«Was aber bey der Nacht vnd haimblichen Orten geschicht / sein

in medias res
«Was aber bey der Nacht vnd ­haimblichen
Orten geschicht / sein schwaerlich zu
­probieren» – Die Hexenprozesse und das
Strafrecht der frühen Neuzeit
Teil 2
Harald Maihold*
IV. Die Hexenprozesse
Der Glaube an die Realität des Hexensabbats und
die Radikalisierung des Strafprozessrechts waren
wichtige Voraussetzungen für die massenhaften
­Hexenprozesse, die nördlich der Alpen zwischen
1580 und 1630 geführt wurden. Den Prozessen die­
ser Zeit, mögen sie auch anfangs wegen Schaden­
zauber begonnen haben, liegt meist das Konzept
vom Hexensabbat zugrunde. Unter der Folter grei­
fen die Besagungen von «Mittätern» stark um sich
und auch auf andere Orte über. Die Prozesse flauen
erst ab, als alle in das Hexenschema fallenden Be­
wohner einmal angezeigt sind und in den Verhören
kaum noch neue «Mittäter» angegeben werden.
Nach zwei bis drei Jahrzehnten sind jedoch neue
«Hexen» nachgewachsen, und so kommt es, dass die
umfangreichen Prozessserien sich im Abstand von
einer Generation zyklisch wieder einstellen46. Um
1630 erreicht die Prozessflut ihre Höchstmarke:
­Innerhalb weniger Jahre werden in Bamberg 600, in
Würzburg 900 und in Kurmainz 800 Hexen ver­
brannt. Dieser Welle geht eine besonders anhal­
tende wirtschaftliche Krise voraus, sodass viele
­zeitgenössische Quellen zwischen den Missernten,
den Pestepidemien und den Hexenprozessen einen
Zusammenhang herstellen47. Die Prozesswelle macht
nun auch vor Angehörigen der leitenden Ober­
schicht nicht Halt. Ein bekanntes Beispiel dafür
stammt aus dem Fürstbistum Bamberg, wo 1628 der
Bürgermeister Johannes Junius von mehreren
­verurteilten Hexen als Hexer angezeigt wurde – der
katholische Fürstbischof Johann Georg II. Fuchs
50
von Dornheim liess an seinem protestantischen Die­
ner ein Exempel statuieren48.
Trotz gewisser Parallelen gibt es von Region zu
Region erhebliche Unterschiede in der Art und
Weise, wie Hexenprozesse eingeleitet und durch­
geführt wurden. In einigen Gebieten überwiegen
Hexenverfolgungen «von oben», in denen die loka­
len Justizorgane die Prozesse zum Teil für politische
Zwecke instrumentalisierten, in anderen Gebieten
waren die Obrigkeiten eher zurückhaltend, die Ini­
tiative zur Durchführung von Hexenprozessen ging
hier eher «von unten» aus, genährt vom Aberglau­
ben in der Bevölkerung. Mancherorts, wie in Kur­
köln, organisierte sich die Bevölkerung in einer Art
Bürgerinitiative zu «Hexenausschüssen».
Hexenprozesse in Basel
Um einen Eindruck zu vermitteln, wie Hexenpro­
zesse regional ausgesehen haben können, wollen wir
uns im Folgenden exemplarisch der Stadt Basel
­zuwenden. Basel war 1501 der Eidgenossenschaft
beigetreten, was jedoch nicht die Trennung vom
Heiligen Römischen Reich bedeutete. Diese er­
* Dr. iur., Basel.
46 Vgl. exemplarisch Rolf Schulte, Hexenverfolgung in
Schleswig-Holstein, Heide 2001, S. 69, 109.
47 Behringer (Fn. 1), Nr. 163; vgl. Schulte, Hexenverfolgung
in Schleswig-Holstein, S. 69, 109.
48 Vgl. den Johannes Junius Brief an seine Tochter, zit. bei
Behringer (Fn. 1), Nr. 186.
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folgte erst 1648 mit dem Westfälischen Frieden.
Basel gehörte damit in der Hauptphase der Hexen­
verfolgungen zum Reich, und zwar seit 1529 zu den
reformierten Gebieten49. Nach Basler Gerichtsver­
fassung lag die Hochgerichtsbarkeit in der Zustän­
digkeit des Kleinen Rates. Die Untersuchung wurde
durch einen Ausschuss, die «Herren Sieben», gelei­
tet. Nach dessen Bericht und ggf. der Einholung von
Gutachten der Stadtkonsulenten, beschloss der
Neue Rat, d. h. die amtierenden Mitglieder des Klei­
nen Rates, über Folter und Urteil. Das Strafmass
wurde von den «Herren Ämtern» festgesetzt, das
Urteil vom Stadtgericht, das aus den Mitgliedern
des Neuen Rates bestand, unter Leitung des Vogtes
verlesen. Kapitalstrafen wurden vor der St. AlbanVorstadt, auf dem Galgenhügel im heutigen Gellert­
viertel vollstreckt50.
Die Hexenprozesse in Basel begannen früh, er­
langten aber niemals grösseres Ausmass. Schon im
ersten und einzigen Massenprozess um den «Hexen­
meister» Hans von Fürenfeld um 1450 zeigte der
Basler Rat große Umsicht im Umgang mit Verleum­
dungen. Die frühen Prozesse gegen Hexen insbe­
sondere aus Waldenburg, die auf dem Scheiterhau­
fen endeten, waren Prozesse wegen Schadenzauber.
Der Teufelscoitus spielte erst in zwei Prozessen des
16. Jahrhunderts eine Rolle: 1519 und 1577 wurden
die ersten und einzigen Basler «Hexen» auf dem
Scheiterhaufen verbrannt. Diesen Prozessen stehen
indes zehnmal so viele «Urfehden» gegenüber. In
der Urfehde beschwor der Verdächtige mit seinem
Eid, auf Rache für das in der Untersuchung Erlit­
tene zu verzichten, und wurde dann freigelassen51.
49 Das Umland blieb überwiegend katholisch oder schloss
sich im Zuge der «Gegenreformation» wieder an Rom an,
Arlesheim wurde Sitz des katholischen Fürstbistums
Basel.
50 Das Hochgericht auf dem Gellert, http://www.altbasel.ch/
dossier/galgen.html.
51 Guggenbühl, Mit Tieren und Teufeln, S. 115 ff., 125 f.,
132 ff.
52 Eine Strafverteidigung war im Basler Inquisitionsprozess
vor der Helvetik ebensowenig vorgesehener wie ein öf­
fentlicher Ankläger, und so waren die Gutachten der Stadt­
konsulenten und Fakultäten die einzige Instanz, die die
Massnahmen des Rates kontrollieren konnte, vgl. Stefan
Suter, Die Gutachten der Basler Juristen Fakultät in Straf-
ius.full 2/09
Ende des 16. Jahrhundert, als die Lehre vom Hexen­
sabbat sich durchgesetzt hatte und die Hexenpro­
zesse stark zunahmen, war auch der Basler Rat ver­
unsichert, wie der folgende Fall der «Gräfin von
Riehen» illustriert:
Die «Gräfin» von Riehen
Margreth Vögtlin, auch die «Gräfin» genannt, wird
1589 von Dorfbewohnern Riehens vor dem Basler
Rat wegen zauberischer Umtriebe angezeigt. Mar­
greth Vögtlin ist eine ältere, etwa 60-jährige Witwe,
die in ihrem Haus in Riehen lebt, einen kleinen
Acker und einige Weinreben besitzt. Ihren Lebens­
unterhalt verdient sie als Tagelöhnerin und Bettle­
rin. Im Ort hat sie viele Feinde, in Basel ist sie hin­
gegen wohl gelitten. Zu den Anschuldigungen wird
sie befragt, aber über den Ausgang ist nichts über­
liefert. Da der Basler Rat zu dieser Zeit gegenüber
abergläubischen Anzeigen äusserst zurückhaltend
reagiert, ist möglicherweise zunächst nichts weiter
passiert. 1602 klagen die Riehener erneut, nun of­
fenbar auch wegen «Gemeinschaft mit dem Teufel».
Nachdem ein Ratsherr dem Basler Rat am 13. Ja­
nuar 1602 über die Unruhen berichtet, wird eine
Untersuchung angestrengt.
Die «Gräfin» wird verhaftet und von den «Herren
Sieben», dem Untersuchungsausschuss des Rates,
verhört. Die Siebnerherren lassen die Vögtlin «sche­
ren», d. h. am ganzen Körper rasieren, ein Hinweis
darauf, dass sie nach Hexenmalen untersucht wurde.
Offenbar sind die Siebnerherren von der Schuld der
Vögtlin überzeugt, denn als diese die Anschuldi­
gungen leugnet, wird sie schwer gefoltert, und zwar
mit dem «Aufziehen»: Der Folterknecht bindet ihr
die Hände auf dem Rücken zusammen und hängt
ihr schwere Gewichte an die Füsse. Dann zieht er sie
mittels einer Seilwinde ruckartig nach oben, so dass
die Armgelenke auskugeln. Da die Vögtlin weiter­
hin leugnet, wird die Prozedur dreimal wiederholt,
wobei die Gewichte vorher jeweils durch noch
schwerere Gewichte ausgetauscht werden. Die
Vögtlin wird mit dieser Methode insgesamt sechs­
mal gefoltert, jeweils mit allen drei Graden. Trotz­
dem bleibt sie hartnäckig bei ihren Aussagen. Nach
rund vier Wochen der Tortur wird der Rat unsicher
und wendet sich am 10. Februar 1602 an die juristi­
sche und die theologische Fakultät52.
51
in medias res
D ie h e xe n p r o z esse un d da s s tr a f rec ht der frühen neuzeit
Abb. 9. Die Pratteler Hexenmatt, Karte von Georg Friedrich
Meyer, 1678
Beide Gutachten vermeiden das Wort «Hexerei»
und sprechen stattdessen, im Einklang mit der Carolina und der Bibel, durchgehend von «Zauberei».
Das Gutachten der theologischen Fakultät bekräf­
tigt zwar in unterwürfiger, barocker Sprache, die
christliche Obrigkeit habe das Recht und die Pflicht,
die gottlose Zauberei mit «rechtmässiger gepüer
­zestraffen», doch warnen sie vor zweifelhaften Me­
thoden der Wahrheitsfindung, insbesondere das
«beschären» und Suchen nach Hexenmalen oder
Amuletten. Hartnäckiges Schweigen in der Folter
sei auch nicht, wie der Hexenhammer behauptete,
notwendig ein Zeichen der Schuld, sondern könne
im Gegenteil ein Hinweis auf die Unschuld der
«Gräfin» sein, zumal sie dabei den Namen Gottes
angerufen habe. Mehr noch als die Theologen übt
das Gutachten der juristischen Fakultät Kritik am
Vorgehen des Rates. Die Juristen unterscheiden mit
der Carolina drei Arten von Zauberei: Schaden­
zauber mit Teufelspakt, Schadenzauber ohne Teufels­
pakt und harmlose Zauberei ohne Schaden. Nur die
ersten beiden Arten seien mit dem Feuertod zu stra­
fen, diese seien jedoch nach den Zeugenaussagen
nicht erwiesen. Die Zeugenaussagen aus Basel seien
sogar für die Gräfin, die Zeugnisse aus Riehen dage­
gen zumeist «theills von hören sagen, theills auß kei­
ner eigentlichen wüssenschaft entsprungen, sonder
52
so wol auf ein gemeines geschrei, als einen nuhn ett­
lich iar hero gefassten argwohn, und mutmassung
gebawen». Die wenigen belastenden Aussagen
stammten von Personen, die selbst glaubten, von der
Gräfin geschädigt worden zu sein. Zeugen in causa
propria, also in eigener Sache, seien jedoch partei­
isch und taugten nach der Carolina nicht als redliche
Zeugen, die für eine Verurteilung ausreichten. Nach
alldem könne die Vögtlin nicht mit der ordentlichen
Strafe für Zauberei bestraft werden. Die Juristen ra­
ten, sie noch einige Zeit in Gewahrsam zu behalten,
falls noch weitere Verdachtsmomente zum Vor­
schein kämen, verbieten jedoch eine erneute Folte­
rung.
Der Rat lässt die Vögtlin am 20. Februar «in
Schiffmacherlis heüßlin, in Spittal» bringen. Nach
Jahr und Tag im März 1603 beschliesst der Rat, man
solle sie «umb allerley reden wegen im Spittal ligen
lossen.» Selbst eine Intervention von Antistes Jacob
Grynaeus, dem geistlichen Oberhaupt von Basel
Stadt und Land, der in einem Schreiben an den Rat
noch einmal auf die Rechtswidrigkeit des Verfah­
rens gegen die Vögtlin hinweist, führt nur zu einer
Lockerung der Haftbedingungen – sie darf fortan
die Messe hören –, nicht jedoch zur Freilassung der
Gräfin. Gleichwohl bewirken die Gutachten offen­
bar, dass der Rat zu seiner früheren Umsichtigkeit
zurückkehrt. Das Verfahren gegen die Vögtlin ist
der letzte wirkliche Hexenprozess in Basel53.
Ein Hexentanzplatz in Pratteln
Dass die reformierte Basler Obrigkeit die Realität
des Hexensabbats nicht akzeptiert hat, ist umso be­
merkenswerter, als sich angeblich auf dem Gebiet
der Basler Jurisdiktion die Hexen aus der ganzen
Nordwestschweiz einfanden, ebenso, wie sie sich in
Deutschlands Norden auf dem Blocksberg im Harz
und in Deutschlands Süden auf dem Heuberg in
Württemberg trafen. 1532 gestand Jta Lichtermut
aus Aesch, dass sie mit vielen anderen «uff bratlen
fällen, Basel 1990, S. 29 f; Ders., Die strafrechtlichen Be­
denckhen der Basler Stadtconsulenten (1648–1798), Zü­
rich u. a. 2006, S. 5.
53 Guggenbühl, Mit Tieren und Teufeln, S. 132 ff., 231 ff.
ius.full 2/09
maten gfaren und hat ity einen wolf griten», wo sie
«einen zimlichen hagel gemacht» über Basel, Mün­
chenstein, Arlesheim und Reinach. Die «Pratteler
Hexenmatte», auf der sich die Hexen zum Sabbat
und zum Hexentanz getroffen haben sollen und wo
sich heute ein Sportplatz und die Kantonalbank be­
findet, taucht danach in vielen Verfahren auf. Die
Hexen kommen von weit her, aus dem Fürstbistum
Basel, aus den vorderösterreichischen Gebieten
Rheinfelden, Fricktal und Oberelsass, aber auffälli­
gerweise nie aus dem Basler Herrschaftsgebiet. Die
Basler Obrigkeit hat auch nie etwas gegen den Tanz­
platz unternommen54.
V. Die Kritik an den Hexenprozessen
Der untaugliche Versuch: Johann Weyer und
Johannes Brenz
Die Durchführung von Hexenprozessen wurde nicht
nur in der Hauptphase, sondern zu jeder Zeit von
kritischen Stimmen begleitet. Zu den wichtigsten
frühen Kritikern gehörte der Arzt Johann Weyer
(1515–1588), der 1563 in seinem Buch De praestigiis
daemonum die phantastischen Geständnisse der
Hexen auf eine Uteruserkrankung zurückführte. Im
Einklang mit dem Canon episcopi führt Weyer das
angebliche Hexenwerk auf eine Einbildung des Teu­
fels zurück. Die Handlungen der Beschuldigten,
etwa die Beschwörungsformeln zum Hagelmachen,
könnten in Wahrheit niemandem Schaden zufügen.
Der Wille allein genüge nach der Carolina aber nicht
für eine Strafe. Dieses Buch fand weite Verbreitung.
Auch die Befürworter der Hexenprozesse kamen
nicht umhin, zu Weyers Schrift Stellung zu bezie­
hen; sie kritisierten vor allem die in ihren Augen
­unangebrachte Milde, welche das schwere Hexerei­
delikt nur noch weiter um sich greifen lasse. Zum
Teil wurde Weyer selbst Hexerei vorgeworfen.
Neben der Partei der Befürworter und der Partei
der Kritiker gab es in der Literatur Mitte des
16. Jahrhunderts noch eine interessante vermit­
54 Guggenbühl, Mit Tieren und Teufeln, S. 153 ff.
55Briefwechsel zwischen Johann Weyer und Johannes
Brenz, 1565/66, zit. bei Behringer (Fn. 1), Nr. 199.
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Abb. 10. Johann Weyer
telnde Ansicht, wie sie beispielsweise der württem­
bergische Reformator Johannes Brenz in einem
Brief an Weyer vom Dezember 1565 entwickelt hat.
Brenz teile zwar Weyers Ansicht darüber, dass die
Hexen keinen Hagel machen könnten; er leugnet
also die Realität des Hexenwerks. Dennoch hält
Brenz die Bestrafung der Hexen für richtig. Das
Gesetz halte nämlich «das volkommenen vnd gewis­
sen vornemmens / fuer das werck selber / perfectum
conatum reputat pro opere ipso». Das Gesetz be­
strafe nicht den bösen Willen, sondern den been­
deten Versuch. Bei der Beweisführung sei zwar Vor­
sicht geboten, damit keine Unschuldigen verurteilt
würden. Wenn aber die Beschuldigten überführt
seien, das nach ihrem Glauben Erforderliche zur
Schädigung anderer Leute ausgeübt zu haben, seien
sie nach dem Gesetz wegen beendeten Versuchs zu
bestrafen.
Weyer antwortete Brenz in einem Brief vom Juli
1566:
«Jhr bekennet auch selber / daß die Vnholden jhren co­
natum nicht koennen zu werck setzen / oder jren boesen
willen verrichten /gestattet vnd gebt also zu / daß dieVn­
holden so im Hirn vnnd Gemuete verjrret / aërem nicht
koennen turbiren / ein einiges Vngewitter machen / ein
troepfflein wasers herauß fuehren / ein Flieg ertoedten /
oder einen Furtz / mit gunsten zu melden / lassen / vnnd
mit jhrer verderbten Phantasey zu wegen bringen
­koennen. Was mag denn dieses / so sie so gar keine Krafft
noch macht bey sich haben / oder etwas außrichten
­moegen / für ein conatus genannt werden […] Warumb
wirdt denn dieser Kindische vnd nichtswertige conatus
mit so vieler vnbarmhertziger peinigung gestrafft.»55
Nach Weyers Ansicht kann in dem Verhalten der
Beschuldigten kein Versuch erblickt werden, weil
der Erfolg überhaupt nicht eintreten kann. Er weist
53
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D ie h e xe n p r o z esse un d da s s tr a f rec ht der frühen neuzeit
Abb. 11. Benedikt Carpzov
dabei nicht nur auf die ­Untauglichkeit des Versuchs
hin, sondern auch auf die Unverständigkeit und den
Aberglauben, der meint, durch ­solcherlei Handlun­
gen könne ein Schaden angerichtet werden. Ähnlich
unterscheidet das geltende Schweizerische Straf­
recht zwei Formen des untauglichen Versuchs. Der
bloss untaugliche Versuch ist strafbar, nicht dagegen
der Versuch aus grobem Unverstand oder Aber­
glauben (Art. 22 Abs. 2 StGB).
Benedikt Carpzov und der Teufelspakt
Während die juristische Fakultät in Basel mit der
Carolina ganz auf den Schadenzauber abstellte, war
der berühmteste deutsche Strafrechtler vor Feuer­
bach anderer Auffassung. Benedikt Carpzov (1595–
1666), Richter in Leipzig und Autor der Practica
nova von 1635, einer umfassenden Darstellung der
Sächsischen Strafrechtspraxis, wurde oft vorge­
worfen, Partei für die Hexenjäger ergriffen zu ha­
ben. In der Tat zweifelt Carpzov die Hexenlehre
seiner Zeit nicht an. Insbesondere betrachtet er das
Hexereiverbrechen als crimen exceptum, bei dem
die Rechte übertreten werden dürfen. Wie man
heute annimmt, war er aber durch die Kursächsischen Konstitutionen von 1572 insoweit gebunden,
als diese den Teufelspakt in den Mittelpunkt des
Hexereivorwurfs stellen. Immerhin bemüht sich
Carpzov, die Indizienlehre für die Anwendung der
Folter auf Vernunftgründe abzustützen. So gibt er zu
bedenken, dass die Wahrsagerei nur heimlich be­
gangen wird und deshalb nicht immer Spuren hin­
terlässt, was die Bewertung der Indizien schwierig
mache. Er beruft sich dann auf Art. 44 der Carolina
und betont, dass die Besagung bei der Zauberei
54
nicht anders als bei anderen Delikten sorgfältig
überprüft werden solle. Andere Indizien, wie etwa
die Wasserprobe, lehnt Carpzov ab. Die Wasser­
probe stütze sich nicht auf die natürliche Vernunft,
der Richter sei aber nur zur Folter berechtigt, wenn
er das Indiz «mit seiner menschlichen und natürli­
chen Urteilskraft erfassen daraus mit dem Scharf­
sinn seines Verstandes mit Wahrscheinlichkeit fol­
gern kann», dass der Besagte das Verbrechen
begangen habe56. So betrachtet gehörte Carpzov
keinesfalls zu den Hexenjägern, sondern legte ledig­
lich den Hexereibegriff der Kursächsischen Konstitutionen zugrunde und beharrte auf dem gemässig­
ten Indizienrecht der Carolina. Gleichwohl dürfte
seine Stellungnahme in der Zeit, als die Hexenver­
folgung ihren Höhepunkt erreichte, viele Zeitgenos­
sen davon abgehalten haben, die Hexenlehre allzu
kritisch zu hinterfragen.
Carpzov ist ein gutes Beispiel dafür, wie allge­
mein sich die gelehrte Hexenlehre nördlich der Al­
pen auch unter den Protestanten durchgesetzt hatte.
Von 1560 bis zur grossen Verfolgungswelle von 1630
gibt es nur wenige kritische Stimmen, diese aller­
dings hauptsächlich auf protestantischer Seite. Zu
ihnen gehören neben dem bereits erwähnten Johann Weyer vor allem der protestantische Consilia­
rist Johann Fichard (1511–1581), Ratskonsulent
der freien Reichsstadt Frankfurt am Main, und der
­Tübinger Professor Johann Georg Goedelmann
(1559–1611), der als Gutachter für die Rostocker
­Juristenfakultät einen grossen Einfluss in ganz
Deutschland ausübte57
Die Cautio criminalis und die Kölner Jesuiten
Auf katholischer Seite hatten die Befürworter der
Hexenlehre enorme Macht. Indem sie die Hexerei­
kritiker auf eine Stufe mit den «Politici», d. h. den
56 Benedikt Carpzov, Practica nova imperialis Saxonica re­
rum criminalius, Wittenberg 1635, pars III, q. 122, num. 60–
69, Übersetzung bei Wolfgang Sellert / Hinrich Rüping,
Studien- und Quellenbuch zur Geschichte der deutschen
Strafrechtspflege, Band 1, Aalen 1989, S. 332 ff.
57Johann Georg Goedelmann, Copia gegebener Antwort
auf N. in Westphaln schreiben, Rostock 1587, zit. bei Behringer (Fn. 1), Nr. 202.
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Macchiavellisten stellten, setzten sie durch, dass seit
1590 inhaltliche Kritik an der Hexenlehre praktisch
nicht mehr möglich war, ohne dass der Autor selbst
einen Häresieverdacht auf sich zog. Als der katholi­
sche Theologe Cornelius Loos (1546–1595) Zweifel
an der Hexenlehre äusserte, wurde er 1592 in Trier
selbst der Häresie verdächtigt und zum Abschwören
gezwungen. In der Widerrufskommission sass u. a.
Weihbischof Peter Binsfeld, der wenige Jahre zu­
vor ein Plädoyer für die Hexenlehre und die Be­
handlung der Hexerei als crimen exceptum verfasst
hatte; der Jesuit Delrio machte den Widerruf weit­
hin bekannt58. Der Vorgang zeigt, wie gefährlich es
Ende des 16. Jahrhunderts war, gegen die Hexen­
lehre zu schreiben.
So verwundert es nicht, dass katholische Kritik an
den Hexenprozessen erst in der grossen Verfol­
gungswelle laut wurde, zunächst 1627 durch den Je­
suiten Adam Tanner, der damit seinen Orden spal­
tete, sodann in radikalisierter Form 1631 in einer
anonym veröffentlichten Schrift mit dem Titel Cautio criminalis oder Rechtliches Bedenken. Es ver­
wundert auch nicht, dass diese Kritik an den Hexen­
prozessen nicht so sehr auf inhaltlichen, sondern
mehr auf formalen Argumenten beruhte. Tanner
und der Autor der Cautio criminalis greifen nicht
das Hexereidelikt als solches und auch nicht seine
harte Bestrafung, wohl aber seine Behandlung als
crimen exceptum, die exzessive Anwendung der
­Folter und den Beweis durch Hexenproben mit
scharfen Worten an. Die Cautio criminalis geht mit
der Obrigkeit hart ins Gericht und appelliert an das
Gewissen jedes einzelnen Richters und Landes­
herrn:
«[Ich habe selbst gesehen], daß manche Richter, wenn
sie einen Fall von Hexerei zu untersuchen haben, selbst­
herrlicher verfahren, als zweckmäßig, und alles damit
entschuldigen, daß es sich ja um ein Sonderverbrechen
handele. Wenn sie nur ganz haltlose Indizien gehabt ha­
ben, wenn sie übermäßigen Gebrauch von der Folter
gemacht haben, wenn sie zu leichtgläubig gewesen sind,
58 Bibliotheca sive acta et scripta magica, hrsg. von Eberhard
David Hauber, Band I/2, Lemgo 1738, S. 80 ff., zit. bei Behringer (Fn. 1), Nr. 218.
59 Friedrich Spee, Cautio Criminalis oder Rechtliches Be­
denken wegen der Hexenprozesse, 1631, zit. bei Behringer
(Fn. 1), Nr. 230.
ius.full 2/09
Abb. 12. Friedrich Spee
keine Verteidigung zugelassen haben und Ähnliches,
was gegen die gesunde Vernunft ist […], so muß jeder
Richter es sich ein für allemal zum Grundsatz und zur
unumstößlichen Regel machen, daß bei keiner Straftat,
sei sie ein Sonderverbrechen oder nicht, anders verfah­
ren werden darf, als die gesunde Vernunft es zuläßt. […]
Ich will der Gerechtigkeit nicht in den Arm fallen, ich
widersetze mich ihr gar nicht, ich will keine Verbrechen
straflos ausgehen lassen, ich will nur dies, was unser Ge­
setzgeber Christus selbst befohlen hat: daß man das Un­
kraut nicht ausjäte, wenn zu fürchten steht, daß etwa der
Weizen zugleich mit herausgerissen werde. […] Damit
das nicht eintritt, wird man den Fürsten raten müssen,
nicht nur die Prozesse so vorsichtig wie möglich führen
zu lassen, sondern ganz einfach überhaupt keine Hexen­
prozesse führen zu lassen [… und] die Tortur völlig ab­
zuschaffen und nicht mehr anzuwenden. […] Und vor
allem will ich den Fürsten klarmachen, daß das eine Ge­
wissenspflicht ist, um derentwillen nicht nur sie selbst,
sondern auch ihre Ratgeber und Beichtväter vor dem
höchsten Richter werden Rechenschaft ablegen müs­
sen.59»
Der Autor der Cautio criminalis war in informier­
ten Kreisen freilich schnell ausgemacht: Es handelte
sich um den Kölner Jesuiten Friedrich Spee (1591–
1635), der als geistlicher Beistand selbst an vielen
Hexenprozessen beteiligt gewesen war und dessen
Ansicht im Kölner Jesuitenorden offenbar bekannt
war. Zur Rede gestellt, verteidigte sich Spee damit,
das unfertige Manuskript einem Freund anvertraut
zu haben, der es ­eigenmächtig in den Druck gege­
ben habe. Der Ordensgeneral in Rom glaubte ihm
offenbar und riet Spee zu einer zweiten, authorisier­
ten und abgemilderten Auflage. Eine zweite Auflage
erschien tatsächlich 1632, doch war darin die scharfe
Kritik an der Prozesspraxis nicht abgemildert, son­
dern sogar noch verschärft worden. Laut Titelblatt
55
in medias res
D ie h e xe n p r o z esse un d da s s tr a f rec ht der frühen neuzeit
protestieren61. Allein die Rückkehr zum normalen
Prozessrecht hatte also bereits das Ende der
­Massenprozesse zur Folge.
Ein Furz vertreibt den Teufel: Balthasar
­Bekker, Christian Thomasius und das Ende
der Hexenprozesse
Abb. 13. Balthasar Bekker
und Vorrede war diese Auflage in Frankfurt am
Main von einem österreichischen Juristen namens
Johannes Gronaeus in Druck gegeben worden, der
das Manuskript von einem Freund aus dem protes­
tantischen Marburg erhalten haben wollte. Die Or­
densoberen ahnten, dass Spee hinter der Auflage
steckte, und forderten seinen Ausschluss aus dem
Orden. Doch der Kölner Provinzial, Goswin Nickel,
hat Spee nicht nur nicht aus dem Orden ausgeschlos­
sen, sondern ihn sogar als Professor nach Trier ge­
schickt. Neuere Forschungen haben ergeben, dass
überdies bereits die zweite Auflage ein von Nickel
zumindest gebilligtes Täuschungsmanöver war:
­Einen Juristen namens Gronaeus hat es nie gege­
ben; Typenvergleiche des Druckbildes belegen, dass
die zweite Auflage bei einem Drucker in Köln ge­
druckt worden ist, der oft im Auftrag der Kölner Je­
suiten tätig war. Die Unterstützung der Hexenkritik
hat Nickel übrigens nicht geschadet: Er wurde spä­
ter Ordensgeneral60.
Die Kritik Spees, der 1635 von lutherischer Seite
Johann Matthäus Meyfahrt folgte, hatte einen
enormen Einfluss auf die Eindämmung der Hexen­
prozesse. Für Schweden und die schwedisch besetz­
ten Gebiete Norddeutschland bedeutete sie 1649
bereits das Ende der Hexenprozesse. Aber auch in
den katholischen Hochburgen des Hexenwahns, wie
in Würzburg und Kurköln, distanzierte man sich
deutlich von der Behandlung der Hexerei als crimen
exceptum. Zu Massenprozessen kam es nach 1635 in
ganz Europa kaum noch. Wenn noch Prozesse ge­
führt wurden, so meist auf Selbstbezichtigung hin.
Opfer wurden jetzt oft Kinder, die mit ihren Phan­
tasievorstellungen gegen die Welt der Erwachsenen
56
Spees Kritik bezog sich in erster Linie auf die pro­
zessualen Auswüchse der Hexenprozesse und ap­
pellierte an das Gewissen der Obrigkeit, liess jedoch
die gelehrte Hexenlehre als solche unangetastet.
Erst das Vordringen der cartesianischen Philosophie
an der Wende zum 17. Jahrhundert gab der Hexen­
lehre den Todesstoss. 1691 veröffentlichte der protes­
tantische Theologe Balthasar Bekker (1634–1698)
in Amsterdam seine Schrift De betoverde weereld,
worin er dem Teufel und seinen Hexendienern jede
Wirkung gegen die Naturgesetze abspricht.
«Was ist der Teufel nun? Ein verdorben Geschöpfe,
werdet ihr sagen müssen, diesemnach ein Theil und ein
verdorben Theil der erschaffenen Natur. Wie kann nun
das, was ein Theil der Natur ist, über die Natur sein? Wer
ist über die Natur, denn Gott allein? Derhalben schließe
ich alsofort schnurgerade wider die gemeine Meinung:
Sobald als man mir sagt, daß etwas über die Natur ge­
schehen sei, so hat es denn der Teufel nicht gethan; es ist
Gottes eigen Werk. […] So es kein natürlich Werk ist, so
ist es gewißlich auch keine Zauberei; denn ist Zauberei,
die muß, obschon betrüglich, dennoch ganz und gar
­natürlich sein […]. Der Bund der Zauberer und der
Zauberinnen mit dem Teufel ist nur ein Gedichte, […]
das allerungereimteste Geschwätz, das jemals von den
heidnischen Poeten ist erdacht worden […]. Daß wir die
Meinung von der Zauberei und was derselben anklebet,
gar wohl entbehren können, erscheint klärlich aus unse­
rer eigenen Erfahrung, weil sie nirgends mehr gefunden
wird, als da man sie zu sehn glaubt. Glaubt sie denn
nicht mehr, so wird sie nicht mehr sein.62»
60 Gunther Franz, Das Geheimnis um den Druck der Cautio
Criminalis in Köln 1632, in: Friedrich Spee, Cautio Crimi­
nalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenpro­
zesse (1631) übersetzt von Joachim-Friedrich Ritter,
6. Aufl., München 2000, S. 303 ff.
61 Behringer (Fn. 1), S. 314 ff.
62 Balthasar Bekker, De betoverte wereld, Die bezauberte
Welt, 1693, zit. bei Behringer (Fn. 1), Nr. 268.
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Auf Bekkers Kritik folgte wenige Jahre später
Christian Thomasius, Professor an der Universität
Halle und einer der wichtigsten Vertreter der Früh­
aufklärung in Deutschland, der zur wissenschaft­
lichen Argumentation nicht die Berufung auf Auto­
ritäten, sondern allein die Vernunft zuliess.
Thomasius hielt erste Vorlesungen in deutscher
Sprache ab und verzichtete zugunsten modischer
Kleidung auf den damals an den Universitäten
­üblichen Talar. Seine 1701 erschienene Schrift De
crimine magiae war eine Hochschulschrift, eine
­lateinische Dissertation für Johann Reiche, die in
Fachkreisen sehr viel Aufmerksamkeit erregte und
bereits wenige Jahre später in deutschen Überset­
zungen kursierte. Zu Beginn bekennt Thomasius,
dass er selbst früher am Hexenglauben nicht gezwei­
felt habe. «Ich hatte es so gehöret und gelesen, und
der Sache nicht ferner nachgedacht». Als er sich nun
ausführlicher mit dem Thema beschäftigt habe, so
habe er jedoch «hin und wieder fast nichts, als ein
unnützes Geschwätze und Fabeln, nirgends aber was
gründliches, dann und wann nur einen Schatten der
Wahrheit angetroffen!».
Thomasius scharfe Polemik zielt auf das zentrale
Element der gelehrten Hexenlehre, den Teufelspakt.
Das crimen magiae existiert Thomasius zufolge gar
nicht, weil der Teufel als Geistgestalt keinen Leib
annehmen kann. Die Befürworter der Hexenlehre
widersprächen sich selbst, wenn sie einerseits an­
nähmen, dass der Teufel die vorgegebene Natur ver­
ändern könne, in ihm andererseits einen so ohn­
mächtigen Geist sehen, dass er schon durch einen
Furz verscheucht werden könne.
«Hat der Teuffel niemals einen Leib angenommen, er
kann auch solchen nicht annehmen, und also kann er
auch leiblicher Weise kein Bündniß schliessen, hat auch
dergleichen niemals gemacht, vielweniger hat er entwe­
der sich selbst zur Wollust brauchen lassen, oder Hexen
und Zauberer dazu gebraucht, oder dieselben unter
­einer Bocks-Gestalt auf den bekandten Blocks-Berg ge­
63 Christian Thomasius, De crimine magiae (1701), übersetzt
von Johann Reichen, Halle 1704, § 31, 34, abgedruckt in:
Ders., Vom Laster der Zauberei. Über die Hexenprozesse,
hrsg. von Rolf Lieberwirth, Weimar 1967, S. 71, 73 f., nur
zum Teil zit. bei Behringer (Fn. 1), Nr. 269.
64 Christian Thomasius, De Processus Inquisitorii contra
­Sagas (1712), § 2, zit. bei Behringer (Fn. 1), Nr. 271.
65 Behringer (Fn. 1), S. 400 ff.
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Abb. 14. Christian Thomasius
führet u.s.w. […] Hänget keinesweges zusammen, was
die guten Leute von des Teufels grossen Macht, über die
unsichtbare Natur her plaudern, mit ob erzehlten Fa­
beln, daß er nemlich durch einen blossen stinckenden
Wind könne verjaget werden, auch nicht das geringste
aus der Bibel nehmen. Es brauchte auch nicht, daß man
sich hierbey auff den Glauben eines Menschen beziehet.
Denn wird der Satan durch den Glauben vertrieben,
was brauchts eines garstigen Windes, wo man nicht et­
wan, welches noch ein absurders, ja gotteslästerliches
Beginnen wäre, einen Unterschied unter solchen garsti­
gen Winden machen wolte.63»
Während die Schrift von 1701 die bereits vor Thogeäusserte Kritik lediglich aufnimmt und
stellenweise zuspitzt, bietet Thomasius mit seiner
zweiten Veröffentlichung, De Processus Inquisitorii
contra Sagas von 1712, wirklich Neues, nämlich die
erste rechtshistorische Untersuchung zu den He­
xenprozessen. Darin weist er nach, dass der Inquisi­
tionsprozess gegen die Hexen erst Ende des 15. Jahr­
hunderts, die gelehrte Hexenlehre sogar erst Mitte
des 16. Jahrhunderts entstanden war64. Die Hexen­
lehre war also gerade einmal hundertfünfzig Jahre
alt und als historisches Phänomen angreifbar.
Thomasius’ Kritik führte unmittelbar zur Ein­
schränkung der Hexenverfolgung. Das Königreich
Preußen reagierte 1714 mit einem Edikt, das alle
Gerichte, Fakultäten und Schöffenstühle verpflich­
tete, ihre Entscheidungen in Hexenprozessen bestä­
tigen zu lassen. 1740 folgte Maria Theresia in den
Habsburgischen Erblanden diesem Beispiel. Die
Kontrolle durch überregionale Justizbehörden be­
wirkte, dass Hexenprozesse nurmehr allenfalls noch
vereinzelt geführt wurden. Aber noch 1760 führte
eine akademische Rede gegen den Hexenwahn in
München zu vielen Gegenstimmen65.
masius
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in medias res
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Nach und nach verschwand das Hexereidelikt aus
den Gesetzbüchern. Im Preußischen Landrecht von
1721 treten Erziehung und Unterweisung an die
Stelle der Strafe, indem bestimmt wird, «daß der­
gleichen von dem leidigen Satan eingenommene
und verführte Leute durch die Prediger aus Gottes
Wort in ihrem Christenthum besser unterrichtet /
und sie zu wahrer Erkäntniß und rechtschaffener
Busse gebracht / und solchergestalt aus den Stricken
des Teuffels heraus gerissen werden mögen.» Die
nachgewiesene Leugnung Gottes und Unterwer­
fung unter den Teufel wird aber als Gotteslästerung
weiter mit dem Tod bestraft66. Teufelspakt und Teu­
felsbuhlschaft werden also, wie bei Thomasius, nicht
mehr als Realität angesehen, aber trotzdem als Re­
ligionsverbrechen bei hartnäckigen Tätern weiter
geahndet.
Im Unterschied zu Preußen hält noch der Codex
Juris Criminalis Bavarici von 1751 daran fest, das
«offentlich oder heimliche Bündnuß, oder fleischli­
che Vermischung mit dem Teuffel» unter Strafe zu
stellen. Er mahnt jedoch zugleich, «bey disem Ver­
brechen mit viler Behutsamkeit und Moderation zu
verfahren, nicht alles, was dem menschlichen schwa­
chen Verstande unergründlich scheint, gleich für
Hexenwerk und Aberglauben anzusehen, vilweni­
ger den gerichtlichen Aussagen der Hexen, und dem
Aberglauben ergebener Personen, sonderbar so vil
die angebliche Complices betrifft, wegen der teuff­
lisch-falscher Vorspieglungen, und auch öfters mit
vorwaltender starker Einbildung, Phantasie oder
Imposten, so leichterdings Glauben beyzumessen.
Immassen bey Kindern und Unvogtbaren, welche
sich dergleichen teufflischer Künsten und Hand­
werks berühmen, oder von anderen hierin angege­
ben werden, mehr auf gute Disciplin und Unterwei­
sung, als malefizische Straffen der Antrag zu machen
ist.67» Die Übernahme der traditionellen Hexen­
lehre ist auch in Bayern eher eine Frage der Theorie,
in der Praxis spielt der Erziehungsgedanke der Auf­
klärung die wichtigere Rolle.
Die späteren Gesetze enthalten keine Regelun­
gen über die Hexerei mehr. Mit der Nonne Maria
Renata wurde 1749 in Würzburg die letzte Hexe im
Heiligen Römischen Reich verbrannt. Im Kanton
Glarus folgte noch eine Generation später 1782 das
Urteil gegen Anna Göldin. 1787 konnte Goethe auf
die Hexenverfolgungen als vergangene Epoche zu­
rückblicken: «Wir haben die famose Hexen Epoche
58
in der Geschichte, die mir psychologisch noch lange
nicht erklärt ist, diese hat mich aufmercksam und
mir alles wunderbare verdächtig gemacht.68» Die
Hexerei ist Gegenstand von Dramen und satirischen
Werken, aber nicht mehr Gegenstand des Rechts69.
VI.Die Erklärung der Hexenverfolgung
Zur Erklärung des Phänomens der Hexenprozesse
gibt es zahlreiche Thesen.
nDie
Hexenjäger glaubten sich zumeist im Kampf
gegen eine real existierende, weit verbreitete He­
xensekte. Möglich ist, dass es in der Anfangsphase,
als sich um das Gebiet des Genfer Sees die Idee
vom Hexensabbat herausbildete, entsprechende
Gruppen von Teufelsanbetern gegeben hat. Auch
den Anzeigen wegen Schadenzauber lagen ver­
mutlich oft reale Vorkommnisse zugrunde. Man
darf nicht vergessen, dass der Zauberglaube in der
Bevölkerung weit verbreitet war und angebliche
Zaubersprüche oder Flüche zum Alltag gehörten.
Die These von einer zusammenhängenden He­
xensekte konnte historisch jedoch nicht belegt
werden.
nEine neuheidnische These hat die Hexenprozesse
als kirchliche Kampagne gegen einen vorchristli­
chen Fruchtbarkeitskult interpretiert70. Auch diese
These lässt sich historisch nicht belegen und be­
ruht sogar zum Teil auf Quellenfälschungen. Sie
scheint zwar in den Geständnissen der Mailänder
Prozesse Ende des 14. Jahrhunderts, wo Frauen
behaupteten, sie seien mit der römischen Frucht­
barkeitsgöttin Diana ausgeflogen, und in den Pro­
66 Friedrich Wilhelms / Königes in Preußen, Verbessertes
Landrecht des Königreichs Preußen, Königsberg 1721, pars
III, 6. Buch, tit. 5, art. 4, § 1.
67 Codex Juris Bavarici Criminalis, München 1751, 1. Teil,
Kap. 7, § 7, nur zum Teil zit. bei Behringer (Fn. 1), Nr. 265.
68 Johann Wolfgang von Goethe an Charlotte von Stein, in:
Goethes Briefe an Charlotte von Stein, hrsg. von Julius Pe­
tersen, Band II/2, Leipzig 1923, S. 514, zit. bei Behringer
(Fn. 1), Nr. 286.
69 Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Faust, hrsg. von Alb­
recht Schöne, Frankfurt am Main 1994, V, 3835–4223.
70 Margaret Murray, The God of the Witches, 1931. Nach­
druck Oxford 1970.
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zessen gegen die benandanti im Friaul, die be­
haupteten, sie zögen des nachts im Geiste gegen
die Hexen aus, eine Bestätigung zu finden71.
Ebenso ist jedoch denkbar, dass diese Geständ­
nisse Ideen wieder aufnahmen, die im Canon episcopi erwähnt und als heidnischer Aberglaube
­bekämpft wurden. Die massenhafte Zunahme der
Prozesse im 17. Jahrhundert kann diese These je­
denfalls nicht erklären.
nEine Variante der neuheidnischen These wurde
durch den «H-Sonderauftrag» bekannt, den Hein­
rich Himmler 1935 ins Leben rief. Acht «SS-For­
scher» suchten in den Hexenakten neun Jahre
lang nach einer Bestätigung dafür, dass die He­
xenprozesse eine gezielte Überfremdungskam­
pagne der Kirche gegen das «germanische We­
sen», insbesondere gegen die «germanische Frau»
waren, durch die die deutsche Volksgemeinschaft
zersetzt werden sollte und hinter der man letztlich
die Juden vermutete. Das Projekt war indes wenig
erfolgreich, da die Quellen den ideologischen Vor­
gaben widersprachen72.
nAuch die neuere feministische Variante der These,
die Hexenprozesse als Feldzug gegen die «weisen
Frauen» (Heilkundige, Hebammen), Träger früher
weiblicher Emanzipation, zu verstehen73, kann
nicht überzeugen, erklärt sie doch nicht, dass jede
vierte Hexe ein Mann war. Die sozial angesehe­
nen Hebammen waren bei weitem nicht die
Hauptzielgruppe der Hexenjäger. Ein Kampf ge­
gen das medizinische Wissen der Frauen hätte zu­
71 Dazu Carlo Ginzburg, The Night Battles. Witchcraft and
Agrarian Cults in the Sixteenth and Seventeenth Centu­
ries, Baltimore 1983, deutsche Ausgabe: Die Benandanti,
Feldkulte und Hexenwesen im 16. und 17. Jahrhundert,
Frankfurt am Main 1980.
72 Vgl. dazu Sönke Lorenz (Hrsg.), Himmlers Hexenkarto­
thek. Das Interesse des Nationalsozialismus an der Hexen­
verfolgung, 2. Aufl., Bielefeld 2000.
73 Colette Piat, Frauen, die hexen, Freiburg i.Br. 1985;
­Gunnar Heinsohn / Otto Steiger, Die Vernichtung der
weisen Frauen, 3. Ausgabe, Müchen 1985. Zur Kritik vgl.
Walter Rummel, Weise Frauen als Opfer?, in: Lexikon zur
Geschichte der Hexenverfolgung, hrsg. v. Gudrun Gersmann / Katrin Moeller / Jürgen-Michael Schmidt, in:
­historicum.net, abrufbar unter: http://www.historicum.net/
no_cache/persistent/artikel/1672/.
74 Vgl. Levack, Hexenjagd, S. 140.
75 Levack, Hexenjagd, S. 111 ff.
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dem die Ärzteschaft auf den Plan rufen müssen,
die Ärzte gehörten jedoch keinesfalls zu den eifri­
gen Verfechtern der Hexenlehre. Darüber hinaus
gibt es keine Hinweise auf eine nennenswerte
Frauenbewegung zur Zeit der Hexenprozesse. Die
Hexenverfolgung war wohl geschlechtsbezogen,
aber nicht geschlechtsspezifisch.
nEine andere antiklerikale These führt die Hexen­
prozesse auf die unterdrückte Sexualität in der
Kirche zurück. Unterdrückte sexuelle Phantasien
der Hexenjäger hätten dazu geführt, dass diese
ihre Schuldgefühle auf die Hexen projiziert hät­
ten. Die typische Hexe war Witwe und verkör­
perte damit die sexuell erfahrene und unabhän­
gige Frau74. Auch diese These wird heute kaum
ernst genommen. Sie kann weder die Existenz
männlicher Hexen erklären, noch die Tatsache,
dass die grosse Mehrzahl der Hexenprozesse im
17. Jahrhundert vor weltlichen Gerichten statt­
fand.
nEine alte reformatorische These stellt die Hexen­
prozesse in den Kontext eines Kampfes des refor­
mierten Gottesstaates gegen katholischen Aber­
glauben und für das Seelenheil der Untertanen75.
Diese These erklärt zumindest, dass die ursprüng­
lich kirchliche Zuständigkeit für das Hexereiver­
brechen im Zuge der Säkularisierung auf die welt­
lichen Gericht überging. Für sie spricht auch, dass
viele Kritiker der Hexenprozesse Protestanten
waren und die reformierte Kirche der Erziehung
der Bevölkerung grosse Bedeutung beimass. Al­
lerdings ist die These zu einseitig. Luther und
­Calvin waren vom realen Wirken des Teufels in
der Welt überzeugt, auch in reformierten Territo­
rien, wie in Württemberg, kam es zu Massenpro­
zessen. Umgekehrt finden sich auch unter katholi­
schen Geistlichen Hexenkritiker.
nNach einer ökonomischen These dienten Hexen­
prozesse der Bewältigung von Wirtschaftskrisen
(Missernten, Hungersnöte). Tatsächlich lassen sich
nicht nur zeitliche Übereinstimmungen zwischen
Wirtschaftskrisen und Hexenverfolgungen nach­
weisen – die Prozesse finden ihren Höhepunkt
mitten im 30-jährigen Krieg, in einer Zeit religiö­
ser Verunsicherung und grosser wirtschaftlicher
Not –, sondern dieser Zusammenhang wurde auch
von den Zeitgenossen oft hergestellt, indem sie
die wettermachenden Hexen für die wirtschaft­
liche Situation verantwortlich machten. Anderer­
59
in medias res
D ie h e xe n p r o z esse un d da s s tr a f rec ht der frühen neuzeit
seits waren wirtschaftliche Nöte für die Obrigkeit
nicht immer und überall Anlass genug, um Hexen­
prozesse durchzuführen. Zudem gehörte der
Schadenzauber nach der neuen gelehrten Hexen­
lehre gerade nicht mehr zu den zentralen Elemen­
ten des Hexereidelikts.
nEine verbreitete These versucht die Hexenpro­
zesse soziologisch als Akt der Sozialdisziplinie­
rung und Akkulturation zu erklären. Die Men­
schen, die in den Hexereiverdacht gerieten, waren
Aussenseiter, Rebellen, die der gewünschten
­Homogenität der christlichen Gemeinschaft wi­
dersprachen. Da diese Homogenität in den Religi­
onskriegen ohnehin in Frage gestellt war, reagierte
man verschärft gegen die Hexen. Hexenprozesse
dienten also der Normbestätigung gesellschaftli­
cher Verhaltensmuster76. Gegen diese These lässt
sich nicht allzu viel einwenden, ausser vielleicht,
dass sie sehr allgemein gehalten ist und letztlich
nur besagt, dass Aussenseiter von der Gesellschaft
ausgeschlossen werden.
nNach einer vordringenden rechtshistorischen
These spielten die Hexenprozesse bei der Entste­
hung moderner territorialstaatlicher Machtstruk­
turen als Instrument der Herrschaftssicherung
eine grosse Rolle77. Je kleiner das Territorium,
desto eher scheint die Obrigkeit zur Demonstra­
tion ihrer Macht bereit gewesen zu sein. Der An­
satz scheint auch grundsätzlich zu einer Erklärung
für die Entstehung des modernen Strafrechts bei­
zutragen, nur eigneten sich die «Hexen» offenbar
besonders für die Machtdemonstration, da die
meisten Verdächtigen hilf- und mittellose Leute
aus der Unterschicht waren. Allerdings fragt sich,
ob man von einer «Instrumentalisierung» spre­
chen kann, wenn diese nur unbewusst erfolgte.
Nur in wenigen Fällen lassen sich bewusste Mani­
pulationen nachweisen. Im übrigen birgt die These
die Gefahr, den Einfluss der Bevölkerung bei der
Initiative von Hexenjagden zu vernachlässigen.
nEine ebenfalls verbreitete These erklärt die He­
xenprozesse tiefenpsychologisch als Massenpsy­
chose zur Bewältigung von Daseinsängsten, die
gerade zu jener Zeit durch die wirtschaftliche und
gesellschaftliche Situation und durch die religiöse
Verunsicherung besonders gross waren. Gerade
der Hexenglaube schürte die Angst vor dem Anti­
christ, ja, da die Hexen Kinder opfern, vor dem
Aussterben der christlichen Gesellschaft. In der
60
Tat lässt sich wohl nur aus einer geradezu pani­
schen Angst in der Bevölkerung (einschliesslich
der Oberschicht!) erklären, warum man die «He­
xen» mit solcher Vehemenz verfolgte und dabei
rechtliche Garantien über Bord warf78. In diesen
Zusammenhang gehört dann auch die «Sünden­
bockthese», wonach die gesteigerten moralischen
Anforderungen der Reformationszeit zu Schuldge­
fühlen in der Bevölkerung geführt hätten, die man
auf die Hexen als «Sündenböcke» projiziert habe.
Wenngleich man einigen der genannten Thesen
ihre Plausibilität nicht absprechen kann, sind doch
alle Thesen entweder zu einseitig oder zu allgemein.
Keine der Thesen taugt für eine monokausale Er­
klärung der Hexenprozesse. Richtigerweise wird
eine Erklärung des Phänomens vier Ebenen ausein­
anderhalten müssen79:
Die erste Ebene bilden die Voraussetzungen der
Hexenjagd, die Hexenprozesse erst ermöglichen,
aber nicht zwangsläufig herbeiführen. Die gelehrte
Hexenlehre mit Teufelspakt, Teufelscoitus und He­
xensabbat sowie die Bereitstellung eines inquisitori­
schen Strafverfahrens zur Durchführung von He­
xenprozessen sind gegen Ende des 15. Jahrhunderts
voll entwickelt, ohne dass es sogleich zu Massenpro­
zessen kommt.
Die zweite Ebene bilden die Motivationsfaktoren,
die Hexenprozesse allgemein begünstigen: Bevölke­
rungswachstum und demografischer Wandel, Kriege,
­Epidemien und Missernten, Hungersnöte und Teue­
rungen schaffen ab 1560 ein Klima der Angst, das
den Boden für die Massenprozesse vorbereitet. Um
eigenes Versagen nicht zugestehen zu müssen, wer­
den die Aussenseiter der Gesellschaft für die wirt­
76 Robert Muchembled, Culture populaire et culture des éli­
tes dans la France moderne (XVe–XVIIIe), Paris 1978,
deutsche Übersetzung: Kultur des Volks – Kultur der Eli­
ten. Die Geschichte einer erfolgreichen Verdrängung,
Stuttgart 1982, S. 179 ff.
77 Vgl. dazu Rita Voltmer (Hrsg.), Hexenverfolgung und
Herrschaftspraxis, Trier 2006; Rüping / Jerouschek, Grund­
riss der Strafrechtsgeschichte, Rn. 148.
78 Vgl. dazu Günter Jerouschek / Heinrich Kramer, Zur
Psychologie des Hexenjägers. Überlegungen zur Herkunft
des Messers, mit dem der Mord begangen wurde, in: Günther Mensching (Hrsg.), Gewalt und ihre Legitimation im
Mittelalter, Würzburg 2003, S. 113 ff.
79 Vgl. Levack, Hexenjagd, S. 154 ff.
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schaftliche Misere verantwortlich gemacht. Auf der
Ebene der Motivationsfaktoren liegt auch das
­potenzielle Interesse der Obrigkeit, Prozesse zu
­politischen Zwecken zu instrumentalisieren.
Die dritte Ebene bilden die Momente, die kon­
krete Hexenprozesse auslösen. Dies können soziale
Unruhen in der Bevölkerung sein oder projizierte
Schuldgefühle in der Bevölkerung oder in der lei­
tenden Oberschicht, schliesslich auch Selbstbezich­
tigungen der «Hexen». Die Auslösungsmomente
führen zur Durchführung erster Hexenprozesse,
wobei sich die Akzeptanz der gelehrten Hexenlehre
vor allem in Initiativen «von oben», das durch die
Motivationsfaktoren geschaffene Klima der Angst
vor allem in Initiativen «von unten» entlädt.
Auf der vierten und letzten Ebene kommt schliess­
lich die Eigendynamik der Hexenprozesse zum Tra­
gen: Die Besagung von «Komplizen» unter der Fol­
ter führt unmittelbar zur Einleitung weiterer
Hexenprozesse. Die öffentliche Vollstreckung, He­
xenpredigten und Hexentraktate, die mittels des
neuen Buchdrucks schnell in Umlauf gebracht wer­
den, verstärken sowohl die Ängste in der Bevölke­
rung, als auch das gelehrte Hexenkonzept als sol­
ches. Schliesslich bewirkt das gelehrte Hexenkonzept
eine Veränderung des Strafprozessrechts, indem bei
der Untersuchung und Bestrafung des Sonderver­
brechens die recht­lichen Schranken fallen.
Zusammenfassend können wir festhalten, dass für
die enorme Ausweitung der Hexenprozesse in der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts vor allem zwei
Umstände verantwortlich waren, die das Straf- und
Strafprozessrecht betreffen. Zum einen war es die
Fassung des Straftatbestandes der Hexerei, der ab
1580 das äusserlich fassbare Element des Schadens
durch die stark vergeistigten Merkmale des Teufels­
paktes und des Hexensabbats ersetzte. Zum ande­
ren war es die Entwicklung eines besonderen He­
xenprozessrechts, das die im normalen Strafverfahren
sonst üblichen Verfahrensbeschränkungen aufhob.
Dies sollte Anlass sein, ähnlichen Strömungen in
der Gegenwart mit Skepsis zu begegnen. Die Lehre,
die wir aus den Hexenprozessen ziehen können, ist
nicht gering zu achten in einer Zeit, wo Straftatbe­
stände aus präventiven Erwägungen heraus immer
weiter in das Vorfeld des Schadenseintritts verlagert
werden (Mitgliedschaft in verbrecherischen Organi­
sationen, Anwesenheit in Terrorausbildungslagern)
und in der das Strafprozessrecht zunehmend von
ius.full 2/09
der Besonderheit des Verbrechens diktiert und für
besonders schwere Verbrechen ein «Feindstraf­
recht» konstruiert wird.»
Bildnachweis
Abb. 1. Hans Baldung Grien, Hexensabbat, kolorierter
Holzschnitt, 1508, wikimedia, abrufbar unter: http://
commons.wikimedia.org/wiki/Image:Baldung_Hexen_
1508_kol.JPG.
Abb. 2. Ulrich Molitor, De lamiis et phitonicis mulieribus,
Köln 1498, Bayerische Staatsbibliothek, abrufbar unter:
http://www.historicum.net/themen/hexenforschung/
quellen/bilder/chronologisch/.
Abb. 3. Christopher Marlowe, The Tragicall Histoy of the
Life and Death of Doctor Faustus, 1620; aus: Brian P.
Levack, Hexenjagd, 3. Auflage, München 2003, S. 15.
Abb. 4. Francesco Guazzo, Compendium maleficarum,
2. Aufl., Mailand 1626.
Abb. 5. Chronik des Johann Jakob Wick: Zentralbibliothek
Zürich, aus: Dietegen Guggenbühl, Hexen, Sandoz-Bul­
letin 24 (1971), S. 35.
Abb. 6. Flugblatt 1555: Rainer Decker, Die Päpste und die
Hexen, Darmstadt 2003, Deckblatt.
Abb. 7. Bambergische Peinliche Halsgerichtsordnung,
Bamberg 1507, Blatt 18v, Universitätsbibliothek Mann­
heim, abrufbar unter: http://www.uni-mannheim.de/
­mateo/desbillons/bambi.html.
Abb. 8. Wasserprobe, 1613, National Education Network,
abrufbar unter: http://gallery.nen.gov.uk/image57571-.
html.
Abb. 9. Karte von Georg Friedrich Meyer: Staatsarchiv
Basel-Land, aus: Dietegen Guggenbühl, Mit Tieren und
Teufeln, Liestal 2002, S. 155.
Abb. 10. Johann Weyer, Kupferstich von Pieter Holsteyn,
1660, wikimedia, abrufbar unter http://commons.wiki
media.org/wiki/File:Johannes_Weyer.JPG.
Abb. 11. Benedikt Carpzov (d.J.), Kupferstich, wikimedia,
abrufbar unter: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/
commons/3/34/Benedikt-Carpzov-d-J-04.jpg.
Abb. 12. Friedrich Spee, Ölgemälde, Erzbischöfliches
Friedrich-Spee-Kolleg, Neuss, abrufbar unter: http://
www.dombibliothek-koeln.de/veranstaltung/spee2008/
pics/gemaelde.html.
Abb. 13. Balthasar Bekker, Kupferstich, Het Museum van
de Vaderlandse Geschiedenis, abrufbar unter: http://
www.ru.nl/ahc/vg/html/vg000347.htm.
Abb. 14. Christian Thomasius, Kupferstich, Staatliche
Kunstsammlungen Dresden, Deutsche Fotothek, Nr.
df_0060454, abrufbar unter: http://www.deutschefoto
thek.de.
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