Donnerstag, 17. Februar 2000 NORDDEUTSCHLAND Hamburger Abendblatt 7 Was macht Rühe jetzt? ubi Geesthacht − Der Abtritt Wolfgang Schäubles zwingt Volker Rühe zu einem Spagat. Als Spitzenkandidat der Nord-CDU stellte er gestern klar, dass er bis zur Wahl in zehn Tagen keine Spekulationen über einen neuen CDU-Vorsitzenden wünscht. Im selben Atemzug mahnte der ambitionierte Bundespolitiker die Parteifreunde in Berlin, die Suche nach einem Nachfolger nicht zu überstürzen. Beide Wünsche schließen einander aus und machen das Dilemma des 57-jährigen Vize-Parteichefs deutlich. Noch vor einem halben Jahr sah der Vollblutpolitiker wie der sichere Sieger der Landtagswahl und nächste Kanzlerkandidat der Union aus. Die Finanzaffäre schien dem Weggefährten Helmut Kohls alle Chancen zu rauben. Dann galt Rühe in Unionskreisen als Anwärter auf den Parteivorsitz, wenn Schäuble sich im April, nach der Schleswig-Holstein-Wahl, zurückzöge und Rühe ein respektables Wahlergebnis vorweisen könnte. Der Posten als Vize-Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag schien Rühe stets fast sicher. Zumal hier die Wahl erst im Mai anstand. Bei der CDU in Kiel hatte man schon die Messlatte festgelegt, um bundespolitisch am Ball zu bleiben oder gar Karriere zu machen. Genannt wurden 37,2 Prozent, das Ergebnis der CDU 1996. Selbst für etwas weniger wäre Rühe in der Bundes-CDU noch gefeiert worden. Der plötzliche Abtritt Schäubles kommt so gesehen ungelegen, weil der Bewerber für das Ministerpräsidentenamt in Kiel schwerlich im Schlussspurt des Wahlkampfes Ansprüche in Berlin anmelden kann. Deshalb ließ Rühe gestern keinen Zweifel daran, dass er bei Wahlen zum Fraktionsvorstand schon in der kommenden Woche „für kein Amt“ zur Verfügung steht. Rühe drängte zunächst auf eine Verlegung der Fraktionswahl in die Nachwahlwoche, sagte gestern Abend aber, er hoffe, den neuen Fraktionschef noch im Landtagswahlkampf einsetzen zu können. Der frühere Verteidigungsminister zählt auch zum Kreis der möglichen Parteivorsitzenden − freilich nur mit einem respektablen Wahlergebnis. Folglich muss Rühe jetzt auch da auf Zeit spielen. Das mindert aber zugleich seine Chancen, weil jeder weitere Tag der Unklarheit und Spekulationen Rühes landespolitischen Wahlkampf überlagert. Volker Rühe muss nun zwischen Kiel und Berlin taktieren. Foto: DPA Sachthemen im Wahlkampf. Heute: Kriminalitätsbekämpfung am Beispiel Hamburger Umland Die Sorge um die Sicherheit Von FRANZ-JOSEF HUTSCH Großhansdorf − Im Herbst 1993 nahm Carl-Dietrich Felber das Heft selbst in die Hand. Damals registrierte der pensionierte Ingenieur aus Großhansdorf (Kreis Stormarn) den sprunghaften Anstieg von Einbrüchen im Ort − bis zu 25 im Monat. Zudem klagten Großhansdorfer über agressives Betteln an ihren Haustüren und über aufgebrochene Autos; ältere Menschen fühlten sich auf der Straße bedroht. Die Täter: meist Drogenabhängige aus der Hamburger Szene, die sich im wohlhabenden Vorort Geld für den nächsten Schuss besorgten, professionelle Einbrecher, organisierte Banden. „Das subjektive Sicherheitsempfinden war auf dem Tiefpunkt“, sagt Felber. Er gründete die Bürgerinitiative „Mehr Sicherheit in Großhansdorf“. Heute streifen 150 Mitglieder des Vereins, mit Taschenlampen und Handys ausgerüstet, gruppenweise Tag und Nacht durch das Dorf. Sie organisieren, dass die Briefkästen verreister Nachbarn geleert und ihre Rasen gemäht werden. Sobald die Streifen etwas Verdächtiges beobachten, alarmieren sie die Polizei. „Die Zahl der Einbrüche ist auch durch unsere Arbeit auf einen Jahresdurchschnitt von 25 gesunken“, berichtet Felber. „Ich wünsche mir, dass ‚Innere Sicherheit‘ von der Politik als Bürgersorge wahrgenommen wird.“ Schaut er in die Wahlprogramme der Parteien, sucht er vergebens Aussagen zu seinem Engagement. Lediglich die SPD verwendet schwammig den Begriff der „Nachbarschaftshilfe“ im Kampf gegen Kriminalität. Keine Erklärung, wie diese Hilfe aussehen soll. Die CDU schreibt das Thema „Innere Sicherheit“ in ihrem Wahlprogramm groß. Grüne betonen demokratische Freiheitsrechte und sitzen damit fast in einem Boot mit der FDP. Auch die SPD bekennt sich zu einer „liberalen Innen- und Justizpolitik“, deren Schwerpunkt in der Vorbeugung liege. Rot, Gelb und Grün setzt besonders auf so genannte „Räte für Kriminalitätsverhütung“ und „Sicherheitspartnerschaften“. Sie sollen Konzepte entwickeln und umsetzen, die der Gewalt-, Drogen- und Jugendkriminalität vorbeugen. Vom Bürgermeister über Carl-Dietrich Felber von der Bürgerinitiative „Mehr Sicherheit in Großhansdorf“ wünscht sich, dass die Parteien die Bürgersorge ernst nehmen. Der Erste Polizeihauptkommissar Rolf Meyer aus Ahrensburg (kl. Foto) sorgt sich um die technische Ausrüstung seiner Kollegen. Fotos: BODIG/SOLCHER Lehrer und Pfarrer bis hin zum Polizisten und Sozialarbeiter können alle mitarbeiten. Zumindest im westlichen Teil des Kreises Stormarn läuft das mit mäßigem Erfolg. „Bei uns ist der Rat nicht mehr so aktiv“, sagt Hauptkommissar Ernst Jenner, Leiter der Polizeistation Trittau. Die Gemeinde hat als einzige zwischen Ahrensburg und Bad Oldesloe einen solchen Rat gebildet. Jenner hat die Grenzen der Ratsarbeit erkannt: „Die Möglichkeiten sind regional stark begrenzt. Dadurch wird keine Jugendkriminalität verhindert oder Ladendiebstahl abgeschafft.“ Ein Polizeiführer formuliert es härter: „In der Realität beschäftigen sich die Räte mehr mit Tempo-30-Zonen als mit allem anderen. Gerade im Hamburger Umland versagt das Konzept, weil Beschaffungskriminalität aus der Drogenszene überschwappt oder organisierte Banden zu Einbrüchen übers Land ziehen.“ Hamburgs überschwappende Kriminalität beschäftigt in Ahrensburg den Ersten Polizeihauptkommissar Rolf Meyer. „Davon sind wir hier stark belastet“, sagt der Leiter der Zentralstation. Vom Oktober bis Mitte Dezember 1999 beschäftigten Meyers Beamte sich vor allem mit Autoaufbrüchen. Die Täter kamen überwiegend aus dem Drogenmilieu. „Mittlerweile haben wir das Problem in den Griff bekommen“, sagt Meyer. Die CDU hat in ihrem Programm den Ausbau „grenzübergreifender Zusammenarbeit“ festgeschrieben. Gemeint sind damit Strategien zur Bekämpfung der organisierten und der Wirtschaftskriminalität. Die Parteien sagen nicht, wie sie gerade im Hamburger Randgebiet die Kriminalität eindämmen wollen. Seit Jahren plagt Meyer und die schleswig-holsteinischen Polizisten eine weitere Sorge: Verlassen sie ihre Streifenwagen, können sie in Gefahrensituationen über das mobile Funkgerät meistens keine Hilfe anfordern. Die Sendeleistung sei zu schwach, beklagt die Polizei seit Jahren. CDU, FDP und SPD wollen die technische Ausstattung der Polizei verbessern. Solche Passagen finden sich allerdings seit Jahren in den Parteiprogrammen. In ihrem aktuellen verspricht die CDU eine „konsequente und erfolgreiche Bekämpfung der Kriminalität“. Das soll vor allem mit einem veränderten Landesverwaltungsgesetz geschehen, das die Polizeibefugnisse regelt. Es soll künftig den Einsatz verdeckter Ermittler, die Rasterfahndung und die Möglichkeit verdachtsunabhängiger Kontrollen ermöglichen. Für ihren all- täglichen Dienst brauchen die Polizisten solche Instrumentarien nicht. „Wir haben genügend Möglichkeiten einzugreifen“, sagen viele von ihnen. Lediglich für den Fall, dass Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) während einer Geiselnahme einen Täter erschießen müssen, um die Geiseln zu retten, wünschen Polizeiführer sich eine deutlichere rechtliche Regelung. Rolf Meyer in Ahrensburg beschäftigt sich mit einer anderen Sache. Der Dienst könne effektiver sein, wenn Schutz- und Kriminalpolizei wie in Niedersachsen oder teilweise in Hamburg vereinigt würden. „Dem Bürger ist es egal, wer einen Vorgang bearbeitet. Uns erleichterte es die Arbeit“, sagt Meyer. Vielleicht steht dieser Gedanke ja in einem der nächsten Wahlprogramme. Morgen: Wirtschaft und Arbeit am Beispiel Kiel Was für eine Wahl ! Alle Welt blickt auf Schleswig-Holstein dpa Kiel − Die Landtagswahl in Schleswig-Holstein stößt auch bei Medien aus dem Ausland auf reges Interesse. Die Landtagspressestelle berichtete am Mittwoch in Kiel, „Entfernungssieger“ sei die „Los Angeles Times“, die einen Korrespondenten angemel- LL det habe. Anfragen und Anmeldungen lägen auch aus Österreich, Dänemark, Frankreich und den Niederlanden vor. Einige Fernsehagenturen würden ihre Berichte darüber hinaus im englischsprachigen Raum verbreiten. Aus Deutschland sei im Bereich der Fernsehmedien nahezu alles vertreten. An öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten wollten außer ARD und ZDF auch NDR, MDR, Bayerisches Fernsehen, Phoenix und Deutsche Welle TV aus dem Landeshaus senden. Von <> Nr. 40 den Privaten seien Sat 1, RTL, Pro 7, ntv, N 24 sowie die Fernsehagenturen Reuters TV, DFA, APTN und AML-Film vertreten. Aus Dänemark wolle TV 2 Danmark ein Team nach Kiel schicken, hieß es. Eine ähnliche Bandbreite findet sich auch beim Seite 7 2 privaten und öffentlich-rechtlichen Hörfunk. Von den Printmedien sei alles vertreten, was Rang und Namen habe, hieß es in einer Mitteilung des Landtags − darunter natürlich auch das Hamburger Abendblatt. Schwarz E-Blau E-Rot E-gelb L
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