Wie wichtig ist euch Europa? - Drehscheibe

Serie
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SEHNDE. In Belgien besteht
Wahlpflicht. „Nicht einmal ein
Sterbefall in der Familie gilt da
als Entschuldigung“, sagt der gebürtige Belgier Sven Embrechts.
Seiner Meinung nach stehen seine Landsleute Europa sehr offen
gegenüber, um Menschen, Kultur und Wirtschaft nach vorn zu
bringen. Das belgische Volk sei
stolz auf das kleine
Land (rund zehn
Millionen
Einwohner). Man
sei sehr weltoffen, weil im
Land der Flamen
und Wallonen die
Menschen mit mehreren
Sprachen
aufwachsen.
Flämisch, Französisch und
Englisch sowie Deutsch würden
schon früh unterrichtet.
Seit zehn Jahren leitet der
38-Jährige das Apart-Hotel in
Sehnde. Sein Beruf hat ihn in den
Norden verschlagen. Als 25-Jähri-
Wie wichtig ist euch Europa?
Regionsbürger aus anderen EU-Staaten berichten über die Stimmung in der Heimat
Mitgliedsländer der Europäischen Union
Spricht
mehrere
Sprachen: Der
Belgier Sven
Embrechts
leitet das
Apart-Hotel
in Sehnde.
JarolimVormeier
ger nahm er seinen ersten Job als
Hotelmanager in Hamburg an. Kurz vor der
Expo kam er nach
Sehnde. Seitdem ist der
Vater eines siebenjährigen Jungen Chef des größten Sehnder
Hotels. Ob beruflich oder privat,
er schaut sich auf allen Kontinenten gern andere Häuser an, um
ständig Anregungen zu bekommen und damit sein Hotel weiterzuentwickeln. Darüber hinaus
hat sich Embrechts als neuer Chef
der Sehnder Kaufmannschaft
(IGS) mit frischen Ideen einen
guten Namen gemacht.
jar
In diesen
27 Ländern
wird das
Europäische
Parlament
gewählt.
Finnland
Serie zur Europawahl – Teil 3: Die Bedeutung der Wahl in anderen EU-Ländern
Österreich: Bürokratische Hürden bleiben noch
RONNENBERG. Der 29-jährige
Pole Piotr Poltorak aus Lützen
lebt seit fünf Jahren in Ronnenberg. Für Politik interessiert sich
der Vater von zwei Kindern nicht
– seine Stimme will er bei der Europawahl trotzdem abgeben. „Ich
werde mein Wahlrecht auf jeden
Fall nutzen“, sagt der Erntehelfer.
Er wolle die Möglichkeit, Dinge
zu verändern, nicht verschenken.
Poltorak hat sich deshalb in das
Wählerverzeichnis der Stadt Ronnenberg eintragen lassen.
Welche Partei sein Votum erhält, weiß
der Pole aber
noch nicht.
„Ich
muss
mich erst noch
informieren“,
sagt der 29-Jährige.
Über die Bedeutung Europas
und der bevorstehenden
Parlamentswahl in seinem Heimatland kann Poltorak nur wenig
Auskunft geben. „Ich war lange
nicht mehr in Polen und kann
Litauen
Dänemark
Irland
„Ich
habe
nach einem
Monat gleich
einen Job gefunden.“ Eder ist
Radio- und Fernsehtechnikermeister. Seinen in Österreich erworbenen
Meisterbrief hat Deutschland bis
heute aber nicht anerkannt. „Die
meisten EU-Länder halten noch
an ihrer konservativen Politik
fest. Das finde ich schade“, sagt
Eder. Er wünscht sich ein gemeinsames Europa, ähnlich wie die
Vereinigten Staaten von Amerika.
Europa hat aus seiner Sicht einen
entscheidenden Vorteil: „Wir sind
multikulturell und mehrsprachig.“
aba
Polen
Region
Hannover
Niederlande
Sein Herz
schlägt für die
Natur. Seine
Stimme gehört
den Grünen.
Seit 24 Jahren
lebt der
Österreicher
Erwin Eder in
Langenhagen.
Bartelt
Deutschland
Belgien
Tschechien
Luxemburg
Terhi Stegars,
hier mit ihrer
Stute Aciara,
ist eine
überzeugte
Europäerin.
BrinkmannThies
der EU entgegenbringen. „Uns Finnen ist es
sehr wichtig, zu Europa
zu gehören“, sagt Stegars.
Diese Haltung erkläre sich aus
der Geschichte ihres Landes, das
lange zum russischen Reich gehörte und 1917 seine Unabhängigkeit erlangte.
Positiv sieht Stegars viele EUVerordnungen, die auch im Bereich des Tierschutzes zu Verbesserungen geführt haben. Die Europawahl allerdings berührt die
Finnin wenig. Die Kandidaten
kennt sie nicht. Ob und wem die
Reiterin ihre Stimme gibt, ist
noch unsicher.
br
Polen: Die Rolle des Parlaments bleibt unklar
Lettland
Großbritannien
SPRINGE. Terhi Stegars ist eine
überzeugte Europäerin. Die finnische Dressurmeisterin
lebt seit 14 Jahren in
Deutschland
und arbeitet
seit einigen
Monaten beim
Gestüt Webelsgrund. „Formal ist
vieles einfacher geworden“, sagt die
34-Jährige. Allein die
Umstellung auf den Euro
als
Währungseinheit
habe deutliche Erleichterungen gebracht.
Diese
Währung
habe Europa auch
im internationalen
Vergleich erstarken
lassen.
Obgleich die auf internationalem Niveau
reitende Amazone schon
lange in Deutschland lebt, weiß
sie um die positive Stimmung,
die ihre finnischen Landsleute
Estland
Schweden
LANGENHAGEN. Seine Heimat
ist Österreich, sein Zuhause aber
ist in Langenhagen. Dort lebt Erwin Eder seit 24 Jahren. „Europa
muss sich nicht nur wirtschaftlich zusammenschließen, sondern auch sozial enger zusammenrücken“, sagt Eder. Zunächst
sei Österreich geteilter Meinung
gewesen. „Mittlerweile ist der
Großteil jedoch pro Europa.“ Eder
geht in Deutschland wählen. In
Österreich besucht der 52-Jährige
nur hin und wieder Freunde.
Österreich und Deutschland
gehörten für Erwin Eder schon
immer zusammen. Er ist in
Oberndorf nahe der deutschen
Grenze geboren und aufgewachsen. Vor 24 Jahren hat Eder
seine österreichische Heimat verlassen,
um
nach Langenhagen
zu
ziehen.
„Der Liebe wegen“, sagt er. Bereut hat er diesen Schritt nie. Seine deutsche Frau wollte ihre Beamtenlaufbahn nicht aufgeben.
Finnland: Sehr wichtig, zu Europa zu gehören
Österreich
Frankreich
Slowakei
Ungarn
Rumänien
Slowenien
Italien
Bulgarien
Portugal
Spanien
Griechenland
Keine
geradlinige
Haltung: Der
29-jährige Pole
Piotr Poltorak
aus Lützen lebt
seit fünf Jahren
in Ronnenberg
und weiß noch
nicht, welche
Partei seine
Stimme
bekommt.
Rodriguez
wenig zu der politischen
Stimmung sagen“,
berichtet er. Welche Funktion und
welchen
Handlungsspielraum das
Europäische Parlament hat, wisse er auch nicht genau, räumt
Poltorak ein. „Das wissen die
meisten Polen wohl ebenso wenig“, sagt der Erntehelfer. Für ungewöhnlich hält er die fehlenden
Kenntnisse aber nicht. „Das ist in
Polen doch genauso wie in
Deutschland“, sagt Poltorak. Die
politische Stimmung müsse deshalb angesichts der Europawahl
wohl in beiden Ländern ähnlich
sein.
ir
Zypern
Italien: Die Gründer sind stolz auf die EU
GARBSEN. Giuliano Micheli erlebt das Zusammenwachsen Europas mit. Seit mehr als 30 Jahren ist er Vorsitzender der italienischen Gemeinde in
Garbsen, doch die
Verbindungen zu seiner Heimat
Sardinien
reißen nicht
ab. Seitdem
der 73-Jährige nicht
mehr arbeitet, reist er
noch
häufiger
nach Italien, zuletzt hat er dort
noch bei den Regionalwahlen
mitgestimmt.
„Bei der Europawahl habe ich aber schon immer in Deutschland gewählt. Ich
kenne die deutsche Politik auch
besser als die italienische.“ Um
über Italien so gut wie möglich
auf dem Laufenden zu bleiben,
nutzt er das Internet intensiv.
Giuliano
Micheli aus
Garbsen hat
den Eindruck,
dass die
europäischen
Gesellschaften
sich immer
ähnlicher
werden.
Oheim
Sein Pendeln
zwischen den Ländern zeigt ihm, dass
sich die Gesellschaften
immer mehr ähneln.
„Eines Tages wird alles ein Staat
werden, doch das braucht wohl
noch viel Zeit“, sagt er. Die Italiener seien stolz, das vereinte Euro-
pa mitgegründet zu haben. Es
gibt natürlich auch viele, die die
Wahlen nicht sonderlich interessieren: 2004 haben im gemeinsamen Wahlgebiet Sardinien und
Sizilien 64 Prozent der Berechtigten ihre Stimme abgegeben. Immerhin: In Niedersachsen waren
es nur 40 Prozent.
sok
Ein Parlament für 27 Staaten hat
es schwer: Die europäischen Themen werden bei der Wahl oft von
Stimmungen aus der nationalen
Politik überdeckt. Wir haben uns
in der Region bei Bürgern aus anderen EU-Staaten umgehört, wie
dort die Europastimmung ist.
Eine europäische Öffentlichkeit fehlt nach wie vor. Vor den
Wahlen diskutieren keine Spitzenkandidaten über gesamteuropäische Listen, nein, auch die
Wahlkämpfe spielen sich hauptsächlich in den einzelnen Staaten
REGION. Sie sitzen manchmal
zwischen den Stühlen, doch sie
sind auch Brückenbauer und haben einen weiten Horizont als
großen Vorteil: Grenzgänger kennen zwei Gesellschaften gut und
können vergleichen. Deshalb haben wir EU-Ausländer im hannoverschen Umland getroffen und
uns mit ihnen darüber unterhalten, welche Rolle Europa in ihrer
Heimat spielt – sei es in alten
Mitgliedsstaaten wie Italien und
Belgien oder vergleichsweise jungen Neuzugängen wie Polen.
mit den nationalen Themen ab.
Das Gespräch mit den EU-Ausländern hilft ein wenig, über diesen Tellerrand hinauszuschauen.
Auch bei der Europawahl haben sie eine Sonderrolle: Sie dürfen selbst entscheiden, wo sie
QUIZ
VON SVEN SOKOLL
Straßburg-Reise zu gewinnen
I
Griechenland: Wahl bestimmt Regierungsschicksal
Malta
Kartenquelle: Wikimedia Commons
n unserer fünfteiligen Serie
zur Europawahl lesen Sie
zum Abschluss eine Folge, die
für aufmerksame Leser der Serie mit ein wenig Glück eine
Belohnung bringen kann. Bei
unserem Europawahl-Quiz ist
eine Reise nach Straßburg zu
gewinnen. Das Europaparlament hat dort seinen Sitz. Allerdings gibt es auch Sitzungen
in Brüssel, und ein Teil der Par-
lamentsverwaltung
operiert
von Luxemburg aus.
Unser Quiz wird in der Woche vor dem Wahltag erscheinen. In den ersten beiden Folgen der Europawahl-Serie haben wir uns mit dem Ablauf
der Wahl und den Auswirkungen des EU-Rechts auf den Alltag der Bürger beschäftigt. Im
vierten Teil geht es um Filme
über die Kandidaten.
sok
wählen wollen – am Wohnsitz
oder in der alten Heimat. Die
Entscheidung wird jeder Einzelne wohl danach fällen, wie fest er
in seinem neuen Wohnort verwurzelt ist – mancher hat hier
vielleicht nur eine berufliche Zwischenstation, während andere
schon lange hier leben.
Die neuen Abgeordneten des
Europäischen Parlaments werden übrigens nicht überall am
Sonntag, 7. Juni, gewählt: Einige
Staaten stimmen traditionell an
anderen Wochentagen ab und
halten daran auch bei der Europawahl fest. Deshalb eröffnen die
Briten und Niederländer die Abstimmung bereits am Donnerstag, 4. Juni. Am Freitag folgen die
Iren, am Sonnabend die Zyprioten, Slowaken und Letten. Gleich
zwei Tage Zeit haben die Tschechen (Freitag und Sonnabend)
und die Italiener (Sonnabend
und Sonntag).
LAATZEN. Die Europawahl findet in Griechenland viel Beachtung – und das nicht nur, weil
Pflicht
zur
Stimmabgabe
herrscht. „Diese Wahl wird
bei uns darüber entscheiden, ob die
Regierung an
der
Macht
bleibt“, sagt
Georgios
Chatziliadis, Mitinhaber
des
Alt-Laatzener
Restaurants
Niki.
Der europäische
Urnengang sei stets
sehr eng verbunden
mit der nationalen Abstimmung. „Die Beteiligung wird
sehr hoch sein“, sagt der 33-Jährige, der aus Thessaloniki
stammt.
Auch er wird in Deutschland
wählen gehen – allerdings darf er
nur für griechische Kandidaten
Hohe
Wahlmoral in
Griechenland:
Der 33-jährige
Grieche
Georgios
Chatziliadis
wird seine
Stimme auf
jeden Fall
abgeben.
Nowak
sein Kreuz setzen. „Bei uns
kennt man jeden Abgeordneten. Das ist hier in
Deutschland oft anders“, sagt
Chatziliadis.
Der Enthusiasmus für die Europawahl habe sich bei den Grie-
chen allerdings erst mit der Zeit
entwickelt. Für das Land seien in
der Europapolitik derzeit besonders die Bewältigung der Wirtschaftskrise und inzwischen
auch der Umweltschutz wichtig.
„In diesem Bereich wollen wir
mehr und mehr Fuß fassen“,
sagt der Restaurantinhaber. an
Serie zur Europawahl – Teil 3: Die Bedeutung der Wahl in anderen EU-Ländern
Belgien: Sprachenvielfalt macht weltoffen
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