Vom Teilnehmer zum Teamer

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Vom Teilnehmer
zum Teamer
Sommer 2013, Segeltörn der Kinderherzstiftung
auf der Ostsee. Wir fahren gerade die Warnow
hinauf Richtung Rostock. Mit dabei ist Christian,
19 Jahre alt, angeborener Herzfehler, Schule in
diesem Jahr abgeschlossen. Wir sitzen zusammen,
um uns über seine Erfahrungen auf der Skifreizeit
der Kinderherzstiftung zu unterhalten.
Christian, ist es nicht komisch, wenn man im Hochsommer auf einem Segelschiff übers Skifahren spricht?
Na ja, bei beiden Veranstaltungen bin ich bereits mehrfach
dabei gewesen. Vielleicht nehmen wir das erst einmal als
Gemeinsamkeit.
Wie bist Du zur Kinderherzstiftung gekommen?
Als ich klein war, hat meine Mutter ein Elternseminar der
Herzstiftung besucht und ist dann später Mitglied geworden.
Ich selbst hatte dann mit 8 Jahren den ersten Kontakt zur
Kinderherzstiftung – als Teilnehmer der Skifreizeit.
Aller Anfang ist schwer, aber …
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Das ist ja schon etwas her. Kannst Du Dich noch daran
erinnern, wie es war?
Erst hatte ich etwas Bedenken. Ich kannte ja niemanden. Das
hat sich aber schnell geändert. Schon auf der Fahrt habe ich
im Bus die ersten Freunde gefunden. Und die Woche hat mir
dann richtig Spaß gemacht.
Was haben denn Deine Eltern gesagt, als Du das erste Mal
auf eine Freizeit gefahren bist?
Ich kann mir schon vorstellen, dass ihnen beim ersten Mal die
Trennung schwergefallen ist. Da meine Eltern mich aber bei
allem, was ich mache, immer sehr unterstützt haben, haben
sie sich natürlich für mich gefreut.
Du bist ja wiederholt mitfahren. Hat sich die Freizeit im
Lauf der Jahre verändert?
Ich glaube, meine Sichtweise auf die Freizeit hat sich gewandelt. Am Anfang war es toll für mich, dass meine Klassenkameraden in die Schule gehen mussten, während ich Ski fahren
durfte. Nach und nach merkt man aber, dass da noch viel
mehr ist. Die Gespräche unter den Teilnehmern zum Beispiel.
Endlich versteht Dich jemand, weil er auch einen Herzfehler hat, vergleichbare Erfahrungen gemacht hat und vielleicht
ähnliche Probleme und Sorgen mit sich rumträgt.
Und nun hast Du die Seiten gewechselt, vom Teilnehmer
zum Teamer. Wie kam das?
Das muss wohl an meiner Skilehrerin und ihrem guten Unterricht gelegen haben. Schon früh bin ich als „Pistenpolizei“
eingesetzt worden, das heißt ich fuhr als Letzter der Gruppe
und half, wenn ein Teilnehmer hinfiel oder einen Ski verloren hatte. Dazu kommt noch, dass es für mich nichts Neues
war, eine Gruppe zu leiten. Ich spiele seit 11 Jahren Tischtennis und leite dort schon einige Zeit eine Trainingsgruppe. In
diese Aufgabe rutscht man einfach so rein. Natürlich hat man
da mehr Verantwortung, gerade bei den Jüngeren. Aber der
Unterricht macht sehr viel Freude, insbesondere, wenn man
die Entwicklung der Teilnehmer sieht. Da ist man dann auch
ein bisschen stolz auf die eigene Leistung. Das gilt für Tischtennis genauso wie für Skifahren.
Welche Aufgaben hast Du als Teamer während der Skifreizeit?
Zuerst habe ich als Hilfsskilehrer für ein paar Abfahrten kleine
Gruppen übernommen, habe Übungen vorgemacht, die die
Teilnehmer dann nachfahren sollten. Als Saskia, unsere Chefskilehrerin, gemerkt hat, dass ich meine Aufgaben gewissenhaft übernehme, bekam ich nach und nach mehr Verantwortung, was für mich natürlich am Anfang sehr aufregend war,
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Fotos: DHS / rue
18+
… Übung macht den Meister: Christian heute im Einsatz als Skilehrer.
weil ich ja bis dahin nur die Teilnehmerseite kannte. Mittlerweile habe ich auch schon außerhalb der Skiwoche als Skilehrer gearbeitet.
Und jetzt sitzt Du hier auf dem Segelschiff. Was ist anders
hier?
Die Enge auf dem Schiff! Hier kann man sich nicht aus
dem Weg gehen. Man lernt sich in kurzer Zeit sehr intensiv kennen. Aber der Zusammenhalt in der Gruppe ist bei
beiden Freizeiten enorm, was meiner Meinung nach einmalig
ist. Jeder achtet auf jeden. Aber während beim Skifahren der
Tagesablauf sehr durchgeplant ist, müssen wir beim Segeln
viel flexibler sein. Das ist schon für den einen oder anderen
eine Herausforderung.
Was würdest Du Jugendlichen raten, die noch unsicher
sind, ob die Skiwoche oder der Segeltörn etwas für sie ist?
Seid offen für Neues! Probiert es einfach mal aus. Erst dann
könnt Ihr Euch ein Bild davon machen. Und ganz wichtig: Es
ist keine normale Freizeit. Hier seid Ihr mit anderen Jugendlichen zusammen, die auch einen Herzfehler haben. Das
Miteinander ist ganz anders als bei normalen Freizeiten und
der Austausch untereinander bringt so viel. Man lernt sich
selbst besser kennen und einschätzen. Der eine oder andere
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wird ja zu Hause sehr stark verhätschelt. Hier übernimmst Du
Verantwortung für Dich und andere und lernst Deine Grenzen kennen. Das ist auch in Bezug auf die Eigenständigkeit
ein großer Fortschritt.
Das Leben besteht ja nicht nur aus diesen Freizeiten. Was
machst Du, nachdem Du kürzlich die Schule beendet hast?
Ich werde studieren und vielleicht für ein Jahr ins Ausland
gehen, wahrscheinlich nach China. (Update: Mittlerweile
studiert Christian am Ostasieninstitut Ludwigshafen Internationales Business Management und verabschiedet sich 2015
voraussichtlich für ein Jahr nach China.)
Und was sind Deine Ziele für die Zukunft?
Das lasse ich auf mich zukommen. Der große Planer bin ich
nicht. Und nicht alles lässt sich vorhersehen. Außerdem muss
man sich auch mal treiben lassen. Wichtig ist nur, dass man
die Chancen, die das Leben so bietet, nicht ungenutzt lässt –
schon gar nicht wegen einer Krankheit.
Das ist doch ein passendes Schlusswort. Ich danke Dir
für das Gespräch und wünsche Dir alles Gute für Deine
(rue)
Zukunft!
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