889 Fall 2872 Was sehen Sie? Im kassenärztlichen Notdienst erfolgt der Anruf einer Altenpflegerin. Sie mache sich Sorgen um eine Bewohnerin, die eine auffällige Urinverfärbung aufweise. Bei der 85-jährigen, beschwerdefreien Patientin war wegen Inkontinenz ein transurethraler Dauerkatheter angelegt worden. Die Untersuchung des Abdomens und der Harnblase ist unauffällig, Fieber besteht nicht. Der Urinteststreifen ist dreifach positiv für Bakterien und Leukozyten sowie einfach positiv für Nitrit. q Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose? q Sind Differenzialdiagnosen möglich? q Wenn ja, welche? Dtsch Med Wochenschr 2008; 133, Nr. 17 890 Fall 2872 Auflösung q Befunde 1) Blauviolette Verfärbung des Urinbeutels und Schlauchsystems (stark anhaftend, nicht abwaschbar) 2) Rotviolette Färbung des Urins q Diagnose Syndrom des violetten Urinbeutels (Purple Urine Bag Syndrome) q Differenzialdiagnose – Keine Dtsch Med Wochenschr 2008; 133, Nr. 17 Beim „Purple Urine Bag Syndrom“ handelt es sich um eine harmlose Verfärbung des Urins und der mit ihm in Kontakt stehenden Kunststoffflächen von Harnableitungssystemen, vermutlich mit Indigoblau, einem Abbauprodukt der Aminosäure Tryptophan [1]. Sie wird im Darm durch das von E. coli gebildete Enzym Tryptophanase in Indol, Brenztraubensäure und Ammoniak gespalten. Die Metaboliten werden im Dickdarm resorbiert und das Indol in der Leber zu Indoxylsulfat metabolisiert. Für die Verstoffwechselung in das blau färbende Indigo und das rote Indigorubin sind Provincia stuartii (häufig in den Harnwegen katheterisierter Patienten zu finden) und Klebsiella pneumoniae verantwortlich, aber auch Pseudomonas aeruginosa, Proteus mirabilis und andere sollen in der Lage sein, Indoxyl in alkalischem Urin umzuwandeln. Obstipationsneigung und weibliches Geschlecht gelten als Risikofaktoren. Möglicherweise begünstigt eine chronische Obstipation eine Veränderung der Darmflora und ein vermehrtes Auftreten Tryptopha- nase-bildender Bakterien. Das bevorzugte Auftreten bei Frauen könnte durch die kürzere Harnblase und eine leichtere Besiedlung mit Sulfatase/Phosphatase-bildenden Bakterien verursacht sein [2]. Bei der Patientin wurde unter der Annahme einer Harnwegsinfektion eine orale Antibiotikatherapie mit einem Gyrasehemmer eingeleitet. Vier Stunden später wurden Blasenkatheter und Beutelsystem gewechselt, der nachlaufende Urin war nicht mehr verfärbt. Literatur 1 Barlow GB, Dickson JAS. Purple urine bags. Lancet 1978; 311: 220-221. 2 Su FH et al. Case analysis of purple urine-bag syndrome at a long-term care service in a community hospital. Chang Gung Med J 2005; 28: 636-642. Dr. Dirk Ahrens, Dr. Martin Scherer Abteilung Allgemeinmedizin Georg-August-Universität Humboldtallee 38 37073 Göttingen [email protected] DOI 10.1055/s-2008-1075666
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