Wie die Securitas um sich greift - MultiWatch

Überwachung
Wie die Securitas um sich greift
Die Bewachungsfirma Securitas kann sich bei ihren geheimdienstlichen Schnüffeleien auf ein weites Netzwerk stützen. Im Fall Nestlé/Attac führt eine Spur an die Spitze der SBB-Bahnpolizei.
Text: Otto Hostettler
N
ach diesem Tag gab es von Sara
Meylan kein Lebenszeichen mehr.
Am 12. Juni 2004 aber war sie noch
dabei, als die Westschweizer Antiglobalisierungsgruppe Attac gerade ihr Buch über
den Nahrungsmittelkonzern Nestlé publiziert hatte und dessen Geschäftspraktiken
mit einer öffentlichen Veranstaltung anprangerte. In der Nestlé-Zentrale war das
neue Buch hingegen kalter Kaffee, der
Maulwurf hatte den Inhalt längst geliefert.
Sara Meylans Mission war zu Ende.
Als Securitas-Spitzel im Auftrag von
Nestlé hatte die junge Frau ein Jahr zuvor
in Lausanne eine Autorengruppe der Organisation Attac infiltriert, wie das Westschweizer Fernsehen publik machte. Die
Securitas begründet die Aktion mit dem
damals am Genfersee durchgeführten
­Gipfel der wichtigsten Industrienationen
(G-8) – die Observation sei im Namen der
Sicherheit erfolgt. Doch: Der G-8-Gipfel
in Evian war längst vorbei, als die siebenköpfige Gruppe – Sara Meylan inklusive –
beschloss, über Nestlé ein kritisches Buch
zu schreiben.
Die Adresse der Spionin
Über Sara Meylans wahre Identität wird
nach wie vor gerätselt. Sie gab an, in Neuen­
burg zu wohnen und bei einer Versicherung zu arbeiten. In Neuenburg arbeitete
sie zwar nachweislich mindestens ein Mal
– an einem Computer eines Internetcafés.
Fotos von ihr gibt es keine, ausser jenem
auf dem Halbtaxabo, das sie damals benutzte. Auf diesem Bild, das dem Beobachter vorliegt, trägt sie schulterlanges, zum
Rossschwanz gebundenes Haar. Das Gesicht kantig, die Augen stark geschminkt,
den Mund zu einem Strich gepresst.
Ausgerechnet ihr Halbtaxabo fördert
nun aber eine brisante Verbindung zutage,
die Fragen aufwirft: Wurde die Aktion
sorgfältig von der Securitas geplant, und
griff sie dafür auf ihre guten Verbindungen
zu den SBB zurück? Denn ein Angehöriger
des Topkaders der Bahnpolizei, die zur
SBB-Tochter Securitrans gehört (siehe Sei-
Transparenz? Die Aktivitäten der Securitas sind undurchsichtig.
te 18), taucht nun plötzlich in indirektem
Zu­sammenhang mit der Bespitzelung auf,
wie Recherchen des Beobachters zeigen.
Die Halbtaxkarte von Sara Meylan
mit der Nummer RBC 287 wurde von den
SBB am 8. September 2003 ausgestellt.
Als Adresse der Spionin war im SBB-System Folgendes registriert: «c/o Pascal Delessert, Avenue du Château 58, 1008 Prilly». Bei Pascal Delessert, der tatsächlich an
dieser Adresse wohnt, handelt es sich um
keinen Geringeren als den damaligen Chef
der Westschweizer Bahnpolizei.
Es fragt sich somit, ob Meylan gegenüber den SBB falsche Angaben machte
oder ob die Securitas das Halbtax ausgerechnet an den damaligen Westschweizer
Bahnpolizei-Chef schicken liess. Denkbar
ist auch, dass Meylan das Abonnement gar
nicht am Schalter löste, sondern von ihrem
Auftraggeber für die Observation persönlich in die Hand gedrückt bekam. Zwei
weitere Möglichkeiten bestehen zumindest
theoretisch: Die Adressangabe von Meylan
hat den Tatsachen entsprochen, womit sie
damals beim Bahnpolizei-Chef gewohnt
hätte; oder der Bahnpolizei-Chef hat mit
der Schnüffelaktion gar nichts zu tun. Klar
ist einzig: Die Agentin musste unbedingt
über ein Halbtax verfügen. Denn in der
BEOBACHTER 14/2008
17
Securitas: Ein Netzwerk mit Einfluss
Securitas
Besitzer: Familie Spreng
10 000 Mitarbeiter 800 Millionen Franken Umsatz
20 Unternehmen (unter anderem Contrafeu, Securiton)
Samuel Spreng,
Eigentümer und
Verwaltungsrats­
präsident
Hans Winzenried,
Generaldirektor
von Securitas
Reto Casutt,
Generalsekretär
von Securitas
Jörg Stocker,
Kommandant
Bahnpolizei
SBB
2002–2008
Martin Graf,
Ex-SecuritasKader
Verwaltungsratspräsident
Verwaltungsratsmitglied
Securitrans (Bahnpolizei)
SBB (51%)
Besitzer Securitas (49%)
CEO
Verwaltungsratspräsident
Verwaltungsratsmitglied
CIS, Kloten
Crime Investigation Services
Verwaltungsratspräsident
Präsident
Vizepräsident
Vorstandsmitglied
VBS-Rüstungskommission
Stabschef des Oberauditors
Militärjustiz
Urs Hürlimann, Chef Militärische
Sicherheit, VBS
BEOBACHTER 14/2008
VSSU
Verband Schweizerischer Sicherheitsdienstleistungs-
Unternehmen
Präsident
VBS
18
Custodio, Kloten
Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport
Die 1907 gegründete Bewachungsfirma
Securitas mauserte sich zum internationalen Konzern mit 20 Unternehmen, über
10 000 Mitarbeitern und einem Jahres­
umsatz von rund 800 Millionen Franken.
Als Präsident des Verwaltungsrats leitet
Eigentümer Samuel Spreng das Familienunternehmen in dritter Generation. Starker Mann des Unternehmens ist Generaldirektor Hans Winzenried, sekundiert von
Generalsekretär Reto Casutt. Winzenried
präsidiert neben zahlreichen gruppen­
internen Firmen auch die Securi­trans
(unter anderem Bahnpolizei), die zu 51
respektive 49 Prozent den SBB und der
Securitas gehört. Operativer Chef: Martin
Graf, ehemaliger Securitas-Kadermann.
Als Kommandant der Bahnpolizei diente
der frühere Luzerner Polizeikommandant
Jörg Stocker. Unter nebulösen Begründungen wurde er im Februar abgesetzt,
dient dem SBB-Unternehmen aber weiter­
hin für «Spezialaufgaben». Sein neuer
Job: Er ist Verwaltungsratspräsident der
Crime Investigation Services AG (CIS), die
zur Securitas-Gruppe gehört und in deren
Verwaltungsrat auch Reto Casutt sitzt.
Unter ihrem früheren Namen Sentinelle
SA bot die Kleinfirma in den siebziger und
achtziger Jahren Sicherheitsdienste an,
bis sie Anfang der neunziger Jahre vom
Securitas-Konzern übernommen wurde.
Bis vor wenigen Monaten war die Firma
ein nicht aktiver Aktienmantel. Heute
bietet sie «Überwachungen und Nachforschungen sowie Einholung und Vermittlung von Auskünften und Informationen
jeglicher Art» an.
Mit der Custodio AG, die vor allem auf dem Flughafen Zürich tätig ist, bietet eine weitere Securitas-Firma Dienste an,
die jenen der CIS ähneln: «Ausführung
von Überwachungsaufträgen aller Art und Erbringung von Foto- und ScanningServices». Verwaltungsratspräsident ist
Hans Winzenried. Ein wichtiger Bereich des
Securitas-Netzwerks ist auch das Militär.
Winzenried präsidiert nebenbei die (beratende) Rüstungskommission des VBS von
Bundesrat Samuel Schmid und den Verband der Sicherheitsfirmen der Schweiz
(VSSU). Dort wiederum dient der Chef der
Militärischen Sicherheit, Brigadier Urs
Hürlimann, als Vizepräsident von Winzenried. Casutt wiederum ist in der Militär­
justiz Stabschef des Oberauditors, der die
gesamte Militärjustiz verwaltet und die
Tätigkeit der Richter überwacht.
Fotos: securitas (2), «temps présent»/tsr, jürg müller/keystone, securitrans, vbs
Die Filzteppich-Etage
Schweiz besitzen über zwei Millionen Personen ein Halbtax, wer keines hat, ist in einer Gruppe wie der Attac, die häufig durch
die Schweiz reist, geradezu auffällig.
Securitas und SBB weisen alles von sich
Securitas-Generalsekretär Reto Casutt bestreitet, dass die Bahnpolizei in die Affäre
verwickelt sei: «Die Bahnpolizei spielte kei­
ne Rolle.» Auf die Frage, wie er es sich erkläre, dass die Agentin bei den SBB an der
Wohnadresse des damaligen Westschweizer Bahnpolizei-Chefs registriert war, sagt
Casutt: «Diese Verbindung kann ich mir
nicht erklären.» Dazu mutmasst er: «Vielleicht war es eine Privataktion des damaligen Westschweizer Bahnpolizei-Chefs.»
Auffälliges ereignete sich allerdings
Mitte 2004. Gut einen Monat nachdem
die Securitas-Agentin untergetaucht war,
gab Delessert seinen Posten ab. Er wurde
per 21. Juli 2004 freigestellt. Den Lohn erhielt er allerdings bis Ende Januar 2005.
Gerne hätte der Beobachter dazu Pascal
Delesserts Sichtweise in Erfahrung gebracht. Doch dieser weilt in den Ferien
und war nicht erreichbar.
Bei den SBB will man von diesem
brisanten Zusammenhang nichts wissen.
SBB-Sprecherin Michèle Bamert: «Von
­einer Beteiligung eines aktuellen oder ehemaligen Mitarbeiters der Bahnpolizei an
der Nestlé/Securitas-Affäre ist uns nichts
bekannt. Sollte es tatsächlich eine solche
Beteiligung gegeben haben, wäre dies ohne
Instruktion und ohne Wissen der Vorgesetzten dieser Person erfolgt.»
Bei den infiltrierten Attac-Autoren
hingegen horcht man auf: «Diese Affäre
nimmt ein erschreckendes Ausmass an.
Ganz offensichtlich nutzt die Securitas ihren riesigen Einflussbereich aus – fern jeglicher Aufsicht», sagt Jean-Michel Dolivo,
Anwalt der Attac-Autoren. Er, der für die
Gruppe Anzeige gegen unbekannt eingereicht hat, fordert nun eine lückenlose Aufklärung des Falls rund um die Spionage­
tätigkeit der Securitas.
Tatsächlich muss sich das Familienunternehmen Securitas, bisher Garant für
Seriosität und Zuverlässigkeit, unangenehme Fragen gefallen lassen: SecuritasNachtwächter haben in unzähligen Firmen
Zugang zu Räumlichkeiten und könnten –
theoretisch – im Auftrag von Konkurrenten Informationen sammeln.
Die Securitas arbeitete nicht nur mit
den Spitzen der SBB-Bahnpolizei zusammen, sondern auch mit der Waadtländer
Kantonspolizei. Securitas-Generalsekretär
Reto Casutt bestätigte bereits im Westschweizer Fernsehen freimütig, dass die
Waadtländer Polizei mit Informationen aus
der Observation beliefert worden sei. Damit wird klar, dass die Securitas ihr vorzügliches Netzwerk tatsächlich nutzt.
Die investigativen Tätigkeiten haben
sich längst zu einem lukrativen Geschäftsfeld entwickelt. Ein ehemaliges Kader­
mitglied der Securitas erklärt denn auch,
dass der Konzern «nichts tut, was keinen
Umsatz bringt». Ein anderer Securitas­Kadermann, der jahrelang Zugang zum innersten Zirkel hatte, rechtfertigt das neue
Geschäftsfeld mit der ausländischen Konkurrenz, die solche Dienste längst anbiete
– auch in der Schweiz. Und dieses lukrative Geschäft mit der verdeckten Über­
wachung will sich die Nummer eins im
Schweizer Sicherheitsmarkt nicht ent­
gehen lassen. n
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