www.ssoar.info "Bologna" für wen, für was? Brandt, Reinhard Veröffentlichungsversion / Published Version Zeitschriftenartikel / journal article Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Brandt, Reinhard: "Bologna" für wen, für was?. In: Psychologie und Gesellschaftskritik 33/34 (2010), 4/1, pp. 107-109. URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-386433 Nutzungsbedingungen: Dieser Text wird unter einer CC BY-NC-ND Lizenz (NamensnennungNicht-kommerziell-Keine Bearbeitung) zur Verfügung gestellt. Nähere Auskünfte zu den CC-Lizenzen finden Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/ Terms of use: This document is made available under a CC BY-NC-ND Licence (Attribution Non Comercial-NoDerivatives). For more Information see: http://creativecommons.org/licenses/ P s y c h o lo g ie & G e s e lls c h a fts k ritik , 33 (4 ) u. 34 (1), 10 7-1 09. Reinhard Brandt >Bologna< für wen, für was? >Bologna< steh t für zwei Ziele. Erstens soll ein europäischer Hochschulraum und zweitens ein praxisnahes Studium besond ers der A nfangssem e ster (in einigen, nicht allen Ländern Europas >Bachelor<f geschaffen w er den. In diesem Bachelor-A bschnitt w erden die Leistungen in einem ein heitlichen Punktesystem erfasst und dam it wie m it dem Euro in einer gem einsam W ährung vergleichbar gem acht. So soll man problem los von Lissabon nach Helsinki, von Bukarest nach Palerm o w echseln können. Die entscheidenden Beschlüsse wurden 1 9 9 9 von Regierungsdelegationen gefasst, aber von keinem Parlam ent verabschiedet. Parlam entarische E r örterungen hätten die Beschlüsse rasch als v erfehlt und als Täuschung enthüllt. V erfehlt ist der Europa-Gedanke. Es w ar im m er der W echsel des Studienorts in W esteuropa und seit 1 9 9 0 in ganz Europa möglich, hier w ären einige Erleichterungen nützlich gew esen, aber w elchen Vorteil bringt die neue Euro-Reglem entierung? Und: W em d ient der viele Lärm? Wie viele Portugiesen wollen je tz t und künftig nach Mazedonien, wie viele Rumänen nach Norwegen? Studierende m öchten in andere europäische Länder, aber vor allem in die USA, andere nach Kanada, M eeresbiologen vielleicht nach Australien und Japanologen häufig nach Japan. Die Univer sität ist wie die W issensch aft global, nicht national und nicht europäisch. Hochschulraum Europa? Kein besond erer Bedarf; die Verbindungen m üs sen w eltw eit erleich tert werden. Im Übrigen hindert je tz t die wachsende Unkenntnis and erer europäischer Sprachen und vor allem die neue büro kratische Verw altung m it ihren ausgestreuten Nägeln die Ausfahrt nicht nur in europäische Staaten, sondern sogar den W echsel in die N achbar universität - und dies nicht nur in Deutschland, sondern in allen Bologna Ländern. W ichtiger ist das Praxisproblem . Die U niversitäten sind w eltw eit auf geschw em m t und aus den Fugen geraten. Sie steuern auf ein Zwei-Klas P&G 4/09-1/10 107 R e in h a rd B ra n d t sen-System zu, w obei die Unterklasse zur Schule um funktioniert wird. >Bologna< dient nur als Vorwand, um dieses eigentliche Ziel zu erreichen. In W irklichkeit wollte und will man aus politischen Gründen die großen Zahlen halten, aber unter der Bedingung der bürokratischen Beschleuni gung des Studiums im Niedrigsektor. Unter dem falschen Etikett von Stu dium und U niversität verbirgt sich für die M assen das verschulte Lernen, die Freih eit der Fächerw ahl wird ersetzt durch den Zwang der Module. Der System w andel liegt in dem Ersetzen von Erkenntnis durch Wissen. Die ältere U niversität zielte schon im ersten Sem ester auf die Einheit von For schung und Lehre durch die Einübung in die Praxis der kritischen E r kenntnis; Erkenntnis fragt nach Gründen, sie hält sich bei Fragen auf und kultiviert die them enbezogene Neugier. Das kritische Studium ist nur in Freiräum en möglich, in denen man für die einzelnen Schritte selb st v e r antw ortlich ist. W issen dagegen begnügt sich m it aufgehäuften Fakten. Die Bürokratie m acht aus der U niversität der Erkenntnis im B achelor Bereich eine Anstalt des Anhäufens und Abfragens und Benotens von W issen. Das bloße W issen sch ert sich nicht um Gründe und Kritik, son dern wird pädagogisch schulm äßig eing etrichtert und w eitergegeben, der Leitgesichtspunkt ist die verm eintliche Praxis außerhalb der Universität. Der Prüfungswahn, der das Lernen perm anent begleitet, ist für erw achse ne M enschen - die Studierenden ebenso wie die Lehrenden - zutiefst unwürdig, er m acht aus freien Bürgern U ntertanen nach DDR-Muster. Das System der Verschulung im Niedrigbereich wird vorangetrieben von Privatfirm en, die ca. 15 0 0 0 bis 2 5 0 0 0 Euro pro Beglaubigung eines Studienganges erw irtschaften. Die Personen dieser Firm en m ussten sich nie dem akadem ischen Publikum im Auditorium maximum vorstellen, um ihre Kompetenz nun ihrerseits überprüfen zu lassen. Sie geben anonym vor, die Praxisrelevanz des Studiums zu kennen; einklagbar sind die V er sprechen nicht (im Gegensatz zu den Täuschungen von Finanzm anagern]. Das Elend der inkonsistenten Studienreglem entierung konnten alle Uni versitäten voraussehen und der Bürokratie den Zugang auf das Universi tätsgelände verw eigern. Es wurden die Institute aufgefordert, die Entw ür fe des praxisgegängelten Studiums zu erstellen und einzureichen, daraus konnte nur ein d ilettantisches Stückw erk entstehen, unter dem die Stu- 108 P&G 4/09-1/10 >Bologna< fü r w en , fü r w as? dierenden je tz t leiden und ihre teure Studienzeit vergeuden. Die Universi tätsspitzen drucken nach Firm enm anier feine teure Journale, in denen sie ihre Erfolge verkünden; kein W ort von der M isere, in die sie die Studie renden führen. W as tun? Dem einzelnen Studierenden ist v o rerst zu raten, das Studi um irgendwie nach Partisanenm anier m it Unterstützung von einzelnen Lehrenden zu bew ältigen. Die staatlichen U niversitäten sollten klar dekla rieren, dass sie ein Zweiklassensystem wollen: Einen Niedrigsektor als Berufsschule und eine Kernuniversität m it dem Ziel der Erkenntnis und Forschung. Die erste wird von Funktionären und Pädagogen ausgerichtet, die zweite von W issenschaftlern. Sagt es doch. P&G 4/09-1/10 109
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