Schweiz

ICON
Schweiz
Mai 2015
A
R
T
S
2013
2005
005
1989
ANDERS OVERGAARD
SE
NS
AI
AUF DEM COVER:
Vor der Galerie „Big
images Inc.“ (Foto von
Terry O’Neill) trägt Kim
eine Weste sowie Lackschuhe von Calvin Klein.
Wickeltop: Diesel Black
Gold. Rock: Dolce &
Gabbana. Collier von
Marcia Grostein.
Auf dem Töff geht’s vorbei
an den Kunstwerken von
Terry O’Neill: Kim hat ein
Top von Ashish an. Hose:
Ralph Lauren. Armreif:
Marcia Grostein. Schuhe:
MM6. Ohrringe: Iosseliani.
Mehr unseres MiamiShootings ab
Seite 42
PIONIER DER
LUXUS ANTI-AGEING
PFLEGE SEIT 1989
Abgefahren!
E
in ziemlich zweideutiger Begriff. Wer je auf der letzten Treppenstufe vor dem Perron keuchend erkennen musste, dass sich
der avisierte Zug gerade in Bewegung setzt, wird sich vielleicht fragen, wieso das Wort „abgefahren“ umgangssprachlich so
gern als anerkennendes Lob eingesetzt wird. Echt mal... Aber wir mögen es auch, schon weil wir ein Faible für Begeisterung
haben. Und da wir kein Fachmagazin für Verkehrssicherheit sind, dürfen wir sogar Models mit wuchtigen PlateausohlenSandalen von Maison Margiela auf einen Töff steigen lassen. (Psst, auch ohne Helm.) Wie heisst es so schön: Die Freiheit, die ich meine. Und so haben wir diese Ausgabe voller Freude dem Design und der Kunstfertigkeit gewidmet. Und natürlich auch ans Reisen
gedacht. Denn es ist wieder hell, der Sommer wird kommen. Bitte, nehmen Sie gern Platz auf dem Sozius unseres Models.
Die Historie der Luxuspflege
„Und vergessen Sie ja nicht, Ihre Badehose mitzubringen.“ Mit dieser nicht ganz alltäglichen Aufforderung beendete
der italienische Architekt und Designer Matteo Thun das Telefonat, in dem er Sven Michaelsen (56) zum Interview in
sein Ferienhaus auf Capri einlud. Aus den geplanten zwei Stunden wurden dann zwei Tage. Die beiden schwammen im Pool der Villa, tauchten in Grotten und umrundeten per Boot die Insel. Abends lud Susanne Benger, aus Bregenz stammend und seit 1983 Thuns Frau, ein Dutzend Freunde zum
Abendessen auf die Terrasse, die einen Panoramablick auf die vier Faraglioni-Felsen bietet, die Wahrzeichen der Insel. Gefragt, ob er ein Wort kenne,
das zusammenfasse, was das Wichtigste im Leben sei, sagte der 62-jährige Thun: „Ich könnte Ihnen die üblichen Verdächtigen nennen: Familie, Gesundheit, Wohlstand. Aber in meinem Fall stimmt das nicht. Ich sage: Interesse. Das Wichtigste ist, neugierig zu sein.“ Mehr ab Seite 28
SVEN MICHAELSEN
In den späten Achtzigern lancierte Sensai Ex la Creme. Damit war die erste Luxuspflege und gleichzeitig auch
eine Legende geschaffen. Ursprünglich war es nicht vorgesehen, diese aussergewöhnlich kostbare Pflege der
Allgemeinheit zugänglich zu machen. Kosten für diese Entwicklung waren unerheblich. Die höchst mögliche
Wirkung einer Creme zu beweisen, war das Ziel von Sensai. Beim ersten Erleben auf der Haut überzeugte
Ex la Creme sofort. Für ihre Verwender stellte sie einen unglaublichen Wert dar, so dass sie sich diesen Luxus
ANDREAS TÖLKE Seine Artikel sind in über 20 Ländern erschienen, seit einigen Jahren zählt der Autor und „Berliner aus Leidenschaft“
gönnten. Sechzehn Jahre später gelang Sensai ein weiterer Meilenstein. Sensai Premier hielt die Zeit an und
Erneuerungsfunktion der Haut über viele Jahre auf höchstem Niveau zu halten.
Ultimativer Luxus
Basierend auf dem Besten der Vergangenheit schuf Sensai mit Ultimate jetzt das Meisterwerk aus 77 Jahren AntiAgeing-Forschung. Diese aussergewöhnlich, kostbare Pflegelinie sorgt für eine unvergleichbar seidig weiche Haut.
Sie bietet maximale Regeneration und Revitalisierung der Hautzellen. Es ist die Antwort für jedes Hautbedürfnis.
Ultimativer Luxus beginnt hier.
www.sensai-cosmetics.com
TITEL: ANDERS OVERGAARD; MARIO TESTINO; JENS SCHWARZ; PRIVAT; MARTIN U.K. LENGEMANN
schenkte der Haut Jahre zurück. Der Anspruch dieser Pflege war, die jugendliche Leistungsfähigkeit und natürliche
zum ICON-Inventar. Andreas Tölke schreibt nämlich für sein Leben gern über Design. Seit über zwanzig Jahren trifft
er die Grossen der internationalen Design-Szene. Von A bis Z, also von Ron Arad bis Zaha Hadid. Dabei kommt er viel herum. Zum Beispiel an die
Goldküste, wo er ein Jahr lang gelebt hat. Oder für uns nach Venedig. Dort hat er hinter die Mauern der Palazzi geschaut und die versteckten Gärten der Wasserstadt aufgespürt. Weiter ging’s für ihn zum Genfer See. Schmuckstücke im wörtlichen Sinn sind das Thema beim Mittagessen mit
den Scheufele-Geschwistern, den Köpfen von Chopard. Dann zurück nach Berlin, wo man ihn ebenfalls beim Flanieren und Architektur bestaunen
antreffen kann. Erkennungszeichen? Seine französische Bulldogge, Herr Müller. Mehr auf den Seiten 44 und 58
Alles begann auf der Strasse. Nämlich als unser Fotograf Anders Overgaard mit zehn Jahren zum ersten Mal eine Kamera in die Hand nahm und Freunde in Schnappschüssen beim Skateboarden festhielt. Oder auch beim
Windsurfen. Für unser Shooting in Miami schuf er ebenso flüchtige Momente, in denen er Streetart, Mode und Model zu einer Einheit werden liess. „Ich
liebe es, dass man einen ganzen Teil der Stadt der Kunst gewidmet hat.“ Eine Prise Humor durfte auch diesmal nicht fehlen. Sie ist der rote Faden in seinen Arbeiten. Nachdem der Däne aus Helsingor seine Ausbildung an der Graphic Design School Copenhagen abgeschlossen hatte, verschlug es ihn
für ein Jahr nach Paris. Aus dem Fotografen wurde ein Modefotograf. Heute arbeitet und lebt er mit seiner Familie in New York. Ab Seite 32
ANDERS OVERGAARD
IMPRESSUM ICON SCHWEIZ
Chefredaktion: Inga Griese (Ltg), Pierre-André Schmitt (Co-Leitung ICON-Schweiz, verantw.); Textchef: Dr. Philip Cassier; Redaktion: Caroline Börger, Nicola Erdmann, Jennifer Hinz, Silvia Ihring, Mira Wiesinger;
Redaktionsassistenz: Ursula Vogt-Duyver; Artdirektorin: Barbara Krämer; Gestaltung: Maria Christina Agerkop, Katja Schroedter, Adrian Staude Fotoredaktion: Julia Sörgel; Elias Gröb
Bildbearbeitung: Liane Kühne Kootz, Kerstin Schmidt, Tom Uecker; Verlagsgeschäftsführung: Dr. Thomas Garms, Maike Juchler (Stv. Leitung); Gesamtanzeigenleitung: Musti Asaf, Sandra Bruderer (Stv. Leitung),
Franziska Tanner (Head of Sales), Servais Micolot (Verkauf Westschweiz), [email protected]; Marketingleitung: Patrizia Serra, Sabine Carrieu (Lesermarketing), Doris Keller (Vertrieb);
Verlag: Axel Springer Schweiz AG Druck: Prinovis Ltd. & Co. KG, Nürnberg Herstellung: Olaf Hopf; Herausgeberin: Axel Springer Schweiz AG, Förrlibuckstrasse 70, 8021 Zürich
ICON ist eine Eigenbeilage der BILANZ und der HANDELSZEITUNG und erscheint vier Mal jährlich. Ausgabe 2/2015. Auflage: 120‘000 Exemplare.
Die nächste Ausgabe erscheint am 18. September 2015. Sie erreichen uns unter: [email protected].
Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit.
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Ananas to go: Sandaletten
von Tory Burch
Für SchnitzOhren: buchstäblich süsse
Ohrringe von
de Grisogono
ICON
Sommerfrische: Kaschmirpullover von Chinti and Parker
MAI 2015
AUSGEWÄHLT
08
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SOMMER IM ANMARSCH
In schnellen Schritten nähern wir uns den
warmen Tagen. Unsere Lifestyleweisen
wissen und verraten wo man ihn verbringt
GARTENGÖTTIN
Das Glück liegt vor der Haustür:
Icona hat sich passend für ihr grünes
Fleckchen Erde eingekleidet
Kleidsame Piña Colada:
Den MSGM-Rock gibt’s über
luxodo.com
It’s party time!
Das Modell
„Original Gent
Exotic Taste“ ist
von Swatch
Süsser Begleiter! Clutch von
Charlotte Olympia über
net-a-porter.com
MODE
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DAS PH ÄNOMEN KORS
US-Designer Michael Kors hat sich sein
eigenes Imperium aufgebaut. Nun hat er in
Basel seinen neuesten Shop eröffnet
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BRILLEN-BRÜ DER
Wie fünf Männer von Zürich aus
versuchen den Brillenmarkt neu zu
erfinden, erklärt Dörte Welti
19
VERSPIEGELT
In diesem Sommer geht nichts ohne sie –
Sonnenbrillen mit verspiegelten Gläsern.
Eine fröhlich bunte Auswahl
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AMAZING RU TH
Ruth Chapman, Gründerin von „Matches“,
ist eine dieser Frauen, der irgendwie alles
gelingt. Und das völlig unaufgeregt
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STREET ART
Wir wussten gar nicht, wie viel Strassenkunst es in Miami gibt. Als die Modestrecke
ankam, wollten alle gleich los
Objekt der
Begierde: goldene
Zierananas von
Pols Potten über
byfurnish.com
Vorsicht, nicht essen. Nur
cremen! „Body Soufflé“ von
Crabtree&Evelyn
Kirschenzeit: Strickjacke von
Alice + Olivia über mytheresa.com
WC-Frische: Die fruchtig
verpackten Toilettenpapierrollen finden Sie im
Onlineshop von latona-m.com
Saure Sitzgelegenheit: Kissen „Kiwi“ aus
dem Sortiment von design-3000.de
DER BAU PLAN
Wahres Kunsthandwerk – wir schauten
dabei zu, wie die Tischlampe „Hyades“ aus
Muranoglas von Armani Casa entsteht
PREZIOSEN
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BUCHERER.COM
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EINZIGARTIG WIE IHRE EMOTIONEN – SEIT 1888
UHREN SCHMUCK JUWELEN
SCH MU CKE FAMIL IE
Die Scheufele-Geschwister, Caroline und
Karl-Friedrich, sind die Präsidenten von
Chopard und haben viel zu erzählen. Andreas Tölke traf sie zum Doppel-Interview
IN VOLLER BLÜ TE
Nein, bei uns sind die Blumen noch nicht
verblüht. Unsere Schmuckauswahl blüht
jetzt so richtig auf. Zum Glück
Für freche Früchtchen:
Kinderrock von Billieblush
über smallable.com
Cherry up! Die Clutch ist von Saint Laurent
Soulfoot: äusserst appetitliche Slip-Ons von Keds
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NACÁSA & PARTNERS (3)
ICON
MAI 2015
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Finden Sie Ihren
Work-Life Groove
SCH W EIZ-CH INESISCH
Eigentlich ist es kein Geheimnis
mehr, das die Chinesen auf unsere
Uhrmacherkunst stehen. Pierre-André
Schmitt traf in Peking den Chef von
Vacheron Constantin
UNTERWEGS
58
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TIME OU T
Ein Uhrmacher, der in aller Ruhe Uhren
fertigt – Ein Besuch bei Roger W. Smith
auf der Isle of Man
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BL AU ES STÜ NDCH EN
Die Uhrenmanufakturen lieben die
Farbe von unseren Seen und unseres
Himmels. Wir können das gut verstehen.
Eine Auswahl an klar, blauen Uhren
VERSTECKSPIEL
Modedesigner Paul Smith lebt in London
und kennt die Stadt wie seine Westentasche. Uns nennt er seine bevorzugten
Gärten und Plätze
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LONDON DIARY
Normalerweise schreiben wir Postkarten
aus aller Herren Länder. Dieses Mal kommen sie alle aus der britischen Hauptstadt.
Aus unterschiedlichen Hotels, versteht sich
KOSMETIK
Von ganz entspannt zu beschwingt, finden Sie eine Auswahl
an Inspirationen in unserer Business Class. Geniessen Sie
feinste Gourmet-Küche, lachen Sie über die neusten Komödien
oder verweilen Sie in der Onboard Lounge. Bei uns in der A380
geben Sie den Takt an.
emirates.ch
Onboard Lounge in der Emirates A380 Š Kostenloses WLAN in ausgewählten Flugzeugen
Erleben Sie die Emirates A380 täglich ab Zürich via Dubai zu über fünfunddreissig Emirates A380-Destinationen weltweit. Für weitere Informationen besuchen Sie bitte emirates.ch oder wenden Sie sich an Emirates unter Telefon
0844 111 555 oder an Ihr Reisebüro.
JENSEITS DER KANÄLE
Es grünt so grün. Wo? In den unbekannten
Gärten Venedigs. Andreas Tölke durfte
einen Blick hinter die Gartenmauern der
Lagunenstadt werfen
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ACE OF BASE
Mit Schminke ungeschminkt
aussehen. Der No-Make-up-Trend
ist nicht aufzuhalten. Wir fanden die
passenden Produkte
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FLANIERE MIT WEILE
Das Jahresmotto von Hermès? Flanieren.
Inga Griese hat das bei einem Spaziergang
durch Notting Hill gleich einmal ausprobiert. Mit einem Plan zum Nachlaufen
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DER DU FT DES EMPIRES
Und es begann am Piccadilly Circus...
Wie der britische Parfümeur
Penhaligon’s seit 150 Jahren ganz
harmonisch „näselt“
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GAR NICHT STÖRRISCH
Mitten in Zürich nächtigt man bestens im
„Widder Hotel“. Esther Strerath durfte
Probe schlafen und zog nur wi(d)derwillig
wieder aus
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SCH WARZ U ND EXTREM
Tom Ford kleidet bekanntermassen
James Bond ein. Mit Parfüm kennt der
Wahl-Engländer sich aber auch bestens
aus. Inga Griese hat ihm zugehört
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KLOTZEN, ABER RICHTIG
Minimalisten werden sich im „Kameha
Grand Hotel“ in Zürich nicht daheim fühlen.
Wer’s lieber etwas opulenter hat, dagegen
sehr. Ein (Nacht-) Bericht
MIU, MEIN MIU
Eigentlich entwerfen Herzog & de Meuron keine
Geschäfte. Für Prada machte das ArchitektenDuo 2002 in Tokio eine Ausnahme. Und nun erneut. Gleich gegenüber. Für Miu Miu, die französischer angelegte Marke des italienischen Unternehmens, bauten die Schweizer in Abstimmung mit Designerin Miuccia Prada den neuen
Flagship-Store mitten im In-Viertel Aoyama. Tief
vorgehängt ist das Dach mit den scharfen Kanten aus Stahl, das an die japanischen Tempel erinnern soll. Im Innern des 720 Quadratmeter
grossen Ladens wird es mit viel Kupfer, Brokat,
Holzboden und hellen Teppichen weicher, weiblicher, verspielter. Es sei eine Box, die entdeckt
werden will, so Jacques Herzog. Bitte, treten Sie
ein. Und beachten gern auch die Mode.
STILISTEN
SOMMER? JA, BALD IST ES WIEDER SOWEIT. UNSERE LIFESTYLEWEISEN GEBEN TIPPS
PRIDE
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P R O W E S S®
Dicker Brummer
Der Hirschkäfer zählt zu den grössten Käfern
Europas. Die wenigstens von ihnen dürften jedoch
aus Weissgold bestehen und mit Brillanten und
einem Mondstein besetzt sein. Die „Donnergugi“Brosche von Sévigné bildet eine Ausnahme und
lässt sich bevorzugt auf Blusen und Jacken nieder.
Mechanical Prowess & Artistic Density
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GLASKLARE ANSICHTEN
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LUZIA SIMONS
Wir sind Teilzeitschweizer. Und als solche werden wir immer
wieder gefragt, welcher Wellness-Ort dort der schönste sei.
Unsere Antwort: keiner. Denn die ganze Schweiz ist pure Wellness. Schon wenn wir über die Grenze fahren, spüren wir, wie
unsere Körper – und wichtiger noch unsere Köpfe – in den
Entspannungsmodus schalten. Die einzigen „Must-Haves“, die
jetzt noch eine Rolle spielen, sind ganz essenziell: Frische Luft,
tiefer Schlaf und lange Spaziergänge. Paris und München sind
auf einmal nicht mehr nur ein paar Hundert Kilometer entfernt.
Sie sind unendlich weit weg. Bye, bye, Hektik, Hype und Hysterie! Grüezi, Good Life! Aus Talbot Runhof werden
Johnny und Adrian. Der einzige Stoff, der uns
jetzt noch interessiert, ist das Leinen unserer
Bettwäsche. Das einzige Design, das wir bewundern, sind die Wolkenformationen, die über uns
entlangziehen. Und über die Aussicht von unserer Terrasse hinab über den Zürichsee schweige
Johnny Talbot &
Adrian Runhof
ich jetzt lieber. Weil wir die am liebsten ganz
privat nach einer langen Wanderung durchs
Designer-Duo des
Münchner Modelabels Sihltal, mit einem Glas Freienbacher BlauburTalbot Runhof
gunder, der direkt vor unserer Haustür wächst,
geniessen. Welche Anwendung wir sonst noch empfehlen,
um uns wohlzufühlen? Schweizer Schokolade. Am besten
täglich. Denn Serotonin und Endorphine sind für uns das
beste Wellness-Treatment. Was wir übrigens völlig selbstlos
in intensiven Testreihen bewiesen haben.
Kunst 3.0: Die Brasilianerin Luzia
Simon malt nicht, sondern scannt
Blumen. Ihre Werke werden ab
dem 14. Juni in der F&C Walter
Galerie in Zürich ausgestellt
GENEVA BOVET BOUTIQUE – LES AMBASSADEURS – AIR WATCH CENTER
GSTAAD ADLER I INTERLAKEN KIRCHHOFER I LUCERNE EMBASSY I LUGANO - ST-MORITZ - ZÜRICH LES AMBASSADEURS
B OV E T F L E U R I E R
SWITZERLAND
FOUNDING MEMBER OF THE QUALITY FLEURIER CERTIFICATION AND PARTNER OF THE FONDATION DE LA HAUTE HORLOGERIE
W W W. B OV E T. C O M
GRUEZI,
GOOD LIFE!
Ich bin wie eine Elster. Wenn ich irgendwo etwas funkeln sehe, muss ich es mir sofort genauer ansehen. Egal wie tief es vergraben ist, wenn es nur ein bisschen glänzt, sehe ich es. So ist
es auch mit Glas, alt oder neu, ich liebe es, und zwar in jeder Form. Kürzlich hatte ich das
Glück, eine Glaskünstlerin – Felekşan Onar – in Istanbul kennenzulernen. In der Ecke einer
Baustelle versteckte sich ein Regal mit wunderschönen Cocktailmixern und Gläsern, die aus
recycelten Bierflaschen hergestellt waren. Ich suchte die Stadt so lange ab, bis ich die Person fand, die diese Kunstwerke zu verantworten hatte.
Wir trafen uns in ihrem Atelier, einem ruhigen Plätzchen gefüllt mit wunderschönen Dingen. Es fühlte sich sofort besänftigend und überwältigend gleichzeitig an – hauptsächlich deswegen, weil ich alles darin haben wollte. Ich habe Glas immer als ein
wunderschönes und gleichzeitig sehr funktionstüchtiges Medium gesehen. Deswegen war ich fasziniert von den künstlerischen Aspekten, die Felekşan Onar dem Material hinzufügte. Ich wollte mehr über sie erfahren.
Sie wurde 1966 in Ankara geboren und sammelte schon als Kind Glas. Zunächst studierte sie Wirtschaft und Musik an der Cornell University in New York. Nachdem sie
eine Zeit lang im Finanzwesen tätig gewesen war, arbeitete sie in der Jeans-ProduktiChris Glass
on. Aber ihr Herz sehnte sich nach Kreativität. So wagte sie den Sprung ins Ungewisse und studierte Glaskunst zuerst in einem privaten Atelier und später am „Glass Fur- European
Membership
nace“ in Istanbul. 2003 eröffnete sie dann ihr eigenes Atelier in Istanbul. Was Fe- Director „Soho
lekşans Werk jedoch am meisten von anderen unterscheidet, ist die Dualität. Trotz House Group“ in
der gebrechlichen Form von Glas zeigt sie Stärke in ihren Objekten. Sie benutzt die Berlin
Form auch, um Geschichten zu erzählen. Daneben sind ihre Kunstwerke sehr persönlich, gleichzeitig reflektieren sie die Jahreszeiten und ändern
sich daher ständig. Auf dem Tisch liegt eine Kollektion aus
Vasen, die von Seeigeln inspiriert wurden. Sie sind in wundervollen Juweltönen gefertigt und fangen die Zerbrechlichkeit
der Unterwasserkreaturen ein. Die Details sind so kostbar und
die Teilchen funkeln, wenn das Licht die abgerundeten Ecken
anstrahlt. Das ist einfach grossartig. Ich bin verliebt.
NICOLAS DEVEAUX / CUBE CREATIVE PRODUCTIONS
Sprung ins
kühle Nass
TREND-
Ich brauche den Überblick. Wenn ich irgendwo neu ankomme, steige ich idealerweise erst einmal auf einen Berg oder einen
Turm, um mir einen Eindruck zu verschaffen.
Vor drei Monaten bin ich in Zürich in eine
Wohnung gezogen, die diesem Bedürfnis
sehr entgegenkommt. Beste Lage, im 22.
Stock der Hardau-Hochhäuser im Kreis 4.
Mit direktem Blick auf den Uetliberg und die
umliegenden Berge. Ein Stück vom See ist
auch zu sehen. Die Wohnung ist fantastisch.
Das Äußere ist ja bekanntlich Geschmackssache, wobei mir die Türme
sehr gut gefallen. Innen
wurden sie vor kurzem mit
Liebe zum Detail renoviert.
Am besten gefällt mir die
schlammgrün-braune Markise am Balkon, die nach
Julian Zigerli
unten abschließt. Von
Modedesigner
außen sieht es dann so aus
in Zürich
als wäre die Fassade geschlossen. Die Leute, die
hier wohnen, entsprechen einem gut durchmischten Viertel: Junge Kreative treffen auf
Alteingessesene und Menschen aus aller
Welt. Mein Lieblingsausflug führt mich
derzeit übrigens auf den Turm vom Uetliberg. Das Beste daran: Von dort aus können
Sie mir zuwinken.
VON
WOLFGANG
JOOP
Frau Dob
Meine Güte, jetzt sind wieder
T-Shirts mit dem Displaymaterial von Star Wars angesagt.
Als hätten wir nicht genug
Krieg auf der Erde, nur bei uns
schleppt sich das Happy End ja
hin. Schlechter Geschmack,
das können nur die Engländer,
deren Exzentrik sendet humorvolle Botschaften.
Mode ist ja immer auch ein Ausflug. Ich möchte aber nicht das
London sehen, das sich der zugereisten „Richness“ hingeworfen hat. Mein Ziel wäre Sissinghurst. Und wie E..T. nach Hause
telefonieren will ich auch. Aber
nicht im Extorialen. Deine Inspiration für die nächste Kollektion ist Gärtnern? Gummistiefel,
Rosenschneiden. Das trägt mich.
Ausgestellt:
Kunterbunte Glaskunst
aus der Gegend Murano
10
Herr Haka
B I S 13 . S E P T E M B E R I M M U S E U M
BELLERIVE ZÜRICH
FOTO: MARTIN ADAM © SAMMLUNG HOLZ
JONAS HEGI
IM HOCHSITZ
BAROMETER
Haben Sie schon einmal eine Giraffe vom
10-Meter-Turm springen sehen? Nein? Wir
bislang auch nicht. Darum macht der Animationsfilm „5,80 m“ des französischen Künstlers Nicolas Deveaux umso mehr Spass. Über
18 Monate bastelte er an dem Werk. Zu sehen
ist es, neben anderen tierischen Kunstwerken,
ab dem 30. Mai in der Ausstellung „ Beastly/
Tierisch“ im Fotomuseum Winterthur
E-Mobility meets Le Mans. Am Samstag, 13. Juni 2015
in allen Schweizer Porsche Zentren.
WUNDERVOLL
Zürich im Sommer ist ungefähr so, wie die
Kirsche auf dem Rahm auf dem Eis: die Krönung. Ich erinnere mich noch genau, dass ich
mich, als ich vor sieben Jahren als direkter
Import aus dem Berliner Nachtleben hier ankam, eine Saison lang
einfach nur wunderte. Zum Beispiel darüber, warum man zu Eis
„Glacé“ sagt, oder warum hier
jeder im Sommer einen kleinen
Sack mit „Badekleidern“ mit sich
herumträgt. Heute weiss ich, dass Alexandra Kruse
es das beste Eis in der „Vegelate- Stylistin und Autorin
in Zürich
ria“, einer veganen Eisdiele im
Kreis Vier gibt, und dass man sich nur entscheiden muss, ob man im kristallklaren See
oder im Fluss baden möchte. Am stilechtesten
ist und bleibt für mich die „Badi Enge“ am See,
montags und dienstags ist dort Yoga mit Clive
ein Pflichttermin. Am Fluss trinke ich gerne im
Frauenbadi einen Eiscafé und lese Magazine.
Oben ohne und unter Frauen zu sein ist einfach
unbezahlbar. Zürichs Magie im Sommer ist
definitiv fliessend und mit dem Element Wasser
verbunden. Auf die „kleine Rundfahrt“ mit den
offiziellen Zürisee-Schiffen geht es mit einem
Ticket des öffentlichen Nahverkehrs, was ein
wohl gehütetes Geheimnis ist und nun war. Ich
spekuliere diesen Sommer auf die Fähigkeiten
meiner Freundin, die im Winter ihren Bootsführerschein gemacht hat. Und irgendwie
wundere ich mich immer noch – darüber, dass
ich mein Herz in der Schweiz verloren habe.
Vernunft und Nervenkitzel liegen näher
zusammen, als man denkt.
Porsche ist unterwegs in Richtung Zukunft. Mit Rennsporterfahrung für die Serie. Und mit
mehr Ideen pro PS. Genauer gesagt mit E-Mobility. Unsere Plug-in-Hybrid-Modelle für die
Strasse sowie die Porsche 919 Hybrid-Boliden in Le Mans beweisen, dass Performance und
Nachhaltigkeit kein Widerspruch sein müssen. Im Gegenteil.
Kommen Sie am Samstag, 13. Juni 2015 in Ihrem Porsche Zentrum vorbei und erleben Sie
die volle Ladung Porsche. Mit dem neuen Cayenne S E-Hybrid, dem Panamera S E-Hybrid
und der Live-Übertragung des 24-Stunden-Rennens von Le Mans.
QR-Code scannen und Probefahrt buchen. Oder unter:
www.porsche-lemans.ch, Tel. 0840 356 911, [email protected]
Follow us on
Normalerweise teile ich an dieser Stelle köstliche Erlebnisse, die mir in verschiedenen Restaurants der Schweiz widerfahren sind. Doch dieses Mal möchte ich, in
Vorfreude auf laue Sommerabende, Tipps für das perfekte Grillfest, genauer für
die besten Würstchen geben. Denn nein: Wurst ist nicht gleich Wurst!
Nicht nur, dass es bei uns, neben der St. Galler Kalbsbratwurst und Cervelat,
ohnehin über 32 verschiedene Wurstsorten gibt. Nein, sie schmecken auch noch
von Region zu Region unterschiedlich, selbst wenn sie den gleichen
Namen tragen. Für mich gibt es zwei Adressen, wenn es um die Wurst
geht: Die „Prétôt Delikatessen“ in der Zürcher Kuttelgasse 3 werden seit
mehr als 20 Jahren von verschiedenen Dorfmetzgereien aus der Region
beliefert. Die Auswahl ist unglaublich und bei jedem Besuch entdeckt
man eine neue Delikatesse mit zwei Enden. Kürzlich wollte ich für eine
Einladung zum Grillieren den Prétôt-Verkaufsschlager „Zürcher KalbsJ. Philipp
bratwurst“ mitbringen, bis mir die Verkäuferin empfahl, doch einmal die
Rathgen
„Zuger Chriesi Wurst“ zu probieren. Die mit getrockneten Kirschen
Autor in
verfeinerte Wurst schmeckte unglaublich, denn die Kirschen beginnen
Zürich
beim Grillen zu karamellisieren und verleihen der Wurst eine besondere
Note. Ebenfalls geschmacklich ein Renner ist die „Wiediker” von der Metzgerei
Keller an der Mannessestrasse 88, ebenfalls in Zürich. Keller beliefert viele Sternerestaurants. Wenn das kein Prädikat ist!
Raffinierte Reisebegleiter:
Handgepäck-Koffer von Rimowa in
Indischrot (die Farbe
gibt’s übrigens nur in der
Schweiz, etwa bei Globus)
und die Wendetasche
von Akris
Lichtbrechende
Kunst
UND SONST NOCH
OLIVER BECKMANN
TRENDSETTERINNEN, WO SEID IHR?
CALLWEY
PHOTOGRAPHED BY PRUDENCE CUMING ASSOCIATES © DAMIEN HIRST AND LALIQUE,2015
BEZAUBERNDE BAUTEN: Kleines Land,
grosse Architektur: Der Architekturführer Schweiz führt durch spannende
Welten von Architekten wie Max Dudler,
Le Corbusier oder Mario Botta. Ab Mitte
Juni im Callwey Verlag ——— APRÈS-SKI:
Pünktlich zur Golfsaison hat sich das
Ski- und Golfmodelabel Sportalm eine
Ecke in der neuen Jelmoli-Sportwelt
Zürich für einen Shop-in-Shop gesichert. Bahnhofstrasse ——— Wiedereröffnung:
Grüezi,
Sommersaison,
heisst es ab dem 26. Juni wieder im
Grand Hotel Park in Gstaad. Skier weg,
Fahrrad raus! ——— Was
für Beine: Im Herzen
von Zürich gibt es
jetzt eine neue Wolford-Boutique.
Strehlgasse 14
12
Zum zweijährigen
Jubiläum fördert
die Bildhalle
Kilchberg den
Nachwuchs mit
einer Ausstellung
FOTOGRAFIE VON
C A R M E N M I T R O T TA
CARMEN MITROTTA / BILDHALLE
Alter Falter
Die Zeiten, in denen Schmetterlinge erst gefangen
und dann mit einer Nadel rabiat aufgespiesst wurden
sind vorbei. Zu barbarisch, zu antiquiert. Der britische
Künstler Damien Hirst bannt die flatterhaften Insekten
zusammen mit den Kristallexperten von Lalique als
Reliefs in Glasfliesen. Das Ergebnis ist ein gläsernes
Wandbild. Ebenso dekorativ, nur weniger schmerzhaft
- für Objekt und Betrachter. Zu finden, nicht im Naturkundemuseum, sondern in der Lalique Boutique in
Zürich, Talstrasse 27.
An Symbolkraft ist der Kristall
kaum zu überbieten. Er bezwingt das Licht und verzerrt
die Perspektive. Bis zum
6. September zeigt das Kunstmuseum Bern die Ausstellung
„Stein aus Licht. KristallvisioWENZEL-HABLIK-MUSEUM,ITZEHOE
nen in der Kunst", in der
Werke von Künstlern aus unterschiedlichen Epochen von Paul Klee bis Robert
Zandvliet präsentiert werden. Sie alle
bannen die Kraft des Kristalls auf die
Leinwand und tragen gleichzeitig zur
man sich Pailletten selbst aufs T-Shirt gestickt hat und
Fortschreibung seines Mythos bei.
Zu Beginn des Frühlings traf ich mich zu einer
Mittagverabredung mit einer Kollegin. Mir war
nach den vielen kalten Monaten trotz Regens
nach leichter Sommermode zu Mute, und so
zog ich ein Flatterkleid an, darunter ein
Schlauchkleid, um mir keine Erkältung einzuDörte Welti
fangen. Die Bekannte empfing mich mit eiJournalistin mit
nem „Oh Schatz! Ist das Praaaada?“ Nein. Beibesonderem Sinn
des Vintage, an das Label kann ich mich nicht
für Stil in Zürich
mal mehr erinnern, und es war neben dem
praktischen Gedanken nur ein Versuch, nicht
so auszusehen wie alle anderen.
Die Gazetten sind voll von It-Girls in ihren neuesten,
meist geliehenen Errungenschaften. Alexa von Irgendwas trägt Vuitton, die della Dingsbums den McQueen,
und das Topmodel, das jeden Catwalk eröffnet, wird in
Chanel, Dior oder sonst etwas Teurem gesichtet. Aber
einen eigenen Stil? Eine verrückte Kombination? Etwas,
was noch nie dagewesen ist? Fehlanzeige. Trends werden heute von Medien vorgegeben, die die VIPs fotografieren, die von den Marken eingekleidet werden, die
in den Medien präsentiert werden.
„Ich war mir damals nicht darüber im Klaren, dass ich einen neuen Look erfunden hatte – ich trug das, was ich
mochte und mir gefiel einfach wie ich aussah“, wird
Twiggy zitiert. Und genau das fehlt heute.
Ein Versuch: Stellen Sie sich an einem Samstagvormittag auf eine belebte Strasse, egal ob Bahnhofstrasse Zürich, Freie Strasse Basel oder die Rue du Rhône in Genf:
Alle sehen aus, wie Heidi Klum aussieht, wenn sie samstags einen Kaffee trinken geht oder wie Jennifer Lopez,
wenn sie mit ihren Kindern im Park entdeckt wird. Wo
sind die Mutigen? Wo ist eine, die ihr Kleid selbst gefärbt und vielleicht sogar selbst genäht hat?
Ich bin alt genug, zu erinnern, dass wir aus Fensterledern
Röcke und Kleider zusammengebunden haben, dass
Stoffflicken zu neuen Maxiröcken montiert hat. Nicht jeder muss selbst nähen können – obwohl, es ist echt cool,
wenn so ein Unikat dann fertig ist! Von mir aus kann man
auch mit Kartoffelsäcken experimentieren, oder Sweatshirts als Hosen tragen. Aber so ein bitzeli Individualität,
das täte dem Strassenbild gut. Ich muss nur die Klatschspalten anschauen, um zu wissen, in welchen Fummeln
die Ladies in den Szenebars am Freitag auftauchen werden. Wann genau sind wir zu Kopierern geworden? Wie
langweilig.
Neulich hatte ich einen unbestechlichen Kritiker im
Schlepptau- den grad volljährigen Filius. Bei der ersten
Szenedame schaute er noch anerkennend, nach der
zwölften raunte er mir zu: „Die sehen ja alle gleich aus!“.
Ladies, wollt ihr das?
FOTO: © STAATLICHES MUSEUM FÜR BILDENDEN KÜNSTE A.S. PUSCHKIN,MOSKAU
WURST OHNE ENDE
Auf Reisen mit einem
der berühmtesten
Künstler aller Zeiten.
Die Ausstellung „Paul
Gauguin“ läuft bis 28.
Juni in der Fondation
Beyeler in Basel
13
OH, LOOK! UNSERE
ICONA ZEIGT IHRE AKTUELLEN LIEBLINGSTRENDS
ILLUSTRATIONEN: JAMES DIGNAN (JAMESDIGNAN.COM)
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Nespresso Mitglied seit 2013.
GARTENGÖTTIN
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Margeriten-Ohrstecker
von Stenzhorn
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Icona blüht auf
im Kleid von
Markus Lupfer
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Flower-Power:
Handyhülle
von Iphoria
Dosierte Natur:
Erdbeerpflanze aus
der Konserve über
design3000.de
Ein Brillant! Mini-Gewächshaus von
Urban Outfitters
+
Gewand für die
Wand: Schmetterlings-„Wall
Sticker“ von
H&M
Blühende Fantasie:
Easy Armchair
„Bloom“ von Kenneth
Cobonque
+
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Appetitlich: Parfum
„Menthe Fraîche“ von
James Heeley
Blumenkind: Flats „Rosario“
von Charlotte Olympia via
net-a-porter.com
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Honigsüss! Die
Ohrringe sind
von Brahmfeld
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Bsssst! Die Sonnenbrille von Dolce&Gabbana
ist auf weltweit 70 Stück limitiert
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Wunder-Waben: stapelbare „Storage Boxes“von
Bloomingville
Insekt der Begierde: „Save
the Bees“-Palette von
Chantecaille über
dsq206.com
14
Mustergültig: Kleid von
Mary Katrantzou über
matchesfashion.com
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Thron: Sessel „Quilt“ von
Ronan & Erwan Bouroullec
Summ, summ, summ: „Planet
Earth“ Becher von Theresienthal über artedona.com
+
Lockstoff: Guerlains
Aqua Allegoria
„Mandarine Basilic“
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zu bestellen? Mein Sessel natürlich.”
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crbasel
GESCHÄFTE
Glamour für jede Gelegenheit
Als Taschen-Designer hat es Michael Kors zum Milliardär geschafft. Nun erobert er mit
seinen Entwürfen und der Fähigkeit Kundinnen alle Wünsche zu erfüllen auch die Schweiz
Das erste Schweizer Michael
Kors-Geschäft eröffnete nun in
Basel. Unten: Der Self-mademan Michael Kors und ein Look
aus seiner aktuellen Kollektion
MICHAEL KORS (2); INEZ AND VINOODH
Nadine
Strittmatter
Topmodel
M
16
Mr. Moneybag. So
nennen sie ihn.
Oder den Drei-Millionen-Dollar-Taschen-Mann. Oder
einfach nur: Michael. Michael Kors, 55,
ist der All-American-Man, vom „Time“-Magazin unter die „100
Einflussreichsten“ gewählt, seit 2013 aufgenommen in den Milliardärsclub von „Forbes“.
Sein Stil und ganz besonders seine Handtaschen mit dem baumelnden MK-Goldlogo
sind mittlerweile auch in Europa allgegenwärtig. Nun ist die Schweiz dran auf der Weltkarte des Multi-Erfolgreichen. Während der
Baselworld im März wurde in bester Lage in
der Freien Strasse das erste Geschäft eröffnet,
weitere werden noch in diesem Jahr in Genf
und Zürich folgen.
Schon der kleine Michael hatte einen ausgeprägten Sinn für Mode, fertigte Skizzen,
kaum, dass er einen Bleistift halten konnte,
ging ausgesprochen gern mit der Mutter zum
Shoppen. Nicht etwa in Spielzeugläden, sondern in Boutiquen. „Ich war als Einzelkind
umgeben von sehr starken Frauen“, erzählte
er im vergangenen Jahr, „und die waren von
Mode besessen und hatten alle ihren eigenen
Stil. Aber auch die Männer meiner Familie beeinflussten mich. Mein Grossvater war in der
Textil-, mein Onkel in der Modebranche. Nur
mein Vater hatte mit dieser Welt nichts zu tun.
Er führte eine Tankstelle. Ich lernte durch
meine Familie früh, dass Mode nicht nur frivoler Zeitvertreib ist, mit ihr bestritt man
auch seinen Lebensunterhalt. Mit zwölf eröffnete ich einen Laden im Haus meiner Eltern,
im Erdgeschoss. Meine Mutter fand das grossartig. Ich hatte keine Ahnung, ob irgendjemand etwas kaufen würde. Doch sie taten es.
Ich stellte Ledertaschen her, Schmuck aus
Kupfer, färbte und batikte Dinge.“
Die Grossmutter, Direktorin einer Highschool,
war sich stets ihres eleganten Auftritts bewusst.
Die Mutter hingegen sei
sportiv, entspannt und
zurückhaltend gewesen.
„Bei meiner Grossmutter
ging es nur um Schmuck,
Glamour und Extravaganz. Sie wechselte sogar
ihre Badeanzüge dreimal
am Tag. Natürlich immer
mit passender Tasche
und passendem PoolDress. Dann hatte ich
auch noch eine Tante, die
sogar zu meiner Bar-Mizwa im Bikini-Top kam. Ich lernte also früh,
wie Frauen mit Mode ihre Stimmung ausdrücken können.“ Sein Stil sind quasi alle drei
Frauen in einer.
Ständig beobachtete er Mensch und Umwelt
und überlegte, wie das Erscheinungsbild zu
verbessern wäre. Auch das eigene. Deshalb ist
er schon seit seiner Kindheit immer gebräunt.
Weil es glamouröser und dynamischer wirkt.
Etwas anderes, als Mode zu machen, kam ihm
nie in den Sinn. Und etwas Grosses sollte es
sein: Das Unternehmen, das er bereits mit 22
Jahren gründete, die nach ihm benannte Holding, hat inzwischen weltweit mehr als 570
Stores, mischt in der Branche mit und ist seit
Dezember 2011 börsennotiert.
Am Anfang war nur Mut. „Ich lieh mir Geld
von Freunden und arbeitete in meiner Einzimmerwohnung in Chelsea. Wir schnitten alle Kleider per Hand, ich hatte kein Geld für ein
elektronisches Schneidegerät. Und ich lieferte
meine erste Saison an Bergdorf Goodman auf
dem Rücksitz des Mercedes-Benz meiner Tante aus. Dort waren sie irritiert, dass ein so junger Kerl bereits genau verstand, was erwach-
sene, wohlhabende Damen interessiert. Ich dachte damals schon
und denke heute noch, dass glamouröse Dinge nicht over the top
sein müssen.“ Er ist keinesfalls ein
unnahbarer Tycoon. Kors hat die
Angewohnheit, im Vorfeld zu seinen New Yorker Modeschauen in
kleiner Runde in den Showroom
in der 42. Strasse zu laden. Er erklärt dann seine Inspiration, die er
tags darauf in den Spring Studios
zeigen wird. Dann sitzt er, die Beine baumelnd, auf einem Tisch.
Die Accessoires, die dort zuvor
sorgfältig arrangiert lagen, hat er
liebevoll beiseite geschoben. Ungezwungen,
amüsant, unprätentiös: Der Mann ist wie seine
Mode. Es hat etwas Beruhigendes, dass er damit so erfolgreich ist.
Die Handtaschen sind ein Renner, die Uhren
auch, die Kleider, Anzüge tauchen immer
mehr im Strassenbild auf. Das Geheimnis des
Erfolges: das Design, der Nimbus amerikanischer Ostküsten-Coolness. Aber auch relativ
günstige Preise. Wobei es auch eine teurere
Linie gibt. Wie erklärt er sich den Erfolg in
Europa? „Dort versteht man Qualität. Die
Kunden wünschen sich etwas, das nützlich ist,
das aber auch mit Genuss zu tun hat, zugleich
aber auch praktisch ist. Ich biete ein Gleichgewicht zwischen diesen beiden Polen. Manchmal denke ich, dass amerikanische Mode zu
pragmatisch ist. Aber wenn Sie nach etwas
suchten, das geeignet ist für ein schnelles Leben, ergibt es Sinn, sich nach einem amerikanischen Stil umzuschauen.“ Der Amerikaner
hat aber noch eine zeitgemässe Botschaft. „Ich
mag ja den persönlichen Luxus mehr als den,
der einen so anspringt.“ Willkommen in der
Inga Griese
Schweiz, Mr. Kors.
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Jetse ictoria B
von V
simplen Konzept trifft das Schweizer Brillenlabel Viu einen Nerv
und expandiert gerade von der digitalen in die reale Welt.
Dörte Welti traf die Macher ganz analog in Zürich
Fü r N o s
t a lg ik e r
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C h r is t ia
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Hände hoch:
Metallbrille von Police
über misterspex.de
Ze b r a s t
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H o lz g e s e n : B r il le m it
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M e t a ll
Scharfzeichner: Brille mit
polarisierenden Gläsern
von Polaroid
Geht glatt: Brille in
Lack-Optik von Lozza
Sonnenuntergang:
Brille von Paul Smith
VIU (3)
K
rem Konzept wie die Handilian Wagner und Peter
werker in den Dolomiten
Käser, Gründer des Brilan den Gestellen, und Ende
lenlabels „Viu“, sind
2013 schliesslich ging die
amüsiert. Ich bin nicht
Homepage online. Heute
die erste, die den Flagverschickt Viu im Schnitt
shipstore in der zur Zeit
500 Pakete pro Monat, Tenwegen diverser Bausteldenz steigend und ja, es
len noch recht unüberkommen immer alle Brilsichtlichen Grüngasse
len zurück, es gibt keinen
im hippen Züricher
Schwund, die Kunden sind
„Chreis Cheib“ nicht auf
ehrlich. Erfolgsquote: Fünf
Anhieb findet. So kann
von zehn Kunden kaufen.
man sich auch zum GeParallel zum Online-Busiheimtipp
stilisieren.
ness platzierten die schlauAber das haben Wagner
en Strategen kleine Popund Kaeser gar nicht
up-Shops in angesagten
nötig. In erster Instanz
Boutiquen. Weil die Nachwar Viu (wird übrigens
frage nach diesen nicht allausgesprochen wie das
täglichen Brillen stieg, war
englische view) im
schnell klar: Ein eigener
World Wide Web angeLaden muss her. Vor gut
siedelt.
einem Jahr eröffnete der
Fünf Jahre ist es nun
Flagshipstore in Zürich.
her, dass Kaeser, der geDas Team hat inzwischen
nau wie Wagner Absoleine interessante Erfahvent der Hochschule St.
rung gemacht: Ein Drittel
Gallen ist, auf die Idee
der Kunden, die jetzt in
kam, Brillen online anden Laden kommen, haben
zubieten. Allerdings mit
schon einmal online bei
System: Man sucht sich
Viu bestellt. Anscheinend
online maximal vier
funktioniert die sonst so
Brillen aus, die einem
schwierige Kombination
gefallen und lässt sie
von online und offline hier
sich nach Hause schicbestens. Die vier gleichbeken. „Try at Home“,
rechtigten Geschäftspartheisst das Konzept. Ausner erklären sich das Phäprobieren, entscheiden,
nomen auch damit, dass
und dann das clever dedie Marke von Anfang an
signte Paket mit den Von oben: Gezeichnet wird in der Schweiz, gefertigt werden die Brillen in einer Manufaktur in Italien.
auf Transparenz gesetzt haBrillen und – wenn es Fünf Blues, äh, Brillen Brothers: die Viu-Gründer um Kilian Wagner und Peter Käser (2. und 3. von links)
be. Auf der Homepage wersich bei dem auserwählten Stück um eine Korrekturbrille handelt – Wagner und Käser den Optiker Dominik Mül- den die 80 Arbeitsschritte, die es braucht, bis
so ein Gestell fertig ist, wunderschön erklärt.
dem entsprechenden Gläserrezept innerhalb ler mit ins Boot.
von vier Tagen wieder zurückschicken. Die Der Idee von Viu: Beste Qualität, modischer Dreimal pro Jahr gibt es eine neue Kollektion,
Brille wird dann mit den richtigen Gläsern Look, aber bitte zu moderaten Preisen. Viu- viele Modelle sind nur limitiert zu bekommen,
versehen, und in sieben bis zehn Tagen be- Träger sollen Wiederholungstäter werden das reizt. Sondermodelle, wie jene, die sie mit
kommt man sein gewünschtes Modell – ko- und sich mehr als eine Brille zu verschiede- der Schweizer Designfirma „En Soie“ produstenlos versandt – fertig nach Hause geschickt. nen Outfits oder unterschiedlichen Stim- ziert haben, gehen ebenfalls weg wie warme
Die cleveren Geschäftsleute, selbst Brillenträ- mungslagen leisten können. Um das mit der Weggli. Bei Preisen um 195 Franken für die
ger, hatten beobachtet, dass die Brille immer Qualität hinzubekommen, begab sich das fertige Korrekturbrille, egal aus welcher Kolmehr zu einem Lifestyle-Objekt geworden ist. Team 2013 auf die Suche und wurde in Italien lektion, und 165 Franken für Sonnenbrillen
Die Zeit der Kassengestelle ist passé, aber auf in den Dolomiten, nahe Cortina d’Ampezzo wundert das nicht.
die Suchenden warten entweder Billigpro- fündig. Dort gibt es einen Traditionsbetrieb, Schneller als geplant, geht Viu nun auf Expandukte oder sündhaft teure Designer-Nasen- der seit 30 Jahren Brillengestelle auf höch- sionskurs. Ein zweiter Laden in Basel, ebenfahrräder. Um dafür Alternativen zu entwicstem Niveau fertigt, alles nachhaltig gearbei- falls in angesagter Lage, ist bereits eröffnet,
keln taten sie sich mit Fabrice Aeberhard und tet. Es ist ein kleiner Betrieb, der die Prototy- genauso wie im Glockenbachviertel in MünChristian Kaegi zusammen, beide Industrie- pen flexibel und schnell herstellen kann. Mehr chen und in der Hauptstadt Bern. Im Juli soll
designer von der Zürcher Hochschule der noch, im Archiv der Firma fanden sich Platten Berlin dazu kommen. Die Lokalmatadore von
Künste, die sich 2006 mit ihrem Studio „Ae- aus Acetat, ein Gemisch aus Baumwollzellulo- Mykita müssen sich dann warm anziehen.
kae“ selbstständig machten. Die beiden Krea- se und ein wenig Plastik, das noch aus den An- Auch online agiert das Team vorausschauend.
tiven sind unter anderem für das Taschenlabel fängen der Produktion aus den 80er-und Sie tüfteln bereits an einer „augmented reali„Qwstion“ verantwortlich und auch für ihre 90er-Jahren stammte. Als Rohmaterial für li- ty“-Version, ein System, dass es ermöglicht, auf
einem Tablet Brillen virtuell anzuprobieren,
Ladengestaltung bekannt, zum Beispiel von mitierte Gestelle – ein Glücksfund.
„Making Things“ und „Komplementair“ in Zü- Sieben Monate lang sondierten Weber und in Läden wie auch zu Hause vom Sofa aus. Das
rich. Für die handwerkliche Seite holten sich Käser den Markt, beobachteten, feilten an ih- ist doch wahre Weitsicht.
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M r. Po tte r m ac ht
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Spieglein,
Retro-Rot: Brille im 60erLook von Silvian Heach
Spieglein
Na endlich, wir tauschen Ski- gegen Sonnenbrille.
Von nun an wird auf der Promenade mit dem Meer
Durch
blick:
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Kunst ransparen
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Em p o r i l l e v o n
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um die Wette geschillert. Mit verspiegelten
Sonnenbrillen, versteht sich
19
GUT VERNETZT
serdem ist sie ziemlich glamourös. Auch sie
mag die grossen Designer wie Fendi oder Balenciaga, aber auch kleinere Labels wie Erdem oder Mary Katrantzou.
Ruth Chapman,
Chefin von
Matches und
matchesfashion.com
Sehe ich auf Ihrer Website in Zürich eine andere Auswahl an Kleidung als in Hongkong?
Nein, man sieht überall auf der Welt das Gleiche. In der Zukunft werden wir aber in der jeweiligen Sprache auf dem Markt erscheinen
und auch unsere Mode-Features mehr nach
den unterschiedlichen Ländern ausrichten.
Sie arbeiten mit Data- und Vor-Ort-Analysen
und haben ein ganzes Team von Einkäufern.
Inwiefern spielt Ihr persönlicher Stil in Ihrem
Unternehmen noch eine Rolle?
Historisch hat sicher vieles mit mir begonnen,
aber inzwischen tritt mein Stil eher in den
Hintergrund. Wir sind ein Team, und meine
Rolle ist es, Orientierung zu geben. Bei uns arbeiten Leute in allen Altersgruppen, es gibt
Frauen in den Zwanzigern, die wichtige Posten haben und jährlich für Millionen von
Pfund Ware einkaufen, aber auch Dreissigund Vierzigjährige und dann natürlich mich.
Dieser Mix der Perspektiven ist ganz wichtig.
„Unser Job ist es, zu filtern“
Welchen Einfluss hat die digitale Revolution auf die Modewelt? Die
Unternehmerin Ruth Chapman war mit matchesfashion.com als eine der
Ersten im Internet präsent. Ausserdem gehören elf Boutiquen in London zu
Kleid von
Jonathan
Saunders für
matchesfashion.com
ihrem Imperium. Heike Blümner sprach mit ihr über den Wert wahrer
Individualität im Netz – und natürlich über ihren Kleiderschrank
Bestseller online:
Schuhe von
Joshua Sanders
20
spür für interessante Newcomer. Und auch zu
Hause bei den Chapmans ist einiges los: Einen
Sohn und zwei Töchter im Alter von 22, 20
und 16 Jahren hat das Paar. Einige typische Generationenkonflikte dürften jedoch bei dieser
Mutter nie eine Rolle gespielt haben: Von Mode versteht sie nämlich mindestens genauso
viel wie vom digitalen Zeitalter.
Das erste Gefühl, das einen in Zusammenhang
mit Ihrer Person beschleicht, ist zugegebenermassen Neid: Haben Sie den grössten virtuellen Kleiderschrank der Welt, auf den man nach
Lust und Laune Zugriff haben kann?
Theoretisch ja, aber da ich so viel arbeite, habe ich wenig Zeit, mich darin
in Ruhe umzusehen. Und
wenn es dann doch
einmal geht, passiert
es sehr oft, dass unsere Kundinnen
schneller waren
als ich und meine
Lieblingssachen
oft schon weg
sind.
Wie schafft man
es, von einer kleinen
Boutique
zum Global Player zu werden?
Wir haben über die Jahre eine grosse Sensibilität für Luxusartikel entwickelt und ruhen uns nicht auf unserem
Status aus. Wenn den Kunden
etwas gefällt, füttern wir sie nicht endlos damit an. Wir wollen, dass sie sich und wir uns
weiterentwickeln – und das hat funktioniert.
Der Händler als Mentor ist ein Traum, der oft
nicht in Erfüllung geht, weil die Kunden lieber
auf Altbewährtes setzen. Gerade Deutschland
ist da vergleichsweise konservativ.
Ja, es ist nicht einfach, Kunden anzuleiten. In
Deutschland sind sie sehr anspruchsvoll, aber
sie neigen auch zu Wiederholungskäufen. Als
ich dort war, fiel mir zum Beispiel auf, wie viele Frauen Valentino-Schuhe mit Nietenbesatz
trugen. Sie gehören dort scheinbar zur
Grundausstattung. In Berlin und München
gibt es aber auch Kunden, die die Grenzen
weiter ausloten.
Was können Sie uns über die Vorlieben der
Schweizer und Schweizerinnen sagen?
Die Schweiz ist einer unser wichtigsten Märkte, in dem wir zuletzt zweistellige Wachstumsraten hatten. Dort mag man unter anderem
Saint Laurent, Isabel Marant und Stella
McCartney sehr gerne. Besonders beliebt bei
den Schweizerinnen sind Kleider, Schuhe
und der Ferien-Bereich auf unser Website, wo
wir Bikinis, Sandalen oder Strandkleider präsentieren. Und, was ich
besonders interessant finde: In
der Schweiz wird auffallend häufig per i-Phone eingekauft.
Tasche von
Balenciaga exklusiv
in Chapmans
Online-Shop
Und wie muss man sich die britische Kundin vorstellen?
Sie kennt sich sehr gut mit Mode
aus, bis in die letzten Details. Aus-
MATCHESFASHION.COM (5)/INTERTOPICS; FRANTZESCO KANGARIS
U
Um es gleich vorweg zu sagen: Ja,
man würde dieser Frau wohl sofort eine ganze Garderobe abkaufen. Ruth Chapman strahlt genau
die Art von Lässigkeit aus, die einem kein Designer der Welt auf
den Leib schneidern kann. Sie
trägt eine lockere, dezent geblümte Seidenbluse mit Schalkragen zu
einer grauen Hose und Plateausandalen und wirkt, als hätte sie
sich keine Sekunde darüber den
Kopf zerbrochen, und empfängt
im Townhouse ihres Unternehmens im Londoner Stadtteil Marylebone. Es ist der Ort, an dem die
kaufkräftigste Kundschaft ein und
aus geht. Diejenigen, denen eine
normale Boutique zu klein und
das Internet zu gross ist. In den salonartigen Räumen erhalten diese Kunden
Beratung und zu jedem Anlass passende Kleidungsstücke präsentiert. Natürlich nicht
mehr von Ruth Chapman persönlich. Als Mitbegründerin und einer der beiden CEOs der
vier Londoner „Matches“-Boutiquen, sieben
Monobrandshops und der Onlinedestination
„matchesfashion.com“ hat sie inzwischen andere Aufgaben.
1987 strich sie die Wände ihres ersten „Matches“-Ladens in Wimbledon zusammen mit
ihrem Mann Tom noch selbst. Knapp 30 Jahre
später haben die beiden aus diesen Anfängen
ein globales Modeimperium gebaut. Rund
400 Labels verschicken sie an Kunden und
Kundinnen in 195 Länder. Chapman steht für
individuelle Beratung und ein sicheres Ge-
Trotz aller Vielfalt ist die Modewelt auch langweiliger geworden, weil heutzutage fast alles
überall auf der Welt erhältlich ist. Früher fuhr
man nach London und kaufte sich ein paar
Schuhe, die es nur dort gab. Das ist heute fast
unmöglich geworden.
Stimmt, das ist ein Problem. Deshalb ist die
Auswahl das, was uns ausmacht und von anderen unterscheidet. Es bedeutet, dass wir, wenn
wir grosse Marken einkaufen, immer schauen,
dass wir eine möglichst aussergewöhnliche
Selektion treffen. Wir kaufen nichts, was man
zum Beispiel auch an einem Flughafen finden
würde. Selbst im Denim-Bereich setzen wir
nur auf besondere Stücke. Dann haben wir exklusive Kollaborationen mit Designern, zum
Beispiel kommt demnächst eine Taschenkollektion von Mary Katrantzou bei uns heraus.
Zusätzlich legen wir grossen Wert darauf, jede
Saison neue Talente zu finden und sie bei uns
zu präsentieren. Die Suche nach dem Besonderen treibt uns an. Gerade haben wir in Paris
das Hutlabel Gigi Burris entdeckt. Wir wollen,
dass die Leute sagen: „Wow, toll, wo hast du
das denn her?“ Damit überträgt sich die Rolle
des Mentors auch auf den Kunden.
Was muss ich als junger Designer tun, um von
Ihnen zur Kenntnis genommen zu werden?
Das Wichtigste ist, dass Sie Ihre eigene DNA
haben. Es muss eine grosse Kreativität erkennbar sein. Das Produkt muss gut gemacht
sein, und die Produktion muss laufen. Und Sie
müssen bereit sein, hart zu arbeiten, denn wir
suchen nach Leuten, mit denen wir langfristig
etwas aufbauen können. Es reicht jedenfalls
nicht, nur eine tolle Idee zu haben. Marcus Almeida ist dafür ein gutes Beispiel. Wir haben
mit ihm von Anfang an gearbeitet, viele haben
ihn kopiert, aber er ist sich treu geblieben.
Oder Manzur Gavriel – sie haben im Prinzip
ein geniales Produkt entwickelt, das total zu
ihnen passt. Auch sie werden oft kopiert, aber
es klappt nicht, denn die Käuferin ist intelligent. Und wenn wir irgendwo anders eine Kopie sehen, würden wir sie nie kaufen, auch
wenn sie nur halb so teuer wäre.
Auf der anderen Seite gibt es immer noch einige Designer, die ihre Kleidung nicht in einem
Online-Shop sehen wollen – egal wie gut die
Präsentation ist.
Viele haben Angst, dass der Luxusaspekt ihrer
Arbeit nicht ausreichend transportiert wird.
Aber inzwischen merken sie auch, dass sie ins
Hintertreffen geraten werden, wenn sie nicht
mitmachen. Deshalb ist es so wichtig, dass Unternehmen wie wir auf jedes Detail achten.
Der richtige Vertrieb ist der Dreh- und Angelpunkt einer Marke.
Als Sie 2007 matchesfashion.com gründeten,
war das noch eine Zeit, als viele Leute sagten,
dass es unmöglich sei, hochpreisige Designermode erfolgreich online zu verkaufen. Das hat
sich nicht bewahrheitet.
Ja, und wir stehen immer noch am Anfang,
wir sehen gerade überhaupt nur die Spitze
des Eisbergs. Trotzdem glaube ich an das intelligente Zusammenspiel von echten und virtuellen Shops. Beides hat seine Vor- und Nachteile, und es ist gut, beides miteinander zu verbinden. Im Prinzip geht es in beiden Welten
um qualitativ hochwertige Erfahrungen.
Viele Ladenbesitzer beklagen sich, dass die
Verkaufszyklen durch das Onlineangebot immer kürzer werden. Die Sales starten immer
früher und schnüren ihnen die Kehle zu. Sie
sind in beiden Welten zu Hause. Wie halten Sie
es mit dem Problem?
Ansatzweise kann ich das nachvollziehen. Bei
uns geht der Sale Mitte Juni und kurz nach
Weihnachten los – alles andere wäre verrückt.
Ich glaube, dass erfolgreiche Händler sich
nicht auf zu frühe Daten einlassen sollten, es
gefällt auch den Designern überhaupt nicht.
Auch sonst beschleunigt sich alles mehr und
mehr: Ständig gibt es irgendwo eine neue
Kollektion, Fashion Weeks finden in abgelegenen Städten statt. Das Angebot ist so
überwältigend, dass man manchmal keine
Lust mehr hat, überhaupt noch etwas zu
kaufen.
Die limitierte Tasche
von Mary Katrantzou
gibt es nur im
Online-Shop
Wenn bei uns neue Labels dazukommen,
müssen wir uns im Gegenzug von anderen
verabschieden. Es kommt alles auf den Zuschnitt an. Es gibt viel Neues und viel Lärm
drumherum, es ist unser Job, das zu filtern.
Luxuriöse Knappheit:
Bikinioberteile von Kini
sind schnell ausverkauft
Wie gross ist denn nun Ihr echter Kleiderschrank?
Nicht so gross, wie man denken würde – obwohl mein Mann das wahrscheinlich anders
sieht. Im Schlafzimmer habe ich einen
Schrank mit den Sachen, die ich jeden Tag anziehe, und in einem anderen Schlafzimmer
steht noch ein Schrank, wo die Sachen aus der
jeweils anderen Saison hängen. Zweimal im
Jahr wird umgehängt, dabei miste ich aus und
füge Neues hinzu. Aber ja, ich gebe tatsächlich
viel Geld für Kleidung aus.
Interessieren sich Ihre Kinder für Mode?
Ja – sie lieben sie, und meine zwanzigjährige
Tochter würde am liebsten wie verrückt zuschlagen, wenn sie dürfte. Ab und zu erlaube
ich, dass sie sich etwas aussucht. Das Tolle ist:
Wenn sie dann etwas bekommt, so wie neulich eine winzige Weste von Saint Laurent
oder eine Stella McCartney-Bomberjacke, die
sie sich so sehr gewünscht hat, dann zieht sie
das Stück gar nicht mehr aus.
Wie ist das bei Ihnen? Bekommen Sie noch einen emotionalen Kick von Mode?
Total! Im Team kennen wir dieses Gefühl
auch. Gerade erst ging es uns so bei der
Designerin Grace Wales Bonner. Ihre Show
am Central Saint Martins war so wunderschön! Sie ist noch nicht so weit, dass man die
Sachen wirklich einkaufen kann, aber als ich
nach der Show zurück ins Büro kam, sagte
ich zu allen Mitarbeitern: „Packt eure
Sachen, geht dort hin und schaut euch
die Sachen an.“ Ich bin mir sicher,
dass sie es zu etwas bringen wird,
denn ihre Vision ist sehr kraftvoll,
und die Liebe zum Produkt ist klar
zu erkennen.
Und bei einzelnen Teilen?
Sie können bei mir auch
noch eine starke Wirkung entfalten, aber
wenn ich etwas nicht bekommen kann, macht es
mir nichts mehr aus. Da
bin ich sofort drüber
hinweg.
Lassen Sie die Modewelt manchmal komplett
hinter sich?
Ja, zuletzt war ich Skifahren. Es ist wichtig,
zwischendurch seinen Körper und auch seinen Geist auf andere Art einzusetzen. Das ist
das beste Mittel, um abzuschalten.
21
WERKSTATTBESUCH
B
2
Form &
Familie
Die Gebrüder Bouroullec sind sehr
beschäftigt und eher verschwiegen.
Esther Strerath zeigten die Franzosen
trotzdem, wie sie sich Möbel vorstellen,
Ein Stuhl ist nicht ein Stuhl,
sondern eine komplexe Sache.
Dieser ist brandneu und aus der
Serie „Belleville“ für Vitra
22
Stephanie Füssenich fotografierte
Das Interview verzögert sich um einige Minuten, Ronan Bouroullec hatte spontan eine
Idee, die er sofort skizzieren möchte und mit
dem Chef eines grossen, italienischen Leuchten-Herstellers via iPhone besprechen muss.
Wenige Wochen vor dem Start der weltweit
wichtigsten Möbelmesse, dem Mailänder Salone del Mobile, liegt in jedem partizipierenden Design-Studio Spannung in der Luft. Bei
Ronan und Erwan Bouroullec fühlt es sich
eher so an wie die Ruhe vor dem Sturm. Es ist
still in dem kleinen Studio, das in einem Hinterhof des Pariser Stadtteils Belleville liegt.
Kein Schild weist auf das Atelier der beiden
Brüder hin, aber durch eines der anderen
Fenster ist eine Flos-Leuchte zu erkennen, die
das Duo 2013 in Mailand vorgestellt hat. Und
hinter der gläsernen Eingangstür stapeln sich
Kartons des italienischen Möbelherstellers
Magis, voilà. Da tritt schon ein Mitarbeiter,
Jung-Designer Michel aus der Schweiz, vor
die Tür und bietet eine kleine Führung durch
die Ideen-Schmiede an.
Mon Dieu, das Studio! Wer zeitgenössisches
Design schätzt, der fühlt sich hier, als sei er
kopfüber in eine Schatzkiste gefallen. Neben
einem Vintage-Sideboard, auf dem eine Espressomaschine in unregelmässigen Abständen gurgelt, steht eine blassrote Glasbank von
Glasitalia, ein transparenter Plastikstuhl sticht
ins Auge und eine Mitarbeiterin sortiert unzählige kleine Muster für eine Teppich-Kollektion, die demnächst weiterentwickelt werden soll. Hier ein Outdoor-Stuhl, dort eine
Leuchte in einer Farbe, die es auf dem Markt
nicht geben wird, sowie Modelle, von denen
man verspricht, sie nicht gesehen zu haben –
„top secret“. Die Treppe hinauf sind die neuen
Stühle für Vitra aufgereiht, verschiedene Pro3
totypen, einer noch mit einer Art
SWISS
MADE
Weltneuheit P.E.P.© von JURA:
Dank Puls-Extraktionsprozess zum perfekten Espresso
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Wasserfilter automatisch erkennt.
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JURA – If you love coffee
3 Knetmasse am Rahmen behaftet. Dahinter,
auf einer Fläche, die als Fotostudio dient, stehen die fertigen Versionen, so wie sie in Mailand gezeigt werden.
Die Stühle stammen aus der Serie „Belleville“
und Erwan Bouroullec, der jüngere Brüder,
nimmt auf einem von ihnen Platz und erklärt:
„Der Stuhl ist eine der längsten Entwicklungen, mit denen wir je konfrontiert waren. Es
gibt ihn in Schichtholz, oder Kunststoff mit
Polyamid-Rahmen, und in einer Version mit
Armlehnen. Wir mussten tief in die Technologie eintauchen, um die beste Performance bezüglich der Stabilität und am Ende einen bezahlbaren Preis liefern zu können. Das Wichtigste war, die Eleganz zu erhalten.“ Multi-
24
STEPHANIE FÜSSENICH
N AND R & E BOUROULLEC
3 unentwegt, eine Art
Meditation sei das und
auch Tagebuch. Gemeinsam denken sie
viel über das Leben
nach. Das kann man als
typisch französisch verstehen. Aber es gehört
auch zum Profil des Berufs dazu.
„Der Design-Prozess ist
ein wenig seltsam“,
überlegt Erwan. „Man
muss sich selbst zu viele
Ideen verbieten. Sobald
man ein Projekt zugesagt
hat, muss man sich konzentrieren, muss, wie bei
einem Baum, dessen
Zweige ein bisschen
schwach sind, immer
wieder stutzen. Es vergeht viel Zeit, in der wir
Dinge erfinden und zeichnen. Aber dann gibt es
wiederum andere Phasen,
in der wir immer dieses
Ding anschauen und es reduzieren, etwas wegnehmen, wieder schauen,
nachdenken. Das ist wie eine Meditation. Dann findet
man den stärksten Teil. Man muss lernen, zu
warten.“
Umso wichtiger ist ihnen die experimentelle
Arbeit ausserhalb dieses Rahmens, für oder
mit Kunstgalerien, wie zum Beispiel der Galerie Kreo in Paris. Seit eineinhalb Jahren hängt
ein Werk der Bouroullecs in Versailles, das
erste zeitgenössische Objekt in dem Barockschloss aus dem 17. Jahrhundert: Ein zwölf
Meter langes Geschmeide, aus 800 KristallModulen gefertigt, das an eine gigantische
Körperkette erinnert und als fantastischer
Chandelier den Eingang des Palastes erhellt.
STEPHANIE FÜSSENICH; PAUL TAHO
Erwan (links) und Ronan Bouroullec am Eingang ihres
Studios in einem Pariser Hinterhof, das beide täglich
zu Fuss von zu Hause aus erreichen
funktionale Stücke sollen die Stühle aus der
Serie „Belleville“ werden, geeignet für drinnen und draussen, für Hotels oder Cafés, aber
auch für den Privatgebrauch.
So eine Vielfältigkeit möglich macht eine Hybrid-Konstruktion, der Rahmen wurde von
der Schale getrennt, was bei Kunststoff sonst
nicht üblich ist. „Das ermöglichte uns, radikaler zu sein“, so Bouroullec. Er holt eine ziemlich dünne Sitzschale herbei und demonstriert, wie einfach sie sich in das grazile Gestell klacken lässt. Allmählich ahnt man, seinen ausführlichen Beschreibungen zuhörend,
warum das Neuerfinden eines Möbelstücks
manchmal mehr als zwei Jahre dauern kann.
Weil das Team immer noch überschaubar ist,
können sie sich viele Freiheiten erlauben. Seit
sie Ende der 90er-Jahre von Giulio Cappellini
entdeckt wurden und daraufhin schnell von
einem Geheimtipp zu begehrten und erfolgreichen Produkt-Designern aufstiegen, hat
sich in dem Studio gar nicht so viel verändert.
Während vergleichbar bekannte Kollegen oft
Dutzende Angestellte beschäftigen, wollten
die Bouroullecs stets klein bleiben. „Wir sind
ein bisschen wie eine Rockband“, sagt der zurückhaltende Enddreissiger Erwan. „Wir
könnten jederzeit auf Tournee gehen, haben
viel Energie. Aber das funktioniert alles nur
mit grosser Entourage. Die aber ist nicht
leicht zu bewegen. Somit ist unsere Freiheit
vielleicht auch eine Einschränkung. Wir können zum Beispiel kein Auto entwerfen.“
Stattdessen aber Tische, Stühle, Sofas, Leuchten, Teppiche und Kacheln – die fünf ProduktDesigner, eine Praktikantin und die Gebrüder
arbeiten immer an mehreren Projekten
gleichzeitig. Keine der Firmen, mit denen sie
kooperieren, gleicht der anderen. Neben Vitra
sind auch Beziehungen entstanden zu dem
italienischen Familienunternehmen Magis, zu
dem Holzspezialisten Mattiazzi, zu der Leuchten-Firma Flos und zum dänischen Möbelhersteller Hay. „Jede Firma ist wie ein menschlicher Körper. Da gibt es die Historie, die man
respektieren muss, das sind ihre Füsse. Man
kann mit ihnen tanzen, aber man kann sie
nicht ändern.“ Ronan Bouroullec wird später
noch sagen: „Ich bin polygam, mit vier, fünf
Firmen verheiratet, die ich liebe. Vitra ist vermutlich die erste Liebe, aber Cappellini hat
mich entdeckt, als ich noch ein Student war.
Ende der 90er-Jahre war das, eine andere
Zeit, freier irgendwie.“
Damals beschlossen die Brüder, aufgewachsen in der Bretagne und beide Absolventen
französischer Hochschulen, gemeinsam zu arbeiten. Heute gibt es nichts, das nur einen von
ihnen als Schöpfer ausweist. Erwan Bouroullec erklärt: „In den vergangen Jahren haben
wir gelernt, nicht alles immer zu diskutieren.
Wir machen alles zusammen, doch mal ist der
eine näher an einem Projekt, mal der andere.
Derjenige, der von aussen darauf blickt, ist dabei immer genauso wichtig, hat manchmal eine klarere Vision. Wir interagieren immer,
aber im Moment verbringen wir etwas weniger Zeit zusammen.“
Während Erwan, der jüngere Bruder, sich zunehmend für Robotik interessiert, vertieft
sich der ältere mehr und mehr in die Arbeit
mit traditionellen Materialien wie Keramik
3
und Glas. Beide zeichnen eigentlich
Sofa-Pausen sind derzeit selten: „Plume“ ist
jüngstes Mitglied der hochwandigen „Alcove“Familie, die die Brüder für Vitra entworfen
haben. Darunter: Wolken für Wände oder als
Raumteiler: „Clouds“ ist ein unendlich erweiterbares und Geräusche schluckendes ModularSystem aus Stoff und mit einem eigens erdachten Fixier-System, das sein Wachsen, einer
Pflanze gleich, ganz leicht ermöglicht
„Versailles gab uns eine ,Carte Blanche‘ und
dann sprachen wir Swarovski an, die uns einmal zu einer Ausstellung, dem ‚Crystal Palace’,
eingeladen hatten. Damals haben wir, das hatte Swarovski sicher nicht geplant, nur einen
kleinen Stein präsentiert“, erinnert sich Erwan Bouroullec grinsend und formt mit den
Händen einen faustgrossen Kiesel. „Er war für
uns besonders geschliffen worden und in seinem Inneren leuchteten LEDs, man konnte
ihn hintragen, wohin man grad wollte.“
Jetzt wiederum entsteht aus dem Versailler
Lüster eine Leuchte für Flos, das Muster eines
Teppichs taucht ähnlich bei Kacheln auf, auf
der Online-Möbelplattform „The Wrong
Shop“ kann man Zeichnungen erwerben, die
vielleicht aus Studien hierzu entstanden sind.
„Viele Konzepte oder Arbeiten reisen mit uns
von einem Projekt zum nächsten.“ Die Grenzen zwischen Kunst und Design verschwimmen in diesem Studio in Belleville, ein Grund,
warum die Möbel als Zeitzeugen in Museen
wie dem Centre Pompidou, MoMa in New
York, dem Art Institute of Chicago, und dem
Design Museum in London exponiert sind.
Eines der Projekte, das gerade Form annimmt,
ist eine Ausstellung in Tel Aviv im kommenden November. Ronan Bouroullec zeigt Zeichnungen und Kollagen: Eine „Promenade“, verschiedene Räume durch bunte, gläserne Wände getrennt, darüber sind Muster gemalt, wie
die traditioneller Kacheln. „Wir spielen mit
dem Licht in Tel Aviv.“ Vor ihm liegt auch die
Idee zu der neuen Flos-Leuchte, „ein Jahr lang
verfolgten wir eine idiotische Idee, dann haben wir zufällig eine neue Technik entdeckt.
Also habe ich das ganze Wochenende gezeichnet, im Zug, Freitagnacht und dann den Prototyp erhalten. Ich mag das sehr, so zu arbeiten,
es ist hart an der Grenze, es ist wie Aquaplaning, es gibt viele Möglichkeiten zu verunglücken“, sagt er lächelnd.
Hinter ihm lehnen Schiefertafeln an der
Wand, voll gezeichnet mit weisser und rosafarbener Kreide, Bouroullec mag beides, „die
Palette der Möglichkeiten in dieser Welt ist
gross, also muss man sie intelligent nutzen.
Ich habe einen schnellen Computer hier, aber
auch eine Tafel. Ich zeichne etwas, benutze
mein iPhone und schicke das Bild sofort an jemanden.“ Nur manchmal entzieht er sich dem
Rhythmus dieses effektiven Systems, dann
fährt er in sein Haus in der Bretagne.
„Süpersmall“ sei das, sagt er, wieder zeigt er
Fotos: „Es gibt kein Internet, aber es liegt direkt an der See, eine Hütte mit Blick auf das
Meer. Es ist kein freundlicher Ort, das Klima
ist rau. Ich bin gerne alleine dort, schwimme,
surfe. Es ist ein guter Platz, um nachzudenken
und zu zeichnen. Aber es ist keine Pause,
wenn ich zurückkehre, bin ich erschöpft.“ Auf
den Bildern ist sein Sekretär zu sehen, er steht
vor einer geöffneten Flügeltür und das wilde
Wasser glitzert im Hintergrund.
Ronan Bouroullec hat erst kürzlich auf Ebay
alte Holzschränke zu einem Schnäppchenpreis ersteigert, die er hat aufarbeiten lassen,
sie stehen jetzt in seinem Pariser Atelier. Er
drückt einen Anruf weg und gesteht: „Ich hätte gern eine Welt, die so wäre wie die Schränke, ohne Chichi. Das wollen wir ja hier, interessante Dinge schaffen, die lange, lange halten und die so gut sind, dass man weiter nicht
viel braucht.“
IN BESTER LAGE
Knospengleich:
gläserne Leuchten
von Maija Puoskari
(Salone Satellite)
NEUE MÖBEL
Einen Blick voraus
Von wegen Nostalgie!
Auf dem Mailänder Salone del Mobile gab es
In seinem Berliner Atelier scheint die Zeit
Esther Strerath hat für uns die spannendsten
stehen geblieben zu sein. Und dann auch
Wohn-Trends herausgesucht
wieder nicht. Der Schweizer Sattler
Daniel Heer pflegt eigenwillig ein uraltes
Handwerk: Er fertigt Rosshaarmatratzen – wie
sein Ur-, sein Gross- und sein Vater schon
Himmelbett modern:
„Letti“ von XAM
26
auf einer gestreiften Matratze, die sein Grossvater einst für ihn gefertigt und sein Vater
noch mal aufgearbeitet hat. Dies sei alle 25
Jahre nötig. Dann wird die Matratze geöffnet,
das Rosshaar von 43 Pferden, das sind etwa 50
Kilo, entnommen, aufgelockert, an die Luft
gelegt und am Abend wieder in die Matratze
gefüllt, die meist noch einen neuen Bezug erhält. „Die Matratze ist dann wieder wie neu,
das Haar behält seine Elastizität und Sprungkraft. Das ist die Investition“, erklärt Heer.
Einmal im Jahr sollte man die Matratze zudem in die Sonne stellen, sie regelmässig wenden und sie nicht klopfen, sondern bürsten.
Belohnt werde man dafür mit einem besonders gesunden Schlafklima, denn Rosshaar sei
atmungsaktiv, verfüge über eine hohe Feuchtigkeitsaufnahme und Luftzirkulation. Ausserdem sei das Naturmaterial antiseptisch und
selbstreinigend: Eine Rosshaarmatratze werde deshalb niemals muffig.
Vor allem aber sind Daniel Heers Matratzen
schön anzusehen. Längst sind Architekten,
Hotels und Concept Stores auf seine Produkte
aufmerksam geworden, die er bis nach New
York und Sydney verschickt. Seinen Kundenstamm beschreibt er als illuster, bekannte Persönlichkeiten schliefen auf seinen Matratzen.
Wer genau, das möchte der diskrete Handwerker dann aber doch nicht preisgeben. Das Bett
sei nun mal das privateste aller Möbelstücke.
Und doch läge ihm viel daran, die Matratze aus
dem Dunklen ans Licht zu holen. Sie nicht
länger unter Leintüchern zu verstecken. Das
Potenzial dafür haben seine Modelle allemal –
und dem würde gewiss auch Urgrossvater BeMira Wiesinger
nedikt zustimmen.
Spot on:
Leuchte „Focus“
von Antje Pesel
(Salone Satellite)
Kurvig & leicht:
„Pegasus“ von
NachwuchsDesigner Andrea
Borgognis
In memoriam: Cassina
gedenkt Le Corbusier mit
Skulpturen, die auch Tisch sein
können, von Jaime Hayon
Kein Farbklecks,
sondern eine Leuchte: von Lucidi di
Pevere für Foscarini
Angesagt sind Schränke auf
Augenhöhe: „Cabinet“ von XAM
Im Palazzo Litta zu sehen: Das
Besteck von Gae Aulenti (19292012) war Teil der Ausstellung
Design Memorabilia
Schräg schön: MiniRegal des Studios
„Nendo“ für Moroso
Marble-ous: „Greeny“ heisst
der neue Esstisch mit Marmorplatte von Bonaldo
Doppeldecker: ein Entwurf
von Jung-Designer Christoph Friedrich Wagner
Noch ein Brasilianer: Stuhl aus
Stahl von Waldick Jatobá
Das Rosshaar, sortiert nach den Farben Naturblond (etwas weicher) und Schwarz (etwas
elastischer), befindet sich zu Zöpfen verdreht
in Holzkisten auf einem Regal. Darüber aufgereiht stehen Garnrollen in vielen Farben. „Es
geht mir darum, das Material, das Produkt und
den Handwerker zu zeigen. Alles was Sie sehen, wird auch verwendet. Die alten Werkzeuge sind keine Dekoration“, so Herr Heer, der
sich 2012 nach einer Station in Kreuzberg in
der Rosa-Luxemburg-Strasse niederliess.
Doch warum fertigt ein junger Mann in Zeiten von Latex-, Kaltschaum- und hochtechnologisierten Vielzonen-Matratzen noch eine
aus Rosshaar? „Alles wird schneller und man
erfindet immer mehr Dinge, um Zeit zu sparen. Ich mache genau das Entgegengesetzte:
Ich investiere in Zeit“, sagt der Schweizer, der
selbst einige Jahre brauchte, bis er den Wert
des Familienhandwerks schätzen lernte.
Schon als Kind hatte er in der Werkstatt gespielt, mit 16 Jahren begann seine Lehre im elterlichen Betrieb in der Nähe von Luzern.
Doch er musste erst etwas Distanz gewinnen,
bis er sich 2007, zum 100-jährigen Jubiläum
der Familientradition, dazu entschloss, das Erbe in Berlin fortzuführen. Diese Zeit der, sagen wir mal: Besinnung, die er in Prag, Warschau, Wien und Berlin verbrachte, nennt er
seine Lehr- und Wanderjahre, neun an der
Zahl, von denen er bis heute zehre.
Vergleichsweise lang dauert es auch, bis eine
Rosshaarmatratze fertig ist. Fast vier Tage
braucht er für ein Standardmass von ein mal
zwei Metern. Rund 2093 Franken kostet das
Stück, das dann aber ein ganzes Leben halten
soll. Daniel Heer selbst schlafe noch immer
SEITE 27 UND 31: STUDIO POINTER; ISABEL ROTTIERS; CARLO LAVATORI; MONTAGE ICON
E
Es ist Inbegriff seines gesamten Tuns – das Porträt
des Urgrossvaters Benedikt. Man möchte meinen,
leicht ironisch und doch
wohlwollend blickt der
Mann von der Wand auf
das Schaffen seines Urenkels. Über den alten Werkzeugkisten seiner
Ahnen hat Daniel Heer das Gemälde aufgehängt – er hat es für diesen Zweck von einem
zeitgenössischen Berliner Maler anfertigen
lassen. „Es verbindet die Gegenwart mit der
Vergangenheit“, sagt der 37-Jährige, der besonderen Wert darauf legt, dass seine traditionelle Arbeit in einem modernen Kontext erscheint: Der helle Raum ist aufgeräumt und
klar strukturiert. Nichts wirkt nostalgisch
oder antiquiert.
Und man darf ihm auch dabei zuschauen, wie
er krauses Rosshaar Schicht um Schicht zwischen jeweils einer Lage Schurwolle und einer Lage Stoff stapelt. Wie er das Ganze von
rund 50 auf 15 Zentimeter zusammenschnürt;
wie er mit den Händen die runden Kanten der
Matratze modelliert und mit dem Sattlerstich
vernäht; wie er mit sogenannten Abheftern
aus demselben Garn des Bezugsstoffs das
Rosshaar fixiert. Nur eine bodentiefe Fensterscheibe trennt ihn dabei von den Passanten
auf der Strasse vor seinem Studio in BerlinMitte. Von hier aus kann man auch die fertigen Matratzen bewundern: klassische mit
sanften Pastellstreifen oder modern interpretierte in bunten Anzug-Wollstoffen, blauem
Denim oder sogar welche, die mit weichem
Hirschleder bezogen sind.
Kunst zu
Füssen:
Woll-SeidenTeppich von
Federico
Pepe für
CC-Tapis
DANIEL HEER (2)
Daniel Heer in seinem
Berliner Atelier und
Element. Im Hintergrund die Werkzeuge
des Urgrossvaters
Benedikt und auch
dessen wachsamer Blick
Luftballons – mundgeblasen aus Muranoglas.
Lüster von Emmanuel Babled
wieder Möbel-Neuheiten zu bestaunen.
Zierlich: Couchtisch von den
dänischen DesignGeschwistern Frier
& Frier
Ess- oder Arbeitstisch:
„In Vein“ aus Marmor, Metall
und mit LederschlaufenBeinen von Ben Storms
Made in Brasil: Stahlsessel aus der Kollektion
von Sammler Waldick
Jatobá
27
Weiche Liege: Daybed in MarmorOptik von Maurizio Galante und
Tal Lancman von Baleri Italia
Ganz oben
Statt Taschengeld und
Spielzeug bekam Matteo Thun
nur Ton. Er sollte selbst was
machen. Und was er dann alles
gemacht hat! Sven Michaelsen
hat den Designerstar befragt
Sie heissen Matthäus Antonius Maria Graf von
Thun und Hohenstein. Warum gaben Sie sich
den prosaischen Namen Matteo Thun?
Wenn Sie als Italiener Ihre Steuererklärung
machen, müssen Sie zig Formulare ausfüllen.
Ich war es irgendwann leid, jedes Mal diesen
ellenlangen Namen hinschreiben zu müssen.
ring-01-Stiften perfekte Zeichnungen anfertigten. Ich dagegen schmierte mit HB-Bleistiften rum, machte alles schmutzig und zweifelte dauernd an mir . Nichtsdestotrotz gelang es
mir, für Ettore die meistkopierte Menage der
Moderne zu zeichnen, die jahrelang der grösste Umsatzbringer von Alessi war.
Sie sind auf zwei Schlössern in Bozen aufgewachsen und sagen: „Es gibt nichts Grauenhafteres, als in einem Schloss zu leben.“
Es ist nahezu unmöglich, Schlösser zu heizen,
und mit dem Komfort in Bad und Küche steht
es auch nicht zum Besten. Meine Mutter verbot mir, am Boden zu spielen, weil der Marmor auch im Sommer eiskalt war. Aber welches Kind spielt schon gern an einem Tisch?
Hat Sottsass sofort erkannt, dass da jemand die
Gabe des guten Auges hatte?
Wenn er dieser Meinung war, hätte er es nie
gesagt. Er kam auch nie auf die Idee, mich anzustellen, weil er als radikaler Kommunist aus
Prinzip niemanden bezahlen wollte. Ich arbeitete zweieinhalb Jahre gratis für ihn und
bekam oft verbale Prügel. Auch die Arbeitsbedingungen waren nicht die besten. Wir hatten
keine Sekretärin, keine Fotokopierer, und
wenn ich zu Alberto Alessi fuhr, um mit ihm
über meinen Öltropfenrücklaufmechanismus
zu sprechen, musste ich das Benzin und die
Fotokopien selber bezahlen.
Später besuchten Sie eine Klosterschule des
Franziskanerordens. Wie ging es dort zu?
Es herrschten strengste Disziplin und katholische Starrköpfigkeit. Eine lebende Fremdsprache zu lernen war verboten. Nur Esperanto und Stenografie waren erlaubt. Jeden Morgen um sieben war Messe, und am Anfang und
am Ende jeder Schulstunde wurde gebetet.
Auch bei uns zu Hause herrschte mönchische
Askese. Ich bekam kein Spielzeug geschenkt,
sondern Ton. Mit ihm sollte ich mir meine
Spielzeuge selber machen. Taschengeld gab es
auch nicht. Jede Lira wurde in die Keramikwerkstatt meiner Eltern investiert.
Ursprünglich wollten Sie Maler werden und
waren Schüler von Oskar Kokoschka an der
Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg. War das eine prägende Erfahrung?
Kokoschka war schon sehr alt und interessierte sich hauptsächlich für seine Frau Inge, eine
fantastische blonde Deutsche. Wir Schüler
zeichneten Akte und Porträts. Meine Karriere
als Maler endete, als wir die Opernsängerin
Anneliese Rothenberger porträtieren sollten.
Sie stand uns 20 Minuten lang Modell und war
sehr von sich eingenommen. Als sie mein Bild
sah, war sie entsetzt und behandelte mich mit
Eiseskälte. Ich hatte ihre Pupillen falsch gesetzt, sie schielte. Von diesem Moment an war
ich an der Akademie verloren.
Der Kreative: Matteo Thun hat als „Memphis“-Mitglied auch
die Teekanne der „Rara Avis“-Kollektion entworfen (1982)
28
1978 begann Ihre Zusammenarbeit mit dem 35
Jahre älteren Design-Avantgardisten Ettore
Sottsass, der mit seiner leuchtend roten
Schreibmaschine für Olivetti zu Weltruhm gelangt war. Wie haben Sie ihn kennengelernt?
Er hielt einen Gastvortrag, als ich in Los Angeles Architektur studierte. Er war ein unnahbares Idol, ein Mythos, der es ablehnte, zu unterrichten und Schüler zu haben. Vor seinem
Rückflug nach Italien wollte er das Grab von
Marilyn Monroe sehen. Ich fuhr ihn hin und
besorgte ihm an einer Tankstelle eine Rose für
das Grab der Monroe. Während der Fahrt
konnte ich ein bisschen an ihn rankommen.
Als wir uns am Flughafen verabschiedeten,
sagte er, ich solle ihn besuchen, wenn ich mal
nach Mailand käme. Ich spürte aber, dass das
bloss eine Höflichkeitsfloskel war.
Dennoch standen Sie wenig später vor seiner
Bürotür.
Er tat zumindest so, als würde er sich an mich
erinnern und überliess mir eine Arbeit, zu der
er gerade keine Lust hatte. Ich sollte für eine
damals unbekannte Firma namens Alessi eine
Menage für Essig, Öl, Salz und Pfeffer entwerfen. Als Architekt war ich ein Anfänger, und
von Design hatte ich auch keine Ahnung. Ich
war der Spott der Profis, die mit ihren Rot-
Der tonangebende Designer jener Zeit war
Dieter Rams mit seinen Entwürfen für Braun.
Über einen seiner berühmtesten spotteten Sie:
„Meine emotionale Bindung zu einem BraunWecker ist ähnlich einer, die ich zu einer toten
grauen Maus haben würde, die mich jeden
Morgen um 6.45 Uhr aus dem Schlaf schreckt.“
Ende der Siebziger herrschten überall das
Bauhaus und die Ulmer Schule. Alles war
mausgrau, ein steriler Funktionalismus ohne
Lebensfreude und Witz. Das hat bei Sottsass
und mir zu einer explosiven Proteststimmung
geführt. Wir waren stinkwütend, dass uns niemand das machen liess, was wir machen wollten. Die Zeit war reif für ein Erdbeben. Eines
Tages sagte Sottsass: „Ich habe es satt! Ab jetzt
geben wir uns selbst Aufträge.“ In der Praxis
sah das so aus, dass ich tagsüber Haartrockner
für Wella zeichnete und nachts an eigenen
Projekten arbeitete, für die ich in Vorkasse
treten musste. Die Nächte endeten mit Rotweinschlachten und weinenden Frauen. Nach
Mitternacht beschimpfte Sottsass unsere
Frauen als dumme Kühe, weil sie uns Männer
von der Arbeit abhalten würden. Zu mir sagte
er: „Wenn du heiratest, ist es aus mit uns! Entweder gehörst du zu mir und der gemeinsamen Sache, oder du gehst!“
Die Entwürfe, die nachts in Sottsass’ Büro entstanden, wurden unter dem Namen Memphis
weltberühmt. Wie kam eine Gruppe italienischer Designer darauf, sich ausgerechnet nach
einer Stadt in Tennessee zu nennen?
Das hat mit einer Schallplatte zu tun, die einen Kratzer hatte. Sottsass hatte an jenem
Abend Bob Dylan aufgelegt, und es wurde jede Menge Rotwein getrunken. Trotzdem kam
keiner von uns auf eine zündende Namensidee. Als die Platte bei der Zeile „With the
Memphis blues again“ hängenblieb, notierte
Sottsass ganz einfach das Wort „Memphis“.
1981 besuchte Sie Karl Lagerfeld in Mailand.
Wie reagierte er auf Memphis?
Er hatte von uns gelesen und wollte sich aus
Neugier ein paar Objekte ansehen, mehr
nicht. Ich tat total gelassen, aber in Wahrheit
schlotterten mir die Knie. Wir waren vollkommen pleite, weil wir die Sachen selbst finanziert hatten. Während des Rundgangs
blieb Lagerfeld stehen und fragte: „Soll ich etwas kaufen?“ Mit dem Mut der Verzweiflung
antwortete ich: „Karl, kaufen Sie doch einfach
alles.“ Er sagte: „Gut, schicken Sie mir die Sachen nach Monte Carlo.“ Viele Jahre später
hat er die Objekte mit gutem Gewinn wieder
verkauft.
Sie blicken mit gemischten Gefühlen auf Memphis zurück. Warum?
Ich sagte zu Sottsass, nach ein, zwei Jahren
müsse Schluss mit Memphis sein. Aber er
liess sich durch den unglaublichen Erfolg
verführen und machte weiter. Eine Schockwirkung kann aber nie von Dauer sein. Der
Futurist Filippo Tommaso Marinetti schrieb
mal, ein Rennwagen sei schöner als die Nike
von Samothrake. So ein Satz kann im richtigen historischen Moment für kurze Zeit zu
produktiven Gedanken führen, aber dann
muss man ihn mit der nötigen Distanz betrachten. 2014 zu schreiben, ein Ferrari sei
schöner als eine Symphonie von Beethoven,
wäre dämlich.
1990 unterschrieben Sie einen Vertrag mit der
Uhrenfirma Swatch. Deren Produkte galten
damals bei Trendjüngern als hot shit.
Ich war dort drei Jahre lang Kreativdirektor
für die Kollektionen und neun Jahre für das
Design der Läden verantwortlich. Als ich
kam, wurden acht Millionen Uhren im Jahr
verkauft, als ich ging, 24 Millionen. Für den
damaligen Eigentümer war eine Swatch eine
Uhr, und Uhren verkauft man in Juweliergeschäften und Kaufhäusern. Für mich dagegen war eine Swatch eine Lifestyle-Deklaration, mit der man nebenbei auch noch die
Zeit ablesen konnte. Deshalb wollte ich unsere Uhren in eigenen Läden verkaufen und in
die Segmente Basic, Classic und Fashion unterteilen. Den ersten Swatch-Laden liessen
wir heimlich an einer Tankstelle in Bellinzo-
FRANCESCA LOTTI; MATTEO THUN & PARTNERS (2)
INTERVIEW
Ich bin allergisch
gegen alles, was ich
selbst gestaltet habe
na bauen. Nach dieser Initialzündung ging es
rasant aufwärts. Allein 1995 eröffneten wir
weltweit mehrere Tausend Läden.
Welche Lehre haben Sie aus Ihren SwatchJahren gezogen?
Mein Chef war der Swatch-Erfinder Ernst
Thomke. Als ich eine Swatch aus Metall entwickeln sollte, landete ich nach einem Jahr
harter Arbeit immer noch beim Vierfachen
des vorgegebenen Herstellungspreises. Als
ich Thomke um seine Hilfe bat, schimpfte er,
ich hätte keine Ahnung von Technik. Es gebe
da einen Mann, der ein Pulver bei 800 Grad
zu etwas werden lasse, das wie Metall ausschaue. So ist die Swatch-Irony entstanden,
bis heute der Umsatzbringer des Unternehmens. Für mich war diese Erfahrung ein unvergesslicher Tritt in den Hintern. Ich hatte
ein Jahr lang an einer falschen Strategie gearbeitet, weil ich mich nicht für technische
Innovationen interessiert hatte, in diesem
Fall für den Sinterprozess. Das ist mir in meinem Leben nie wieder passiert.
Warum blicken Sie auch auf Ihre Zeit bei
Swatch mit gemischten Gefühlen zurück?
Ich habe Tonnen von Plastikuhren auf dem
Gewissen, und wie Ihnen jeder Ökologe erklären kann, hat Plastik nun mal diese verdammte Endgültigkeit. Im Nachhinein finde ich es
falsch, Kunststoffobjekte zu einem WegwerfGadget gemacht zu haben. Ich war geblendet
von der Vision, Millionen von Menschen für
50 D-Mark eine Identität geben zu können.
Haben Sie je Swatch-Uhren getragen?
Nein. Sie sind sehr laut. Das ist ihr grosser Makel. Ich trage eine Uhr, die ich vor gut zehn
Jahren entworfen habe. Sie ist ein No-LogoStatement, weil das Ziffernblatt vollkommen
leer ist. Diese Uhr ist für mich ein wahres Designobjekt, weil es keine Auskunft darüber
gibt, wann und von wem es gestaltet wurde.
Und vor allem ist diese Uhr kein Statussymbol.
Der Architekt Rem Koolhaas sagt, er habe noch
nie in einem Haus gewohnt, das jünger war als
hundert Jahre.
Das ist bei mir genauso.
Warum ziehen Architekten Altbauten ihren eigenen Kreationen vor?
Die Patina alter Gebäude hat eine sensorische
Qualität, die etwas Neues nicht haben kann.
Das gilt für Optik, Haptik und Geruch.
Warum altert nichts schneller als Design?
Es stimmt, die Welt ist voller Designkadaver.
Aber nur schlechtes Design erscheint uns
schon morgen als hässlich. Ein Objekt sollte
ästhetische Durabilität und Nachhaltigkeit besitzen und dazu gehört es, den Zeitgeist auf
ein Minimum zu reduzieren. Ihn komplett zu
ignorieren ist nahezu unmöglich.
Ihr weltberühmter Kollege Koolhaas klagt: „Als
Architekt wird man nicht reich. Norman Foster
vielleicht und Frank Gehry, aber nicht ich. Wir
Architekten arbeiten wie in einer mittelalterlichen Gilde. Wir bekommen einen kleinen Prozentsatz von der Bausumme. Und der bleibt
gleich, egal wie bekannt man ist.“
Perfekt ausgedrückt. Das kann ich nur unterschreiben. Die Tarife für Architekten sind ein
Hungerlohn. Zu Geld kommen nur jene Kollegen, die einmal eine Formel entwickeln und
sie dann viele Jahre lang wiederholen. Diese
Bauten haben einen phänomenalen Wiedererkennungswert, weil sie alle gleich aussehen.
Umgekehrt gibt es Architekten wie Koolhaas
oder Herzog & de Meuron, die bei jedem neuen Projekt von vorne beginnen und sich fragen: In welchem Klima baue ich? Wie ist der
Genius loci, und welchen Einfluss sollte die
Seele des Ortes auf die Formgebung haben?
Für diesen höchst bedeutsamen Teil der Arbeit gibt es leider keinen Cent Honorar.
Warum gestalten Sie nichts lieber als Bestecke
und Klos?
Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit
der Geschichte der Toilette. Die Nahrungsaufnahme und -abgabe sind anthropologisch die
wichtigste Funktion einer Behausung, und es
gibt nichts Intimeres als Defäkation und Essen. Gabel und Löffel stecken Sie in den Mund.
Die Form dieser Gegenstände muss lippen-,
finger- und speisengerecht sein, deshalb ist
der Spielraum bei der Gestaltung minimal–
eine höchst spannende Aufgabe!
Das japanische Unternehmen Toto setzt mit
Hightech-Toiletten 25 Milliarden Euro im Jahr
um. Die Modelle haben beheizbare Klobrillen,
Bidet- und Massagefunktionen, Warmluftgebläse, Raumdeodorierer und eingebaute MP3Player, die die Verdauungsgeräusche mit selbstgewählter Musik übertönen. Einige Modelle
leuchten sogar im Dunkeln. Sitzen Sie gern auf
diesen Toiletten?
Mein Hinterteil braucht kein Licht und muss
auch nicht erwärmt werden. Die meisten Attribute von Toto-Toiletten sind bloss Gimmicks, nutzloser Schnickschnack. Ich sage
das, weil ich das Dusch-WC für ein zentrales
Thema halte. Es säubert gründlich, ist hygienisch und benötigt kein Papier. Wir haben gerade ein Modell entworfen, das intuitives Bedienen ermöglicht. Das Design ist so einfach
wie möglich, die Technik bleibt verborgen.
„Ethik ist genauso wichtig wie Ästhetik“, lautet
ein Credo von Ihnen. Kann Formgebung unser
Verhalten positiv beeinflussen?
Ja, und ich nenne Ihnen ein Beispiel. Italiener
kennen kein Frühstück wie Nordländer. Sie gehen
in eine Bar und
trinken stehend
einen Espresso.
An den EspressoMaschinen arbeiten hochbezahlte
Superprofis, die
einem enormen
Druck ausgesetzt
sind. Dieser Druck
führt dazu, dass es
keine Höflichkeit
mehr gibt. Einen
Während seiner Zeit als Art Director bei Swatch
Espresso zu trinentwarf Thun eine Weihnachtsuhr (1992)
ken sollte aber ein
Ritual sein, ein zelebrierter Genussmoment. Stattdessen wird einem die Tasse auf die Untertasse
geknallt. Um höflich bedient zu werden, habe
ich für Illy eine Untertasse entwickelt, die in
der Mitte nicht wie üblich eine Kuhle hat, sondern ein Höckerchen. Diese kleine Empore
zwingt den Barista dazu, mir meinen Espresso
mit einer höflichen Bewegung auf die Untertasse zu stellen.
Gibt es noch Objekte, die dringend einer neuen
Form bedürfen?
Nein. Ich bezweifle auch seit Jahren, ob ein
Design-Festival wie die Mailänder Möbelmesse noch sinnvoll ist. Die meisten der dort gezeigten Produkte fügen dem Vorhandenen
nichts hinzu. Ich finde es zum Beispiel unnötig, einen neuen Stuhl zu produzieren. Bei
diesem Produkt gibt es kaum technische Innovation, und die Formgebung scheint mir
auch ausgereizt. Die Stühle aus dem ligurischen Fischerdorf Chiavari, Chiavarina genannt, erfüllen alle meine Wünsche.
Leben Sie mit Thun-Objekten?
Nein. Ich bin allergisch gegen alles, was ich
selber gestaltet habe, vielleicht weil bei mir
unglücklicherweise etwas von der Askese der
Franziskaner hängengeblieben ist. Mein Lehrmeister Sottsass hat es genauso gehalten. Er
lebte in einen kleinen Wohnung mit weissen
Wänden und schlief auf einer am Boden liegenden Matratze – und er war immerhin der
bekannteste Designer des 20. Jahrhunderts.
Sind Peinlichkeiten unter Ihren Entwürfen?
3
Mir klappen stets die Fussnägel hoch,
29
Sitzlieblinge
Sie hatten mal ein Büro in Riad. Warum haben
Sie es wieder geschlossen?
Weil ich meine Kunden
nie verstanden habe. Beduinen denken anders,
und ihr auf dem Prinzip
Inschallah
beruhendes
Zeitverständnis liegt mir
auf Effizienz getrimmten
Zentraleuropäer nicht. Im
arabischen Raum ist die
Zeitachse ein Gummiband, und es ist sehr
schwer, im dortigen Architekturgeschmack einen
roten Faden zu finden. Das
Einzige, was momentan
gut ankommt, ist Greenwashing, verlogene Ökologie. Man hängt sich
ein grünes Mäntelchen um, damit die Sünden
nicht sofort ins Auge springen.
del Mobile, lassen wir es ruhig angehen. Gern
im Sitzen, auf neuesten Sofas und Sesseln.
Esther Strerath fand gemütliche Beispiele
Sie haben 1995 aufgehört, Ihre Entwürfe zu signieren. Warum?
Ich bin kein Freund des Autorendesigns und
der Autorenarchitektur. Ich mag auch keine
Marken. Wenn auf Schuhen ein Logo prangt,
ziehe ich sie nicht an. Startum und grosse
Egos sollten wir Popmusikern und Hollywood-Schauspielern überlassen. Ich glaube,
dass wir einen fundamentalen Paradigmenwechsel erleben.
Für mich war der
11.
September
auch das endgültige Aus für einen bestimmten
Konsumhabitus.
Heute zählt für
mich nicht mehr
Besitz, sondern
mentaler Wohlstand. Ich habe
in Mailand ein
riesiges Archiv
mit meinen Arbeiten. Vor KurRegal oder Raumteiler: „Libreria Carlton“ ist
zem habe ich
ein Entwurf von Ettore Sottsass (1981)
Hunderte
von
Objekten an meine Mitarbeiter
verschenkt. Den
Rest habe ich mit mehreren Lastwagen auf eine Müllkippe bringen lassen. Mich von meinen Arbeiten zu verabschieden, hat mir den
Kopf für Neues frei gemacht.
30
Der bekannteste lebende Designer ist Philippe
Starck. Wie erklären Sie einem Laien den Unterschied zwischen Ihnen beiden?
Privat sind wir gute Freunde, aber in unserem
Beruf verkörpern wir das extremste Gegen-
teil, das sich denken lässt. Philippe macht
Lifestyle-Design, bei dem man auch im Dunklen erkennt, dass es von ihm ist. Ob Stuhl,
Lampe oder Haus, die Starck-Zeichen springen einen in der ersten Sekunde ins Auge. Ich
dagegen mache etwas, das man Zero-Design
nennen könnte. Meine Gestaltung beginnt mit
Vereinfachung, mit der Wegnahme von allem
Überflüssigen und der Suche nach dem ikonischen Archetyp. Für mich ist die Reduktion
auf das Wesentliche die komplexeste Kunst
der Formgebung. Einfachheit ist Wissen plus
sehr viel Arbeit.
Zukunftsmusik: Noch ist das
Sofa „Giubba“ ein Prototyp
von Andrea Borgogni
Cooles Design
aus Tschechien:
Schreibtisch von Lucie
Koldová für Křehký
Zu den Erfahrungen von Reisenden gehört es,
dass man selbst in gehobenen Hotels mit absurden Planungs- und Einrichtungssünden konfrontiert wird. Wie erklären Sie das?
Ich schlafe über hundert Nächte im Jahr in
Hotels, ich weiss, wovon Sie sprechen. Im Badezimmerspiegel sieht man wegen der ungünstigen Beleuchtung aus wie Nosferatu,
man weiss nie wohin mit den Hygieneutensilien, und um zu verstehen, wie die Dusche
funktioniert, müsste man eine ausführliche
Diagonale als Holzrelief: Sideboard von
Emmanuel Babled
Die bedeutendste ästhetische Revolution der
letzten 20 Jahre stammt von dem britischen
Apple-Designer Jonathan Ive. Werden wir es
bald satthaben, mit einem iPhone zu telefonieren, weil der Mensch neben uns ebenfalls mit
einem iPhone telefoniert?
Das Problem des iPhones ist nicht der fehlende Distinktionsgewinn. In Fernost erleben
Sie, dass Produkte von Samsung vorherrschen. Der Grund ist das bessere Preis-Leistungs-Verhältnis. Deshalb beherrscht Samsung in Fernost den Markt. Apple zeigt bei der
Preisgestaltung und Distribution eine unglaubliche Überheblichkeit.
Warum benutzen Sie ein iPhone?
Es bedeutet mir nichts. Mit einem Billigtelefon könnte ich genauso gut auskommen. Mein
Telefon liegt auf dem Tisch meiner Assistentin. Ich habe mir vor vielen Jahren eine neue
Nummer geben lassen und führe nur noch
durchschnittlich vier Telefongespräche am
Tag. Dass ich überhaupt noch ein Handy habe,
hat nur zwei Gründe: Ich will mit meiner Familie in Kontakt treten können und bei einem
Unfall Hilfe rufen können.
Warum zieht es immer mehr Star-Architekten
in ferne Länder?
Weil Europa im grossen und ganzen fertig gebaut ist. Das Problem ist das unglaubliche
Tempo, mit dem in Ländern wie China gebaut
wird. Dieses Tempo geht auf Kosten der Detailqualität, und die ist am Ende entscheidend
für die ästhetische und technische Durabilität.
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Bugholz(sofa) auf Kuschelkurs: „2002“ ist ein
Entwurf von Christian Wagner für Thonet
Und er kann auch WC: Für Axent entwarf
Thun das „One Shower WC“ (2015)
Unterweisung erhalten. Schon der normale
Hausverstand müsste einem Planer sagen,
dass der Gast nicht erst seine Brille aufsetzen
möchte, um herauszufinden, wie man die
Wassertemperatur einstellt. Das Schlimmste
sind die Lichtanlagen. Wenn man abends im
Bett das Licht ausmachen möchte, muss man
noch mal eine Runde durchs Zimmer drehen,
um auch den letzten Lichtschalter zu finden.
Ihr Rat an Kollegen?
Die Lehre von Sottsass ist: massima semplicità, so einfach wie möglich. Ettores Einfachheit war seine Genialität. Die echten Genies
waren immer einfach.
MATTHEO THUN (2); AKG-IMAGES/CDA/GUILLOT; STUDIO AZZURRO, COURTESY OF MEMPHIS
3 wenn mir etwas begegnet, das ich gestaltet habe. Betrete ich ein gerade eröffnetes Hotel von mir, sehe ich mindestens ein Dutzend
für mich schwerwiegende Fehler. Weil die
aber offenbar keinem anderen auffallen, verschwinden meine Depressionen wieder, und
ich denke, vielleicht ist dieses Hotel ja doch einigermassen akzeptabel.
FÜR EINEN GUTEN TAG.
Nach den hektischen Tagen auf dem Salone
„Soll ich etwas
kaufen?“, fragte
Karl Lagerfeld
Die Memphis-Gruppe im Jahr 1981 (oben): Matteo Thun (liegt rechts unten)
umringt von Design-Kollegen wie auch Ettore Sottsass (rechts oben)
Sieht aus wie ein
Ohrring: Hängesessel von Lee Broom
Anzeige
MÖBELTRENDS 2015
China könnte ein ähnliches Schicksal erleben
wie Dubai, das in 20 Jahren eine Ghost Town
sein wird. Diese Stadt ist das grösste Umweltfiasko, das der Mensch je zustande gebracht
hat. Das Szenario des Films „Blade Runner“
wird man in ein oder zwei Generationen in
Dubai ähnlich erleben. Meine Kinder werden
ihre Kinder dorthin führen, um ihnen zu zeigen, wie verrückt ihre Grosseltern waren.
Knirps ohne Kabel:
Tischleuchte
„Battery“ von
Kartell
Alle Fünfe:
kesser Couchtisch mit vier
Hockern-Kombination von
Cappellini
Für draussen: Das wasserabweisende
Modell „Butterfly“ hat Patricia Urquiola
für B&B Italia entworfen
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32
33
VOR DEM
KUNSTWERK
„SEAFOAM“ VON
ANTONIO MENA
TRÄGT KIM EIN
TOP VON
VERSACE.
HOSE: TOM
FORD
VOR DER GRAFFITI-WAND
VON FLORÉ & WESTGARD TRÄGT
KIM EINEN MANTEL VON BARBARA
BUI. TOP (GEKNOTETES SEIDENCARRÉ): HERMÈS. ROCK:
TALBOT&RUNHOF. GÜRTEL:
CHANEL. SCHUHE: CHRISTIAN
LOUBOUTIN. RING (LINKE HAND):
MARCIA GROSTEIN. DAS „DISCO
PIG“ AN DER LEINE IST EIN KUNSTWERK VON RÖ BARRAGAN
BESTICKTE JACKE UND ARMREIF: CHANEL.
LEDERKLEID: TOD’S. SCHUHE: CHRISTIAN
LOUBOUTIN. CLUTCH: EMM KUO.
RING: MARCIA GROSTEIN. KUNSTWERK IM
HINTERGRUND: VON MXYTSPLYK
37
AUF DEM FAHRENDEN KUNSTWERK
„LADY BUG“ VON
YARROW MAZZETTI
TRÄGT KIM EIN SEIDENKLEID VON
MAISON MARTIN
MARGIELA. DARÜBER:
TOP VON TIBI. ROCK
UND STIEFEL: MAX
MARA. LEDERJACKE:
BELSTAFF. RINGE:
KÜNSTLERSCHMUCK
DER NEW YORKERIN
MARCIA GROSTEIN.
DIE TYPEN DANEBEN
TRAGEN IHRE EIGENEN KLAMOTTEN
VOR DEM WOHNWAGEN IN
WYNWOOD, EIN KUNSTOBJEKT VON KENNY SCHARF,
TRÄGT KIM EINEN MANTEL
VON DRIES VAN
NOTEN. BLUSE: HUGO BOSS.
PULLUNDER: PRADA.
ROCK: MICHAEL KORS.
SCHUHE: MIU MIU.
TASCHE: MULBERRY.
RING: BELGISCHES SCHMUCKDUO WOUTERS & HENDRIX
KIM VERSTECKT SICH
IN EINEM KUNSTWERK NAMENS ASIAN HEAD VON
JAMES MATHISON. WESTE
VON TORY BURCH.
KAPUZENPULLOVER:
BOTTEGA VENETA.
HOSE: BRUNELLO CUCINELLI.
SCHUHE: PAUL SMITH
41
42
VOR DER COLLECTION PRIVÉE GALLERY: JEANSWESTE VON CLOSED.
BLUSE: GIORGIO ARMANI. SHORTS: TOMMY HILFIGER.
WEDGES: SALVATORE FERRAGAMO. CLUTCH: EMM KUO
RECHTE SEITE: IM POP-UP RESTAURANT „THE ANNEX“ TRÄGT KIM
EINEN LEDERMANTEL VON CHRISTIAN DIOR. TÜLLKLEID: ANTONIO
MARRAS. KOPFSCHMUCK: MARCIA GROSTEIN
43
L
unchtermin mit den Geschwistern Caroline und
Karl-Friedrich Scheufele,
und dann das: Statt vermutetem Ausblick auf den
schönen Genfer See mit
seiner einhundertvierzig
Meter hohen Fontäne, ein Industriegebiet vor
den Toren der Stadt. Chopard residiert unscheinbar. Der Luxus verbirgt sich im Inneren.
Die Haute Joaillerie, die zu den Oscars getragen
wird, hier entsteht sie. Geschmeide, oftmals Einzelstücke, die allesamt von Caroline Scheufele
entworfen werden. Die Uhren, die vor allem
Männer in Aufregung versetzen, entstehen unweit des Hauptquartiers in Fleurier, im Kanton
Jura, in der Werkstatt von Bruder Karl-Friedrich.
Die Scheufeles stammen ursprünglich aus
Pforzheim, inzwischen führen die Geschwister
das Unternehmen Chopard, das ihr Vater Karl
Scheufele 1963 von Paul André Chopard kaufte.
Beide sind Persönlichkeiten mit ganz eigenem
Format: Sie, die Kinobegeisterte, engagiert sich
beim Filmfestival in Cannes. Er, der Oldtimer
Afficionado, hat die Mille Miglia entstaubt und
zum Event erhoben. Mit der „Green Carpet Initiative“ engagiert sich das Unternehmen zudem
auch ökologisch.
Ohrring von Chopard aus der Kollektion
„Golden Diamonds“ aus dem Jahr 2002
FAMILIENBAND
„Juwelen dürfen nicht im
Tresor verschwinden“
Ihre Firma Chopard steht für Glamour und Luxus. Die Geschwister
Scheufele sind dabei stets bodenständig geblieben. Eine gute Mischung,
44
stellte Andreas Tölke bei einem Mittagessen in Genf fest
MONTAGE: ICON; CHOPARD (7)
Lassen Sie uns mit Ihrer Green Carpet Initiative
einsteigen.
Karl-Friedrich Scheufele: Es ging 2010 los mit
dem 150-jährigen Bestehen von Chopard. Caroline hatte die Idee, 150 Tiere zu entwerfen und
ich schlug ihr vor, sich mit dem World Wildlife
Fund zusammenzutun.
Caroline Scheufele: Der WWF mochte die Idee,
wollte aber genau wissen, wie wir in Sachen
Nachhaltigkeit aufgestellt sind und zwar bis hin
zur Frage, was wir mit unserem Müll in China
machen.
Nachhaltig zu produzieren, wird bei Firmen oft
noch als unbequeme Anforderung der Marketingabteilung empfunden.
KFS: Wir haben uns zertifizieren lassen, nicht
nur als notwendiger Schritt für die Kooperation, sondern als ganz persönliches Anliegen.
Selbst das Gebäude, in dem wir sitzen, entspricht dem höchsten ökologischen Standard
der Schweiz.
Vom Firmenjubiläum mit einer WWF-Kooperation zu einer Haute Joaillerie-Linie mit fair gehandeltem Gold ist es ein ziemlicher Schritt.
CS: Als Colin Firth den Oscar für den Film „The
Kings Speech“ bekam, lernte ich seine Frau Livia und ihr Projekt „Eco Age“ kennen. Livia ist
sehr engagiert und hat mich gefragt, woher wir
unser Gold beziehen. Da hat es bei mir klick gemacht und mittlerweile arbeiten Livia und ich
eng zusammen.
Warum ist es so schwierig, fair produziertes Gold
zu beziehen?
CS: Bei Diamanten gibt es zu jedem Stein eine
Dokumentation. Der Goldmarkt hingegen ist
wenig transparent. Darüber muss man sich
aber erst einmal im Klaren sein. Durch Livia
habe ich von der „Alliance for Responsible Mining“ erfahren, die Minen zertifiziert, deren
Gold nachhaltig abgebaut wird und in denen
Arbeiter fair bezahlt werden. Über sie beziehen wir nun unser Gold.
Fragen Kunden explizit nach Preziosen aus solchem Handel?
CS: Gerade Schauspielerinnen sind sehr sensibilisiert für das Thema. Als ich Cate Blanchett
erzählte, woher das Gold und die Steine stammen, sagte sie: „Ich schaue mir die anderen Stücke gar nicht mehr an, ich nehme die!“ Sie trug
zur Golden Globe-Verleihung 2014 Ohrringe aus
der Green Carpet Collection.
Das führt zu der obligatorischen Frage, was für
Sie Luxus ist? Und bitte nicht die Standardantwort: Zeit.
CS: Die haben wir ja eh nicht. Für mich ist der
grösste Luxus, das zu tun was ich gern tue. Ein
anderer Luxus ist es, in der Schweiz zu leben,
wo die Welt mehr oder weniger in Ordnung ist.
Ich bin sieben Monate im Jahr unterwegs, immer wenn der Flieger hier landet, bin ich dankbar für die frische Luft und die schöne Natur.
KFS: Für mich ist Luxus, Dinge so perfekt herstellen zu können, wie ich sie mir vorstelle. Und
das Leben nach den eigenen Vorstellungen gestalten zu können. Im Beruf und auch sonst.
Die Geschwister Karl-Friedrich und Caroline
Scheufele sind beide Präsidenten bei Chopard
Ist Ihr Perfektionsanspruch Familientradition?
KFS: Er ist gewachsen.
Das heisst, Sie waren früher „schlamperter“?
KFS (lacht): Schlamperter war ich nie. Obwohl
– das kann ich auch sein. Wenn Sie mein Büro
sehen würden... Grundsätzlich ist mit dem Wissen, das ich heute habe, mein Anspruch gestiegen. Als junger Mann kann man das alles noch
nicht beherrschen.
Mit zwanzig Jahren in die Firma, als Hobby die
„Mille Miglia“, ein Weingut, Geschäfte, die eigenen Weine anbieten, ein Hotel in Paris. Hat Ihr
Tag mehr Stunden als meiner?
KFS: Natürlich nicht. Aber der Reihe nach: Wir
hatten gar keine Ambition, in die Hotellerie
einzusteigen. Doch die Adresse „Place
Vendôme Nummer Eins“ gibt es weltweit nur
einmal. Und der Erhalt dieser Adresse und damit des Geschäfts, war nur über den Kauf des
Hotels zu realisieren. Die Leidenschaft für
Wein hat sich mit der Zeit entwickelt. Den
Weinhandel gibt es seit zwanzig Jahren, mittlerweile mit drei Geschäften. Und der rote Faden zieht sich dort weiter: Wir krempeln unser
Weingut gerade um, weil wir in Bio-Qualität
produzieren wollen.
Auf der Mille Miglia donnern spritfressende Boliden durch die italienische Landschaft – wie
passt das zusammen?
KFS: Salopp gesagt: die paar Autos, das ist egal.
Ausserdem sind wir Teil eines Co2-Kompensationsprogramms. Für mich ist die Mille Miglia
vielmehr ein kultureller Event. Das ist ein Museum auf Rädern.
Wie begleitet Ihr Vater die Eskapaden seiner
Kinder?
CS: Von ihm haben wir das ja! Unser Vater hat
sich gerade einen Bulli gekauft. Mein Vater im
VW Bus...
KFS: ... der davon träumt, mit der ganzen Familie eine Tour zu machen.
Da entstehen Bilder im Kopf: ein Hippie-Bus, Jimi Hendrix und Haschisch... Sind Sie eigentlich
3
jemals zu Drogen befragt worden?
Blümchen-Anhänger aus der aktuellen
Kollektion „Happy Diamonds“
Die Uhr „L.U.C.
XPS Fairmined“ ist
aus nachhaltig
hergestelltem
Gold gefertigt
45
BLÜTENSCHMUCK
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Es scheint nach all den Jahren ja noch sehr harmonisch zwischen Ihnen zu sein.
CS: (lacht) Wir sind ja auch nicht verheiratet.
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A. E
Und wenn Sie sich mal in die Wolle kriegen?
CS: Natürlich streiten wir. Wir sind ja nicht
langweilig, sondern kreativ. Aber auf den grossen Linien sind wir immer einer Meinung.
Gestern hatte er schlechte Laune, dann lasse
ich ihn machen, bis er wieder gute Laune hat.
KFS: Ich gehe mit den Hunden und danach reden wir weiter.
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Ohr
Haben Sie mal Ladenhüter produziert?
KFS: Natürlich. Aber wenn man es mal über
die Jahre betrachtet, ist das die absolute Ausnahme. Die uns aber trotzdem sehr ärgert. Es
gibt Schmuckstücke, die man zwei, drei Jahre
nicht verkauft und plötzlich kommt der Kunde, der gerade dieses Stück liebt. Wir haben es
mit Träumen und Leidenschaft zu tun. Es ist
nicht die Zahnpasta, die man leicht lila färbt,
weil die Marketinganalyse ergeben hat, lila sei
grad die Farbe schlechthin.
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Kennen Sie so etwas wie Existenzangst?
KFS: Es gibt zum Glück keinen Druck von aussen, aber ich wünsche mir, dass wir unsere Unabhängigkeit bewahren. Das ist eine Frage, die
immer im Raum steht, wenn man sich anschaut, wie viele Firmen im Luxussegment
mittlerweile Teil eines Konglomerats sind.
CS: Es gibt immer ein bisschen Bauchgrimmen, wenn etwas Neues auf den Markt kommt.
Wie Lampenfieber vor dem Auftritt.
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46
Was bringt es als Hauptsponsor bei Events wie
diesem dabei zu sein?
KFS: Wir wären ja nicht fünfundzwanzig Jahre mit der Mille Miglia liiert, wenn das nichts
bringen würde. Es kommen Leute aus der ganzen Welt, die sich das auch leisten können. Es
ist also eine hochinteressante Plattform, um
potenzielle Käufer kennen zu lernen.
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Schmuckuhr in Form eines
Igels aus der Kollektion
„Animal World”
Für Sie, Caroline, ist die Dachterrasse des Martinez in Cannes während der Festspiele ihr
Wohnzimmer. Ein reines Vergnügen?
CS: Ich trete immer mit dem Gefühl an, als läge
eine Tonne Gewicht auf meinen Schultern. Mit
jedem Tag wird es zwar leichter. Tête-à-têteDinner gibt es leider trotzdem nicht, und gute
Freunde wissen, dass ich nicht viel Zeit habe.
Rin
von
Herr Scheufele, Ihre Schwester ruft befreundete
Kunden an und Sie trifft man im Verkauf? Ist
das ein Erfolgsgeheimnis?
KFS: Es kann tatsächlich passieren, dass ich in
der Boutique stehe. Gerade an der Place
Vendôme. Es ist immer interessant, ins Gespräch zu kommen. Bei Jacky Ickx und mir
war das so. Der Verschluss am Armband seiner
Freundin ging immer auf, ich habe mich gekümmert. Jacky kam persönlich vorbei, um
das Schmuckstück abzuholen. Wir sind zusammen die Mille Miglia gefahren – nach zehn
Minuten auf dem Beifahrersitz schlief er ein.
Der Vorteil eines Familienunternehmens:
Schnelle Entscheidungen. Aber ist eine vertikale
Hierarchie nicht anachronistisch?
KFS: Familienunternehmen sind 2015 nicht
gleichzusetzen mit altmodischem Management. Im Gegenteil. Die Beziehungen sind enger. Zum Mitarbeiter, zum Kunden, zu Projekten. Seit Jahren ist meine Schwester in Cannes
persönlich involviert und nicht irgendein
CEO, der drei Mal gewechselt hat und darunter
einer, der dann sagt: „Cannes, das bringt
nichts, das streichen wir jetzt mal.“
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Wenn man zu Ihren Stammkunden zählt, klingelt vor dem Geburtstag der Frau das Telefon?
CS: Ja, ich habe tatsächlich ein kleine Liste.
Denn schlimmer als der falsche Schmuck ist
doch gar kein Geschenk.
Was hat für Sie den Ausschlag gegeben sich in
Cannes zu beteiligen?
CS: Ich liebe Kino. Und als wir vor achtzehn
Jahren die Boutique in Cannes eröffneten, war
mir klar, das Opening muss zum Festival passieren. Ich bin zum Direktor des Festivals nach
Paris gereist. Bei ihm stand die Palme, die nach
fünfzig Jahren dringend einen Facelift brauchte. Mit der Palme unter dem Arm habe ich sein
Büro verlassen und stürmte zu meinem Bruder: „Ich gestalte die Palme neu!“ Worauf er
nur sagte: „Bist du eigentlich völlig verrückt?“
So fing die Geschichte an. Ohne Berater, ohne
Marketingkonzepte und Meetings.
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Ohrschmuck aus der
Kollektion „Haute
Joaillerie Temptations“
und Smaragd-Ohrschmuck aus der Kollektion „Red Carpet“
Einige Luxushäuser haben inzwischen limitiert,
wie viele Produkte manche Kunden kaufen dürfen. Haben Sie schon mal Kunden abgelehnt?
KFS: Nein. Ich bin nur enttäuscht, wenn sich
jemand nicht mit den Uhren beschäftigt.
Wenn sie nur als Trophäen erworben werden,
ohne dass der wirkliche Wert geschätzt wird.
CS: Einige wissen nicht, was sie da kaufen. Und
Juwelen dürfen nicht in einem Tresor verschwinden. Diamanten müssen getragen werden, auch die Top-Steine, die mit Sicherheit eine Investition sind.
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Wie nähern sich Ihnen eigentlich Menschen?
Seit 2014 sind sie laut Forbes unter den Milliardären. Wobei: Teilt man die Milliarde durch
zwei sind es „nur“ Millionäre vor denen ich sitze. Das entspannt etwas.
KFS: Ich hatte nie das Gefühl, dass es Barrieren
gibt. Wir haben von unseren Eltern gelernt,
bodenständig zu bleiben. Ich empfinde es jeden Tag als Privileg, ein Weingut kaufen zu
können und die Dinge machen zu dürfen, die
mich zutiefst befriedigen. Es ist aber auch eine
Verantwortung. An unserem Erfolg sind viele
Menschen beteiligt und wir sind für viele Menschen verantwortlich.
Und Sie haben im Kofferraum immer ein paar
Uhren dabei?
KFS: (lacht) Halten sie mich für so plump?
CS: (lacht ebenfalls) Ich habe immer etwas dabei. Oder an mir. Bei mir kann man vom Körper kaufen – das kostet aber ein bisschen
mehr.
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ZUSAMMENGESTELLT VON LINDA LEITNER UND SARAH LAFER
GETTY IMAGES (5); MONTAGE: ICON
3 CS: Noch nie! Ich werde aber dauernd nach
meinem Beauty-Rezept gefragt und sage dann
immer: Ich rauche nicht und ich nehme keine
Drogen. Ich trinke meinen Wein und ab und zu
einen Wodka.
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VACHERON CONSTANTIN (6)
MARKENGESCHICHTE
Liason aus technischer und kunsthandwerklicher Präzision: Aus der Reihe „Métiers d’Art“ die Uhr „Florilège“, Modell „Königin Strelitzie“
Aus der Reihe „Métiers d’Art“, die Uhr „Ornements Fabuleux“, Modell „Indische Handschrift" (oben), historischer Zeitmesser von Vacheron Constantin (unten)
Ganz grosse Schweizer Kunst
Von wegen Krise. Millionen Chinesen begeistern sich für die Schweizer Uhren. In Peking
zieht eine Ausstellung derzeit Tausende Besucher an. Einer der prägendsten Teilnehmer ist
Vacheron Constantin. Pierre-André Schmitt schaute sich vor Ort um
D
48
ie Zahlen sind gigantisch: Rund 10.000
Menschen besuchen
derzeit in Peking eine
Ausstellung
über
Schweizer Uhrmacherei im renommierten
Capital Museum – und
zwar pro Tag. Sie entdecken dabei unter anderem die berühmte „Grande Complication“ von
Vacheron Constantin, die die Schweizer Gemeinde in Ägypten 1929 König Fouad I überreicht hatte. Ein Meisterstück mit Schleppzeiger-Chronograph, Minutenrepetition, grosser
und kleiner Sonnerie, Ewigem Kalender,
Mondphase und Mondalter. Die feine Mechanik ist in ein Goldgehäuse eingebaut, mit Silberzifferblatt und emailliertem Wappen des
Königs auf der Rückseite. Ein schönes Ausnahme-Stück historischer Haute Horlogerie
gepaart mit feinstem Kunsthandwerk.
Bis zur Finissage der Ausstellung „Geneva at
the heart of time“ im August, werden gegen
eine Million Chinesen die grosse Schau gesehen haben, eine unbezahlbare Reklame für
die Schweizer Uhrmacherei und ein riesiger
Erfolg für Juan-Carlos Torres, CEO von Vacheron Constantin. Die Marke, die eben ihr
260-jähriges Bestehen feiert, unterstützt die
Ausstellung und ist ihr Star: Ein Drittel der
Exponate aus den vergangenen 500 Jahren
kommt aus der Heritage-Sammlung des Genfer Traditionshauses.
Dass es Torres gelungen ist, die Ausstellung
solcherart zu prägen, ist ein geniales Meister-
stück. Denn eigentlich fürchtet ein chinesisches Staatsmuseum private Sponsoren. Das
Logo von Vacheron auf dem grossen Eingangsplakat muss einigen Chinesen ein bisschen anmuten, wie der Schriftzug eines renommierten Steakhouses auf der Karte eines
Veganer-Restaunts – ein Novum in China.
Tatsächlich ist Torres ein innovativer Chef.
Früh hatte er erkannt, dass eine Luxusmarke
wie Vacheron Constantin nicht mit zugekauften Werken brillieren kann und trieb energisch die Vertikalisierung voran. Heute sind
praktisch alle Uhren der Maison mit hauseigenen Werken ausgestattet. Ebenso energisch hat Torres aber auch auf die Karte
Kunsthandwerk gesetzt. Email, Guillochage
oder Gravur – man war bei diesen Trend-Themen schneller als fast alle Mitbewerber auf
dem Markt. Schon 2002 wirbt Vacheron Constantin mit dem Begriff Métiers d’Art, dabei
war Kunsthandwerk damals in der Uhrmacherei ein exotisches Thema.
Heute ist es so selbstverständlich, dass die
Marke eine eigene Kollektion mit dem Namen
„Métiers d’Art“ im Programm hat. Zu den aktuellen Neuheiten gehört darin etwa die Preziose „Métiers d’Art Méchaniques ajourées“ mit
fein skelettiertem Werk. Weil es so schön anzusehen ist, wird die Uhr mit einer Lupe ausgeliefert. Oder die auf 60 Stück limitierte
Hommage an Christoph Kolumbus - mit aufwändiger Email-Grand-feu-Dekoration. Auf
dem Modell „Univers Infini“ (deutsch: Ewiges
Universum) mit Eidechsen-Motiv sind alle
klassischen Kunsthandwerke der Uhrmache-
rei vereint: Gravur,
Guillochage,
Edelsteinfassung
und Grand-feuEmail.
Rein
Schwarz-weiss
emailiert ist die
aktuelle „Hommage à l’art de la
danse“
(deutsch:
Hommage an die Tanzkunst) mit einem Ballet- Jean-Carlos Torres,
Bild. Der Artist deckt CEO von Vacheron
hier in der so genannten Constantin
Grisaille-Technik zuerst
eine Platine ganz mit schwarzem Email zu.
Darauf kommen, mit einer Nadel oder einem
Pinselchen appliziert, feine weisse Schichten,
bis das finale Bild entsteht.
Eine Frage an den CEO der Marke: Steht die
Vacheron Constantin heute zuerst für Haute
Horlogerie, also Spitzenuhrmacherei, oder
zuerst für das Kunsthandwerk? „Nun“, sagt
Torres, „Kunsthandwerk ist ein Segment der
Haute Horlogerie, das Sahnehäubchen, wenn
man so will.“ Aber beide Sparten bedingten
sich gegenseitig. Bei Vacheron würden deshalb Ingenieure, Designer und Kunsthandwerker von Beginn an im ganzen Prozess zusammen arbeiten.
Vacheron Constantin musste in puncto
Métiers d’Art übrigens auch mal einen Rückschlag hinnehmen: Als die Genfer Marke eine
Kunsthandwerk-Preziose präsentierte, in der
nur ein einfaches mechanisches Werk tickte,
zeigten Sammler die kalte Schulter und zückten die Kreditkarte nur widerwillig. „Es war
ein Fehler“, bilanziert Jean-Carlos Torres.
Kunsthandwerk funktioniere nur, wenn als
Herz der Uhr Mechanik der Spitzenklasse eingebaut werde. Umgekehrt hingegen gehe
durchaus: Feinste Uhrentechnik muss nicht
zwingend mit wertvoller Email-Kunst, mit
Gravuren oder mit Edelsteinen versehen sein.
Dennoch: Bei Vacheron Constantin bleibt das
Thema Métiers d’Art ein Leitmotiv.
Dabei setzt CEO Jean-Carlos Torres gerne auf
renommierte Partner. Seit 2011 etwa unterstützt seine Manufaktur die Arbeit des französischen „Nationalen Instituts für kunsthandwerkliche Berufe“ sowie die „Europäischen
Tage der kunsthandwerklichen Berufe“, die
sich der Wahrung und Förderung von 217 traditionellen Berufen verschrieben hat, die vom
Verschwinden bedroht sind.
Erst Ende März sponserte das Haus eine Ausstellung im Pariser Museum „Les Arts Décorativs“ und brachte moderne Kunst mit traditionellem Kunsthandwerk zusammen. Die gezeigten Exponate wurden jeweils von einem
Künstler und einem Kunsthandwerker gemeinsam realisiert – als Inspirationsquelle
diente dabei jeweils eine alte Kunsthandwerks-Preziose. Auch für Peking spannte
man mit Museums-Profis zusammen: Eine
Vorschau wurde im Genfer „Musée d’art et
d’histoire“ gezeigt. Die Genfer Institution realisierte die Ausstellung in Peking gemeinsam
mit den chinesischen Kuratoren. Zur Ausstellung stiftete die Uhrenmarke eine grosse
Skulptur, die
vom Schweizer Designer
Claudio Colucci und dem chinesischen Bronze-Kunsthandwerker Zhu Binren
gemeinsam geschaffen wurden. Im Vorfeld
erhielten die Schweizer, die
an eine edle aber eher kleine Figur gedacht
hatten, eine Lektion in Sachen chinesisches
Denken. „Sie sind hier in China. Da muss man
etwas Grosses machen“, beschied ihnen der
Künstler. Und so geschah es: Die emaillierte
Bronze-Skulptur ist mannshoch geworden.
Vacheron Constantin ist eine der ältesten
Schweizer Uhrenmanufakturen und gehört
mit Audemars Piguet, Patek Philippe und Breguet historisch zum Quartett der vier Spitzenmarken in der Haute Horlogerie. 1839 trat der
Genfer Georges-Auguste Leschot seinen
Dienst als Technischer Direktor an. Er war ein
Besessener, ein Daniel Düsentrieb der Zahnräder, ein genialer Erfinder seiner Zeit, ein
Henry Ford der Uhrenindustrie.
Bis dahin, muss man wissen, wurden Uhrenteile von verschiedenen Handwerkern, oft von
Bauern in der Vallée de Joux, einzeln angefertigt. Viele von ihnen brachten es zwar zu einer
verblüffenden Meisterschaft, ein Problem
aber schafften auch die besten nicht aus der
Welt: Die Teile waren nicht, wie man damals
sagte, „mathematisch gleich“ und folglich
nicht auswechselbar. Ging etwa
ein Zahnrad kaputt, musste man
es einzeln ganz genau nachbauen, allfällige Unregelmässigkeit
inklusive.
Erst Leschots Erfindung, der so
genannte Pantograf, erlaubte es,
Werkteile von einem Muster aus
tausendfach zu kopieren, exakt gleiche Stücke aus Stahl zu fräsen und Bohrlöcher an Serienteilen am stets gleichen Ort,
in der gleichen Grösse und mit identischer
Tiefe anzubringen. Mit anderen Worten: Serienproduktion wurde möglich, das wiederum
machte die Uhren präziser und verbilligte erst
noch ihre Herstellung.
Dass ausgerechnet der Wegbereiter der Industrialisierung der Uhrmacherei heute mit
kunsthandwerklichen Einzelanfertigungen
brilliert, mag ein bisschen Ironie der Geschichte sein. Doch der Erfolg bleibt nicht
aus: Im Pekinger Capital-Museum wurden der
Guillocheur, der Edelsteinfasser, der Emailleur und der Gravuer, die hier live an Werkbänken arbeiten, von interessierten Besuchern umringt. Und als eine Frau am Tag der
Eröffnung dem Graveur ihre Uhr hinstreckte
und um das Eingravieren ihres Namens auf
den Gehäuseboden bat, tat ihr der Mann den
Gefallen gern. Erschwerend kam dabei hinzu:
Der Namen musste selbstverständlich in chinesischen Schriftzeichen eingraviert werden.
Doch ein erfahrener Kunsthandwerker bei Vacheron Constantin hat schon weit Schwierigeres vollbracht.
49
MASSARBEIT
D
Mann am tosenden
Meer: Roger W. Smith
ist auf der Isle of Man
den Gezeiten buchstäblich ganz nah
as Bild strotzt nur so
vor Pathos, man könnte glauben, es sei gestellt – und doch ist alles echt, weil nur die
Gezeiten eine solche
Szenerie ermöglichen:
Da steht er, der Hüter
der Zeit, aufrecht am Rande seiner Insel, umtost von den Naturgewalten. Der Sturm
schneidet in sein Gesicht, Gischtspritzer vom
aufgepeitschten Meer zischen durch die Luft,
am Horizont braut sich eine tiefschwarze Regenfront zusammen. Alle Verbindungen zum
Mutterland sind an diesem Tag gekappt. Es
wäre absurd, dieses Meer bezwingen zu wollen. Deshalb müssten sie beim Mann am
Strand doch von ganz allein kommen: die Gedanken übers Ausgeliefertsein, über den dünnen Lack der Zivilisation, darüber, dass es hier
vor 10.000 Jahren bei Sturm schon genauso
ausgesehen haben muss wie jetzt.
„Gosh“, sagt Roger W. Smith. Das heisst „Meine Güte“, und es ist unvorstellbar, dass er je zu
rhetorisch härterem Material greifen würde:
„Gosh, ich bin ja nun schon eine ganze Weile
hier, aber so ein Wetter habe ich noch nicht
erlebt.“ Das ist alles. Er stellt sich lieber fürs
Foto zurecht, das ist jetzt seine Aufgabe.
Haus mit der Werkstatt befindet. Das Örtchen
heisst Ballaugh, die Kreuzung „The Cronk“,
gefühlt besteht alles hier aus Ferienhäusern
für die obere Mittelklasse – und selbst wenn
man vor dem richtigen weissen Cottage steht,
kann man es übersehen. Es passt so gar nicht
zu dem, was man von anderen Anbietern mechanischer Luxusuhren gewöhnt ist: Seit Jahren beschleunigt sich der Wettbewerb, immer
zahlreicher werden die Komplikationen wie
Mondphasen und Ewige Kalender, immer
hochpreisiger die Materialien, immer öfter
greift man zum Superlativ; und entsprechend
immer edler ausgestattet sind die Messestände und Repräsentationsräume.
Auf der Insel tritt der Chef persönlich vor die
Tür, der einzige Indikator für Wohlstand ist
ein Land Rover vor der Tür. Hinter dem Eingang: ein kurzer Hausflur mit Birkenstocksandalen auf dem Boden, ein paar Fotos von New
York an der Wand, daneben ein grosser Merkzettel, der das Zusperr-Prozedere erläutert;
ein Einbruch wäre eine Katastrophe. Daneben
befinden sich die Werkstätten, rechts die mit
den Maschinen für Platinen, Räder und
Schrauben, links wird nach Durchqueren einer Küche montiert. Der Hausherr geleitet zuerst in den Maschinenraum – und beantwortet nun geduldig jede Frage.
2003 bei Smith arbeitet. Es klingt, als sei das
für ihn ein guter Grund, für immer hierzubleiben.
Wer seinem Chef dabei zusieht, wie er beispielsweise einen Stift dreht, der erblickt in
jeder Sekunde die Mühen der Lehrzeit: Um
feinmotorisch so weit zu kommen, muss man
unendlich viel üben. Dabei noch einen Typen
wie Daniels im Nacken zu haben, das muss
jenseits aller Schmerzgrenzen gewesen sein.
Doch Smith hat es geschafft, ein offenes Wesen zu behalten. „Gosh“, sagt er, „bei uns gibt
es nun einmal nur richtig und falsch und
nichts dazwischen. Aber das wusste ich ja
schon, als ich anfing.“
Und selbst der modernste Gegenstand im
Raum, ein Computer, hat indirekt mit Daniels
zu tun. Zwei Serien hat Smith bisher im Angebot, derzeit arbeitet er an neuen Modellen.
Wie sein Lehrmeister denkt er seine Uhren
zuerst vom Design des Zifferblatts aus: „Man
muss wissen, wie das Modell aussieht, dann
kann man sich um die Funktionen kümmern“,
sagt Roger W. Smith, die Lupe an seiner Brille
wippt im Takt des schnellen Kopfnickens. Bisher sind seine Stücke eher einfach konstruiert: Die Serie II ist ein Handaufzug-Kaliber
mit Gangreserveanzeige, kleiner Sekunde
3
und römischen Ziffern. Für die neuen
Ein Mann für alle Zeiten
Roger W. Smith ist einer der letzten echten Uhrmacher der Welt. Jährlich fertigt er höchstens zwölf Stücke an.
Philip Cassier erlebte auf der Isle of Man, wie viel es dazu braucht. Martin U. K. Lengemann fotografierte
50
Es gehört zu den ältesten Missverständnissen
im Umgang mit Uhrmachern, zu glauben, sie
wären qua Beruf dem Mysterium der Zeit auf
der Spur – und damit dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. Sie können es gar
nicht sein: Hunderte Werkteile, die auf Hundertstel von Millimetern genau gearbeitet
sein müssen, in ein akkurates Verhältnis zu
setzen, das verlangt ihnen alles ab. Da bleibt
kein Raum für allgemeine Reflexionen.
Wo heute beinahe alle in diesem Handwerk
sich entweder in einer Manufaktur spezialisiert oder sich auf Handel und Reparatur verlegt haben, übt Roger W. Smith seinen Beruf
im Wortsinne aus: Jährlich machen er und seine sechs Angestellten zehn bis zwölf Armbanduhren, vom Zahnrad bis zum Zifferblatt;
sie beginnen mit nichts und präsentieren am
Ende eine individuelle Lösung. „Bespoke“ sagen die Briten zu diesem Verfahren, es
stammt aus der Schneiderei, weil dort früher
der Schneider dem Kunden nach Absprache
ein Stück Stoff zurücklegte. Im Autobau werben Marken wie Rolls-Royce mit dem Wort:
Es meint, dass der Kunde fast jedes Detail
selbst festlegen kann, sein eigener Designer
wird. Smiths Uhren kosten ab 100.000 Pfund
aufwärts, und nichts an ihnen wirkt protzig.
Darum, wie all das möglich ist, wird sich beim
Besuch in seinem Atelier alles drehen – und
das ist am Ende mehr, als man erfassen kann.
Es beginnt damit, dass man Roger W. Smith
und die Seinen kaum findet. Seine Frau Caroline hatte eine Karte per E-Mail geschickt, um
mitzuteilen, wo auf der Isle of Man sich das
Natürlich kann Smith auf modernstes Gerät
zurückgreifen – seine Platinen fräst beispielsweise eine Maschine aus Deutschland, ständig
von einem Mitarbeiter überwacht, wie sich
versteht. Aber manche Maschinen stammen
noch aus dem frühen 19. Jahrhundert. Das erzählt einem mehr über den Mann Roger W.
Smith als über seine Technik: Sein Lehrmeister war der Brite George Daniels. Kennern gilt
er als der bedeutendste Uhrmacher des 20.
Jahrhunderts. Daniels war es, der in den 70erJahren die Co-Axial-Hemmung erfand, sie
liess Uhren so viel stabiler laufen, dass Omega
sie 1999 übernahm. Als er 2011 auf der Isle of
Man starb, übernahm Smith seine Maschinen.
Aber nicht nur deshalb ist Daniels überall in
der Werkstatt präsent. Smiths Stimme senkt
sich ganz unwillkürlich, wenn er über seinen
Meister spricht, seine Angestellten beginnen
sogar zu flüstern. Zwei Jahre lang hatte Smith,
Jahrgang 1970, als Teen auf der Uhrmacherschule in Manchester an seiner ersten Taschenuhr gearbeitet. Daniels blickte hinter
seiner dicken Brille hervor und vernichtete
ihn mit den Worten „sieht handgemacht aus“.
Viele hätten spätestens da hingeschmissen,
wären nie wiedergekommen. Doch Smith
fühlte sich herausgefordert. Drei Jahre später
akzeptierte Daniels das nächste Ergebnis und
kümmerte sich fortan um den Jungen. Das gilt
in der Werkstatt bis heute als Sensation – Daniels lebte ausschliesslich für seine Uhren, er
war nicht von dieser Welt: „Roger war der Einzige, der ihm einigermassen nahekam“, raunt
Andy Jones, der mit seinen 49 Jahren seit
Das letzte Modell seines Meisters George Daniels fertigt nun Smith
51
TREND
3 Modelle plant Smith Dinge wie Grossdatum und Mondphase, da hat er viel am Computer zu tun. Seit Jahren entwirft und verwirft
er, setzt neu an. Auf einige Erfahrungswerte
kann er zurückgreifen: Die letzte George-Daniels-Serie verfügte über eine Datumsanzeige
– und sie wird nun bei Smith produziert.
Britisches Design, so erklärt er mit Blick auf
den Flachbildschirm, könne man im Uhrenbau an seiner gewissen Schwere erkennen.
Das Gehäuse sei recht dick, das Werk sehr tief
konstruiert. An Smiths Handgelenk tickt übrigens das einfachste Rolex-Dreizeiger-Modell
mit Stahlgehäuse: Erstens kann er sich seine
eigenen Stücke nicht leisten. Und zweitens
mag Rolex, was das Image betrifft, noch im-
die Isle of Man: Im Sommer kommen Biker
aus aller Welt hierher, um sich bei diversen
Rennen ihren Geschwindigkeitsrausch abzuholen. Fast jedes Jahr sterben ein paar von ihnen auf den unebenen Strassen. Nichts, woran
man hier Anstoss nehmen würde – die Raser
hätten ja aufpassen können. Ausserdem kann
man es sich einfach nicht leisten, auf das Rennen zu verzichten, noch haben nicht genug
zahlungskräftige Touris die Insel als Urlaubsort entdeckt. Smith erzählt, er spiele Feldhockey als Ausgleich zum vielen Stillsitzen. Da
geht es ziemlich zur Sache, und er würde es
gern mal mit Hurling probieren. Bei dieser
Sportart darf man die Kugel aus der Hand
schlagen – auch da gibt es Tote.
„Über Zeit weiss
ich nur, dass ich nicht
genügend habe“
MARTIN U.K. LENGEMANN (3)
R O G E R W. S M I T H
3_ Jean Richard
„JR 39 Bleu“ (2300 CHF)
Blaue Stunde
Blau ist das neue Schwarz. Zumindest in der Welt
der Luxusuhren. Eine kleine Warenkunde
2_ IWC
„Portugieser Jahreskalender“ aus Edelstahl
(21.000 CHF)
Teepause: Vor Smith liegt George Daniels’
Standardwerk über Uhrmacherei – den Stuhl
hat Smith auch von ihm geerbt
Zur Attraktivität seiner Heimat versucht
Smith nach Kräften beizutragen. Er wird sein
Geschäft ausbauen und in eine grössere Produktionsstätte umziehen. Mehr als 15 Modelle
jährlich wird er allerdings auch dort nicht fertigen; es gibt kaum genügend Leute auf dieser
Welt, die dazu in der Lage sind, eine Uhr zu
bauen. Deshalb können Jugendliche von der
Insel bei ihm in die Lehre gehen – vorausgesetzt, sie bestehen den rigorosen Aufnahmetest: „Es geht nicht so sehr darum, was einer
schon kann“, sagt Smith beim Kaffee. „Ich
will, dass die Bewerber Fragen stellen, die auf
Interesse schliessen lassen. Wer nichts fragt,
hat keine Chance.“ – „Wie viele Stunden täglich denken Sie denn an Uhrmacherei, Roger?“ – „Gosh. Ich glaube, es sind 24.“
Smiths jetziger Lehrling heisst Josh Horton.
Nach der Rückkehr in die Werkstatt sitzt er
über einem Gehäuse und versucht wieder und
wieder, ein Zahnrad an die richtige Stelle zu
rücken. Ein ernster 25-Jähriger in Jeanshemd
und Kittel, der sich auf dem College mit Philosophie beschäftigte, bevor er auf Smiths Anzeige in der Lokalzeitung aufmerksam wurde.
In der Schule war er gut in Mathe und handwerklich recht begabt. Doch eine Uhr zu bauen, das sei etwas ganz anderes. Horton erzählt
von den Rückschlägen in seiner Lehrzeit. Wie
er damit zurechtkomme? „Jedes Mal, wenn
ich einen Fehler mache, lerne ich, wie ich’s
der Name
herausgegeben
wird, muss die Person das Zeitliche gesegnet
haben, es sei denn, es liegt eine ausdrückliche
Erlaubnis vor.
Sicher könnte Smith inzwischen höhere Summen für seine Unikate verlangen – komplizierte Uhren aus den grossen Manufakturen
kosten oft siebenstellige Beträge: „Daran ist
nichts falsch“, sagt er, „aber das wäre für mich
der Schritt in eine Welt, die ich nicht mehr
verstehe.“ Und doch bleibt beim Tee am grossen Holztisch in der Küche diese gemeine Frage: Angenommen, eine der Schweizer Firmen
wie die Swatch Group, Patek Philippe oder
Rolex käme – und würde ihm erklären, dass
Geld keine Rolle spiele, solange er unter ihrem Namen arbeite? Könnte er widerstehen?
„Gosh“, sagt Roger W. Smith, um einen Augenblick zum Nachdenken zu gewinnen. „Man
soll im Leben niemals nie sagen. Aber in den
kommenden 15, 20 Jahren? Nein. Nein, dazu
habe ich selbst einfach zu viel vor.“
Man darf es ihm glauben. Denn selbstverständlich haben wir ihn doch noch auf seinen
Zeitbegriff angesprochen, so viel Philosophie
musste sein. Und haben nach einem weiteren
„Gosh“ die Antwort erhalten, er könne unmöglich antworten: „Über Zeit weiss ich nur,
dass ich nicht genügend habe.“
4_ Skagen „Anita SKW 2307
30MM“ (179 CHF)
1_ Das Zifferblatt dieses Säulenradchronographen mit Tourbillon-Mechanismus von Montblanc besteht aus blauem Aventurin
2_ Fünf Jahre dauerte die Entwicklung des ersten Jahreskalenders in
der neuen Portugieser Kollektion von IWC
3_ Jean Richard setzt diese Saison auf jeansartig strukturierte
Zifferblätter und Straussenlederbänder
4_ Die Firma Skagen liess sich vom dänischen
Nachthimmel für das Zifferblatt der mit Glassteinen
besetzten Stahluhr inspirieren
5_ Oris feiert sein jüngstes Modell mit einer
neuartigen Mondphasenanzeige, natürlich
auf mitternachtsblauem Grund.
6_ Parmigiani verarbeitet für das Zifferblatt dieser Titanuhr erstmals in
Säure gebadetes und blau
gefärbtes Meteoritengestein
7_ Als Ex-Marineoffizier tritt
Filmagent James Bond
diesen Herbst erstmals
mit der antimagnetischen SeamasterVariante von
Omega an
5_ Oris „Tycho Brahe Limited
Edition“ (2100 CHF)
ZUSAMMENGESTELLT VON JOERN F. KENGELBACH
52
mer etwas speziell sein – doch die Werke
der Schweizer Marke sind in ihrer Preisklasse die robustesten und ausgereiftesten überhaupt, das gesteht Smith gern zu. Dass er
stets darauf insistiert, nur ein einfacher Uhrmacher zu sein, mag man als „landestypisches Verhalten“ abtun. Aber die Schweizer
Manufakturen mit ihren Milliardenumsätzen
sind tatsächlich keine Konkurrenz, sie bedienen einen ganz anderen Markt als er.
Smith lädt nun zur geistigen Stärkung zum
Mittagessen in den nächsten Pub ein. Die
Fahrt geht über grüne Hügel und vorbei an
noch viel mehr Cottages aller Grössen – beim
grossen Rosamunde-Pilcher-Scouting fürs
ZDF würde diese Insel in der Irischen See allerdings glatt durchfallen: Der Wind ist zu
steif, Meer und Landschaft sind zu rau, als dass
hier irgendwelche Deutschen auch nur halbwegs glaubwürdig als Lords und Ladys verkleidet durch die Landschaft hampeln könnten. Überhaupt, sagt Smith, sei seine Heimat
ein sehr eigenes Stückchen Erde. Lange Zeit
bitterarm, verwaltet sie sich grösstenteils
selbst. Es gibt sogar eigene Pfundnoten mit
dem Wappen der Insulaner darauf: drei Beine,
die Speichen eines Rades bilden und so symbolisieren, dass die Bewohner der Isle of Man
immer Boden unter den Füssen finden werden. In England erkennt niemand die Scheine.
Im Pub bestellt Smith Rindfleisch-Pie mit
Chips und genehmigt sich ein Mittagspint
vom Fass, das lokale Bitter. Das ist hier völlig
normal; ebenso wie dass es freitags nach Feierabend ein Bier mit den Angestellten gibt,
bevor es zur Frau und den zwei Kindern geht.
Überall haben sie im Gastraum Fotos von Motorradrennen aufgehängt – dafür kennt man
1_ Montblanc Chronometrie
„ExoTourbillon Minute
Chronograph Vasco da
Gama Limited Edition“
(der Preis variiert täglich)
nicht machen soll“, sagt er. Daran müsse er
sich allerdings häufig erinnern. Andererseits
glaube er, nach der Ausbildung wirklich etwas
von Anfang bis Ende zu beherrschen.
Wahrscheinlich will sein Meister genau dieses
Bemühen sehen. Er kennt es selbst – und die
harten Zeiten waren nach der Lehre noch lange nicht zu Ende. Finanziell war die Anfangszeit der eigenen Firma nach der Jahrtausendwende schwierig, als niemand Roger W.
Smith kannte und niemand zu ihm kam. Inzwischen hat er so viele Kunden, dass jeder
zweieinhalb Jahre lang auf sein Stück warten
muss. Smith kennt beinahe jeden persönlich,
lädt ihn in seine Werkstatt ein, um die Wünsche zu besprechen: „Und ob Sie’s glauben
oder nicht – aber es macht einen Unterschied
beim Bauen, wie sehr ich den Kunden mag.“
George Daniels war da noch entschiedener –
wen er nicht leiden konnte, der bekam keine
Uhr. Seinem Schüler ist aufgefallen, dass
kaum Russen und Araber zu ihm kommen.
„Die sind es nicht gewohnt, auf ein Produkt zu
warten“, sagt Roger W. Smith lächelnd. Seine
Klientel besteht zumeist aus Unternehmern
und reichen Enthusiasten. Namen nennt er
nicht, diese Diskretion ist im Bespoke-Geschäft traditionell im Preis inbegriffen: bevor
6_ Parmigiani „Tonda 1950 Special
Edition Meteorite“ (19.500 CHF)
7_ Omega „Seamaster Aqua
Terra 150 M James Bond limited
Edition“ (6600 CHF)
53
MARKENGESCHICHTE
D
fast 150 Jahren Noten aus Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft in ihren Düften erklingen. Susanne Opalka begeistert
sich für die Harmonien, die sich daraus ergeben
54
Friseur und Parfümeur: Penhaligon’s
Anfänge liegen in
der Londoner Jermyn Street des 19.
Jahrhunderts
Den ersten Test hat das neueste Kosmetikprodukt
von Giorgio Armani bestanden. Und zwar in Paris,
als die Models im Januar in den großen HauteCouture-Roben des Maestros über den Laufsteg
liefen. Ihre Gesichter? Makellos. Wahrscheinlich
ohnehin. Aber Armanis Make-up-Direktorin
Linda Cantello hatte zudem die „Crema Nuda“
schon mal eingesetzt. Sie ist ein Kosmetik-Multi,
funktioniert allein (da Feuchtigkeitsspender) oder
auch als Make-up-Ersatz, denn Hybrid-Pigmente
sollen den Teint strahlen lassen. Für wen sie gedacht ist? Für alle, die ungeschminkt, aber nicht zu
natürlich aussehen möchten.
Sie wollen mal so richtig glänzen? Nicht falsch
verstehen, denn nicht Ihre T-Zone (Stirn, Nase
Kinn) soll es, sondern Ihr Teint. Das könnte die
„True Radiance“-Formel von Clarins erreichen. In
der leichten Foundation (gibt leider kein schöneres
deutsches Wort) sind lichtreflektierende Pigmente
eingebaut, die die Haut strahlen lassen sollen.
Praktischerweise wurde auch ein Sonnenschutzfaktor 15 integriert, damit die UV-Strahlung den
hellen Zauberteint nicht wieder ruiniert. Tipp:
Schnell und gleichmässig eine kleine Menge mit
den Fingerspitzen auftragen und von der Gesichtsmitte nach aussen verteilen.
Und jetzt einmal ganz tief einatmen. Nein, nicht
Sie sind gemeint, sondern Ihre Haut. Viel zu lange
steckte sie doch in der Vergangenheit unter dicken
Make-up-Schichten fest. Aber die Zeiten sind
glücklicherweise vorüber, und die Kosmetikmarken
produzieren mittlerweile ultraleichte Texturen. So
auch Dior. „Nude Air Sérum de Teint“ wird mit
einer Pipette aufgesogen, und wenige Tropfen des
Fluids reichen für ein Gesicht aus. Am besten mit
einem Pinsel hauchdünn verteilen. Deckt auch –
ohne nach Schminke auszusehen und ist auch
noch schön für die Haut.
Stiftchen
P S SS t !
Die amerikanischen Teenie- und ModelSchwestern Ally und Taylor Frankel, hatten
keine Lust (und es auch noch nicht nötig)
sich morgens ewig vor dem Spiegel fertig zu
machen. Viel lieber wollten sie ihre natürliche
Schönheit betonen, Unebenheiten korrigieren. Aber auf eine praktische Weise.
Drum gründeten sie im vergangenen Herbst
„Nudestix“ und stecken jedes ihrer Produkte,
wie etwa den „Moisture Pencil“ (soll an rauen,
geröteten Stellen etwa um die Nase herum
Linderung schaffen), in Stiftform. Passt noch
in jedes Etui. Über beautylish.com
S
Luftikus
Erinnern Sie die orangefarbenen Markenbefeuchter, die in jeder Postfiliale standen, als es noch keine
selbstklebenden Briefmarken gab? So ähnlich sieht
das neueste Make-up-Familienmitglied „Miracle
Cushion“ (also Wunderkissen) von Lancôme aus.
Nur verbirgt sich unter dem Schwammkissen nicht
Wasser, sondern Farbe. Erst auf leichten Druck (des
Fingers oder des mitgelieferten Applikators) reagiert das Kissen und gibt dann eine kleine Menge
des getönten Fluids (in sechs Farben) frei. Macht
Spaß, deckt ab und kann sogar nachgefüllt werden.
Es wurde übrigens zunächst nur für den koreanischen Markt erfunden.
ZUSAMMENGESTELLT VON CAROLINE BÖRGER; GETTY IMAGES (2)
Die englische Parfüm-Manufaktur Penhaligon’s lässt seit
Welch Glanz in der Hütte
Ein Hauch von Farbe
PENHALIGON (2); GETTY IMAGES
Hip Hip Heritage
ie Mühsal einer Umzugsreise Ende der 1860erJahre mag man sich heute kaum mehr vorstellen:
Wir sind im viktorianischen Zeitalter, es gibt gerade erste Fahrversuche mit einem primitiven benzinbetriebenen Fahrzeug. In Penzance, am Zipfel
Cornwalls, macht sich ein junger Mann mit seiner
Familie auf, in die 3-Millionen-Metropole London
(Zürich hatte rund 57.000Einwohner) umzusiedeln. Die lange Reise endet hinterm Piccadilly Circus, neben einem
türkischen Hamam. Auch wenn es die Ära der Entdeckungen und der
industriellen Entwicklung ist, von Dekadenz und Extravaganz in der
Upper Class Society, in den vom Kohlestaub geschwärzten Strassen
riecht es noch übelst nach dunklem Alltag. Doch William Henry Penhaligon, ein moderner Dandy im besten Sinne – traditionelle Werte achtend und voller Neugier auf das Ungewöhnliche –, hat schon etwas anderes vor Augen.
Oder besser in der Nase. Kaum findet er 1870 ein geeignetes Ladengeschäft in der Jermyn Street und eröffnet seinen Barber’s Shop, ist die
Aristokratie ganz wild auf seine Rasur, die Pomaden und auf seine Wässerchen. Schnell erwirbt William Henry angrenzende Geschäfte. Darunter das bekannte Hamam. Die charakteristischen, neblig-dämmrigen Lavendel-Türkisch-Rose-Schwaden, die ihn täglich umwehen, interpretiert er und bannt sie 1872 in einen Flakon. „Hammam Bouquet“
begründet die Dufthistorie des Hauses und bleibt sein lebenslanger
persönlicher Lieblingsduft. „Hammam Bouquet“ steht nach wie vor in
London in den Regalen, wie im Flagship Store am Covent Garden. Hinter der historischen Fassade und der weissen Markise wird man
schlicht eingesogen in die Bastion für aussergewöhnliche Düfte in der
Wellington Street 41. Hier steht seit 1975 gefühlt Penhaligon’s Zentrale.
Auch wenn William Henrys Sohn Walter und später sein Enkel Leonard übernahmen, im Zweiten Weltkrieg auch das Hamam zerstört
wurde und später verschiedene Inhaber an verschiedenen Orten eröffneten und wieder schlossen: William Henrys handgeschriebene Formeln und Ideen überdauerten die Jahrhunderte. Und hergestellt und
abgefüllt wird bis heute fast alles per Handarbeit und ausschliesslich
im Vereinigten Königreich.
Für die Serie „Bayolea“ beispielsweise nutzte Parfümeur Mike Parrot
einen Kassenschlager aus Williams florierendem Shop. In den Archiven fand er die Ur-Formel von „Bay Rum“. Diese Mixtur aus Rum sowie
den Beeren und Blättern des Westindischen Lorbeers kommt ursprünglich aus der Karibik. Der gepflegte Mann setzte die Mixtur universell ein – als Aftershave, Cologne, Deodorant, Duft für Rasierseifen
und als Gesichtswasser. „Bayolea“ ist eine moderne Auflage der bewährten Formel.
So war es immer – so soll es bleiben. Selbst unter dem Dach des spanischen Hauses Puig, das Penhaligon’s inzwischen erworben hat.
Schliesslich hat der „Hip Heritage“-Stil sogar ein gebräuchliches Adjektiv kreiert; „this is so penhaligons“ hört man hie und da in Londons
Strassen. Grossen Anteil am Bewahren der Kultur hat Nathalie Vinciguerra, die die Duftentwicklung verantwortet und sich stets die Grossen der Branche leistet. Darunter die Meister-Parfümeure Alberto Morillas und Bertrand Duchaufour. So werden die berühmten Kreationen
so behutsam wie möglich angepasst.
Doch das Hegen der Traditionen im Sinne des Erfinders bedeutet eben
neue Wege zu wagen: So wie sich in den Stores poppige Designelemente zum edwardianischen Stil harmonisch fügen, beduftet man
seit Jahren die Londoner Fashion. Alberto Morillas arbeitete zwei Jahre
lang mit dem English National Ballet zusammen, um das anmutige „Iris
Prima“ zu entwickeln: Eine Choreografie der Moleküle, gleichsam Noten und Tanzschritte in olfaktorische Ideen umgesetzt. Über allem die
Iris, die so dosiert ist, dass sie das Gefühl heraufbeschwört, wie eine
Primaballerina durch die Luft zu schweben.
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – ihre Akkorde erklingen auch
in der neusten Kollektion „Trade Routes“; inspiriert vom Handel mit
den kostbarsten Waren aus aller Welt, die im frühen 19. Jahrhundert in
den Londoner Docks lagerten. Ob wertvolle Perlen und Seidenstoffe
(in „Empressa“) oder Gewürze, Hölzer, Harze, Rum, Absinth, Safran,
Amber, Oud und Patschuli (in „Levantium“). Auf ihnen prangen selbstverständlich die Wappen, die königlichen Zertifikate, die den fortbestehenden Handel mit HRH The Duke of Edinburgh und HRH The Prince
of Wales symbolisieren.
In der Vergangenheit war es nur das Parfüm, das die Menschen an
fernste Orte und exotische Plätze führen konnte. Häuser wie Penhaligon’s lassen uns diese Reisen, diese Emotionen nach wie vor erleben
und mehren ihren Erfolg. Obwohl wir heute um die Welt jetten. Oder
gerade deswegen.
Wir woll’n den Glow
Die Ne
ulinge
Streichelei
Bislang war die Londoner Kosmetikmarke Rodial bekannt für Pflegeprodukte mit vielversprechenden
Inhaltsstoffen wie Bienengift (soll Falten schneller
glätten) oder „Drachenblut“ (Feuchtigkeitsspender).
Doch nun wird es äusserlich. Inhaberin Maria Hatzistefanis hat drei Jahre lang an einer eigenen Make-Up
Linie gewerkelt. Neben Puder, Primer, Mascara & Co.
hat sie auch die jeweils passenden Pinsel dazu entwickelt. Die „Foundation brush“ ist absichtlich aus
Kunsthaar, damit die Flüssig-Foundation nicht aufgesogen wird, ein runder Pinselkopf soll für einen
ebenmässigen Auftrag sorgen. Tipp: Waschen Sie ihn
regelmässig mit einem milden Shampoo aus. Föhnen
ist nicht nötig. Gibt’s über niche-beauty.de
Ei, ei, ei
Statt Frühstücksei: Wie wäre es mal mit einem
„Beautyblender“? Dem kleinen latexfreien, mehrfach verwendbaren Schwamm in Eiform, mit dem
sich jegliche Art von Concealer oder Make-up leicht
und streifenlos auftupfen lässt. Feuchten Sie ihn mit
Wasser an (er entspricht etwa der abgebildeten
Grösse), stupsen sie ihn kurz auf ein Handtuch,
tunken ihn vorsichtig in die Farbe, und los geht’s mit
dem Verteilen! Die Farben haben übrigens eine
Bedeutung: Schwarz ist für Profis (dafür wurde der
Blender übrigens in Hollywood entwickelt), Weiss
für ganz Sensible und Pink für alle anderen. Gibt’s
etwa über manor.ch
Eine für alle
Keinen Platz mehr im Schminktäschen? Ruckeln,
quetschen, abwägen, ob Make-Up, Concealer,
Puder & Co. auch alle hineinpassen? Bobbi Brown
schafft nun Abhilfe mit der „Face Touch-Up“Palette, in dem alle notwendigen Helferlein in einer
nur Handflächen kleinen (!) Schatulle Platz finden.
Aus den beliebtesten Make-up-Kombinationen
ihrer Kundinnen hat die Amerikanerin nun 15 dieser
Paletten entwickelt. Damit sollen Augenringe in
zwei Schritten überdeckt, soll der Teint mit der Skin
Foundation überall getüncht werden und zum
Schluss das Kompaktpuder ein Absetzen in den
Fältchen verhindern. Und was zeigt uns das? Dass
wir eben doch alles haben können.
55
INTERVIEW
riecht oder nicht. Wann er auf den Markt
kommt, ist so egal, ebenso, ob er von Frauen
oder Männern getragen wird.
A
Am Morgen hatte er in
Howick Place die Männer-Kollektion gezeigt,
in bester ConférencierManier, amüsant und
cool wie die Entwürfe.
Er beherrscht den perfekten Auftritt, als Designer, als Schauspieler, als Regisseur. Und natürlich beherrscht er die Pose, immer noch,
immer besser. Und nervt damit kein bisschen.
Seine Umgangsformen sind so britisch, formvollendet, begleitet von subtilem Humor, dass
die Herkunft Texas als merkwürdiger Bruch
erscheint. Jetzt, am Abend, sitzen wir in einem separaten Raum im angesagten, exklusiven Londoner „Chiltern Firehouse“-Hotel –
wo sonst sollte er sein neues Parfum feiern?
Ach ...
Die einzige Frage ist: Ist es ein toller Duft?
Wahrscheinlich ist das eine sehr unromantische Antwort, ich könnte mich auch hinstellen und sagen: „Oh, ja, der Mai ist so ein Wonnemonat, voller Romantik und langer Sommernächte in Paris, in denen es bis 23 Uhr hell
ist und viel Zeit ist für die Magie der …“ und so
weiter. Aber der Punkt bleibt: Duftet er gut?
Und was den strategisch richtigen Zeitpunkt
betrifft, also wie häufig und wann man einen
Duft auf den Markt bringt: Das muss man ganz
realistisch sehen. Man braucht vor allem ein
tolles Produkt. Dann überlegt man, welches
der passende Zeitpunkt ist: Kommen gerade
andere Düfte auf den Markt? Diese pragmatischen Aspekte sind vielleicht unromantisch,
aber so sieht die Wirklichkeit aus.
Sprechen wir also über Noir Extreme. Ist der
Mai ein guter Monat, um einen neuen Duft auf
den Markt zu bringen, weil der Sommer vor
der Tür steht, mit den warmen Nächten und
voller Losgelöstheit?
Man weiss nie genau, wann der passende Moment ist. Wenn man beispielsweise ein Produkt „Extreme“ nennt, kann man nie sicher
sein, ob nicht irgendetwas Furchtbares passiert und es dann heisst: „Oh Gott, und du hast
es ‚Extreme‘ genannt!“ Und man denkt sich:
„Wenigstens heisst es nicht ‚Extremiste‘!“ Das
klingt jetzt furchtbar, aber unser PR-Team für
Düfte schreibt normalerweise wortreiche
Texte, doch für mich sind nur meine Idee bei
der Duftentwicklung und die Inhaltsstoffe
wichtig, und ob er gut riecht oder nicht. Und
ich habe das also meinem Fahrer vorgelesen
und musste laut lachen (lacht) – das können
Sie ruhig schreiben –, denn es ist alles so ein
Blödsinn! Wichtig ist nur, ob ein Duft toll
„Mein idealer
Mann bin ich”
Mag jetzt auch die grosse Bescheidenheit angesagt
sein: Kaum trifft man Tom Ford, überlegt man, dass
ein bisschen mehr Hedonismus eigentlich nichts
Schlechtes sein kann. Das Sympathischste an dem
Wahl-Engländer aber ist, Interviews mit ihm sind
TOM FORD (5); MONTAGE: ICON
niemals langweilig, sagt Inga Griese
Der Grund, weshalb man Parfüm verwendet,
ist wahrscheinlich auch viel unromantischer
als verheissen. Gehört es nicht einfach zum Anziehen dazu?
Ich bin besessen von Düften, wirklich. Meistens rieche ich wie ein wandelndes Potpourri
aus all meinen Düften, weil ich sie alle benutze – ich sprühe sie einfach alle übereinander,
in mehreren Schichten. Ich denke, dass es bei
all meinen Düften einen gemeinsamen roten
Faden gibt. Amber, Patschuli, Vanille, Sandelholz – es gibt einige Noten, die ich immer liebe. Manche finden die schwer, aber für mich
sind sie satt und üppig. Und sowohl „Noir“ als
auch „Noir Extreme“ sind interessant, denn
sie haben würzige Kopfnoten und blumige
Herznoten, aber die Basisnote, die den Duft
erdet, besteht bei beiden aus Amber, Vanille
und Sandelholz. Insofern haben alle meine
Düfte ein gemeinsames Thema: Sie sind
warm. Manche haben auch eine gewisse kühle
Note, aber insgesamt sind sie warm.
Ihre Unisex-Idee kam damals gut an, jetzt haben auch Sie Düfte für Frauen und für Männer.
Fordert der Markt diese Unterscheidung?
Ja, es ist wirklich eine Frage der Markterfordernisse. Vor allem Männer – mehr Männer
als Frauen, aber manchmal auch Frauen – fühlen sich beim Kauf eines Dufts sicherer, wenn
sie wissen, dass er für sie gedacht ist. Trotzdem wird das Damenparfüm „Black Orchid“
zu etwa 20 bis 25 Prozent von Männern gekauft. Ich habe beruflich mit einem sehr netten Italiener in Mailand zu tun – eindeutig heterosexuell – und eines Tages trug er „Black
Orchid“. Ich fragte ihn: „Ist das ,Black Orchid‘?“ Als er das bejahte, meinte ich: „Wusstest du, dass wir das ursprünglich als Frauenduft entwickelt haben?“ Der Mann war ganz
aufgeregt. „Wirklich?! Oh Gott! Aber ich finde
ihn toll!“ Ich sagte: „Das ist völlig okay! Du findest ihn toll! Und er steht dir super!“ Ich glaube also – nein, ich weiss –, dass sich die Grenzen verwischen. Es ist den Leuten immer weniger wichtig. Sie tragen einfach, was ihnen
gefällt. Aber dieser Duft, über den wir jetzt
sprechen, ist „Men’s Noir Extreme“.
Denken Sie, dass sich auch die Männer in den
vergangenen Jahren verändert haben? Grenzen lösen sich ja nicht nur im Parfümregal auf.
Auf jeden Fall! Das ist genauso wie mit diesen
ganzen jungen Models, die jetzt vielleicht 17,
18, 19, 20 Jahre alt sind. Die haben eine ganz
andere Einstellung zu Männlichkeit und Sexualität. Sie sind nicht so festgelegt. Auch bei
mir gibt es noch diese Rückstände, die Überreste, die meine Generation prägen. Zum Beispiel bei blumigen Düften: In diesem und
auch in anderen unserer Herrendüfte gibt es
eine Menge Blumennoten, und in der viktorianischen Zeit wurde das sehr geschätzt. In
den 1890er-Jahren war Veilchen ein sehr beliebter Herrenduft. In den 1950ern hiess es
dann: Oh nein, Männer tragen keinen Veilchenduft, keine Blumennoten! Heute wird das
viel eher akzeptiert. Es ist offener, lockerer.
Aber ist das in allen Lebensbereichen so?
Ich glaube ja. Sie nicht?
Mir kommt es so vor, als ob die Amerikaner immer weniger entspannt sind.
Ich lebe ja überwiegend in Europa, aber ja, leider nimmt man die religiösen Rechte wahr
und die Amerikaner, die sich sehr lautstark
äussern. Es ist lustig, sie kommen zu mir ins
Büro und sind alle so laut. Wenn unser New
Yorker Team bei uns eintrifft, kann man sie
sofort hören. Und das Komische ist, dass ich
den amerikanischen Akzent nicht gerne höre,
dabei weiss ich, dass ich selber einen habe. Ich
finde das besser, als einen falschen englischen
Akzent zu haben. Aber er klingt für mich
trotzdem schrill. Wie auch immer, ich weiss
gar nicht mehr, was ich eigentlich sagen wollte … Ach ja: Sie haben recht – in Amerika gibt
es noch diese Rückstände. Und doch: Die Kinder meiner Freunde sind jetzt um die 17, 18, 19,
20 Jahre alt und sind so entspannt, was ihre
Kleidung und ihr Aussehen betrifft. Jungs lackieren sich die Fussnägel, sie sehen aus, als
wären sie schwul, aber sie sind es nicht. Selbst
in Amerika ist es sehr, sehr viel lockerer geworden. Alles, überall.
In Grossbritannien gehören eine gewisse Extravaganz und politische Unkorrektheit zum
guten Stil. Ihre neue Männer-Kollektion scheint
direkt darauf einzuzahlen, sie hat Humor und
Eleganz.
Dankeschön! Nun, ich lebe schon eine ganze
Weile hier und ich fürchte, ich habe mittlerweile etliche britische Eigenheiten. Ich mag
diese Mischung aus Skurrilem, Lebensqualität, guten Umgangsformen und Leichtigkeit.
Die Briten hatten immer ein Faible für das
Exzentrische. Sie lieben Kostümfeste. Man
hat hier immer noch einen gewissen Hang
dazu, sich herauszuputzen. Anderswo auf
der Welt erlebt man es selten, dass alle Menschen auf der Strasse wie aus dem Ei gepellt
wirken, aber hier sind Frauen frisch frisiert,
haben die angesagten Handtaschen – und
schämen sich nicht dafür, dass sie neu sind.
Das ist interessant.
Sie empfehlen diese Sneaker zum Abendanzug.
Eine smarte Idee. Andererseits standen gerade
Sie immer sehr für Eleganz.
Ich fand, die Models sahen elegant und chic aus
in diesen Sneakers. Ich selbst würde sie wahrscheinlich nicht tragen, denn ich bin zu alt.
Aber wenn ich 25 wäre und etwas grösser und
schlanker: auf jeden Fall. Will nicht jeder grösser und schlanker sein? Ich schon. Jede neue
Generation ist grösser als die davor, und ich
fühle mich immer kleiner, denn ich schrumpfe, während die Models alle zehn Jahre fünf
Zentimeter grösser werden. Nein, ich denke,
das ist eine sehr moderne Art der Eleganz. Sehr
entspannt. Ich mag diesen Look sehr.
Haben Sie ein ideales Männerbild?
Nun, ohne narzisstisch klingen zu wollen:
Mein idealer Mann bin ich. Wenn ich es nicht
selbst bin, so wie ich jetzt aussehe, dann sind
es meine Kriterien bei der Arbeit an einen
Look. Wenn ich etwas anziehe, überlege ich:
„Hm, wenn ich 1,88 gross wäre und sieben Kilo leichter: Ja, okay, das geht.“ Also ist es eine
Art Fantasie-Selbstbild mit Fremdanteilen.
Wenn ich mir nicht vorstellen kann, ein Stück
unter veränderten Körper- oder Altersbedingungen zu tragen, dann fliegt es raus.
Selbstvertrauen ist ja nichts Schlechtes. Warum
ist es uns oft so suspekt?
Ich denke, man braucht immer einen Standpunkt und einen Leitwolf. Unbedingt. Prada
sieht immer nach Prada aus, weil es dem Geschmack von Miuccia entspricht. Und man
spürt, dass es Miuccia ist. Karl Lagerfelds Sachen sind ganz klar Karl. Erfolgreiche Marken
haben einen Standpunkt. Sie sind mal mehr
und mal weniger angesagt, aber sie haben immer einen Standpunkt.
Fühlen Sie sich von den neuen Medien und ihrem hohen Tempo unter Druck gesetzt?
Ja, ein wenig durchaus. Ich nutze Social Media nicht so stark wie viele andere, weil ich denke, dass es einen entzaubert, wenn man zu
präsent und verfügbar ist. Ich
möchte mich nicht mit George
Clooney vergleichen, aber ihn
sieht man auch nie, wenn er
nicht gerade einen Film promotet. Er ist nicht ständig in
der „Hello!“ präsent. Wenn
man ihn dann sieht, denkt
man: „Oh, wow, George Clooney.“ So erhält man sich … Ich
weiss nicht, wie sich das anhört, wenn Sie es aufschreiben, aber es stimmt. Daher
denke ich, man muss, besonders, wenn man eine Marke ist,
sehr sorgfältig sein. Aber es
entspricht auch meinem Wesen. Ich bin ohnehin schon eine öffentliche Person. Ich möchte nicht, dass jeder ständig sehen kann, was
ich mache. Ich muss den Leuten nicht zeigen,
was mein Sohn und ich zu Abend essen.
Wie stellt man es als Mann an, auf kluge Weise
älter zu werden?
Oh je, darüber habe ich gerade heute nachgedacht, als ich mich umzog. Man muss sehr vorsichtig sein. Ich werde es zulassen müssen, ein
klein wenig zu altern.
Was gut ist …
Es bleibt einem nichts anderes übrig. Was für
eine Alternative hat man? Ich möchte nicht
jünger aussehen, als ich bin. Ich möchte bestmöglich für mein Alter aussehen. Das habe
ich einmal jemanden sagen hören. Ich möchte
bestmöglich aussehen, mit 53, mit 55, mit 60,
mit 70 und mit 80. Beweglich bleiben, Yoga
machen, gesund sein.
Wenn man krampfhaft versucht, 20 Jahre jünger auszusehen …
... dann sieht man aus wie ein Idiot.
Was für Frauen und Männer gilt?
Und darum werde ich auch keine Tennisschuhe zum Smoking tragen.
57
GABRIELE KOSTAS (1), OLIVER MARK (7)
Mehr Gärten der Lagunenstadt gibt’s im Bildband „Die geheimen Gärten von Venedig“ (DVA) zu sehen
IN VENEDIG
Nah am
Wasser gebaut
Eine nahezu unbekannte Traumwelt
Venedigs verbirgt sich hinter den Mauern
der Palazzi: die geheimen Gärten. Für
Andreas Tölke öffneten sich die Tore –
so lernte er die Stadt ganz neu kennen.
Oliver Mark begleitete ihn mit der Kamera
58
V
or elf Uhr empfängt Contessa Barnabò nicht. Immerhin, kurz vor der vollen Stunde öffnet sich ein
Fenster im ersten Stock
des Palazzo Cappello Malipiero Barnabò und die
Gastgeberin erscheint im
Rahmen. Ihr Blick fällt nun nicht nur auf den
Canal Grande, er fällt auch auf eine Oase aus
Rosen, Oleander, Iris und Hortensien umrandet von Buchsbäumen. Ein wenig französische
Gartenkunst und ziemlich viel italienische
Grandezza. Contessa Barnabò aber wirkt reserviert, während sie in ihr Idyll schaut – in den
Garten, in dem schon Lord Byron und Giacomo Casanova Mussestunden verbrachten.
Es ist sehr selten, dass die Gräfin Journalisten
eine Audienz gewährt und auch diese kam nur
zustande, weil eine Botin im Spiel war. Mariagrazia Dammicco, eine Expertin, öffnet die
Türen zu Venedigs exklusivsten Verstecken,
den Gärten, die man nur vom – pardon – Vorbeigondeln kennt. Vor allem den von Contessa
Anna – wenn sich im Sommer Kaskaden aus
weissen Rosen (Snow Carpet) über die Balustrade zum Canal Grande ergiessen. Es ist visuelles Ausruhen von all den opulenten Fassaden am Wasser, die aus dem Vaporetto maximal den Blick in kleine Gassen zwischen den
Palazzi freigeben.
Aber dann eben das: Der Garten der Contessa
mit Statuen aus dem 18. Jahrhundert, eine Allegorie auf die vier Jahreszeiten. Sie schliesst
ihre Fensterläden wieder, wir werden auf der
Etage empfangen. Im Salon, geschätzte 250
Quadratmeter, plaudert die Hausherrin des
800 Jahre alten Palazzo über die Passion, die
sie ergriff, als sie von Paris nach Venedig kam:
„Bei meinem Einzug wurde noch Wein angebaut und erst über alte Aufzeichnungen konnte ich mir ein Bild machen, wie der Garten ursprünglich angelegt war. Wir haben ihn dann
rekonstruiert.“ Ob ihr Besucher wisse, fragt
die Contessa, dass es in Venedig über 500 Gärten gebe? Der ihre, den sie seit drei Dekaden
pflegt, gilt auch nach Meinung der begleitenden Expertin Mariagrazia Dammicco als einer
der schönsten. So herrlich, dass ihr Nachbar,
der Unternehmer und Kunstsammler
François Pinault, nach Vernissagen in seinem
Museum im Palazzo Grassi gern Gäste in den
Garten der Contessa einlädt.
Ihr erleichtert das Zubrot den Unterhalt des
Hauses, denn obwohl es ein Denkmal ist, gibt
es keine Unterstützung von staatlichen Stellen. Venedig wuchs aus der Lagune, umrandet
von Salzwasser, da hatten die Gärten zunächst
eine ökonomische Funktion: „Die gepflasterten Plätze, die wir heute kennen, waren Anbauflächen für Obst und Gemüse.
Erst seit dem Jahr 1500 ist dokumentiert, dass
es grüne Oasen rein zum Entspannen gab“, erklärt Mariagrazia Dammicco. Sie ist den Hideaways auf der Spur. Mehr als zehn Jahre hat
sie recherchiert, hat mit dem Boot an Toren
angelegt, die Grün verhiessen, und geklingelt:
„Ich habe noch immer nicht alle Gärten gesehen“, erzählt sie und deutet auf eine Mauer
über deren First Äste wippen: „Hier zum Beispiel. Ich kenne die Besitzer, aber sie erlauben
keine Besuche.“ So geht es den ganzen Tag.
Wenn nur ein Hauch von Pflanze aus einem
Kanalgrundstück lugt, hat Mariagrazia Dammicco die Geschichte der Palazzi, der Besitzer
und vor allem deren Gärten parat. Das ist ihre
Passion. Ihren Lebensunterhalt verdient sie
als Historikerin. Vor 15 Jahren gründete Maria-
grazia mit ein paar Enthusiasten den Club „Giardini Storici Veneziani“ – und dieses Jahr hat
sie es geschafft, zumindest einige Gärten für
ein paar auserwählte Nicht-Mitglieder erlebbar zu machen. Zusammen mit dem „Westin
Europa & Regina“ wurde eine Tour für Gäste
entwickelt. Das Hotel unweit der Piazza San
Marco, ist Start und Ziel, um mit dem Boot
fünf bis sechs Gärten zu besuchen.
Der Garten von Contessa Barnabò ist ein Höhepunkt. Die mehr als 60 Anlagen, die zur
Auswahl stehen, sind während einer VenedigExkursion sowieso nicht zu schaffen. Einen
guten Überblick verschaffen sich Gäste mit einem Mix aus Kloster- und Privatgärten. Öffentliche oder Museums-Gärten, wie der des
Peggy Guggenheim Museums, kann man getrost in Eigeninitiative besuchen. Doch die
Pforte zum Palazzo Nani Bernardo von Contessa Elisabetta Lucheschi-Czarnocki öffnet
sich nur mithilfe von Mariagrazia. Eine weitere Contessa, aber ein Garten, der weniger ins
Auge springt, eher die klassische Variante.
Vom Wasser aus wird angelegt, der Portego,
ein Flur, führt quer durch den Palazzo und
dann erreicht man den Garten.
Splendid Isolation umrandet von Mauern, uneinsichtig für die Nachbarn: Contessa Czarnocki hat von der Terrasse eine Orangerie abgeteilt, die Zitronen blühen: „Oliven und Zitrusfrüchte sind natürlich Teil fast jeder Bepflanzung, aber die Blume Venedigs ist die Rose",
sagt Mariagrazia Dammicco. Dabei ist Rosenzucht in Venedig ein Kraftakt, der höchste
Aufmerksamkeit erfordert: Der Humus muss
im wahrsten Sinne des Wortes herbeigeschippert werden, Süsswasser muss man aus der
Leitung nehmen, im Boden ist es in dieser artifiziellen Stadt ja nicht vorhanden.
Im Garten des Palazzo Nani Bernado darf die
Rose nicht fehlen, auch nicht die abgezirkelten Buchsbaumbeete. Der Liebling der Contessa ist allerdings die Brolo, eine zarte Orchidee, die im hinteren Bereich des Gartens auf
den Sommer wartet. Ein Palazzo in venezianischer Gothik aus dem 18. Jahrhundert, ein
Garten im Stil der Renaissance, also des 15.
Jahrhunderts – da drängt sich die Frage auf,
ob es zuerst den Garten gab. „Nein, ganz anders. Hier standen kleine, schäbige Häuser, die
vor circa 150 Jahren abgerissen wurden, und
erst dann wurde der Garten angelegt“, berichtet Mariagrazia.
Und es herrscht Vielfalt: Signora Laura Candianis Garten hat wieder eine ganz andere Geschichte: „Der Palazzo Grimani ai Servi, der
aus drei Gebäudeteilen besteht, brannte Anfang des 19. Jahrhunderts nieder, nur die Gärten blieben erhalten“, erzählt sie. Drei Gärten,
um genau zu sein. Eine Rasenfläche, eingerahmt von Jasmin und Efeu, ein Garten mit
den schon bekannten Buchsbaumhecken und
ein Gemüse- und Spielgarten für die Kinder
der Grossfamilie. Es ist die Quintessenz der
venezianischen Gärten, wie ein paar Kanäle
weiter der Garten der Scuola Vecchia della Misericordia zeigt. Hier, im ehemaligen Kloster
aus dem 13. Jahrhundert, haben Nonnen ein
Armenhaus betrieben und Gemüse angebaut.
Hier ist nicht nur eine Anmeldung nötig, der
Besuch muss durch die Ausweisvorlage legitimiert werden. Das Vergnügen, so exklusiv es
erscheint, ist nach den gesehenen opulenten
Anlagen eher spartanisch. Rasenflächen, Rosen, Jasmin und ein paar Pinien. Ein Tag mit
Wassertaxi, gegelten Haaren und übergrossen
Sonnenbrillen auf den Kanälen neigt sich
dem Ende entgegen. Es war ein Tag, der einen
neuen Blick auf Venedig freigibt: Auf eine
Stadt, in der einem was blüht.
Im Garten der Contessa
Czarnocki des Palazzo Nani
Bernardo (rechts) sitzt die
Hauskatze
Oben: Signora Laura Candiani im
Buchsbaum-Labyrinth des Palazzo
Grimani ai Servi.
Links: Scuola Vecchia della Misericordia, ein ehemaliger Klostergarten
Unten: Contessa Anna
Barnabò im PorzellanZimmer ihres Palazzo
Malipiero. Links: Noch
eine Katze. Rechts: der
Portego des Palazzo
Nani Bernardo
Chiswick House and Gardens
Kaktusinstallation in der Paul-Smith-Boutique
Exponate im Sir John Soane’s Museum
IN LONDON
Hidden Places
Covent Garden
In den 70er-Jahren arbeitete ich als freiberuflicher Designer und hatte den Traum, meinen
eigenen Shop zu eröffnen. Mir war nicht klar,
dass die Ausgaben viel höher sein würden, als
das, was ich zur Verfügung hatte! In Covent
Garden kannte ich mich gut aus. Damals war
hier ein Obst- und Gemüsemarkt, aber die
Verkäufer zogen weg, deshalb gab es all diese
leer stehenden Gebäude. In der Gegend spielten viele Bands in Clubs und leeren Lagerhallen, und ich fand mich in diesem Getriebe gut
zurecht und wusste, dass das der richtige Ort
für mich wäre.
Ich leuchtete Briefkästen mit meiner Taschenlampe ab und entdeckte so dieses grossartige Gebäude, von dem ich fasziniert war,
weil es aus Beton und nicht aus Backstein war.
Ich war ein grosser Fan von Bauhaus und Corbusier, also war es perfekt für mich. Schon
1976 konnte ich es kaufen und glücklicherweise dann drei Jahre später dort mein Geschäft eröffnen. In den ersten Tagen war in
dieser Gegend nicht viel los und es war sehr
schwierig, sich über Wasser zu halten. Aber
nach und nach änderte sich das und bald eröffneten viele wundervolle Läden; alternative
Buchshops und Boutiquen von Jungdesignern. Wenn man heute nach Covent Garden
kommt, findet man eine sehr beliebte touristische Gegend vor, aber mein Shop steht immer noch in der Floral Street und ist ein verstecktes Juwel im hektischen London.
60
Holland Park
Wenn man den Holland Park betritt, im Herzen von Kensington und Chelsea, fühlt man
sich sofort, als wäre man auf dem Land. Es ist
ganz normal, dort Eichhörnchen oder Hasen
zu sehen, früher gab es hier sogar Flamingos
und im „Kyoto Garden“ liegen riesige Steine
aus Japan. Ab 2016 endet eine Tour durch den
Sie glauben, London sei eine Stadt, die touristisch
ausgeleuchtet ist? Diese Tipps von Paul Smith eröffnen
neue Seiten – Massimo Rodari fotografierte
Park nicht mehr im „Commonwealth Institute“, sondern im neuen „Design Museum“, das
von seinem jetzigen Standort nahe der Tower
Bridge hierher zieht. Dort hatte ich letztes
Jahr meine Ausstellung „Hello, My Name is
Paul Smith“. Die Restaurierung dieses Gebäudes wurde von dem Architekten John Pawson
geleitet, ein Freund von mir.
Sir John Soane’s Museum
Dies ist eines meiner Lieblingsmuseen, es gibt
hier eine verrückte, umfassende Mischung
von Dingen, die Sir John Soane sammelte. Er
reiste viel und brachte Objekte und Artefakte
aus der ganzen Welt mit. Das Museum war
einmal sein Haus, das aus drei Häusern zusammengesetzt wurde. Der Hausherr war
nämlich Architekt, entwarf auch die „Bank of
England“. Er experimentierte auch viel. Wo
einst der Speisesaal war, stehen jetzt Hohlspiegel und wenn eine Kerze in diesem Zimmer brennt, erzeugen die Spiegel ein märchenhaftes Licht. Es gibt auch eine riesige
Sammlung von Bildern von William Hogarth.
Sir John Soane besass so viele davon, dass er
die Wände so entwarf, dass sie sich wie Türen
öffneten, damit auf beiden Seiten ein Bild von
Hogarth Platz hat. Er hat es meisterhaft verstanden, viele Dinge in einem kleinen Raum
unterzubringen. Es ist ein magischer Ort.
The Wallace Collection
Das ist ein kleines, feines Museum, das nicht
weit von der Oxford Street am Spanish Place
in Marylebone liegt. Die Sammlung stammt
aus dem 19. Jahrhundert und gehörte ursprünglich Richard Seymour-Conway. Mir gefällt besonders, dass ein paar der Ausstellungsstücke unter grossen Lederdecken präsentiert
werden, um sie vor Licht zu schützen; man
schiebt das Leder zur Seite und stösst auf diese wunderschönen Kunstwerke.
Chelsea Physic Garden
Ein botanischer Garten voller Pflanzen, die
von medizinischem Nutzen sind. An einem
sonnigen Tag kann man hier eine wunderbare
Zeit verbringen. Es gibt ein sehr nettes Café
und einen tollen Souvenirshop, der auch
Pflanzen verkauft.
Chelsea Physic Garden
Kyoto Garden im Holland Park
Die Wallace Collection in Marylebone
Versteckt in den Kew Gardens: Marianne North Gallery
Chiswick House and Gardens
Ursprünglich wurde das Haus im 19. Jahrhundert von Lord Burlington entworfen, der sehr
vom Renaissance-Architekten Andrea Palladio fasziniert war – und es hat auch einen sehr
schönen Garten. Ich gehe oft in die Gärten
und auch in das Café, das von dem britischen
Architekten Caruso St John entworfen wurde,
der auch das zeitgenössische Kunstmuseum
in meiner Heimatsstadt Nottingham und die
Erweiterung der Tate Britain entworfen hatte.
Abgesehen davon, dass das Café ein wunderschönes Gebäude ist, gibt es dort auch köstliche Käse-Sandwiches.
Kew Gardens
Aus der Vogelperspektive kann man Kew Gardens erleben. Auf erhobenen Pfaden spaziert
man dort durch die Baumkronen und erhält
so eine ganz neue Perspektive auf die Landschaft. Die Marianne North Gallery ist zwar
schwer zu finden, aber auf jeden Fall einen
Besuch wert. Marianne North war eine Biologin und botanische Künstlerin im viktorianischen Zeitalter. Sie reiste leidenschaftlich
gern um die Welt und zeichnete viele Pflanzen, die ihr dabei unterwegs begegneten, die
nun vor Ort ausgestellt sind. In Kew Garden
gibt es auch die Sackler Bridge, die ebenfalls
von Architekt John Pawson entworfen wurde.
Sie ist eine elegante Brücke, die aus vertikalen
Metallsäulen besteht und sie suggeriert dadurch eine Leichtigkeit, als würde man über
den Fluss schweben.
MITTWOCH, 13. MAI 2015
London Diary
Erinnern Sie sich? An die Zeit, als man statt WhatsApp und E-Mail
noch Karten von fremden Orten schrieb? Wir tun es noch immer.
Illustrationen von Tim Dinter und Zebedee Helm
Der elegante sandfarbene Häuserblock könnte in Paris
stehen, wie auch die Platanen, die in der Northumberland Avenue Schatten an die Fassaden zeichnen. Wir
sind nicht in Paris. Es ist London am Whitehall Place,
direkt an der Themse, über die Hungerford Bridge
gelangt man direkt zum London Eye, drei Schritte
in die entgegensetzte Richtung, der Trafalgar
Square. Zur Seite, Big Ben. An diesem magischen
Dreieck steht mit seinem französischen Charme,
elegant und unaufgeregt, „The Corinthia“. Eine
wunderbare Atmosphäre, Sonnenschein in London. Tief durchatmen und träumen. Man könnte alles vergessen. Aber halt, es gibt natürlich zu dem Gebäude am Whitehall Place sehr viel zu erzählen!
Das Hotel wurde 1885, angelehnt an den Pariser Baustil,
erbaut. Das damalige „Hôtel Métropole“ war Anfang des 20.
Jahrhunderts der Treffpunkt der Londoner Gesellschaft. Prunkvolle Bälle wurden gefeiert, das Cabaret
„Midnight Follies“ war ein Highlight in den 20er-Jahren. 1936 zieht das Verteidigungsministerium in den
französischen „Häuserblock“. Das Ministerium verstaute 600 Büros. Eine
Legende besagt, es existierte ein Tunnel direkt zur Downing Street.
Eine historische Verantwortung, als 2008 die Renovierung des Gebäudes
beginnt und es wieder zu einem Hotel umgestaltet werden soll. Die 125
Jahre zählende Sandsteinfassade wird detailgetreu restauriert. Innen angenehm modern, nicht unterkühlt. Geschickt werden die vergangenen
Zeiten in kleinen Details zitiert. Aus den 600 Büros werden 294 Zimmer,
ein fabelhaftes Spa in ebenso fantastischer Grösse von 3300 m2 und wieder einem prunkvollen
Ballsaal. Bemerkenswert der violett/orangefarbene Teppich, der den Raum dominiert.
Das hat Stil. Man kann nicht umhin, sich
dort die Feste vorzustellen, wie sie im
„Métropole“ stattfanden. Die beeindruckenden Räume mit den meterhohen Decken einer Beletage beherbergen das
„Northall“-Restaurant, dessen britische Küche einfach ausgezeichnet ist, und das
„Massimo“-Restaurant. Sehr nett ist dort der
Service, eine kleine Leselampe zur Menükarte
zu bekommen. So sitzen viele Gäste wie in einer
ehrwürdigen Bibliothek über ihren Büchern. Gut
studiert, bestens italienisch gegessen, am weltbesten
Tiramisu kommt man gar nicht vorbei. Die Dolci
sind eine Vorliebe des Chefkochs. In der Kuppel
der Lobby Lounge eine Lichtinstallation aus 1001
Kugeln französischen Kristalls, natürlich: Baccarat.
Angekommen im 21. Jahrhundert. Bleibt nur eine Frage: Wie kann man
London geniessen, ohne das Hotel verlassen zu müssen? Ganz einfach in
eine der Penthousesuiten einchecken und von der Dachterrasse aus einen
Blick auf das Panorama nehmen; ein hellblau-grau-weisses Gemälde, hinter
sich die romantische französische Dachgaube. Magic! Jetzt darf man wirklich getrost alles vergessen.
Barbara Krämer will beim nächsten Trip wenigstens einmal vor die Tür
Ausschneiden, nachlaufen.
Der Typ unten ist, richtig:
Spike aus dem HollywoodHit „Notting Hill“
THE CORINTHIA
THE HALKIN
UNTERWEGS MIT HERMÈS
WEILE OHNE EILE
Das Bedürfnis, vor die Tür zu gehen, schleicht sich im „Connaught“-Hotel
über die dicken Teppiche auf leisen Sohlen davon. Zum Glück ist es Sonntag, auch die exklusiven Boutiquen in der angrenzenden Mountstreet gönnen sich eine Verschnaufpause. Die „Library Suite“ bietet Lesestoff für ein
halbes Semester, einen Postkartenblick über die Dächer von London sowie
eine grosse Lichtsäule, um die der Wind pfeift wie an der Nordsee. Fast
sehnt man aus Gemütlichkeitsgründen den Regen herbei – einer der wenigen Wünsche, die der Etagen-Butler vermutlich nicht erfüllen könnte. Dafür: Tee! Und Obst und Kekse und das Sofa, in das man sich fallen lässt wie in
die Arme eines riesigen Teddybären. Im Erdgeschoss betreibt die französische Köchin Hélène Darroze ihre Zwei-Sterne-Küche. Im Hotelrestaurant
„Espelette“ gibt es frische Brasseriekost mit britischem Einschlag und dazu
den Blick auf ein Wasserspiel des japanischen Stararchitekten Tadao Ando.
Die geheimen Kammern des „Connaught“ liegen jedoch zwei Stockwerke
unter der Erde: Hier gibt es einen badewannenwarmen Pool, eine Dampfsauna, Gym und asiatisch inspirierte Körperbehandlungen im „Aman“-Spa.
Der Rückweg wird zum Slapstick: Halb benommen vor Entspannung taumelt man leicht orientierungslos durch die Marmorgänge der Lobby. Da
hilft nur: Tee! Und die aufsteigende Energie, die einem sagt, nun bereit für
die Grossstadt zu sein.
Heike Blümner empfiehlt für Wellnessurlaube ab sofort London
ZEBEDEE HELM FOR HERMÈS; INGA GRIESE (2)
CONNAUGHT
ILLUSTRATIONEN: TIM DINTER
62
Das Erstaunliche an Hotels ist ja häufig, dass sie nichts für ihre Scheusslichkeiten rechts und links können. Auf
Abbildungen wirken sie womöglich
elegant – aber dann steht man mit seinem Rollkoffer vor dem Gebäude und
fragt sich, wie man die Baustelle oder
die Ruine daneben ausblenden konnte.
Das „The Halkin“ ist ein Boutique-Hotel;
kein Design-Hochhaus, sondern ein feines,
altenglisches Gemäuer, das 41 Zimmer und
Suiten hinter einer georgischen Fassade beherbergt.
Das Beste daran: Es liegt im Belgravia-Viertel, ein Stadtteil an
der Hyde Park Corner, in der Halkin Street, in der nichts den Schönheitssinn stört. Blühende Magnolien, Botschaften, keine Shops, alles flüstert
Diskretion. Und diese elegante Distanz setzt sich auch im Inneren des Hotels fort. Hier tummeln sich keine Hipster-Bärte an einer Bar, hier kehren
internationale Geschäftsleute ein, die effizient arbeiten und mit Klasse absteigen möchten.
Zu der trägt auch der entspannte Blick nach aussen bei, der in den bepflanzten Hinterhof führt, während man in den zeitlos sandfarbenen Zimmern zur Ruhe kommt. Ruhe ist ein gutes Stichwort, es herrscht eine distinguierte Haltung, die im besten Sinne altmodisch wirkt. Morgens liegt
die Zeitung unaufdringlich in einem kleinen Leinenbeutel vor der Tür, daran befestigt eine Notiz mit der Wettervorhersage für diesen Tag: „Partly
cloudy sky“. Und auch das baskische Restaurant „Ametsa“, das mit einem
Michelin-Stern ausgezeichnet ist, besticht nicht mit vermeintlich cooler
Lounge-Musik oder Kellnern, die sich für Stars halten, sondern mit einer
erstklassigen Küche und Personal, das einem gern Rätsel aufgibt: Wählen
Sie die „Sea Bass with Celery Illusion.“ – „Bitte, was ist das, eine Sellerie-Illusion?“ Da müssen Sie schon selbst drauf kommen. Und dann schmeckt
man hin, rätselt, wirft Apfel in den Raum und der Ober nickt anerkennend.
Was noch? Lauch? Richtig. Und? Köstlich! Ach, und erwähnten wir die
Patata trufada? Die alleine ist die Reise wert.
Susanne Kaloff sehnt sich nun stets nach etwas eleganter Distanz
Ein Pool! Auf die Idee muss man erst mal kommen. Aber
Sophie Hicks ist nun einmal eine renommierte Architektin
– und so verwandelte sie kurzerhand das ganze Souterrain
ihres Backsteinhauses in Powis Mews, das nicht besonders
tief, dafür aber breit ist, in ein langes, schmales Schwimmbecken. Darüber führt, an gläsernen Wänden vorbei, eine
Betontreppe in die nächsten Etagen. Die lange Küche mit
dem mächtigen Edelstahlherd ganz oben wirkt wie ein
Wintergarten, ist gerahmt von lauschigen Terrassen, der
Blick rüber zu den Nachbarn ist unverhangen. „Ich stell mir
immer vor, wer sie so sind.“ Sophie Hicks ist eine ziemlich
coole Frau, sie hat als Moderedakteurin, und Stylistin gearbeitet, besonders für Azzedine Alaïa, hatte einen kurzen
Schauspielmoment mit Fellini, bis sie Architektur studierte
und seither mit ihrem Studio auch, klar, für grosse Modemarken tätig ist. Mehr als hundert Geschäfte in den Weltmetropolen sind es bereits – und auch Paul Smith zählt zu
ihren Auftraggebern, für ihn designt sie auch Parfüm-Flakons. Sie wohnt schon immer in der schmalen Strasse, von
der ihr inzwischen eine ganzes Stück gehört – und in der
David Hockney auch schon ewig ist.
Heute ist sie unsere persönliche Führerin, eine leider einmalige Tour. Auf Einladung von Hermès zeigt sie uns ihr
Notting Hill. Manche aus der international gemischten
Gruppe tragen demonstrativ den Button am Revers, der
Stararchitektin Sophie Hicks wohnt schon ewig in Notting Hill
uns als „Flaneur forever“ ausweist. Es ist das Jahresthema
der Franzosen, die Jahr für Jahr ihre Arbeit dem Motto unterwerfen, das Kreativdirektor Pierre-Alexis Dumas lange
Zeit im Voraus sorgfältig überlegt hat. Seidencarrés werden danach bemalt und Porzellan, Dekorationen werden
erdacht und die braunen Bänder bedruckt, mit denen die
orangefarbenen Kartons traditionell verschnürt werden.
Das Ganze wird so ernst genommen, abgewogen und ausgetüftelt, wie es üblich ist bei Hermès. Ein ganz besonderer Spaziergang durch London, damit sollte das Motto gefeiert werden. Auch, weil gerade in der New Bond Street
das alte, neue Geschäft wiedereröffnet worden ist. Und so
kam es, dass Ina Delcourt, die Kommunikationschefin von
Hermès, vor vielen Monaten bei Sophie Hicks anrief. Man
kannte sich nicht. Mrs. Hicks hatte gerade einen „besonders grauenhaften Tag“ hinter sich, als die Französin am
Telefon „so reizend war, das einzig nette Gespräch an diesem Tag“ und mitreissend von der Flaneur-Idee erzählte.
Was, ausser „Ja!“ hätte sie antworten sollen.
Und so schlendern wir nun an einem sonnigen April-Tag
durch den Kunst- und Kult-Bezirk, den Sophie
als Kind nicht betreten durfte, weil es als eher
dubiose Gegend galt. Gleich um die Ecke von
Mrs. Hicks’ Haus und Büro ist das „Globe“,
einst Treffpunkt der karibischen Einwanderer,
an die auch der berühmte dreitägige Sommer-Karneval erinnert. Jimmy Hendrix soll
im „Globe“ gestorben sein, wird gemunkelt. Sophie erzählt, wir lassen uns treiben. Über die immer noch
authentische Portobello Road, durch versteckte Parks und
entlang des Flusses, auf dem Hausboote mit kleinen Gärten auf dem Dach ankern, bis schliesslich zur „Dock Kitchen“ von Tom Dixon. Im Electric Cinema bleibt die Zeit
stehen; die Tür, die Spike ahnungslos und in oller Unterhose den Reportern in „Notting Hill“ öffnet, ist blau wie
eh und je. Der hässliche Trellick Tower entpuppt sich innen als architektonisches Juwel, der Blick ist fantastisch.
Dahinter ist ein wilder Garten angelegt, als vorübergehendes Projekt auf einer Brache geplant, „Meanwhile Garden“, seit mehr als zehn Jahren nun schon. Ein Entenpärchen arbeitet intensiv am Nest in der Mitte des Tümpels.
Der Wettergott wollte, dass wir alles sehr geniessen.
Nein, Flanieren hat nichts mit Sport, Tourismus, Pragmatismus zu tun. Es ist, wie Pierre-Alexis Dumas sagt „kein
Zeitverlust, sondern die Entdeckung der Zeit.“ Der Flaneur „hamstert, sammelt, pflückt“. Er nimmt
die flüchtigen Momente wahr, sieht, was wir
Eilenden übersehen, was wir vergessen haben wahrzunehmen. Botschaft verstanden.
Inga Griese
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Zunftig in
Zürich
Neun Häuser, ein Gedanke: Das neu
dekorierte Hotel „Widder“ verbindet
Historie, Innovation und sorglose Eleganz.
Esther Strerath weiss jetzt, wo es langgeht
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Im Zeichen des
Widders: Die
Zimmer des Hotels in der Zürcher
Altstadt sind
gemütlich, keinesfalls überladen
eingerichtet
Es ist von Vorteil, den niederländischen Designer
Marcel Wanders nicht zu
kennen, wenn man das
von ihm gestaltete Kameha Grand in Zürich erstmals betritt. Sonst wäre
der Überraschungseffekt
ob der – sagen wir mal üppigen – Dekoration
und Ausstattung des Hotels womöglich nicht
so überwältigend. Wanders klotzt mit seinem
ganz eigenen Humor, von überdimensionalen
Kuhglocken als Lampenschirme bis hin zu riesigen japanischen Blumenvasen. Der Hotelkomplex umfasst 224 Zimmer, zwei ExecutiveSuiten, sechs Business-Suiten, Konferenzräume, einen Eventsaal, der an ein XXLSchwimmbad erinnert, ein italienisches und
ein japanisches Restaurant, eine Bar, eine
Smoker’s und eine Shisha Lounge, ein Spa und
elf Themensuiten – alles völlig „verwanderst“.
Mir hat man die Princess Suite zum Probeschlafen zugeteilt. Und als ich sie betrete, bin
ich heilfroh, dass ich nicht die Burlesque Suite
bekommen habe. Das Interieur meiner Prinzessinnen-Räume lässt erahnen, was Wanders
mit den anderen zehn angestellt hat. Während
der Designer vom Flatscreen aus zur Begrüssung in höchsten Tönen über Design allgemein und speziell sein eigenes Design
schwärmt, zeigt der Empfangschef den
Schminktisch, der zugleich als Schreibtisch
dient und preist das üppige Blumendekor als
„neobarock“. Dann zeigt er verschmitzt lächelnd auf die brokatbezogene Schneiderbüste – es wurde wirklich an alles gedacht. Sogar
an einen kleinen Willkommensgruss für Prinzessinnen: drei Fläschchen mit Nagellack.
Wieder allein inspiziere ich die Hotelunterlagen. Als Erstes fällt mir eine Leseprobe entgegen. Sie stammt von Carsten K. Rath. Er ist der
Rockstar unter den Hoteliers, die treibende
Kraft hinter der „LH & E Group“ und Gründer
und Geschäftsführer der Hotelgesellschaft Kameha Hotels & Resort mit weiteren Ablegern
in Bonn und Frankfurt am Main. Der Redner,
Unternehmer und langjährige Hotelier hat seine 25 Jahre Hotelerfahrung in einem Buch namens „Sex bitte nur in der Suite“ festgehalten.
Die Leseprobe lässt auf einige nicht ganz jugendfreie Erlebnisse schliessen.
Wer im „Kameha Grand Zürich“ nächtigt, sollte grosses Kino mögen. Der MotivationsSpruch „Life is Grand“ – von Chef Rath lanciert – befindet sich überall im Haus, auf Broschüren, Wänden, auf den Handtüchern und in
Zeichnungen integriert. Ausserdem darf man
als Gast gern Humor haben: Das Bitte-nichtstören-Schild zieren in meiner Suite die Worte
„got a little crazy last night“ (bin ein wenig
durchgeknallt letzte Nacht).
Crazy war es vergangene Nacht zwar nicht,
aber gut gegessen habe ich im japanischen
Restaurant „Yu Nijyo“ bei Sternekoch Norman Fischer – bis auf die Gänseleber, nicht
wegen der Qualität, aber das ist heute nicht
mehr wirklich schick. Danach habe ich geschlafen wie eine Prinzessin und am nächsten Morgen gab es im Spa eine sensationelle
Massage bei Dame Africa Cuero aus Ecuador.
Noch ist das Areal rund um das Hotel eine
Baustelle, das 128.000 Quadratmeter grosse
Entwicklungsgebiet „Glattpark“. Hier entsteht ein komplett neuer Stadtteil von Zürich.
Und das wird leider auch noch eine Weile so
bleiben. Da ist es gar nicht so schlecht, dass
man im „Kameha" in eine andere, buntere
Welt eintauchen kann.
KAMEHA GRAND ZÜRICH (4)
E
WIDDER HOTEL ZURICH
P
UNTERWEGS
lötzlich steht man in einem
Flur zwischen fünf Häusern.
Und doch nicht im Freien.
Geradezu geht es zum „Haus
zum Bankknecht“, links ist
das „Haus zum Tatzfuss“, die
Treppe hinauf liegt das
„Haus der Widderzunft“, jedes hat eine andere Farbe – das Hotel „Widder“ in der Züricher Altstadt ist ein kleines Labyrinth, doch ein grossartiges.
Moderne Treppenhäuser mit hellen Steinböden führen in verschiedene Epochen, ein gläserner Fahrstuhl verbindet neun Ebenen. Das
1995 eröffnete und jetzt neu überarbeitete Hotel besteht aus neun Gebäuden – aus sieben
Jahrhunderten. Kleine Schilder weisen den
Weg zu Zielen wie „Loos Stube“ (Originaleinrichtung des Architekten Adolf Loos) oder der
Bibliothek, in der bauchige Gläser Gäste mit
Süssigkeiten versorgen. Einem Gast wurde
einmal an der Rezeption ein buntes Wollknäuel in die Hand gedrückt, als GPS. „Komplex und kompliziert“ charakterisiert Architektin Tilla Theus das Ensemble. „Ich bilde
mir ein, dass die Gäste es lieb gewinnen, dass
es keine schnurgeraden Korridore gibt, sondern ein Spiel, das neugierig macht.“
Keines der 49 Zimmer gleicht dem anderen,
in jedem trifft Alt auf Neu. In „A 15“ zieren
Wandgemälde aus dem 17. Jahrhundert (von
Conrad Meyer) den Raum. Man kann sie am
besten auf der Charlotte-Perriand-Liege in
Rückenlage betrachten und dabei die Bang-&Olufsen-Anlage anwerfen. In anderen Räumen flirten Bauhaus-Klassiker mit Himmelbetten, ergänzt altes Mauerwerk einen
Schreibtisch um eine Ablage, manche Zimmer haben Kachelöfen, alle einen Fernseher
im Badezimmerspiegel und Regenduschen.
Die schweren Bettüberwürfe aus Leder wurden jüngst durch Stoffe in Rautenmustern ersetzt, Corbusier-Sessel passend in Mintgrün
oder Rot bezogen. Tilla Theus hat auch jetzt,
beim Makeover, jedes Detail konzipiert. „Das
Textile gestalte ich gerne mit, weil es atmosphärisch prägt. Es hat doch keinen Sinn, dass
ich mich als Frau um die Baugrube kümmere
und dann kommt ein anderer Designer und
gestaltet meine Räume. Das mache ich lieber
selbst“, erklärt sie resolut.
Dabei ist mancher Blickfang, wie die stählernen Säulen in der Lobby, der baulichen Notwendigkeit geschuldet. „Die Stahlstützen sind
kein dekoratives Element, sondern Statik mit
einem dekorativen Touch – damit es verträglich wird“, so die Architektin, die auch zugibt:
„Ich möchte nicht, dass man meine Arbeit so
schnell umbauen kann. Alte Häuser verlieren
schnell ihr Gesicht.“
Um sie aber ihrer ursprünglichen Schönheit
zurückzuführen, bedarf es Forschung. Darin
ist Theus, Architektin bei „Home of FIFA“,
Spezialistin. „Wir gehen in Archive, suchen
Personen, die in dem Haus gearbeitet oder gelebt haben. Sie haben oft Bildmaterial, auf
dem man hinter der Grossmutter oder dem
Kinderwagen etwas entdeckt. So habe ich etwa über ein altes Foto vom ‚Haus zur Widderzunft‘, wo jetzt das Penthouse ist, herausgefunden, dass dort früher eine Waschküche
war, also Nutzfläche. Deshalb, das besagt die
Bestandsgarantie nach altem Zürcher Baurecht, konnten wir die Suite bauen, ohne die
das Hotel im sechsten Stock aufhören würde“,
erläutert Theus den höchsten Bau der Züricher Altstadt. Auch die tiefsten Etagen des
Viertels zählen zur „Widder“-Welt, die bis zu
neun Meter unter dem Wasserspiegel liegt.
Nun wird unter Tage gewaschen und gebügelt,
auch die Technik ist in den Tiefen untergebracht. In den 70er-Jahren hatte die USBBank die Häuser der „Widderzunft“ (die Gilde
der Metzger, 1401 gegründet) gekauft. Sie plante Büros, doch die Stadt bestand auf Erhaltung
der 60 Prozent Wohnanteil im Quartier. So
entstand die Idee eines Hotels. Die gebürtige
Bündnerin kennt jeden Winkel der Gebäude –
vor 30 Jahren war sie für den Umbau engagiert worden. Ihr Auftrag: ein klassisches, zeitloses Hotel zu entwerfen. „Es ist ja so“, erklärt
sie rückblickend, „im Normalfall werden
Fünf-Sterne-Häuser alle fünf Jahre auf den
neuesten Trend gebracht. Das wollten wir
nicht. 1985 hiess ‚Fünf Sterne‘ Brokat, Baluster
und roter Samt. Wir hatten damals die Möglichkeit, zu zeigen, dass es eben nicht so sein
muss, dass es Authentizität gibt und man dem
Gast Echtheit zumuten kann. Das war völlig
neu“, erinnert sie sich. Auch daran, dass sie
mehrere Male aus dem Projekt entfernt worden ist, „weil man den Eindruck hatte, ich sei
nicht in der Lage, diesen Spirit zu entwickeln.
Ich hatte bis dato nur Seniorenheime gebaut,
was sich mehr ähnelt, als man denkt.“
„Ich brauche die Reibung, eigentlich etwas, das
mich stört“, verrät sie. Mal ist es die Bauaufsicht, mal der Denkmalschutz, der sie nicht
lässt, wie sie mag. Kurz vor der Eröffnung 1995
wollte der Denkmalschutz noch eine Veränderung in der Fassadenmalerei. „Da hatte ich genug“, blickt Theus, selbst 38 Jahre Mitglied der
Kantonal-Kommission, zurück. „Es war ein
Freitag, am Dienstag wollten wir abrüsten. Gesagt, getan. Doch dann erreichte mich ein Telefonat, es gäbe Sprayereien an der Hausfassade.“
Diese entpuppten sich jedoch als Hommage:
Die Denkmalpfleger hatten unbemerkt an der
Hauswand einen Gruss an die Architektin verewigt: Dort sitzt nun eine schwarze, gemalte
Katze, „mit meiner Brille, als Symbol, weil ich
diese Häuser bemuttert habe wie eine Katze.“
Ein wenig wacht sie auch heute noch über den
„Widder“. „Dreimal im Jahr mache ich Schulungen für das Personal. Es ist mir ein Anliegen, dass sie das Hotel verstehen. Ich zeige ihnen Bilder von früher, erkläre, dass jedes Haus
sein eigenes Holz und seinen eigenen Stein
hat. Aus diesem Grund müssen sie in einem
Zimmer anders reinigen als in dem daneben,
das wäre sonst fatal. Das gibt ihnen eine Kompetenz, die der Gast spürt. Wenn ein Gast eine
Frage hat, werde ich häufig persönlich von den
Mitarbeitern angerufen. Das wäre eigentlich
nicht nötig. Aber ich finde es fantastisch.“
STADTHOTEL
Gross Nächtigen
Das neue „Kameha Grand Zürich“ ist nichts für Minimalisten. Die
ortsansässige Dörte Welti versuchte sich dort im Ausser-Haus-Schlafen
Wenn überdimensionale Teller an der Decke
kleben (ganz oben) und riesige Kuhglocken über
der Rezeption zu Lampen werden, dann ist man
Gast im „Kameha Grand Zürich“. In der „Smoker’s
Lounge“ wird auch getrunken und im Spa (unten)
darf nur entspannt werden
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TRANSPHERE SA
BAUPLAN
3
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natürliche Eleganz
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GIORGIO ARMANI
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DIE „HYADES“LAMPE VON
ARMANI CASA
In den Ateliers und Manufakturen dieser Welt werden weiterhin
Handwerkskünste gepflegt, und wir schauen zu
Wer die hohe Glaskunst sucht, muss im Kleinen schauen – auf den Murano-Inseln nordöstlich der Altstadt von Venedig. Im 14. Jahrhundert auf dem Zenit,
gibt es dort heute nur noch einige wenige Manufakturen, die Glas nach traditionellem Muster verarbeiten. Für das Haus Armani entsteht in der alten Handwerkskunst die Hyades-Lampe aus der Armani Casa-Kollektion, verarbeitet mit Blattgold und Puderblau, inspiriert von Laternen aus dem Fernen Osten.
Ihre Herstellung nimmt über 14 Stunden in Anspruch. Mehrere Viererteams legen gemeinsam Hand an. Es wird geformt, gehärtet, geschnitten und zusammengesetzt. Das Ergebnis sei ein überdurchschnittlich schönes Stück Handwerkskunst, sagt Giorgio Armani. Aber sehen Sie selbst, wir zeigen die wichtigsten zehn Schritte: 1. Auf dem Papier geht es los mit einer massstabsgerechten Zeichnung. 2. Im Brennofen wird Sand bei rund 1800°C geschmolzen. Eine
kleine Menge des entstandenen klaren Glases wird mit dem oberen Ende des Rohres gesammelt. 3. Zusammen mit einer weiteren Portion Glasmasse wird
die Mixtur auf einem Bronzino (einem Metalltisch für Glasarbeiten) verflochten. 4. Das Glas wird noch einmal mundgeblasen, bevor es in eine Holzform
gegeben wird. 5. Um dem Glas, aus dem am Ende der Lampenfuss werden soll, die Form eines Zylinders zu geben, wird es in eine weitere Holzform geblasen. 6. Etwas später kann die Gussform geöffnet werden. 7. Mit einem Muffelbrenner wird der Lampenfuss für 12 Stunden ausgeglüht. Das bis dahin spröde
Glas gewinnt dadurch an Flexibilität und Festigkeit. 8. Nachdem der Lampenschirm auf die gleiche Weise wie der Fuss hergestellt wurde, darf auch er aus
der Gussform. 9. Vorsichtig wird der Lampenfuss durchbohrt, um später Ober- und Unterteil zu verbinden. 10. Zum Schluss wird der Guss des Lampenschirms noch zugeschnitten. Übrigens: Die Tischlampe mit 47 Zentimeter Höhe gibt’s online über armanicasa.com
www.bongenie-grieder.ch