kommt.
III.
Oder wenn der Same keimt, aufgeht, der Halm und die Ähre
wächst oder der Tomatenstock – bis wir die reife Frucht
ernten können.
I.
Wirklich ein Wunder – und für mich steht dahinter Gott als
Schöpfer, als Quelle des Lebens.
Alle: Bei dir ist die Quelle des Lebens.
II.
Soll ich das wirklich glauben, dass mein Leben bei Gott
entspringt?
III.
Dass Gott sich um mich ganz persönlich kümmert?
I.
Um dich, um mich, um uns alle, sogar um die Tiere. Es heißt
doch: „Herr, du hilfst Menschen und Tieren.“
II.
Wie in der Geschichte von der Sintflut: Menschen und Tiere
werden miteinander gerettet – oder sie gehen miteinander
unter.
Alle: Bei dir ist die Quelle des Lebens.
III.
Aber sprudelt die Quelle überhaupt noch – in meinem Leben,
in der Kirche? Oder läuft da nur noch ein mickriges Rinnsal,
das demnächst vollends ganz versiegt?
I.
Es kommt natürlich auch darauf an, ob wir den Weg zur
Quelle suchen, die Verbindung zu Gott.
II.
Gibt es dann keine trockenen Zeiten mehr in meinem Leben?
III.
Sprudelt dann automatisch das Leben, die Kreativität, die
Liebe?
I.
Automatisch nicht. Aber so viel ist klar: Den Durst meiner
Seele kann ich nur bei der Quelle des Lebens stillen, bei Gott.
Alle: Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem
Lichte sehen wir das Licht.
9
Anspiel 1: „Nordic Talking“
(Zwei Frauen mit Nordic-Walking Ausrüstung kommen auf die
Bühne)
Guta Morga‚ Andrea!
Guta Morga, Inge, hosch dich wieder losreißa könna drhoim?
Ging so. Mr muaß sich halt so Sprüch ahöra wie: „Na, gehsch wieder
zom Nordic Talking?“ Der moint wohl, mir dädet ons bloß
unterhalta!
Des ghärt halt au drzua beim Nordic Walking, dass mr au s´Nötigste
mitnander schwätzt.
Woisch du, ob d´Gaby heut kommt?
Dui ka net komma heut. Des isch a heiße Story:
In Hinterweiler hen se doch a eigene Wasserversorgung. Aber jetzt
dürfet se ihr Wasser aus´m Wasserhahne nemme trinka. Do sen
Kolibakteria drin. Der Schultes hat des aber net em Amtsblatt
veröffentlicht, des gäb em Ort ja a Gschmäckle, sondern hat Zettel
verteila lassa.
Aber Schulzabauers hen koin kriegt – drfür hen se älle dr flotte Otto
kriegt! Die kommet nemme von dr Schüssel runter!
Oh je, ond des mitta em Siliera! (aktuelle Saison anpassen)
Do bisch doch fix ond fertig, wenn nix dren bleibt.
Ja, denne ihr Hahnawasser isch s´Gegenteil von ´ma Fitnessdrink!
Ho ho!
Ma mueß echt aufpassa, was mr zu sich nimmt! Ob´s oim guat duat.
Genau: verzähl doch mol was Positives.
Du, letzte Woch hab i d´Tina ´troffa.
Oh, dui hat´s ja au g a r net leicht! Mit derra ihre Junge…
… ond mit derra ihre Alte…! Ond Schaffa ganga muaß sie au no.
Koi Wonder, dass dui so deprimiert isch.
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War se gar net mol. Sie hot gsagt, es goht ihr sehr guat ond hat
g´lacht.
I hab gfrogt, ob sich dahoim was geändert hat, no sagt se: “Des net“,
aber dass sie seit a paar Wocha jeden Morga a halbe Stund um ihren
Küchatisch rumlauft ...
Was?
… um ihren Küchatisch rumlauft - ond sich bei Gott bedankt für älle
mögliche Sacha, die ihr einfallet.
A halbe Stund lang! Do wär i schneller fertig.
Hab i au gsagt! No moint se: „ A l l e s T r a i n i n g s s a c h e!“
„Do dät mir gar net so viel einfalle“, hab I gsagt. No sagt sie: „Du
kannsch doch au a halbe Stund am Stück bruddla, oder? A l l e s
Trainingssache!“
Ha ha, do hot se recht! Do bisch Du echt gut trainiert! (Hält sich
schnell die Hand vor den Mund)
Komm, komm, so schlimm isch´s au wieder net!
(Klopft Ihr auf die Schulter) Bruddel du no, wenn´s dir guat duat.
Des isch ja dr Punkt: je öfter i erzähl, wie schlecht es mir goht
ond was älles Schlimmes in de Nachrichta komma isch, desto
schlechter wird´s mir …
Schlecht wird’s dir? Ha, ha, wie de Hinterweilermer von ihrem
Hahnawasser!
Dann solltesch vielleicht doch mal d´r Tina ihr Fitneßtraining
ausprobiera.
Wie hoißt es: „Loben zieht nach oben!“
„Und danken schützt vor wanken!“
(schwankt und fängt sich mit ihren Stöcken ab )
Danken ond Nordic Walking Stöcke!
Nordic T a l k i n g, wolltesch wohl saga?! (Beide gehen lachend ab)
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Anspiel 2: Quelle des Lebens
1. Guten Morgen!
2. Guten Morgen, wo willst du heute schon hin?
1. Zur Quelle des Lebens!
2. Ah, zum Frühschoppen!
1. Nein, zur Quelle des Lebens!
2. Quelle des Lebens - jetzt machst du mich aber neugierig: Hast du
etwa im Lotto gewonnen, oder hat sich dir sonst eine Geldquelle
aufgetan?
1. Oh, nein - viel besser zur Quelle des Lebens ....
2. ...halt ich weiß, du hast Aktien gekauft und bist jetzt an
irgendeiner dubiosen Erdölbohrung beteiligt und hoffst einer
Ölquelle auf der Spur zu sein.
1. Du hast vielleicht Einfälle! Nein, ich gehe zum Gottesdienst,
vielmehr zum Erntebittgottesdienst, und das Thema lautet: Bei dir ist
die Quelle des Lebens.
2. Das musst du mir genauer erklären. Oder darf ich mitkommen?
1. Dann aber schnell, damit wir nichts verpassen!
Eingangsgebete
I. Deine Gegenwart suchen wir, Gott,
denn bei dir ist die Quelle des Lebens.
Deine Gegenwart suchen wir vor (zu) Beginn der Erntezeit,
denn deiner Güte verdanken wir alles, was gewachsen und
herangereift ist.
Deine Gegenwart, Gott, suchen wir in diesem Gottesdienst,
denn du bist die Quelle unserer Kraft, das Licht unseres Lebens.
Deine Gegenwart suchen wir,
wenn wir jetzt stille werden vor dir.
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II. Herr, unser Gott, du hast Himmel und Erde geschaffen, du bist der
Schöpfer allen Lebens – bei dir ist die Quelle des Lebens.
Du hast das Licht geschaffen, den Tag und die Nacht.
Du hast die Sonne, den Mond und die Sterne geschaffen.
Die Sonne schenkt Licht, Wärme und Wachstum.
Jeden Morgen aufs Neue ist sie da, wie auch deine Gnade jeden
Morgen neu ist.
Keinen Tag könnten wir leben ohne sie.
Danke, dass du auch in diesem Jahr wieder Wachstum und Gedeihen
auf unseren Feldern, in unseren Gärten schenkst.
Danke, dass wir mitarbeiten dürfen in deiner Schöpfung.
Danke, dass du uns geschaffen hast und uns liebst.
Danke, dass du auch unsere Sorgen kennst
um die Zukunft der Schöpfung, die Zukunft der Welt.
Danke, dass du die Welt und uns in deinen guten Händen hältst und
erhältst.
Herr, bei dir ist die Quelle des Lebens, lass uns in diesem
Gottesdienst erfrischt werden von deinem Geist, von der Quelle
lebendigen Wassers in deinem Sohn Jesus Christus. Amen.
Anmerkungen zum Predigttext
V 10 im Kontext von Psalm 36
Der sechsunddreißigste Psalm gliedert sich deutlich erkennbar in drei
Teile – derart markant, dass Ausleger immer wieder anzweifeln, ob
es sich überhaupt ursprünglich um einen Psalm handle.
Der erste Teil (V 2-5) beschreibt die Gesinnung und das Handeln des
Frevlers: Lug und Trug, kein Respekt vor Gott, keine Einsicht. Schon
im Bett plant er, wie er Unheil anrichten kann. Die Grundlinie ist
klar, doch bei Einzelheiten weichen die Übersetzungen deutlich voneinander ab, v.a. in Vers 2 durchaus mit theologischer Relevanz. Bei
Zenger beginnt er so: „Spruch der Sünde zum Frevler in der Mitte
meines Herzens“ (E. Zenger, Psalmen. Auslegungen, Freiburg 2011,
13
Bd. 2, S. 581). Ähnlich bei Kuntz: „Raunt der Frevel doch dem
Schurken zu, mittendrin in meinem Herzen.“ (Die Psalmen, in
Strophen übersetzt von Manfred Kuntz, Stuttgart 2009, S. 91) Die
meisten aber ändern die erste Person des hebräischen Textes ab in die
dritte: „Es sinnen die Übertreter auf gottloses Treiben im Grund ihres
Herzens.“ (Lutherbibel) Dagegen Zenger: Der Beter von Psalm 36
„entdeckt und gesteht (…), dass das Böse und die Sünde auch in
seinem eigenen Herzen da sind und ihn bedrohen“ (a.a.O., 588).
Der zweite Teil (V 6-10) markiert den äußersten Gegensatz zur Herrschaft von Bosheit und Lüge durch einen „Hymnus auf das Wesen
Gottes“ (M. Oeming, Psalm 1-41, Neuer Stuttgarter Kommentar –
Altes Testament 13/1, Stuttgart 2000, S. 203), auf seine Güte und
Treue. Ihre Größe und Reichweite sind von uns Menschen nicht zu
ermessen (V 6). Der Hymnus spielt an auf die Schöpfungs- und Paradiesgeschichte: Der Himmel, die „große Tiefe“ (= Urflut; vgl. 1.
Mose 1, 2), die „Wonne“ (= Eden; vgl. 1. Mose 2, 8.10.15).
In V 7 „HERR, du hilfst Menschen und Tieren“ klingt die Fluterzählung an. Die „reichen Güter deines Hauses“ (V 9) weisen auf den
Tempel in Jerusalem. Mit einem ganzen Strauß von Metaphern wird
Gott als der gepriesen, dessen helfende und rettende Zuwendung seinen Geschöpfen – Mensch und Tier! – zugute kommt. V 10 krönt das
mit den beiden Metaphern „Quelle des Lebens“ und „Licht“.
„Der dritte Teil (V. 11-13) bittet darum, dass sich die in V. 6-10 beschriebene Gotteswirklichkeit durchsetzen möge gegen die in V. 2-5
ebenfalls als Realität erkannte Sündenwirklichkeit.“ (Zenger, a.a.O.,
587) Er schließt mit dem prophetischen Satz, der ansagt, dass die
Macht der Übeltäter bereits gebrochen ist (V 13). In der Abfolge der
drei Teile (Erschrecken über den Frevel – Staunen über Gottes Güte
– Bittgebet) lässt sich der Psalm gut als eine überlegt konzipierte
Einheit verstehen.
Die Quelle des Lebens
Vers 10 fasst den Lobpreis der Leben schenkenden Güte Gottes zusammen in den Metaphern „Quelle des Lebens“ und „Licht“. Der
Wechsel von der 3. Pers. Pl. in V 8f zur 1. Pers. Pl. „sehen wir das
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Licht“ erweist den „Bekenntnischarakter“ von V 10 (H. J. Kraus,
Psalmen 1-59, BKAT XV/1, Neukirchen 5. Aufl. 1978, S. 435).
„Licht“ ist eine Grundmetapher für die schöpferische, lebensfördernde, das Dasein erhellende Macht Gottes und damit für seine Selbstoffenbarung. „Das Licht sehen“ bedeutet „leben“. „Der Psalmsänger
bekennt also im Hymnus: Das Lebenslicht empfangen wir von dem
Licht der Gegenwart Gottes her.“ (Kraus, ebd.) Als Christen erkennen wir dieses Licht der Gegenwart Gottes in der Person Jesu Christi
(Joh. 8, 12; 2. Kor. 4, 6).
Licht und Wasser sind Grundvoraussetzungen dafür, dass Leben entstehen und bestehen kann. So steht auch das Wasser – und der Ort,
an dem es zutage tritt, also die Quelle bzw. der Brunnen – für Gottes
Leben schenkende und erhaltende Macht. Bemerkenswert ist, dass
Gott hier nicht direkt als „Quelle des Lebens“ angesprochen wird:
„Bei dir ist“, statt „Du bist“. Soll damit die Unterscheidung des
Schöpfers von seinen Geschöpfen deutlich gewahrt werden? Die
Schöpfung ist nicht Ausfluss des göttlichen Wesens, Gott hat sie
durch sein Wort ins Leben gerufen.
Anderswo wird die Quellen-Metapher direkt auf Gott bezogen, wie
in dem prophetischen Gotteswort: „Denn mein Volk tut eine zwiefache Sünde: Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen
sich Zisternen, die doch rissig sind und kein Wasser geben.“ (Jer. 2,
13) Die „lebendige Quelle“ – das ist der eine und einzige Gott, dem
das Volk seine Existenz verdankt, der es auf seinem Weg geleitet,
ihm durch seine Gebote den Weg weist. Als „rissige Zisternen“ erscheinen andere Gottheiten, die das Volk verehrt, auf die es seine
Hoffnung setzt. Die Frage stellt sich: Aus welchen geistig-geistlichen
Quellen schöpfen wir jetzt, in unserer Gegenwart? Wer setzt unserem
Leben sein Ziel, von wem erhoffen wir uns Sinn und Erfüllung?
„Lebendiges Wasser“ ist frisches Quellwasser im Unterschied zum in
Zisternen gesammelten Regenwasser. In der Offenbarung (Offb. 21,
6) und besonders im Johannesevangelium erscheint es als die Heilsgabe, die Jesus verspricht und schenkt. Denn er ist Gottes heilsame
Gegenwart und stillt den Lebensdurst, bis in Ewigkeit: „Wenn du
erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir
15
zu trinken!, du bätest ihn und er gäbe dir lebendiges Wasser.“ (Joh.
4, 10) In Joh. 7, 39 identifiziert der Evangelist die Heilsgabe mit dem
Heiligen Geist. Schließlich: Das von Jesus gegebene „lebendige
Wasser“ wird in den derart Beschenkten zu einer „Quelle des lebendigen Wassers“ (Joh. 4, 14; 7, 38). Das bedeutet (Joh. 4, 14): Es stillt
den Durst unserer Seele bis in Ewigkeit. Dazu kommt (Joh. 7, 38): Es
fließt weiter, durch uns hindurch, zu unseren Mitmenschen.
Empfangen und Weitergeben – zusammen ist das ein erweiterter
Verstehenshorizont für Psalm 36, 10 in beiden Teilen: Wir trinken
aus der Quelle und sind selber Quelle, wir sehen das Licht und werden selber Licht (vgl. Joh. 8, 12 mit Mt. 5, 14; auch Jes. 60, 1f; Eph.
5, 8f.14). Zur Metapher „Quelle“: „Die Lehre des Weisen ist eine
Quelle des Lebens, zu meiden die Stricke des Todes.“ (Spr. 13, 14)
„Des Gerechten Mund ist ein Brunnen des Lebens, aber auf die Gottlosen wird ihr Frevel fallen.“ (Spr. 10, 11) Schließlich erscheint nicht
nur Gott selbst, sondern auch die Gottesfurcht und die damit in Eins
gesetzte Klugheit als „Quelle des Lebens“ (Spr. 14, 27; 16, 22).
Im Blick auf heutiges Verstehen und die Erntebitte spricht Psalm 36,
10 also mindestens drei Dimensionen an: Erstens die schöpfungstheologische im Kontrast zur Vorstellung, alles sei von uns Menschen machbar. Zweitens die Frage an jede und jeden Einzelnen: Aus
welchen geistig-geistlichen Quellen schöpfen wir, holen wir Kraft,
stillen wir den Lebensdurst? Drittens wie wir füreinander Quelle sein
oder werden können, uns gegenseitig stärken im Glauben.
„Mensch und Tier rettest du“
Da es beim Erntebittgottesdienst immer auch um die Situation der
Bäuerinnen und Bauern überhaupt geht und die landwirtschaftliche
Tierhaltung derzeit vehement in der Diskussion steht (vgl. den Beitrag von C. Dirscherl am Ende dieses Heftes), lohnt sich ein Blick
über V 10 hinaus auf den Schluss von V 7. Bisweilen wird er von
Tierschützern einer Kirche vorgehalten, die sich nach ihrer Auffassung zu wenig um das „Mitgeschöpf Tier“ gekümmert habe.
„HERR, du hilfst Menschen und Tieren.“ Im Hebräischen steht da
„rettest“, und ein Bezug zur biblischen Fluterzählung legt sich nahe.
16
Zenger betont, dass es sich im Kontext des Psalms einerseits um die
„Rettung vor und aus Sünde und Unheil (vgl. V. 2-5)“ handelt, andererseits um „Anteilgabe am göttlichen Leben selbst“ (vgl. V 8-10;
Zenger, a.a.O., 586). Ohne Zweifel wird damit die Mitgeschöpflichkeit von Mensch und Tier in starker Weise ausgedrückt.
Eine darüber hinausgehende Beweislast vermag der Halbvers nicht
zu tragen – wenn es darum geht, die Differenz zwischen Mensch und
Tier einzuebnen, wenn das Recht von uns Menschen, (Nutz-)Tiere zu
halten, grundsätzlich in Frage gestellt wird. Einen Hinweis darauf,
dass man sich dafür nicht auf Psalm 36, 7 berufen kann, gibt der Vers
selber mit dem Begriff für „Tiere“. Das hebräische b´hema bezeichnet nämlich zum einen die Tierwelt als ganze im Unterschied zum
Menschen, zum anderen aber auch das „Vieh“, also die Nutztiere im
Unterschied zu den Wild-Tieren.
Zu bedenken ist: Psalm 36, 7 beschreibt, wie der ganze Abschnitt V
6-10, nicht ein Verhalten des (gerechten) Menschen, sondern preist
Gottes überwältigende Güte seinen Geschöpfen gegenüber. Indirekt
kann man ihn aber durchaus als Einladung zu einem der Güte Gottes
entsprechenden Verhalten hören, im Sinne von Spr. 12, 10: „Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs; aber das Herz der Gottlosen ist unbarmherzig.“ Am Verhalten zu den Tieren zeigt sich, wie es um die
Barmherzigkeit (oder Unbarmherzigkeit) eines Menschen überhaupt
bestellt ist. Mit anderen biblischen Texten (Schöpfungserzählungen,
Fluterzählung, Röm. 8, 19ff) ergibt sich folgendes Bild: Eine große
Nähe und geschöpfliche Solidarität zwischen Mensch und Tier – die
gilt es immer wieder neu zu entdecken und in der Praxis zu bewähren. Zugleich eine bleibende Differenz: Ein Tier kann nicht wirklich
an die Stelle eines Menschen treten. Die Verantwortung von uns
Menschen für die Tiere wird immer einseitig bleiben – so viel Tiere
auf ihre Art uns Menschen (zurück-)geben können, auch emotional.
Gott, du bist mein Gott, den ich suche.
Es dürstet meine Seele nach dir,
mein ganzer Mensch verlangt nach dir
aus trockenem, dürrem Land, wo kein Wasser ist. (Psalm 63, 2)
17
Predigtvorschlag
Liebe Gemeinde,
wann haben Sie zum letzten Mal direkt aus einer Quelle getrunken?
Oder aus einem Brunnen? Bei den meisten von uns dürfte das schon
eine ganze Weile her sein. Das Wasser, mit dem wir unseren Durst
stillen, kommt normalerweise aus der Flasche oder dem Wasserhahn.
Bei ein paar Wenigen fließt das Hahnenwasser vielleicht aus einer
eigenen Quelle, bei der Mehrheit dürfte es Bodenseewasser sein.
Direkt aus der Quelle trinken wir kaum einmal. Trotzdem können wir
uns lebhaft vorstellen, wie gut das tut. So gut, wie uns das Psalmwort
tut, das Motto für diesen Erntebittgottesdienst: „Bei dir ist die Quelle
des Lebens.“ Leicht abgewandelt klingt es so: „Bei dir, Gott, kann
ich auftanken, frisches Wasser schöpfen für die Seele.“
Auftanken, den Akku aufladen. Wenigstens hin und wieder müssen
wir das tun. Im Urlaub zum Beispiel. Manche von uns können sich
auf einen längeren Sommerurlaub freuen. Bei den Bäuerinnen und
Bauern sieht es anders aus: Vielleicht reicht es für ein paar Tage vor
oder nach der Ernte. Aber auch in anstrengenden Zeiten – zu denen
gehört die Ernte ohne Zweifel – gibt es Möglichkeiten aufzuatmen,
aufzutanken. Gäbe es die nicht, liefen wir ohne Unterbrechung im
Hamsterrad – wir gingen über kurz oder lang kaputt. Ein bewährtes,
freilich vielfach in Vergessenheit geratenes Angebot für eine „MiniAuszeit“: Der Sonntag, und am Sonntag: Der Gottesdienst. Nicht als
Pflichtprogramm, das zu erfüllen uns zusätzlich Stress bereitet. Dann
können wir es gleich lassen. Vielmehr als Chance, immer wieder neu
mit der Quelle des Lebens in Verbindung zu kommen: „Bei dir, Gott,
kann ich frisches Wasser schöpfen für die Seele.“
Der Erntebitt-Gottesdienst heute ist besonders für die Bäuerinnen
und Bauern unter uns die Möglichkeit, Kraft zu schöpfen, bevor eine
stressige Zeit beginnt, dazu ihre Freude, ihre Sorgen, ihre Bitten angesichts der bevorstehenden Ernte vor Gott zu bringen. „Bei dir ist
die Quelle des Lebens.“ Denken wir an die Ernte, die in den nächsten
Wochen (Tagen) beginnen wird, hören wir den Vers noch einmal mit
etwas anderem Akzent: „Von dir, Gott, kommt alles, was lebt.“
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Von Gott kommt alles, was lebt und existiert. Das ist und bleibt
wahr, so erstaunlich das ist, was wir Menschen leisten. In Forschung
und Technik, in der Züchtung von Pflanzen und Tieren. Den Ertrag
pro Hektar steigern durch besseres Saatgut, Bodenbearbeitung, Düngung, Pflanzenschutz. Da können wir viel tun, aber Leben schaffen
können wir nicht. Wir sorgen für gute Wachstumsbedingungen, geben Leben weiter. Oder aber – auch das ist eine menschliche Möglichkeit – wir schaden uns und anderen und unseren Mitgeschöpfen.
Wir Menschen sind sogar in der Lage, Bausteine des Lebens neu zu
kombinieren. Schon in der klassischen Züchtung, in weit größerem
Ausmaß durch die Gentechnik. Bei Manchen löst das euphorische
Erwartungen aus, bei Vielen aber mehr Ängste. Doch selbst da gilt:
Leben schaffen können wir Menschen nicht. Von Gott kommt alles,
was lebt und existiert. Bei ihm ist die Quelle des Lebens.
Bäuerinnen und Bauern wissen seit je her: Wir arbeiten nicht mit
totem Material, wir arbeiten mit Lebendigem, mit Lebewesen. Das
ist schön, bringt auch eine besondere Verantwortung mit sich. Vor
allem aber bedeutet es, dass wir nicht alles im Griff haben.
Wir können eine Menge tun, draußen und im Stall. Natürlich macht
es einen Unterschied, ob wir dabei sorgfältig oder nachlässig zu
Werke gehen. Doch ob es das Jahr über ausreichend regnet, aber
nicht dauernd im Juli und August, ob Äpfel und Trauben zum Herbst
hin noch einmal richtig Sonne bekommen, ob die Äcker, Gärten und
Weinberge vor Sturm und Hagel verschont bleiben – das alles haben
wir nicht in der Hand. Für eine reiche Ernte müssen viele Faktoren
zusammenspielen – welche, die wir bestimmen können, und andere,
denen wir mehr oder weniger machtlos ausgeliefert sind. Manche
sagen, das seien eben die Launen der Natur. Als Christen glauben
wir: Es wird dann gut, wenn Gottes Segen und unser Tun zusammen
kommen: „Es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott.“
Diese Einsicht stand bereits an der Wiege der Erntebittgottesdienste.
Als eine ihrer Wurzeln gilt der verheerende Ausbruch des Vulkans
Tambora in Indonesien vor 200 Jahren, im April 1815. Er beeinflusste das Klima weltweit, das folgende Jahr 1816 ging nicht nur bei uns
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als „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte ein. Das heißt, als ein
Jahr, in dem es fast nichts zu ernten gab. Die Hungersnot war furchtbar – umso größer dann die Freude und Dankbarkeit, als 1817 wieder
gut gefüllte Erntewagen eingefahren wurden. Der Dankgottesdienst
zu Beginn der Erntezeit, den der württembergische König damals anordnete, wird heute nur noch an einem Ort gefeiert – in Gschwend im
Ostalbkreis Anfang August mit feierlicher Einholung eines Garbenwagens. Im selben Zusammenhang entstanden in Württemberg – und
nur hier – die Erntebittgottesdienste.
Zeitgleich setzte eine entschlossene Förderung der Landwirtschaft
ein. In Hohenheim wurde 1818 eine landwirtschaftliche Akademie
gegründet, im selben Jahr auf dem Cannstatter Wasen erstmals das
Landwirtschaftliche Hauptfest gefeiert. Gutes ernten können wir,
wenn Gottes Segen und unser verantwortliches Tun zusammen kommen, Gebet und praktische Vorsorge Hand in Hand gehen: „Es geht
durch unsre Hände, kommt aber her von Gott.“
„Bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir
das Licht.“ Psalm 36 lädt uns ein, unseren Schöpfer in den höchsten
Tönen zu preisen: „HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist,
und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.“ Wenn wir uns darauf einlassen, geht uns das Herz auf. Doch sind wir immer dazu in
der Lage, von ganzem Herzen zu bekennen, zu singen: „Ich weiß,
dass du der Brunn der Gnad und ewge Quelle bist, daraus uns allen
früh und spat viel Heil und Gutes fließt.“?
Wenn wir da gar nicht mit könnten, wären wir wohl kaum hier, im
Gottesdienst. Aber es fällt nicht immer leicht, frei und fröhlich und
von ganzem Herzen einzustimmen in diese schönen Worte. Vom
Himmel fließt ja nicht nur Segen – zum Beispiel in Gestalt eines
Landregens zur rechten Zeit. Manchmal erscheint uns der Himmel
verschlossen. Der Boden und unsere Seele drohen zu vertrocknen.
Oder Unwetter brechen über uns herein. Mit einem Schlag ist alles
anders, der Erntesegen kurz und klein geschlagen.
Unser Psalmwort ist nun nicht einfach eine Feststellung: „Gott ist der
Schöpfer, der Allmächtige, das müssen wir einfach akzeptieren, und
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damit Basta!“ Gerade wenn uns die Segensquelle verschüttet zu sein
scheint, können wir die Worte auch als Appell an Gott richten: „Bei
dir ist doch die Quelle des Lebens – nicht des Unheils. Lass uns das
wieder neu erfahren.“
Ja, die Schöpfung ist wunderschön und kann so grausam sein. Wir
Menschen können Großes leisten, uns aber auch abgrundtief böse
zeigen, rücksichtslos gegen Mitmenschen und Mitgeschöpfe. Der
Beter des sechsunddreißigsten Psalms weiß darum. Deshalb beginnt
der Psalm nicht so schön, wie er dann weitergeht. Vom Frevler ist
die Rede, von seinen bösen Gedanken und Plänen, die er schon anfängt auszuhecken, während er noch im Bett liegt. Von seiner Verlogenheit und davon, dass er sich um Gott einen Dreck schert.
Das sind Erfahrungen mit Mitmenschen, die wahrscheinlich viele
von uns kennen, unter denen wir nicht selten leiden. Bäuerinnen und
Bauern zum Beispiel, die es recht machen wollen, verantwortlich
wirtschaften vor Gott, für den Boden, den sie bearbeiten, für die
Tiere, die sie halten. Doch nicht nur wirtschaftliche Zwänge und die
Bürokratie machen einem das Leben schwer, häufig sind es die Mitmenschen: Nicht-Landwirte, denen es nicht gefällt, dass Mais angebaut wird oder eine größere Anzahl von Tieren im Stall steht. Berufskollegen, die rücksichtslos auf den eigenen Vorteil aus sind. Nicht
nur auf dem Dorf gibt es schließlich Nachbarn, die einem das Wort
im Mund herum drehen oder Gerüchte verbreiten.
Wenn wir nun ehrlich sind mit uns selbst, stellen wir fest: Missgunst,
Neid und Gier knabbern auch am eigenen Seelenfrieden. Die Versuchung, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen, greift ebenso
nach uns. Psalm 36 macht uns auf beides aufmerksam: Darauf, dass
es skrupellos böse Menschen gibt – darauf, wie sich die Stimme des
Bösen in uns bemerkbar macht.
Die Folge dieser Einsicht ist aber nicht Resignation: „Die Menschen
sind eben böse, und da ist kein Gott, der ihnen Einhalt gebietet.“ So
spricht ja die Stimme der Versuchung. Sie will uns einreden, dass die
Gerechtigkeit eh keine Chance hat, dass es nichts bringt, Gutes zu
tun und sich an die Gebote zu halten.
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Es gibt Menschen ohne Rücksicht und Skrupel, wir selber sind aber
auch in der Lage, Böses zu denken und zu tun. Damit ist klar, was
ebenfalls nicht geht: Dass wir als die Guten mit allen Mitteln gegen
die anderen kämpfen. Psalm 36 zeigt schonungslos, was an Negativem in uns Menschen steckt. Dagegen stellt er uns Gott vor Augen,
seine unermessliche Güte gegenüber all seinen Geschöpfen: „HERR,
deine Güte reicht, so weit der Himmel ist. (…) HERR, du hilfst Menschen und Tieren. (…) Denn bei dir ist die Quelle des Lebens.“
Sollen diese vollmundigen Worte unsere verständlichen Zweifel einfach übertönen? Nein, sie wollen uns vielmehr herausführen aus der
Enge unserer Gedanken in die Weite, die Gott uns eröffnet. Sie tun
auch deshalb so gut, weil sie nicht einfach über Gott, sondern zu Gott
reden. Letztlich ist es nämlich Gott selber, der unsere Seele mit frischem Wasser aufleben lässt. Jesus sagt der Frau am Jakobsbrunnen
und mit ihr uns allen: „Ich gebe dir lebendiges Wasser.“
Beten – für mich allein oder im Gottesdienst, mit eigenen Worten
oder mit Psalm- und Gesangbuchversen – Beten ist überhaupt die
Weise, durch die wir Zugang bekommen zur Quelle des Lebens.
Das Herz öffnen für Gottes Güte, ihn loben und preisen. Das ist eine
Art des Betens. Eine andere ist und bleibt die Bitte. Nicht nur in Gestalt der Erntebitte. Auch das für uns Christen wichtigste Gebet, das
Vaterunser, ist vor allem ein Bittgebet. In Psalm 36 mündet der Lobpreis Gottes ebenfalls ein in eine Bitte: „Breite deine Güte aus über
die, die dich kennen.“ Also: „Gott, deine Güte ist unfassbar groß.
Lass sie uns erfahren, in unserem Leben, hier und jetzt.“
Hier und jetzt sind wir beieinander – Landwirte und Nicht-Landwirte. Hier und jetzt bitten wir um eine gesegnete Ernte, um unser
tägliches Brot. Wir bitten für uns selbst und für andere. Dass Gott
uns vergibt und wir uns wehren können gegen die Einflüsterungen
des Bösen. Wir bitten um Gerechtigkeit und Frieden, bei uns und
weltweit. Hier und jetzt bitten wir um frisches Wasser – für ausgedörrte Böden und für unsere durstigen Seelen. Wir bitten im Namen
Jesu, im Vertrauen auf Gott: „Denn bei dir ist die Quelle des Lebens,
und in deinem Licht sehen wir das Licht.“ Amen.
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Fürbitten
I. Herr Gott, du Quelle des Lebens, du willst, dass wir dem Guten
dienen, nicht dem Bösen. Hilf uns das Gute zu erkennen und zu tun,
wo immer wir im Leben stehen.
Herr, du Quelle der Hoffnung, um deinen Segen bitten wir dich.
Wo du nicht segnest, mühen wir uns umsonst.
Wo du nicht behütest, sorgen wir umsonst.
Um deinen Segen bitten wir dich für die anstehende Ernte.
Dass die Frucht unbeschadet vollends reif werde.
Dass wir den Erntesegen einbringen können, ohne Unfall und
Unwetter, ohne allzu viel Hektik.
Dass Sonne und Regen zum Segen werden, nicht zum Fluch.
Herr, du Quelle der Gerechtigkeit, lass die Politiker Entscheidungen
treffen, die den Bauern bei uns und weltweit helfen.
Erhalte in uns, die wir von den Erzeugnissen der Landwirtschaft
leben, den nötigen Respekt vor den Lebensmitteln und vor der
Arbeit der Landwirte.
Herr, lass in unserem Land die Achtung vor unseren Mitgeschöpfen,
den Tieren wachsen, dass man sie nicht wie Dinge behandelt, die
man ausbeuten kann, sondern wie Lebewesen, die unsere Fürsorge
verdienen.
Herr, du Quelle des lebendigen Wassers. Du hast das Wasser
geschaffen und schenkst es uns täglich neu. Ohne Wasser gibt es
kein Leben. Ein Samenkorn kann nicht keimen, ungeborenes Leben
nicht reifen, ein Mensch kann ohne Wasser nicht leben.
Wir bitten dich, Herr, für alle Menschen, die in Not sind.
Wir bitten für die, die viel zu viel arbeiten müssen, dass sie zur Ruhe
und zur Besinnung kommen.
Für die, die Hunger haben, bitten wir, dass sie satt werden.
Für die, die das Glück suchen, dass sie sich nicht von falschen
Versprechungen leiten lassen.
Und für die, die Gerechtigkeit suchen, dass sie sie finden.
Von dir, Herr, leben wir Tag für Tag.
Gib, dass wir das nicht vergessen. Amen.
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II. In deiner Hand, Herr, unser Gott, steht Wachstum und Gedeihen.
Du bist die Quelle, aus der wir Kraft schöpfen. Deinem Segen
verdanken wir alles.
Wir bitten dich: Segne nun die Ernte und alle, die an ihr arbeiten.
Hilf, dass all das, was heranreift, auch gut eingebracht werden kann.
Wir bitten dich: Schenke ein Bewusstsein dafür, dass es nicht selbstverständlich ist, mit Brot, Gemüse, Fleisch, Milch, Käse und allem
rundum versorgt zu sein. Lass der Landwirtschaft die angemessene
Wertschätzung zukommen, und lass uns sorgsam umgehen mit dem,
was jetzt geerntet wird.
Wir bitten dich: Lass Menschen da sein, die sich für gerechte Preise
und fairen Handel einsetzen. Hilf du, dass das, was wir an Gutem
säen in unseren Familien, Kirchengemeinden und Dörfern, Frucht
bringt. Hilf, dass frische Gedanken und liebevolle Taten aufgehen.
Die Saat von Missgunst und Neid lass verkümmern.
Wir bitten dich: Lass die Worte deines Evangeliums in unsere Herzen eindringen, erfrische die Müden und mach den Hoffnungslosen
Mut.
Gemeinsam beten wir: Vater unser...
III. Himmlischer Vater,
bei dir ist die Quelle des Lebens, und alles was lebt, kommt von dir.
Wir leben oft so, als wären wir selbst Schöpfer und nicht Bebauer
und Bewahrer, wie es unser Auftrag ist.
Wir danken dir für alle Früchte, die in diesem Jahr wieder wachsen
und reifen auf unseren Feldern, in unseren Gärten.
Hilf uns bei der Ernte, dass wir sie gut einbringen können,
ohne Unwetter, Unfall und Unzufriedenheit.
Lass uns erkennen, dass wir dich brauchen.
Lass uns erkennen, wo du uns brauchst, und wo andere Menschen
uns brauchen.
Gib uns offene Augen und Herzen, die Not vor unserer Tür und auf
der ganzen Welt zu sehen und für den Frieden zu arbeiten.
Wir rufen zu dir: „Herr, erbarme dich“ (oder gesungenes Kyrie)
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Jesus Christus,
du bist das Licht der Welt, größer als alles bist du.
Durch dich haben wir nicht nur Leben auf dieser Erde, sondern in
Ewigkeit. Durch dich können Menschen wieder an das Leben
glauben, durch dich haben wir Hoffnung auf eine bessere Welt.
Sei uns nahe an allen Tagen unseres Lebens, auch an den dunklen.
Hilf uns, aus der Quelle deiner unerschöpflichen Liebe zu leben und
weiterzugeben.
Lenke unseren Blick auf den Menschen, der gerade meine Hilfe
braucht, und lass uns nicht vorüber gehen an seiner Not.
Wir rufen zu dir….
Heiliger Geist,
du bist der Geist der Wahrheit und willst uns zeigen, worauf es im
Leben ankommt.
Decke auf, was uns von Gott trennt, und führe uns immer wieder zur
Quelle des Lebens. Zeige uns, was wir tun können in dieser Welt, die
immer komplizierter wird.
Hilf uns, Verständnis füreinander zu haben:
Bauern für Verbraucher – und umgekehrt,
Politiker für Bürger – und umgekehrt,
Alte für Junge – und umgekehrt.
Hilf uns, dass es nicht allein beim Verstehen bleibt,
sondern dass gegenseitiges Verständnis zur tatkräftigen Liebe
und Solidarität werden kann.
Wir rufen zu dir….
Denn bei dir ist die Quelle des Lebens und in deinem Lichte sehen
wir das Licht.
Aus der Landwirtschaftlichen Familienberatung
Bei Dir ist die Quelle des Lebens, Ps. 36
Im Zusammenhang mit Landwirtschaft und Erntebitte sehe ich als
Quelle des Lebens reich und reichlich gedeckte Tische vor mir und
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wie im Märchen von Frau Holle, ‚jeden Tag Gesottenes und Gebratenes’. Doch dabei bleibt es nicht. Es taucht in mir das Bild von den
Fleischtöpfen Ägyptens auf und das Murren des Volkes Israel gegen
Mose auf seiner Wanderung durch den Sinai. Und des Volkes nicht
unverständliche Sehnsucht nach eben diesen Töpfen. Und ich sehe
vor meinem geistigen Auge Jesus mit seinen Jüngern durch die Flure
Palästina streifen, hungrig, am Sabbat nach unreifen Ähren greifend,
um sich zumindest etwas damit den Magen zu füllen.
Wer biblisch zur Quelle des Lebens hinabsteigt, lässt schnell das
Idyll der gesicherten Fleischtöpfe hinter sich und findet sich wieder
in Zweifel, Unsicherheit, Veränderung, Wanderung und Drangsal.
Leben heißt gerade nicht, dass es so bleibt wie es war und ist, weder
auf einem Landwirtschaftlichen Familienbetrieb noch außerhalb für
den Rest der Gesellschaft. Leben heißt gerade nicht, nach Art der
Väter zu denken und zu glauben. Wie unbequem das mitunter sein
kann! Das Murren Israels in der Wüste wird übertönt von meinem
inneren Protestgeschrei, wenn mir nur eine meiner persönlichen Sicherheiten, bzw. Fleischtöpfe, genommen wird. Das Murren Israels
ist auch das Murren unserer Klienten in ihren existenziellen Nöten,
rund um Familie und Betrieb. Das Murren Israels vermischt sich mit
dem gesellschaftlichen Murren, wenn sich einzelne Landwirte nicht
so verhalten, wie es die Umgebung von ihnen erwartet. Beispielhaft
denke ich hier an einen tüchtigen und fleißigen Landwirt, der in alten
Tagen sein materielles Lebenswerk infolge familiärer Veränderungen
ganz grundlegend in Frage gestellt sieht und darüber in einem Meer
von Scham, Schuld und Vorwürfen an den Rand des Suizides gerät.
„Bei Dir (nicht in Eigentum oder Besitz, nicht im guten Benehmen
und nicht in der Erfüllung eigener wie fremder Erwartungen) ist die
Quelle des Lebens“ kann für jeden Betroffenen eine enorm bittere
und ernüchternde Wahrheit sein.
Doch wie kann man sich selber und andere ermutigen, sich darauf
einzulassen? Im Alten Testament findet sich die Überzeugung, dass
Leben im gelobten Land zu finden ist, in einem Land, in dem Milch
und Honig fließen. Dies ist das Land der unsteten Wanderung durch
die Randgebiete der Zivilisation abseits der großen Zentren und Kul26
turen. Es ist dort ein einfaches und solidarisches Leben von Gleichen
unter Gleichen, in dem die Menschen gemeinsam ohne große Vorräte
von der Milch ihrer Tiere und vom Honig der Wildbiene, d.h. von
der Hand in den Mund, leben. Diese Haltung bewahrheitet sich im
Neuen Testament in den Texten über Johannes den Täufer sowie
über Jesus, den Menschensohn. Jesus akzentuiert jedoch weiter und
verlegt die Bedeutungsebene von der bildhaften Geographie eines
gelobten Landes weiter in das menschlich Existenzielle, wenn beispielsweise in Lk 9, 24 oder Lk 17, 33 die Rede davon ist: „Wer sein
Leben zu erhalten sucht, der wird es verlieren; und wer es verlieren
wird, der wird es gewinnen.“
Mit Menschen aus der Landwirtschaft unterwegs zu sein, auch wenn
sie sich selber als wirtschaftliche Versager oder Verräter am Familienerbe sehen, als Ehebrecher, unredliche Schuldner, Betrüger,
Gewalttäter, Giftmischer oder Tierquäler, oder wenn sie von außen
so gesehen werden, ihnen ohne Vorbedingung Begleitung und Geleit
auf unsicheren Wegen anzubieten, mit ihnen Gottes Reich und seine
Barmherzigkeit zu suchen, und ihr auch mit allen fachlichen Möglichkeiten entgegenzugehen, ist die vornehmste Aufgabe einer kirchlichen Beratung. Denn schließlich beginnt die Unwahrheit und das
Unrecht nicht erst bei einer fragwürdigen Darstellung von Gegebenheiten und Tatsachen, sondern setzt schon da ein, wo sich Menschen
von anderen Menschen distanzieren, um selber als gerechtfertigt zu
erscheinen. Versagen, Unrecht und Gewalt sind Menschheitsprobleme die in jedem Leben lauern und jedes Leben beeinträchtigen können. Jeder ist gut beraten, die Quelle seines Lebens nicht in eigenen
Erfolgen und eigenen guten Taten zu suchen, sondern die Worte „Bei
Dir ist die Quelle des Lebens“ zu beherzigen und danach zu leben.
Daher gilt meine Erntebitte der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit bei
der Erzeugung und der Verteilung der landwirtschaftlichen Produkte,
die wir alle so nötig brauchen.
Volker Willnow
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Landwirtschaftliche Nutztierhaltung – eine ethische Perspektive
Die landwirtschaftliche Nutztierhaltung steht wie nie zuvor in der
öffentlichen Aufmerksamkeit. Medienberichte über Missstände in
einzelnen Stallungen, welche exemplarisch für die gesamte Agrarbranche genommen werden, sorgen für „Aufreger“. Politische Initiativen zu mehr Tierwohl, wie neue Tierhaltungsverordnungen und
Regelungen zur Genehmigung von Stallbauten, oder die restriktivere
Handhabung von Antibiotika als Tierarzneimittel, zeigen, dass das
öffentliche Meinungsklima auch innerhalb der Gesetzgebung ernst
genommen wird: Sowohl in Brüssel, als auch in Berlin oder auch in
Stuttgart.
Insgesamt ist das gesellschaftliche Meinungsklima zu Fleischkonsum
und moderner Tierhaltung rauer geworden. Wenn selbst der Wurstfabrikant Rügenwalder äußert, Fleischkonsum könne in 20 Jahren die
Zigarette von heute sein, weswegen er auch ein veganes Angebot von
Wurst anbieten möchte, zeigt dies, dass der Umgang mit Tieren in
der Landwirtschaft ein gesellschaftliches Thema ist. Damit muss sich
auch die Landwirtschaft verstärkt auseinandersetzen. Nach Angaben
des Bundesamtes für Ernährung bezeichnen sich 0,3 % der Bevölkerung als Veganer, 3,7% als Vegetarier und 6,1% als Flexitarier,
welche sich zwar vorwiegend vegetarisch ernähren, doch auch einem
bewussten Fleischkonsum nachgehen.
Wandel der Tierhaltung
Unter den Schlagworten wie „Massentierhaltung“ oder „Tierfabrik“
zeigt sich, mit welcher inhaltlichen Ausrichtung heute Kritik an der
modernen landwirtschaftlichen Nutztierhaltung geübt wird: Die
historisch vielfältige Nutzung von Tieren und Rassen in ganzheitlichüberschaubaren Haltungsformen hat sich professionalisiert und
spezialisiert und zu Konzentration und Größenwachstum geführt.
Eine wachsende Nachfrage nach tierischen Erzeugnissen, ob Fleisch,
Milch und Molkereierzeugnisse, nicht nur in Deutschland, sondern in
ganz Europa und künftig verstärkt in Russland und den Schwellenländern führt zu einer Massennachfrage, welche durch ein mengenmäßig anwachsendes Angebot, eben „in Massen“, befriedigt werden
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soll. Damit geraten die Tierzucht, der Futteranbau, die Haltung, die
Schlachtung und Verarbeitung sowie die Distributionswege in
globalisierte Waren- und Handelsströme in den kritischen Blick der
Öffentlichkeit. Angesichts teilweiser Fehlentwicklungen in der
modernen Tierhaltung sind plötzlich ethische Orientierungen gefragt:
Was ist gut, richtig, gerecht, wahr, von Fairness getragen? Was dient
dem Gemeinwohl, dem Tierwohl, und wo agieren ausschließlich
Profitinteressen?
Ethik der Mitgeschöpflichkeit
In einer zunehmend technikbestimmten und naturentfremdeten Gesellschaft wird grundsätzlich danach gefragt, ob die Versachlichung
und Materialisierung allen Lebens zuträglich ist. Unter dem christlichen Verständnis der Mitgeschöpflichkeit wird nach Albert Schweitzer („Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben
will“) die Würde der Tiere betont. Darf sich der Mensch als „Krone
der Schöpfung“ mit derartigem Absolutheitsanspruch das Leben von
Tieren seinen Bedürfnissen und Verwertungserfordernissen unterwerfen? In extremer Form richtet sich das ethische Postulat auf eine
vegetarische oder gar vegane Ernährungsweise. Tatsächlich steigt
das Interesse an solcher fleischloser bzw. fleischreduzierter Ernährung immer mehr, auch in Deutschland:
Das Infoheft Nr. 35/2014 der Stadt-Land-Partnerschaft behandelt als
Schwerpunktthema die Tierhaltung mit ihren ethischen Ausführungen. Dazu ist auch ein theologischer Beitrag von Pfarrer Bernd Hofmann aus Rosenfeld abgedruckt. Das Heft kann gegen eine Gebühr
von 3 Euro plus Porto in Hohebuch bestellt werden. Gerne können
Sie zum Thema weitere Informationen bzw. Referenten in Hohebuch
anfragen.
Ethik der Selbstbegrenzung
Eine massenhafte Nachfrage nach tierischen Erzeugnissen lässt einen
Massenkonsum, eine Massenproduktion und Massentierhaltung entstehen, was als Spiegel des Wachstumsparadigmas in einer „seelenlosen“ Gesellschaft gesehen wird. Demgegenüber wird die Entschleunigung von Produktionsrhythmen gefordert, wo organische
29
Entwicklungs- und Wachstumsprozesse den Umgang mit Tieren
bestimmen statt mechanischer Steuerungstechnologien. Eng damit
verbunden ist die Entschleunigung der modernen Produktionsrhythmen: Kritik wird an der ständigen Leistungsoptimierung der Milchkuh, der Legeleistung des Huhns, der Ferkelwürfe von Muttersauen,
der Zunahme des Schlachtgewichts von Masthähnchen, Puten oder
Schweinen geübt. Kann „lebendiges Wesen“ industriellen Verwertungsmaßstäben unterworfen werden? Drückt sich darin nicht auch
eine Maßlosigkeit der globalen Wirtschaftsprozesse ohne ethische
Orientierung aus? Entsprechend werden dann ansteigende Zivilisationskrankheiten infolge von Über- bzw. Fehlernährung als Ausdruck
dieser Maßlosigkeit gesehen: Diabetes, Arteriosklerose, Übergewicht
bis hin zu der Problematik von Antibiotikaresistenzen im humanmedizinischen Bereich.
Tierethische Anfragen an die Haltung
Als Ausgangspunkt für die ständig steigenden Bemühungen um mehr
Produktionseffizienz in der landwirtschaftlichen Tierhaltung wird
auch die Tierzüchtung in die Kritik genommen: Von „Qualzucht“
oder „Hochleistungszucht“ ist die Rede. Einseitig an ökonomischer
Verwertungsmaximierung ausgerichtet können tatsächlich negative
Folgen für die Tiergesundheit und Lebensdauer festgestellt werden.
Das wird zwischenzeitlich auch von der wissenschaftlichen Tierproduktion anerkannt, weswegen die Parameter einer erfolgreichen
Züchtung neu überdacht werden: Soll das Tier der Haltung angepasst
werden oder müsste es nicht umgekehrt laufen, die Haltungsform
einer tiergemäßen Haltung entsprechen? Damit geraten auch Detailfragen der Tierhaltung wie die Größe, Beleuchtung, Lüftung von
Ställen, die Beschaffenheit der Böden, die Ausstattung mit Beschäftigungsmaterial u.v.m. immer stärker in den Blick.
Mit der Diskussion um die betäubungslose Ferkelkastration stehen
insgesamt alle manipulativen Eingriffe am Nutztier künftig auf dem
Prüfstand: Das Schnabelkürzen, das Kupieren von Schwänzen oder
auch das Enthornen der Rinder. Auch der Transport von Tieren wird
hinsichtlich Dauer und Bedingungen und nicht zuletzt die Organisation und Durchführung der Schlachtung auf den Prüfstand gestellt.
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Schöpfungsethik
Ungeachtet der spezifischen Kriterien für tiergerechte Haltungsformen wird die moderne landwirtschaftliche Nutztierhaltung generell
hinsichtlich ihrer ökologischen Verträglichkeit auch unter den
Aspekten von Klima- und Ressourcenschutz diskutiert. Das betrifft
die Frage des globalen Wassermanagements, die Reduzierung klimarelevanter Emissionen wie Kohlendioxid, Methan oder Lachgas infolge der Tierhaltung, die Belastung von Böden und Gewässern
durch Gülleüberschüsse, die Frage des Futtermittelanbaus auf Flächen in Entwicklungsländern, auf denen Regenwälder standen bzw.
bäuerliche Subsistenzlandwirtschaft betrieben wurde, und nicht zuletzt auch die Staub- und Geruchsbelastung durch so genannte Bioaerosole für die umliegende Bevölkerung. Die Futterverwertung der
Tiere wird mit den Energiebilanzen verglichen: Pflanzliche Ernährung und Fleischkonsum in Input-Output-Relationen.
Sozialethik internationaler Verantwortung
Zwar gab es schon in den 1970er Jahren entwicklungspolitische Diskussionen über den Futtermittelanbau in der Dritten Welt für die heimische Landwirtschaft („Unsere Kühe weiden am La Plata“), doch
verstärkt sich durch die globale agrarische Nutzungskonkurrenz
immer stärker die Debatte über die moderne Nutztierhaltung. Nicht
nur eine „Teller-Tank-Diskussion“ wird hinsichtlich der Welternährungssicherung im Zielkonflikt mit Agroenergien geführt, sondern
im wachsenden Maße auch eine „Teller-Trog-Debatte“ angesichts
der Futtermittelimporte aus Entwicklungs- bzw. Schwellenländern.
Gerade von entwicklungspolitischen Gruppen wird die gesamte
Exportorientierung der europäischen Landwirtschaft kritisiert: Soll
deutsches Schweinefleisch nach China exportiert werden, womöglich
gefüttert mit GVO-Soja aus Regionen in Entwicklungsländern, wo
vorher Regenwälder standen, und die Gülleüberschüsse der so gefütterten Schweine negative ökologische Folgewirkungen für unsere
heimischen Lebensräume haben: Die Grundgewässer, die
Luftqualität und durch monotone Stallungen für das ästhetische
Landschaftsbild?
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Moralprofil von Lebensmitteln
Eine tierethische Auseinandersetzung spiegelt dann auch eine verbraucherethische Orientierung in der Gesamtgesellschaft wider. Eine
Werteabwägung zwischen „Maß statt Masse“ oder „regional statt
global“ wird vorgenommen. Vom „Moralprofil“ von Lebensmitteln
wird gesprochen. Dabei wird die Produktionsqualität tierischer Erzeugnisse zunehmend durch die Prozessqualität aus Haltung, Fütterung, Transport und Schlachtung ergänzt. Eine Neubewertung des
Themas Mitgeschöpflichkeit und der Wertschätzung des täglich Brot
wird dann für die Verbraucher gefordert.
Welche Art von Landwirtschaft wird bevorzugt? Inwiefern ist man
bereit diese politisch zu unterstützen? Ist der einzelne Verbraucher
sich seiner eigenen Verantwortung bewusst, die er als Nachfrager
von Wurst- und Fleischwaren, Eiern, Milch- und Molkereierzeugnissen hat? Welche Rolle spielt die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel, wenn durch ständige Lockangebote die Wertschätzung
des täglich Brot gerade auch bei tierischen Erzeugnissen ad absurdum geführt wird und das Schnitzel oder der Joghurt als Billigware
verramscht werden? Ist in unserer Gesellschaft eine zunehmende
Naturentfremdung festzustellen, welche das Tier nur noch aus der
niedlichen, „goldigen Perspektive“ wahrnimmt („Bambi-Syndrom“)?
Unternehmensethische Orientierung in der Landwirtschaft
Die Landwirtschaft ist von der tierethischen Debatte mit ihren weit
reichenden inhaltlichen Verknüpfungen betroffen. Zunehmend wird
das landwirtschaftliche Berufsethos hinterfragt: Gilt nur noch das
einzelbetriebliche Wirtschaftsinteresse, gemessen an einem Expansionsstreben innerhalb des agrarischen Strukturwandels, oder folgt
die Landwirtschaft auch noch Gemeinwohlorientierung? Diese Frage
ist eng verknüpft mit der langfristigen Ausgestaltung der agrarpolitischen Förderung, wenn es um „öffentliche Gelder für öffentliche
Leistungen“ geht. Davon betroffen ist die Frage nach einer unternehmensethischen Orientierung, nach der die Landwirtschaft nicht nur
nach bestem Wissen, sondern auch Gewissen betrieben wird, innerhalb derer der Landwirt als Unternehmer auch die Grenzen seines
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Tuns gegenüber Tieren, der dörflichen Bevölkerung und innerhalb
der öffentlichen Meinung reflektiert.
Meist ist der einzelne Landwirt mit der analytischen Ausdifferenzierung der vielfältigen Problemlagen und Zielkonflikte unter dem
Druck der öffentlichen Meinung überfordert, für sich seine ethische
Orientierung zu finden. Aus diesem Grund benötigt die Landwirtschaft eine Dialogplattform, um sich zunächst einmal selbst hinsichtlich der persönlichen und betrieblichen Wertepräferenzen klar zu
werden und dies dann auch argumentativ zu ordnen. Dabei geht es
nicht um die eigene Rechtfertigung der Tierhaltung, sondern um die
Klärung eines gesellschaftlichen Konsenses.
Eine Fülle von Fragen stellen sich, welche für die landwirtschaftliche
Nutztierhaltung im Spannungsfeld von betrieblichen Interessen der
Landwirtschaft und gesellschaftlichen Wünschen sowie wirtschaftlichen Gegebenheiten zu beantworten sind. Hierzu ist auch die Kirche
gefordert, sich nicht schnell an wohlfeile Meinungsströme zu hängen, sondern innerhalb eines ethischen Diskurses die Gesamtschau
aller Argumente zur landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zu prüfen.
Dafür steht auch die Arbeit des Evangelischen Bauernwerks mit
seinen Veranstaltungen in Hohebuch oder draußen vor Ort in den
Bezirksarbeitskreisen.
Clemens Dirscherl
Dr. Clemens Dirscherl ist Geschäftsführer des Evangelischen
Bauernwerks in Württemberg und in den Kompetenzkreis Tierwohl
des Bundeslandwirtschaftsministeriums berufen worden. Darüber
hinaus ist er Mitglied in der Deutschen Tierschutzkommission und im
Beirat des Tierwohllabels des Deutschen Tierschutzbundes.
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Hohebuch auf dem Stuttgarter Kirchentag
Stand auf dem „Markt der Möglichkeiten“ (Zelthalle 9 F 18, Mercedesstraße, Do 4. bis Sa 6. Juni 2015, jeweils von 10.30 Uhr bis 18.30
Uhr): Hier präsentiert zum einen die „Stadt-Land-Partnerschaft“ des
Evang. Bauernwerks die Perspektive junger Landwirte, zum anderen
gibt die Ländliche Heimvolkshochschule Hohebuch einen Einblick in
die Vielfalt ihrer Angebote als Bildungs- und Tagungshaus.
Erntebittgottesdienst (Sa 6. Juni 19.00 Uhr, Collegium Wirtemberg,
Württembergstr. 230): „Gesegnet seist du in der Stadt und auf dem
Feld.“ (5. Mose 28, 3) Der Gottesdienst findet statt in den Weinbergen oberhalb Untertürkheim (bei jedem Wetter im Freien). Gestaltet
wird er von Mitgliedern des Evang. Bauernwerks, dem Posaunenchor
Obertürkheim/Uhlbach, den örtlichen Landfrauen und dem Weinbauverband. Die Predigt hält Landesbauernpfarrer Dr. Jörg Dinger.
Lösungen Kirchenlieder-Quiz:
1. Brunnen aller Güter (Lobet den Herren alle, die ihn ehren – EG 447, 6)
2. Brunn der Gnad und ewge Quelle bist (Ich singe dir mit Herz und Mund EG 324, 2)
3. Die Quelle der Gnaden (Jesus ist kommen – EG 66, 6)
4. Brunnen (Sollt ich meinem Gott nicht singen - EG 325, 3)
5. Du Brunnquell (O Gott , du frommer Gott – EG 495, 1)
6. Brunn (Brunn alles Heils – EG 140, 1)
Lösung Quiz Flüsse: 1c, 2b, 3c, 4a, 5b, 6b, 7a, 8c, 9a, 10c
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