Denken wie ein Forscher

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Humboldt-Universität zu Berlin
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Die Zeiten an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen
Fakultät sind turbulent. Wir berichten über die aktuelle
Situation, die Struktur des Studiums und was engagierte
Studenten an der Berliner Uni erreichen können.
Unis im Porträt
Auf dieser Seite
beginnt eine neue
Artikelreihe, auf die
ich Sie gerne aufmerksam machen
möchte. Nachdem
wir über die Fachhochschulen in
Deutschland berichtet haben, werden nun die landwirtschaftlichen
Fakultäten der Universitäten unter die Lupe
genommen. Spannende geschichtliche
Hintergründe und fundierte Informationen über Lehre und Forschung werden
aufgearbeitet. Wir zeigen, wo unsere – so
dringend gebrauchten – Nachwuchskräfte
studieren und mit welchen Kompetenzen
sie die Universitäten verlassen.
Den Anfang macht die Humboldt-Universität zu Berlin. Da sich die landwirtschaftliche
Fakultät im Universitätsverbund Agrosnet
– mehr dazu ab Seite 38 – gemeinsam mit
Halle und Rostock engagiert, werden diese
beiden Universitäten in den nächsten Ausgaben der Neuen Landwirtschaft folgen.
Das oben stehende Logo soll Ihnen als
Orientierung dienen und helfen, die Artikelserie in jeden Monat auf Anhieb wiederzufinden.
Anke Serfling
Neue Landwirtschaft 4 | 2009
Anke Serfling, NL-Redakteurin
D
ie jüngere Geschichte der HumboldtUniversität zu Berlin (HU) ist wohl die
spannen­dste, die eine deutsche Hochschule zu bieten hat. Als größte Hochschule der
DDR wurden von 1946 bis 1990 fast 150.000
Studierende ausgebildet. Aus zwei mach eins,
hieß es kurz nach der Wende im Jahr 1991.
Damals gab es sowohl an der HumboldtUniversität im Osten Berlins, als auch an der
Technischen Universität im westlichen Teil der
Stadt agrar- und gartenbauwissenschaftliche
Institute und Fachgebiete. Über drei Jahre
erstreckte sich die Fusion, die menschlich und
organisatorisch bewältigt werden musste.
„Das waren schwierige, aber auch spannende
Zeiten “, erinnert sich Prof. Uwe Schmidt, Studiendekan der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen
Fakultät der HU. Veränderungen in der Lehre
und Forschung, aber vor allem beim Personal
charakterisieren diese Phase. Es gab zum Beispiel
zwei Professoren für den Obstbau, zwei für den
Gemüsebau und das waren nicht die einzigen
Stellen, die doppelt besetzt waren.
Von Seiten der Politik gab es zunächst viel Lob.
Der Vereinigungsprozess der beiden Berliner
Fakultäten wurde als Musterbeispiel hingestellt.
Jedoch hielt die Begeisterung nicht lange an.
Schon kurze Zeit später mussten die Berliner
für ihre Fakultät kämpfen, sich anpassen und
die Strukturen ändern. Die Leistungsdaten
in der Forschung wurden gesteigert, eine
Qualitätsverbesserung des Studiums erreicht
und das Verbundsystem Agrosnet gegründet
(siehe Seite 38).
◼ Optimistisch in die Zukunft
Die Mühen der letzten Jahre haben sich
gelohnt. Auf einem Zukunftsworkshop am
11. April 2008 wurde das lang erhoffte beschlossen: Die Agrar- und Gartenbauwissenschaften bleiben an der Humboldt-Universität
als geschlossene Einheit erhalten und sollen
weiter ihr Profil im Verbund mit den wissenschaftlichen Einrichtungen in und um Berlin
schärfen. An den Standorten Berlin-Dahlem
und Berlin-Mitte werden 16 Professoren,
3 Juniorprofessoren und 4 Professoren aus
kooperierenden Instituten lehren, forschen
und praktizieren – gemeinsam mit 1.300 Studierenden.
Die Umstellung der Diplomstudiengänge auf
Bachelor und Master haben die Berliner schon
seit 2001 erfolgreich hinter sich gebracht.
Und insbesondere bei den Masterstudiengängen sind die ständigen Anpassungs- und
Umstrukturierungsprozesse sichtbar. Bis 2006
gab es noch jeweils einen für Pflanzenbau,
Gartenbau und Nutztierwissenschaften. Sie
wurden gebündelt, woraus der neue und
sehr interessante Studiengang Prozess- und
Qualitätsmanagement entstanden ist.
Ebenfalls neu und innovativ sind die Master
Integrated Natural Ressource Management und
Agriculture Economics, die in englischer Sprache absolviert werden. In zwei internationalen
Masterstudiengängen wie z. B. Gartenbauwissenschaften kooperieren Universitäten wie München,
Wien, Bologna und Budapest. Ein Blick in das
komplette Studienangebot der Landwirtschaftlich- Gärtnerischen Fakultät lohnt sich. Sie finden
alles übersichtlich zusammengestellt unter:
www.agrar.hu-berlin.de/studium.de
Die Einrichtungen des Wissenschaftscampus
Berlin-Dahlem von oben.
Dahlem ist ein Standort der LandwirtschaftlichGärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität
zu Berlin, gelegen im Bezirk Steglitz-Zehlendorf
nicht weit vom Grunewald entfernt.
1 Acker- und Pflanzenbau
2 Agrarmeteorologie
3 Biosystemtechnik
4 Bodenkunde
5 Dauerversuchsflächen
6 Gärtnerische Pflanzsysteme
7 Genetik
8 Forschungsgewächshaus
9 Kollektorgewächshäuser
11 Phytomedizin
12 Urbane Pflanzenökophysiologie
Foto: Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät
◼ Zusammenhänge begreifen
Nun könnte man meinen, dass es nicht gerade ideal ist, wenn Agrarwissenschaftler und
Gartenbauer zusammen die Vorlesungen im
Masterstudiengang Prozess- und Qualitätsmanagement hören, aber Prof. Schmidt sieht die
Dinge positiv. „Natürlich schimpfen am Anfang
die einen wenn es um die Qualitätssicherung
der Milch geht und die anderen, wenn sie sich
mit den Prozessen der Tomatenproduktion
auseinander setzen müssen. Aber es dauert
nicht lange und die Studierenden haben verstanden, dass es um den Prozess an sich geht.
Forschen lernen“, so nennt es Prof. Schmidt.
Es sei gar nicht entscheidend, immer alles zu
wissen und bis in letzte Detail zu begreifen.
Viel wichtiger sei es, in Zusammenhängen
zu denken, ja, zu denken wie ein Forscher.
Methodenkompetenzen zu erwerben, um
schwierige Sachverhalte klären zu können
und vor allem Ergebnisse zu erhalten.
◼ Wer engagiert ist, erreicht auch was
Anne Große Rüschkamp ist 24 Jahre und hat
sich auf die Qualitätssicherung beim Getreide
spezialisiert. Sie ist im zweiten Semester des
Masterstudienganges und betont, „dass lediglich im ersten Semester die Vorlesungen
zusammen mit den Gartenbauern stattfinden.
Danach kann sich jeder spezialisieren. Die junge Studentin ist engagiert und hat bereits im
Bundesinstitut für Risikobewertung praktiziert.
Am Fachgebiet für Agrartechnik hat Anne
Große Rüschkamp neben dem Studium eine
Stelle als studentische Hilfskraft und forscht
zusammen mit Markus Huth aus dem 6. Semester des Bachelorstudienganges Agrarwis-
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1 Hilke Risius beeindruckte mit ihrem Vortrag
über die qualitätsdifferenzierte Getreideernte
sowohl die Teilnehmer als auch die Juroren
des internationalen Agrartechnik-Kongresses
2008 in Herssonissos / Kreta.
2 Erschöpft aber glücklich. (v. l.) Hilke Risius,
Markus Huth und Anne Große Rüschkamp
nach der Getreideernte auf dem Versuchsfeld
in Golzow. Am Institut für Agrartechnik
forschen sie gemeinsam an der selektiven
Foto: Tölle, Risius
Getreideernte. senschaft und Hilke Risius (Doktorandin) zum
Thema „Selektive Getreideernte“. Ziel ist die
Trennung des Erntegutstroms nach definierten
Qualitätsparametern während des Mähdruschs.
Dabei wird Getreide direkt beim Ernten in zwei
Qualitäten getrennt. Die Online-Bestimmung
von qualitätsbestimmenden Inhaltsstoffen, wie
Rohprotein- und Stärkegehalt von Lebensmittel-, Futter- und Energiegetreide soll mittels
der Verfahren der Nah-Infrarot-Spektroskopie
erfolgen (NL 11/08).
Die Projektförderung erfolgt aus Mitteln des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) über
die Bundesanstalt für Landwirtschaft und
Ernährung (BLE) im Rahmen des Programms
zur Innovationsförderung.
Hilke Risius begleitet das Thema „Selektive
Getreideernte“ schon eine ganze Weile. Zum
ersten Mal sei es ihr in einer Hausarbeit im
Bachelorstudium im Fach Agrartechnik begegnet. Ihr Interesse war geweckt.
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Betreut und unterstützt von Prof. Dr. Jürgen
Hahn hat sie sich immer weiter in die Materie
eingearbeitet. „Wer sich hier engagiert und
sich für eine Sache begeistert, der findet
Förderer und Ansprechpartner.“ Und das sei
nicht nur im Fachgebiet der Landtechnik so.
Der persönliche Kontakt zu den Professoren
sei trotz der hohen Studentenzahl möglich
und wirke extrem motivierend. Mittlerweile schreibt sie ihre Doktorarbeit zu genau
diesem Thema, was sie seit dem 4. Semester
ihres Studiums interessiert und nicht mehr
losgelassen hat.
Mit ihrem Projekt hat Hilke Risius auch in
der Öffentlichkeit Aufsehen erregt. Im Jahr
2008 hat sie für ihre Masterarbeit „Verfahrenstechnische Grundlagen der selektiven
Getreideernte“ den Wilhelm-Rimpau-Preis
der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft
erhalten. Zusammen mit ihren Koautoren Hahn
(HU Berlin) und Korte (Claas) erhielt sie im Juni
2008 den renommierten Innovationspreis
der Europäischen Agrartechnik-Organisation
EurAgEng. Neben der Wissenschaft ist auch
die Praxis an ihren Ergebnissen interessiert.
Die Firma Claas, Abteilung Vorentwicklung
Mähdrusch unter der Leitung von Dr. Hubert Korte, ist Projektpartner im laufenden
Forschungsprojekt.
Dass die drei Forscher nicht nur am Schreibtisch
sitzen, sondern auch richtig zupacken können,
beweisen sie jeden Sommer, wenn es raus zu
den Versuchsbetrieben nach Brandenburg und
Thüringen geht. Das sei die schönste Zeit im
Jahr, betont Hilke Risius und strahlt.
◼ Promovieren in drei Jahren
Besonders gefördert werden auch diejenigen,
die am Promotionskolleg „Agrarökonomik“
teilnehmen. Das Doktorandenstudium ist
auf sechs Semester angesetzt und schließt
sich als dritte Stufe eines konsekutiven Ausbildungssystems an agrar-, ernährungs- und
umweltbezogene Bachelor- und Masterstudiengänge an.
Die Auswahl der Lehrveranstaltungen erfolgt
individuell in Absprache mit dem Betreuer der
Dissertation. Im ersten Semster können die
drei Module Theorie, Empirie und Soft skills
belegt werden. Da das Promotionskolleg in
Kooperation mit den Universitäten in Kiel,
Halle, Göttingen und mehreren externen Forschungsinstituten angeboten wird, finden auch
die Lehrveranstaltungen an verschiedenen
Standorten statt. Ziel ist es, die Qualität der
Ausbildung und die Effizienz bei der Bearbeitung von Dissertationen zu erhöhen und so
die Arbeit in den vorgesehenen drei Jahren
auch abzuschließen.
Die Teilnahme ist freiwillig und stellt keine
Voraussetzung für die Promotion dar. Die Zulassung erfolgt durch die Annahme als Doktorand
an einer der beteiligten Fakultäten.
◼ Eine Stadt, die alles hat
Es geht natürlich nicht nur darum, was man
studiert, sondern auch wo. Schließlich sind die
Studienjahre die schönsten Jahre und neben
dem Lernen, Forschen und Hausarbeiten
Schreiben spielt das Freizeitangebot und die
Atmosphäre der Stadt eine große Rolle.
Prominenter Absolvent
Dr. Dietmar Woidke
Minister für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz
des Landes Brandenburg
Der in der Lausitz geborene Dietmar Woidke studierte von 1982
bis 1987 an der der Humboldt-Universität zu Berlin, Sektion
Tierproduktion / Veterinärmedizin. Nach bestandener Hochschulausbildung zum Diplomagraringenieur war er bis 1990 als
wissenschaftlicher Assistent am Institut für Ernährungsphysiologie
tätig, wo er auch promovierte.
Für seine wissenschaftlichen Untersuchungen hielt Woidke mitten
in Berlin drei Schafe, im zweiten Hinterhof eines Hauses in der
Invalidenstraße, wo er für sie extra eine kleine Rasenfläche anlegte. Zwar gab es einige Beschwerden aus der Nachbarschaft, einem Schwesternwohnheim der Charite, doch durften die Schafe
schließlich mit behördlicher Genehmigung weiter auf der Berliner Hinterhofweide leben.
Ein beliebter Studententreff war in dieser Zeit das „Oranien-Quell“ in der Oranienburger Straße,
direkt gegenüber der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland.
Im „Oranien-Quell“ traf Dr. Woidke erstmals den damaligen Leiter der Ständigen Vertretung, Hans
Otto Bräutigam. Nach der Wende kreuzten sich ihre Wege in Brandenburg. Bräutigam wurde
Minister für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten und Woidke zunächst Abgeordneter
des Brandenburger Landtages. Seit Oktober 2004 ist Woidke Minister für Ländliche Entwicklung,
Umwelt und Verbraucherschutz in Brandenburg.
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Für die drei Forscher Anne Große Rüschkamp,
Markus Huth und Hilke Risius hat Berlin ganz
klare Vorteile: „Das Umland ist landwirtschaftlich geprägt, sodass man ganz schnell draußen
– nah dran an der Praxis ist. Zudem sind wir
quasi Nachbarn von Osteuropa. Es gab schon
einige Absolventen, die die Nähe genutzt
haben und heute einen Betrieb in der Ukraine
oder Polen leiten.“ Auch die pflanzenbaulichen
Versuchsbetriebe in Brandenburg sind nicht
weit entfernt und für die Drei jederzeit ohne
großen Aufwand zu erreichen.
Auf der anderen Seite arbeiten sie während
der theoretischen Phase am Fachgebiet für
Agrartechnik mitten in Berlin. Die Museumsinsel und das Regierungsviertel sind zu Fuß
erreichbar. Das Angebot an Kunst und Kultur
ist wahrscheinlich einzigartig in Deutschland.
Was will man mehr? Den drei Wahlberlinern
gefällt‘s. Aber Berlin ist nicht jedermanns
Sache. Für viele ist es zu groß, zu laut oder zu
verrückt. Man muss es eben mögen und ob
das so ist, muss jeder für sich ganz persönlich
herausfinden.
Fazit: Die Landwirtschaftlich-Gärtnerische
Fakultät an der Humboldt-Universität zu
Berlin hat es in den letzten Jahren nicht
gerade leicht gehabt. Ständig galt es sich
anzupassen, sich umzustrukturieren und für
den Bestand der Fakultät zu kämpfen. Aber
die Berliner haben es geschafft. Die Fakultät
bleibt erhalten. Das Studienangebot wurde
überarbeitet und im Verbund Agrosnet
organisiert. Mehrere Kooperationen mit
externen Instituten, Versuchs- und Forschungseinrichtungen und auch anderen
Universitäten gewährleisten eine optimale
Kombination von Theorie und Praxis.
Einen klassischen Masterstudiengang Agrarwissenschaften gibt es in Berlin nicht. Das
Angebot ist speziell, international und für
diejenigen geeignet, die genau wissen, wo
ihre Interessen liegen und was sie studieren
wollen.
Egal für welchen Studiengang man sich
entscheidet. Wer sich während des Studiums engagiert, Interesse zeigt und seine
Neigungen mit den Professoren bespricht,
wird von Beginn an gefördert – trotz der
1.500 Studierenden an der Fakultät. Es
kommt auf einen selbst an und auf das was
man erreichen will. (se) NL
Studienberatung:
Invalidenstr. 42
10115 Berlin
Udo Kummerow
Tel.: 030-2093-8844
www.agrar.hu-berlin.de
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Neue Landwirtschaft 4 | 2009