Wenn das kein Grund zum Feiern ist!

Bergfrieden
In einem Engadiner Haus genießen Interiordesignerin
Francesca Neri und ihre Familie die Wintersaison und
das Gefühl einer zweiten Heimat in der Schweiz
T E X T: A N DR E A WOL F F | PRODU K T ION : F R A NCE SC A DAVOL I | FOTOS : FA BR I Z IO CICCON I
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Fotos: © Living Inside
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Jeder Teil des Alpenrefugiums erzählt
Geschichten. Das Holz für die Wandverkleidung hat Francesca Neri recycelt:
Es stammt von einer Scheune und ist
über 150 Jahre alt
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kaufen“, fügt sie lächelnd hinzu. Seither pendelt die Familie
vom Herbst bis ins Frühjahr fast jedes Wochenende von
Lugano nach Celerina – oder bleibt über die Ferien.
In Lugano arbeitet Francesca in einem ihrer Interiorstudios,
das zweite hat sie in Mailand eröffnet. Überhaupt liest sich
der Lebenslauf der sympathischen Kosmopolitin wie eine
Weltkarte: Geboren in Peru, landete sie mit zwölf Jahren
in der Schweiz, ging zum Designstudium in die USA,
kam später zurück nach Europa, um dann für ihren berühmten Mentor, den italienischen Designer Alessandro
Mendini, zu arbeiten oder im Auftrag internationaler
Unternehmen den Globus zu bereisen: Dubai, Hongkong,
San Francisco, New York. „Home is where your heart
is“, sagt sie lächelnd – ihres scheint jetzt in Celerina ein
Zuhause gefunden zu haben.
Das Wohnzimmer ist Francescas Lieblingsraum. Und das ist sicher auch dem belgischen
Hussensofa zu verdanken: „Es ist einfach so
unglaublich gemütlich“, sagt sie begeistert.
RECHTE SEITE: Überall im Chalet sind lieb gewonnene Erbstücke zu finden. „Ob Lampe
oder Tellerset – damit wirkt ein Ambiente einfach echt“, erklärt die Wohnexpertin glücklich
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Text: Anne Gelpke. Alle Preise unverbindlich
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ielleicht bleiben wir irgendwann für immer
hier“, überlegt Francesca Neri, lehnt sich dabei
ganz entspannt in die weichen Kissen ihres Sofas
zurück und lässt den Blick verliebt durch ihr gemütliches
Feriendomizil schweifen. Vor zwei Jahren haben sich die
Interiordesignerin und ihr Mann Giulio entschieden, das
Haus und Atelier des Malers Carlo Cromer zu kaufen, der
hier in Celerina bis Mitte der 60er-Jahre gelebt und gearbeitet hat. Celerina, das kleine Bergdorf in der Nähe von
St. Moritz im Schweizer Engadin, ist dem italienischen
Paar seit Langem ans Herz gewachsen. „Schon als Jugendliche waren mein Mann und ich immer wieder hier“, erzählt Francesca. „Und mit unseren Kindern wurden die Besuche sogar noch häufiger. Genau genommen haben Claudia
und Filippo dafür gesorgt, dass wir das Carlo-Cromer-Haus
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Jeden Samstag deckt Francesca den langen Holztisch für Gäste, die sich bei ihr zu einem zwanglosen Drink treffen. „Open house“, bemerkt
sie fröhlich. RECHTE SEITE: Die Wendeltreppe ist
ebenfalls einer ihrer Entwürfe – den massiven,
wenig interessanten Vorgänger hat dynamisch
gewundener Stahl abgelöst
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Schon als Francesca das fast 200 Jahr alte „Chesa Cromer“,
wie das Haus im Dorf genannt wurde, zum ersten Mal
betrat, spürte sie seine besondere Atmosphäre: „Ich glaube,
die Wände hier sind geradezu angefüllt vom guten Geist
der Menschen, die hier gewohnt haben, und diese Energie
scheinen sie ganz langsam wieder abzugeben.“
ie positive Stimmung unterstützt Francesca Neris
Ideen, die sie als Einrichtungsprofi auf den drei
Etagen verwirklicht hat. „Mein erster Gedanke
war, die Stockwerke mit einer offenen Wendeltreppe zu verbinden. Ich mag es, wenn Räume
dadurch enger zusammenrücken.“ Außerdem liebt sie lebendiges Material. „Altes Holz kann Geschichten erzählen.
Ganze Wände daraus sind ständig in Bewegung und
machen Geräusche, die einladend, fast familiär klingen.“
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In ihrem Chalet hat sie sechs verschiedene Holzarten verwendet, um daraus Möbel bauen oder Wandverkleidungen
fertigen zu lassen – alles nach eigenen Entwürfen. „Für die
Paneele haben wir das Holz einer Scheune recycelt. Es ist
über 150 Jahre alt.“
Inzwischen ist das antike Material zum Bühnenbild für
Industrie-Chic und Modern Country geworden: Zwischen
Fellen blitzen polierte Betonböden auf, geflochtene Gartenstühle von Vincent Sheppard stehen um die massive Tafel
im Essbereich, dem Used Look der Ledersessel steht ein
klassisches Hussensofa gegenüber. „Meine vielen Reisen
haben mich inspiriert. Außerdem natürlich meine Arbeit
und die Interiormessen, die ich besuche“, versucht Francesca
zu erklären, warum es ihr so leicht fällt, Tradition und
Moderne nicht nur in friedlicher Koexistenz nebeneinander
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Über drei Etagen gelingt es Francesca Neri, Landhaus und Loft so
harmonisch miteinander zu kombinieren, dass sich klassisches Karo ganz
selbstverständlich an dunklen Industriestahl schmiegt. Auch die
Canapés zum Aperitif werden den Gästen auf zauberhaft verspielten,
handgestickten Servietten gereicht. „Ich wollte eine Mischung, bei
der zeitgenössiche Materialien und Stile auf typisch alpenländische oder
nordische Elemente treffen“, erklärt sie
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Dem rustikalen Charme der Betten, die aus recyceltem antikem Holz angefertigt wurden, setzt Francesca noch eins drauf: Über blütenweißer Leinenbettwäsche tragen Wolldecken und Kissen das Schweizer Kreuz und lassen
keinen Zweifel aufkommen, dass sich die vierköpfige Familie im Dörfchen Celerina zu Hause fühlt. Jeden Winter lockt sie neben dem friedlichen
Rückzugsort die tief verschneite Bergwelt des Engadin. „Die ganze Familie
fährt Ski“, erzählt Francesca, „und ich liebe lange Spaziergänge“
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sogar einer Mannschaft an, fahren richtige Rennen – das ist
die wichtigste Familienunterhaltung“, scherzt sie. Samstags,
wenn Francesca die Skier beiseitegestellt hat oder von einem
ihrer langen Spaziergänge zurückkehrt, zieht es sie in die
Küche. Dort bereitet sie jede Menge kleiner Köstlichkeiten
zu, alles alte Familienrezepte. „Dann kommen Freunde und
Bekannte zum Aperitif, ohne Einladung, einfach so“, erklärt
sie das lässige Prinzip. Eines ist sicher: In Celerina scheint
Familie Neri nicht nur ein Refugium gefunden zu haben,
sondern auch ein Stück Heimat. „Wenn wir nach einer turbulenten Woche hier ankommen, stellt sich sofort ein Gefühl
des Friedens ein“, schwärmt Francesca versonnen.
INFO FNA Interiors & Design, www.fnafrancescaneri.com
Das Vintage-Dessin
der Karotapete, das
außer dem Treppenhaus auch im ersten
Stock einzelne Wände
schmückt, hat die
Interiordesignerin in
Mailand entdeckt: im
extravaganten Sortiment der italienischen
Firma Wall & Decò
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Text: Anne Gelpke. Alle Preise unverbindlich
bestehen zu lassen, sondern dass bei ihr Gegensätze zu einer
harmonischen Einheit verschmelzen. „Außerdem mag ich
Eklektik einfach gern – und habe ein Faible für Erbstücke!“,
verrät sie. „Egal ob Lampe, Stuhl oder Teller, damit wirkt
eine Wohnung einfach echt.“
icht mal ein Jahr hat der Umbau des Hauses gedauert: Sechs Monate nahmen Konzept, Planung und
Entwicklung in Anspruch und nur weitere zwölf
Wochen waren notwendig, um die Arbeiten vor
Ort auszuführen. „Ein großartiges Team“, strahlt
die Wahlschweizerin und hat inzwischen sogar Aufträge im
Engadin. In erster Linie aber ist Celerina für die Familie ein
Rückzugsort, vor allem in der kalten Jahreszeit, wenn die tief
verschneiten Schweizer Alpen zum Wintersport einladen.
„Wir laufen alle sehr gern Ski. Claudia und Filippo gehören