Wirtschaft Personalisierte Medizin: den Krebs gezielt treffen Interview mit Stefan Wiemann, Chef der Abteilung Molekulare Genomanalyse und der zentralen Einheit für Genomik & Proteomik am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg |transkript Herr Professor Wiemann, das DKFZ schafft zehn neue Sequenzer an und nennt sich fortan eine der „weltgrößten Genomforschungseinrichtungen“. Was steckt dahinter? |transkript Wie wollen Sie und Ihre Partner die zusätzliche Sequenzierungskapazität für die translationale Krebsforschung nutzen? Wiemann Im Rahmen von zwei ICGC Projekten haben wir die Genome von mehreren tausend Patienten sequenziert. Das primäre Ziel dabei war es, Mutationen zu identifizieren, die wiederholt auftreten, also in mehr als in nur einem Patienten, weil bei diesen die Wahrscheinlichkeit einer Krankheitsbeteiligung größer ist. Diese Bibliotheken krebsassoziierter Mutationen werden dann hinsichtlich ihrer Krankheitsrelevanz validiert. Dabei müssen die vielversprechendsten Kandidaten herausgefiltert werden; das sind meist solche, die in Krebssignalwegen eine Rolle spielen. Zum Beispiel resultieren 99% aller Astrozytome aus Mutationen des FGF-Signalweges. Zum Auffinden und Filtern geeigneter Angriffspunkte setzen wir auf einen multi-Omics-Ansatz. Das heißt, neben der Sequenzierung schauen wir uns auch die I 2 |transkript Kann eine solche funktionelle Genomanalyse auch bei der Auswahl der jetzt stark aufkommenden Krebsimmuntherapien helfen? Stefan Wiemann, Der 54-Jährige leitet seit 2011 die Abteilungen Molekulare Genomanalyse und die Genomics & Proteomics Core Facility am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg, die sich auf die Funktionsanalyse von Krebssignalnetzwerken fokussieren. Nach Biologiestudium und Promotion an der Universität Kaiserslautern sowie Postdoc-Zeit am DKFZ forschte Wiemann am EMBL, der Universität Heidelberg, dem HBIGS und seit 1995 am DKFZ. Phosphoproteome an, also welche Rezeptortyrosinkinasen und intrazellulären Kinasen auf Veränderungen der Signalwege hinweisen. |transkript Gezielte Therapien waren zwar sehr erfolgreich, das Ausschalten einzelner Targets führte aber recht rasch zu Therapieresistenz. Wie hoffen Sie dies künftig zu ändern? Wiemann Es gibt dazu zwei Ansätze. Eine Ganzgenomsequenzierung gibt Aufschluss über eine ganze Reihe von Genen, die die Entwicklung des Tumors ermöglichen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, Kombinationstherapien einzusetzen, die auf das Genom des Patienten abgestimmt sind. Die zweite Möglichkeit, die es noch vollständig zu implementieren gilt, ist es, nach Tumor Wiemann Wie wir wissen, entwickelt sich der Tumor nicht isoliert, sondern in einem Milieu, das über Immunbotenstoffe, sogenannte Zytokine, auf umgebende Zellen und den Tumor selbst zurückwirkt und eine effektive Immunantwort unterdrückt. Für die Untersuchung der Tumor-StromaWechselwirkungen, die diese chemische Mikroumgebung schaffen, spielt die DNASequenzierung eher eine untergeordnete Rolle. Sie ermöglicht zwar eine Aussage über die Mutationen und eine Abschätzung der Menge an Krebszellen im Tumor. Wichtiger ist hier aber die Analyse des Transkriptoms, also der Genexpression. Sie verrät, welche Zellen tatsächlich an der Ausprägung des Tumormilieus beteiligt sind und welche Zytokine möglicherweise gehemmt werden müssen, um das Tumormileu so zu stören, damit doch eine Immunreaktion stattfinden kann. Allerdings ist dabei Vorsicht geboten, denn die Blockade von Zytokinrezeptoren birgt auch das Risiko unspezifischer toxischer Nebenwirkungen, besonders bei Kombinationstherapien. |transkript Zurück zur Sequenzierung – wie fließen denn die Ergebnisse der Sequenzanalyse konkret in die Diagnose und Therapie der Patienten ein? Wiemann Der Standort Heidelberg hat bei der Sequenzierung von Krebsgenomen einen Riesenvorteil. Alle Tumor-Patienten durchItranskript I Nr. 3 I 21. Jahrgang 2015 Abb.: DKFZ Wiemann Wir starten ja nicht von null. Mit den 14 vorhandenen Geräten der Vorläufergeneration, die wir auch weiterhin einsetzen werden, hatten wir schon in den vergangenen Jahren bereits einige tausend Patientengenome sequenziert, unter anderem im Rahmen des Internationalen Krebsgenomforschungskonsortiums ICGC. Das DKFZ ist mit seinem Beitrag führend in diesem Konsortium. Die gemeinsam mit dem Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) genutzten zehn HiSeq-Sequencer der neuesten Generation, die jetzt hinzukommen, bedeuten für uns eine substantielle Kapazitätssteigerung. Wir werden in jedem Jahr 3.500 Genome von Patienten aller sieben Standorte des DKTK sequenzieren können.. therapie über eine Liquid Biopsy freie DNA im Blutserum des Patienten zu isolieren. Ihre Charakterisierung bietet die Möglichkeit, das Wiederauftreten von Krebs und neue molekulare Änderungen, die eine modifizierte Therapie erfordern, früh zu erkennen und die Therapie anzupassen. Wirtschaft in 300 Zeichen Fanconi-Anämie Wiederholter physiologischer Stress ist für die Häufung an DNASchäden in blutbildenden Stammzellen verantwortlich. Grund sei eine Überlastung der zelleigenen DNA-Reparatur infolge des raschen Umschaltens der ruhenden Zellen auf volle Teilungsaktivität, berichten Krebsforscher des DKFZ Heidelberg (Nature : doi:10.1038/nature14131). laufen bei ihrer Aufnahme in Heidelberg das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen – eine gemeinsame Einrichtung des DKFZ und des Universitätsklinikums Heidelberg. Hier bespricht ein interdisziplinär zusammengesetztes Tumorboard alle Fälle zur Wahl der jeweils optimalen Therapie. Dabei hat das NCT auch Zugriff auf die Sequenzierungskapazitäten des DKFZ, wo innerhalb von zehn Tagen die DNA-Sequenz aller proteinkodierenden Gene eines Patienten vollständig analysiert und verifiziert werden und zur Auswahl der geeigneten Therapie an das Tumorboard des NCT zurückgegeben werden kann. Im Vordergrund steht hierbei nicht die Forschung, sondern die Identifizierung von Mutationen, die „druggable“ sind, gegen die also gerichtete Arzneimittel verfügbar sind, die gegebenenfalls im Rahmen einer Studie auch off-label eingesetzt werden könnten. Abb.: DKFZ, Tobias Schwerdt |transkript Welche Rolle spielt die Sequenzierung von Patientengenomen beim Aufspüren der Mechanismen, die Metastasierung, Therapieesistenz, Krebsimmunität etc. zugrunde liegen? Wiemann Das Verständnis, was ein Onkogen ist, hat sich verschoben. Heute zählen dazu nicht nur primär für das Tumorwachstum relevante DNA-Abschnitte, sondern auch solche, die mit der Metastasierung in Zusammenhang stehen. Durch die Sequenzierung erkennen wir auch überraschende Zusammenhänge. So wurden Mutationen in dem Eiweiß Isocitrat-Dehydrogenase I, einem Protein in der Energiegewinnung von Zellen, identifiziert, die dazu führen, dass ein neues Stoffwechselprodukt gebildet wird, das krebsinduzierend wirkt. Epigenetische Veränderungen sind ein weiterer Fokus intensiver Forschung. Etwa 30% der bei Krebs veränderten Proteine gehen auf epigenetische Veränderungen der DNA zurück. Die Sicht, welche Mechanismen bei der Krebsentstehung eine Rolle spielen, geht heute also weit über den Zellzyklus hinaus. Itranskript I Nr. 3 I 21. Jahrgang 2015 |transkript Wie wollen Sie die personalisierte Krebsdiagnose und -therapie in Zukunft ausbauen? Wiemann Wir schauen uns schon derzeit auch den Stoffwechsel von Tumor- und Stromazellen an, um neue potentielle Angriffspunkte für Therapeutika zu identifizieren. Mit Hilfe von Proteomics wollen wir versuchen, die Diagnose weiter zu verfeinern. Während früher krebsrelevante Rezeptoren mittels Immunhistochemie identifiziert und Tumore danach klassifiziert wurden, gelingt es heute mittels Transkriptionsanalysen, bestimmte Muster zu erkennen und molekulare Subtypen zu definieren. Nimmt man nun die Sequenzierung hinzu, dann sieht man, dass jeder Patient innerhalb dieser Subtypen ein ganz spezifisches Muster an Mutationen aufweist, das sich potentiell zur Anpassung der Therapie an den Genotyp nutzen lässt. Auf den ersten Blick scheint dies sehr positiv, aber es birgt auch das Problem, dass die Zielgruppe für eine bestimmte Therapie immer kleiner wird – ein Riesenproblem für die Hersteller beim Studiendesign. Denn es gilt ja, den statistisch abgesicherten Beleg für die Wirksamkeit der gezielten Therapie zu erbringen. |transkript Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Wiemann Die biomedizinische Forschung, sollte sich bei aller Begeisterung über die Fortschritte davor hüten, zu viel zu versprechen. Es gibt hier eine Riesenerwartungshaltung. Wir werden mit der Sequenzierung viel erreichen, aber wir können keine Wunder vollbringen. Wichtiger als übertriebene Heilsversprechungen ist eine realistische und langfristige Ausrichtung der Forschung, um Krebs von einer immer noch häufig tödlichen in eine chronische Krankheit verwandeln zu können. [email protected] MRI Einen ersten Schritt zur nicht-invasiven Diagnose von Entzündungen oder Krebs anhand von Oberflächenzuckern haben Forscher des Berliner FMP getan. Mittels Kernspintomographie identifizierten sie mit einem Xenon-haltigen Kontrastmittel markierte Sialinsäuren auf Krebszellen in nanomolarer Konzentration (Angew. Chemie, doi 10.1002/ange.201410573). Krebs Forscher der Universität Bielefeld haben einen Wirkstoff entwickelt, der Krebszellen doppelt so effektiv abtötet wie das Chemotherapeutikum Cisplatin. Der Kupferkomplex, der an zwei Phosphate des DNA-Rückgrates bindet, wirkt als Apoptose-induzierendes Zytostatikum (Inorg. Chemistry, doi: 10.1021/ic50284). SynBio Über eine EU-Förderung von 1,2 Mio. Euro bis 2018 konnten sich Anfang März Bochumer Forscher des Sun2ChemKonsortiums freuen. In dem Projekt geht es darum, die photosynthetische Elektronentransportkette in Chloroplasten so zu verändern, dass industriell interessierende Produkte anstelle von Zucker entstehen. Antibiotikaresistenz Methicillin-resistente Staphylokokken werden am häufigsten beim Hund (55%) gefunden. Dies berichtet das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in seinem Anfang März vorgelegten Bericht zur Resistenzsituation bei klinisch wichtigen tierpathogenen Bakterien. Zellwanderung Das Protein Merlin ermöglicht die bei der Krebsentstehung und Wundheilung wichtige kollektive Zellmigration. Ende Februar berichteten Forscher des Max-Planck-Instituts für intelligente Systeme, dass das Protein, die Zell-ZellKontakte zwischen einer Leit- und sogenannten Folgezellen vermittelt (Nat. Cell Biology, doi: 10.1038/ncb3115. 3I
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