Schluss mit «Hilfsberuf»: Freiburger Pflegefachpersonen zeigen dem Nationalrat, was sie können Bern, 14.10.2013 – Auf der Suche nach Lösungen gegen den Pflegepersonalmangel erwägt das Parlament, die Pflege gesetzlich aufzuwerten. Auf Einladung des Berufsverbands SBK verschafften sich Nationalräte ein Bild professioneller Pflege vor Ort. Der Freiburger SPNationalrat Jean-François Steiert begleitete eine Pflegefachfrau der Kinderspitex. Mehr pflegebedürftige Menschen, aber viel zu wenig Pflegepersonal, das sich um sie kümmern kann: Statistiker warnen unsere alternde Gesellschaft vor einem solchen Zukunftsszenario. Bis 2050 dürfte sich die Zahl der Pflegebedürftigen in der Schweiz nahezu verdoppeln. Viele von ihnen werden hochaltrig sein, mehrfach und chronisch krank. Für Spitäler, Rehakliniken, Heime und Spitexorganisationen ist es bereits heute ein Kraftakt, genügend qualifiziertes Personal zu finden. Bis 2030 müssen aber Zehntausende Gesundheitsfachkräfte zusätzlich rekrutiert werden. Massnahmen, um die Versorgung zu sichern, sind also gefragt. In den Gesundheits- und Sozialkommissionen von National- und Ständerat wird derzeit über eine parlamentarische Initiative diskutiert, die die Pflege aufwerten und den anspruchsvollen Beruf attraktivieren will. Eingereicht hat den Vorstoss vor zwei Jahren der Berner SVP-Nationalrat Rudolf Joder. Er schlägt vor, die Eigenverantwortung der Pflege im Krankenversicherungsgesetz (KVG) zu verankern: Künftig sollen Pflegefachkräfte einen Teil der Pflegeleistungen selbständig erbringen und direkt über die Krankenversicherung abrechnen können. Gemeint sind Leistungen wie die Unterstützung der Patienten bei Körperpflege und Ernährung, die Prävention von Komplikationen wie Wundliegen oder Thrombosen, die Anleitung von Patienten und Angehörigen sowie Koordinations- und Informationsaufgaben. Heute ist für sämtliche pflegerischen Leistungen eine ärztliche Anordnung erforderlich. Pflege gelte zu Unrecht als Hilfsberuf, findet Joder: «Gut ausgebildete Pflegefachleute sind in der Lage, Verantwortung zu übernehmen und selbständig zu handeln. Sie kennen die Patienten und stehen in Kontakt mit ihnen.» Kranke Kinder pflegen, Familien entlasten Um der Politik Einblick in die professionelle Pflege zu geben, lud der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) Parlamentsmitglieder zu einem Schnuppertag ein. Der Freiburger SP-Nationalrat Jean-François Steiert begleitete Anfang Oktober die freiberufliche Kinderspitex-Fachfrau Ruth Hostettler bei einem Einsatz in einer Familie im Sensebezirk. Dort kümmert sich die erfahrene Fachfrau für Kinderkrankenpflege seit knapp einem Jahr um ein Kleinkind mit angeborener schwerer Fehlbildung des Herzens. Der 13 Monalte alte Knabe musste bereits als Säugling Operationen über sich ergehen lassen und wurde anfänglich über eine Magensonde ernährt, auch zuhause – keine einfache Situation für die Familie. Verordnet wird die Kinderspitex jeweils vom Kinderarzt oder vom Kinderspital. An Ruth Hostettler ist es dann, den Pflegebedarf zu klären. Neben der Pflege des Kindes in dessen vertrauter Umgebung zuhause gehört es auch zu ihren Aufgaben, die Eltern anzuleiten. Sie sollen im Umgang mit dem kranken Kind an Sicherheit gewinnen. Die Spitex-Pflegefachfrau betrachtet dabei die ganze Familiensituation und passt die pflegerischen Leistungen den Bedürfnissen der Eltern an. Am Anfang war Ruth Hostettler jeden zweiten Tag bei der Familie im Sensebezirk präsent, inzwischen geht sie noch alle zwei bis drei Wochen vorbei. Bei ihrer Arbeit als Kinderspitex-Fachfrau betreut Ruth Hostettler Kinder jeden Alters, vom frühgeborenen Säugling bis zum Teenager mit Leukämie. Um den vielfältigen Einsatzgebieten gerecht zu werden, benötigt sie ein grosses Fachwissen und viel Flexibilität. Für Nationalrat Jean-François Steiert sind die positiven Wirkungen der Kinderspitex gut sichtbar, wie er sagt. Durch die regelmässigen Besuche der qualifizierten Pflegefachfrau habe sich die Mutter des herzkranken Buben ein grosses Wissen aneignen können: «Das gibt den Eltern Selbstbewusstsein und macht sie unabhängiger vom Spital.» Wichtig sei, dass eine Beziehung aufgebaut werden könne und die Pflegefachleute nicht immer wieder wechselten. Steiert stellt fest: «Die Pflegefachpersonen der Spitex arbeiten schon heute sehr selbständig.» Der Pflege im KVG mehr Verantwortung zu übertragen, würde nachvollziehen, was gängige Praxis sei. Mehr Handlungsspielraum, mehr Pflege-Nachwuchs Die vorberatenden Kommissionen von National- und Ständerat hiessen den Vorstoss des Berner Nationalrats Joder ohne Gegenstimmen, mit wenigen Enthaltungen, gut. Nun arbeitet die nationalrätliche Gesundheitskommission einen Gesetzestext aus. Dabei gelte es, den ärztlichen und den pflegerischen Bereich systematisch voneinander abzugrenzen, sagt Nationalrat Jean-François Steiert: «Das ist machbar.» Auf diese Art behördlich gesteuert, lasse sich eine Mengenausweitung und damit eine Kostensteigerung im Gesundheitswesen verhindern. Ganz im Gegenteil: Steiert erwartet gar einen kostensenkenden Effekt, vor allem bei den immer mehr chronisch kranken Menschen. Wenn qualifiziertes Spitex-Personal Pflegeleistungen bei den Patienten daheim erbringen könne, müssten diese weniger ins Spital. Dazu trage auch die Unterstützung der Angehörigen bei, die von den Pflegefachkräften geschult werden: «Und die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familien erhöht sich ganz klar.» Auch Initiant Rudolf Joder glaubt nicht, dass sein Vorstoss eine Mengenausweitung bringt: «Wir wollen ja keine neuen Leistungen schaffen, sondern bei den bestehenden Leistungen einen Bereich mit mehr Verantwortung für die Pflege definieren.» Die neue Regelung dürfte laut Joder vielmehr zur Kosteneffizienz beitragen. Die heute obligatorische ärztliche Anordnung pflegerischer Leistungen verursache teils unnötigen Mehraufwand. In der langlebigen Gesellschaft werde Pflege an Bedeutung gewinnen, ist Joder überzeugt. Pflege nehme auch soziale Funktionen wahr, weil immer mehr Menschen allein lebten. SBKGeschäftsführerin Yvonne Ribi hofft, dass das Parlament die Verantwortung der Pflege anerkennen wird. In einem Beruf, der Handlungs- und Entscheidungsspielräume biete, sei es einfacher, Nachwuchs zu rekrutieren. Zudem könne so der hohen Ausstiegsquote in der Pflege entgegengewirkt werden: «Qualifizierte Pflegefachpersonen würden länger im Beruf bleiben.» All dies, bilanziert Yvonne Ribi, könnte den Pflegepersonalmangel in der Schweiz entschärfen helfen. SBK – der Berufsverband der Pflegefachpersonen Der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) ist der repräsentative Berufsverband der diplomierten Pflegefachpersonen. Mit rund 26'000 Mitgliedern ist er eine der grössten Berufsorganisationen im Gesundheitswesen.
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