34 ausbildung Humboldt-Universität zu Berlin Denken wie ein Forscher 11 12 8 9 1 5 3 6 4 10 7 2 Die Zeiten an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät sind turbulent. Wir berichten über die aktuelle Situation, die Struktur des Studiums und was engagierte Studenten an der Berliner Uni erreichen können. Unis im Porträt Auf dieser Seite beginnt eine neue Artikelreihe, auf die ich Sie gerne aufmerksam machen möchte. Nachdem wir über die Fachhochschulen in Deutschland berichtet haben, werden nun die landwirtschaftlichen Fakultäten der Universitäten unter die Lupe genommen. Spannende geschichtliche Hintergründe und fundierte Informationen über Lehre und Forschung werden aufgearbeitet. Wir zeigen, wo unsere – so dringend gebrauchten – Nachwuchskräfte studieren und mit welchen Kompetenzen sie die Universitäten verlassen. Den Anfang macht die Humboldt-Universität zu Berlin. Da sich die landwirtschaftliche Fakultät im Universitätsverbund Agrosnet – mehr dazu ab Seite 38 – gemeinsam mit Halle und Rostock engagiert, werden diese beiden Universitäten in den nächsten Ausgaben der Neuen Landwirtschaft folgen. Das oben stehende Logo soll Ihnen als Orientierung dienen und helfen, die Artikelserie in jeden Monat auf Anhieb wiederzufinden. Anke Serfling Neue Landwirtschaft 4 | 2009 Anke Serfling, NL-Redakteurin D ie jüngere Geschichte der HumboldtUniversität zu Berlin (HU) ist wohl die spannendste, die eine deutsche Hochschule zu bieten hat. Als größte Hochschule der DDR wurden von 1946 bis 1990 fast 150.000 Studierende ausgebildet. Aus zwei mach eins, hieß es kurz nach der Wende im Jahr 1991. Damals gab es sowohl an der HumboldtUniversität im Osten Berlins, als auch an der Technischen Universität im westlichen Teil der Stadt agrar- und gartenbauwissenschaftliche Institute und Fachgebiete. Über drei Jahre erstreckte sich die Fusion, die menschlich und organisatorisch bewältigt werden musste. „Das waren schwierige, aber auch spannende Zeiten “, erinnert sich Prof. Uwe Schmidt, Studiendekan der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der HU. Veränderungen in der Lehre und Forschung, aber vor allem beim Personal charakterisieren diese Phase. Es gab zum Beispiel zwei Professoren für den Obstbau, zwei für den Gemüsebau und das waren nicht die einzigen Stellen, die doppelt besetzt waren. Von Seiten der Politik gab es zunächst viel Lob. Der Vereinigungsprozess der beiden Berliner Fakultäten wurde als Musterbeispiel hingestellt. Jedoch hielt die Begeisterung nicht lange an. Schon kurze Zeit später mussten die Berliner für ihre Fakultät kämpfen, sich anpassen und die Strukturen ändern. Die Leistungsdaten in der Forschung wurden gesteigert, eine Qualitätsverbesserung des Studiums erreicht und das Verbundsystem Agrosnet gegründet (siehe Seite 38). ◼ Optimistisch in die Zukunft Die Mühen der letzten Jahre haben sich gelohnt. Auf einem Zukunftsworkshop am 11. April 2008 wurde das lang erhoffte beschlossen: Die Agrar- und Gartenbauwissenschaften bleiben an der Humboldt-Universität als geschlossene Einheit erhalten und sollen weiter ihr Profil im Verbund mit den wissenschaftlichen Einrichtungen in und um Berlin schärfen. An den Standorten Berlin-Dahlem und Berlin-Mitte werden 16 Professoren, 3 Juniorprofessoren und 4 Professoren aus kooperierenden Instituten lehren, forschen und praktizieren – gemeinsam mit 1.300 Studierenden. Die Umstellung der Diplomstudiengänge auf Bachelor und Master haben die Berliner schon seit 2001 erfolgreich hinter sich gebracht. Und insbesondere bei den Masterstudiengängen sind die ständigen Anpassungs- und Umstrukturierungsprozesse sichtbar. Bis 2006 gab es noch jeweils einen für Pflanzenbau, Gartenbau und Nutztierwissenschaften. Sie wurden gebündelt, woraus der neue und sehr interessante Studiengang Prozess- und Qualitätsmanagement entstanden ist. Ebenfalls neu und innovativ sind die Master Integrated Natural Ressource Management und Agriculture Economics, die in englischer Sprache absolviert werden. In zwei internationalen Masterstudiengängen wie z. B. Gartenbauwissenschaften kooperieren Universitäten wie München, Wien, Bologna und Budapest. Ein Blick in das komplette Studienangebot der Landwirtschaftlich- Gärtnerischen Fakultät lohnt sich. Sie finden alles übersichtlich zusammengestellt unter: www.agrar.hu-berlin.de/studium.de Die Einrichtungen des Wissenschaftscampus Berlin-Dahlem von oben. Dahlem ist ein Standort der LandwirtschaftlichGärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, gelegen im Bezirk Steglitz-Zehlendorf nicht weit vom Grunewald entfernt. 1 Acker- und Pflanzenbau 2 Agrarmeteorologie 3 Biosystemtechnik 4 Bodenkunde 5 Dauerversuchsflächen 6 Gärtnerische Pflanzsysteme 7 Genetik 8 Forschungsgewächshaus 9 Kollektorgewächshäuser 11 Phytomedizin 12 Urbane Pflanzenökophysiologie Foto: Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät ◼ Zusammenhänge begreifen Nun könnte man meinen, dass es nicht gerade ideal ist, wenn Agrarwissenschaftler und Gartenbauer zusammen die Vorlesungen im Masterstudiengang Prozess- und Qualitätsmanagement hören, aber Prof. Schmidt sieht die Dinge positiv. „Natürlich schimpfen am Anfang die einen wenn es um die Qualitätssicherung der Milch geht und die anderen, wenn sie sich mit den Prozessen der Tomatenproduktion auseinander setzen müssen. Aber es dauert nicht lange und die Studierenden haben verstanden, dass es um den Prozess an sich geht. Forschen lernen“, so nennt es Prof. Schmidt. Es sei gar nicht entscheidend, immer alles zu wissen und bis in letzte Detail zu begreifen. Viel wichtiger sei es, in Zusammenhängen zu denken, ja, zu denken wie ein Forscher. Methodenkompetenzen zu erwerben, um schwierige Sachverhalte klären zu können und vor allem Ergebnisse zu erhalten. ◼ Wer engagiert ist, erreicht auch was Anne Große Rüschkamp ist 24 Jahre und hat sich auf die Qualitätssicherung beim Getreide spezialisiert. Sie ist im zweiten Semester des Masterstudienganges und betont, „dass lediglich im ersten Semester die Vorlesungen zusammen mit den Gartenbauern stattfinden. Danach kann sich jeder spezialisieren. Die junge Studentin ist engagiert und hat bereits im Bundesinstitut für Risikobewertung praktiziert. Am Fachgebiet für Agrartechnik hat Anne Große Rüschkamp neben dem Studium eine Stelle als studentische Hilfskraft und forscht zusammen mit Markus Huth aus dem 6. Semester des Bachelorstudienganges Agrarwis- # #1 #$'"!' " # #( & ' '#+(%1!(+ !(&$" Neue Landwirtschaft 4 | 2009 36 ausbildung 1 2 1 Hilke Risius beeindruckte mit ihrem Vortrag über die qualitätsdifferenzierte Getreideernte sowohl die Teilnehmer als auch die Juroren des internationalen Agrartechnik-Kongresses 2008 in Herssonissos / Kreta. 2 Erschöpft aber glücklich. (v. l.) Hilke Risius, Markus Huth und Anne Große Rüschkamp nach der Getreideernte auf dem Versuchsfeld in Golzow. Am Institut für Agrartechnik forschen sie gemeinsam an der selektiven Foto: Tölle, Risius Getreideernte. senschaft und Hilke Risius (Doktorandin) zum Thema „Selektive Getreideernte“. Ziel ist die Trennung des Erntegutstroms nach definierten Qualitätsparametern während des Mähdruschs. Dabei wird Getreide direkt beim Ernten in zwei Qualitäten getrennt. Die Online-Bestimmung von qualitätsbestimmenden Inhaltsstoffen, wie Rohprotein- und Stärkegehalt von Lebensmittel-, Futter- und Energiegetreide soll mittels der Verfahren der Nah-Infrarot-Spektroskopie erfolgen (NL 11/08). Die Projektförderung erfolgt aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) im Rahmen des Programms zur Innovationsförderung. Hilke Risius begleitet das Thema „Selektive Getreideernte“ schon eine ganze Weile. Zum ersten Mal sei es ihr in einer Hausarbeit im Bachelorstudium im Fach Agrartechnik begegnet. Ihr Interesse war geweckt. Neue Landwirtschaft 4 | 2009 Betreut und unterstützt von Prof. Dr. Jürgen Hahn hat sie sich immer weiter in die Materie eingearbeitet. „Wer sich hier engagiert und sich für eine Sache begeistert, der findet Förderer und Ansprechpartner.“ Und das sei nicht nur im Fachgebiet der Landtechnik so. Der persönliche Kontakt zu den Professoren sei trotz der hohen Studentenzahl möglich und wirke extrem motivierend. Mittlerweile schreibt sie ihre Doktorarbeit zu genau diesem Thema, was sie seit dem 4. Semester ihres Studiums interessiert und nicht mehr losgelassen hat. Mit ihrem Projekt hat Hilke Risius auch in der Öffentlichkeit Aufsehen erregt. Im Jahr 2008 hat sie für ihre Masterarbeit „Verfahrenstechnische Grundlagen der selektiven Getreideernte“ den Wilhelm-Rimpau-Preis der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft erhalten. Zusammen mit ihren Koautoren Hahn (HU Berlin) und Korte (Claas) erhielt sie im Juni 2008 den renommierten Innovationspreis der Europäischen Agrartechnik-Organisation EurAgEng. Neben der Wissenschaft ist auch die Praxis an ihren Ergebnissen interessiert. Die Firma Claas, Abteilung Vorentwicklung Mähdrusch unter der Leitung von Dr. Hubert Korte, ist Projektpartner im laufenden Forschungsprojekt. Dass die drei Forscher nicht nur am Schreibtisch sitzen, sondern auch richtig zupacken können, beweisen sie jeden Sommer, wenn es raus zu den Versuchsbetrieben nach Brandenburg und Thüringen geht. Das sei die schönste Zeit im Jahr, betont Hilke Risius und strahlt. ◼ Promovieren in drei Jahren Besonders gefördert werden auch diejenigen, die am Promotionskolleg „Agrarökonomik“ teilnehmen. Das Doktorandenstudium ist auf sechs Semester angesetzt und schließt sich als dritte Stufe eines konsekutiven Ausbildungssystems an agrar-, ernährungs- und umweltbezogene Bachelor- und Masterstudiengänge an. Die Auswahl der Lehrveranstaltungen erfolgt individuell in Absprache mit dem Betreuer der Dissertation. Im ersten Semster können die drei Module Theorie, Empirie und Soft skills belegt werden. Da das Promotionskolleg in Kooperation mit den Universitäten in Kiel, Halle, Göttingen und mehreren externen Forschungsinstituten angeboten wird, finden auch die Lehrveranstaltungen an verschiedenen Standorten statt. Ziel ist es, die Qualität der Ausbildung und die Effizienz bei der Bearbeitung von Dissertationen zu erhöhen und so die Arbeit in den vorgesehenen drei Jahren auch abzuschließen. Die Teilnahme ist freiwillig und stellt keine Voraussetzung für die Promotion dar. Die Zulassung erfolgt durch die Annahme als Doktorand an einer der beteiligten Fakultäten. ◼ Eine Stadt, die alles hat Es geht natürlich nicht nur darum, was man studiert, sondern auch wo. Schließlich sind die Studienjahre die schönsten Jahre und neben dem Lernen, Forschen und Hausarbeiten Schreiben spielt das Freizeitangebot und die Atmosphäre der Stadt eine große Rolle. Prominenter Absolvent Dr. Dietmar Woidke Minister für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg Der in der Lausitz geborene Dietmar Woidke studierte von 1982 bis 1987 an der der Humboldt-Universität zu Berlin, Sektion Tierproduktion / Veterinärmedizin. Nach bestandener Hochschulausbildung zum Diplomagraringenieur war er bis 1990 als wissenschaftlicher Assistent am Institut für Ernährungsphysiologie tätig, wo er auch promovierte. Für seine wissenschaftlichen Untersuchungen hielt Woidke mitten in Berlin drei Schafe, im zweiten Hinterhof eines Hauses in der Invalidenstraße, wo er für sie extra eine kleine Rasenfläche anlegte. Zwar gab es einige Beschwerden aus der Nachbarschaft, einem Schwesternwohnheim der Charite, doch durften die Schafe schließlich mit behördlicher Genehmigung weiter auf der Berliner Hinterhofweide leben. Ein beliebter Studententreff war in dieser Zeit das „Oranien-Quell“ in der Oranienburger Straße, direkt gegenüber der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland. Im „Oranien-Quell“ traf Dr. Woidke erstmals den damaligen Leiter der Ständigen Vertretung, Hans Otto Bräutigam. Nach der Wende kreuzten sich ihre Wege in Brandenburg. Bräutigam wurde Minister für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten und Woidke zunächst Abgeordneter des Brandenburger Landtages. Seit Oktober 2004 ist Woidke Minister für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz in Brandenburg. ausbildung Für die drei Forscher Anne Große Rüschkamp, Markus Huth und Hilke Risius hat Berlin ganz klare Vorteile: „Das Umland ist landwirtschaftlich geprägt, sodass man ganz schnell draußen – nah dran an der Praxis ist. Zudem sind wir quasi Nachbarn von Osteuropa. Es gab schon einige Absolventen, die die Nähe genutzt haben und heute einen Betrieb in der Ukraine oder Polen leiten.“ Auch die pflanzenbaulichen Versuchsbetriebe in Brandenburg sind nicht weit entfernt und für die Drei jederzeit ohne großen Aufwand zu erreichen. Auf der anderen Seite arbeiten sie während der theoretischen Phase am Fachgebiet für Agrartechnik mitten in Berlin. Die Museumsinsel und das Regierungsviertel sind zu Fuß erreichbar. Das Angebot an Kunst und Kultur ist wahrscheinlich einzigartig in Deutschland. Was will man mehr? Den drei Wahlberlinern gefällt‘s. Aber Berlin ist nicht jedermanns Sache. Für viele ist es zu groß, zu laut oder zu verrückt. Man muss es eben mögen und ob das so ist, muss jeder für sich ganz persönlich herausfinden. Fazit: Die Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät an der Humboldt-Universität zu Berlin hat es in den letzten Jahren nicht gerade leicht gehabt. Ständig galt es sich anzupassen, sich umzustrukturieren und für den Bestand der Fakultät zu kämpfen. Aber die Berliner haben es geschafft. Die Fakultät bleibt erhalten. Das Studienangebot wurde überarbeitet und im Verbund Agrosnet organisiert. Mehrere Kooperationen mit externen Instituten, Versuchs- und Forschungseinrichtungen und auch anderen Universitäten gewährleisten eine optimale Kombination von Theorie und Praxis. Einen klassischen Masterstudiengang Agrarwissenschaften gibt es in Berlin nicht. Das Angebot ist speziell, international und für diejenigen geeignet, die genau wissen, wo ihre Interessen liegen und was sie studieren wollen. Egal für welchen Studiengang man sich entscheidet. Wer sich während des Studiums engagiert, Interesse zeigt und seine Neigungen mit den Professoren bespricht, wird von Beginn an gefördert – trotz der 1.500 Studierenden an der Fakultät. Es kommt auf einen selbst an und auf das was man erreichen will. (se) NL Studienberatung: Invalidenstr. 42 10115 Berlin Udo Kummerow Tel.: 030-2093-8844 www.agrar.hu-berlin.de 37 )22 ,# 2& ,(!+ -' # '#+"'+$# #+ #,' -' ,'1 %'#+(& + #/' +.' +'$.'+!,# ,# ,+$"+(# # (0(+"#& ' '#+(%1!(+ !(&$" Neue Landwirtschaft 4 | 2009
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