Was tun, wenn Patienten Hunde mitbringen? - Filiz Rollidogs eV

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Auf den Hund gekommen
Was tun, wenn Patienten Hunde mitbringen?
Was tun, wenn Patienten Hunde mitbringen? – Die Frage ist nicht lächerlich; es ist gar nicht so selten, dass Patienten
samt Hund in der Praxis erscheinen. Meistens wird man einfach verwundert darum bitten, das Tier draußen anzuleinen.
Aber wie ist die Rechtslage, wenn es sich um einen Blindenführhund oder Behindertenbegleithund handelt?
Wenn Filiz Erfurt zum Arzt oder Zahnarzt geht, hat sie mindestens einen Hund dabei. Sie sitzt im Rollstuhl und ist auf die
Unterstützung ihres Begleithunds angewiesen. Außerdem bildet
die Paraplegikerin Behindertenbegleithunde und Therapiehunde
aus (www.filiz-rollidogs.de). „Mein Hausarzt und mein Zahnarzt
lieben meine Hunde“, erzählt sie. Sogar der Welpe Candas durfte zu Ausbildungszwecken mit ins Sprechzimmer. Hier konnte
er lernen, dass weder die ungewöhnlichen Gerüche noch eine
Impfung bei „Frauchen“ Stress bedeuten. Nicht alle Ärzte und
Zahnärzte haben Verständnis dafür.
© Fotos privat (3)
© Martin Valigursky / shutterstock.com
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Behindertenverbände fordern schon lange, dass es möglich sein
muss, Assistenz- oder Blindenführhunde zumindest in den
Empfangs- oder Wartebereich von Arztpraxen mitzubringen.
Am liebsten natürlich auch in alle übrigen Räume, wenn keine
gesundheitlichen Bedenken bestehen.
„Sozialleistungen müssen barrierefrei erbracht werden“
Auch Hubert Hüppe, der Beauftragte der Bundesregierung für
die Belange behinderter Menschen, setzt sich für den barrierefreien Zutritt von Assistenz- und Blindenführhunden ein. Auf
seiner Homepage (www.behindertenbeauftragter.de) weist er auf
die Rechtsgrundlagen hin: Sozialleistungen müssen [§ 17 Sozialgesetzbuch (SGB) I] barrierefrei erbracht werden. Dazu gehört
auch das Mitnehmen von Assistenz- und Blindenführhunden
in Arztpraxen. Gerade auch unter Berücksichtigung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) darf die Mitnahme
eines Assistenz- oder Blindenführhunds nicht untersagt werden.
Es sei denn, der Mitnahme steht ein rechtfertigender, sachlicher
Grund entgegen: Womit wir bei den Hygienevorschriften wären.
Assistenz- oder Blindenführhunden dürfen auch in Lebensmittelgeschäfte mitgenommen werden, so die zusammenfassende
Einschätzung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV).
Weder Streicheln noch Füttern erlaubt
Welpe Candas lernt die Atmosphäre einer Arztpraxis kennen
DFZ 9 · 2011
Kann es hygienisch unbedenklich sein, wenn sich Hunde und
Patienten in einem Raum aufhalten? Das Bundesministerium
für Gesundheit (BMG) stellt hierzu einerseits fest, dass es keine
praxis
Der Praxishund der Münchner Zahnarztpraxis fungiert auch
mal als „stress breaker“ und Kinderbetreuung
Der Ausweis entscheidet im Zweifelsfall
Rechtsanwältin Ann-Kathrin Fries hat sich auf den Bereich
"Hund und Recht" spezialisiert. Sie ist selbst Hundehalterin und
weiß, dass Blindenführhunde gut ausgebildet und diszipliniert
sind, so im Wartezimmer an ihrem Platz bleiben und nicht überall ihre Speichelspuren hinterlassen. Ob es sich bei einem Hund
tatsächlich um einen Blindenführhund handelt, entscheidet im
Zweifelsfall übrigens der Ausweis: Zur Legitimation gibt es einen
Blindenführhundausweis, der in Verbindung mit dem Schwerbehindertenausweis des Führhundhalters gültig ist.
Die Rechtsanwältin weist darauf hin, dass der Zahnarzt mehrere Rechtsgüter abwägen muss: das Recht des Behinderten auf
Mobilität und Barrierefreiheit einerseits, andererseits die für
Zahnarztpraxen geltenden Hygienevorschriften. „Natürlich hat
er in seiner Praxis das Hausrecht“, erinnert sie.
Ruth Auschra,
Freie Journalistin
Rechtsanwältin Ann-Kathrin Fries
KOMMENTAR
ausdrückliche gesundheitsrechtliche Regelung gibt, die Patienten das Mitführen von Assistenzhunden in Krankenhäusern
oder Arztpraxen gestattet. Ein Gutachten der Freien Universität Berlin erklärt jedoch: „Wir haben aus hygienischer Sicht in
der Regel keine Einwände gegen die Mitnahme von Blindenhunden in Praxis- und Krankenhausräume“. Diese Einschätzung gilt allerdings nur für speziell ausgebildete, gesunde und
gepflegte Führungshunde, bezieht sich nur auf die öffentlich
zugänglichen Bereiche der Gesundheitseinrichtungen und gilt
nur dann, wenn keine immunsupprimierten Patienten beeinträchtigt werden könnten. Das Personal darf die Hunde weder
streicheln noch füttern.
Hundefreundliche Zahnarztpraxis
In Tierhalterkreisen ist eine Münchner Zahnarztpraxis
(www.zahnaesthetik-mueller.de) bekannt geworden:
Dort stehen für die wartenden Vierbeiner sogar Wasserschalen und Leckerlis bereit. Hygieneprobleme sieht man
dort nicht: „Das Behandlungszimmer und der gesamte
Behandlungsbereich sind für Tiere zu 100 Prozent tabu“,
so die Betreiber der Praxis.
In der Praxis besteht eine deutliche bauliche Trennung
zwischen Wartebereich und Behandlungsbereich. Im Wartebereich gibt es wiederum ein Extraplätzchen für die Hunde.
Außerdem bekommen Hundebesitzer zur Sicherheit immer
den letzten Termin zum Sprechstundenende, sodass keine weiteren wartenden Patienten gestört werden können.
Ärger mit den Vierbeinern hat es hier noch nie gegeben.
Aber in einer Münchner Hundezeitschrift wurde die Praxis
kürzlich als vorbildlich vorgestellt: Und das ist sicher auch
unter Marketing-Gesichtspunkten nicht uninteressant!
ra
DFZ 9 · 2011
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