text Katrin Jäger Journalistin

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Katrin Jäger Journalistin
Manuskript zum Beitrag : "Gegen das Vergessen – Esther Bejarano engagiert sich musikalisch und
politisch für den Frieden", gesendet im Deutschlandfunk, "Information und Musik", 5/2004, Länge
5`30 Minuten.
Anmoderation
Als Neonazis Ende Januar dieses Jahres gegen die Wehrmachtausstellung in der
Hamburger Kampnagelfabrik aufmarschierten, stand sie wieder einmal in der
ersten Reihe gegen die Faschisten – Esther Bejarano. Als Jugendliche von den
Nationalsozialisten im Konzentrationslager Auschwitz inhaftiert, später Künstlerin
für den Frieden und Mitgründerin des Auschwitzkomitees in der Bundesrepublik
Deutschland. Ob in ihren Liedern, politischen Reden oder als Großmutter, Esther
Bejarano lebt für den Frieden. Katrin Jäger stellt die faszinierende Frau vor.
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Lied: Esther Bejarano singt ein jiddisches Lied. Ausblende unter den Sprecherinnentext.
Knapp einen Meter fünfzig misst die weißhaarige Sängerin, doch mit bestechend schlichter
Präsenz und fester Stimme füllt sie den ganzen Bühnenraum. Esther Bejarano ist jetzt fast
achtzig. Und sie denkt überhaupt nicht daran, mit ihren Konzerten für Frieden und
Gerechtigkeit aufzuhören. Denn:
Bejarano: Ich sehe, dass wieder so und so viele Kriege entstehen, und ich bin gegen Krieg.
Und deswegen werde ich immer, solange ich lebe, werde ich gegen Krieg auftreten.
Genauso ist es auch auf dem Ostermarsch. Habe ich entweder immer solche Lieder gesungen oder ich habe Reden gehalten. Und das mach` ich bis heute immer noch."
Erfolg und Ruhm auf großen Bühnen haben für die Sopranistin nie eine Rolle gespielt.
Singen, das bedeutet für sie Friedenspolitik. In ihrer Band Coincidence spielt ihr Sohn Joram
Bassguitarre, ihre Tochter Edna Percussion.
Bejarano: "Ich singe die jiddischen Lieder, die Edna singt in Griechisch und sie singt in
Spanisch, ich singe deutsch, viele, viele Sachen von Brecht, die ich sehr gut finde. Die
Verfolgung haben wir uns ja als Thema gesucht. Dann sind da Lieder aus dem jüdischen
Widerstand, aber auch Lieder aus anderen Widerständen."
In den Achtziger Jahren organisierte Esther Bejarano zusammen mit Eva Matthes, Udo
Lindenberg und anderen Prominenten die Veranstaltungen "Künstler für den Frieden". Im
Bochumer Konzert trat die Jüdin im Duo mit einem Palästinenser auf. Esther Bejarano
erinnert sich:
Bejarano: "Das war wie ´ne Revolution damals. Die Leute haben geschrieen, und mit den
Füßen getrampelt, weil ich mit einem Palästinenser zusammen gesungen habe. Und ich
habe auch vorher gesagt: Ich mache das, um zu demonstrieren, dass Palästinenser und
Juden zusammen leben können."
Ihr Engagement für den Frieden ist eng mit Esther Bejaranos eigener Geschichte verknüpft.
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© Katrin Jäger mail: [email protected] tel:040-30035875
Die Nationalsozialisten bringen 1941 ihre Eltern um, im Jahr darauf ihre Schwester Ruth.
Esther kommt als Jugendliche zuerst in ein Zwangsarbeitslager, dann ins
Konzentrationslager Auschwitz. Dort muss sie schwere Steine von einem Haufen auf den
anderen schleppen. Diese ebenso sinnlose wie zermürbende Arbeit bringt sie fast um. So
bewirbt sie sich auf einen Platz im Mädchenorchester, denn als Kind hat sie Klavier spielen
gelernt. Doch die Orchesterleiterin sucht eine Akkordeonspielerin.
Bejarano: "Und da hab´ ich so ganz frech gesagt, ja, ich kann Akkordeon spielen, obwohl
ich das noch nie in der Hand gehabt hab´, so´n Akkordeon. Ich wusste nur, dass, wenn man
zieht, (lacht) dann kommt irgend ´n Ton raus. Ja, und dann hat das geklappt irgendwie.
Das war auch ganz bestimmt ´n ganz starker Wille von mir. Ich wollte einfach von dieser
schrecklichen Arbeit weg und hab´ mir gesagt, du musst ins Orchester kommen. Du musst
das schaffen."
Nach Kriegsende zieht Esther Bejarano zunächst nach Palästina zu ihrer Schwester Tosca.
In Tel Aviv studiert sie Koloratursopran. Im sozialistischen Rhon Chor lernt ihren Mann
Nissim kennen. Auch viele Lieder, die sie heute noch im Programm hat.
Lied, unter den vorherigen Sprecherinnentext ein- und unter den folgenden ausgeblendet.
In die Bundesrepublik kommt Esther Bejarano 1960 notgedrungen zurück. Denn sie verkraftet das heiße Klima in Israel nicht. Die Familie hat kein Geld, in Deutschland wartet die
Wiedergutmachungszahlung. Freunden folgen die Bejaranos nach Hamburg. Fast zwanzig
Jahre lang schweigt Esther dort über ihre Vergangenheit, bis die NPD vor ihrer Boutique in
Hamburg Eimsbüttel einen Infostand aufbaut. Zu ihrem Entsetzen schützt die Polizei die
Neonazis gegen die friedlichen Gegendemonstranten.
Bejarano: "Und da bin ich zu einem gegangen, zu einem Polizisten und habe ihn so am
Revers gepackt und habe ihn gefragt: Sagen Sie mal, was machen Sie eigentlich hier.
Wissen Sie nicht, was das für Leute sind, und Sie schützen die? Schützen Sie lieber die
anderen, aber die hier dürfen Sie nicht schützen. Da hat der gesagt: Wenn Sie mich nicht
sofort loslassen, dann sperre ich sie ein. Und da hab´ ich gesagt: Bitte, das können Sie
machen, ich hab´ Schlimmeres erlebt. Ich war in Auschwitz."
Mittlerweile ist Esther Bejarano Vorsitzende des Auschwitzkomittees in Deutschland. Sie
setzt sich ein für längst überfällige Wiedergutmachungszahlungen, hält Reden, demonstriert
gegen Naziaufmärsche.
Bejarano: "Außerdem machen wir immer sehr große Veranstaltungen, zum 9. November
zum Beispiel. Vor allen Dingen unser Anliegen ist gegen das Vergessen. Es darf niemals vergessen werden, was wir damals mitgemacht haben, und das ist unsere Hauptarbeit."
Deshalb erzählt Esther Bejarano Jugendlichen im Schulunterricht ihre Geschichte und sucht
mit ihnen das Gespräch über antisemitische Praktiken.
Bajarano: "Es ist eben immer noch leider in den Köpfen vieler deutscher Menschen.
Antisemitismus ist da. Man braucht sich nichts vorzumachen. Und man kann das nur versuchen, irgendwie wieder hinzukriegen, indem man eben dagegen auftritt."
Esther Bejaranos Terminkalender ist proppenvoll – mit Schulbesuchen, Reden, Konzerten.
Woraus sie die Kraft dafür schöpft, weiß sie selbst nicht.
Bejarano: "Ich weiß nicht, ich hab´ das eben. Aber ich bin schon immer so ´ne Natur
gewesen, die sich immer gewehrt hat, und ich glaube, das war für mich ganz gut. Und so
mache ich eben weiter. Ich bin so, ich kann nicht anders."
Lied: eingeblendet unter den O-Ton, kurz stehen lassen, Ausblende.
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