Was spielen wir morgen? Hasenland Reihaneh Youzbashi Dizaji

Was spielen wir morgen?
Hasenland
Reihaneh Youzbashi Dizaji
Theaterpädagogisches
Begleitmaterial
Liebe Lehrerinnen und Lehrer,
„ Ich liebe andere Dinge“
Haben Sie sich schon einmal gefragt, was der türkische Junge über seinen
Vater denkt, der kein Deutsch kann? Was das Mädchen denkt, dessen Eltern
nur im Biomarkt einkaufen? Haben Sie die Kinder schon einmal gefragt, was
sie davon halten? Hasenland stellt genau diese Fragen und geht sogar noch
weiter: Wie kann ich für einen Moment nicht dieses Kind sein, sondern ein
Kind, das „normal“ ist? Ganz einfach: Man nehme zwei Papiertüten, eine
Schere, etwas Tesafilm und einen guten Freund, der den selben Wunsch hat.
So erfinden Sara und Ayhan ihr Hasenland, ein Land, in dem nur die
Freundschaft zählt und es keine Vorurteile gibt. Als Sara mit ihren Eltern
umziehen muss, lernen die Beiden, dass das Hasenland viel größer ist, als
anfangs gedacht. Egal wo man ist, egal wohin man geht, es gibt immer
einen Hasen. Denn Menschen, die ohne Vorurteile leben möchten, findet
man überall, und oft werden aus ihnen gute Freunde, man muss es nur
zulassen und über seinen eigenen Schatten springen.
Joerg Bitterich hat dieses Stück der Nachwuchsautorin Reihaneh Youzbashi
Dizaji als Klassenzimmerstück inszeniert. Mit zwei Schulbänken, zwei
Schauspielern und einer Handvoll Requisiten nimmt er die Schüler aus ihrem
Alltag heraus und führt Sie in eine Theaterwelt, in der sie oft alles um sich
herum vergessen. Wir freuen uns, dass Sie mit Ihrer Klasse den Schritt ins
Hasenland wagen und vielleicht selbst zum Hasen werden.
Um mit Ihrer Klasse diese Inszenierung besser bearbeiten zu können, soll
dieses Begleitmaterial eine Hilfestellung sein. Gerne können Sie uns auch
kontaktieren, Fragen stellen, oder eine kostenlose Vor– oder Nachbereitung
durch die Theaterpädagogik für Ihre Klasse buchen.
Ramona Parino
Catharina Guth
Leitende Theaterpädagogin
Theaterpädagogin
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
2
Inhalt
Hasenland - Das Stück
Seite
04
Spielpraktische Übungen
Einführung
05
Warm - Up
06
Gruppenübung
07
Partnerübung
08
Fragen zur Inszenierung
09
Die Autorin
10
Der Regisseur
11
Das Ensemble
12
Interview mit dem Regisseur Joerg Bitterich
13
Sarma - Ein Ensemble lernt kochen
14
Schülermeinung
16
Integration - Wie ich es erlebe
17
Themenverwandte Artikel
Türken sind die Sorgenkinder der Integration
19
Kinder und Jugendliche sind ihren Eltern ein Vorbild
22
Leben mit Rassismus
24
Quellen
25
Impressum
26
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
3
Das Stück
Sara und Ayhan haben vieles gemeinsam: Sie wollen beide nach der
Schule nicht nach Hause gehen. Ayhan hasst es, dass sein Vater nur
Türkisch spricht, seine Mutter ein Kopftuch trägt und er immer auf seine
kleinen Geschwister aufpassen muss. Sara hasst es dagegen, Einzelkind
in einem „Öko“-Haushalt zu sein, und dass ihre Eltern sich ständig
streiten. Also spielen beide, dass sie Hasenfreunde aus Hasenland sind,
wo es keine kulturellen Unterschiede gibt und die Eltern nicht alles
bestimmen.
Hasenland ist ein Stück der jungen Deutsch-Iranerin Reihaneh Youzbashi
Dizaji, deren Stück Stuttgart. Teheran. Dialog dieses Jahr auf dem
Heidelberger Stückemarkt präsentiert wurde. In kindlichen und zugleich
kunstvoll verschachtelten Dialogen behandelt es spielerisch die
Schwierigkeiten des Aufwachsens im eigenen Zuhause und im
Miteinander verschiedener Kulturen.
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
4
Spielpraktische Übungen
Im folgenden Teil finden Sie einige Übungsvorschläge, die Sie zur
praktischen Vor- und Nachbereitung des Vorstellungsbesuches verwenden
können. So können Sie Ihren Schülern einen weiteren Blickwinkel auf das
Stück und seine Figuren ermöglichen.
Es empfiehlt sich, zunächst eine Warm-Up-Übung zu machen, um die
Schüler aus dem alltäglichen Schulleben herauszulösen und Verletzungen
vorzubeugen.
Außerdem schaffen diese Übungen eine offene Atmosphäre, die den
Einstieg ins Spiel sehr erleichtern.
Am Ende einer spielerischen Einheit sollten Sie mit Ihren Schülern die
gesammelten Eindrücke besprechen. Hierbei ist zu beachten, dass
Empfindungen jeder Art subjektiv sind, und es daher keine richtigen oder
falschen, sondern lediglich unterschiedliche Erfahrungen gibt.
In der Partnerübung werden Sie den Begriff „Publikumssituation - finden. Um
diese herzustellen, platzieren Sie die Klasse auf einer Seite des Raumes und
etablieren auf der anderen Seite eine Spielfläche, die im weiteren Verlauf als
Bühne dient.
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
5
Warm - Up
Lass dich nicht vom Zauberfuchs erwischen!
Themengebiet:
Aufmerksamkeit, Reaktion, Wahrnehmung
Ziel:
Einfindung in die praktische Arbeit
Dauer:
10 Minuten
Der Spielleiter bestimmt einen Zauberfuchs, der die Aufgaben hat, alle
Hasen so zu verzaubern, dass sie nur noch rückwärts hüpfen. Während der
Fuchs im aufrechten Gang umher schleicht, hüpfen die übrigen Spieler als
Hasen durch den Raum. Wenn der Fuchs einen Hasen mit der Pfote berührt
hat, muss dieser Hase von nun an rückwärts hüpfen.
Treffen zwei rückwärts hüpfende Hasen Rücken an Rücken aufeinander, wird
der Zauber gebrochen und sie dürfen wieder vorwärts hüpfen.
Wichtig:

Halten Sie die Spieler zu einem gemäßigten Tempo an, sodass keiner
der Hasen verletzt wird.

Um einen übermäßig großen Lautstärkepegel zu vermeiden, können Sie
dem Zauberfuchs die Aufgabe geben, besonders die Hasen zu
verzaubern, die Laute von sich geben.
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
6
Gruppenübung
Assoziationskreis
Themengebiet:
Konzentration, Aufmerksamkeit
Ziel:
Vorbereitung auf die Partnerübung
Dauer:
10 – 15 Minuten
Die Spieler stehen mit dem Spielleiter im Kreis. Der Spielleiter beginnt mit
einem Wort, z.B. „Grün“. Der Spieler neben ihm sagt direkt im Anschluss ein
Wort, dass ihm dazu einfällt, z.B. „Gras“. Der nächste Spieler nennt ein Wort,
das ihm zu „Gras“ einfällt.
Wichtig:

Achten Sie darauf, dass die Spieler immer nur zum direkt
vorangegangenen Wort assoziieren.

Lassen Sie die Gruppe darauf achten, dass kein Wort zweimal genannt
wird.

Sollte einem Spieler nichts einfallen, unterstützen Sie ihn mit Fragen
wie „Was stellst du dir vor, wenn du an … denkst?“

Halten Sie die Spieler dazu an, einander zuzuhören und nicht zu
sprechen, während ein anderer Spieler an der Reihe ist.

Achten Sie darauf, dass die Spieler sich die Worte nicht gegenseitig
zuflüstern.
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
7
Partnerübung
Ich liebe... Ich hasse... Ich Hase...
Themengebiet:
Konzentration, Bühnenpräsenz, Kreativität
Ziel:
Ausprobieren eines Stückelementes
Dauer:
15 - 20 Minuten
Die Gruppe teilt sich paarweise auf. Aufgabe ist nun zunächst, immer im
Wechsel etwas zu sagen, was man liebt, wobei darauf zu achten ist, dass
dem jeweiligen Begriff immer die Worte „Ich liebe“ vorausgehen.
Wer lacht, zu lange nachdenkt, oder die Abfolge durch eine Frage
unterbricht, verliert die Runde. Nach einigen Minuten gibt der Spielleiter den
Wechsel zu „Ich hasse...“ an, die Übung läuft dann weiter wie zuvor. Der
dritte Teil kann optional dazu genommen werden. Hier werden mit „Ich
Hase…“ Begriffe gesucht, die man mit ins Hasenland nehmen möchte.
Im Anschluss lässt der Spielleiter eine Publikumssituation herstellen. Nun
werden die Paare nacheinander auf die Bühne gebeten, um die Übung vor
Publikum vorzustellen. Wenn einer der Spieler auf der Bühne lacht, zu lange
nachdenkt oder die Abfolge durch eine Frage unterbricht, wird das Paar vom
Publikum mit einem lauten Buzzergeräusch von der Bühne gerufen.
Wichtig:

Die Spieler sollten die Übung als Spiel wahrnehmen, und besonders die
Begriffe von „Ich hasse…“ nach Beendigung der Übung nicht auf sich
persönlich beziehen.

Achten Sie darauf, dass im Publikum nicht gesprochen wird, während
ein Paar auf der Bühne steht.
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
8
Fragen zur Inszenierung
Was macht das Hasenland zu einem besonderen Land?
Was nimmst du mit ins Hasenland?
Wie lange kennen sich Sara und Ayhan schon?
Warum versteht Hamid das Spiel am Anfang nicht?
Wie gut kennst du Kinder aus anderen Ländern?
Welches Essen magst du überhaupt nicht, musst es aber zu Hause oft
essen?
Hast du schon einmal etwas über ein anderes Kind gedacht und dann
herausgefunden, dass du falsch lagst? Wenn ja was?
Warum wirkt Sara am Ende nicht traurig, als sie sieht, dass Ayhan mit
einem anderen Hasen spielt?
Was stört dich an deinem Zuhause?
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
9
Die Autorin
Reihaneh Youzbashi Dizaji
wurde am 3. Juni 1983 in Täbriz/Iran
geboren. Mit acht Jahren flüchtete sie
mit ihrer Familie nach Deutschland. Nach
ihrem Studium als Schauspielerin lebt
und arbeitet sie nun in Berlin. Ihre
Erfahrungen am Theater beschränken
sich jedoch nicht nur auf das Schauspiel;
auch die intensive, pädagogische Arbeit
mit Jugendlichen prägte sie in den ersten
Jahren in Berlin stark. Durch die Idee
zum Dokumentarfilm Mein Paradies
angeregt, reiste die Autorin nach langer
Abwesenheit in den Iran. Die Reise
wurde auch zum Auslöser ihres ersten
Theaterstückes Stuttgart.Teheran.
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
10
Der Regisseur
Joerg Bitterich wurde in Stuttgart
geboren. Er absolvierte seine
Schauspielausbildung in Mainz und war
anschließend fest an der Landesbühne
Wilhelmshaven und am Theater
Paderborn engagiert. Seit 2002 arbeitet
er als Regisseur und inszenierte dabei
am Staatstheater Braunschweig, an den
Theatern Trier, Bamberg und Paderborn,
am Landestheater Neuss und anderen.
Seit der Spielzeit 2012.2013 ist er
künstlerischer Leiter der Kinder– und
Jugendtheatersparte an der Badischen
Landesbühne Bruchsal.
Hier inszenierte er in der Vergangenheit
bereits erfolgreich die Stücke
Schwarze Milch oder Klassenfahrt nach Auschwitz,
Pippi Langstrumpf,
Good morning, boys and girls
sowie Der Herr der Diebe.
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
11
Das Ensemble
Charlotte Saphire Alten wurde
1983 in Berlin geboren und war seit
ihrem zwölften Lebensjahr an
verschiedenen Theater- und
Filmproduktionen beteiligt. Ihr
Schauspielstudium absolvierte sie
2005 bis 2008 an der Hochschule der
Künste in Bern und erwarb 2008 bis
2010 ihren Master of Arts in Theater
an der Zürcher Hochschule der Künste.
Seit Beginn der Spielzeit 2011.2012
gehört Charlotte Saphire Alten zum
festen Ensemble des Kinder– und
Jugendtheaters der Badischen
Landesbühne.
Frederik Kienle wurde 1981 in
Nürtingen, Baden-Württemberg
geboren und verbrachte seine Jugend
in Rottweil, wo er auch sein Abitur
machte. Seine Schauspielausbildung
absolvierte er in den Jahren 2005 bis
2009 in der „Schule des Theaters im
Theater der Keller“ in Köln.
Erste Bühnenerfahrungen sammelte
er in Köln und an den Wuppertaler
Bühnen.
Seit der Spielzeit 2012.2013 gehört
Frederik Kienle zum festen Ensemble
des Kinder- und Jugendtheaters der
Badischen Landesbühne.
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
12
Interview mit dem Regisseur Joerg Bitterich
In „Hasenland“ treffen völlig unterschiedliche
Kinder aufeinander und erfinden sich eine
Welt, in der sie ohne Vorurteile
zusammenleben können. Halten Sie eine solche
Welt für realisierbar?
Für mich ist das eine Utopie, nach
deren Verwirklichung wir alle streben
sollten.
Was würden Sie ins Hasenland mitnehmen?
Einen lieben Freund, ein gutes Buch
und ein Lämpchen.
Die Autorin Reihaneh Youzbashi Dizaji hat in
der Originalfassung einen alternativen Schluss
angeboten, weil „Hamid“ ein arabischer Junge
ist und die Beziehung zwischen Türken und
Arabern historisch sehr vorbelastet ist. Warum
haben Sie sich für das Ende mit „Hamid“
entschieden, und spielt die historische
Vorbelastung für Ihre Inszenierung eine Rolle?
Nein, das spielt für mich gar keine
Rolle. Hamid kann auch ein
Schweizer, Russe oder Nordfriese
sein. Er taucht auf, um zu zeigen,
wie sich Ayhan durch die Begegnung
mit Sara verändert hat, dass er nun
leichter in der Lage ist, sich zu
öffnen und eine Freundschaft
einzugehen.
Auf welche Probleme sind Sie mit Ihrem
Ensemble während der Produktion gestoßen?
Reihanehs Text ist sehr konzentriert
und auf das Wesentliche reduziert
und lässt damit viel Raum für eigene
Phantasien zu Geschichte und
Figuren - das war aber kein Problem,
sondern eine schöne
Herausforderung. Eine weitere
Herausforderung für uns alle war,
eine Ästhetik und eine Spielweise zu
finden, die zum Stück als auch zum
Klassenzimmer als Theaterraum
passt.
Was würden Sie einem Lehrer sagen, der noch
skeptisch ist, ob er „Hasenland“ für seine
Klasse buchen soll?
Wenn Heimat und Fremde, Familie
und Freundschaft, interkulturelle
Beziehungen und Integration in Ihrer
Klasse Thema sind, vielleicht
Konflikte hervorrufen, haben Sie mit
Hasenland die Möglichkeit, spielerisch
mit Ihren Schülern ins Gespräch
darüber zu kommen.
Herr Bitterich, Herzlichen Dank für das
Interview und Toi-Toi-Toi für die bevorstehende
Premiere!
Warum beschränkt sich Ihr Bühnenbild auf
zwei Schulbänke?
Wir spielen Hasenland im
Klassenzimmer und haben uns die
Aufgabe gestellt, fürs Bühnenbild
nur Dinge zu benutzen, die dort
auch vorkommen - quasi unsere
Version von "Dogma 95", nur ohne
verwackelte Kamera..
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
13
Sarma - Ein Ensemble lernt kochen
An einem kalten Abend im
vergangenen Januar traf sich das
Ensemble von „Hasenland“ erstmals
zur Probe. Der Regisseur stellte sein
Konzept zur Inszenierung vor, der
Text wurde in verteilten Rollen
gelesen. Auf einigen Seiten fiel
immer wieder das Wort „Sarma“, und
aus dem Zusammenhang wurde
erkennbar, dass es sich hierbei um
etwas zu Essen handeln musste,
etwas, das man wohl mit Joghurt
essen sollte. Aber was genau war
eigentlich dieses Sarma? Google
half, mit der Erklärung, dass es sich
hierbei um gefüllte Weinblätter
handelte, eine Spezialität aus der
türkischen Küche. Doch irgendwie
war das nicht genug. Wir Menschen
vom Theater wollen ja schließlich
immer möglichst viel über das
wissen, das wir mit unseren Stücken
behandeln.
Mit Unterstützung des
Integrationsbüros Bruchsal gelang
es uns, einen kleinen Kochkurs bei
Frau Catakli zu ergattern.
Frau Catakli führt einen kleinen aber
sehr feinen Partyservice, von dessen
Speisen wir auch schon bei anderen
Gelegenheiten kosten durften. Sie
freute sich sehr, als wir uns bei ihr
meldeten und sie um Hilfe baten,
allerdings waren wir doch recht
erstaunt, als sie uns fragte, ob 1kg
genug sei, das wären dann etwa 100
Stück. 100 gefüllte Weinblätter, wer
sollte das alles essen? Später sollten
wir diesen Frage noch fast
verfluchen, denn wir mussten lernen,
dass man einfach nicht aufhören
kann, davon zu essen.
An einem Dienstagmorgen war es
dann schließlich soweit. Das
Ensemble stand gespannt im Haus
der Begegnung Bruchsal. Wir wurden
von einer etwas älteren Frau mit
Kopftuch herzlich begrüßt, die sich
besonders über den männlichen Teil
unseres Ensembles freute. Frau
Catakli erklärte uns die Zutaten, die
es nun benötigte: Weinblätter, Reis,
Zwiebeln, Pfefferminze und einige
weitere Gewürze. Die Reismasse war
schnell zubereitet und so begannen
wir, unsere Wickelkünste zu
beweisen. Etwas einrollen, kein
Problem. Daran zu denken, die
Seiten einzuklappen, damit die
Füllung auch drin bleibt, auch kein
Problem. Die Füllung richtig zu
dosieren fiel da schon schwerer,
aber die Weinblätter tatsächlich
richtig fest zu wickeln, damit sie
beim Kochen nicht wieder aufgehen,
bereitete uns richtig Probleme. Viele
Weinblätter später und mit der Hilfe
von Frau Catakli, die uns jeden
Schritt mit einer Engelsgeduld auch
mehrmals erklärte, hatten wir dann
tatsächlich bald einen großen Topf
voll Sarma fertig. Dieser landete mit
einigen Scheiben Zitronen auf dem
Herd. Deckel drauf und eine halbe
Stunde warten war die Ansage.
Also warteten wir, erfuhren noch
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
14
mehr über Rezeptvarianten,
schlichen um den Topf, spickten
unter den Deckel, unterhielten uns
weiter, hielten die Nase nochmal
unter den Deckel… Als die halbe
Stunde endlich vorbei war,
schnappten wir gleich ein paar doch
noch sehr heiße Weinblätter aus dem
Topf. Und dann wieder welche, und
wieder welche… Auch wenn uns Frau
Catakli recht amüsiert darauf
hinwies, dass Sarma am besten
schmeckt, wenn es eine Stunde
gestanden hat und nur noch lauwarm
ist, wir konnten einfach nicht
aufhören zu essen. Tatsächlich
haben wir an dem einen Kilo zwar
zwei Tage gegessen, aber schon am
dritten Tag regte sich wieder der
Appetit.
mit einer tollen Frau ins Gespräch
kamen, die, wie wir feststellten,
zwar ihre ganz eigene, charmante
Art hat, mit der deutschen Sprache
umzugehen, die aber dennoch viel
mehr Bruchsalerin ist, als unser
ganzes Ensemble. Wir haben uns
wahnsinnig gefreut, diesen Einblick
in die türkische Küche mit ihr
erfahren zu dürfen, und können die
nächste Gelegenheit kaum
abwarten, bei der wir wieder etwas
aus ihrer Küche genießen dürfen.
Wir danken Frau Catakli für diesen
fantastischen Kochkurs, in dem wir
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
15
Schülermeinungen
Das Theaterstück „Hasenland“
handelt von den beiden Kindern Sara
und Ayhan, die nach der Schule
miteinander spielen. Sie denken sich
ein Spiel aus, in dem sie preisgeben,
was sie hassen und was sie lieben,
wobei man erfährt, wie unwohl sich
die beiden zu Hause fühlen. Durch
dieses Spiel werden die beiden nach
und nach Freunde und schlüpfen in
andere Identitäten. Sie bezeichnen
sich selbst als Hasen und stellen
sich vor, sie leben im Hasenland und
entkommen so der Realität und
ihren Familien. Doch eines Tages
zieht Sara mit ihrer Familie nach
Berlin und lässt den traurigen Ayhan
zurück.
Ich finde das Stück sehr schön, da es
das kindliche Denken der
Hauptcharaktere in realistische
Worte packt. Es ist schön die Kinder
zu beobachten, wie sie sich Spiele
ausdenken, sich annähern und so
vor der Realität flüchten. Die
Dialoge sind an vielen Stellen sehr
lustig verfasst, sodass Kinder mit
Sicherheit viel Spaß an dem Stück
haben. Auch ist die Handlung leicht
verständlich, abwechslungsreich
und humorvoll gestaltet, um zu
verhindern, dass den Kindern beim
Zuschauen langweilig wird.
Doch es steckt viel mehr in dem
Theaterstück, als die kleinen
Spielchen, die sich die Charaktere
ausdenken. Ayhan und Sara
entdecken ihre Gemeinsamkeit, wie
unwohl sie sich zu Hause fühlen,
und haben somit jemanden, der sie
versteht. Ob 8-jährige Kinder diese
Zusammenhänge schon verstehen,
ist für mich fraglich, doch glaube
ich auch, dass Kinder oft
unterschätzt werden und sie mit
Sicherheit viel aus dem Stück
mitnehmen können.
Niclas O‘ Donnokoé, 14 Jahre
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
16
Integration - Wie ich es erlebe
Von Madita Hombach (16 Jahre)
In meiner Gegend gibt es wie sonst
überall auch Migranten, jedoch sehe
ich dort nicht so eine starke
Abgrenzung, wie man sie in
Großstädten beobachten kann, wo es
oft Viertel gibt, in denen
überwiegend oder sogar nur
Migranten leben.
Auch an meiner Schule gibt es eher
wenige Migranten und die meisten
von ihnen sind schon seit mehreren
Generationen in Deutschland,
wodurch man ihre ausländische
Herkunft nicht an Merkmalen wie
zum Beispiel dem Akzent feststellen
kann. Überwiegend stammen sie aus
östlichen Ländern wie zum Beispiel
Russland und Polen und weniger aus
südlichen Ländern. Ich stelle bei
keinem von diesen Schülern
Integrationsprobleme, die durch ihre
Herkunft beeinflusst sind, fest. Auch
bei den Schülern, die selbst in einem
anderen Land geboren wurden oder
die erste Generation ihrer Familie
sind, die hier in Deutschland
aufgewachsen ist, sind keine
Integrationsprobleme festzustellen.
In meinem Wohnort kann man schon
eher beobachten, dass die
„Ausländer“ meist nicht so stark in
der Gemeinde integriert sind. Jedoch
grenzen sie sich auch nicht von uns
Deutschen ab. Vor allem die Leute in
meinem Alter haben sich gut
integriert und haben einen bunt
gemischten Freundeskreis im Bezug
auf die verschiedenen Kulturen und
Herkünfte. Weniger integriert haben
sich dagegen die Eltern, vor allem
die Mütter, da sie in den meisten
Familien für den Haushalt zuständig
sind und nicht arbeiten gehen und
sich somit eher weniger in der
Öffentlichkeit zeigen. Der
Freundeskreis der Eltern ist meist
auch kleiner als bei ihren Kindern
und besteht zum größten Teil aus
Familien mit ähnlichen Kulturen. Bei
einigen Familien aus meinem
Wohnort lebt auch ein Großteil der
Verwandten im näheren Umkreis,
wodurch sie auch oft etwas mit
ihnen unternehmen.
Auch das Tragen des Kopftuches ist
nicht stark verbreitet, wodurch kaum
Konflikte mit der Ursache des
Kopftuches entstehen. Jedoch sehe
ich, wenn ich in einer größeren Stadt
unterwegs bin, immer mal wieder
Mädchen und Frauen mit
Kopftüchern. Was sich dabei
beobachten lässt, ist, dass diese
meist mit weiteren Mädchen
beziehungsweise Frauen unterwegs
sind, die ebenfalls Kopftücher
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
17
tragen. Ob das Kopftuch bei ihnen
ein Integrationsproblem ist, kann ich
alleine aus dieser Beobachtung nicht
schließen, aber wenn man genauer
hinsieht, merkt man, dass sie von
vielen Menschen, an denen sie
vorbeikommen, eher skeptisch
angeschaut werden. Vermutlich
schweben diesen Menschen in dem
Moment viele Vorurteile durch den
Kopf, die ein alltägliches Problem für
Menschen mit ausländischer
Herkunft darstellen. Wobei ein
großer Teil der Vorurteile total
übertrieben oder gar falsch sind.
Im Großen und Ganzen finde ich,
dass gerade in meiner Gegend eher
weniger misslungene Integration
aufgrund der Herkunft zu
beobachten ist, da es im Vergleich
zu Großstädten weniger Familien mit
Migrationshintergrund gibt.
Dagegen kann man eher
Integrationsprobleme bei Menschen
feststellen, die eine Behinderung
haben, anders aussehen, als es dem
Idealwert vieler entspricht, oder ein
anderes Verhalten aufweisen. Gerade
bei Menschen mit einer Behinderung
kommt es oft vor, dass sie gemieden
werden, da andere Angst vor ihnen
haben und sie gruselig finden. Diese
Angst kommt meist daher, dass sie
nicht wissen, wie sie mit Behinderten
umgehen sollen. Das wird dadurch
begründet, dass viele Menschen mit
Behinderung etwas abseits von den
Orten in Wohnheimen leben und
somit viele den Umgang mit ihnen
im Alltag nicht lernen.
Bei Menschen mit einem Aussehen
oder Verhalten, das nicht dem
Idealwert entspricht, liegt die
Ausgrenzung nicht an der
Unwissenheit der anderen, sondern
daran, dass wir uns oft mit anderen
zusammentun, die uns ähnlich sind.
Auch hier spielen Vorurteile eine
große Rolle. So passiert es, dass
zum Beispiel jemand mit einer
Glatze und Piercings vielen
Menschen eher unsympathisch ist
und schneller als Gangster
abgewertet wird.
Zusammenfassend kann man sagen,
dass Integrationsprobleme durch
unterschiedliche Faktoren entstehen
können, wie zum Beispiel
Umgebung, Unwissenheit der
anderen oder Vorurteile. Denn je
nachdem, wo man als Migrant
wohnt, können Vorurteile weniger
verbreitet sein.
Damit einem eine gute Integration
gelingt, muss man nicht nur selbst
etwas dafür tun, sondern auch die
Menschen im Umfeld tragen dazu
bei. Wird man von Anfang an
abgelehnt, ist es sehr schwierig auf
sich aufmerksam zu machen und
Anerkennung zu bekommen. Am
Besten ist es, offen auf andere
zuzugehen, um anfängliche
Differenzen so schnell wie möglich
zu beseitigen.
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
18
Türken sind die Sorgenkinder der Integration
6,8 Millionen Ausländer leben in Deutschland,
und das Gros von ihnen ist einer neuen Studie
zufolge gut integriert. Doch die Türken tun sich
schwer. Jeder fünfte Türke spricht Deutsch nur
mangelhaft – oder gar nicht. Das hat Folgen
für Schulbildung, soziale Stellung und
Erwerbsfähigkeit. Von C. Lauer, D. Siems und
D. Ehrentraut
Was ist eigentlich mit den Türken
los? Unter den fünf größten in
Deutschland lebenden
Ausländergruppen tun sie sich mit
der Integration in die deutsche
Gesellschaft und den hiesigen
Arbeitsmarkt am schwersten. Mit
Polen, Griechen, Italienern und – mit
einigen Abstrichen – auch mit den
Migranten aus dem früheren
Jugoslawien klappt hingegen das
Zusammenleben mit den Deutschen
in aller Regel reibungslos. Dies zeigt
eine alle Lebensbereiche
umfassende Studie, die das
Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge im Auftrag des
Bundesinnenministeriums erarbeitet
hat und die der "Welt am Sonntag"
vorliegt.
Letztlich zeichnet die repräsentative
Untersuchung im Umfang von 290
Seiten ein erfreuliches Bild: Das Gros
der hier lebenden rund 6,8 Millionen
Ausländer hat sich deutlich besser
an das Leben in Deutschland
angepasst, als gemeinhin
angenommen – das gilt auch für die
Türken. So beherrschten die meisten
Befragten die deutsche Sprache so
gut, "dass sie das alltägliche Leben
in Deutschland weitgehend
problemlos bewältigten", schreiben
die Forscher.
Die Mehrheit habe regelmäßige
Kontakte zu Deutschen und meist
eine engere Bindung an die
Bundesrepublik als an ihr
Herkunftsland. Für die Analyse
befragte das Institut 4576 Personen
zwischen 15 und 79 Jahren, die eine
Mindestaufenthaltsdauer von zwölf
Monaten hatten.
Große Unterschiede weisen die
Ausländergruppen allerdings bei der
Bildung auf. So besitzen fast zwei
Drittel der hier lebenden Polen eine
mittlere oder gar hohe Schulbildung.
Bei Italienern und Migranten aus
dem früheren Jugoslawien liegt diese
Quote nur bei rund 44 Prozent, und
unter den Türken verfügen sogar
lediglich 41 Prozent über eine solche
Ausbildung. Gleichzeitig sind vor
allem die Türkinnen unter den
Analphabeten mit gut sieben Prozent
stark überrepräsentiert.
Das Bildungsgefälle hat
Auswirkungen auf die Chancen am
Arbeitsmarkt. So leben mehr als 15
Prozent der Türken, aber nur 7,6
Prozent der Griechen von Hartz IV.
Vergleichsweise viele Türken
arbeiten nur als angelernte Arbeiter.
Dagegen hat das Gros der
beschäftigten Polen und Griechen
einen qualifizierten Berufsabschluss.
Die Studie zeigt überdies deutliche
kulturelle Unterschiede: So weisen
Türkinnen den mit Abstand höchsten
Anteil an Hausfrauen aus. Das
traditionelle Rollenbild drückt sich
auch darin aus, dass 70 Prozent von
ihnen keinen Beruf erlernt haben.
Üblicherweise heiraten sie jung, im
Schnitt mit 23 Jahren (Wert für
Deutschland insgesamt: 33 Jahre),
und bekommen in der Regel
mindestens zwei Kinder. In den vier
anderen Migrantengruppen liegt das
Heiratsalter der Frauen höher und
die Kinderzahl niedriger und
entspricht damit eher der deutschen
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
19
Lebensweise.
Auch die Neigung, unter sich zu
bleiben, ist bei den Türken weitaus
stärker ausgeprägt. Während
Italiener und Jugoslawen bevorzugt
in Wohngegenden ziehen, in denen
überwiegend Deutsche leben, gilt
dies für viele Türken nicht. Auch
schauen weitaus mehr von ihnen
türkisches Fernsehen und lesen aus
ihrem Herkunftsland stammende
Zeitungen. Die Forscher sehen hier
einen Zusammenhang zu den
mangelhaften Deutschkenntnissen,
die jeder fünfte Türke beklagt, aber
nur jeder 17. Italiener oder jeder
zehnte Pole. Hinzu kommt: Die
Hälfte der Türken pflegt keine
häufigen Kontakte zur
einheimischen Bevölkerung. Der
Großteil der Italiener und ExJugoslawien haben hingegen
mehrheitlich freundschaftliche
Bande zu Deutschen geknüpft.
Es sind nicht zuletzt diese
fundamentalen Unterschiede in den
Lebensweisen, die verständlich
machen, warum die Integration der
Türken auch in der dritten
Generation noch schwierig ist,
während sich die Polen – die erst
innerhalb der vergangenen zwei
Jahrzehnte ins Land gekommen sind
– so rasch einfügten.
Den Migrationsforscher Klaus Jürgen
Bade verwundern die deutlichen
Unterschiede gerade zwischen
diesen beiden Ausländergruppen
hinsichtlich der Erwerbstätigkeit
kaum. "Polnische Einwanderer
kommen nach Deutschland, um zu
arbeiten", erläutert Bade. Sie seien
typische Arbeitswanderer, die auf
das Erwerbsangebot angewiesen
seien. "Wenn es schlechter wird,
gehen sie wieder zurück in ihr
Herkunftsland." Türken bezeichnet
der Forscher als typische
Einwanderer, die in Deutschland
sozialisiert sind und auch im Falle
der drohenden Arbeitslosigkeit
bleiben.
Dennoch hält Bade es für einen
Trugschluss, aus dieser Tatsache
allein eine geringere Integration
abzuleiten. "Die Türken sind in
Deutschland weit besser integriert
als angenommen, da häufig
lediglich die Teilhabe am
Arbeitsmarkt als Maßstab gilt."
Viele türkische Frauen würden aber
wegen der Erziehung der Kinder zu
Hause bleiben und stünden deshalb
dem Arbeitsmarkt nicht zur
Verfügung.
Das geringe Bildungsniveau der
Türken erklärt der Wissenschaftler
mit der unterschiedlichen sozialen
Ausgangssituation: Viele
Einwanderer stammen aus
ländlichen Gegenden mit
erheblichem
Entwicklungsrückstand. Bildung sei
daher nicht immer erste Priorität.
Geringe Bildung führe natürlich
auch zu erhöhter Arbeitslosigkeit,
"da in unserer Wissensgesellschaft
immer stärker auf eine gute
Qualifikation der Bewerber geachtet
wird", hebt Bade hervor.
Ein weiterer Umstand erschwert die
Integration: Die hier
aufgewachsenen Männer heiraten
vielfach junge Türkinnen aus der
Heimat. In diesen Familien wird
damit weiter in aller Regel türkisch
gesprochen. Also verschwinden die
Sprachprobleme nicht mit der Zeit,
sondern werden stets an die Kinder
weitergegeben.
Nordrhein-Westfalens
Integrationsminister Armin Laschet
sieht diese Entwicklung kritisch.
"Hier werden die Versäumnisse der
Vergangenheit deutlich", sagt der
CDU-Politiker. Um die
Sprachkenntnisse zu verbessern,
müsse bereits frühzeitig gefördert
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
20
werden: "Wir müssen bei den
Kindern ansetzen." Deshalb habe
Nordrhein-Westfalen im Jahr 2007
den verpflichtenden Sprachtest für
Vierjährige eingeführt. Allerdings
benötigten auch junge Zuwanderer,
die nicht mehr in die Schule gehen,
eine individuelle Förderung: "In
diesem Bereich muss viel nachgeholt
werden. Wir müssen von den
Jugendlichen dann aber auch
erwarten können, dass sie sich
grundsätzlich dazu bereit erklären
und Deutsch lernen wollen."
Für den türkischstämmigen GrünenChef Cem Özdemir bestätigt die
Studie die bekannten
Integrationsdefizite der Türken. Vor
allem der enge Zusammenhang
zwischen Bildung und
Lebenschancen sei offensichtlich.
Als positiv bewertet Özdemir zwar
den erkennbaren Bildungsaufstieg
zwischen den Generationen. Aber er
moniert: "Der Anteil derer mit
keinem oder nur niedrigem
Bildungsabschluss ist allerdings
nach wie vor viel zu hoch."
Die Integrationsbeauftragte des
Bundes, Maria Böhmer, sieht es
grundsätzlich: "Nicht nur für die
türkischen, sondern auch für alle
Migranten in unserem Land gilt:
Nur gute Deutschkenntnisse, ein
Schulabschluss sowie eine fundierte
Ausbildung eröffnen die Chancen
für eine erfolgreiche Zukunft."
Weil diese Voraussetzungen vielen
fehlten, sei eine "nationale
Kraftanstrengung" für bessere
Bildung erforderlich. Böhmer ruft
die Bundesländer auf, ihre Zusagen
aus dem Nationalen
Integrationsplan einzuhalten. Es
gelte vor allem, Schulen mit hohem
Migrantenanteil stärker zu
unterstützen. Besonders die Frauen
mit geringen Sprachkenntnissen
forderte die Unionspolitikerin auf,
Deutsch zu lernen.
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
21
Kinder und Jugendliche
sind ihren Eltern ein Vorbild
Seit Januar 2010 leistet sich
Karlstadt eine eigene
Integrationsbeauftragte. In der
knapp 16.000 Einwohner kleinen,
unterfränkischen Gemeinde betreut
Sakine Azodanlou unter anderem
850 türkischstämmige Mitbürger. Sie
ist überzeugt: Bildung ist auch hier
der Schlüssel zu einer erfolgreichen
Integration. Im hiesigen
Jugendzentrum leben die Besucher
unterdessen bereits das vor, was bei
den Erwachsenen oft nur schwer zu
erreichen ist.
„Ich finde, hier kommen Deutsche
und Türken gut miteinander klar. In
einer kleinen Ortschaft begegnen
sich Menschen generell eher als in
einer Großstadt“, fasst Sakine
Azodanlou die Atmosphäre unweit
des Mainufers zusammen. Selbst
kam sie 1974 im Alter von fünf
Jahren aus der Türkei nach
Deutschland. Nach ersten Schritten
im Rahmen eines Modellprojekts der
Stadt Würzburg zur Integration
muslimischer Familien und der
Arbeit beim Paritätischen
Wohlfahrtsverband als
Migrationsberaterin im Raum MainSpessart ist sie nun in Karlstadt
tätig.
Mit einem Anteil von zehn Prozent
türkischstämmiger Familien in der
Altstadt hat das kleine Städtchen, im
Gegensatz zur nahen
Weltkulturerbestadt Würzburg, einen
relativ hohen Anteil an Bewohnern
mit türkischem Hintergrund. Die
Probleme, mit denen Karlstadt zu
kämpfen hat, unterscheiden sich
indessen nur wenig von denen
größerer Städte. Schwierig erscheint
vielmehr die vorherrschende
Infrastruktur.
Die Aufgabenliste von Frau Azodanlou ist lang
Kontakt mit den Familien aufbauen,
mit den hiesigen Einrichtungen wie
Schulen und Jugendzentren
zusammenarbeiten, ein Sprachrohr
für die türkischen Mitbürger sein
und schließlich das Bildungsniveau
unter Schülern und Eltern
verbessern – die Aufgabenliste von
Frau Azodanlou ist lang, der Weg,
diese Ziele erfolgreich umzusetzen
meist noch länger. „Oftmals sind
die Angebote für Migranten
innerhalb der Zielgruppe gar nicht
bekannt“, erklärt die studierte
Germanistin, die im Rahmen ihrer
Konversationskurse und
Gesprächskreise gerade zu
türkischen Frauen ein nachhaltiges
Vertrauensverhältnis aufbauen
konnte. Und selbst wenn sie davon
erfahren, ist es noch einmal eine
andere Frage, ob sie diese dann
auch wirklich nutzen würden. Zwar
sei das Miteinander in Karlstadt
friedlich. Dennoch blieben
Deutsche und Türken lieber für
sich. Das Vereinsleben helfe hier
nur wenig, direkte
Begegnungsstätten für einen
interkulturellen Austausch fehlten
völlig. „Beide Seiten wünschen den
Kontakt, finden aber nur schwer
zueinander“, beschreibt Azodanlou
das Dilemma.
Was in der Erwachsenenwelt nur
mühsam gelingt, findet im
Jugendzentrum „Piranha“ längst
statt, wie Stadtjugendpflegerin
Sandra Prockl erklärt. War es
zunächst noch schwer, türkische
Eltern in die Einrichtung zu locken
oder deren Nachwuchs für den
Ferienspaß der Stadt zu begeistern,
habe sich die Situation hier zum
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
22
Positiven gewendet.
Veranstaltungen wie zum Beispiel
ein „binationales Kochen“, das
gemeinsam mit Sakine Azodanlou
initiiert wurde, waren willkommene
Gelegenheiten, sich näher kennen
zu lernen. Unter den Kindern und
Jugendlichen brauche es solche
„inszenierten Events“, wie die 25jährige Erzieherin es nennt, in der
Regel jedoch nicht.
Seit gut dreineinhalb Jahren ist sie
im Juz tätig. Seitdem hätten sich
die Gruppen gut gemischt. „Die
Stimmung unter deutschen und
türkischen Jugendlichen ist viel
offener als früher“, freut sie sich
über den offensichtlichen Mix der
Kulturen. Die Kids gingen
aufeinander zu und ohne Scheu
miteinander um. „Sie befragen sich
gegenseitig“, so Frau Prockl weiter.
„Oft entstehen auch interessante
Debatten, die dann auf das
gesamte Juz übergreifen.“ Von der
Kopftuchfrage bis hin zu den
umstrittenen Sarrazin-Thesen, die
unter den türkischen Erwachsenen
in Karlstadt übrigens kaum eine
Rolle gespielt hätten, sei hier alles
vertreten. „Sie sehen die Probleme
selbst und sprechen sie
schonungslos an“, so die
Erzieherin. Die Folge: Viele AhaEffekte, die teils noch immer
bestehende Vorurteile peu à peu
abbauen helfen. „Integrationsarbeit
ist hier am effektivsten, wenn sie
aus der Situation heraus entsteht“,
ist sie überzeugt. Allerdings, so
unterstreicht sie nachhaltig, spiele
auch hier das Bildungsniveau ihrer
Schützlinge eine entscheidende
Rolle.
und Türkisch auf den Punkt. Die
Mitmenschen sollten viel mehr
übereinander erfahren und keine
Angst haben Themen offen
anzusprechen. Beide Seiten, davon
ist sie überzeugt, müssten
eindringlicher versuchen in Kontakt
zu treten. Die Stadt Karlstadt hat
mit der Etablierung einer eigenen
Integrationsbeauftragten bereits
einen ersten Schritt getan. Zum Juz
hat sich seitdem ein guter Draht
entwickelt. Zumindest die
Jugendlichen der Gegend kennen
die Vernetzung und ihre
Ansprechpartner. „Als ich hier
ankam, waren die Leute froh, dass
es endlich jemanden wie mich gab“,
berichtet sie abschließend. Dennoch
stehe sie erst ganz am Anfang ihrer,
zugegebenermaßen echten
Pionierarbeit.
Aktion:
Mit „Hippy“, ihrem jüngsten Projekt,
richtet sich Sakine Azodanlou an
alle deutschen und ausländischen
Kinder zwischen vier und sechs
Jahren und deren Eltern.
Entwicklungs- als auch
Sprachförderung stehen hier für 15
Minuten am Tag im Vordergrund.
Das kindergartenergänzende und
familienunterstützende Programm
ist über zwei Jahre angelegt und
findet zu Hause statt. Mit Hilfe von
Spiel- und Lernmaterial sollen Eltern
und Kinder gemeinsame Lernziele
erarbeiten. Ergänzt wird das
Angebot durch regelmäßige
Hausbesuche und Gruppentreffen.
Hier tauschen Mütter ihre
Erfahrungen aus und erhalten
Informationen zu Erziehung, Schule
und Gesundheitsvorsorge.
Guter Draht zwischen Juz und Stadt
„Eigentlich weiß man immer noch
viel zu wenig übereinander“, bringt
Sakine Azodanlou die Diskrepanz
zwischen Jung und Alt, Deutsch
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
23
Leben mit Rassismus
“Wir wollen keine türkische Schülersprecherin!"
Als Leserin Mine Ekiz zur Schülersprecherin
gewählt wurde, musste sie sich
fremdenfeindliche Reaktionen anhören. Das
hat sie tief verletzt.
"Wir wollen keine türkische
Schülersprecherin an einer
deutschen Schule!" Das waren die
Worte einiger Mitschüler nach
meinem unerwarteten Sieg bei der
Schülersprecherwahl. Ich war
entsetzt und zutiefst enttäuscht.
Gemeinsam mit meinem Großvater
kam mein Vater im Alter von 15
Jahren nach Deutschland, besuchte
die Hauptschule und machte danach
eine Umschulung zum Schweißer.
Ich, das älteste von drei Kindern, bin
1995 in Unna geboren und in Bönen
aufgewachsen. Dort habe ich die
Realschule besucht. Ich war immer
eine gute und engagierte Schülerin
und habe mich bis zur zehnten
Klasse nie fremd in Deutschland
gefühlt. Im Gegenteil: Deutschland
hieß für mich Heimat. Nach zwei
Wochen Türkeiurlaub begannen
meine Geschwister und ich zu
jammern: "Wir wollen zurück nach
Hause!"
Die Anfeindungen nach der
Schülersprecherwahl ließen mein
Selbstbewusstsein sinken. Warum
mochten meine Mitschüler mich
nicht mehr? Wir gingen doch in
dieselbe Klasse und verstanden uns
gut. Hatte ich ihnen etwas getan?
Ich bemerkte, wie sich meine
Haltung zu ihnen und meinen
anderen Mitmenschen veränderte.
Auf der Straße hatte ich das Gefühl,
beobachtet zu werden. Ich hatte
Angst, die Menschen würden
denken, ich sei gar nicht deutsch,
obwohl ich hier geboren und
aufgewachsen bin. Ich begann
darüber nachzudenken, was ich
eigentlich bin: türkisch oder
deutsch? Beides gleichzeitig oder
keines von beidem?
Währenddessen sammelten meine
Mitschüler in der Schule eifrig
Unterschriften für eine neue Wahl.
Ich fühlte mich immer unwohler.
Auch den Unterricht fand ich immer
unerträglicher. Bei jeder
Wortmeldung wurde ich angestarrt.
Ich hatte das Gefühl, alle würden
darauf warten, dass ich etwas
Falsches sage, um sich darüber zu
amüsieren.
Meine wirklichen Freunde fanden
das überhaupt nicht lustig. Sie
ärgerten sich über die
Provokationen der anderen, waren
von Tag zu Tag aufgebrachter und
wollten mich gegen diese
ekelhaften Worte verteidigen.
Andere hingegen, die ich bisher für
meine Freunde gehalten hatte,
unterschrieben die Liste für die
Neuwahl. Das verletzte mich so
sehr, dass ich keine Lust und auch
keine Kraft mehr hatte, gegen die
rassistische Haltung meiner
Mitschüler anzukämpfen.
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
24
Quellen
http://www.welt.de/politik/deutschland/article7222075/Tuerken-sind-dieSorgenkinder-der-Integration.html
Stand: 26. Februar 2013
http://www.deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2011/02/24820/kinderund-jugendliche-sind-ihren-eltern-ein-vorbild/
Stand: 26. Februar 2013
http://www.zeit.de/gesellschaft/2012-08/leserartikel-rassismusschuelersprecherin
Stand: 27. Februar 2013
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
25
Impressum
Badische Landesbühne Bruchsal
Intendant: Carsten Ramm
Verwaltungsleiter: Norbert Kritzer
Die Badische Landesbühne
Am Alten Schloss 24
76646 Bruchsal
Tel.: 07251.7270
Fax: 07251.72746
E-Mail: [email protected]
www.dieblb.de
Redaktion und Layout:
Ramona Parino
[email protected]
Catharina Guth
[email protected]
Dramaturgie:
Julia Sievers
Fotos:
Sonja Ramm
Theaterpädagogisches Begleitmaterial
26