Und was zählt die Erfahrung? - Brennwald Coaching50plus

Freitag, 12. November 2010 / Nr. 263
Dossier
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43
Arbeitsmarkt
Und was zählt die Erfahrung?
Jung und dynamisch – so
lautete lange das ideale
Stellenprofil. Je älter der
Mitarbeiter war, desto
schwieriger die Stellensuche.
Doch das scheint sich nun
zu ändern.
«Vor kurzem waren viele Firmen
noch der Meinung, jede Abteilung müsse ausschliesslich ‹jung und dynamisch›
sein. Jetzt haben sie gemerkt, dass es
auch Leute braucht, die Sachen hinterfragen und mit Ruhe und Erfahrung an
Projekte herangehen», so Bomio.
Dies bestätigt auch Pieter de Vries,
Direktor einer Beratungsfirma im Bereich Lernstrategien und Lerntechnik.
«Verschiedene Studien zeigen, dass von
jungen Teams zwar mehr Ideen kommen. Diese Ideen können aber nur
nachhaltig und marktnahe umgesetzt
werden, wenn auch ältere Personen
mitwirken.»
BARBARA INGLIN
[email protected]
Es war ein harter Schlag für Karl Hotz
aus Baar. Mit 58 bekam er die Kündigung in die Hand gedrückt. Erstmals in
seinem Leben war er arbeitslos. 30
Jahre hatte Hotz zuvor für die Niederlassung einer internationalen Handelsfirma gearbeitet, vor einem halben Jahr
wurde diese geschlossen.
Karl Hotz machte sich auf Arbeitssuche und musste feststellen, wie schwierig das ist in diesem Alter. Dutzende
Bewerbungsdossiers hat er verschickt.
«Aber es kamen nur Absagen zurück,
die haben meine Unterlagen wahrscheinlich nicht einmal genau angeschaut», erzählt er von der belastenden
Zeit.
Interne Wechsel empfehlenswert
Es gibt aber nicht nur jene Frauen
und Männer, die gezwungen sind, eine
neue Stelle zu suchen. Sondern manche
wollen sich mit 50 schlicht noch einmal
beruflich neu orientieren. Speziell für
diese Altersgruppe bietet etwa Urs
Brennwald in Luzern Beratungen und
Coachings an. Zu ihm kommen Arbeitslose, aber eben auch solche, die nach
«jahrelanger Arbeit in einem Betrieb
festgefahren sind».
Erstmal gehe es in der Beratung um
eine Standortbestimmung. «Natürlich
bringt es nichts, die verbleibenden
Jahre bis zur Pensionierung einfach
abzusitzen», so Brennwald. «Ich rate
meist nicht zum Stellenwechsel, sondern zur persönlichen Veränderung
Mehr Lohn und Sozialleistungen
Karl Hotz ist nicht der Einzige: «Je
älter, desto schwieriger ist in der Regel
die Stellensuche», sagt Reinhard
«Mein Umfeld war anfangs sehr skeptisch.
Doch ich wollte mein
Schicksal selber in die
Hand nehmen.»
«Jetzt haben sich viele
Arbeitgeber umbesonnen. Graue Haare sind
wieder attraktiv.»
G I A N N I B O M I O , P R ÄS I D E N T
DES ZUGER VEREINS FÜR
ARBEITSMARKTMASSNAHMEN
K A R L H OT Z
GRÜNDET MIT 58 EINE FIRMA
Bartsch, Leiter des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV) Goldau.
Das habe einerseits damit zu tun, dass
die Arbeitgeber dieser Altersgruppe oft
weniger zutrauten und sie deshalb bei
Bewerbungsverfahren gleich am Anfang aussortiert würden. Anderseits
liesse sich diese Alterskategorie aber
auch schneller entmutigen. «Oft haben
diese Personen davor für ihre Arbeit
Wertschätzung erfahren. Nun plötzlich
müssen sie damit umgehen, dass eine
Absage nach der anderen ins Haus
flattert. Das ist nicht immer einfach.»
Tatsache ist aber auch: Ältere Arbeitnehmer haben aufgrund ihrer Berufserfahrung und Ausbildungen oft höhere
Lohnforderungen. Sie haben Anspruch
auf mehr Sozialleistungen und Ferientage.
Bewerbungsstrategie ändern
Für Arbeitslose über 50 bietet das
RAV Kanton Zug deshalb einen speziellen Kurs an. «Diese Leute brauchen eine
andere Bewerbungsstrategie als Jüngere», sagt Gianni Bomio, Generalsekretär
der Volkswirtschaftsdirektion Zug und
Präsident des Zuger Vereins für Arbeitsmarktmassnahmen. «Klar sind sie teurer, aber es bringt nichts, wenn sie sich
deshalb unter ihrem Wert verkaufen.
Vielmehr müssen sie ihre grosse Berufs-
und Weiterentwicklung, und zu einer
sinnvollen Planung der letzten Arbeitsphase.»
Brennwald empfiehlt seinen Klienten, sich aktiv neu zu orientieren. «Oft
ergeben sich innerhalb einer Firma
neue Möglichkeiten. Ein 57-jähriger
Kadermitarbeiter muss ja nicht
zwangsläufig auf seiner Stellung beharren. Vielleicht bringt es ihm selber –
und auch der Firma – mehr, wenn er
seine Erfahrung und sein Engagement
projektorientiert einbringt.»
Karl Hotz steht vor seinem Büro in Baar. Er hat sich mit 58 selbstständig gemacht.
erfahrung richtig anpreisen.» 40 bis 50
Prozent der über 50-jährigen Arbeitslosen finden aktuell innert 12 Monaten
eine Stelle – das sind zwar mehr als in
anderen Kantonen, aber immer noch
weniger als im Vergleich zu den jüngeren Stellensuchenden.
Interessant ist nun, dass sich die
Situation allmählich zu ändern scheint.
Bomio sieht die Chancen dieser Altersgruppe wieder steigen. Die Arbeitgeber,
ist er überzeugt, haben die Generation
«50 plus» gerade erst wiederentdeckt.
«Bis vor zwei Jahren galten sehr viele
BILD PIUS AMREIN
Personen über 50 als schwer vermittelbar. Jetzt haben sich viele Arbeitgeber
umbesonnen. Graue Haare sind wieder
attraktiv.» Seit Anfang Jahr sinke die
Arbeitslosenquote der über 50-Jährigen
kontinuierlich, genau wie bei den jüngeren Arbeitnehmern.
Karl Hotz eröffnet eigene Firma
Übrigens, auch die Geschichte von
Karl Hotz hat sich schliesslich zum
Guten gewendet. Er hat sich entschieden, noch mal richtig durchzustarten
und den Schritt in die Selbstständigkeit
zu wagen. Karl Hotz GmbH heisst seine
eigene Firma, die er nun gegründet hat
und mit welcher er kaufmännische
Dienstleistungen anbietet. «Mein Umfeld war anfangs sehr skeptisch», sagt
er. «Doch ich fühle mich voller Tatendrang und wollte mein Schicksal selber
in die Hand nehmen.»
Sein Einmannbetrieb hat bereits die
ersten Aufträge gefasst. Er sagt: «Ich bin
froh, im Herbst meiner Karriere nochmals einen beruflichen Frühling zu
erleben.»
BEVÖLKERUNG
Mehr ältere Mitarbeiter im Betrieb
Die Generation der 50- bis 64-Jährigen nimmt in den nächsten Jahren in
der Schweiz weiter zu. Während heute in dieser Altersgruppe rund 1,49
Millionen Personen gezählt werden,
sind es in zehn Jahren, 2020, sogar
1,71 Millionen (siehe Grafik).
Das hat Auswirkungen auf den
Arbeitsmarkt. Bald wird ein grosser
Teil der erwerbstätigen Bevölkerung
über 50 Jahre alt sein. Und darauf
muss sich die Wirtschaft vorbereiten.
So schreibt denn auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco): «Aufgrund der demografischen Entwicklung wird es künftig für die Schweiz
immer wichtiger sein, dass ältere
Erwerbstätige über 50 Jahre am Arbeitsmarkt teilhaben.» Doch gerade
in dieser Alterskategorie gibt es einen
zunehmenden Anteil an Personen, die
nicht erwerbstätig sind. Häufigste
Gründe sind gesundheitliche Austritte,
Entlassungen und freiwillige frühzeitige
Austritte. Der Anteil Personen mit chronischen gesundheitlichen Problemen
infolge eines Arbeitsunfalles oder einer
berufsbedingten Krankheit ist bei den
50- bis 59-Jährigen am höchsten.
Weiterbildung für Jung und Alt
Ältere Arbeitnehmer werden laut erwähntem Seco-Bericht aus dem Jahr
2007 nicht systematisch aufgrund ihres
Alters stigmatisiert oder entlassen. So
stellt die Studie etwa fest, dass auch
ältere Mitarbeitende in den untersuchten Betrieben von den Vorgesetzten in
gleichem Masse dazu ermuntert werden, sich weiterzubilden, wie dies auch
mit jüngeren Mitarbeitern geschieht.
Ältere Angestellte sind auch mehrheitlich zu einer Weiterbildung bereit.
Problematischer wirds, wenn ältere
Angestellte einmal arbeitslos und auf
Stellensuche sind. Dann finden sie
«deutlich seltener eine neue Beschäftigung als junge Arbeitslose und müssen
zudem länger suchen, bis sie eine neue
Stelle finden.» Am schwierigsten sei der
Wiedereinstieg bei unqualifizierten
Hilfskräften. Kaderleute würden schnell
wieder eine Stelle finden.
Der Grossteil der 50- bis 65-Jährigen
ohne Arbeit zieht sich aber ohnehin aus
dem Erwerbsleben zurück. 90 Prozent
entscheiden sich aus familiären oder
gesundheitlichen Gründen oder Frühpensionierung gegen die erneute ArBIN/FLU
beitssuche.
Die Schweiz wird immer älter
Entwicklung der Bevölkerung nach ausgewählten Altersgruppen
2 000 000
1 750 000
1 500 000
1 250 000
1 000 000
750 000
65- bis 7979-Jährige
Jährige
500 000
35- bis 49-Jährige
50- bis 64-Jährige
20- bis 34-Jährige
250 000
0
1950
1970
1990
2000
2010
2020
2030
2040
Quelle: Bundesamt für Statistik, Grafik: web