Kunsthalle Wien DESTINATION WIEN 2015 Julian Göthe, Télépathique, 2010, Courtesy Galerie Buchholz, Berlin und Köln Nana Mandl, dress to get fucked, 2013, Sammlung Lenikus Paul Leitner, paper-jack, 2011, Courtesy Paul Leitner, Foto: Tobias Pilz 2 Destination Wien 2015 Nicolaus Schafhausen Foto: Sabine Hauswirth Wenn eine Ausstellungsinstitution, deren öffentlicher Auftrag die Präsentation internationaler Gegenwartskunst ist, einmal in fünf Jahren ihr Augenmerk auf die Kunstlandschaft ihrer nächsten Umgebung richtet, so soll dies mit größtmöglichem Weitwinkel geschehen. Destination Wien 2015 ist ein neues Ausstellungsformat der Kunsthalle Wien, eine multiple Schau im Großformat, die alle ihre verfügbaren Räumlichkeiten nutzt, um Wien als Schnittstelle künstlerischen In- und Outputs innerhalb der globalen Kunstszene erleb- und sichtbar zu machen. So war bereits der Modus des Suchverfahrens auf Weitwinkel angelegt: Alle, die sich selbst oder ihre künstlerische Arbeit in einer Beziehung zu Wien als kulturellem Mischpult konoder divergierender Kunstpositionen erachten, waren zur Einreichung eingeladen; ebenso wurden Vorschläge von kunstkundiger Seite in den ResearchFundus aufgenommen. Herkunft, Alter, Laufbahn, künstlerische Sprache sollten keine Limits markieren für die hausinterne, ihrerseits vielstimmige Jury. Die es dann nicht leicht hatte, das einzige vorgegebene Limit – bedingt durch Raum- und Zeitvolumen der Ausstellung – ziehen zu müssen. Ein Limit der „Qualität“ vorab markieren zu wollen, war nicht in unserem Sinn, da dieser Begriff weder objektiv definierbar ist noch Objektivität je eine Rolle spielt in der Beurteilung von Kunst. Die hier getroffene Till Gathmann, Table B (for Institute), 2014, Installationsansicht Württembergischer Kunstverein Stuttgart, Courtesy der Künstler Melitta Moschik, Outer Space, 2013, © Melitta Moschik 3 Auswahl ist Resultat intensiver Debatten und bietet guten Stoff zur Ausweitung solcher Debatten. Stoff, der erheblich vermehrt wird durch jene Institutionen, die unserer Einladung gefolgt sind, die Ausstellung auf ganz Wien auszuweiten: Destination Wien EXTENDED verstärkt den angestrebten Weitwinkel und fügt ihm Tiefenschärfe hinzu. Was nicht zuletzt besagt, dass Kooperation im Kunstbetrieb zur Verbesserung unserer Sehschärfe beitragen kann. Künstlerische Diversität Destination Wien 2015 bietet nicht allein ein polyphones Neben- und Miteinander von über 70 Positionen zeitgenössischer Kunst an den Standorten der Kunsthalle Wien im Museumsquartier und am Karlsplatz, sondern wird weit in den Stadtraum hinaus „ausgedehnt“: Unter dem Label Destination Wien EXTENDED stimmen zahlreiche lokale Galerien, Offspaces, Kulturvereine und -institutionen in diese Orchestrierung des Wiener Kunstgeschehens ein. Wodurch sich nicht zuletzt die einzigartige Gelegenheit bietet, simultan an über 50 verschiedenen Schauplätzen einen umfassenden Einblick in das aktuelle Wiener Kunstgeschehen zu erhalten. Departure – präsentiert Beiträge von Künstler/innen unterschiedlicher Generationen, verschiedenartiger Arbeitsweisen und mit differierendem Medien-Einsatz. Die Auswahl der Beiträge wurde von einer ebenso heterogenen fünfköpfigen Jury getroffen – zur Disposition standen eine per Open Call gewonnene Vielzahl künstlerischer Vorschläge sowie ein aus Recherchen und externen Empfehlungen gespeister Fundus an Namen, Werken und Projekten. Das Resultat ist ein pluralistisches Bild der Wiener Kunstlandschaft. Keine Hitparade der KunstmarktBestseller wird hier angestimmt, kein Wettbewerb von top (emerging) artists ausgetragen, keinem temporären oder regionalen Mainstream gehuldigt. Zur Sprache kommen sowohl Künstler/innen, die gerade erst auf dem besten Weg zu künstlerischer Eigenständigkeit sind als auch solche, die bereits auf ein umfangreiches Lebenswerk zurückblicken. Destination Wien 2015 spiegelt die Diversität jener aktuellen künstlerischen Sprachen und Medien, die für den internationalen Kunststandort Wien charakteristisch sind, wider. Heterogene Ausstellungsarchitekturen Diesem Gedanken entsprechen auch unterschiedliche Ausstellungs-Displays in den drei Hallen, entworfen und entwickelt von drei Künstler-Architekten. In der oberen Halle der Kunsthalle Wien im Museumsquartier deutet Johannes Porsch einen großen White Cube an, der den Raum gleichsam verdoppelt und den dadurch entstehenden Bezug von „hier“ und „dort“ in ein dynamisches Verhältnis von Innen und Außen verwandelt. Zur Montage und Positionierung der Kunstwerke in der unteren Halle setzt Eric Kläring vorhandene Bau- und Konstruktionselemente aus den Lagern und Werkstätten der Kunsthalle ein. Ihr Anstrich verbindet die Elemente optisch und schafft Ruhe innerhalb dieser sonst heterogenen Assemblage. Der Gedanke des Recyclings trifft hier mit einer offenen und den Raum zugleich gliedernden Struktur zusammen. Für den Veranstaltungsraum am Karlsplatz hat Ovidiu Anton ein Setting entworfen, das modular angelegt ist und auf Displayelemente vergangener Ausstellungen unterschiedlicher Wiener Kunstinstitutionen zurückgreift. Aus Teilen alter Einbauten gefertigt, schreiben sich in Antons Re-Design die materiellen und farblichen Charakteristika dieser Ausstellungen ein und laden die architektonische Klarheit des gläsernen Raums mit der Historie anderer Orte auf. Zentrale ohne Zentralismus Die Kunsthalle Wien – ideenstiftende Institution von Destination Wien 2015 und damit auch deren Festes und Flüssiges Während die Räumlichkeiten der Kunsthalle Wien im Museumsquartier primär der Ausstellung „stabiler“ Gegensätze zeigen/integrieren Lucas Gehrmann „Der Gegner findet mein Gewicht nicht“, sagt der Taiji-Meister Zhang, dessen Lehrsätze während einer der zahlreichen Performances, die der Ausstellungs- und Veranstaltungsparcours Destination Wien 2015 zu bieten hat, multimedial zum Vortrag kommen. Welches „Gewicht“ hat Wien als Produktions-, Präsentations- und Distributionsstätte zeitgenössischer Kunst – im internationalen Kontext, für die Künstler/innen selbst, für ihr Publikum, ihre Vermittler, Sammler, Förderer, für die Kunstkritik? Wie gestaltet sich das Zusammenleben von Künstler/innen innerhalb der Kunstszene wie auch im gesellschaftlichen, politischen, medialen Raum? Wer findet hier wessen „Gewicht“? Welche Gewichtungen nehmen „state of the art“ hier und individuelles Kunstwollen da ein? Destination Wien 2015 erörtert Fragen dieser Art auf mehreren Foren und über mehrere Kanäle zugleich. 4 Künstler/innen Kunstwerke dienen, bietet die Kunsthalle Wien am Karlsplatz durchwegs „Flüssiges“ an: Ein dichtes Programm an performativen und diskursiven Veranstaltungen lädt hier das Publikum ein, an den gebotenen Aktionen auch aktiv teilzunehmen. „Taiji heißt Gegensätze [zeigen/integrieren]“, sagt Meister Zhang. Er gehört einer kleinen Community innerhalb des Wiener Gemeinlebens an, die ihre Kultur und Philosophie einem umso größeren Kreis von Interessent/innen zu vermitteln vermag. Sein Lehrsatz könnte auch ein Motto von Destination Wien 2015 sein. Adrian Alecu, Ovidiu Anton, Anna Artaker, Kurdwin Ayub, Josef Bauer, Cäcilia Brown, Adrian Buschmann, Hugo Canoilas, Julian Charrière, Mitya Churikov, Los Destinados (Julius Deutschbauer / Klaus Pobitzer / Panos Mylonas), Eva Egermann, Christian Eisenberger, Christian Falsnaes, Marina Faust, Lukas Feigelfeld, Daniel Ferstl, Andreas Fogarasi, Heinz Frank, Heribert Friedl, Peter Fritzenwallner, G.R.A.M., Kerstin von Gabain, Till Gathmann, Aldo Giannotti, Sofia Goscinski, Julian Göthe, Eva Grubinger, Harald Gsaller, Rebekka Hagg, Michael Heindl, Nicholas Hoffman, Ana Hoffner, David Jourdan, Barbara Kapusta, Eric Kläring, Tonio Kröner, Tina Lechner, Sonia Leimer, Paul Leitner, Constantin Luser, Nana Mandl, Christian Mayer, Ralo Mayer, Sarah Mendelsohn, Melitta Moschik, Hans Nevidal, Josip Novosel, Denise Palmieri, Michael Part, Nicola Pecoraro, permanent breakfast (Friedemann Derschmidt / Abbé Libansky / Karin Schneider / Barbara Zeidler), Lilly Pfalzer / Sergio Valenzuela, Karin Pliem, Johannes Porsch, Hanna Putz, Andreas Reiter Raabe, Ritornell, Valentin Ruhry, Maruša Sagadin, Ari Sariannidis, Johann Schoiswohl, Leander Schönweger, Misha Stroj, Philipp Timischl, Jenni Tischer, Octavian Trauttmansdorff, Nadim Vardag, Salvatore Viviano, Tanja Widmann, Birgit Zinner Die Ausstellung ist vom 17. April bis zum 31. Mai 2015 in der Kunsthalle Wien Museumsquartier zu sehen und wird von einem dichten Performance- und Diskursprogramm in der Kunsthalle Wien Karlsplatz ergänzt. Zur Ausstellung erscheint ein digitales Buch, das ab 10. Mai auf der Website der Kunsthalle Wien zum kostenlosen Download zur Verfügung steht. Es umfasst Essays der Kurator/innen, Ausstellungsansichten und ergänzende Texte von Christian Egger, Christian Höller, oellinger/rainer und Stefanie Sargnagel. Der Hauptteil des Buches wird von den teilnehmenden Künstler/innen mitgestaltet. Alle Informationen: www.kunsthallewien.at Destination Wien EXTENDED 39 DADA, Aa Collections, Akademie der bildenden Künste Wien, Archiv für Gegenwart, AU – Kunstgalerie, basement wien, Bildraum 01 | Bildraum 07 | Bildrecht, Christine König Galerie, das weisse haus | studio das weisse haus, DI∞G, EIKON Schaufenster, flat1, Fotogalerie Wien, Gabriele Senn Galerie, Galerie Andreas Huber, Galerie Charim | Charim Events, Galerie Chobot, Galerie Elisabeth & Klaus Thoman, Galerie Emanuel Layr, Galerie Frey, Galerie Heike Curtze und Petra Seiser, Galerie Jünger Wien, Galerie Krinzinger, Galerie Lindner, Galerie Michaela Stock, Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Galerie Peithner-Lichtenfels, Galerie Steinek, Galerie Ulrike Hrobsky | SHOWROOM Galerie Ulrike Hrobsky, hinterland galerie, IG Bildende Kunst, Knoll Galerie Wien, Krobath Wien | Berlin, Kunsthalle Exnergasse, Kunstraum Niederösterreich, Kunsttankstelle Ottakring, Kunstverlag Wolfrum, Lisabird Contemporary, MASC Foundation, Mauve, Medienwerkstatt Wien / FLUSS – NÖ Initiative für Foto- und Medienkunst, mo.ë vienna, MUSA – Museum | Startgalerie | Artothek, one work galerie, Projektraum Viktor Bucher, SALoTTo VIENNA, Sammlung Friedrichshof, SCHNEIDEREI – See you next Thursday, TONSPUR – Kunstverein Wien, Turnsaal Galerie, Universität Wien, unttld contemporary, Verband Österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, wellwellwell, zs art galerie 5 Natürlich bin ich prominent! Birgit Zinner im Gespräch mit Lucas Gehrmann LG: Deine von dir „Bildobjekte“ genannten Arbeiten sind ja schwer in eine der klassischen Kunstgattungen wie Malerei oder Plastik einzuordnen, du siedelst sie daher gerne im Bereich „erweiterte Malerei“ an. Gibt es bei dir einen Hintergrund als Malerin „klassischer“ Tafelbilder? Foto: Maximilian Pramatarov, 2015 Lucas Gehrmann: Du wirst am Karlsplatz in einer TV-Talkshow auftreten. Wird das eine Art „Personality-Talk“, also eine (Selbst-)Darstellung von dir als prominente Persönlichkeit sein, oder eher eine „Bekenntnis-Show“, in der persönlich-intime Themen behandelt werden? Und wer ist Talkmaster? Birgit Zinner: Natürlich bin ich prominent! Aber im Ernst: Die Performance heißt ja Birgit Zinner Live, so wie Larry King Live, anders gesagt bin ich die Talkmasterin und führe mit der live aus ihrem Wiener Atelier zugeschalteten Künstlerin Birgit Zinner und mit hoffentlich viel neugierigem Publikum ein Gespräch. Thema ist das Kunstwerk und dessen Wesen. Dabei finde ich die Frage interessant, in welcher Form man darüber reden kann, aber auch welche Art der Beziehung unter den einzelnen Protagonist/innen Kunstwerke verteilt sind, die seither ihre Besitzer/innen gefunden haben. Der Großteil dieser Menschen haben sich aus individuellen Gründen für einen Kauf entschieden und haben eine Bindung zu ihrem Kunstwerk. Viele der Arbeiten sind auch variabel und man kann sie selbst verändern. Ich wollte schon lange diese Besitzer zusammen einladen um zu besprechen, wie es ihnen so geht mit ihren Kunstwerken. Daraus hat sich der Gedanke mit der Talkshow entwickelt. besteht – das sind das Kunstwerk, die Talkmasterin, die Künstlerin und das Publikum, wobei ich hier offen lassen möchte, wer oder was „das Wesen“ sein könnte. LG: Wie bist du auf die Idee zu einer Talkshow gekommen? Du bist ja in der Regel nicht als Medienkünstlerin tätig, sondern arbeitest in deinem Wiener Atelier mit realen Materialien wie Hartfaserplatten, Farbe, Metall oder Glas, wobei es manchmal sogar heftig staubt und lärmt. BZ: Vor ein paar Jahren habe ich begonnen, Pläne zu zeichnen, wie die Kunstwerke, die ich seit 1984 produziere, miteinander verbunden sind. Das sind sie nämlich, aber ich kann das jetzt nicht im Detail ausführen. Dadurch ist das Bedürfnis entstanden, einen Weltplan zu machen, auf dem eingezeichnet ist, wo meine 6 BZ: Nein, komischerweise nicht wirklich. Manchmal, wenn es mit meiner Säge gar zu routiniert dahin geht, probiere ich ein Bild mit Acryl auf Leinwand, ich schwenke aber dann wieder sehr rasch um auf meine Objekte und Bildobjekte. Ich mag die Kombination von Rohem und genauer Durchführung und auch das Prozesshafte. Aber vielleicht kann die Künstlerin Birgit Zinner ja bei ihrer Performance darüber mehr erzählen. Birgit Zinner wurde 1963 in Steyr geboren. 1983–1990 studierte sie Grafik und Malerei an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Seit Stipendienaufenthalten in Köln und Helsinki lebt sie in Wien und arbeitet mit den Mitteln der erweiterten Malerei an der Frage der Beziehung zwischen Subjekt/Objekt und Raum. Am 28. April um 20 Uhr wird Birgit Zinner mit ihrer Performance Birgit Zinner Live / Talkshow in der Kunsthalle Wien Karlsplatz auftreten. Berlin hat einfach nicht sehr viel zu bieten für junge, noch nicht etablierte Künstler Ari Sariannidis im Gespräch mit Marie Egger geplant umzusetzen. Mir war es immer wichtig den Prozess und seine Bedingungen weitestgehend sichtbar zu machen und meine Arbeiten so zu planen, dass im Studio noch reichlich Platz für improvisierte (bildhauerische?) Prozesse bleibt. Vielleicht habe ich noch eine leicht romantische Vorstellung von Studiopraxis. Ich würde mich aber ansonsten zu sehr wie ein Designer oder Architekt fühlen, und das will ich nicht. ME: Für deine Arbeit in der Ausstellung hast du dich mit unserer gegenwärtigen Beziehung zum eigenen Körper beschäftigt. Wovon wird diese Beziehung beeinflusst? Foto: Maximilian Pramatarov, 2015 Marie Egger: Du bist vor kurzem von Berlin nach Wien gezogen, um an der Akademie der bildenden Künste zu studieren. Was reizt dich an Wien? Warum möchtest du hier arbeiten? Ari Sariannidis: Ich denke, der Hauptgrund für meinen Umzug nach Wien waren die Leute und das Umfeld – besonders um die Ateliers in der Kurzbauergasse. Ich bin gebürtiger Berliner und musste feststellen, dass Berlin einfach nicht sehr viel zu bieten hat für junge, noch nicht etablierte Künstler. Viele junge Leute kommen in die Stadt, da sie denken, Berlin wäre der place-to-be. Sie sehen aber nicht, dass die meisten erfolgreiche und funktionierende Netzwerke woanders aufgebaut haben und erst dann nach Berlin gezogen sind. Das kann sehr frustrierend sein, besonders wenn man in dieser Stadt aufgewachsen ist. Auch konnte mir die Universität der Künste trotz guter Zeiten vieles einfach nicht bieten. Ich denke, dass man sich ab einem bestimmten Punkt im Studium die Universität suchen sollte, an der der eigene Diskurs stattfindet. Das war in meinem Fall Wien. ME: Würdest du dich als Bildhauer bezeichnen? AS: Ich habe in Berlin bei Manfred Pernice studiert, bei dem es gewissermaßen immer um die Frage von Medienspezifität der Skulptur/Bildhauerei von heute ging. Ich denke, dass für viele junge Künstler der Begriff der Bildhauerei keine Rolle mehr spielt – was ich einerseits nachvollziehen kann, aber auch oft problematisch finde. Man sieht bei sehr vielen Künstlern meiner Generation, dass als Skulpturen getarnte Objekte im Raum auftauchen, diese aber oft schon vor der Herstellung perfekt geplant werden. Die meiste Zeit wird in Material-Recherche am Laptop gesteckt, um dann die Arbeit wie 7 AS: Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem ein recht selbstverständlicher Umgang mit Medikamenten herrschte. Wenn die Maschine nicht mehr funktionierte, wurden ihr bestimmte Präparate hinzugefügt, um sie wieder zum Laufen zu bringen. In meinem Fall hat dies zu einem sehr entfremdeten Verständnis von Wohlbefinden des eigenen Körpers beigetragen. Ich habe schon immer eher eine Pille mehr genommen anstatt mich wirklich um meinen Körper zu kümmern. Ich meine, es ist ja keine neue Erkenntnis, dass der Kapitalismus uns derzeit nicht nur vom anderen, sondern auch vom eigenen Körper trennt. Mich interessiert aber eher die Frage danach, wie ein skulpturaler Körper unter diesen Bedingungen oder vielleicht sogar eine Nutzbarmachung solcher Entwicklungen aussehen könnte. Ari Sariannidis wurde 1986 in Berlin geboren. Er studiert Bildende Kunst an der Universität der Künste in Berlin und seit Frühling 2015 an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Ari Sariannidis wird in der Kunsthalle Wien Museumsquartier eine eigens für die Ausstellung konzipierte Installation zeigen. Alles wird verwendet und nichts weggeschmissen Ovidiu Anton im Gespräch mit Anne Faucheret Foto: Maximilian Pramatarov, 2015 Anne Faucheret: Du lebst seit Langem in Wien und hast hier studiert. Gibt es für dich „eine“ künstlerische Szene in Wien? Ovidiu Anton: Die mag es wohl geben – aber ich habe ein bisschen Schwierigkeiten damit, etwas so zu klassifizieren. Es gibt in Wien Künstler und Künstlerinnen, die eine formale Herangehensweise und welche, die eine politische haben; es gibt zwei Universitäten, wo jedes Jahr viele gute Leute abschließen; es gibt viele Künstler/innen, die aus dem Ausland nach Wien kommen, um hier zu leben und zu arbeiten. Viele können Fuß fassen, viele nicht; auch viele, die hier leben und arbeiten und zum Großteil im Ausland oder nur im Web ihre Arbeiten zeigen. Ein wichtiger Faktor hier in Wien ist schon die Möglichkeit, an öffentliches Geld heranzukommen. Diese gibt es an vielen anderen Orten nicht. In Bukarest oder in Budapest z.B. ist es viel schwieriger finanzielle Hilfe oder Förderungen für zeitgenössische Kunst von öffentlicher Seite zu bekommen. Trotzdem gibt es dort auch Angebote wie bei uns, aber nicht so viele. Ich würde also sagen, dass die große Diversität an Kulturproduktion und -konsum für eine Wiener Szene sehr spezifisch sind. AF: Deine Arbeit hinterfragt die – zu selten adressierten – Produktionsbedingungen von Ausstellungen und der Kunst im Allgemeinen. Es werden unglaubliche Mengen an Geld und Material für teilweise sehr kurz laufende Ausstellungen aufgebracht, in einer Zeit, in der die Verschwendung von Ressourcen und Nachhaltigkeit in anderen Bereichen immer stärker thematisiert wird. Wie gehst du damit in deiner Arbeit um? OA: Das stimmt. Das ist auch etwas, das mich schon sehr lange 8 beschäftigt. Bevor ich Kunst studierte, war ich einige Jahre als Umweltaktivist tätig. Dann, als Student, arbeitete ich in vielen großen Institutionen beim Ausstellungsaufbau, und das hat mich und meine Arbeit sehr geprägt. Ich habe extrem viel Zeit damit verbracht, schöne, perfekte White Cubes, Black Boxes und andere Bühnenbilder und Displays für Kunst zu bauen. Wenn man sieht, wie viel Energie da reingesteckt wird, dann wird einem schlecht. Und dann – nach der Ausstellung – landet das Material sehr oft im Container. In fast allen anderen Bereichen wird seit vielen Jahren über Nachhaltigkeit gesprochen, aber im Ausstellungswesen fehlt die Diskussion, finde ich. Das gibt es wohl nicht, dass eine solche Disziplin, wie die Bildende Kunst welche eigentlich so viel über sich selbst reflektiert, so selten ein Wort über diese Ressourcenverschwendung nach außen verliert. Ich bin ein Teil des Ganzen – klar. Aber der authentischste Weg für mich, diese Sachen zu thematisieren ist, im System mitzuspielen um aus diesem herauszugehen. AF: Die Frage des geistigen Eigentums spielt eine wichtige Rolle in deiner Arbeit. Du eignest dir Elemente aus vergangenen Displays und bereits zerstörten Kunstwerken an, die in deinen Werken wieder erscheinen und auch zum Teil deren ursprünglichen Verwendungszweck bzw. Kontext erkennen lassen. Zum Teil beziehst du dich in deinem formalen Vokabular auf berühmte Werke wie Le Corbusiers Tabouret Cabanon. Schaffst du ein polyphones Kunstwerk, in dem sich die Instanz des Autors auflöst? Geht es dir auch darum, eine kritische Haltung gegenüber dem Hype des StändigNeuen zu ermöglichen? OA: Mir geht es sehr stark um die Aura, die diese Materialien generieren. Ironischerweise sind diese Platten, während sie als Display oder als Material für Installationen funktionieren, viel wert. Sowie aber die Ausstellung vorbei ist, landen sie im Müll. Ich versuche diesen ephemeren Wert zu zeigen, indem ich Material aus vergangenen Ausstellungen von Wiener Institutionen wiederverwende. Dabei ist mir der Wiedererkennungs-Charakter wichtig. Deswegen die vielen kräftigen Farben. Es geht um die Ökonomie des Materials – um seinen Wert, der steigt und fällt. Dieser Wert interessiert mich auch im formalen Sinn. Ich finde zum Beispiel die Geschichte des Tabouret Cabanon interessant: Man stelle sich vor, der Architekt Le Corbusier spaziert am Strand von Südfrankreich, wo er in seiner Hütte an dem Ideal der menschlichen Maße arbeitet (Modulor, Anm.) und plötzlich – so sagt es die Legende – findet er eine angespülte Kiste für Whiskyflaschen. Diese hat zufällig die Fixmaße der Proportionsreihe seines Modulors und somit bekommt dieses objet trouvé die Funktion eines Sitzmöbels in seiner Hütte. Später ließ er den Hocker sogar für eine Unité d’Habitation produzieren und nun wird dieser als Design-Klassiker von Cassina vertrieben. Eine Kiste mit den Außenmaßen 43 x 27 x 43 cm und jeweils einem eingefrästen Griff auf jeder Seite. Ich will diese Geschichte damit ein bisschen weitererzählen und noch einige Umstände hinzufügen. Und klar, da sind auch ein paar kritische Gedanken enthalten, wie man mit bereits Bestehendem umgeht. Ich baue für das Display auch keine neuen Sitzbänke, sondern ich leihe mir diese von anderen Institutionen aus; aus den Resten des Materials für die Hocker baue ich andere Elemente mittels Patchworkplatten. Es bleibt also nichts übrig – alles wird verwendet und nichts weggeschmissen. O vidiu Anton ist 1982 in Timişoara geboren und lebt in Wien. Er hat 2003– 2004 an der Schule für künstlerische Photographie Friedl Kubelka studiert. Von 2004 bis 2010 hat er bei Monica Bonvicini Performance Kunst und Skulptur an der Akademie der bildenden Künste in Wien studiert. Ovidiu Anton ist mit Alexandru Bălășescu Gewinner des Hauptpreises des Ideenwettbewerbs Create Your Bucharest des MAK – Österreichisches Museum für Angewandte Kunst / Gegenwartskunst. Ovidiu Anton zeichnet sich als einer von drei Künstlern für die Architektur der Ausstellung Destination Wien 2015 verantwortlich. Er konzipierte das modulare Setting in der Kunsthalle Wien Karlsplatz. Ovidiu Anton, 18 Tabourets Cabanon LC14 01 / Aus der Serie: Reste Ausstellungsdisplays Secession, 2015, Courtesy Christine König Galerie, Foto: Ovidiu Anton 9 Je intimer, desto besser Kurdwin Ayub im Gespräch mit Matthias Nothnagel Foto: Maximilian Pramatarov, 2015 Matthias Nothnagel: Hallo Kurdwin, in deinen Arbeiten verschwimmen die Grenzen zwischen Kritik, Ironie und Authentizität. Welche Rolle spielen Klischeebilder für dich? Wie gehst du mit ihnen um? Kurdwin Ayub: Klischees sind menschlich. Ich komme aus dem Irak und kenne die stereotypen Vorstellungen von dem Land. Wegen den Medien denkt man, es sei kriegerisch und heftig dort. Es geht so weit, dass die Menschen im Land selbst schon damit spielen. Keine Frage – es ist heftig dort und die Anzahl der Rambos steigt. Man kokettiert überall mit Klischees und Stereotypen. Ich erwische mich genauso dabei und verarbeite das in meinen Performances. MN: Wie wichtig sind Humor und Unterhaltungswert für dich? KA: In meinen Performances beschäftige ich mich viel mit Alltäglichkeit und immer mehr wird mir der Showcharakter im Alltag klarer. Jeder inszeniert sich auf eine Weise – sei es auf einer Straße, im Liebesspiel, im Internet oder im TV. Man muss immer unterhalten werden. Ich finde das sehr interessant und genau deswegen spiele ich auch in meiner Kunst damit. Meine Performance muss unterhalten. Sie kann traurig sein und trotzdem kann man lachen. Nicht nur, dass einem Humor Distanz verschafft und Dramatisches leichter aufnehmen lässt: Ich möchte, dass man die Performance gern sieht und mitmachen möchte. MN: Für deine Performance on demand in der Kunsthalle Wien Karlsplatz wird ein Live-Stream in deine Wohnung eingerichtet und die Besucher/innen erteilen dir virtuell Befehle. Inwiefern empfindest du Kunst als Dienstleistung? 10 KA: Ich beschäftige mich sehr viel damit, wie weit Kunst gehen kann. Oberflächlich ausgedrückt: Schwingt eine Künstlerin in einem Museum auf einem Wrecking Ball, sagt man vielleicht es sei Kunst. Wenn ein B-Prominenter in einem White Cube und nicht im Dschungelcamp Tierhoden isst, denkt man möglicherweise, es sei kunstkritisch und wiederum Kunst. Der Kontext muss passen, am besten in einem Museum, man hat viel Geld und man überlegt sich gute Worte dazu. Und dann noch die beliebte Intimität: Wenn man auf YouTube klickt und im Fernsehen Reality Shows sieht, entdeckt man viel Intimität, die sehr leicht zugänglich ist. Man könnte meinen, dass heute der Drang nach Aufmerksamkeit erst anfängt, wenn man seine Intimität verliert. Unüberlegte Aussagen und die Darstellung des eigenen Privatlebens häufen sich in der Öffentlichkeit, gepaart mit einem kleinen bisschen Glamour oder Niederlagen. Und die Anfrage steigt. Also, warum nicht gleich schnell? Ich biete meine Kunst mit passendem Kontext auf Anfrage an. So geht’s schneller und je intimer, desto besser. Kurdwin Ayub wurde 1990 im Irak geboren und lebt in Wien. Von 2008 bis 2013 studierte sie bei Judith Eisler an der Universität für angewandte Kunst Wien. Ab 2011 studierte sie zudem Performative Kunst an der Akademie der bildenden Künste Wien. Ayub erhielt zweimal den Kurzfilmpreis der Viennale. Aktuell führt sie bei ihrem ersten Langfilm Wrecking Ball Iraq Regie. Kurdwin Ayub wird gemeinsam mit Aldo Giannotti, Rebekka Hagg, Denise Palmieri, Lilly Pfalzer und Sergio Valenzuela am 10. Mai ab 17 Uhr einen Performance Marathon in der Kunsthalle Wien Karlsplatz gestalten. Über Kunst einen Blick auf andere gesellschaftliche Bereiche werfen ökonomische und kulturelle Umbrüche, die sich in der Gegenwart vielleicht gerade herauszubilden beginnen. Ralo Mayer im Gespräch mit Lucas Gehrmann Ralo Mayer, San Francisco Space Colony, 2014, Courtesy der Künstler Foto: Maximilian Pramatarov, 2015 Lucas Gehrmann: „All things are connected“. Dieser, dem Häuptling der Suquamish (um 1854) zugeschriebene Satz verknüpft seinerseits mehrere Weltbilder, die du in deiner Arbeit thematisierst. Was verbindet uns heute – ganz abgekürzt gesagt – damit? Ralo Mayer: Der Satz steht symptomatisch für zwei zentrale Welterklärungsmodelle der Gegenwart – Ökologie und Verschwörungstheorien. Bezüglich ihrer Narrative sind beide interessant, aber der große politische Unterschied ist, dass Ökologie eben keine zentrale Macht behauptet, die alles kontrolliert. Eine politische, nicht auf „Natur“ beschränkte Ökologie braucht keine Freimaurer oder Chemtrails. Das angebliche Zitat von Chief Seattle ist auch selbst ein schönes Gschichtl: Es stammt eigentlich aus einem ökoinspirierten TV-Film aus 1972. Für den Auftritt des Häuptlings hat der Screenwriter dessen historische Rede dann ein wenig gepimpt. LG: „Die ISS ist ein Kunstwerk, vergleichbar mit einer mittelalterlichen Kathedrale“, sagte der US-Astronaut Alvin Drew letztes Jahr in Wien. Was immer von diesem Vergleich zu halten ist – welche Verbindungen siehst du zwischen Kunst und (Natur-)Wissenschaft? RM: Wissenschaft als Religionsersatz, naja … aber verglichen mit den Entwürfen für Space Settlements aus den 1970ern ist die Internationale Raumstation gerade mal eine kleine Kapelle vor der Stadtmauer. Mich persönlich interessiert vor allem, über Kunst einen Blick auf andere gesellschaftliche Bereiche zu werfen, nicht zuletzt Wissenschaft. Und gerade die Erforschung des Weltalls, ob in der Realität oder in Science Fiction, eröffnet interessante Einblicke in ganz irdische Zusammenhänge unseres Alltags, aber darüber hinaus auch in spekulative Szenarien – politische, 11 Ralo Mayer wurde 1976 in Eisenstadt geboren und lebt in Wien. 1994–1998 studierte er Vergleichende Literaturwissenschaft und Linguistik an der Universität Wien, 1998–2004 Konzeptuelles Arbeiten an der Akademie der bildenden Künste, Wien, und 2001/02 an Det Kongelige Danske Kunstakademi, Kopenhagen. Von 2003–2008 war Mayer Teil der selbstorganisierten Manoa Free University, in deren Rahmen er auch mit seinen Recherchen zur Performativität von Modellen begann. Seit 2007 arbeitet er an transmedialen Übersetzungen des SciFi-Romans The Ninth Biospherian über das Experiment Biosphere 2. Ralo Mayer ist mit seiner mehrteiligen Installation Space Post Colonialism in der Kunsthalle Wien Museumsquartier vertreten. Die Wiener Szene – komplex und experimentierfreudig Sonia Leimer im Gespräch mit Anne Faucheret Foto: Maximilian Pramatarov, 2015 Anne Faucheret: Deine Arbeiten beschäftigen sich mit der Auflösung von zeitlichen, geographischen wie auch ideologischen Grenzen. Du setzt dich mit dem Ausgangsmaterial nicht repräsentativ, sondern transformativ auseinander. Kannst du deinen Arbeitsprozess beschreiben? Sonia Leimer: Ich arbeite über längere Zeit an unterschiedlichen Ideen gleichzeitig. Die daraus resultierenden Arbeitsprozesse stehen in einem Dialog, beeinflussen und überschneiden sich. In meinen Installationen verbinde ich sehr formale Überlegungen am Material mit konzeptuellen und kontextuellen Ideen. Im Atelier gibt es eine Ordnung, in der Dinge passieren können und Zufälle entstehen. Manche Arbeitsprozesse gehen über mehrere Jahre und ich modifiziere ein Ausgangsmaterial so lange bis es sich transformiert und zu etwas anderem wird. Andere Prozesse sind kurz und spontan und manchmal scheitern sie auch. Ich habe in einem Text von Foucault den Begriff der „Subjektiven Grille“ kennengelernt – ich würde meinen Arbeitsprozess mit diesem Wort beschreiben. AF: Du lebst in Wien und hast hier studiert. Gibt es für dich eine (oder mehrere) künstlerische Szenen in Wien? Was sind die Spezifitäten dieser (möglichen) Wiener Szene/n? SL: In Wien gibt es eine Szene, die aus unterschiedlichen Szenen besteht, die alle miteinander in Kontakt sind, so wie das in kleineren Städten der Fall ist. Man weiß Bescheid und ist zur Auseinandersetzung gezwungen. Alle Künstler/innen, mit denen ich im Dialog stehe und deren Arbeit ich gut kenne und schätze, mit denen ich auch freundschaftlich etwas teile oder zusammenarbeite, 12 sind Teil meiner Szene. Aber diese Szene beschränkt sich nicht auf Wien, sie geht also über geografische Grenzen hinaus. Die Spezifität der Wiener Szene ist es, dass mehr als in anderen Städten versucht wird, Formales mit Konzeptuellem zu verbinden – also inhaltlich und kontextbezogen zu arbeiten. Ich hoffe, es bleibt die Spezifität der Wiener Szene, komplex und experimentierfreudig zu sein. AF: Du bist viel unterwegs und arbeitest stark mit dem zeitlichen und räumlichen Impetus von Reisen – sowohl deiner eigenen als auch derjenigen Reisen, die das kollektive Gedächtnis geprägt und die Geschichte der Menschheit verändert haben. Welche Rolle nimmt das Reisen in deiner Arbeit ein, vor allem im Hinblick auf ideologische Repräsentationen und exotische Projektionen? Warum hast du dieses Werk für die Ausstellung vorgeschlagen? SL: Das Reisen ist oft Teil meines Arbeitsprozesses, speziell für meine Videoarbeiten, die ich in bekannten Film-Landschaften drehe. Für das Video aus der Installation Neues Land / Nowaja Semlja / New Land bin ich z.B. nach Murmansk gereist, um den Atomeisbrecher Lenin zu besuchen und auf ihm Aufnahmen machen zu können. Ich habe diese Arbeit vorgeschlagen, da es hier um Bewegung und das Durchbrechen von Grenzen geht, im Speziellen um die Beschleunigung von Bewegung über den Einsatz neuer Energien und um neue Möglichkeiten und Territorien, die sich dadurch eröffnen. Ich will mit der Arbeit eine Verdichtung von historischen, persönlichen, utopischen, politischen Ideen und Eindrücken rund um das Thema der Navigation schaffen. Für eine Ausstellung, die das Wort „Destination“ im Titel trägt, schien sie mir passend. AF: Dadurch, dass du Elemente der kollektiven Historie aufgreifst und mit deiner persönlichen Geschichte kombinierst, wirkt die Arbeit Neues Land / Nowaja Semlja / New Land wie eine unmittelbare, eskapistische Verführung, erfordert aber gleichzeitig analytische Distanz der Rezipient/innen. Setzt du diese Methode auch bei anderen Werken ein? SL: Das Video ist Teil einer Installation, es wird auf ein vielfach vergrößertes Briefkuvert projiziert, das den Kontext erweitert. Alle meine Videos sind in Installationen eingebettet und die Projektionsflächen sind ein wichtiger Bestandteil der Arbeit. Neues Land / Nowaja Semlja / New Land funktioniert anders als frühere Videoinstallationen, da ich historisches Archivmaterial mit selbst gedrehten Aufnahmen verbinde. Der Titel der Arbeit verweist einerseits auf einen geografisch existierenden Ort in Russland, dessen Name eine Utopie in sich zu tragen scheint, und gleichzeitig auf damit verbundene kulturelle und sprachliche Grenzen und Bedeutungen. AF: Versuchst du durch das Prinzip der Fragmentierung die Rezipient/innen deiner Arbeiten dazu einzuladen, ein individuelles Verständnis von Geschichtlichkeit zu konstruieren? SL: Meine Installationen bestehen aus verschiedenen Fragmenten, die in einen Dialog treten. Oft zeige ich diese Fragmente in einer unterschiedlichen Anordnung und verändere darüber ihre Bedeutung. Der Betrachter kann sich einen Raum konstruieren, der die unterschiedlichen Fragmente beherbergt, und dabei eine Kurve ziehen, die die Objekte in einem Kontinuum miteinander verbindet – als Teile einer Abfolge von Ursachen und Wirkungen in einer Assoziationskette, die eine offene Geschichte bildet. AF: Deine Arbeiten Versenkbare Objekte bestehen aus von Beton umschlossenen Bojen. Dadurch werden sie paradoxerweise in ihrer Funktion, Grenzen zu ziehen, verstärkt, weil sie hypothetisch als Anker verwendet werden können. Willst du die implizite Ideologie der Abgrenzung, die „Fortress Europe“ vertritt und die in solchen Objekten beinhaltet ist, adressieren? SL: Deine Frage beschreibt bereits sehr genau den formalen und inhaltlichen Aspekt der Arbeit. Die Skulpturen suggerieren eine mögliche Handlung, die des Versenkens. Es geht um Abgrenzung und um Grenzziehung und um die damit einhergehenden widersprüchlichen Situationen, mit denen wir in unserer politischen Landschaft ständig konfrontiert sind. Sonia Leimer wurde 1977 in Meran geboren und lebt in Wien. Sie hat 2000– 2004 an der Technischen Universität und an der Akademie der bildenden Künste Wien Architektur studiert. Sonia Leimer war 2012 Trägerin des Audi Art Awards und des Paul Flora Preises. Am 21. Mai um 19 Uhr findet in der Kunsthalle Wien Museumsquartier die Performance Für eine Weile, wer weiß wie lange von Marina Faust und Sonia Leimer statt. Sonia Leimer, Neues Land/Nowaja Semlja/New Land, 2014, Courtesy Galerie Nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder Wien und die Künstlerin, Foto: maschekS. 2014 / Susi Maschek 13 Is it going well? Wellwellwell im Gespräch mit Anne Faucheret und Matthias Nothnagel AF/MN: Spielen die Offspaces in Wien eine Rolle in der Identifizierung und Sichtbarmachung junger Künstlerinnen und Künstler? www: Offspaces schaffen aus unserer Sicht einen Raum, in dem junge Künstler und Künstlerinnen außerhalb von Kunsthochschulen in Wien, Galerien und Institutionen etwas ausprobieren können und in einem experimentellen Setting ihre eigene künstlerische Sprache hinterfragen und weiterentwickeln können. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, die Arbeiten einem Publikum zu präsentieren, das offen, neugierig und doch kritisch ist. AF/MN: Würdet ihr eure Situation als prekär beschreiben? Foto: Maximilian Pramatarov, 2015 Anne Faucheret / Matthias Nothnagel: Ihr wurdet von der Kunsthalle Wien eingeladen, einen Abend in der Ausstellungshalle am Karlsplatz zu gestalten, an dem ihr eine symptomatische Frage aufwerft: „Is it going well?“ Wie empfindet ihr die gegenwärtige Situation von Offspaces in Wien – auch innerhalb des kulturpolitischen Machtgefüges (Akademie/Galerie/Institution), innerhalb des Kunstbetriebes? wellwellwell: Wien ist eine Stadt mit einer ausgeprägten Offspace-Szene. In fast jedem Stadtgebiet in Wien befinden sich Offspaces, vom Zentrum bis zur Stadtgrenze. Aus unserer Sicht ist es eine große Bereicherung für die lokale Kunstszene, eine lebendige und autonome Offspace-Landschaft aufzufinden und in unserem Fall auch etwas dazu beitragen zu können. Die Herausforderung besteht darin, mit unserer Arbeit eine Öffentlichkeit zu erreichen, die über unsere persönlichen sozialen Kontakte hinausgeht. Innerhalb des kulturpolitischen Machtgefüges stehen Offspaces eher im Austausch mit der Universität für angewandte Kunst Wien oder der Akademie der bildenden Künste als mit Galerien, Museen, Kunsthallen etc. Da zu wenige Möglichkeiten bestehen, mit Galerien oder Institutionen zusammenzuarbeiten, bieten Offspaces oft einen ersten Präsentations- oder Aktionsraum nach bzw. gegen Ende der künstlerischen Ausbildung. Insofern wird die Bedeutung der Offspace-Szene weder lokal noch international im ausreichenden Maß wahrgenommen und wertgeschätzt. Aufgrund dieser aktuellen Situation erschien es für uns notwendig, in den Räumlichkeiten der Kunsthalle Wien einen Abend zu organisieren, der sich stark mit dieser Thematik auseinandersetzt. 14 www: Ja. Wir verfügen noch nicht über finanzielle Mittel, die uns erlauben, auch nur halbwegs über die Runden zu kommen. Da geht es sicher jedem Offspace in Wien gleich. Wir verfügen über ein minimales Budget für Transport und Produktionskosten (2.000 Euro im Jahr für elf Ausstellungen), Honorare für Künstler/innen und unser Team bzw. Aufwandsentschädigungen sind leider nicht vorhanden. Der Raum und der/die Gast-Kurator/in werden aber von der Universität für angewandte Kunst Wien bezahlt. wellwellwell ist ein Offspace und wurde 2014 ins Leben gerufen. Hinter wellwellwell stehen Diana Barbosa Gil, Philipp Friedrich, Thomas Hitchcock, Julian Inic, Noushin Redjaian, Christian Scherrer und Hanno Schnegg. Am 20. April um 19 Uhr laden wellwellwell zu einer Diskussion in die Kunsthalle Wien Karlsplatz, bei der die gegenwärtige Situation von Offspaces in Wien anlaysiert wird. Cäcilia Brown, Drehfoyer, 2014, Courtesy Gabriele Senn Galerie, Foto: Iris Ranzinger Mitya Churikov, Untitled (Alterlaa-AG 1968), 2015, Courtesy der Künstler Salvatore Viviano, Mozzarella in Carrozza, 2015, Courtesy one work gallery, vienna 15 Information Mehr Informationen finden Sie unter: kunsthallewien.at blog.kunsthallewien.at #Destination Kunsthalle Wien Museumsquartier Museumsplatz 1, 1070 Wien, Austria Kunsthalle Wien Karlsplatz Treitlstraße 2, 1040 Wien Christian Eisenberger, O.T., 2014, Courtesy Galerie Krinzinger, Foto: Jasha Greenberg Impressum Kunsthalle Wien GmbH Nicolaus Schafhausen, Direktor; Ursula Hühnel-Benischek, kaufmännische Geschäftsführerin Museumsplatz 1, 1070 Wien, Austria +43 (0)1 521 89-0 [email protected] www.kunsthallewien.at Destination Wien 2015 17/4 – 31/5 2015 Jury und Kuratorium: Marie Egger, Anne Faucheret, Lucas Gehrmann, Luca Lo Pinto, Nicolaus Schafhausen © Kunsthalle Wien, 2015 Redaktion: Katharina Baumgartner, Lucas Gehrmann, Bernadette Vogl Grafik: Boy Vereecken, Antoine Begon Coverbild: Sofia Goscinski, rainbow country (major depression), 2012 (Ausschnitt), Courtesy unttld contemporary, vienna © Sofia Goscinski 2012 Philipp Timischl, Give me first then I give you back. It’s capitalism!, 2014, Courtesy Galerie Emanuel Layr, Foto: Georg Petermichl 16
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