Was spielen wir morgen? Hasenland Reihaneh Youzbashi Dizaji Theaterpädagogisches Begleitmaterial Liebe Lehrerinnen und Lehrer, „ Ich liebe andere Dinge“ Haben Sie sich schon einmal gefragt, was der türkische Junge über seinen Vater denkt, der kein Deutsch kann? Was das Mädchen denkt, dessen Eltern nur im Biomarkt einkaufen? Haben Sie die Kinder schon einmal gefragt, was sie davon halten? Hasenland stellt genau diese Fragen und geht sogar noch weiter: Wie kann ich für einen Moment nicht dieses Kind sein, sondern ein Kind, das „normal“ ist? Ganz einfach: Man nehme zwei Papiertüten, eine Schere, etwas Tesafilm und einen guten Freund, der den selben Wunsch hat. So erfinden Sara und Ayhan ihr Hasenland, ein Land, in dem nur die Freundschaft zählt und es keine Vorurteile gibt. Als Sara mit ihren Eltern umziehen muss, lernen die Beiden, dass das Hasenland viel größer ist, als anfangs gedacht. Egal wo man ist, egal wohin man geht, es gibt immer einen Hasen. Denn Menschen, die ohne Vorurteile leben möchten, findet man überall, und oft werden aus ihnen gute Freunde, man muss es nur zulassen und über seinen eigenen Schatten springen. Joerg Bitterich hat dieses Stück der Nachwuchsautorin Reihaneh Youzbashi Dizaji als Klassenzimmerstück inszeniert. Mit zwei Schulbänken, zwei Schauspielern und einer Handvoll Requisiten nimmt er die Schüler aus ihrem Alltag heraus und führt Sie in eine Theaterwelt, in der sie oft alles um sich herum vergessen. Wir freuen uns, dass Sie mit Ihrer Klasse den Schritt ins Hasenland wagen und vielleicht selbst zum Hasen werden. Um mit Ihrer Klasse diese Inszenierung besser bearbeiten zu können, soll dieses Begleitmaterial eine Hilfestellung sein. Gerne können Sie uns auch kontaktieren, Fragen stellen, oder eine kostenlose Vor– oder Nachbereitung durch die Theaterpädagogik für Ihre Klasse buchen. Ramona Parino Catharina Guth Leitende Theaterpädagogin Theaterpädagogin Theaterpädagogisches Begleitmaterial 2 Inhalt Hasenland - Das Stück Seite 04 Spielpraktische Übungen Einführung 05 Warm - Up 06 Gruppenübung 07 Partnerübung 08 Fragen zur Inszenierung 09 Die Autorin 10 Der Regisseur 11 Das Ensemble 12 Interview mit dem Regisseur Joerg Bitterich 13 Sarma - Ein Ensemble lernt kochen 14 Schülermeinung 16 Integration - Wie ich es erlebe 17 Themenverwandte Artikel Türken sind die Sorgenkinder der Integration 19 Kinder und Jugendliche sind ihren Eltern ein Vorbild 22 Leben mit Rassismus 24 Quellen 25 Impressum 26 Theaterpädagogisches Begleitmaterial 3 Das Stück Sara und Ayhan haben vieles gemeinsam: Sie wollen beide nach der Schule nicht nach Hause gehen. Ayhan hasst es, dass sein Vater nur Türkisch spricht, seine Mutter ein Kopftuch trägt und er immer auf seine kleinen Geschwister aufpassen muss. Sara hasst es dagegen, Einzelkind in einem „Öko“-Haushalt zu sein, und dass ihre Eltern sich ständig streiten. Also spielen beide, dass sie Hasenfreunde aus Hasenland sind, wo es keine kulturellen Unterschiede gibt und die Eltern nicht alles bestimmen. Hasenland ist ein Stück der jungen Deutsch-Iranerin Reihaneh Youzbashi Dizaji, deren Stück Stuttgart. Teheran. Dialog dieses Jahr auf dem Heidelberger Stückemarkt präsentiert wurde. In kindlichen und zugleich kunstvoll verschachtelten Dialogen behandelt es spielerisch die Schwierigkeiten des Aufwachsens im eigenen Zuhause und im Miteinander verschiedener Kulturen. Theaterpädagogisches Begleitmaterial 4 Spielpraktische Übungen Im folgenden Teil finden Sie einige Übungsvorschläge, die Sie zur praktischen Vor- und Nachbereitung des Vorstellungsbesuches verwenden können. So können Sie Ihren Schülern einen weiteren Blickwinkel auf das Stück und seine Figuren ermöglichen. Es empfiehlt sich, zunächst eine Warm-Up-Übung zu machen, um die Schüler aus dem alltäglichen Schulleben herauszulösen und Verletzungen vorzubeugen. Außerdem schaffen diese Übungen eine offene Atmosphäre, die den Einstieg ins Spiel sehr erleichtern. Am Ende einer spielerischen Einheit sollten Sie mit Ihren Schülern die gesammelten Eindrücke besprechen. Hierbei ist zu beachten, dass Empfindungen jeder Art subjektiv sind, und es daher keine richtigen oder falschen, sondern lediglich unterschiedliche Erfahrungen gibt. In der Partnerübung werden Sie den Begriff „Publikumssituation - finden. Um diese herzustellen, platzieren Sie die Klasse auf einer Seite des Raumes und etablieren auf der anderen Seite eine Spielfläche, die im weiteren Verlauf als Bühne dient. Theaterpädagogisches Begleitmaterial 5 Warm - Up Lass dich nicht vom Zauberfuchs erwischen! Themengebiet: Aufmerksamkeit, Reaktion, Wahrnehmung Ziel: Einfindung in die praktische Arbeit Dauer: 10 Minuten Der Spielleiter bestimmt einen Zauberfuchs, der die Aufgaben hat, alle Hasen so zu verzaubern, dass sie nur noch rückwärts hüpfen. Während der Fuchs im aufrechten Gang umher schleicht, hüpfen die übrigen Spieler als Hasen durch den Raum. Wenn der Fuchs einen Hasen mit der Pfote berührt hat, muss dieser Hase von nun an rückwärts hüpfen. Treffen zwei rückwärts hüpfende Hasen Rücken an Rücken aufeinander, wird der Zauber gebrochen und sie dürfen wieder vorwärts hüpfen. Wichtig: Halten Sie die Spieler zu einem gemäßigten Tempo an, sodass keiner der Hasen verletzt wird. Um einen übermäßig großen Lautstärkepegel zu vermeiden, können Sie dem Zauberfuchs die Aufgabe geben, besonders die Hasen zu verzaubern, die Laute von sich geben. Theaterpädagogisches Begleitmaterial 6 Gruppenübung Assoziationskreis Themengebiet: Konzentration, Aufmerksamkeit Ziel: Vorbereitung auf die Partnerübung Dauer: 10 – 15 Minuten Die Spieler stehen mit dem Spielleiter im Kreis. Der Spielleiter beginnt mit einem Wort, z.B. „Grün“. Der Spieler neben ihm sagt direkt im Anschluss ein Wort, dass ihm dazu einfällt, z.B. „Gras“. Der nächste Spieler nennt ein Wort, das ihm zu „Gras“ einfällt. Wichtig: Achten Sie darauf, dass die Spieler immer nur zum direkt vorangegangenen Wort assoziieren. Lassen Sie die Gruppe darauf achten, dass kein Wort zweimal genannt wird. Sollte einem Spieler nichts einfallen, unterstützen Sie ihn mit Fragen wie „Was stellst du dir vor, wenn du an … denkst?“ Halten Sie die Spieler dazu an, einander zuzuhören und nicht zu sprechen, während ein anderer Spieler an der Reihe ist. Achten Sie darauf, dass die Spieler sich die Worte nicht gegenseitig zuflüstern. Theaterpädagogisches Begleitmaterial 7 Partnerübung Ich liebe... Ich hasse... Ich Hase... Themengebiet: Konzentration, Bühnenpräsenz, Kreativität Ziel: Ausprobieren eines Stückelementes Dauer: 15 - 20 Minuten Die Gruppe teilt sich paarweise auf. Aufgabe ist nun zunächst, immer im Wechsel etwas zu sagen, was man liebt, wobei darauf zu achten ist, dass dem jeweiligen Begriff immer die Worte „Ich liebe“ vorausgehen. Wer lacht, zu lange nachdenkt, oder die Abfolge durch eine Frage unterbricht, verliert die Runde. Nach einigen Minuten gibt der Spielleiter den Wechsel zu „Ich hasse...“ an, die Übung läuft dann weiter wie zuvor. Der dritte Teil kann optional dazu genommen werden. Hier werden mit „Ich Hase…“ Begriffe gesucht, die man mit ins Hasenland nehmen möchte. Im Anschluss lässt der Spielleiter eine Publikumssituation herstellen. Nun werden die Paare nacheinander auf die Bühne gebeten, um die Übung vor Publikum vorzustellen. Wenn einer der Spieler auf der Bühne lacht, zu lange nachdenkt oder die Abfolge durch eine Frage unterbricht, wird das Paar vom Publikum mit einem lauten Buzzergeräusch von der Bühne gerufen. Wichtig: Die Spieler sollten die Übung als Spiel wahrnehmen, und besonders die Begriffe von „Ich hasse…“ nach Beendigung der Übung nicht auf sich persönlich beziehen. Achten Sie darauf, dass im Publikum nicht gesprochen wird, während ein Paar auf der Bühne steht. Theaterpädagogisches Begleitmaterial 8 Fragen zur Inszenierung Was macht das Hasenland zu einem besonderen Land? Was nimmst du mit ins Hasenland? Wie lange kennen sich Sara und Ayhan schon? Warum versteht Hamid das Spiel am Anfang nicht? Wie gut kennst du Kinder aus anderen Ländern? Welches Essen magst du überhaupt nicht, musst es aber zu Hause oft essen? Hast du schon einmal etwas über ein anderes Kind gedacht und dann herausgefunden, dass du falsch lagst? Wenn ja was? Warum wirkt Sara am Ende nicht traurig, als sie sieht, dass Ayhan mit einem anderen Hasen spielt? Was stört dich an deinem Zuhause? Theaterpädagogisches Begleitmaterial 9 Die Autorin Reihaneh Youzbashi Dizaji wurde am 3. Juni 1983 in Täbriz/Iran geboren. Mit acht Jahren flüchtete sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Nach ihrem Studium als Schauspielerin lebt und arbeitet sie nun in Berlin. Ihre Erfahrungen am Theater beschränken sich jedoch nicht nur auf das Schauspiel; auch die intensive, pädagogische Arbeit mit Jugendlichen prägte sie in den ersten Jahren in Berlin stark. Durch die Idee zum Dokumentarfilm Mein Paradies angeregt, reiste die Autorin nach langer Abwesenheit in den Iran. Die Reise wurde auch zum Auslöser ihres ersten Theaterstückes Stuttgart.Teheran. Theaterpädagogisches Begleitmaterial 10 Der Regisseur Joerg Bitterich wurde in Stuttgart geboren. Er absolvierte seine Schauspielausbildung in Mainz und war anschließend fest an der Landesbühne Wilhelmshaven und am Theater Paderborn engagiert. Seit 2002 arbeitet er als Regisseur und inszenierte dabei am Staatstheater Braunschweig, an den Theatern Trier, Bamberg und Paderborn, am Landestheater Neuss und anderen. Seit der Spielzeit 2012.2013 ist er künstlerischer Leiter der Kinder– und Jugendtheatersparte an der Badischen Landesbühne Bruchsal. Hier inszenierte er in der Vergangenheit bereits erfolgreich die Stücke Schwarze Milch oder Klassenfahrt nach Auschwitz, Pippi Langstrumpf, Good morning, boys and girls sowie Der Herr der Diebe. Theaterpädagogisches Begleitmaterial 11 Das Ensemble Charlotte Saphire Alten wurde 1983 in Berlin geboren und war seit ihrem zwölften Lebensjahr an verschiedenen Theater- und Filmproduktionen beteiligt. Ihr Schauspielstudium absolvierte sie 2005 bis 2008 an der Hochschule der Künste in Bern und erwarb 2008 bis 2010 ihren Master of Arts in Theater an der Zürcher Hochschule der Künste. Seit Beginn der Spielzeit 2011.2012 gehört Charlotte Saphire Alten zum festen Ensemble des Kinder– und Jugendtheaters der Badischen Landesbühne. Frederik Kienle wurde 1981 in Nürtingen, Baden-Württemberg geboren und verbrachte seine Jugend in Rottweil, wo er auch sein Abitur machte. Seine Schauspielausbildung absolvierte er in den Jahren 2005 bis 2009 in der „Schule des Theaters im Theater der Keller“ in Köln. Erste Bühnenerfahrungen sammelte er in Köln und an den Wuppertaler Bühnen. Seit der Spielzeit 2012.2013 gehört Frederik Kienle zum festen Ensemble des Kinder- und Jugendtheaters der Badischen Landesbühne. Theaterpädagogisches Begleitmaterial 12 Interview mit dem Regisseur Joerg Bitterich In „Hasenland“ treffen völlig unterschiedliche Kinder aufeinander und erfinden sich eine Welt, in der sie ohne Vorurteile zusammenleben können. Halten Sie eine solche Welt für realisierbar? Für mich ist das eine Utopie, nach deren Verwirklichung wir alle streben sollten. Was würden Sie ins Hasenland mitnehmen? Einen lieben Freund, ein gutes Buch und ein Lämpchen. Die Autorin Reihaneh Youzbashi Dizaji hat in der Originalfassung einen alternativen Schluss angeboten, weil „Hamid“ ein arabischer Junge ist und die Beziehung zwischen Türken und Arabern historisch sehr vorbelastet ist. Warum haben Sie sich für das Ende mit „Hamid“ entschieden, und spielt die historische Vorbelastung für Ihre Inszenierung eine Rolle? Nein, das spielt für mich gar keine Rolle. Hamid kann auch ein Schweizer, Russe oder Nordfriese sein. Er taucht auf, um zu zeigen, wie sich Ayhan durch die Begegnung mit Sara verändert hat, dass er nun leichter in der Lage ist, sich zu öffnen und eine Freundschaft einzugehen. Auf welche Probleme sind Sie mit Ihrem Ensemble während der Produktion gestoßen? Reihanehs Text ist sehr konzentriert und auf das Wesentliche reduziert und lässt damit viel Raum für eigene Phantasien zu Geschichte und Figuren - das war aber kein Problem, sondern eine schöne Herausforderung. Eine weitere Herausforderung für uns alle war, eine Ästhetik und eine Spielweise zu finden, die zum Stück als auch zum Klassenzimmer als Theaterraum passt. Was würden Sie einem Lehrer sagen, der noch skeptisch ist, ob er „Hasenland“ für seine Klasse buchen soll? Wenn Heimat und Fremde, Familie und Freundschaft, interkulturelle Beziehungen und Integration in Ihrer Klasse Thema sind, vielleicht Konflikte hervorrufen, haben Sie mit Hasenland die Möglichkeit, spielerisch mit Ihren Schülern ins Gespräch darüber zu kommen. Herr Bitterich, Herzlichen Dank für das Interview und Toi-Toi-Toi für die bevorstehende Premiere! Warum beschränkt sich Ihr Bühnenbild auf zwei Schulbänke? Wir spielen Hasenland im Klassenzimmer und haben uns die Aufgabe gestellt, fürs Bühnenbild nur Dinge zu benutzen, die dort auch vorkommen - quasi unsere Version von "Dogma 95", nur ohne verwackelte Kamera.. Theaterpädagogisches Begleitmaterial 13 Sarma - Ein Ensemble lernt kochen An einem kalten Abend im vergangenen Januar traf sich das Ensemble von „Hasenland“ erstmals zur Probe. Der Regisseur stellte sein Konzept zur Inszenierung vor, der Text wurde in verteilten Rollen gelesen. Auf einigen Seiten fiel immer wieder das Wort „Sarma“, und aus dem Zusammenhang wurde erkennbar, dass es sich hierbei um etwas zu Essen handeln musste, etwas, das man wohl mit Joghurt essen sollte. Aber was genau war eigentlich dieses Sarma? Google half, mit der Erklärung, dass es sich hierbei um gefüllte Weinblätter handelte, eine Spezialität aus der türkischen Küche. Doch irgendwie war das nicht genug. Wir Menschen vom Theater wollen ja schließlich immer möglichst viel über das wissen, das wir mit unseren Stücken behandeln. Mit Unterstützung des Integrationsbüros Bruchsal gelang es uns, einen kleinen Kochkurs bei Frau Catakli zu ergattern. Frau Catakli führt einen kleinen aber sehr feinen Partyservice, von dessen Speisen wir auch schon bei anderen Gelegenheiten kosten durften. Sie freute sich sehr, als wir uns bei ihr meldeten und sie um Hilfe baten, allerdings waren wir doch recht erstaunt, als sie uns fragte, ob 1kg genug sei, das wären dann etwa 100 Stück. 100 gefüllte Weinblätter, wer sollte das alles essen? Später sollten wir diesen Frage noch fast verfluchen, denn wir mussten lernen, dass man einfach nicht aufhören kann, davon zu essen. An einem Dienstagmorgen war es dann schließlich soweit. Das Ensemble stand gespannt im Haus der Begegnung Bruchsal. Wir wurden von einer etwas älteren Frau mit Kopftuch herzlich begrüßt, die sich besonders über den männlichen Teil unseres Ensembles freute. Frau Catakli erklärte uns die Zutaten, die es nun benötigte: Weinblätter, Reis, Zwiebeln, Pfefferminze und einige weitere Gewürze. Die Reismasse war schnell zubereitet und so begannen wir, unsere Wickelkünste zu beweisen. Etwas einrollen, kein Problem. Daran zu denken, die Seiten einzuklappen, damit die Füllung auch drin bleibt, auch kein Problem. Die Füllung richtig zu dosieren fiel da schon schwerer, aber die Weinblätter tatsächlich richtig fest zu wickeln, damit sie beim Kochen nicht wieder aufgehen, bereitete uns richtig Probleme. Viele Weinblätter später und mit der Hilfe von Frau Catakli, die uns jeden Schritt mit einer Engelsgeduld auch mehrmals erklärte, hatten wir dann tatsächlich bald einen großen Topf voll Sarma fertig. Dieser landete mit einigen Scheiben Zitronen auf dem Herd. Deckel drauf und eine halbe Stunde warten war die Ansage. Also warteten wir, erfuhren noch Theaterpädagogisches Begleitmaterial 14 mehr über Rezeptvarianten, schlichen um den Topf, spickten unter den Deckel, unterhielten uns weiter, hielten die Nase nochmal unter den Deckel… Als die halbe Stunde endlich vorbei war, schnappten wir gleich ein paar doch noch sehr heiße Weinblätter aus dem Topf. Und dann wieder welche, und wieder welche… Auch wenn uns Frau Catakli recht amüsiert darauf hinwies, dass Sarma am besten schmeckt, wenn es eine Stunde gestanden hat und nur noch lauwarm ist, wir konnten einfach nicht aufhören zu essen. Tatsächlich haben wir an dem einen Kilo zwar zwei Tage gegessen, aber schon am dritten Tag regte sich wieder der Appetit. mit einer tollen Frau ins Gespräch kamen, die, wie wir feststellten, zwar ihre ganz eigene, charmante Art hat, mit der deutschen Sprache umzugehen, die aber dennoch viel mehr Bruchsalerin ist, als unser ganzes Ensemble. Wir haben uns wahnsinnig gefreut, diesen Einblick in die türkische Küche mit ihr erfahren zu dürfen, und können die nächste Gelegenheit kaum abwarten, bei der wir wieder etwas aus ihrer Küche genießen dürfen. Wir danken Frau Catakli für diesen fantastischen Kochkurs, in dem wir Theaterpädagogisches Begleitmaterial 15 Schülermeinungen Das Theaterstück „Hasenland“ handelt von den beiden Kindern Sara und Ayhan, die nach der Schule miteinander spielen. Sie denken sich ein Spiel aus, in dem sie preisgeben, was sie hassen und was sie lieben, wobei man erfährt, wie unwohl sich die beiden zu Hause fühlen. Durch dieses Spiel werden die beiden nach und nach Freunde und schlüpfen in andere Identitäten. Sie bezeichnen sich selbst als Hasen und stellen sich vor, sie leben im Hasenland und entkommen so der Realität und ihren Familien. Doch eines Tages zieht Sara mit ihrer Familie nach Berlin und lässt den traurigen Ayhan zurück. Ich finde das Stück sehr schön, da es das kindliche Denken der Hauptcharaktere in realistische Worte packt. Es ist schön die Kinder zu beobachten, wie sie sich Spiele ausdenken, sich annähern und so vor der Realität flüchten. Die Dialoge sind an vielen Stellen sehr lustig verfasst, sodass Kinder mit Sicherheit viel Spaß an dem Stück haben. Auch ist die Handlung leicht verständlich, abwechslungsreich und humorvoll gestaltet, um zu verhindern, dass den Kindern beim Zuschauen langweilig wird. Doch es steckt viel mehr in dem Theaterstück, als die kleinen Spielchen, die sich die Charaktere ausdenken. Ayhan und Sara entdecken ihre Gemeinsamkeit, wie unwohl sie sich zu Hause fühlen, und haben somit jemanden, der sie versteht. Ob 8-jährige Kinder diese Zusammenhänge schon verstehen, ist für mich fraglich, doch glaube ich auch, dass Kinder oft unterschätzt werden und sie mit Sicherheit viel aus dem Stück mitnehmen können. Niclas O‘ Donnokoé, 14 Jahre Theaterpädagogisches Begleitmaterial 16 Integration - Wie ich es erlebe Von Madita Hombach (16 Jahre) In meiner Gegend gibt es wie sonst überall auch Migranten, jedoch sehe ich dort nicht so eine starke Abgrenzung, wie man sie in Großstädten beobachten kann, wo es oft Viertel gibt, in denen überwiegend oder sogar nur Migranten leben. Auch an meiner Schule gibt es eher wenige Migranten und die meisten von ihnen sind schon seit mehreren Generationen in Deutschland, wodurch man ihre ausländische Herkunft nicht an Merkmalen wie zum Beispiel dem Akzent feststellen kann. Überwiegend stammen sie aus östlichen Ländern wie zum Beispiel Russland und Polen und weniger aus südlichen Ländern. Ich stelle bei keinem von diesen Schülern Integrationsprobleme, die durch ihre Herkunft beeinflusst sind, fest. Auch bei den Schülern, die selbst in einem anderen Land geboren wurden oder die erste Generation ihrer Familie sind, die hier in Deutschland aufgewachsen ist, sind keine Integrationsprobleme festzustellen. In meinem Wohnort kann man schon eher beobachten, dass die „Ausländer“ meist nicht so stark in der Gemeinde integriert sind. Jedoch grenzen sie sich auch nicht von uns Deutschen ab. Vor allem die Leute in meinem Alter haben sich gut integriert und haben einen bunt gemischten Freundeskreis im Bezug auf die verschiedenen Kulturen und Herkünfte. Weniger integriert haben sich dagegen die Eltern, vor allem die Mütter, da sie in den meisten Familien für den Haushalt zuständig sind und nicht arbeiten gehen und sich somit eher weniger in der Öffentlichkeit zeigen. Der Freundeskreis der Eltern ist meist auch kleiner als bei ihren Kindern und besteht zum größten Teil aus Familien mit ähnlichen Kulturen. Bei einigen Familien aus meinem Wohnort lebt auch ein Großteil der Verwandten im näheren Umkreis, wodurch sie auch oft etwas mit ihnen unternehmen. Auch das Tragen des Kopftuches ist nicht stark verbreitet, wodurch kaum Konflikte mit der Ursache des Kopftuches entstehen. Jedoch sehe ich, wenn ich in einer größeren Stadt unterwegs bin, immer mal wieder Mädchen und Frauen mit Kopftüchern. Was sich dabei beobachten lässt, ist, dass diese meist mit weiteren Mädchen beziehungsweise Frauen unterwegs sind, die ebenfalls Kopftücher Theaterpädagogisches Begleitmaterial 17 tragen. Ob das Kopftuch bei ihnen ein Integrationsproblem ist, kann ich alleine aus dieser Beobachtung nicht schließen, aber wenn man genauer hinsieht, merkt man, dass sie von vielen Menschen, an denen sie vorbeikommen, eher skeptisch angeschaut werden. Vermutlich schweben diesen Menschen in dem Moment viele Vorurteile durch den Kopf, die ein alltägliches Problem für Menschen mit ausländischer Herkunft darstellen. Wobei ein großer Teil der Vorurteile total übertrieben oder gar falsch sind. Im Großen und Ganzen finde ich, dass gerade in meiner Gegend eher weniger misslungene Integration aufgrund der Herkunft zu beobachten ist, da es im Vergleich zu Großstädten weniger Familien mit Migrationshintergrund gibt. Dagegen kann man eher Integrationsprobleme bei Menschen feststellen, die eine Behinderung haben, anders aussehen, als es dem Idealwert vieler entspricht, oder ein anderes Verhalten aufweisen. Gerade bei Menschen mit einer Behinderung kommt es oft vor, dass sie gemieden werden, da andere Angst vor ihnen haben und sie gruselig finden. Diese Angst kommt meist daher, dass sie nicht wissen, wie sie mit Behinderten umgehen sollen. Das wird dadurch begründet, dass viele Menschen mit Behinderung etwas abseits von den Orten in Wohnheimen leben und somit viele den Umgang mit ihnen im Alltag nicht lernen. Bei Menschen mit einem Aussehen oder Verhalten, das nicht dem Idealwert entspricht, liegt die Ausgrenzung nicht an der Unwissenheit der anderen, sondern daran, dass wir uns oft mit anderen zusammentun, die uns ähnlich sind. Auch hier spielen Vorurteile eine große Rolle. So passiert es, dass zum Beispiel jemand mit einer Glatze und Piercings vielen Menschen eher unsympathisch ist und schneller als Gangster abgewertet wird. Zusammenfassend kann man sagen, dass Integrationsprobleme durch unterschiedliche Faktoren entstehen können, wie zum Beispiel Umgebung, Unwissenheit der anderen oder Vorurteile. Denn je nachdem, wo man als Migrant wohnt, können Vorurteile weniger verbreitet sein. Damit einem eine gute Integration gelingt, muss man nicht nur selbst etwas dafür tun, sondern auch die Menschen im Umfeld tragen dazu bei. Wird man von Anfang an abgelehnt, ist es sehr schwierig auf sich aufmerksam zu machen und Anerkennung zu bekommen. Am Besten ist es, offen auf andere zuzugehen, um anfängliche Differenzen so schnell wie möglich zu beseitigen. Theaterpädagogisches Begleitmaterial 18 Türken sind die Sorgenkinder der Integration 6,8 Millionen Ausländer leben in Deutschland, und das Gros von ihnen ist einer neuen Studie zufolge gut integriert. Doch die Türken tun sich schwer. Jeder fünfte Türke spricht Deutsch nur mangelhaft – oder gar nicht. Das hat Folgen für Schulbildung, soziale Stellung und Erwerbsfähigkeit. Von C. Lauer, D. Siems und D. Ehrentraut Was ist eigentlich mit den Türken los? Unter den fünf größten in Deutschland lebenden Ausländergruppen tun sie sich mit der Integration in die deutsche Gesellschaft und den hiesigen Arbeitsmarkt am schwersten. Mit Polen, Griechen, Italienern und – mit einigen Abstrichen – auch mit den Migranten aus dem früheren Jugoslawien klappt hingegen das Zusammenleben mit den Deutschen in aller Regel reibungslos. Dies zeigt eine alle Lebensbereiche umfassende Studie, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Auftrag des Bundesinnenministeriums erarbeitet hat und die der "Welt am Sonntag" vorliegt. Letztlich zeichnet die repräsentative Untersuchung im Umfang von 290 Seiten ein erfreuliches Bild: Das Gros der hier lebenden rund 6,8 Millionen Ausländer hat sich deutlich besser an das Leben in Deutschland angepasst, als gemeinhin angenommen – das gilt auch für die Türken. So beherrschten die meisten Befragten die deutsche Sprache so gut, "dass sie das alltägliche Leben in Deutschland weitgehend problemlos bewältigten", schreiben die Forscher. Die Mehrheit habe regelmäßige Kontakte zu Deutschen und meist eine engere Bindung an die Bundesrepublik als an ihr Herkunftsland. Für die Analyse befragte das Institut 4576 Personen zwischen 15 und 79 Jahren, die eine Mindestaufenthaltsdauer von zwölf Monaten hatten. Große Unterschiede weisen die Ausländergruppen allerdings bei der Bildung auf. So besitzen fast zwei Drittel der hier lebenden Polen eine mittlere oder gar hohe Schulbildung. Bei Italienern und Migranten aus dem früheren Jugoslawien liegt diese Quote nur bei rund 44 Prozent, und unter den Türken verfügen sogar lediglich 41 Prozent über eine solche Ausbildung. Gleichzeitig sind vor allem die Türkinnen unter den Analphabeten mit gut sieben Prozent stark überrepräsentiert. Das Bildungsgefälle hat Auswirkungen auf die Chancen am Arbeitsmarkt. So leben mehr als 15 Prozent der Türken, aber nur 7,6 Prozent der Griechen von Hartz IV. Vergleichsweise viele Türken arbeiten nur als angelernte Arbeiter. Dagegen hat das Gros der beschäftigten Polen und Griechen einen qualifizierten Berufsabschluss. Die Studie zeigt überdies deutliche kulturelle Unterschiede: So weisen Türkinnen den mit Abstand höchsten Anteil an Hausfrauen aus. Das traditionelle Rollenbild drückt sich auch darin aus, dass 70 Prozent von ihnen keinen Beruf erlernt haben. Üblicherweise heiraten sie jung, im Schnitt mit 23 Jahren (Wert für Deutschland insgesamt: 33 Jahre), und bekommen in der Regel mindestens zwei Kinder. In den vier anderen Migrantengruppen liegt das Heiratsalter der Frauen höher und die Kinderzahl niedriger und entspricht damit eher der deutschen Theaterpädagogisches Begleitmaterial 19 Lebensweise. Auch die Neigung, unter sich zu bleiben, ist bei den Türken weitaus stärker ausgeprägt. Während Italiener und Jugoslawen bevorzugt in Wohngegenden ziehen, in denen überwiegend Deutsche leben, gilt dies für viele Türken nicht. Auch schauen weitaus mehr von ihnen türkisches Fernsehen und lesen aus ihrem Herkunftsland stammende Zeitungen. Die Forscher sehen hier einen Zusammenhang zu den mangelhaften Deutschkenntnissen, die jeder fünfte Türke beklagt, aber nur jeder 17. Italiener oder jeder zehnte Pole. Hinzu kommt: Die Hälfte der Türken pflegt keine häufigen Kontakte zur einheimischen Bevölkerung. Der Großteil der Italiener und ExJugoslawien haben hingegen mehrheitlich freundschaftliche Bande zu Deutschen geknüpft. Es sind nicht zuletzt diese fundamentalen Unterschiede in den Lebensweisen, die verständlich machen, warum die Integration der Türken auch in der dritten Generation noch schwierig ist, während sich die Polen – die erst innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte ins Land gekommen sind – so rasch einfügten. Den Migrationsforscher Klaus Jürgen Bade verwundern die deutlichen Unterschiede gerade zwischen diesen beiden Ausländergruppen hinsichtlich der Erwerbstätigkeit kaum. "Polnische Einwanderer kommen nach Deutschland, um zu arbeiten", erläutert Bade. Sie seien typische Arbeitswanderer, die auf das Erwerbsangebot angewiesen seien. "Wenn es schlechter wird, gehen sie wieder zurück in ihr Herkunftsland." Türken bezeichnet der Forscher als typische Einwanderer, die in Deutschland sozialisiert sind und auch im Falle der drohenden Arbeitslosigkeit bleiben. Dennoch hält Bade es für einen Trugschluss, aus dieser Tatsache allein eine geringere Integration abzuleiten. "Die Türken sind in Deutschland weit besser integriert als angenommen, da häufig lediglich die Teilhabe am Arbeitsmarkt als Maßstab gilt." Viele türkische Frauen würden aber wegen der Erziehung der Kinder zu Hause bleiben und stünden deshalb dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Das geringe Bildungsniveau der Türken erklärt der Wissenschaftler mit der unterschiedlichen sozialen Ausgangssituation: Viele Einwanderer stammen aus ländlichen Gegenden mit erheblichem Entwicklungsrückstand. Bildung sei daher nicht immer erste Priorität. Geringe Bildung führe natürlich auch zu erhöhter Arbeitslosigkeit, "da in unserer Wissensgesellschaft immer stärker auf eine gute Qualifikation der Bewerber geachtet wird", hebt Bade hervor. Ein weiterer Umstand erschwert die Integration: Die hier aufgewachsenen Männer heiraten vielfach junge Türkinnen aus der Heimat. In diesen Familien wird damit weiter in aller Regel türkisch gesprochen. Also verschwinden die Sprachprobleme nicht mit der Zeit, sondern werden stets an die Kinder weitergegeben. Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Armin Laschet sieht diese Entwicklung kritisch. "Hier werden die Versäumnisse der Vergangenheit deutlich", sagt der CDU-Politiker. Um die Sprachkenntnisse zu verbessern, müsse bereits frühzeitig gefördert Theaterpädagogisches Begleitmaterial 20 werden: "Wir müssen bei den Kindern ansetzen." Deshalb habe Nordrhein-Westfalen im Jahr 2007 den verpflichtenden Sprachtest für Vierjährige eingeführt. Allerdings benötigten auch junge Zuwanderer, die nicht mehr in die Schule gehen, eine individuelle Förderung: "In diesem Bereich muss viel nachgeholt werden. Wir müssen von den Jugendlichen dann aber auch erwarten können, dass sie sich grundsätzlich dazu bereit erklären und Deutsch lernen wollen." Für den türkischstämmigen GrünenChef Cem Özdemir bestätigt die Studie die bekannten Integrationsdefizite der Türken. Vor allem der enge Zusammenhang zwischen Bildung und Lebenschancen sei offensichtlich. Als positiv bewertet Özdemir zwar den erkennbaren Bildungsaufstieg zwischen den Generationen. Aber er moniert: "Der Anteil derer mit keinem oder nur niedrigem Bildungsabschluss ist allerdings nach wie vor viel zu hoch." Die Integrationsbeauftragte des Bundes, Maria Böhmer, sieht es grundsätzlich: "Nicht nur für die türkischen, sondern auch für alle Migranten in unserem Land gilt: Nur gute Deutschkenntnisse, ein Schulabschluss sowie eine fundierte Ausbildung eröffnen die Chancen für eine erfolgreiche Zukunft." Weil diese Voraussetzungen vielen fehlten, sei eine "nationale Kraftanstrengung" für bessere Bildung erforderlich. Böhmer ruft die Bundesländer auf, ihre Zusagen aus dem Nationalen Integrationsplan einzuhalten. Es gelte vor allem, Schulen mit hohem Migrantenanteil stärker zu unterstützen. Besonders die Frauen mit geringen Sprachkenntnissen forderte die Unionspolitikerin auf, Deutsch zu lernen. Theaterpädagogisches Begleitmaterial 21 Kinder und Jugendliche sind ihren Eltern ein Vorbild Seit Januar 2010 leistet sich Karlstadt eine eigene Integrationsbeauftragte. In der knapp 16.000 Einwohner kleinen, unterfränkischen Gemeinde betreut Sakine Azodanlou unter anderem 850 türkischstämmige Mitbürger. Sie ist überzeugt: Bildung ist auch hier der Schlüssel zu einer erfolgreichen Integration. Im hiesigen Jugendzentrum leben die Besucher unterdessen bereits das vor, was bei den Erwachsenen oft nur schwer zu erreichen ist. „Ich finde, hier kommen Deutsche und Türken gut miteinander klar. In einer kleinen Ortschaft begegnen sich Menschen generell eher als in einer Großstadt“, fasst Sakine Azodanlou die Atmosphäre unweit des Mainufers zusammen. Selbst kam sie 1974 im Alter von fünf Jahren aus der Türkei nach Deutschland. Nach ersten Schritten im Rahmen eines Modellprojekts der Stadt Würzburg zur Integration muslimischer Familien und der Arbeit beim Paritätischen Wohlfahrtsverband als Migrationsberaterin im Raum MainSpessart ist sie nun in Karlstadt tätig. Mit einem Anteil von zehn Prozent türkischstämmiger Familien in der Altstadt hat das kleine Städtchen, im Gegensatz zur nahen Weltkulturerbestadt Würzburg, einen relativ hohen Anteil an Bewohnern mit türkischem Hintergrund. Die Probleme, mit denen Karlstadt zu kämpfen hat, unterscheiden sich indessen nur wenig von denen größerer Städte. Schwierig erscheint vielmehr die vorherrschende Infrastruktur. Die Aufgabenliste von Frau Azodanlou ist lang Kontakt mit den Familien aufbauen, mit den hiesigen Einrichtungen wie Schulen und Jugendzentren zusammenarbeiten, ein Sprachrohr für die türkischen Mitbürger sein und schließlich das Bildungsniveau unter Schülern und Eltern verbessern – die Aufgabenliste von Frau Azodanlou ist lang, der Weg, diese Ziele erfolgreich umzusetzen meist noch länger. „Oftmals sind die Angebote für Migranten innerhalb der Zielgruppe gar nicht bekannt“, erklärt die studierte Germanistin, die im Rahmen ihrer Konversationskurse und Gesprächskreise gerade zu türkischen Frauen ein nachhaltiges Vertrauensverhältnis aufbauen konnte. Und selbst wenn sie davon erfahren, ist es noch einmal eine andere Frage, ob sie diese dann auch wirklich nutzen würden. Zwar sei das Miteinander in Karlstadt friedlich. Dennoch blieben Deutsche und Türken lieber für sich. Das Vereinsleben helfe hier nur wenig, direkte Begegnungsstätten für einen interkulturellen Austausch fehlten völlig. „Beide Seiten wünschen den Kontakt, finden aber nur schwer zueinander“, beschreibt Azodanlou das Dilemma. Was in der Erwachsenenwelt nur mühsam gelingt, findet im Jugendzentrum „Piranha“ längst statt, wie Stadtjugendpflegerin Sandra Prockl erklärt. War es zunächst noch schwer, türkische Eltern in die Einrichtung zu locken oder deren Nachwuchs für den Ferienspaß der Stadt zu begeistern, habe sich die Situation hier zum Theaterpädagogisches Begleitmaterial 22 Positiven gewendet. Veranstaltungen wie zum Beispiel ein „binationales Kochen“, das gemeinsam mit Sakine Azodanlou initiiert wurde, waren willkommene Gelegenheiten, sich näher kennen zu lernen. Unter den Kindern und Jugendlichen brauche es solche „inszenierten Events“, wie die 25jährige Erzieherin es nennt, in der Regel jedoch nicht. Seit gut dreineinhalb Jahren ist sie im Juz tätig. Seitdem hätten sich die Gruppen gut gemischt. „Die Stimmung unter deutschen und türkischen Jugendlichen ist viel offener als früher“, freut sie sich über den offensichtlichen Mix der Kulturen. Die Kids gingen aufeinander zu und ohne Scheu miteinander um. „Sie befragen sich gegenseitig“, so Frau Prockl weiter. „Oft entstehen auch interessante Debatten, die dann auf das gesamte Juz übergreifen.“ Von der Kopftuchfrage bis hin zu den umstrittenen Sarrazin-Thesen, die unter den türkischen Erwachsenen in Karlstadt übrigens kaum eine Rolle gespielt hätten, sei hier alles vertreten. „Sie sehen die Probleme selbst und sprechen sie schonungslos an“, so die Erzieherin. Die Folge: Viele AhaEffekte, die teils noch immer bestehende Vorurteile peu à peu abbauen helfen. „Integrationsarbeit ist hier am effektivsten, wenn sie aus der Situation heraus entsteht“, ist sie überzeugt. Allerdings, so unterstreicht sie nachhaltig, spiele auch hier das Bildungsniveau ihrer Schützlinge eine entscheidende Rolle. und Türkisch auf den Punkt. Die Mitmenschen sollten viel mehr übereinander erfahren und keine Angst haben Themen offen anzusprechen. Beide Seiten, davon ist sie überzeugt, müssten eindringlicher versuchen in Kontakt zu treten. Die Stadt Karlstadt hat mit der Etablierung einer eigenen Integrationsbeauftragten bereits einen ersten Schritt getan. Zum Juz hat sich seitdem ein guter Draht entwickelt. Zumindest die Jugendlichen der Gegend kennen die Vernetzung und ihre Ansprechpartner. „Als ich hier ankam, waren die Leute froh, dass es endlich jemanden wie mich gab“, berichtet sie abschließend. Dennoch stehe sie erst ganz am Anfang ihrer, zugegebenermaßen echten Pionierarbeit. Aktion: Mit „Hippy“, ihrem jüngsten Projekt, richtet sich Sakine Azodanlou an alle deutschen und ausländischen Kinder zwischen vier und sechs Jahren und deren Eltern. Entwicklungs- als auch Sprachförderung stehen hier für 15 Minuten am Tag im Vordergrund. Das kindergartenergänzende und familienunterstützende Programm ist über zwei Jahre angelegt und findet zu Hause statt. Mit Hilfe von Spiel- und Lernmaterial sollen Eltern und Kinder gemeinsame Lernziele erarbeiten. Ergänzt wird das Angebot durch regelmäßige Hausbesuche und Gruppentreffen. Hier tauschen Mütter ihre Erfahrungen aus und erhalten Informationen zu Erziehung, Schule und Gesundheitsvorsorge. Guter Draht zwischen Juz und Stadt „Eigentlich weiß man immer noch viel zu wenig übereinander“, bringt Sakine Azodanlou die Diskrepanz zwischen Jung und Alt, Deutsch Theaterpädagogisches Begleitmaterial 23 Leben mit Rassismus “Wir wollen keine türkische Schülersprecherin!" Als Leserin Mine Ekiz zur Schülersprecherin gewählt wurde, musste sie sich fremdenfeindliche Reaktionen anhören. Das hat sie tief verletzt. "Wir wollen keine türkische Schülersprecherin an einer deutschen Schule!" Das waren die Worte einiger Mitschüler nach meinem unerwarteten Sieg bei der Schülersprecherwahl. Ich war entsetzt und zutiefst enttäuscht. Gemeinsam mit meinem Großvater kam mein Vater im Alter von 15 Jahren nach Deutschland, besuchte die Hauptschule und machte danach eine Umschulung zum Schweißer. Ich, das älteste von drei Kindern, bin 1995 in Unna geboren und in Bönen aufgewachsen. Dort habe ich die Realschule besucht. Ich war immer eine gute und engagierte Schülerin und habe mich bis zur zehnten Klasse nie fremd in Deutschland gefühlt. Im Gegenteil: Deutschland hieß für mich Heimat. Nach zwei Wochen Türkeiurlaub begannen meine Geschwister und ich zu jammern: "Wir wollen zurück nach Hause!" Die Anfeindungen nach der Schülersprecherwahl ließen mein Selbstbewusstsein sinken. Warum mochten meine Mitschüler mich nicht mehr? Wir gingen doch in dieselbe Klasse und verstanden uns gut. Hatte ich ihnen etwas getan? Ich bemerkte, wie sich meine Haltung zu ihnen und meinen anderen Mitmenschen veränderte. Auf der Straße hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich hatte Angst, die Menschen würden denken, ich sei gar nicht deutsch, obwohl ich hier geboren und aufgewachsen bin. Ich begann darüber nachzudenken, was ich eigentlich bin: türkisch oder deutsch? Beides gleichzeitig oder keines von beidem? Währenddessen sammelten meine Mitschüler in der Schule eifrig Unterschriften für eine neue Wahl. Ich fühlte mich immer unwohler. Auch den Unterricht fand ich immer unerträglicher. Bei jeder Wortmeldung wurde ich angestarrt. Ich hatte das Gefühl, alle würden darauf warten, dass ich etwas Falsches sage, um sich darüber zu amüsieren. Meine wirklichen Freunde fanden das überhaupt nicht lustig. Sie ärgerten sich über die Provokationen der anderen, waren von Tag zu Tag aufgebrachter und wollten mich gegen diese ekelhaften Worte verteidigen. Andere hingegen, die ich bisher für meine Freunde gehalten hatte, unterschrieben die Liste für die Neuwahl. Das verletzte mich so sehr, dass ich keine Lust und auch keine Kraft mehr hatte, gegen die rassistische Haltung meiner Mitschüler anzukämpfen. Theaterpädagogisches Begleitmaterial 24 Quellen http://www.welt.de/politik/deutschland/article7222075/Tuerken-sind-dieSorgenkinder-der-Integration.html Stand: 26. Februar 2013 http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2011/02/24820/kinderund-jugendliche-sind-ihren-eltern-ein-vorbild/ Stand: 26. Februar 2013 http://www.zeit.de/gesellschaft/2012-08/leserartikel-rassismusschuelersprecherin Stand: 27. Februar 2013 Theaterpädagogisches Begleitmaterial 25 Impressum Badische Landesbühne Bruchsal Intendant: Carsten Ramm Verwaltungsleiter: Norbert Kritzer Die Badische Landesbühne Am Alten Schloss 24 76646 Bruchsal Tel.: 07251.7270 Fax: 07251.72746 E-Mail: [email protected] www.dieblb.de Redaktion und Layout: Ramona Parino [email protected] Catharina Guth [email protected] Dramaturgie: Julia Sievers Fotos: Sonja Ramm Theaterpädagogisches Begleitmaterial 26
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