DIE ZEIT - VICESSE

10 ÖSTERREICH
1. A P R I L 2015
D I E Z E I T No 1 4
DRAUSSEN
Hawelka und Riesenrad
in Down Under
Eine Österreicherin in Australien:
Elna Schaerf-Trauner, 52, Gastronomin
Fotos: Ernst Schmiederer (l.); Screenshot/Stefan Pausa; privat (u.)
Momentan ist alles recht dicht bei uns. Gemeinsam mit meinem Mann Edmund betreibe ich in
Castlemaine, Victoria, eine Kaffeerösterei mit angeschlossenem Kaffeehaus. Wir bauen gerade eine
alte Teppichfabrik um, die Freunde von uns gekauft haben. Eigentlich sollten wir mit unserem
Unternehmen dort schon eingezogen sein. Aber
am Montag hat der Bautrupp das Werkzeug hingeschmissen. Für Dienstag habe ich eine neue
Mannschaft organisiert. Zwischendurch streiche
ich jetzt die Fenster und renoviere eine Kirchenkanzel, in die später mal das Soundsystem eingebaut werden soll. Wir sind fünf Monate hinter
dem Plan – aber gut Ding braucht eben Weile.
Für mich wird dieses Kaffeehaus jedenfalls der
Höhepunkt meiner kreativen und gastronomischen
Karriere, eine Art öster­
reichische Botschaft in
Down Under.
Wir haben aus Wien
eine alte Bassena mit einem
goldenen Doppeladler darauf geholt. Hinter den Fabrikfenstern sieht man den
Stephansdom und das RieElna Schaerf-­
senrad. Es gibt themen­
Trauner aus Wien
lebt in Castlemaine bezogene Logensitze: das
Hawelka, die Oper, Schloss
Schönbrunn. It’s entertainment, baby! Das Lokal wird zur Bühne, die der
Kellner dann bespielen soll. Die Speisekarte ist
unser Drehbuch. Und mein Mann und ich sind als
Gastgeber Regisseur und Produzentin.
Kennengelernt habe ich Edmund vor fast 30
Jahren im ersten Bezirk in Wien. Wir arbeiteten
damals beide in einem Szenecafé, das seinem Neffen gehört. Edmund war für ein halbes Jahr in
Wien zu Besuch, um mit seinen Verwandten Kontakt aufzunehmen. Wir haben uns ineinander verliebt, ein paar Jahre später haben wir geheiratet,
und ich bin zu ihm nach Melbourne gezogen.
Inzwischen haben wir drei Kinder: Noa, Lina
und Dorian. Wir leben 120 Kilometer von Melbourne entfernt in dem ehemaligen Goldgräberstädtchen Castlemaine. Im Lauf der Zeit haben
sich junge Familien und Künstler dort angesiedelt,
weil das Leben in der Großstadt zu teuer geworden
ist. In den ersten Nächten in meinem neuen Heimatort konnte ich kaum schlafen, weil ich seit
meiner Kindheit an Stadtlärm gewöhnt war. Der
Sternenhimmel ist unbeschreiblich, von Lichtverschmutzung keine Spur. Wir haben ein altes Haus
renoviert, der Garten ist wild, die Bäume sind riesig, Solarlämpchen beleuchten den Pool.
Wir halten Hühner, Katzen und Wasserschildkröten, einen Hasen und einen Hund. Unser Unternehmen Coffee Basics prägt das Stadtbild und
beliefert Cafés und Restaurants. Als wir vor über
zehn Jahren damit angefangen haben, gab es drei
Cafés in der Stadt. Heute sind es 25. Woche für
Woche röstet Edmund eine Tonne Kaffee.
Früher habe ich als Künstlerin Siebdrucke hergestellt und unter der Marke Elna Trauner Designs gut verkauft. Jetzt fokussiere ich meine
Kreativität auf von Hand gezogene Strudel, die als
Bestseller in unserem Kaffeehaus gelten. Es gibt
aber auch Wurstsemmerl mit Gurkerl, Mannerschnitten, Almdudler und Trumer Bier, Frankfurter, Käsekrainer und Debreziner. Je länger ich
im Ausland bin, umso intensiver werden meine
rot-weiß-roten Gefühle: Ich verstehe mich heute
als Ambassador der Wiener Gastronomie und
Gastfreundlichkeit.
»Gängige Praxis«: Polizeieinsatz
auf der Wiener Mariahilferstraße
in der vergangenen Woche
»Immer die Arschkarte«
Der Kriminologe Reinhard Kreissl über Polizeigewalt und den Entfremdungsprozess zwischen Exekutive und Bürgern
DIE ZEIT: Regelmäßig sorgen handfeste
Polizeiaktionen für Aufregung. Erst vergangene Woche fixierten mehrere Beamte auf recht ruppige Art einen Mann auf der
Wiener Mariahilferstraße. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass eine Frau in der Silvesternacht nach einer sogenannten Beamtshandlung
schwere Verletzungen davongetragen hatte. Trügt
der Eindruck, dass es zu immer mehr Fällen von
polizeilichen Übergriffen kommt?
Reinhard Kreissl: Wahrscheinlich trügt der Eindruck, ja. Die Übergriffe, über die berichtet wird,
sind deshalb spektakulär, weil sie dokumentiert
worden sind. Das ist die Ironie der Überwachungstechnik. Heute hat jeder ein Handy mit
Videokamera dabei. Solche Fälle sind aber die
gängige Praxis des robusten Eingreifens.
ZEIT: Gängige Praxis klingt nicht sehr beruhigend.
Kreissl: Der Großteil der polizeilichen Arbeit ist
frei von körperlicher Gewalt. Aber in den Situationen, in denen sie eingreift, muss sie zulangen,
und das kann sie gut oder schlecht machen. In
den Fällen, über die wir jetzt sprechen, hat sie es
nicht gut gemacht. Dort zeigt sich eine Lücke
im Ausbildungsprogramm, wo man nachschärfen könnte.
ZEIT: Zum Beispiel?
Kreissl: Beim Deeskalationstraining, beim Einsatz von physischer Kraft oder bei der psychologischen Schulung. Oft sind es junge Polizisten,
die durch die Stadt patrouillieren. Wenn man die
Körpersprache dieser Beamten beobachtet, dann
wirken die ja völlig aufgeregt und nervös.
ZEIT: Wegen ihrer ungewohnten Machtposition?
Kreissl: Die Polizei leidet unter einem männerbündlerischen Selbstmissverständnis, nach dem
Motto: Wir sind die Sheriffs. Das Gefühl der
Macht kann zur handlungsleitenden Maxime
werden. Wir sprechen zwar über unschöne Vorfälle, die bearbeitet werden müssen. Aber insgesamt macht die Polizei einen ganz guten Job.
ZEIT: Viele gingen, als sie das Video von vergangener Woche gesehen hatten, sofort von Poli-
Aufgezeichnet von ERNST SCHMIEDERER
zeigewalt aus. Hat die Exekutive ein derart gro- weil von einer Gefährdung der öffentlichen Sißes Imageproblem, dass man schon automatisch cherheit auszugehen ist. Das würden aber Politiker mit Mut fordern, die das entscheiden und
vom Schlimmsten ausgeht?
Kreissl: Es geht mir ähnlich. Ich muss gestehen, durchziehen. Das passiert nicht, es kommt zu
wenn ich Polizisten auf der Straße sehe, fallen Gegendemos, und die Exekutive muss ausrücken.
mir mittlerweile als Erstes solche Szenen ein. Was Die Polizei hat immer die Arschkarte gezogen.
fehlt, ist eine kritische, zivilgesellschaftliche Ge- ZEIT: Zugespitzt sagen Sie: Fehlende politische
genöffentlichkeit. In DeutschLeadership führt zur Aufrüsland wurden ähnliche Fälle
tung der Polizei?
breit diskutiert, und die Polizei
Kreissl: Genau. Diese Aufrüswurde unter Begründungstung haben wir in den verganund Handlungsdruck gesetzt.
genen Jahrzehnten auch geseDazu ist hier der Korpsgeist
hen. Schauen Sie sich doch an,
viel stärker ausgeprägt als anwie die rumlaufen, diese Roboderswo. Und die Kommunikacops in Kampfausrüstung.
tionsarbeit ist alles andere als
Der Soziologe leitete das
ZEIT: Wer will schon verletzt
professionell. Dadurch entInstitut für Rechts- und
werden?
steht dieser Imageschaden.
Kriminalsoziologie in
Kreissl: Die Polizei argumenWien und gründete vor
tiert immer mit einem WorstZEIT: Zum Ruf beigetragen
Kurzem das Vienna Centre
Case-Szenario, demzufolge sich
haben die Vorgehensweisen
for Societal Security. Bis
hinter jeder Ecke jemand mit
bei den Demonstrationen ge2013 war er Mitglied der
einem langen Messer verstegen den Akademikerball oder
Security Advisory Group
cken würde. Aber das ist reine
die Räumung der Pizzeria
der EU-Kommission
Fantasie.
Anarchia im vergangenen Jahr.
Kreissl: Die Pizzeria Anarchia
ZEIT: Warum wird es dann
ist ein Beispiel dafür, wie die
getan?
Polizei das Gefühl für die Stadt
Kreissl: In Griechenland, Spaverloren hat. Mehr als 1000
nien oder Italien ist es wegen
Polizisten rücken an, um 15
der ökonomischen Situation
Besetzer rauszuholen. Das ist
zu massiven Auseinandersetdoch grotesk. Die Einsätze bei
zungen gekommen. Mit solden Akademikerballdemos wachen Szenarien kalkuliert man
ren hingegen einfach handauch hier.
werklich schlecht gemacht.
ZEIT: Das wäre doch vorausWobei ich heuer das Gefühl
schauende Politik.
hatte, dass es besser war.
Kreissl: Es ist die Frage, für welche Eventualität
ZEIT: Im Vorfeld wurde eine Demo einfach ver- man gerüstet sein sollte. Ich fühle mich nicht
wohl in einem Staat, in dem sich die Polizei auf
boten.
Kreissl: Stimmt schon. Aber das martialische Auf- den Bürgerkrieg einstellt.
treten war weniger offensiv. Das Problem ist: Die ZEIT: Mit Bürgerkrieg übertreiben Sie nun aber.
Polizei kommt, wenn die Politik versagt. Der Aka- Kreissl: Okay, das ist verkürzt. Sagen wir: robuste
demikerball ist ein hoch umstrittenes Ereignis, Widerstände.
das nach einer politischen Lösung ruft. Die lautet: ZEIT: Der Polizeiapparat sei zu jung, kritisieren
Der Ball darf nicht in der Hofburg stattfinden, manche.
Reinhard
Kreissl
Kreissl: Ach, mal ist er zu alt, dann wieder zu
jung. Beim Einsatz in der Mariahilferstraße waren aber zu viele junge Beamte dabei. Dazu
kommt ein Problem bei der Rekrutierung. Es gibt
bei der Aufnahme ein Punktesystem. Wenn man
das Level bei 90 Punkten anlegt, kriegt man keinen mehr, man muss runtergehen. Dann werden
Leute ausgebildet, die gar nicht die charakter­
lichen Voraussetzungen für ein anständiges ziviles
Polizeibild haben.
ZEIT: Hätten Sie Reformvorschläge?
Kreissl: Nur ein Beispiel: In London haben Polizisten eine Kamera am Körper, die sie in kri­
tischen Situationen einschalten. Das hat zwei
Vorteile: Es wird alles dokumentiert, und es hat
auch einen zivilisierenden Effekt auf beide Seiten.
ZEIT: Von den Grünen wird die Auflösung der
Bereitschaftspolizei gefordert. Wäre das sinnvoll?
Kreissl: Nein. Die Idee der Bereitschaftspolizei ist
gut. Man schafft eine Personalreserve für Patrouillen, wenn es etwa in einem Grätzel eine
Einbruchsserie gibt. Das sind aber Polizisten in
Ausbildung, die brauchen einen Mentor, der sie
bei der Hand nimmt und hilft, den Praxisschock
zu überwinden. Wenn man sie kaserniert und als
Kampfroboter rumlaufen lässt, dann werden sie
kein ziviles Polizeiverständnis entwickeln.
ZEIT: Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn
sich Polizei und Bürger voneinander entfernen?
Kreissl: Nichts Gutes. Die Polizei muss sich als
Dienstleistungsorganisation verstehen, als zivile
Ordnungsmacht. Polizisten neigen aber dazu,
aufgrund ihres Tunnelblicks mit einer verdachtsgeleiteten Wirklichkeitskonstruktion herumzulaufen und überall potenzielle Kriminelle
zu sehen.
ZEIT: Demnach hat nicht nur die Bevölkerung
Vorurteile gegenüber der Polizei, sondern auch
Polizisten haben welche gegenüber Bürgern?
Kreissl: Das ist leider so. Es fehlt auch im Selbstbild der Polizisten, dass sie Handlungen rechtfertigen müssen. Das muss sich ändern.
Die Fragen stellte FLORIAN GASSER
ANZEIGE
Ja, ich lese DIE ZEIT 3 Monate zum Sonderpreis!
Ich lese DIE ZEIT 12 Wochen lang für nur 34,– € (2,83 € pro Ausgabe). Zudem erhalte ich den kostenlosen
Newsletter »ZEIT-Brief«. Wenn ich mich nach der 11. Ausgabe nicht melde, beziehe ich DIE ZEIT 52x im
Jahr für zzt. nur 4,25 € pro Ausgabe frei Haus statt 4,60 € im Einzelkauf. Ansonsten reicht eine formlose
Mitteilung an den Leser-Service. Angebot nur in Österreich gültig. Auslandspreise auf Anfrage. Diese
Bestellung kann binnen 14 Tagen ab Erhalt der 1. Ausgabe ohne Angabe von Gründen formlos widerrufen
werden. Ihr Abonnement ist auch danach jederzeit kündbar. Ausführliche Informationen zum Widerrufsrecht unter www.zeit.de/wr.
3 Monate lesen.
2 Monate zahlen!
Anrede / Vorname / Name
Straße / Nr.
Stiege
Stock
Tür
PLZ / Ort
Telefon (für eventuelle Rückfragen)
E-Mail
Ich zahle per Bankeinzug und erhalte 2 weitere ZEIT-Ausgaben kostenlos!
BIC
Ich zahle per Rechnung
Ich bin Student und spare nach dem Test weiterhin über 33 %, zahle zzt. nur 3,05 € pro Ausgabe
und erhalte DIE ZEIT 52x sowie das Studentenmagazin ZEIT CAMPUS 6x im Jahr separat zugeschickt.
Meine gültige Immatrikulationsbescheinigung füge ich bei.
Ja, ich möchte von weiteren Vorteilen profitieren. Ich bin daher einverstanden, dass mich
DIE ZEIT per Post, Telefon oder E-Mail über interessante Medien-Angebote und kostenlose
Veranstaltungen informiert.
Datum
Unterschrift
DIE ZEIT, Leser-Service, 20080 Hamburg
+49-40/42 23 70 70* +49-40/42 23 70 90
[email protected]* www.zeit.de
*Bitte jeweilige Bestellnummer angeben
Anbieter: Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Buceriusstraße, Hamburg
17780_ZT-ABO_ZT-OE_AnnaAT3f2_ANZ [P].indd 2
Bestellnr.: 1283085 3f2 · 1283086 Stud. 3f2
IBAN
Erleben Sie die Welt aus einem anderen Blickwinkel. Die ZEIT bietet Ihnen jede
Woche eine große Vielfalt an internationalen Themen und Meinungen sowie
drei exklusive Österreich-Seiten – kritisch und tiefgründig. Sichern Sie sich jetzt
12 Ausgaben für nur 34,– €, und sparen Sie über 33 % gegenüber dem Abopreis.
Nur 2,83 €
pro Ausgabe
23.01.15 15:47