Ex-Gotteshäuser | Wie lassen sich Kirchen sinn- und - Nextroom

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Wochenschau
Bauwelt 32--33 | 2009
Auch Rudolf Schwarz’ Heilig-Kreuz-Kirche in
Bottrop (1955–57) mit der Glaswand von
Georg Meistermann wartet auf neue Nutzer.
Foto: LWL-Amt für Denkmalpflege in Westfalen
DENKMALPFLEGE
Ex-Gotteshäuser | Wie lassen sich Kirchen
sinn- und würdevoll nachnutzen?
Brigitte Schultz
Fernab von Erfolgsmeldungen wie der Rettung der
Marienkirche in Bochum (Heft 24) ist der Umgang
mit Gotteshäusern, die nicht mehr gebraucht werden,
immer noch ein genauso drängendes wie ungelöstes
Problem. Besonders deutlich ist dies im Bistum Essen zu beobachten, das 2006 mit der Entscheidung,
96 Kirchen aus dem klerikalen Betrieb zu nehmen,
große Aufmerksamkeit erregte (die Bauwelt berichtete ausführlich in Heft 5.06).
Eine Nachnutzung durch andere Glaubensgemeinschaften schließt die Kirche aus
Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz
lenkte kürzlich mit einer organisierten Fahrt durch
Westfalen noch einmal den Fokus auf das Ausmaß der
Misere. Nicht nur haben die Kirchen einen enormen
Mitgliederschwund zu verzeichnen, auch die verbleibenden Christen verbringen ihren Sonntagmorgen
inzwischen zum Großteil lieber anderweitig als im
Gottesdienst. Gerade in Westfalen, wo in den Boomzeiten des Bergbaus nach dem Zweiten Weltkrieg
buchstäblich eine Kirche neben der anderen gebaut
wurde, fehlt inzwischen die Gemeinde, und Nachwuchs ist nicht zu erwarten.
Wie aber behandelt man die ehemaligen Kirchen? Streng genommen sind sie nach der Profanisierung ganz „normale“ Gebäude, um neutrale Architektur handelt es sich deshalb trotzdem nicht. Die
Suche nach einer neuen Nutzung gestaltet sich dementsprechend prekär: Eine dem Ambiente des Ortes
angemessene spirituelle Nutzung durch andere Glaubensgemeinschaften schließt die Kirche aus, eine
auf dem Charme des Widerspruchs basierende profane Nutzung – ob als Restaurant oder Disco – wird
zwar mancherorts toleriert, bereitet Gläubigen aber
auch eher Bauchschmerzen. So ist die Diskussion
drei Jahre nach der Entscheidung des Bistums immer noch von Ratlosigkeit geprägt. „Wir stehen vor
dieser Situation wie vor der Eiger-Nordwand. Ich
weiß auch keine Lösung, Ich weiß nur, dass uns dieses Thema nicht mehr loslassen wird“, sagt Herbert
Fendrich, Kulturbeauftragter des Bistums Essen.
Also wird von Fall zu Fall entschieden. Selten findet
sich eine so ideale Umnutzung wie für die ehemalige
katholische Pfarrkirche St. Bonifatius in Münster. In
den denkmalgeschützten Kirchenbau von Eberhard
Michael Kleffner und Christa Kleffner-Dirxen bauten
die Architekten agn aus Ibbenbüren Büroräume für
den bistumseigenen Dialogverlag ein. Im Hauptraum
stehen nun drei Büroebenen, die Apsis wird für Konzerte und Veranstaltungen genutzt – eine sowohl
architektonisch als auch inhaltlich einwandfreie Lösung. Doch selbst bei einem so gelungenen Beispiel
scheint das Konfliktpotential des Themas durch. Obwohl bei St. Bonifatius niemand ernsthaft an eine
„Auferstehung“ als Kirche glaubt, wurde alles als Provisorium angelegt: das Gebäude auf Zeit vermietet,
die Konstruktion statisch nur eingestellt, die Fenster
und Glocken sicher eingelagert.
Mit noch weniger Veränderung wurde die ehemalige katholische Kirche St. Konrad in Marl vor
dem Verfall gerettet. Nach der Umwidmung zur Begräbnissstätte bietet sie jetzt Platz für 300 Urnengräber und wird – wenn auch dies kirchenrechtlich
umstritten ist – für Andachten und Trauerfeiern zeitweise fast wie zuvor genutzt. Diese Nutzung als Kolumbarium wird zwar von der Katholischen Kirche
nicht gern gesehen (Feuerbestattungen sind für Christen erst seit 1964 überhaupt erlaubt), ist aber bei
den Gemeinden sehr beliebt. So makaber es klingt:
Hier wird ein steigender Bedarf gedeckt, und die Nutzer bleiben dieselben.
Eine gute Kirche ist nun mal für die Ewigkeit gemacht
Eine solch „sanfte“ Umwidmung würde man sich
auch für die Heilig-Kreuz-Kirche in Bottrop von Rudolf Schwarz wünschen, ein Meisterwerk, das gerade wegen seiner herausragenden Architektur nur
schwer umnutzbar ist. Ein so großer Raum für Kultur oder Ähnliches wird derzeit in der Gegend nicht
gebraucht, und so schlummert die Kirche, immer
noch geweiht, vor sich hin. Ein Gartendienst hält den
Vorplatz in Ordnung, um Vandalen abzuschrecken,
während auf der Wetterseite im Inneren das Salz
durch die Ziegelwände dringt. Eine neue Nutzung
wird dringend benötigt, um größeren Schaden an
dem Denkmal zu verhindern. Dass eine Umnutzung
allerdings nicht zwangsläufig das Ende aller Probleme darstellt, zeigt der Namensvetter der Kirche
in Gelsenkirchen. Für eine Ausstellung in der ehemaligen katholischen Pfarrkirche wurde das Kirchenschiff auf drei Meter Höhe mit einer Textildecke abgehängt, der Raumeindruck – wenn auch reparabel –
dadurch komplett zerstört.
Das Dilemma ist verzwickt – Kirchen sind von
der Anlage her einfach keine multifunktionalen
Räume, und eine gute Kirche ist nun mal für die Ewigkeit gemacht. Wie man selbst eine Nachfrage nach
einem feierlichen Raum schaffen kann, zeigt eine
aktuelle Machbarkeitsstudie für die evangelische
Kirche Lindenhorst. Sie empfiehlt die Nutzung als Versammlungsraum des Altenheims Dortmund-Lindenhorst – das für diesen Zweck erst noch gebaut werden müsste.
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Bauwelt 32--33 | 2009
AUSSTELLUNG
Modellhaft | Bauen-im-Bestand-Projekte
von Jabornegg & Pálffy
„Reduce to the max“, titelte die Smart-Kampagne
1997. Der damalige Claim des Kleinwagens könnte
auch als Motto für die aktuelle Ausstellung der
Bauen-im-Bestand-Spezialisten Jabornegg & Pálffy
im Architekturmuseum der TU München durchgehen:
Viel mehr als rund 30 Holzmodelle, ergänzt durch
knappe Projektbeschreibungen in grauen Klebebuchstaben auf der weißen Wand, gibt es auf den ersten
Blick nicht zu sehen. Doch die haben es in sich: Die
Modelle, überwiegend im Maßstab 1:100, sind bis
zu 2 x 2 Meter groß und perfekt gearbeitet – der Sockel in MDF, der Bestand in Lindenholz, der bauliche
Eingriff in Aluminium und Acrylglas und das Ganze
je nach Projekt bis zu drei Mal in unterschiedlichen
„Freilegungsgraden“.
Mit dieser dreidimensionalen Darstellung veranschaulichen die Wiener Architekten die Bauphasen
der Projekte und ihre verschiedenen Entwurfsmethoden. Das sind für Jabornegg & Pálffy drei grundsätzliche Strategien: Sie greifen in die historische Bausubstanz ein; sie ergänzen neue Bauteile; oder aber
sie tangieren den Bestand überhaupt nicht, wie bei
einigen ihrer frühen Arbeiten, mit denen sie bekannt
wurden. Der Umbau einer ehemaligen Hutfabrik in
Ausstellungsräume für die Wiener Generali Founda-
AUSSTELLUNG
Vom Pavillon zum Papillon | Wissenswertes
über temporäre Kleinarchitekturen im DAM
Vor der Londoner Serpentine Gallery steht seit Mitte
Juli wieder ein Pavillon (Heft 29) – wie in jedem
Sommer. Auch das Deutsche Architekturmuseum in
Frankfurt am Main wollte sich anlässlich seines
25. Jubiläums in diesem Jahr eigentlich mit einem
temporären Bauwerk feiern. Wie das Londoner Vorbild sollte der Pavillon nicht nur Raum für ein Café
und Veranstaltungen bieten, sondern auch die Ansprüche an ein Stück experimenteller Architektur erfüllen. Der Entwurf von Barkow Leibinger Architekten, Berlin, und dem Ingenieurbüro Werner Sobek,
Stuttgart, sah ein ringförmiges, mit Makrolon-Schindeln verkleidetes Gebilde aus Stahlrohr-Bögen vor,
das man im Park des benachbarten Museums für Angewandte Kunst aufzubauen gedachte.
Die Realisierung ist, kurz bevor im vergangenen
Oktober der Bauantrag eingereicht werden konnte,
der Finanzkrise zum Opfer gefallen. Einer der Hauptsponsoren sprang ab, das ganze Vorhaben wurde
unkalkulierbar. Aber völlig sang- und klanglos wollte
man die Arbeit von gut zwei Jahren nicht in der Versenkung verschwinden lassen: Anstelle des Pavillons
vor dem Museum kann man im Museum nun die Doppelschau „Der Pavillon – Lust und Polemik in der Architektur“ besuchen. Im ersten Teil der Ausstellung
tion (1992–95) etwa tritt nach außen ebenso wenig in
Erscheinung wie der Umbau des Südflügels im Kasseler Hauptbahnhof für die documenta X (1995–97);
das Museum Judenplatz in Wien (1995–2000) verschwindet nahezu vollständig unter der Erde, und
von der Waygood Gallery in Newcastle upon Tyne
wird, wenn sie fertig ist, von außen nur der Dachgeschossaufbau zu sehen sein. Nicht verbergen wollten und konnten Jabornegg & Pálffy hingegen die Erweiterung des Schlosshotels Velden am Wörthersee
(2004–07), dessen (Neo-)Renaissance-Altbau die Architekten mit einem Vielfachen der ursprünglichen
Substanz „rahmten“.
Bei allen Unterschieden ist den Arbeiten neben
der bevorzugten Verwendung von Sichtbeton, gebürstetem Edelstahl und satiniertem Glas eine strenge
Trennung und Bündelung der unterschiedlichen Funktionsbereiche und ihre „logische Neuordnung“ gemeinsam. So viel lässt sich mit etwas Übung und
Geduld aus den Modellen herauslesen – wer mehr erfahren will, dem helfen die Lagepläne, Detailaufnahmen und Baustellenfotos, die im Eingangsbereich
projiziert werden, allerdings nur begrenzt weiter.
Dafür gibt es den Katalog. Jochen Paul
Architekturmuseum der TU München | Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, 80333
München | ▸ www.architekturmuseum.de | bis
27. September, Di–So 10–18, Do 10–20 Uhr |
Der Katalog (Niggli Verlag) kostet 39 Euro.
ist der Entwurfsprozess des DAM-Pavillons dokumentiert, der zweite, entwickelt von der Architekturklasse der Städelschule, befasst sich mit allgemeineren Fragen temporärer Kleinarchitekturen.
Die Studenten spielen nicht nur im Titel ihres
Beitrags („The Papillon and the Other Half“) mit der
etymologischen Wurzel des französischen Begriffs
pavillon, der sich vom lateinischen Wort papilio –
Schmetterling bzw. Falter – herleitet, sondern stellen
auch ihre Arbeiten in zwei Flügeln vor. „Papillon“
bildet auf einer bedruckten Leinwand die experimentellen Prototypen der Studenten ab; mit ihren Materialstudien haben sie die Biegsamkeit glasfaserverstärkter Kunststoffe in Beziehung zur Oberflächengeometrie untersucht. „The Other Half“ präsentiert
Modelle der berühmtesten Pavillons der jüngeren
Architekturgeschichte – von Le Corbusiers „Pavillon
de l’esprit nouveau“ von 1925 über Sverre Fehns
Nordischen Pavillon der Biennale in Venedig 1962
bis hin zu der Wolke aus Wasserdampf, die Diller +
Scofidio zur Schweizer Landesausstellung 2002 über
dem Neuenburger See schweben ließen. Sie alle
scheinen auf den Höhepunkt der Ausstellung vorzubereiten: vier Bögen des DAM-Pavillons als Ausschnittmodell in Originalgröße. Ulrike Weber
Deutsches Architekturmuseum | Schaumainkai
43, 60596 Frankfurt | ▸ www.dam-online.de |
bis 20. Sept., Di, Do–So 11–18, Mi 11–20 Uhr |
Der Katalog (Hatje Canz) kostet 24,80 Euro.
Ausstellungsraum der Generali Foundation
und Modell der Erweiterung.
Fotos: Werner Kaligofsky; Augustin Fischer
(Modell)
Die amorphe Schlauchform des DAM-Pavillons
wäre mit gebogenen, bis zu 15 Meter langen
Stahlrohren mit nur achtzig Millimetern Durchmesser gebildet worden. Eine in Diagonalrichtung verlaufende Schar 30 Millimeter starker
Rohre sollte diese Haupttragrohre stabilisieren.
Rendering: Barkow Leibinger Architekten