WAS MENSCHEN BEWEGT _RONALD MCDONALD - Brand eins

WAS MENSCHEN BEWEGT _RONALD MCDONALD
Erinnerungsstücke des berühmten Clowns Earl Chaney an seine Zeit als Ronald McDonald
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WAS MENSCHEN BEWEGT
Das geheime
Leben
der Ronalds
Weniger Kalorien, mehr Vitamine und Transparenz:
McDonald’s erfindet sich gerade neu.
Nur seine Werbefigur schottet der Konzern ab wie
der Verfassungsschutz seine V-Leute.
Eine Spurensuche.
Text: Thomas Jahn Foto: Anna Bauer
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• Um Ronald McDonald zu sehen, muss ich lügen. Der Frau von
der Werbeagentur erzähle ich am Telefon, dass ich meinen Kindern Ronald zeigen möchte. Ich bin gewarnt worden: Sag nicht,
dass du Journalist bist – sonst legen sie gleich auf! Einen Moment
ist es still in der Leitung, dann sagt die Frau: „Warten Sie einen
Moment.“ Ein paar Minuten später meldet sie sich wieder: „357
Hamilton Avenue am 25. September um 14 Uhr.“
Die Gegend in Brooklyn um die Hamilton Avenue ist unwirtlich. Schrottplätze und Kfz-Werkstätten wechseln sich ab, dazwischen ein Kirchenkerzenladen. Der McDonald’s liegt fast unter
einer Autobahnbrücke, an der Arbeiter die Stahlträger schleifen.
Die Luft ist gelb vom Staub. 165 farbige McDonald’s-Luftballons
baumeln unwirklich im Gegenlicht. Auf den Ballons steht: „Kinder sind Nummer eins bei McDonald’s.“
Heute ist in der Filiale „Wertschätzung-des-Kunden-Tag“. Am
Morgen konnte man bereits das Schminken lernen. Bei einer Tombola gibt es ein Mountain-Bike zu gewinnen. Und von 14 bis 16
Uhr tritt Ronald auf. Er erkennt sofort, dass die Fotografin eine
Fotografin ist. Obwohl sie nur ihre Ferien-Kleinbildkamera herausgenommen hat, um nicht aufzufallen. Okay, wir sind die einzigen
Weißen in dem Laden und die Einzigen ohne Kinder.
Eine Horde Kinder umringt Ronald und schaut fasziniert zu,
wie er drei rote Schaumstoffbällchen verschwinden und hinter
dem Ohr eines Jungen wieder auftauchen lässt. Dann verteilt er
Spielzeug für die richtige Antwort auf Fragen wie: Wie viele Luftballons hängen im McDonald’s? 165. Welche Schuhgröße hat
Ronald? 62. Wie bekommt man einen Elefanten aus einem Volkswagen? Genauso, wie man ihn reinbekommen hat.
Bei amerikanischen Kindern ist er so bekannt wie der
Weihnachtsmann. Kritiker halten ihn für einen Rattenfänger
Ich bewundere Ronald. Er muss die Namen der Kinder behalten,
die Erwachsenen einbeziehen, seinen roten Samsonite-Koffer
bewachen, aus dem die Gören immer wieder Sachen klauen wollen, und die Tricks hinbekommen. Und nun komme ich noch
mit meinem leeren McDonald’s-Tablett und zeige auf den dort
abgebildeten Ronald: „Der sieht aber anders aus.“ Ronald antwortet: „Ja, der ist kleiner.“ – „Bist du gar nicht Ronald?“ – „Natürlich bin ich Ronald.“ – „Kannst du also deine Figur verändern?“
Die Antwort von Ronald geht im Tumult verloren, doch seine
Augen haben einen ironisch-netten Ausdruck.
Eine Kassiererin macht draußen Pause. Von ihr erfahre ich,
dass Ronald ein Schwarzer ist. Das sehe man nicht durch die
weiße Gesichtsmaske, sage ich. „Aber die hatte er noch nicht, als
er reingekommen ist“, sagt die Frau. Die Kinder im Restaurant
machen sich keine Illusionen. „Das ist nicht der Ronald“, sagt die
siebenjährige Ketura. „Der ist im Fernsehen doch viel größer.“
Ronald ist bei amerikanischen Kindern fast so bekannt wie der
Weihnachtsmann. Kritiker halten ihn für einen Rattenfänger: „Er
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verleitet Kinder zu schlechtem Essen und schlechter Gesundheit“,
sagt Geoffrey Giuliano, früher Ronald in Kanada, heute Vegetarier.
Für McDonald’s ist Ronald die zentrale Werbefigur – andere wie
Grimace, Hamburglar oder Mac Tonight wurden in den Hintergrund gedrängt oder abgeschafft. Ronald steht für das Gute bei
McDonald’s. Er spricht in Schulen über den sicheren Umgang mit
Feuer, eröffnet Ronald-McDonald-Kinderheime oder zeigt Zaubertricks in Krankenhäusern. „Ronald verkauft keine Cheeseburger“, sagt Kathryn O’Dell, Executive Director der International
Clown Hall of Fame.
Ronald bleibt das letzte Tabu von McDonald’s.
Top-Manager behaupten allen Ernstes, es gebe nur einen
Seit der Amtsübernahme von Vorstandschef Jim Cantalupo
Anfang 2003 veränderte sich McDonald’s gewaltig. Aufgeschreckt
durch Umsatzeinbrüche, den Dokumentarfilm „Super Size Me“
und Gerichtsklagen von Kunden wegen Fettleibigkeit, arbeiteten
Cantalupo – der im April an Herzversagen starb – und sein Nachfolger Charlie Bell an einem Imagewechsel. Aus der FastfoodKette soll ein Lifestyle-Konzern werden. Das „Super Size“, also
die Option, das Menü mit mehr Fritten und Cola aufzupeppen,
wurde abgeschafft. Auf der Speisekarte finden sich mehr Salat,
Jogurt und „Go-Active“-Mahlzeiten. Larry Light, Chef des globalen Marketings, spricht vom „größten Veränderungsprozess,
den das Unternehmen je durchlaufen hat“.
Die Wende scheint erfolgreich: Besseres Management und
neue Produkte steigerten Umsatz und Gewinn. Der Aktienkurs
verdoppelte sich in den vergangenen 18 Monaten fast. Das traditionell verschwiegene Unternehmen öffnet sich zudem den
Medien. Nur die Identität von Ronald bleibt ein Tabu. Ausführlich
erzählt mir Light stattdessen über das neue Image von Ronald:
Das Maskottchen soll fit sein und über ausgewogene Ernährung
Bescheid wissen. „Ronald erhält neue Kostüme fürs Basketballoder Golfspielen.“ Auch habe man einen neuen Tanz für Ronald
ausgetüftelt: „Do the Ronald“. Light beharrt darauf, dass es nur
einen Ronald gebe. Auf die Frage, wie das denn angehen könne,
antwortet einer der mächtigsten Marketing-Chefs der Welt: „Das
ist Zauberei.“
Ronalds Termine koordinieren regionale Agenturen, bei denen
Restaurantmanager einen Clown für rund 300 Euro pro Auftritt
anfordern können. Ronald ist oft bis zu einem Jahr im Voraus ausgebucht. „Er tritt bei mir zwei- bis dreimal im Jahr auf“, so James
Lewis, der acht McDonald’s in New York als Franchise betreibt.
Warum nicht öfter? „Ronald ist sehr beschäftigt – es gibt ja nur
einen.“ Wie kann ein Ronald mehr als 30 000 Filialen weltweit
betreuen?“ Lewis kontert: „Wie schafft es der Weihnachtsmann,
in der Heiligen Nacht alle Häuser der Welt zu besuchen?“
Auf einer Reise nach Texas habe ich vor kurzem Gail Flower
kennen gelernt. Die 52-Jährige ist Chefredakteurin eines FachBRAND EINS 09/04
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blatts für elektronische Verpackungstechnologie und erzählte eine
lustige Geschichte. Vor fünf Jahren traf sie in einer kirchlichen
Single-Gruppe Lyle. Sie fand den fast gleichaltrigen großen Mann
mit blondem Haar und blauen Augen attraktiv. Die beiden verabredeten sich zum Tennis. Das war ein seltsames Erlebnis, erzählte
Flower: „Lyle traf den Ball ganz ausgezeichnet, irgendwie stolperte
er aber dauernd über seine Füße.“ Merkwürdig fand sie auch,
dass Lyle selbst nach mehreren Treffen immer wieder der Frage
nach seinem Beruf auswich. „Das darf ich nicht sagen.“
Die beiden wurden trotzdem ein Paar. Eines Tages holte Lyle
tief Luft und sagte: „Ich bin Ronald McDonald.“ Flower fing an
zu lachen. „Nein, wirklich, ich bin Ronald McDonald“, stammelte
Lyle. Die beiden trennten sich nach einer Weile. Lyle heiratete
später Flowers beste Freundin. Dazu muss man wissen: Ronald
trägt ein gelbes Kostüm mit weißem Kragen, rot-weißen Ringelstrumpfhosen, gelbe Handschuhe und gigantische rote Halbstiefel mit gelben Schnürsenkeln. Letztere erklären den seltsamen Bewegungsablauf von Lyle. Ich rufe Flowers Freundin an und bitte
auf dem Anrufbeantworter um ein Gespräch mit Lyle. Niemand
ruft zurück. Ich versuche es noch ein paar Mal vergeblich.
Die Fastfood-Kette kennt keinen Spaß, wenn es um den
Betriebsclown geht. Um keinen Preis dürfen die Ronalds dieser
Welt ihre wahre Identität offenbaren. Laut Arbeitsvertrag droht
ihnen andernfalls der Rausschmiss. Selbst wenn Darsteller nicht
mehr bei McDonald’s arbeiten, können gegen Plaudertaschen
Geldstrafen verhängt werden. „Der Job ist begehrt“, sagt Richard
Snowberg, Veranstalter der Clown Camps, dem bekanntesten
Ausbildungsseminar in den USA. McDonald’s bietet eine feste
Anstellung und ein stetes Einkommen, eine seltene Sache bei
Komödianten. Nach zehn Jahren erhalten Ronalds einen goldenen Treuering. Das erzählt mir aber Snowberg nicht. „Wie gut
wird der Job bezahlt?“, frage ich ihn. Snowberg windet sich:
„Ronald ist eine heikle Sache – wir versuchen so gut es geht,
den Wünschen von McDonald’s entgegenzukommen.“
Die Heimlichtuerei von McDonald’s ärgerte Craig Oatten, Polizeichef in Saginaw, Michigan, vor ein paar Jahren gewaltig, als er
sich um einen Autounfall kümmern musste. Einer der Beteiligten
war ein Ronald in voller Montur, der sich wiederholt weigerte,
mit seinem bürgerlichen Namen rauszurücken. Eigentlich ein
Grund, ihn ins Gefängnis zu stecken. Aber weil es keine Verletzten gegeben hatte, ließ ihn Oatten laufen.
Earl Chaney ist redseliger, der Mann redet ohne Punkt und
Komma. Am Telefon erklärt er den Weg zu seinem Zauberladen:
„Einfacher geht es nicht: direkt um die Ecke vom Casino ,Wild
Wild West‘ und beim riesigen Werbeschild für Vasektomie rechts
reinfahren.“ Das Gebäude ist ein hässlicher Betonflachbau. Chaneys „Planet Mirth“ versteckt sich ganz hinten. Gegenüber gibt
es noch einen Zauberladen, aber mit dem ist Chaney spinnefeind.
Las Vegas ist das Mekka der Zauberer, fast 700 soll es geben.
Jeden Tag sitzt Chaney, einer der berühmtesten Clowns der 3
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In Brooklyn bringt ein Ronald Farbe in den grauen Alltag.
Unter der weißen Schminke ist er übrigens schwarz.
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Welt, hinter der Ladentheke, liest Zeitungen und sortiert Plastikdaumen, Spezialspielkarten oder magische Münzen. Unterhaltungskünstler aus der ganzen Welt pilgern zu Planet Mirth.
Chaney ist gerade von einer fünfmonatigen Tournee mit dem
Royal Circus von London durch Asien zurückgekehrt. Der 63Jährige trägt ein Batik-Clown-T-Shirt, Pferdeschwanz, eine goldene
Rolex, Diamantringe und mehrere Goldketten. „Die Juwelen sind
bestimmt 100 000 Dollar wert“, sagt er. Warum in aller Welt trägt
ein Clown so viele Klunker mit sich herum? Chaney ist eine Weile
ruhig – das fällt auf – und sagt: „Weil ich früher beim Zirkus meinen ganzen Besitz unter dem Bett unterbringen musste.“
Chaney hat viel Geld. 20 Jahre lang spielte er den Ronald bei
unzähligen PR-Terminen und in mehr als 60 Werbefilmen. 1982
sprang Chaney als Ronald aus einer sieben Meter großen Sahnetorte, die zum 80. Geburtstag von Raymond Kroc, dem Gründer
von McDonald’s auf einem Jeep angefahren wurde. „Ich war sein
Clown“, sagt Chaney, „er liebte mich bis zum Umfallen.“
Sein Laden ist ein Irrgarten: Hinter der Theke gibt es mehrere
Räume, in die Chaney ausgewählte Besucher führt. Im Halbdunkeln bewundere ich fünf Meter hohe Zirkusplakate, hölzerne Slapsticks (Klatschen) und maßgefertigte Mundstücke mit Haken für
Seilakrobaten. Chaney sprudelt über, erklärt jeden Gegenstand.
Mit sechs Jahren wusste Chaney, dass er Clown werden wollte.
Mit zwölf Jahren haute er von zu Hause in Oklahoma ab.
Chaney ist „Mr. Clown“, in den sechziger und siebziger Jahren
war er Chefclown beim Zirkus Ringling Brothers. Berühmtheiten wie die Popsängerin Cher oder der Schauspieler Jack Lemmon
kamen regelmäßig nach der Vorstellung in seine Umkleidekabine.
„Ich fühlte mich wie ein Star“, sagt Chaney. Einziger Unterschied:
Beim Zirkus verdiente er netto 110 Dollar die Woche und lebte
in einem winzigen Zugabteil. Anfang der Siebziger war Chaney
dieses Leben leid und zog nach Las Vegas.
Viermal war Chaney verheiratet. „Wie viele Kinder?“, frage ich
aus Routine. „Nur die offiziellen oder alle?“, fragt er zurück. Insgesamt neun Kinder: „Ich war lange unterwegs“, entschuldigt er
sich. Die letzte Ehe sei gescheitert, weil seine 29-jährige Frau versucht habe, ihn mit Anti-Gefriermittel zu vergiften. Die vorletzte
Ehe, weil seine damalige Gattin mit einem Jüngeren durchbrannte.
Als sie ihn wegen Körperverletzung anzeigte – laut Chaney aufgehetzt durch den neuen Freund, um an sein Geld zu kommen
– ließ ihn McDonald’s wie eine heiße Kartoffel fallen. Das war
1996. Der Prozess verlief im Sande und kostete Chaney ein kleines Vermögen. „Seitdem ist Funkstille mit McDonald’s. Aber die
Ronalds kommen mich besuchen, wenn sie in der Stadt sind.“
Manchmal kommen mir Zweifel an Chaney. Er erzählt so
viele fantastische Geschichten. So viel kann einfach niemand
erleben. Doch im Ronald-Raum belegt Chaney viele seiner Anekdoten. An der Wand sind Fotos vom Geburtstag des McDonald’sGründers Kroc zu sehen. Insgesamt 18 Ronald-Kostüme besaß
Chaney – vom Ronald-Smoking, für „die Filmpremieren in Hol132
Er ist einer der ganz wenigen, die ausführlich über ihre Karriere als Ronald
reden: Earl Chaney in seinem Zauberladen in Las Vegas.
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lywood“ bis zum Mini-Ronald-Kostüm für seinen Neffen. „Das
war für den Zaubertrick mit der Schrumpfmaschine“, so Chaney.
Auf dem Regal stehen ein halbes Dutzend roter Ronald-Perücken. An der Wand hängen Chaneys Diplome wie der „Miles of
Smiles“-Kurs oder der „Abschluss in Kinderpsychologie“ der
Ronald-McDonald-Universität. Auf dem Tisch stehen zwei goldene Ronald-Trophäen, die nicht nur so aussehen wie die FilmOskars, sondern auch von der gleichen Firma hergestellt werden.
Den einen „Ronnie Award“ erhielt Chaney 1988 für seine Idee,
von jedem Ronald individuelle Foto-Fankarten drucken zu lassen.
„Schließlich sieht nicht jeder Ronald wie der TV-Ronald aus.“
Dann klingelt das Telefon. Sein Sohn Tom ruft an, der in Las
Vegas als Tätowier-Künstler arbeitet. Die Stadtbehörde will Chaneys 23 alte Autos von seinem Grundstück weghaben. „Sie
haben schon zwei abgeschleppt“, ruft Chaney empört in den
Hörer. Die schriftlichen Mahnungen erreichten ihn in Asien nicht.
Also macht die Stadt kurzen Prozess und will in ein paar Tagen
die Sache erledigen. Trotzdem spricht Chaney sechs Stunden mit
mir, ich schreibe einen Block voll, und nebenher redet er auf drei
Kunden pausenlos ein. Chaney lebt in einer anderen Welt. „Im
Grunde genommen bin ich ein Einzelgänger“, sagt er, „der froh
ist, wenn er mit jemanden sprechen kann.“
Erfunden wurde Ronald von dem Werbefachmann Barry Klein
und dem Clown Willard Scott in den sechziger Jahren. Scott gönnt
mir 15 Minuten an einem Dienstag um acht Uhr morgens. Scott
spielte „Bozo the Clown“, eine Kindersendung, die von 1959 bis
1962 in der US-Hauptstadt Washington im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Ein lokaler Franchise-Nehmer von McDonald’s
platzierte auf Kleins Drängen Werbespots in der Show. „Das war
wie eine Hochzeit im Himmel“, sagt Scott. „Die Kombination von
Bozo und Hamburgern war für Kinder unwiderstehlich.“
Als Scott 1962 den Bozo-Job verlor, entwickelten er und Klein
einen eigenen Clown für McDonald’s. Scotts Vorschlag: „Nennen wir ihn Donald McDonald.“ Vielleicht wegen der zu großen
Ähnlichkeit mit Donald Duck änderte McDonald’s den Namen.
1963 produzierte das Unternehmen drei Werbespots mit Scott,
die im Umkreis von Washington ausgestrahlt wurden. Scott sah
anders aus als der heutige Ronald: Auf seiner Nase klemmte ein
Pappbecher, auf seinem Kopf steckte ein Papptablett, aus dem
ein typisches McDonald’s-Menü mit Milchshake herrausragte.
„Ziemlich schräg“, findet Scott heute.
Im ersten Spot konnte Scott im gelb-roten Kostüm so viele
Hamburger auf ein Tablett vor seinem Bauch zaubern, wie er
wollte. Im zweiten Film ging es pädagogischer zu: Ronald gab
einem Jungen drei Gratis-Buletten und warnte ihn davor, mit
Fremden zu sprechen. Im letzten Spot reitet Ronald auf einer
Rakete zum Mond („Die Hamburger sind wirklich nicht von dieser Welt“), um dort einen McDonald’s-Drive-Inn zu entdecken.
Scott wird auf der McDonald’s-Internetseite als erster Ronald
geehrt – übrigens die einzige Andeutung vom Konzern, dass es
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mehr als einen Ronald gibt. Scotts Karriere als Ronald war 1966
zu Ende: Als McDonald’s den Clown landesweit in der Werbung
nutzen wollte, suchten sie sich einen anderen. Schon damals achtete man auf die schlanke Linie: „Mir ist fast das Herz gebrochen“,
sagt Scott. „Aber ich war zu fett.“
Zur gleichen Zeit nahm McDonald’s Kontakt zu Michael
„Coco“ Polakov auf, damals ein bekannter Clown von Ringling
Brothers. Anscheinend trauten die Manager und Werbefachleute
der Komik eines Clowns nicht: Sie boten Coco 50 Dollar – viel
Geld zu der Zeit –, wenn er einen voll besetzten Konferenzsaal
in der McDonald’s-Konzernzentrale in Oak Brook im US-Bundesstaat Illinois innerhalb von 30 Sekunden zum Lachen bringen
könnte. Coco zeigte seinen Klassiker: Er zog an einem kleinen
Faden in seiner Hand, der sein Haar wie bei einem Stromschlag
nach rechts und links aufstellte. Der Saal grölte.
Als fest angestellter Clown Kinder in Schnellrestaurants zu
unterhalten ist ein sonderbarer Job. Aber ein gut bezahlter
Kurze Zeit später meldete sich McDonald’s wieder bei Coco.
Diesmal sollte er einen Darsteller für Ronald aussuchen. Zudem
designte Coco ein Ronald-Kostüm, das weiße Make-up mit dem
roten Mund und die Bozo-Schuhe. „Wie sind Sie auf die Perücke
gekommen?“, frage ich, weil Ronalds Haarfarbe selbst für einen
Clown sehr künstlich ist. Die Idee kam Coco auf dem Nachhauseweg von dem Gespräch mit McDonald’s. Coco ging in eine
Boutique und fragte die Verkäuferin, ob sie nicht alte Schaufensterpuppen hätte. Im Keller fand er nach längerem Suchen das
geeignete Stück: Die feuerrote Haarpracht von Ronald war ursprünglich eine Frauenperücke.
Coco alias Ronald trat im neuen Outfit erstmals 1966 bei der
jährlichen Macy’s Thanksgiving Day Parade in New York auf.
Danach filmte McDonald’s mehrere Werbespots mit ihm. Der
nahm den Nebenjob nicht sonderlich ernst – damals war McDonald’s noch kein großes Unternehmen. Anfragen, nur noch als
Ronald zu arbeiten, lehnte Coco ab. Als sich kurze Zeit später
die Schecks im Wert von 29 000 Dollar in seinem Briefkasten
stapelten, die McDonald’s ihm an Lizenzgebühren für die Werbefilme auszahlte, änderte er seine Meinung – doch da war es
bereits zu spät. Auch sonst erwies sich Coco als wenig geschäftstüchtig. „Wie konnte ich nur unterschreiben, dass ich auf alle
Rechte für das Ronald-Kostüm verzichte?“, ärgert sich der heute
81-Jährige, der in Kentucky lebt. „Ich wäre Millionär.“
Ein ganzer Stab von McDonald’s-Managern fummelt ständig
an der Werbefigur Ronald herum. In den siebziger Jahren verordneten sie Ronald kürzeres Haar, um ihn von Hippies abzusetzen. Vor fünf Jahren heuerte McDonald’s einen Stylisten aus
Los Angeles an, der das Haar von Ronald neu in Wellen legte.
Monatelang grübelten die Experten darüber nach, ob sie die
roten Streifen in den Socken vergrößern sollten. „Die Augen- 3
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brauen sind gerader geworden“, analysiert Coco die Abweichungen von seinem Originalkonzept. „Das Haar ist nicht mehr
so wellig, sondern steht nach oben.“
Nichts wird dem Zufall überlassen, auch die Ronalds sind
straff organisiert. Jedem wird ein Hoheitsgebiet zugewiesen, das
sich in den USA bis auf 64 000 Quadratkilometer ausdehnen
kann. In Großstädten teilen sich mehrere Ronalds die Arbeit.
„Wenn man einmal ein Gebiet hat, behält man es sein Leben
lang“, sagt Jeffrey McMullen, der als Ronald von 1983 bis 1987
Arizona und das südliche Kalifornien bereiste. Die Schätzungen
schwanken, aber weltweit verdienen mindestens 300 Darsteller
ihr Brot als Ronald. Je nach Zahl der Auftritte verdient ein
Ronald jährlich 40 000 bis 50 000 Euro. Die Stars aus den Werbespots sollen bis zu 250 000 Euro kassieren. „Die Lizenzgebühren
eingerechnet, kann man bis zu einer Million Dollar bekommen“,
sagt Chaney.
Was Ronald darf und was er nicht darf, ist genau festgelegt.
Auf keinen Fall darf er zweideutige Witze erzählen
Für die Auftritte von Ronald gibt es detaillierte Vorgaben. Seine
Ansprachen haben oft ein pädagogisches Thema wie „Sprich nicht
mit Fremden“. Die Idee dazu hatte Chaney 1982. Ungefähr alle
zwei Jahre produziert McDonald’s ein neues Ronald-Programm
und packt alles vom Anleitungsvideo bis zum Frage-AntwortKatalog in eine Kiste. Die können sich die regionalen Genossenschaften, in denen die Franchise-Nehmer von mehr als 20 000
Restaurants weltweit organisiert sind, für mehrere tausend Dollar
kaufen. Trotz aller Vorgaben: „Es erfordert ein sehr großes
Geschick, die Aufmerksamkeit von Kindern zu gewinnen“, sagt
Janet Tucker, ehemalige Präsidentin der World Clown Association.
Ein Problem sind Menschen mit Clown-Phobie. Ronalds bekommen beigebracht, sie früh zu erkennen. Zittern, zurückziehen
und wegschauen sind klare Anzeichen für Ronald, Distanz zu halten. „Ob jemandem als Kind von einem Clown Wasser aus einer
Knopfblume ins Gesicht gespritzt wurde“, sagt Clown Aye Jaye,
der in der Konzernzentrale als „National Field Ronald McDonald
Consultant“ arbeitete, „erkenne ich auf 100 Meter.“
Typischerweise bastelt ein Ronald aus Luftballons Tiere und
zeigt kleine Zaubertricks. „Ronald schüttelt Hände, Ronald tritt
nie mit anderen Clowns auf, Ronald ist ein sanfter Clown“, sagt
McMullen. Manche Ronalds haben Dienstwagen, Chauffeure und
Leibwächter, denn „Kinder können Steine werfen, oder Demonstranten können einem in die Quere kommen“, so McMullen.
Maßgeblich geformt wurde das Ronald-Programm von Aye
Jaye und Chaney. Chaney jettete von Las Vegas bis Moskau durch
die Welt, um heimlich Ronalds bei der Arbeit zu beobachten und
zu filmen. Bei der ersten Spionage in Phoenix, Arizona, tuschelten zwei Frauen neben ihm, Ronald sehe aus wie eine Frau. Also
musste der Darsteller seine lockige und zu lange Perücke umfri134
sieren. Ein anderes Mal interviewte Chaney den örtlichen Ronald
in Denver, Colorado. Als der erzählte, im Hauptberuf sei er Landwirt und verkaufe Kühe und Hühner, und nebenher schüttele er
eben „die Hände von den kleinen Bastarden“, so Chaney, flog der
Darsteller in hohem Bogen raus.
Aye Jaye schrieb in den siebziger Jahren die Fibel „Ronald
McDonald and How“, in dem minutiös alles festgehalten ist – von
der Art der Schminke bis zum Umgang mit Kindern. Auf der
Ronald-McDonald-Universität in der Konzernzentrale in Oak
Brook hält McDonald’s regelmäßig Seminare ab. Mit Problemen
kämpfte Ronald anfangs in Japan. Dort bedeutet im traditionellen Kabuki-Theater ein weiß geschminktes Gesicht „Tod“. Auch
in Mexiko hatte Ronald in der ersten Zeit keinen leichten Stand:
Clowns gelten dort als Menschen zweiter Klasse, die man ungestraft herumschubsen darf.
Nicht jeder kann ein Ronald werden. Seine Bewerbung nach
Oak Brook zu schicken ist sinnlos. Regelmäßig erscheinen aber
in Clown-Zeitungen wie »Circus Report« Anzeigen der kalifornischen Agentur CW & Co. mit dem Text: „Clowns gesucht!“
Aus den Bewerbungen sortieren erfahrene Ronalds die Kandidaten nach Talent und Charakterstärke aus und laden zu Vorstellungsgesprächen in die jeweilige Länderzentrale ein. Erfolgreiche
Kandidaten erhalten die Grundausbildung „Ronald You“. Sie
lernen, wie man sich Kindern mit der richtigen Körpersprache
nähert. Tabu sind doppeldeutige Witze. Auch einige Zaubertricks stehen auf der Verbotsliste. Beispielsweise wäre das unter
einigen Clowns beliebte Kunststück, Kindern eine Kragenmanschette umzulegen und dann ein Zauberschwert von hinten
hineinzustoßen, das vorn aus dem unversehrten Kinderhals wieder herausragt, ein schwerer Fehltritt. „Auf keinen Fall darf ein
sexueller Unterton mitschwingen“, sagt Aye Jaye. „Sonst hagelt
es Schadenersatzklagen.“
Ein Ex-Ronald konvertierte zum Vegetarismus, erklärte
McDonald’s den Krieg und verschwand vor zwei Jahren
Einmal im Jahr treffen sich die Ronalds aus der ganzen Welt zum
Beispiel in Belgien oder England. „Wir sind wie eine Bruderschaft“, sagt McMullen. „Wir nehmen das sehr ernst.“ Die Konferenz ist hochgeheim und fand 2004 im kalifornischen Disneyland statt. Dort hielt McDonald’s-Marketingchef Light eine
Ansprache, die einige Ronalds in Aufruhr versetzte. Light stellte
unmissverständlich fest: Die Ronalds müssen abnehmen. Wer
nicht so schlank wie der TV-Ronald wird, muss um seinen Job
fürchten. „Das ist nicht fair“, sagt der ehemalige Ronald-Darsteller Joe Maggard, der bei der Konferenz nicht dabei war, aber zahlreiche Anrufe von Kollegen erhielt. „Ich liebe McDonald’s-Essen
– viele Ronalds sind furchtbar verärgert.“
Für Chaney ist das nichts Neues. Schon immer sei zu dicken
oder zu alten Ronalds nahe gelegt worden aufzuhören: „Fett abBRAND EINS 09/04
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Könnte man Unordnung wegzaubern, sähe es vermutlich anders aus im
Hinterzimmer von Earl Chaneys Magic Shop.
saugen, Diätfarmen – das alles gehört zur Zunft“, sagt Chaney.
Offiziell gibt es allerdings keine Ruhestandsregelung, die Ronalds
sollen selbst die Flinte ins Korn werfen, wenn sie nicht mehr ins
Unternehmensbild passen.
Geoffrey Giuliano war für 18 Monate der Ronald in Toronto.
Aus Abscheu vor dem Job kündigte er. Als er im Fernsehen den
„Marlboro-Mann“ mit Lungenkrebs sah, der für das Nichtrauchen
warb, ging der Vegetarier Giuliano ebenfalls an die Öffentlichkeit.
Nach den Auftritten war er seiner Meinung nach „der Feind Nummer eins“ für McDonald’s.
„Sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im
Jahr bin ich bereit, diesen Goliath zu bekämpfen“, wetterte Giuliano 1997 in einem Interview. Doch heute ist er unauffindbar. Er
änderte seinen Namen in „Jagannatha Dasa“ und eröffnete Ende
der Neunziger einen Hindu-Tempel in Lockport im US-Bundesstaat New York. Seine Jünger gaben Giuliano den Titel „Puripada“, der auf Sanskrit „Diener des Herrn des Universums, zu
dessen Füßen die heilige Stadt Puri liegt“ heißt.
In Lockport war Giuliano nicht beliebt. In einem Gespräch mit
der »Vaishnava News« erzählte Giuliano von Bemerkungen wie
„Kokainhändler, Teufelsanbeter oder Kidnapper“, die er, seine
Frau und ihre vier Kinder sich anhören mussten. Im örtlichen
Schuhladen „Payless Shoes“ erhielt Giuliano Hausverbot, als er
sich weigerte, für seinen Einkauf die Steuern zu zahlen, schließlich
hätte er eine religiöse Institution, das „Spiritual Realization Institute“, gegründet. Seine Heiligkeit Jagannatha Dasa verschwand
vor zwei Jahren von der Bildfläche, als sich herausstellte, dass er
eine CD gefälscht hatte, auf der die Vergiftung des Hare-KrishnaGründers mit dessen letzten Worten belegt werden sollte.
Der 51-Jährige schrieb rund 20 Bücher, die meisten über die
Beatles. Auch als Autor zog sich Giuliano einige Feinde in der Fangemeinde zu. Es drängt sich der Verdacht auf: Der Mann sucht
Ärger. Laut Giuliano änderte McDonald’s nach seiner Kündigung
alle Arbeitsverträge – ehemalige Ronalds dürfen nicht mehr über
ihre Arbeit reden und erhalten Geld, wenn sie sich daran halten.
Der fünfjährige Adrian hat Geburtstag. Ronald packt eine
Fahne aus, auf der „Happy Birthday“ steht. Die stopft Adrian Zug
um Zug in eine verchromte Flasche. Ronald schraubt den Deckel
zu, schwenkt den Behälter, und alle Kinder rufen „Abrakadabra“.
Ronald öffnet die Flasche, und mit einen Knall flattert lilafarbenes Konfetti auf Adrian nieder.
Am Ende der zweistündigen Vorstellung in Brooklyn bin ich
erschöpft vom Zuschauen. Ronald lässt sich zum Abschied mit
Kindern fotografieren. Auch ich gehe hin und frage nach einem
Foto. Und ehrlich: Wie wir beide uns die Arme auf die Schulter
legen und in die Kamera strahlen, bin ich gut gelaunt und aufgekratzt. „Vielen Dank, Ronald“, sage ich. „Nicht der Rede wert“,
sagt er. Ich halte ihm die Hand hin und versuche es ein letztes
Mal: „Wie ist dein richtiger Name?“ – „Ronald“, sagt er und
schaut mich mit einem amüsierten Blick an. „Ich bin Ronald.“
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