Leseprobe

Caren Anne Poe
Traurige Gewissheit
… oder alles nur ein böser Traum
Roman
Nach einer wahren Begebenheit
Buch
Wie schön könnte das Leben für Anna Porter weiter in ihrem
Traumhaus in Sainte Maxime sein. Doch ihre wohl geordnete Welt
bekommt die ersten Risse, als ihre Tatyana nach Rückkehr aus dem
englischen Internat zu rebellieren beginnt, ihr Ehemann Henning sie
nach seiner schweren Krankheit nur noch tyrannisiert. Anna fürchtet
um ihr Leben. Plötzlich bricht Annas heile Welt wie ein altes
Kartenhaus in sich zusammen. Für Anna beginnt ein Albtraum.
Die Autorin
Caren Anne Poe widmet sich schon seit vielen Jahren dem Bücher
schreiben. Als Managerin in verschiedenen Unternehmen blieb ihr
jedoch nie viel Zeit zum Schreiben. Doch Schreiben war schon immer
ihre große Leidenschaft. Heute hat sich die Autorin aus dem
Berufsleben zurückgezogen, um sich nur noch ihren Büchern zu
widmen.
Alle © Rechte vorbehalten.
„Traurige Gewissheit oder alles nur ein böser Traum“
ist ein Roman nach einer wahren Begebenheit, sämtliche Namen
und Orte wurden geändert, um keine Persönlichkeitsrechte zu
verletzen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen, wären rein
zufällig und nicht beabsichtigt.
Copyright © 2013 by Caren Anne Poe
Text u. Publishing Rights: Autorin Caren Anne Poe
www.caren-anne-poe.com
www.blog.caren-anne-poe.com
[email protected]
Titelillustration:
Pixelio 483132 - Fotograf: Ulla Trampert u
Pixelio 444588- Fotograf Günter Hommes
Easybay-web – 86165 Augsburg
Textgestaltung: EasyBay-web Limited
Mercator House, New Road EVX, UK
ISBN-13 978-3-00-044509-5
Leseprobe 1
Wenn du einen verhungernden Hund aufliest und machst
ihn satt, dann wird er dich nicht beißen. Das ist der
Grundunterschied zwischen Hund und Mensch.
Mark Twain
Vorwort
„Also, wenn ich du wäre, ich würde mich auf gar keinen
Fall davon trennen. Ich würde darum kämpfen wie ein Löwe.
Lass´ dich um Himmels Willen doch nicht von ihm zwingen,
deinen Lebenstraum aufzugeben.
„Was hast du zu verlieren, wenn du ihn an die Luft setzt?“
„Das Problem ist nur, dass er sich nicht so einfach an die
Luft setzen lassen wird. Du weißt doch, was er bereits getan hat.
Er wird mich fertigmachen, sollte ich nicht zustimmen.“
„Auf keinen Fall wirst du das tun.“ Claudine konnte nicht
fassen, wie Anna diesen Gedanken überhaupt zulassen konnte.
Das hier war Annas Leben. Dabei schaute sie kopfschüttelnd
durch die Glasfront des Hauses ihrer Freundin, das in Hanglage
am Golf von Saint Tropez lag, mit einem grandiosen Blick zu
den sanften Hügeln der gleichnamigen Stadt, auf der sich viele
Prominente niederließen. Und Annas Haus bot nicht nur einen
unbeschreiblich fantastischen Blick auf den gesamten Golf und
auf das mondäne High Society Städtchen Saint Tropez, sondern
auch über das offene Meer. Und bei klarer Sicht waren sogar die
Bergspitzen von Korsika zu sehen. Dann wirkten sie wie eine
Fata Morgana am Horizont des Mittelmeers.
Das Anwesen war Annas ganzes Glück. Sie hatte es
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besonders liebevoll im mediterranen Stil eingerichtet. Und alle
Besucher schätzten und genossen dieses wundervolle Ambiente
sehr. Anna war sich vollkommen im Klaren darüber, dass
Henning ihr all das niemals kampflos überlassen würde.
„Henning wird sicher nicht eher abreisen, bevor wir beim
Notar waren. Er will mir um jeden Preis alles kaputtmachen,
was ich mir hier aufgebaut habe.“
Anna wandte sich dem Fenster zu, schaute sehnsüchtig auf das
Meer, das sie so sehr liebte. In Gedanken fragte sie sich, wie er
all die wundervollen Jahre, die sie hier gemeinsam verlebten, so
plötzlich aus seinen Erinnerungen löschen und zerstören
konnte. Sie fühlte sich in diesem Moment in einem Gefühl der
Hoffnungslosigkeit gefangen.
Claudine legte Anna mitfühlend ihre Hand auf ihre
Schulter. Sie versuchte ihrer Freundin etwas Trost zu spenden
und ihr Mut zuzusprechen, obwohl auch sie eine Vorahnung
davon hatte, was noch kommen würde. Doch das behielt sie
lieber vorerst für sich.
„Lass den Kopf nicht hängen. Du musst jetzt stark sein.
Wehr dich. Das hier alles“, dabei schwang Claudine ihren
rechten Arm ausschweifend von links nach rechts, „das darfst
du auf gar keinen Fall verlieren.“
„Ich weiß. Aber es ist aus. Dieses Leben ist endgültig
vorbei. Alle unsere Träume, unsere Pläne die wir noch hatten,
werden nie mehr wahr werden. Mein großer Traum ist
ausgeträumt. Ich habe einfach keinen Nerv mehr für diesen
Krieg. Verstehst du das?“
Claudine schwieg und hing ihren Gedanken für einige
Sekunden hinterher. Während Anna noch immer auf das Meer
starrte, fragte Claudine plötzlich: „Weiß deine Tochter eigentlich
schon von dem Unglück und von all´ dem hier?“
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„Nein, woher denn auch. Wir haben seit Jahren keinen
Kontakt mehr zu ihr. Wir wissen ja nicht einmal, wo sie sich
augenblicklich aufhält, ob es ihr gut geht, oder ob sie nicht
tatsächlich in die Fänge einer Sekte geraten ist. An etwas
anderes will ich erst gar nicht denken. Aber sie ist im Moment
nicht auffindbar.“
„Oh Gott, habt ihr denn nicht nach ihr gesucht?“
„Doch sicher. Wir haben alles Menschenmögliche
unternommen, um sie zu finden. Ich glaube, sie will vielleicht
gar nicht von uns gefunden werden.“
„Wie kommst auf diese Idee?“
„Meine Tante deutete einmal so etwas an. Ich habe im
Moment weiß Gott andere Probleme, als nach diesem
undankbaren Kind zu suchen.“
Claudine schwieg eine Weile; denn sie wusste nur zu gut, was
Tatyana alles angerichtet hatte. Was sie ihren Eltern zumutete.
Und sie war sich nicht sicher, wie sie angesichts solcher
Handlungen mit ihrem Sohn verfahren würde. Claudine nahm
Anna noch einmal fest in den Arm, dann strich sie ihr
freundschaftlich über den Rücken und schmiegte sich von
hinten dicht an Annas Wange. Sie gab ihr einen sanften Kuss
auf den Hals zum Abschied. Auch wenn es ihr schwer fiel, ihre
Freundin jetzt in dieser Situation alleine zurückzulassen, doch
sie hatte keine Wahl, sie musste gehen.
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„Was ist, warum schaust du mich so komisch an? Ist
irgendetwas falsch an mir?“
Anna beschlich augenblicklich ein ungutes Gefühl.
Denn Henning saß nur da und starrte sie eigenartig und
sonderbar an. Er saß vor seinem Schreibtisch, schrieb wieder
einmal geheimnisvolle Mails, wie so oft in letzter Zeit, als er sich
plötzlich Anna zuwandte. Sein Blick war kalt und hasserfüllt.
Anna spürte sofort seine Feindseligkeit. Es fröstelte sie direkt
bei seinem Anblick. Er wurde ihr immer unheimlicher. Oh mein
Gott, dieser bedrohliche Blick, nein, das ist nicht mehr mein Henning.
Niemals zuvor hatte er sie mit so kalten Augen angeschaut.
„Henning, was ist los? Wieso schaust du mich so komisch
an. Was ist bloß los mit dir? Was hab´ ich dir getan? Starr mich
bitte nicht so an, du machst mir Angst.“
Doch Anna ahnte irgendwie schon, dass er genau das damit
bezweckte. Das er gerade dabei war, irgendeinen neuen Giftpfeil
auf
seiner
Zunge
bereitzulegen,
um
ihn
ihr
entgegenzuschleudern. Sie schaute in seine früher so sanft
wirkenden hellblauen Augen. Doch jetzt, in diesem Moment, da
wirkten sie eher wie die Augen eines Raubvogels. Mit weit
geöffneten Pupillen und einem starrem Blick fixierte er sie, ohne
zu antworten. Er starrte sie nur kaltherzig an und schwieg. Anna
lief ein kalter Schauer über den Rücken
Sie spürte jetzt, wie sie sein Blick regelrecht durchbohrte. Ihre
Magenwände krampften sich augenblicklich zusammen und
Anna wusste sofort, es war wieder soweit. Was hat er dieses Mal
vor? Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, als Henning endlich
antwortete. Neuerdings liebte er es, Spannung zu erzeugen,
geheimnisvoll zu wirken, sie ratlos zu machen. Doch auch
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dieses Mal war es natürlich nichts Freundliches, was er zu sagen
hatte. Er wollte ihr nur den nächsten Tiefschlag versetzen. Es
nahm einfach kein Ende mehr. Noch immer war sein Blick fest
auf ihre Augen gerichtet. Mit hassverzehrter Stimme sagte er
scharf: „Weißt du eigentlich, dass ich dich nie geliebt habe?“
Während er mit einem angewiderten Gesicht zu Anna sprach,
machte er eine abschätzige Handbewegung. Anna spürte
augenblicklich, wie sich ihr Puls beschleunigte.
„Ja, ich bin mir heute sogar ganz sicher, dass ich dich nie
wirklich liebte. Das ist mir jetzt klar geworden, sonnenklar. Wie
konnte ich nur all die Jahre so blind gewesen sein.“
„Willst du mir damit sagen, dass du mir in all den Jahren, in
denen wir uns mit großer Zärtlichkeit und Leidenschaft liebten,
uns oft stundenlang aneinander kuschelten, nur etwas
vorgemacht haben willst? Das du in Wirklichkeit nie etwas für
mich empfunden hast, das alles nur Theater war, alles nur eine
einzige Lebenslüge? Ist es das, was du mir damit sagen willst?“
fragte Anna entsetzt. Ihre Stimme begann zu vibrieren, sie
schien beinahe zu versagen, obwohl sie sich immer wieder, und
immer wieder schwor, sich von ihm nicht mehr provozieren zu
lassen. Doch das hier, das ging an die Substanz. In seiner
maliziösen Stimme schwang jetzt Trotzigkeit mit.
„Wieso denn Lebenslüge? Wie du weißt, hatte ich ja jetzt
genügend Zeit gründlich darüber nachzudenken, mir Klarheit
über uns zu verschaffen. Und nun teile ich dir lediglich das
Ergebnis meiner Überlegungen mit. Ich denke nämlich, du
solltest es wissen.“
Wie eine Trotzburg saß er mit verschränkten Armen nun vor
ihr. Selbstgefällig lehnte er sich zurück, streckte salopp und
entspannt seine langen Beine vor ihr aus und schmunzelte sie
kampfeslustig an.
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„Macht es Spaß?“
„Was? Was meinst du?“ fragte er scheinheilig, wobei er
schadenfroh und spöttisch vor sich hin lächelte.
„Macht es Spaß, mich ständig zu schockieren, mir
irgendwelche Gemeinheiten an den Kopf zu werfen?“
„Was kann ich dafür, wenn du Fakten nicht akzeptieren
kannst. Und Fakt ist nun einmal, dass ich jetzt weiß, dass ich
dich nie liebte. Ich frage mich sowieso schon länger, wieso mir
das erst jetzt klar wurde.“
„Du bist so wunderbar gemein. Du scheinst dir richtig gut
in deiner neuen Rolle eines zweiten J.R. Ewing zu gefallen. Ist es
nicht so?“
„Wenn du meinst, dass ich nur eine Rolle spiele, muss ich
dich enttäuschen.“
„Aber wenn du glaubst, dass du der Einzige hier bist, der
sich seit geraumer Zeit allerlei Fragen stellt, dann muss ich dich
ebenso enttäuschen. Denn auch ich stelle mir seit einigen
Wochen einige Fragen.“
„So, na dann mal raus mit der Sprache. Wenn wir schon
dabei sind, uns Klarheit zu verschaffen, dann leg mal los. Nur
keine falsche Scheu. Sag schon, worüber denkst du angeblich
schon lange nach?“
Eigentlich hatte Anna sich geschworen, egal wie gemein er zu
ihr sein wird, so etwas niemals auszusprechen. Niemals so tief
zuzuschlagen. Sich niemals auf sein Niveau zu begeben. Doch
das Fass des Unerträglichen war inzwischen mehr als voll bei
ihr.
„Ich frage mich“, sie überlegte noch eine Sekunde, ob sie
das tatsächlich sagen sollte, als Henning ihr ins Wort fiel.
„Na, jetzt musst du wohl erst einmal scharf überlegen, dir
schnell etwas ausdenken. Ist es nicht so? Dir geht nämlich in
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Wirklichkeit überhaupt nichts durch den Kopf!“ fauchte er sie
giftig an. „Hab ich recht?“
„Da gib dich mal keinen falschen Hoffnungen hin! Denn
auch ich frage mich tatsächlich seit geraumer Zeit einiges. Wieso
ich zum Beispiel so eine Idiotin war.“
„Idiotin? Warum? Vielleicht, weil du dich mich geangelt
hast, eine gute Partie? Denn die war ich ja wohl damals für dich
oder etwa nicht?“
„Mach dich nicht lächerlich. Gute Partie? Das ich nicht
lache. Ohne dich wäre mir verdammt viel erspart geblieben.
Außerdem wirst du damals ohne mich mit Robert verdammt
hart gelandet. Vielleicht ist dir wenigstens diese Erinnerung
geblieben.“
„Aha, jetzt kommt diese Leier. Ich hätte das auch ohne
dich überstanden. Oder glaubst du allen Ernstes, dass Robert
mich damals wirklich totgeschlagen hätte?“
„Genau das wäre passiert. Oder er hätte dich an diesem
Tag zu einem Krüppel gemacht. Das weißt du doch ganz genau.
Auch das ist Fakt.“
„Anna, die große Retterin, die Heldin, der ich mein Leben
verdanke. Glaubst du das wirklich?“
„Du widerst mich an. Ja, ich habe dir damals deinen Arsch
gerettet, mein Lieber Henning! Und ohne mich hättest du
garantiert heute nicht mehr die Gelegenheit, mir ständig
irgendwelche Gemeinheiten an den Kopf zu werfen. Aber egal,
über diese Zeit aus der Vergangenheit habe ich im Augenblick
sicher nicht nachgedacht.“
„Nicht? Na, worüber hast du denn angeblich nachgedacht?
Da werd´ ich ja direkt neugierig. Lass doch mal hören. Da bin
ich aber wirklich gespannt, was dir vermeintlich schon lange
durch den Kopf geht. Nur raus damit. Komm schon, lass mich
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auch an deinen Gedanken teilhaben.“ Dabei grinste er spöttisch,
weil er davon ausging, dass Anna das nur sagte, um sich zu
rächen.
„Okay, wenn du es wirklich wissen willst, dann sage ich dir,
worüber ich seit Wochen bereits grüble. Nämlich, wieso ich nur
so dämlich war, dir dein Leben zu retten. Ich hätte dich auch
einfach in Bonaire lassen können. Dann wäre diese Insel dein
letztes Zuhause geworden. Stattdessen ging ich für dich durch
die Hölle, um dir dein Leben zu retten und wie dankst du mir
das? Du undankbarer Unverschämtling!“
Sie spürte, wie ihr die aufsteigende Wut die Röte ins
Gesicht trieb. Anna war in dieser Sekunde regelrecht in Rage
geraten. Es schnürte ihr schier die Kehle zu. Sie bekam kaum
noch Luft. Doch nun sah sie, wie sich sein Zorn auf sie nur
noch mehr steigerte. Verdammt, vielleicht hätte ich das doch nicht
sagen sollen, machten sich sofort die schlimmsten Gewissensbisse
bei ihr breit. Sein irrer missmutiger Blick, die Art, wie er sich
gebärdete, traf Anna wie ein Peitschenhieb. Ohne jeden Zweifel
schlug ihr augenblicklich wieder seine volle Verachtung und
tiefster Hass entgegen. Henning war ihr nie fremder, wie in
diesem Moment.
Anna fühlte, wie sich ihr Puls ein weiteres Mal stark
beschleunigte, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte, und
Übelkeit hochstieg. Inzwischen machte sich mehr und mehr
Zerschlagenheit und Hilflosigkeit in ihr breit. Denn Anna hatte
keinen blanken Schimmer, wieso er all das auf einmal tat. Wieso
er sie plötzlich so hasste. Sie hatten doch seit einem viertel
Jahrhundert eine harmonische und glückliche Ehe geführt. Oder
hatte sie sich nur etwas vorgemacht? Nein, sie waren das
perfekte Paar. Alle haben es gewusst. Alle haben es immer
wieder bewundernd festgestellt. Wie oft wurden sie um ihre so
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harmonische Beziehung beneidet. Was war bloß geschehen?
Außerdem verdankte er ihr zum zweiten Mal sein Leben. Was
hatte sie nicht alles auf sich nehmen müssen, um sein Leben zu
retten. Und sie tat es aus Liebe, nicht aus Pflichtgefühl. Wie
konnte er sie nach allem, was sie durchmachten, nur so
behandeln?
Henning und Anna teilten sich ein Büro in ihrem Hotel an
der Côte d´Azur. Und seit ihrer Rückkehr aus den USA, nahm
ihr gemeinsames Leben eine erschreckende Wende. Irgendwie
schien es ein Rosenkrieg zu werden.
Sie rang nach Luft.
Hennings neue Offenbarung ließ Anna nachdenklich werden.
Die unzähligen Auf und Ab´s, als fände ihr gesamtes Leben seit
Monaten nur noch in einer Achterbahn statt, wurden
unerträglich. Wohin soll das alles bloß noch führen? Oder befinden wir
uns bereits in einer Sackgasse? überlegte Anna und blickte Henning
traurig in seine blauen Augen. Während Anna darüber
nachdachte, wie sehr sich ihr Henning in der kurzen Zeit seit
ihrer Rückkehr aus Miami verändert hatte, beobachtete er sie
sehr aufmerksam. Amüsiert, ja regelrecht triumphierend,
beobachtete er nun jede ihrer Regungen. Beinahe wie ein
Wissenschaftler, der konzentriert ein ganz winziges Insekt
seziere. Ihn schien Annas entsetzter Gesichtsausdruck
wunderbar zu gefallen. Unerbittlich genoss er diesen Triumpf
über ihre Gefühle, die er einmal mehr mit Füßen trat. Nur mit
großer Mühe schaffte sie es, ihre Tränen und die erneut
aufsteigende Wut zu zügeln. Auf einmal schien sich alles um sie
herum zu drehen. Sie glaubte, der Boden würde schwanken.
Raus hier, ich muss raus aus dem Büro. Ich kann seinen blöden
Gesichtsausdruck nicht mehr länger ertragen, sonst verliere ich noch
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komplett die Beherrschung. Ich werde dir ganz sicher nicht noch die
Genugtuung gönnen, mich weinen zu sehen, sprach sie in Gedanken zu
Henning.
Eine schwere Zeit lag bereits hinter ihnen. Und bis zu
diesem Tag hatte Anna niemals die Hoffnung aufgegeben, eines
Tages doch noch ihren Henning wiederzubekommen. Mehr und
mehr, mit jedem verdammten Tag schwand jedoch diese
Hoffnung. Und das nach einem viertel Jahrhundert, in dem sie
doch glücklich waren. Oder hatte sie sich das immer nur
eingebildet? Sich all die Jahre selbst etwas vorgemacht?
Doch Irgendwann muss Schluss sein, überlegte Anna nun. Mal
kommt der Moment, wo man akzeptieren muss, dass nichts mehr so sein
wird, wie es einmal war. Ihre so lange Zeit genährten Hoffnungen
zerplatzten in diesen Minuten wie Seifenblasen. Dazu addierte
sich zu allem Übel auch noch das Zerwürfnis mit ihrer Tochter.
Auf der Terrasse rang sie erst einmal nach Luft. Ihr Blick
schweifte über den Golf nach Saint Tropez hinüber. Sie musste
sich irgendwie ablenken, um nicht zu heulen. Anna fühlte sich
inzwischen so leer. Doch den Kampf gegen ihre Tränen hatte
sie längst verloren.
Ich bin ganz ruhig, ich atme ruhig ein und aus, ich atme tief durch,
atme tief und langsam ein und aus. Ich bin ganz ruhig und atme tief und
langsam ein und aus…, versuchte sie sich mit ein paar autogenen
Atmungsübungen zu beruhigen, während ihr Herz wie wild
pochte. Ihr Blick ruhte immer noch auf Saint Tropez, obwohl
sie überhaupt nichts um sich herum wahrnahm. Ihre Gedanken
drehten sich nur noch um eine einzige Frage. Wie soll es bloß mit
uns weitergehen. Das ist doch kein Leben mehr. Was soll ich bloß tun?
Kann ich überhaupt noch etwas tun, um unsere Beziehung zu retten? Oder
ist wirklich alles zu Ende? Ich weiß es einfach nicht. Aber es muss jetzt
was geschehen. Soviel ist sicher.
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Weder der wundervolle Anblick der vorüberziehenden
Yachten, noch ihr geliebtes Meer vermochten ihre Wut, ihren
aufsteigenden Hass und ihre neu aufflammenden Mordgelüste
zu lindern. Das Einzige, was sie vor ihrem geistigen Auge sah,
war Hennings blöd grinsendes Gesicht. Verdammt, wozu habe ich
ihm sein Leben gerettet? Damit er mir meins zerstörst? fragte sie sich
nun zum x-ten Mal
Wütend auf sich selbst, schlug sie verbittert mit der Faust auf
das eiserne Geländer. Wieso um alles in der Welt, habe ich ihn nicht
einfach auf Bonaire gelassen? Wieso musste ich ihn unbedingt nach Miami
bringen? Wenn ich das geahnt hätte. Da ahnte sie noch nicht, dass ihr
das Schlimmste noch bevorstand. Noch während sie sich ihrem
Selbstmitleid hingab, vernahm sie plötzlich ein lautes Geräusch,
beinahe wie ein Schuss. Schlagartig aus ihren Gedanken
gerissen, zuckte sie erschrocken zusammen. Plötzlich schlug die
Haustür heftig ins Schloss, kurz darauf heulte sein BMW-Motor
auf. Sekunden später entfernte sich das Motorengeräusch vom
Haus.
Aha, er ist also abgehauen. Auch gut. Wo er wohl hin will? Was hat
der Kerl vor? Mein Gott, ich hatte so gehofft, dass er sich vielleicht dieses
Mal entschuldigen würde. Aber wieso sollte er sich auch entschuldigen? Er
scheint das alles für ein Spiel, ein bösartiges Spiel zu halten. Es bereitet
ihm offenbar echte Freude, sprach Anna laut mit sich selbst. Wieso tut
er bloß solche Dinge? Was verdammt nochmal geht in ihm vor sich? Wenn
ich bloß wüsste, was neuerdings in seinem Gehirn herumspukt?
Während ihr viele Gedanken durch den Kopf gingen,
lehnte sie sich missmutig entnervt über die Brüstung ihrer
oberen Terrasse und schaute traurig zu ihrem Pool hinunter, in
dem sich die Schäfchenwölkchen auf den kleinen sanften
Wogen des Wassers flimmernd spiegelten. Am Poolrand lag
Felix, ihr kleiner rotgestreifter Kater, der gerade versuchte einen
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Falter von der Wasseroberfläche zu fischen. Doch Annas
Gedanken waren längst wieder abgedriftet. Sie fragte sich,
welche Möglichkeiten ihr noch blieben.
Denn in letzter Zeit führten immer öfter Kleinigkeiten,
irgendwelche Unbedeutsamkeiten, eventuell ein falsches Wort,
irgendeine Geste oder ein belangloses Ereignis dazu, ihn
plötzlich, ohne jegliche Vorwarnung ausrasten zu lassen. Seine
Aggressionen steigerten sich von Tag zu Tag. Genau wie seine
irrationalen Handlungen, die immer mehr an Stärke gewannen.
Anna begann sich langsam vor seiner Unberechenbarkeit zu
fürchten.
Das Motorengeräusch verstummte. Sie lauschte nach oben zur
Einfahrt. Doch alles war ruhig. Noch einmal atmete sie tief
durch, vergewisserte sich, dass er wirklich fort war, nicht wieder
eines seiner miesen Spielchen mit ihr trieb. Dann ging sie sofort
zurück ins Büro. Eigentlich wollte sie nur auf seinem
Schreibtisch nach irgendwelchen Hinweisen suchen, die ihn zu
dieser neuerlichen Attacke veranlasst haben konnten. Dann
stellte sie erstaunt fest, dass er dieses Mal seinen Computer
vergessen hatte herunterzufahren. Er war ausnahmsweise auf
Standby gegangen. Hat er ihn wirklich nur vergessen herunterzufahren,
oder gehört das vielleicht wieder zu einem neuen perfiden Plan? Seltsam,
überlegte sie.
Angespannt hielt sie noch einen weiteren Moment inne.
Alle ihre Sinne liefen auf Hochtouren. Sie lauschte konzentriert
auf irgendwelche Geräusche im Haus. Doch er schien
tatsächlich fort zu sein. Vorsichtshalber wollte sie aber lieber
noch einmal nach oben zum Eingang und auf die Straße gehen,
um sich zu vergewissern, dass sein Auto nicht doch irgendwo in
der Nähe parkte. Sie musste ganz sicher sein und zog es vor, die
Straße in Augenschein zu nehmen. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist
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besser, dachte sie sich. Oh verdammt, wie ich das alles inzwischen hasse,
fluchte sie auf dem Weg zur Haustür laut vor sich hin.
Erleichterung. Aufatmen. Da war weit und breit nichts von ihm
zu sehen, noch zu hören. Nichts war zu hören, außer dem
Rauschen der Pinien, dem fröhlichen Rufen einiger
Turteltauben und dem Hupen ihrer Nachbarin, die gerade mit
ihrem Jeep freundlich grüßend vom Kindergarten zurückkam.
Ihre kleine dreijährige Tochter saß im Fond des Wagens und
winkte Anna freudig mit ihrer kleinen Hand zu.
Sein BMW war nirgends auszumachen. Er war offenbar
wirklich weggefahren. Erleichtert atmete Anna auf. Ob unsere
Nachbarin weiß, was sich bei uns abspielt? überlegte sie kurz,
während sie ihr freundlich zurückwinkend nachsah, als ihr Jeep
sich die steile Auffahrt zu ihrem Haus hinaufquälte. Die
Auffahrt ihrer Nachbarin führte so steil hinauf, dass, falls es
jemals schneien sollte, sie keine Chance hätte, mit irgendeinem
Fahrzeug zu ihrem Haus zu gelangen. Wahrscheinlich nicht
einmal mit ihrem Jeep.
Schnell begab sich Anna zurück ins Haus und rannte die eine
Etage hinunter zum Büro. Ihr Haus verlief über drei Etagen. Im
Untergeschoss befanden sich die Gästezimmer, die Küche, das
Esszimmer und der große Salon. Von allen Etagen und
Zimmern schaute man aufs offene Meer und nach Saint Tropez
hinüber. Die Privaträume, sowie eine große Bibliothek und das
Büro befanden sich auf der ersten Etage.
Nun durfte sie keine Zeit verlieren. Denn so eine Chance,
so eine gute Gelegenheit, mal einen Blick in Hennings
Computer zu werfen, würde sich sicher sobald nicht wieder
ergeben. Denn seit sie aus Miami zurück waren, tat er immer
sehr geheimnisvoll damit. Oft fragte sich Anna verwundert, was
er wohl vor ihr zu verbergen versuchte. Normalerweise ließ er
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ihn auch niemals alleine zurück, nicht ohne ihn zuvor
herunterzufahren. Deshalb war ihr nicht ganz wohl bei dem
Gedanken, an seinen Computer zu gehen. Es bestand immer
noch die Gefahr, dass es gar kein Zufall war, sondern wieder
nur eine seiner perfiden Aktionen in einem seiner bösen
Spielchen.
Sicherheitshalber lauschte Anna noch einmal ins Haus hinein,
hielt den Atem an und wartete einen weiteren Moment. Doch
da bewegte sich nichts im Haus. Schnell machte sie sich über
seinen Computer her. Adrenalin durchströmte ihren Körper, ihr
Herz hämmerte wie wild und ihre Hände zitterten vor
Erregung. Sie mochte sich seine Reaktion gar nicht erst
vorstellen, sollte er sie hier an seinem neuerlichen Heiligtum
erwischen.
So ein Mist, der Kerl hat sein Passwort für sein Mailaccount
geändert. Wer weiß, was er neuerdings vor mir verheimlicht. Mehr als
fünfundzwanzig lange Jahre teilen wir nun schon unser gemeinsames Leben.
Niemals gab es Geheimnisse zwischen uns. Wir waren all die Jahre wie
eine zusammengeschweißte Einheit. Wie kann er das alles vergessen haben?
Soll das wirklich alles für immer verloren sein, niemals wiederkehren? Hat
seine Krankheit unser gemeinsames Leben ein für alle Male zerstört,
sämtliche Erinnerungen ausgelöscht? Einfach so? murmelte sie leise
frustriert vor sich hin.
Anna saß vor seinem Computer, als sich noch mehr Fragen
auftürmten, für die es scheinbar keine Antworten gab. Vielleicht
fehlt es mir einfach nur an etwas mehr Geduld?
Dieser Gedanke bedrückte sie. Doch es blieb die Frage, ob es
denn überhaupt noch Hoffnung auf Heilung gab? Wird er jemals
wieder der Mann sein, in den ich mich vor einem viertel Jahrhundert Hals
über Kopf verliebte? Anna glaubte nicht mehr daran. Da müsste wohl
schon ein Wunder geschehen. Mit einem mulmigen Gefühl in der
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Magengegend, begann sie in seinem Computer herumzustöbern.
Auf seinen Email-Account hatte sie ja keinen Zugriff. Sie saß an
seinem Schreibtisch und überlegte einen Moment, welches
Passwort mag er wohl benutzt haben.
So probierte sie zuerst den Namen ihres Hundes, der
Katzen, den seiner Mutter, den Namen seiner Schwester, den
Namen seiner ersten echten großen Liebe und alle möglichen
Geburtsdaten, alte Freunde, sogar den Namen seines ersten
Autos. Nichts. Vielleicht der Name ihrer Yacht. Doch alle
Möglichkeiten, die ihr logisch erschienen, blieben Nieten. Dann
fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, dass er neuerdings
Texte für Mails zuerst in Word schrieb, um sie durch das
Rechtschreibprogramm laufen zu lassen.
Vorsichtshalber lauschte sie zwischendurch immer mal wieder
mit Herzklopfen in den Hausflur, um sicherzustellen, dass sie
absolut alleine im Haus war. Dann öffnete sie die zuletzt
verwendeten Dokumente. Doch was sich ihr dort offenbarte,
entsetzte sie. Wie kann er nur so etwas schreiben? Unglaublich, was
dieser Irre all unseren Freunden an niederschmetternden Verleumdungen
schrieb. Jetzt verstehe ich auch das merkwürdige Verhalten einiger Freunde,
die kaum noch Kontakt zu mir suchen, die angeblich immer gerade keine
Zeit haben, wenn ich anrufe. Fassungslos schaute sie auf seine
Erzählungen.
Spricht er in diesen Mails wirklich von mir, oder berichtet er von einer
anderen Person? Starr vor Entsetzen schaute sie auf seine Briefe.
Nicht zu fassen, was dieser Mann für einen Schwachsinn schreibt. Glaubt
er das etwa selbst, was er sich hier zusammenspinnt?
Was sie hier las, schockierte Anna sehr und es erklärte auch
einiges, beantwortete aber nicht ihre derzeitige Frage, wieso er
sie an diesem Morgen so dermaßen kränken wollte. Frustriert
und erschöpft sackte sie in sich zusammen. Sie ließ die Arme
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hängen, starrte noch immer entsetzt auf seinen Computer.
Wozu hatte sie überhaupt diese ganze Odyssee auf sich
genommen? Und das alles nur, um sein Leben zu retten.
Ihre Kräfte waren aufgezehrt. Seit eineinhalb Jahren ging
das nun schon so, seit sie zurück waren. Doch sein Zustand,
jedenfalls der Geistige, wurde statt besser immer schlimmer. Es
war beinahe unheimlich, wie sehr er sich veränderte, jeden
verdammten Tag seinem Vater ähnlicher wurde. Dabei hatte
Henning seinen Vater knapp dreißig Jahre für diese Art mit
seinen Mitmenschen umzuspringen, gehasst. Ja, er verachtete
ihn dafür. Anna kam es so vor, als habe die Krankheit in seinem
Gehirn ein vollkommen neues Programm aufgespielt. Und
unwillkürlich fragte sie sich nach dem Sinn des Lebens.
Wie in Trance griff sie nach dem Telefon und wählte die
Nummer ihrer Freundin. Es dauerte eine ganze Weile, die Anna
beinahe unerträglich lang vorkam, als Claudine endlich den
Hörer abnahm.
„Hallo Claudine, ich brauche dringend jemanden zum
Reden, sonst platze ich. Ich bin so wütend.“
„Was ist wieder passiert?“
„Das erzähl´ ich dir später. Ich weiß mir einfach keinen Rat
mehr. Henning wird immer unerträglicher und vor allem
unberechenbarer.“
Und wieder musste Anna gegen ihre Tränen ankämpfen.
Ihre Kehle war wie zugeschnürt, ihr Mund vollkommen
ausgetrocknet.
„Ich brauche unbedingt deinen Rat und jemanden zum
Reden. Der Kerl macht mich vollkommen fertig.“
„Reicht es dir, wenn wir uns in einer dreiviertel Stunde im
Café Wafou treffen? Ich muss dringend noch ein paar Kunden
anrufen, aber dann habe ich Zeit für dich.“
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„Merci ma Cheri, du bist ein echter Schatz. Ich gehe schon
mal runter in die Stadt. Ich muss hier raus. Mein Gott bin ich
froh, dass noch keine Gäste im Hause sind, ich könnte sie jetzt
nicht ertragen.“
„Kopf hoch Kleines, wir werden eine Lösung finden, da
bin ich mir sicher, wir finden eine.“
Wirklich? Würden wir tatsächlich eine akzeptable Lösung finden,
mit der wir beide, Henning und ich leben konnten?
Claudine war eine gute Freundin in Sainte Maxime, wo
Anna und Henning inzwischen ein kleines Hotel betrieben. Ihr
Haus lag, wie ja schon erwähnt, auf einem Hügel, mit einem
traumhaften Blick auf den Golf von Saint Tropez, auf das
offene Meer und natürlich konnte man von ihrem Haus aus
direkt zur Stadt Saint Tropez hinüberschauen. Ihnen gegenüber
lag die Halbinseln von Saint Tropez, auf der viele Prominente
ihre Supervillen besaßen, wie Gunter Sachs, Brigitte Bardot,
Paul Newman, Francois Mitterrand, der Baulöwe Christian
Krawinkel, sogar Nina Hagen, einige Sportprofis und natürlich
auch die Familie Al Fayed, um nur einige wenige zu nennen.
Ihre Gäste saßen damals oft stundenlang mit Ferngläsern
bewaffnet auf der Terrasse ihres Hotels und verfolgten die
rauschenden Feste. So auch das der Familie Al Fayed, als die
beiden frisch Verliebten, Dodi und Diana (Prinzess Di), dort
einst mit Dodis Motoryacht vor Anker lagen. Das war ein
unbeschreiblich grandioses Spektakel, sowohl für Anna und ihre
Familie, wie auch für ihre Hotelgäste. Mit den Ferngläsern hatte
man das Gefühl, direkt vor dem gewaltigen Buffet zu stehen.
Und natürlich konnte man so auch die extravagant gekleideten
Besucher bestaunen. Jedes dieser Kleider kostete sicherlich so
viel, wie ein Kleinwagen. Gegenüber Sainte Maxime eröffnete
sich eine andere Welt, zu der das normale Bürgertum keinen
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Zutritt hatte.
„Kommt meine Kleinen, wir gehen spazieren.“ Sofort
sprangen ihre beiden Hunde aus ihren Körbchen und wedelten
wie wild mit den Schwänzen. Vor lauter Begeisterung sprangen
sie mehrmals an ihrem Frauchen hoch. Dann sausten sie wie auf
Kommando die Treppe hinauf zur Haustür. Sie bellten wie
verrückt und hüpften im Kreis herum. Anna nahm zuerst ihren
kleinen Chicco, einen knuddeligen Tibetterriermischling an die
Leine. Den hatten Anna und Henning einst aus einem Tierheim
in Gibraltar mitgenommen, als sie sich mit ihrem Segelschiff auf
dem Weg in die Karibik befanden.
Eigentlich sollte ihre geliebte Labradorhündin Susi sie in
die Karibik begleiten. Doch noch bevor sie Gibraltar verließen,
verstarb ihr größter Schatz an einem Gehirntumor. Zwei Jahre
zuvor, war ihre Susi von einem Auto angefahren worden. Bei
den nachfolgenden Röntgenaufnahmen und tierärztlichen
Untersuchungen wurde das Karzinom nicht entdeckt. So konnte
es ungehindert zu einem apfelsinengroßen Tumor
heranwachsen, der in Gibraltar plötzlich aus der Nase zu bluten
begann. Tage der großen Trauer und Tränen vergingen, ehe sich
Anna und Henning dazu durchringen konnten, ein armes
Wesen aus dem Tierheim mitzunehmen. In diesem Tierheim
befand sich auch die Tierarztklinik, in der ihre allesgeliebte Susi
eingeschläfert werden musste.
Einige Trauertage später bekam ihre kleine Familie wieder
Zuwachs mit little Chicco, der bereits viel Schlimmes hinter sich
gebracht hatte. Danach versuchte sie Moustique an die Leine zu
nehmen. Moustique war ein Cocker King Charles, ein Erbstück
ihrer Nachbarn. Der lief nun ungeduldig wie aufgezogen im
Kreis herum, womit er Anna das Anleinen erschwerte.
„Halt endlich still, du alter Zappelphilipp“, schimpfte sie
24
den armen Tropf aus, der sich doch nur auf das Gassi gehen
freute und zog ihn zornig zu sich heran. Wütend schnappte
Anna sich ihre Handtasche von der Kommode im Flur, steckte
vorsichtshalber noch ein paar Taschentücher ein, entnahm dem
Schlüsselkästchen ihre Hausschlüssel und dann ließ auch sie die
unschuldige Tür wütend ins Schloss knallen, als sei sie Schuld an
ihrem ganzen Dilemma.
Ihre ungezügelte Wut im Bauch trieb sie vorwärts wie ein
Soldat. Zornig marschierte sie großen Schrittes mit ihren kleinen
Lieblingen in Richtung Stadtzentrum. Das Auto ließ sie stehen.
Anna musste sich dringend an der frischen Luft bewegen, denn
beim Spazierengehen konnte sie immer schon ganz prima
abschalten oder gute Ideen entwickeln. Und heute wollte sie
während des Spaziergangs mal in Ruhe ihre Gedanken
sondieren. Denn das war bitternötig.
Bis ins Zentrum waren es so nicht einmal fünfzehn
Minuten zu Fuß, insbesondere, weil es praktischerweise nur
bergab ging. Im strammen Tempo näherten sie sich dem
Zentrum des Ortes. Ihre Hunde hatten sicherlich wenig Spaß an
diesem Sparziergang, da sie ohne Zwischenstopp bis ins
Zentrum durchmarschiert war. Wann immer ihre beiden Hunde
stehenblieben, um die Informationen anderer Hunde zu
entziffern und ihre Antwort in Form von Pipi zu hinterlassen,
riss Anna die armen Dinger schier von ihren Pfoten. Sie hätten
sicherlich lieber irgendwo schnuffeln und an jedem zweiten
Grashalm ihre Duftmarken hinterlassen wollen. Bei der letzten
Möglichkeit, bevor sie die Fußgängerzone erreichten, durften sie
endlich ihre Notdurft verrichten. Anna glaubte echte
Erleichterung in ihren Augen erkannt zu haben. Und sofort
überfiel sie ein schlechtes Gewissen. Schließlich waren sie ja
nicht der Auslöser für ihre Wut.
25
„Tut mir leid meine Süßen, aber heute ist auch ein
Scheißtag für mich.“ Beide schauten ängstlich zu ihr auf, denn
so ein rüdes Verhalten kannten sie überhaupt nicht von ihrem
Frauchen. Anna beugte sich nun liebevoll zu ihnen runter, gab
beiden ein paar Streicheleinheiten als Entschuldigung und jedem
noch ein paar zärtliche Küsschen auf ihre Köpfchen. Zu gerne
hätte sie in diesem Moment die Gedanken ihrer misstrauisch
schauenden Hunde lesen wollen.
Im Café Wafou schien wieder einmal die Hölle los zu sein.
Jeder Tisch war belegt. Als ihr Lieblingskellner Bertrand sie sah,
signalisierte er ihr, sich kurz zu gedulden. Dabei zeigte er mit
dem Finger auf einen bestimmten Tisch. Anna wartete mit ihren
beiden Hunden also brav im Schatten eines Olivenbaums, der
sich vor der Terrasse des Cafés befand, bis Bertrand ihr ein
Signal geben würde.
Es vergingen nur wenige Minuten, dann saßen sie bereits
an einem kühlen Plätzchen und Anna bestellte sich wie üblich
einen Café au lait. Moustique und Chicco bekamen wie üblich
von Bertrand eine Schüssel mit Wasser unter den Tisch gestellt.
Ihre Kaffeetasse stand noch unberührt vor ihr, als sie Claudine
auf das Café zukommen sah. Sie war froh, dass es Claudine gab,
mit der sie einfach über alles offen sprechen konnte, die niemals
etwas weitertratschte. Das gehörte zu ihrem Berufsethos.
„Salut Anna, bin doch schneller fertig geworden, als ich
dachte. Manche Kunden sind echt schräg und nervig, sag ich
dir. Die wollen immer das, was man gerade nicht auf Lager hat
oder haben Wünsche, die kaum erfüllbar sind. Aber nun zu dir.
Bist du schon lange hier?“
„Nein, auch erst ein paar Minuten, oder etwas länger. Ich
habe nicht auf die Uhr geachtet. Mir schwirrt gerade so viel
26
durch den Kopf.“
Claudine war eine von wenigen, mit der Anna über ihre
persönlichen Probleme offen reden konnte. Sie erzählten sich
eigentlich alles gegenseitig. Claudine und ihr Mann Michel
betrieben ein Raumausstattergeschäft mit Designerstoffen und
Accessoires in Sainte Maxime. Doch ihre Preise waren nichts
für arme Leute. Trotzdem konnten sie sich kaum vor Aufträgen
retten.
Zudem war sie eine top Verkäuferin, denn sie gab ihren
Kunden ständig das Gefühl, etwas Besonderes zu sein oder sie
verbände eine Art Freundschaft miteinander. Damit zog sie sich
viele Stammkundinnen heran, da hauptsächlich Frauen zu ihrer
Kundschaft zählten. Zumindest trafen die Frauen meistens die
Entscheidungen. Nur sie entschieden, was oder wie und wann
neu bezogen werden sollte, welche Stoffe beziehungsweise,
welche neuen Vorhänge gekauft wurden. Aber auch die
Preisverhandlungen überließen die Ehemänner gerne ihren
Frauen. Überhaupt hielten sich die Männer gerne vorzugsweise
aus den Entscheidungen der Raumausstattung heraus, um den
häuslichen Frieden nicht zu gefährden. Oft fragte Anna sich,
wozu die Männer überhaupt mitkamen. Außer für das Berappen
der 35% Anzahlung, die bei Stoffkäufen oder Aufträgen fällig
wurden, waren sie eigentlich überflüssig, eher lästig für die
Ehefrauen.
Aber sicher war Claudine selbst auch einer der Gründe, weshalb
die Männer gerne die Gelegenheit nutzten, um ab und zu
Claudine Hallo zu sagen. Denn Claudine war nicht nur eine
spitzenmäßige Verkäuferin, sie sah auch betörend gut aus, und
das, obwohl sie nicht superschlank war.
Wie die meisten Südfranzösinnen, strahlte sie ein Sexappeal
aus, was nicht nur die Männerwelt verzauberte. Zudem verstand
27
sie es ebenso brillant, ihr Sexappeal einzusetzen, um allen
Männern den Kopf zu verdrehen, insbesondere dann, wenn sie
etwas damit erreichen wollte. Armer Michel, dachte Anna oft,
wenn sie die schmachtenden Blicke ihrer männlichen Kunden
oder Lieferanten beobachtete. Und die Kundinnen kamen sicher
oftmals nur aus einem Grund mit ihren Männern im Schlepptau
in Claudine´s Laden, damit sie sich hinterher nicht über die
exorbitanten Preise echauffieren konnten, wenn die dicke fette
Endabrechnung ihnen ins Haus flatterte. Denn die hatte es
meistens in sich.
„Anna, was ist wieder passiert?“
Kaum wollte Anna ihrer Freundin von dem Gespräch mit
Henning berichten, da bahnten sich die lange unterdrückten
Tränen nun doch den Weg ins Freie. Sie schnappte nach Luft,
musste erst einmal mehrmals tief durchatmen, um ihre Tränen
erneut zum Rückzug zu bewegen.
„Irgendwann erschlag ich ihn! Oder ertränke ihn im Pool.
Oder gebe ihm eine Portion Arsen in sein Essen. Sein Verhalten
ist kaum noch zu ertragen. Er macht mich krank und fertig.“
Wieder rang sie nach Luft, während ihr gesamter Körper bebte.
„Nun beruhige dich doch erst einmal wieder.“
Claudine zog Anna voller Mitleid in ihre Arme, um sie zu
trösten. Doch dadurch steuerte Anna geradewegs auf einen
Weinkrampf zu, weshalb sie sie abwehrte. Sie musste sich
unbedingt zuerst alles von der Seele reden, andernfalls drohte
sie daran zu ersticken.
„Sorry Claudine, aber ich muss ohnehin dagegen
ankämpfen, mich nicht in einen Wasserfall zu verwandeln.“ Da
mussten beide kurz lachen.
„Schon gut Anna, das verstehe ich doch. Erzähl, was ist
28
passiert?“
„Es ist kaum noch zu ertragen. Stell dir vor, heute sitzen
wir im Büro, ich arbeitete gerade an dem neuen Belegungsplan
für die Saison, obwohl ich am liebsten sämtlichen Gästen
absagen würde. Unvermittelt wendet sich Henning von seinem
Schreibtisch ab. Ohne einen vorausgegangen Streit, ohne
irgendein Vorkommnis sagt er spontan, er habe mich nie
wirklich geliebt. Ich war wie vom Donner gerührt. Da lebst du
fünfundzwanzig Jahre mit einem Mann zusammen, gehst mit
ihm durch Dick und Dünn, bestehst ohne größere Blessuren die
guten, aber auch die schwierigen Zeiten. Und dann erkennt der
Kerl plötzlich nach einem viertel Jahrhundert, dass er dich
angeblich niemals liebte. Hast du eine Ahnung, wie sich das
anfühlt? Fünfundzwanzig Jahre meines Lebens mit einem Mann
gelebt zu haben, der einen offenbar niemals liebte? Vielleicht ist
ja nicht alles auf die Krankheit abzuwälzen. Ist es nicht möglich,
dass er nur jetzt in diesem Zustand die Wahrheit sagt, genau das
ausspricht, was ihn ernsthaft bewegt? Wie bei Betrunkenen und
kleinen Kindern, die ja bekanntlich auch ihre Gedanken auf der
Zunge tragen?“
Nun kam doch noch ihre Sonnenbrille zum Einsatz, da
sich ihre neuen Tränenergüsse nicht mehr aufhalten ließen. Ihr
gesamter Körper geriet augenblicklich in Aufruhr.
„Es tut so schrecklich weh.“
„Ich weiß, es wird dich in deiner derzeitigen Situation
wenig trösten. Aber glaub mir bitte, das ist nicht mehr der
Mann, mit dem du ein viertel Jahrhundert zusammen lebtest.
Ganz sicher nicht. Ich kenne euch nun schon so viele Jahre. Das
ist nicht mehr dein Henning, soviel ist sicher. Und ich glaube
ganz ehrlich, dass dich dein Henning immer abgöttisch liebte.
Auf mich machtet ihr all die Jahre den Eindruck von frisch
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Verliebten. Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich stets um
deinen Henning beneidet habe?“
„Wirklich? Wieso?“
„Denke nur mal an die vielen Rosen, die er dir jeden
Sonntag vom Markt mitbrachte. Ich kann mich kaum noch
daran erinnern, wann Michel mir das letzte Mal Rosen gekauft
hat. Das liegt sicherlich mehr als zehn Jahre zurück. Das, was er
heute sagt, darfst du nicht überbewerten. Es ist die Krankheit,
nicht mehr er selbst.“
„Egal, ich musste die letzten Monate so viele Dramen
durchleben, so viel Gemeinheiten schlucken, so viele
Erniedrigungen ertragen. Nein, es geht nicht mehr. Ich kann
einfach nicht mehr. Meine Nerven liegen inzwischen
vollkommen blank. Mir fällt es immer schwerer, seine Spielchen,
seine Gemeinheiten, seine Widerwärtigkeiten noch zu ertragen.
Es muss jetzt etwas geschehen, es muss sich etwas ändern.
Entweder ändert sich sein Charakter wieder oder es ändern sich
die Gesichter in unserem Haus. So geht es jedenfalls nicht
weiter. Sag du mir, was ich tun soll, bitte“, flehte Anna.
„Komm, lass uns zahlen und am Hafen spazieren gehen“,
schlug Claudine vor.
Während sie mit den Hunden um den Hafen liefen,
berichtete Anna Claudine vom Abend zuvor, als David aus
London anrief. Ein weiteres Mosaik in diesem Drama.
„Was war mit diesem David? Kenne ich ihn?“
„Sicher nicht. Gestern Abend läutete das Telefon und
obwohl Henning direkt davor saß, ließ er es einfach klingeln.
Willst du nicht rangehen, fragte er scheinheilig. Ich dachte
natürlich, er hat nur keinen Bock, wegen seiner Sprachstörungen
ans Telefon zu gehen und nehme ab. Ein gewisser David von
einer Meadow Clinic aus London war dran. Ich sagte ihm, dass
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er sicherlich mit Henning sprechen wolle, der sei krank, nicht
ich. Daraufhin änderte sich sein Tonfall so, als würde er mit
einer Geisteskranken sprechen.
Hi Anna, nein ich will mit dir sprechen. Henning bat mich darum. Dein
Problem ist nichts, wofür man sich schämen müsste. Ich hatte keine
Ahnung, wovon der gute Mann sprach. Wir haben hier sehr gute
Spezialisten und bereits ein Bett für dich reserviert. Wenn du willst,
kannst du schon Ende der Woche hier behandelt werden, berichtete er
mir voller Stolz und mit einer samtweichen Stimme. Behandelt
werden? Ich? Ich dachte noch immer, dass er sich nur in der
Person geirrt hatte und versuchte ihn aufzuklären. Sorry David,
aber hier liegt ganz sicher ein Missverständnis vor. Nicht ich bin der
Patient, vielmehr ist es mein Mann Henning. Worauf ist die Meadow
Clinic eigentlich spezialisiert? fragte ich ihn. Und er erklärte mir beinahe
flüsternd,……………….
Leseprobe 2
Nachdem Claudine in ihren Laden zurückgegangen war,
schlenderte auch Anna langsam wieder den Berg hinauf und
überlegte sich ihre nächsten Schritte. Als sie mit ihren Hunden
die Einfahrt erreichte, sah sie seinen Wagen stehen. Er war also
wieder Zuhause. Sofort verkrampfte sich ihr Magen wieder und
eine neue Beklemmung überkam Anna.
Leise öffnete sie die Haustür und schlich wie ein Dieb in ihr
eigenes Haus. Geräuschlos hing sie ihre Jacke in den offenen
Garderobenschrank. Dann lauschte sie einen Moment lang,
denn sie hoffte, seinen augenblicklichen Aufenthaltsort orten zu
können. Aber alles blieb gespenstisch still. Sie konnte kein
einziges Geräusch vernehmen. Da war nichts zu hören, es war
mucksmäuschenstill im ganzen Haus.
31
Es war noch immer still im Haus, als Anna sich der Küche
näherte.
„Na war´s schön? Schnell ne´ Nummer geschoben? Wer
war denn der Glückliche?“
Anna fuhr herum, ihr Herz schien auszusetzen. Er stand
direkt hinter der Küchentür, wo er sie schon erwartete.
Wahrscheinlich hörte er sie kommen. Unsinn, natürlich wusste
er, dass sie die Treppe herunterkommen würde. Schließlich
rannten die Hunde nicht gerade leise bis ins Wohnzimmer
durch, das sich unmittelbar neben der Küche befand.
Wahrscheinlich sah er sie durch das Bürofenster die Straße
heraufkommen. Die gesamte Südfront ihres Hauses bestand aus
Glas. So hatte man einen unbeschreiblich schönen Blick den
Hügel hinunter und auf den gesamten Golf von Saint Tropez.
Und natürlich konnte man vom Büro aus die Straße unterhalb
ihres Grundstücks gut einsehen, auf der sie mit den Hunden
zurückkam.
Henning wusste nur zu genau, dass sie nach jedem
Spaziergang mit den Hunden zuerst in der Küche nachsah, ob
noch genügend Wasser in der Hundeschüssel war. Ihre
Schreckhaftigkeit nahm inzwischen ernsthafte Ausmaße an. Die
machte ihr bereits schwer zu schaffen. Das nagte an ihrer
Gesundheit. Jedes Mal, wenn etwas Unvorhersehbares passierte,
zuckte sie nicht nur zusammen, sondern ihr Herz verkrampfte
sich dann auch so heftig, dass ihr schier die Luft wegblieb. Sie
wusste, dass konnte auf Dauer nicht gutgehen. Herzinfarkte
gehörten zu ihrer Familientradition. Umso mehr genoss er es,
sich ständig wie eine Katze anzuschleichen, um plötzlich wie ein
Geist hinter ihr aufzutauchen. Er wusste, dass sie jedes Mal vor
Schreck beinahe einen Herzinfarkt bekam, wenn er sie aus dem
Nichts plötzlich ansprach oder antickte. Aber wahrscheinlich
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verfolgte er genau dieses Ziel?
„Du widerst mich echt an mit deinen perfiden und
perversen Vorstellungen. Man, lass dich endlich behandeln, du
wirst immer irrer.“
In ihrer Wut und Erregung hätte sie ihm gerne noch ein
paar Dinge mehr sagen wollen, auch dass sie bald einen Antrag
auf Entmündigung stellen würde, wenn es mit ihm so
weiterginge. Aber Anna behielt das lieber für sich. Und das war
gut so. Denn kaum hatte sie ihm gesagt, wie sehr er sie
inzwischen anwidere, verzog sich sein Gesicht zu einer
hässlichen Grimasse. Sein Gesichtsausdruck glich schlagartig
einem dieser scheußlichen Figuren einer Geisterbahn. Und
obwohl sich Anna in seiner Gegenwart nicht mehr sicher fühlte,
versuchte sie sich cool zu geben, als würde sie seine
augenblickliche Verfassung nicht bemerken. Dabei vibrierte sie
innerlich. Sie ärgerte sich, dass sie sich immer noch kein
Pfefferspray besorgt hatte. Obwohl sie es sich jede Woche
vornahm. Ihr Mann drehte jeden Tag ein wenig mehr durch.
Und nach der Vorstellung am Morgen mit seiner plötzlichen
Eingebung und dem Gespräch mit David aus London, zog
Anna es vor, ab sofort ihr Schlaflager in einem der Gästezimmer
aufzuschlagen, wo sie die Tür verschließen konnte. Ihr eigener
Mann wurde ihr von Tag zu Tag unheimlicher.
Die Tage rauschten nur so an ihr vorüber, wie ihr gesamtes
Leben. Nach dem Zwischenfall in ihrer Küche, rief Anna
nochmals einige seiner Ärzte an, weil sie sich davon irgendeine
Unterstützung erhoffte. Wie naiv von mir.
„Tut mir leid Frau Porter, aber wie meine Kollegen und ich
Ihnen bereits erklärten, wird Ihr Gatte ohne eine entsprechende
Therapie in einer Rehaklinik es kaum schaffen, sein altes Ich
wiederzufinden, Realitäten zu akzeptieren, oder gar die
33
Vergangenheit aufzuarbeiten. Und mit jedem Monat, den Ihr
Mann wartet, wird es schwieriger werden. Sollen wir nochmals
mit ihm ein Gespräch führen?“ fragte sie Professor Dr.
Schwedler von der Uniklinik in Köln.
„Das wäre sehr schön. Aber ich denke nicht, dass er auf Sie
oder sonst wen hören wird. Ich habe beinahe den Verdacht,
dass er sich in seiner neuen Rolle des Bösewichts gut gefällt.
Eine Reha lehnt er kategorisch ab. Gibt es nicht irgendwelche
Psychopharmaka, die ich ihm heimlich ins Essen mixen könnte?
Irgendetwas, das ihn wieder normaler ticken und freundlicher
werden lässt?“
„Das sollten Sie um Himmels Willen nicht tun. Sollte Ihr
Mann ohne Ihr Wissen irgendwelche Medikamente nehmen,
könnte es zu einer unkontrollierten Gegenreaktion kommen.
Wenn überhaupt, sollte er solche Medikamente nur nach
Absprache mit seinem behandelnden Arzt und nach Anweisung
dosiert zu sich nehmen. Das unterlassen Sie besser.“
„Das Problem ist nur, dass er glaubt, nicht er, sondern ich
sei krank im Kopf und würde sowohl eine Therapie, als auch
entsprechende Medikamente benötigen. Er glaubt allen Ernstes,
ich hätte mich seit seinem Schlaganfall total verändert, ich sei
dadurch psychisch krank geworden, nicht er. Er würde niemals
bewusst Pillen nehmen, die ihn wieder normaler ticken ließen.“
„Dann tut es mir leid, aber dann kann niemand, weder
Ihrem Mann, noch Ihnen helfen. Er muss es selbst wollen,
sonst macht jede Therapie keinen Sinn. Tut mir ausgesprochen
leid, aber uns Ärzten sind in diesem Fall die Hände gebunden.“
Auch die Frauenärztin von Claudine konnte ihr keinen anderen
Rat geben, als dass Henning unbedingt eine Therapie in einer
Rehaklinik machen müsse.
Die folgenden Tage blieben etwas ruhiger, sie sprachen kaum
34
noch miteinander, denn Anna versuchte so viel es eben ging,
ihm aus dem Wege zu gehen. Die Situation schien sich etwas zu
normalisieren. Trotzdem sagte Anna vorsichtshalber einigen
Gästen ab, deren Anreise bald bevorstand. Es vergingen einige
herrliche Tage ohne nennenswerte Vorkommnisse, bis zu dem
Zeitpunkt, als Anna ein paar Aktien verkaufen wollte, die
damals vor dem Crash am neuen Markt exorbitant gestiegen
waren. Ihr Bankberater stammelte seltsam nervös einige
Freundlichkeiten vor sich hin und sagte schließlich, „ähm, tut
mir sehr leid Frau Porter“, er räusperte sich verlegen, „aber Ihr
Mann, ähm, hat Ihnen leider die Vollmacht entzogen. Es tut mir
außerordentlich leid, das müssen Sie mir glauben. Aber unter
diesen Umständen, ähm, das verstehen Sie sicher, darf ich keine
Order mehr von Ihnen entgegen nehmen.“ Und abermals
räusperte er sich sichtlich nervös. „Bitte sprechen Sie mit Ihrem
Gatten darüber. Tut mir wirklich aufrichtig leid.“
Dieser verdammte Mistkerl. Auf die Idee, dass er mir die Vollmacht
für unser gemeinsames Depot entziehen könnte, kam ich gar nicht erst. Der
Rosenkrieg hat also wirklich Einzug gehalten.
Seine neuerliche Aktion gegen sie, traf Anna ein weiteres
Mal vollkommen überraschend und unvorbereitet. Sie spürte
augenblicklich, wie sie vor Zorn rot anlief. Nicht nur ihr
Unbehagen, sondern auch das ihres Bankberaters, der ihr diese
Nachricht übermitteln musste, konnte Anna beinahe körperlich
spüren. Ihr wurde heiß und eine Wahnsinnswut erfasste sie
einmal mehr. Dieser gottverdammte Scheißkerl. Na, der wird sich noch
wundern. Mein lieber Freund, damit hast du endgültig den Bogen
überspannt. Ich dachte, ich könnte es verhindern. Aber du lässt mir keine
Wahl, sprach sie in Gedanken zu Henning. Wir sind im Krieg. Ich
nehme deine Herausforderung an und bin gespannt, wie dir mein
Gegenschlag gefallen wird.
35
Wieder saßen sie beide in ihrem Büro zusammen, als Anna
durch ihren Bankberater von dem Entzug der Vollmacht erfuhr.
Nur zu genau beobachtete sie Hennings triumphierenden
Gesichtsausdruck. Doch dieses Mal ließ sie sich nichts
anmerken, obwohl es in ihr geradezu kochte. So antwortete sie
lediglich lapidar, „aha, na dann eben nicht.“
Denn dieses Mal sollte es ein Eigentor werden. Henning
wusste es nur noch nicht. Doch das würde sich bald ändern. Seit
nunmehr über zwanzig Jahren arbeiteten sie zusammen,
erwirtschafteten gemeinsam ihr Vermögen, verbrachten quasi
vierundzwanzig Stunden jeden Tag miteinander, was bis zu
seinem Schlaganfall überhaupt kein Problem darstellte. Niemals
gab es Geheimnisse oder linkische Aktionen zwischen ihnen. Sie
waren das perfekte Team. Da sich ihre Vermögenswerte ständig
vergrößerten, trafen sie vor vielen Jahren ein notarielles
Abkommen. Und das sollte sich angesichts der jetzigen Lage als
eine glückliche Fügung erweisen. ……………
Anna hatte gerade ihr Gespräch beendet und aufgelegt, als
Henning just in diesem Moment gut gelaunt aus der Küche
zurückkam. Er war offensichtlich sehr zufrieden mit sich selbst,
Anna wieder einmal so richtig vorgeführt zu haben. Mit einem
schelmischen Schmunzeln und einer Tasse Earl Grey Tee in der
Hand, betrat er hochmütig das Büro.
Noch kannst du grinsen, dir wird dein Hochmut schon bald vergehen,
das kannst du aber glauben. Wie du weißt, kommt Hochmut immer vor
dem Fall. Bin gespannt, wie dir meine Aktionen schmecken werden. Anna
musste bei dem Gedanken an seinen Gesichtsausdruck grinsen,
wenn ihm gewahr wurde, was sie für ihn gerade arrangiert hatte.
Noch schwante ihm nichts. Noch hatte er keinerlei Vorstellen
davon, was ihm bevorstand. Selbstgefällig saß er ihr arrogant
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blickend gegenüber und schlürfte genüsslich seinen Tee. Deine
Arroganz wird dir bald aus dem Gesicht fallen, glaub´ mir Darling, du
wirst dich noch umgucken. Dieses Mal werde ICH eine Siegermiene
aufsetzen. Bin gespannt, wie dir das gefällt.
Der Gedanke gefiel ihr, obwohl sie solche Spielchen hasste.
Irgendwie war ihr trotz allem, was er ihr alles schon antat, nicht
wohl bei der Sache. Eigentlich empfand sie nur noch Mitleid mit
ihm. Er hatte sich den Schlaganfall ja nicht freiwillig zugezogen.
Darum schlich sich plötzlich ein schlechtes Gewissen bei Anna
ein. Doch letztendlich wägte sie ab: Ach was solls, er nimmt ja auch
keinerlei Rücksicht mehr auf mich, versuchte sie ihr aufkommendes
schlechtes Gewissen zu beruhigen. Und eigentlich ist er schließlich
auch nicht mehr er selbst, beschwichtigte sie ihr schlechtes
Gewissen. Auch wenn ihn keinerlei Schuld trifft, allenfalls dafür, dass er
jede Art der Rehabilitierung strickt verweigert. Wie sehr hat er mich schon
geschädigt, beleidigt, beschissen und erniedrigt. Sollte ich ihm das einfach
alles durchgehen lassen? Nur wegen seiner Krankheit? Nein. Ein
eindeutiges nein, suggerierte ihr ihre innere Stimme augenblicklich.
Eine Stunde nach ihrem Telefonat, fuhr Anna in die Stadt
runter, um auch dort konsequenterweise alles in die Wege zu
leiten. Es vergingen zwei Tage, in denen sie jede Minute mit
seinem Ausraster rechnete. Doch erst am späten Nachmittag
des zweiten Tages nach ihrem Anruf, kam er wutschnaubend
von einer Tour zurück. Nachdem er sein Auto betankt hatte,
wollte er mit einer seiner Kreditkarten bezahlen. Doch die
funktionierte nicht mehr. Glücklicherweise verfügte er gerade
noch über genügend Bargeld, andernfalls hätte er sein Auto
stehen lassen und zu Fuß nach Hause gehen müssen.
Wutschnaubend wie ein gereizter Stier betrat er das Haus,
ließ die arme Tür erneut mit voller Fahrt ins Schloss knallen,
kam die Treppe zum Büro in großen Sprüngen herunter gerannt
37
und brüllte sofort wie ein Irrer los.
„Kannst du mir mal sagen, was das soll?“ schrie er Anna
an.“
„Gerne“, antwortete sie ihm mit einem dezenten Lächeln
und in einem besonders ruhigen und freundlichen Tonfall.
Endlich war ER mal der Schockierte. Anna genoss diesen
Augenblick in vollen Zügen, auch wenn ihr bewusst war, dass es
die ganze Situation vermutlich eskalieren lassen werde.
„Bist du jetzt total durchgeknallt? Was fällt dir ein, meine
Kreditkarten sperren zu lassen? Tickst du nicht mehr richtig?“
brüllte er weiter wie ein altes Marktweib.
„Was regst du dich überhaupt darüber auf. Du entziehst
mir die Vollmacht für unser gemeinsames Aktiendepot, sowie
dem Dollarkonto und ich dir konsequenterweise die
Vollmachten für unsere Girokonten. Das ist doch nur fair und
durchaus eine normale Reaktion meinerseits. Oder glaubst du
allen Ernstes, du bist der Einzige, der ständig austeilen kann?
Du weißt doch, wer fleißig austeilt, muss auch selbst einstecken
können. Du kannst gerne in die Schweiz fahren“, wo sich ihr
Aktiendepot befand, „und dir dort eine neue MasterCard
ausstellen lassen. Da du dir das Konto offensichtlich
einverleiben willst, bitte, nur zu.“
„Wenn du das nicht sofort zurücknimmst, dann mache ich
dir den Rosenkrieg, so wahr ich hier stehe“, schrie er weiter
vollkommen außer sich, dass es mit Sicherheit bis in die
Nachbarschaft schallte. Mein Gott, nur gut, dass ich unseren Gästen
abgesagt habe. Das wären alles schrecklich peinliche Vorstellungen
geworden. Wenn Gäste im Hause gewesen wären, ich hätte vor Scham im
Boden versinken wollen, ging es Anna schlagartig durch den Kopf,
während sie diese irre Darbietung über sich ergehen ließ.
Einige Wochen zuvor hatten sie gemeinsam den Film Der
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Rosenkrieg mit Kathleen Turner und Michael Douglas gesehen.
Anna fand den Film absolut grausam und brutal, auch wenn
einige Szenen sie zum Lachen brachten. Doch im Großen und
Ganzen war es ein schreckliches Drama. Und wie es aussah,
schien dieser Film Henning inspiriert zu haben, diente ihm jetzt
scheinbar als Vorlage für seine Aktionen gegen seine Frau. Als
Henning nun so ausrastete, den Blick eines Geisteskranken
hatte, wie ein Bekloppter aussah, bekam Anna einmal mehr ein
ungutes Gefühl.
Nun wurde es für sie allerhöchste Zeit, sich so schnell wie
möglich endlich in dem Waffengeschäft in Saint Raphael das
Pfefferspray zu besorgen. Seine Wutausbrüche bereiteten ihr
inzwischen ernsthaft Sorge, ja, sie beängstigten sie.
„Falls es dir entgangen sein sollte, den haben wir bereits
und nicht ich, sondern du hast damit begonnen. Außerdem will
ich, dass du so schnell wie möglich dieses Haus verlässt, mein
Haus!“
„Das hier ist auch mein Haus, von meinem Geld bezahlt“,
schrie er außer sich vor Zorn. Anna versuchte ruhig zu bleiben
und bemühte sich sehr darum, nicht ihre Stimme zu erheben,
um die Situation nicht noch mehr außer Kontrolle geraten zu
lassen, während ihr Herzschlag bis zum Hals schlug. Doch sie
sagte, was es zu sagen gab.
„Sorry, von unserem Geld bezahlt. Und das hier ist mein
Haus, wenn ich dich kurz daran erinnern darf, du hast
schließlich die Segelyacht.“
„Und wie soll ich bitte in die Schweiz fahren, wenn ich
kein Geld mehr abheben kann oder beim Tanken nicht mehr
mit der Karte bezahlen kann? Würdest du mir das mal
erklären?“
Henning war außer sich vor Wut. Er schaukelte sich
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förmlich hoch. Anna erschrak furchtbar, als er plötzlich zornig
mit der geballten Faust auf die Tischplatte schlug, sodass
sämtliche Gegenstände kurz auf und nieder hupften. Nie zuvor
übermannten ihn derartige Wutausbrüche. Niemand, der ihn aus
früheren Zeiten kannte, hatte ihn je so erlebt.
Er, der Mann, der immer besonders ruhig und ausgeglichen
war, der sich niemals aus der Reserve bringen ließ. Gerade diese
Charaktereigenschaften schätzten seine damaligen Kunden, wo
er Seminare für Verkaufstraining abhielt, sehr an ihm.
„Ganz einfach. Ich gebe dir dreihundert Euro in bar, das
reicht für die Fahrt und eine Hotelübernachtung. Danach
kannst du dir ja Geld von deinem Depot holen und neue
Kreditkarten beantragen. Wenn du das von hier aus bereits tust,
liegen deine neuen Karten wahrscheinlich schon für dich bereit,
wenn du in Zürich ankommst. Was ist bloß aus uns geworden?
Wie kannst du plötzlich so ein anderer Mensch werden? Wie
kannst du all die schönen gemeinsamen Zeiten einfach leugnen
und mich nun wie deinen schlimmsten Feind behandeln? Ich
verstehe das alles nicht mehr!“
Nie wäre Anna zu diesem Zeitpunkt in den Sinn gekommen,
dass sie ihrer Tochter Tatyana einmal exakt die gleichen Fragen
stellen würde…………
Und dabei begann alles Anfang der Siebziger Jahre wie in einem
richtigen Märchen.
Leseprobe 3
Es geschah an einem wundervollen Morgen. Der
Morgentau hatte sich gelichtet und die Sonne ließ sich nach
wochenlangem Dauerregen endlich wieder einmal blicken. In
den vergangenen Schlechtwetterwochen mit extremen
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Sturmböen, hatte sich eine Menge Müll in ihren neuen Garten
verirrt, den sie gerade einsammelte, als dieser Anruf sie
aufschreckte.
Es war noch sehr früh am Morgen. Sie dachte noch, dass
kein normaler Mensch ohne Not so früh am Morgen andere
Leute anrufen würde. Automatisch zuckte sie deshalb
zusammen. Das Klingeln riss sie abrupt aus ihren Gedanken
und Selbstgesprächen, die sie gerade wieder einmal führte. Mein
Gott, wer ruft mich denn so früh am Morgen an, merkwürdig.
Automatisch ließ sie den Müllsack aus ihrer Hand und auf den
Rasen gleiten.
Eile war geboten. Denn war sie nicht schnell genug,
quasselte ihr die freundliche Stimme des Anrufbeantworters
dazwischen. Da die Betriebsanleitung offenbar von einem
koreanischen Legastheniker übersetzt wurde, wie man in
solchen Fällen scherzhaft zu sagen pflegt, gelang es ihr bis zum
Kauf eines neuen Gerätes einfach nicht herauszufinden, wie sie
ein Gespräch auch nach dem fünften Klingelton annehmen
konnte, ohne von der elektronischen Stimme des
Anrufbeantworters unterbrochen zu werden. Bis zu dem Tag,
an dem sie es vertrauensvoll ihrer Mülltonne anvertraute, lieferte
sie sich regelmäßig mit diesem Teil ein Wettlaufen. So auch an
diesem Morgen. In letzter Sekunde erreichte Anna ihren
Apparat und riss hastig den Hörer an sich.
Huch, das war knapp. Noch vollkommen außer Atem
hauchte sie „hier Porter“ in die Muschel. Wassertropfen rannen
von ihren Füßen auf das Parkett und eine Gänsehaut überzog
sofort ihren gesamten Körper. Ihr wurde schlagartig saukalt.
Annas nasse Füße verwandelten sich schlagartig in Eisklötze.
Jedenfalls empfand sie es so.
„Hier auch Porter“, schallte es ihr wie ein Echo entgegen.
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Danach folgte eine Pause. Im ersten Augenblick war Anna total
konfus. Sie glaubte sich verhört zu haben und fragte noch
einmal nach: „Wie bitte, wieso auch Porter?“ Nun schien die
Leitung plötzlich tot zu sein.
„Wer ist denn da?“ Irgendwie schien noch jemand in der
Leitung zu sein, denn ein leises Atmen drang an ihr Ohr.
Erlaubte sich hier jemand so früh am Morgen einen Scherz mit
ihr?
„Hallooo? Was soll der Unfug? Wer ist denn da?“
Anna wusste absolut nicht, wer sie anrief. Die Stimme
klang ihr nicht sehr vertraut. Sie wollte gerade auflegen, da
schien die Anruferin ihre Sprache wiedererlangt zu haben.
„Welche Porter, welche Porter, was ist das denn für eine
Frage?“ entrüstete sich diese Anruferin.
Es durchfuhr Anna wie ein Stromschlag. Sofort hämmerte
Annas Herz so heftig, dass es ihr den Atem raubte.
Überraschung! Schlagartig wusste sie wieder, weshalb sie
Überraschungen hasste.
Augenblicklich hörte sie ihr Blut wie das Wasser eines
Wildbachs in ihren Ohren rauschen. Ihr gesamter Körper geriet
sofort in Aufruhr. War das möglich, dass dieses Wesen mich tatsächlich
anrief, auch noch hier in meinem neuen Zuhause, hier in Deutschland?
Das nach all den Ereignissen und Jahren?
Doch diese typisch schnippische Art ließ keinerlei Zweifel zu.
Sofort läuteten ihre Alarmglocken. Beim Klang dieser Stimme
sah sie sie direkt wieder vor ihrem geistigen Auge, als sei es erst
gestern gewesen. Dabei waren seither Jahre, viele Jahre ins Land
gestrichen. So viel war inzwischen geschehen, so vieles hatte
sich in ihrem Leben geändert. Niemals hätte sie mit diesem
Anruf gerechnet. Aber wieso rief sie sie so plötzlich an?
Irgendein Gefühl sagte ihr, dass es kein guter Tag mehr werden
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würde. Ihr Geist und Körper sträubten sich gegen dieses
Gespräch. Und plötzlich war alles wieder präsent, als sei es erst
gestern geschehen. Dabei spielte sich das alles lange Zeit, vor
Hennings Schlaganfall ab.
Wie sie damals in das Café hereinstolziert kam,
durchgestylt und aufgebrezelt wie ein Mannequin. Glasklar sah
Anna jetzt das Bild wieder vor sich. Gerade so, als hätte es die
Zeit dazwischen gar nicht gegeben. Wie sie mit ihrem eleganten
kurzen roten Bouclé Blazer ins Café kam, mit den auffallend
edlen schwarzen, fein geschliffenen und leicht gewölbten
Glasknöpfen verziert, die im Schein der Lichter wie Diamanten
funkelten. Und man bekam eine Ahnung über den Kaufpreis,
den sie dafür hingeblättert haben musste. Schließlich war es das
letzte Bild von ihr, das sich Anna ins Gedächtnis einbrannte.
Darunter trug sie eine schwarze Bluse. An ihrem Hals erkannte
Anna damals gleich die Goldkette wieder, mit einem in einer
ovalen Goldfassung eingefassten Jadestein, die sie sich einst aus
Hong Kong mitbrachte. Dazu trug sie eine eng anliegende
schwarze Hose von Rosner, die ihre sehr schlanke Figur ins
rechte Licht rückte. Ihre langen dunkelbraunen Haare glänzten
im Schein des einfallenden Sonnenlichts wie nasses Herbstlaub
in verschiedenen rötlichen Farbtönen. Sie schienen frisch
geschnitten zu sein. Man hätte glauben mögen, ein berühmter
Star habe sich nur im Café geirrt. Während sie sich suchend im
Café zur Uni nach Anna und Henning umschaute, warf sie
einige Male ihr langes Haar gekonnt mit einer eleganten
Handbewegung über ihre schmalen Schulter zurück. Unter
ihrem rechten Arm eingeklemmt, verbarg sich eine schwarze,
sackähnliche Handtasche aus feinstem Leder. Nicht einmal
Anna leistete sich zu dieser Zeit solche teuren Klamotten oder
Handtaschen.
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Sie zog eine echte Show ab. Die Aufmerksamkeit vieler
Gäste war ihr sicher. Überhaupt schien Tatyana ihren
grandiosen Auftritt zu genießen. Es fehlte eigentlich nur noch
der Applaus der Cafébesucher. Dann entdeckte sie ihre Eltern
in einer Nische am Fenster. Mit leicht schwingenden Hüften, als
befände sie sich auf einem Laufsteg, einem Gesichtsausdruck,
schrecklich verbissen und arrogant wie Sauerampfer, schritt sie
auf sie zu.
Alles glich dem Stil eines dieser neuen Mannequins, bei
denen man immer das Gefühl hat, als hätten sie gerade in eine
Zitrone gebissen. Als sie vor ihrem Tisch zum Stehen kam,
schaute sie herausfordernd und verachtend zwischen ihren
Eltern hin- und her. Sie begann nervös mit ihren künstlichen
Fingernägeln
die
Tischplatte
zu
bearbeiten.
Ihr
Gesichtsausdruck brachte beide schon wieder auf die Palme.
Provokant fragte sie: „Ihr wolltet mich sprechen. Also, hier bin
ich, was gibt es so Wichtiges? Ich hab´ nicht viel Zeit.“
Ihnen stockte der Atem! Sie, die Studentin sprach mit ihren
Eltern, als sei sie eine vielbeschäftigte Managerin, die von einem
ihrer Untertanen gestört wurde. Ihre Eltern waren eigens aus
Südfrankreich nach Düsseldorf geflogen, um mit ihr über einige
grundsätzliche Dinge zu sprechen, darüber, dass sie den Bogen
ihrer Eskapaden bei weitem überspannte. Das Maß inzwischen
mehr als voll war. Und sie faselte davon, sie habe nicht viel Zeit
für sie?
„Setz dich bitte und verschone uns mit derlei
Dummgeschwätz. Ich fasse es nicht, liebes Kind, alles was du
trägst bezahlen wir, alles wovon du lebst bezahlen wir, das Auto,
das du fährst, bezahlen wir, inklusiv sämtlicher Nebenkosten,
wir bezahlen deine Wohnung plus Nebenkosten, dein Telefon,
deine Penner, die sich ständig bei dir einnisten können, um sich
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von dir, sprich uns, aushalten zu lassen, einfach alles und du
meinst, du hättest nicht viel Zeit für uns? Setz dich sofort hin.
Sonst lernst du mich mal von einer anderen Seite kennen.“
Hennings Blick verfinsterte sich, er starrte seine Tochter
drohend an. Auch Anna fiel es weiß Gott schwer genug, in
diesem Moment ruhig auf ihrem Platz zu bleiben. Denn
Tatyanas Auftritt war mehr als grotesk und affig dazu. Einige
der anwesenden Gäste schauten jetzt leicht irritiert zu ihrem
Tisch herüber. Andere schüttelten den Kopf, warteten wohl
darauf, dass etwas passieren würde. Endlich kam mal etwas
Schwung in die ansonsten sehr dezenten Unterhaltungen der
älteren Gäste, deren Tonlagen verdammt an eine
Trauergemeinde erinnerten. Denn vormittags pflegten offenbar
hauptsächlich ältere Gäste das Café zur Uni zu besuchen, denn
es war in dieser Ecke das einzige existierende Café.
An diesem Tag eskalierte alles. Anna sah plötzlich die
gesamte Szene wieder vor sich, wie ein Theaterstück, das sie
sich zum zweiten Mal anschaue. Wie ein Déjà-vu Erlebnis.
Und nun dieser Anruf. Was hatte das zu bedeuten. Ein
unangenehmes Gefühl stieg in Anna auf. Jahre der Funkstille
lagen hinter ihr. Anna spürte sofort, wie sie ihre
Beklemmungsgefühle wieder in den Würgegriff nahmen, an
denen sie beinahe zu ersticken drohte. Mit einem großen
Paukenschlag bahnten sich ihre bereits verblasten Erinnerungen
wieder den Weg an die Oberfläche, als hätten die Jahre der
Funkstille nie existiert. Schon ihr Tonfall verriet Anna
augenblicklich, dass ihr Anruf, auch noch um diese Uhrzeit, ihr
den Tag versauen würde. Sie fragte sich unwillkürlich: Von wem
hatte sie wohl meine neue Telefonnummer bekommen? Und durch wen
hatte sie erfahren, dass ich nicht mehr in Frankreich lebe? Nicht einmal
Henning weiß es bis heute.
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Anna war von diesem Anruf ausgesprochen überrascht. Es
war irgendwie ein seltsames Gefühl, ihre Stimme nach so langer
Zeit wieder einmal zu hören. Sie hat es sich all die Jahre sehr leicht
gemacht, ging es ihr sofort durch den Sinn. Niemals wollte sie sich zu
den im Raum stehenden Vorwürfen äußern, sich nie entschuldigen, sie
empfand auch niemals Reue oder gar Schuldgefühle. Sie wäre sicherlich eine
tolle Politikerin geworden, mit diesen Charaktereigenschaften. Bin
gespannt, was sie von mir will? Wie seltsam, ich freue mich eigentlich gar
nicht über diesen Anruf, stellte Anna erstaunt fest. Was hätte ich vor
ein paar Jahren, als sie spurlos verschwand, noch darum gegeben, ihre
Stimme zu hören, überlegte Anna kurz. Aber immerhin verwirrte
sie dieser Anruf. Wie oft hatte sie sich in den letzten Jahren
gewünscht, die Uhren bis zu dem Zeitpunkt einfach wieder
zurück drehen zu können, bevor alles zerbrach. Doch man kann
nun einmal den Verlauf der Dinge nicht nachträglich
ungeschehen machen. Auch nicht verändern. Es ist wie es ist.
Was geschehen ist, ist geschehen. Wie gehandelt wurde, wurde
gehandelt und was gesagt ist, ist gesagt. Da beißt die Maus
keinen Faden ab. Doch es war noch lange nicht alles gesagt, was
gesagt werden müsste.
„Ja auch Porter, deine Tochter natürlich, wie viele
weibliche Porters kennst du denn?“
Nach dieser zickenhaften Antwort auf Annas ernst gemeinte
Frage, blieb es abermals einen Moment lang still. Anna spürte
plötzlich so eine merkwürde Unruhe in sich, ihr Blutdruck stieg
an, ihr Herz raste, als wollte es gleich zerspringen. Keiner von
ihnen beiden sprach für einen winzigen Augenblick ein Wort.
Sie schien wohl erst einmal auf eine Reaktion von ihrer Mutter
zu warten.
Die Überraschung war gelungen. Denn Anna war ein, zwei,
vielleicht drei Sekunden lang gar nicht in der Lage gewesen,
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darauf zu antworten. Der Boden unter ihren Füßen wurde
plötzlich hauchdünn. Sie drohte einzubrechen und in einem
Strudel der Gefühle zu versinken. Nur der fröhliche Gesang der
Vögel im Garten, das Hundegebell und die Stimmen aus der
Nachbarschaft durchbrachen diese unangenehme Stille.
Moustique, ihr Cocker und Chicco, ihr Tibetterriermischling
schienen jedoch sofort ihre plötzliche Anspannung zu spüren.
Beide legten sich flach neben sie auf den Boden. Sie schauten sie
sorgenvoll mit ihren großen runden Augen an. Sicher fragten sie
sich, was passiert war, als Anna so blitzartig ein Gewitter der
Gefühle überfiel. Den Hunden blieb das natürlich nicht
verborgen.
Eine Sekunde überlegte sie, wie sie auf diesen Anruf
reagieren solle. Die plötzliche Stille ließ ihr einen Augenschlag
Zeit, über eine Reaktion nachzudenken. Warte ich, bis sie wieder zu
reden beginnt oder breche ich als Erste das Schweigen. Oder lege ich einfach
auf?
Zu tief saßen die Wunden, die sie ihr bereits geschlagen
hatte, ohne zu ahnen, dass sie ihr später noch viel tiefere
Wunden schlagen wird. Dann hörte sie sich sagen: „Ich bin
erstaunt über deinen Anruf, dass kannst du dir sicher denken.
Was verschafft mir diese außerordentliche Ehre nach so langer
Zeit? Und woher hast du überhaupt meine neue
Telefonnummer? Die kennen nicht viele Leute.“
Angesichts der letzten Ereignisse hatte sich Anna eigentlich
geschworen, einfach keinen einzigen Gedanken mehr an dieses
Enfant terrible zu verschwenden. Und doch war sie immer noch
präsent, schließlich war und ist sie trotz allem immer noch ihre
Tochter. Sie wünschte sich, sie hätte mehr Glück mit ihrem
Kind gehabt oder wäre damals doch besser nach Holland
gefahren.
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In der Vergangenheit dachte Anna oft darüber nach, wie
komisch, aber auch ironisch das Leben doch sein konnte. Erst
war sie geschockt über die Nachricht, schwanger zu sein. Dann
die freudige Entscheidung für das Kind. Danach der
Heiratsstress und die Überlegung, nach Holland zu reisen und
eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Wieder eine
Kehrtwende. Die endgültige Entscheidung zugunsten ihres
Kindes, die letztendlich doch noch zur Heirat im sechsten
Monat führte. Und nicht zu vergessen die Vorfreude auf das
große Abenteuer Kind. Heute fragt sie sich nach dem Sinn, ein
Kind großgezogen zu haben. Wofür eigentlich? Um sich quälen
und sich ihr Leben erschweren zu lassen? Sich quälen zu lassen?
Wie ein räudiger Hund getreten und fortgejagt zu werden?
Eine seltsame Spannung, die sich über Jahre aufgestaut
hatte, lag plötzlich wieder in der Luft und zwischen ihnen. So,
als könnte man die Luft geradezu knistern hören. Wie eine
gefährliche Gaswolke, der nur ein winziger Funke fehlte, um zu
explodieren. Obwohl so viele Jahre seit ihrem großen Krach
verstrichen waren, spürte Anna diese starke Spannung zwischen
ihnen ausnehmend klar. Die wartete nur darauf, sich mit voller
Wucht entladen zu können. Zu viele Dinge blieben damals noch
unausgesprochen, wurden nie geklärt. Sie gingen im Zorn
auseinander. Anna überlegte: Sollte ich mich nicht eher über diese neue
Kontaktaufnahme freuen? Über diesen winzigen Funkenschimmer am
sonst schwarzgrauen Beziehungshimmel? Doch Tatyana, ihr einziges
Kind, war ihr inzwischen längst fremd geworden. Diese
schmerzliche Erkenntnis war erschreckend und ernüchternd
zugleich. Annas Selbstschutz war schon vor langer Zeit aktiv
geworden. Hunderttausend Überlegungen rasten gerade in
Schallgeschwindigkeit durch ihr Gehirn, als Tatyana sie je
unterbrach…….
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„Mama, ich brauche dringend deine Hilfe!“ erklang es
beinahe wie ein Befehl. Kaum das Tatyana diesen Satz
ausgesprochen hatte, riet Annas innere Stimme ihr, sofort
aufzulegen. Doch Annas Neugierde war bedauerlicherweise
größer als der Wunsch, sich vor neuen Enttäuschungen zu
schützen. Manches Mal denke ich, dass in mir ein kleiner Masochist
haust.
„Du rufst MICH an, um ausgerechnet MICH um Hilfe zu
bitten?“
„Mama, es ist wirklich sehr dringend. Ich hätte dich sonst
nicht angerufen, wenn es nicht so wichtig wäre.“
Typisch Tatyana, sie macht nicht lange Umwege, sondern kommt
direkt gleich zur Sache, sprach Anna im Stillen zu sich selbst. Selbst
nach Jahren der Funkstille. Nur keine Zeitverschwendung mit jedweden
Höflichkeitsfloskeln wie, - wie geht es dir? Nett mal wieder deine Stimme
zu hören? oder tut mir leid, dass ich so gemein zu dir war, nach allem, was
du für mich tatst, oder vielleicht etwas wie, es tut mir so leid, dass ich euch
so viel Kummer bereitete. Oder tut mir echt leid, dass ich mich euch
gegenüber wie ein Chauvinist benahm. Irgendetwas in dieser Art wäre doch
wohl das Mindeste gewesen, was ich von ihr erwarten durfte, wenn sie mich
nach allem, was geschehen war und nach all den vielen Jahren ohne jeglichen
Kontakt, das erste Mal wieder kontaktierte. Und letztendlich hatten nicht
wir uns eine neue Tochter gesucht, sondern Tatyana sich neue Eltern,
insbesondere eine neue Mutter. Und jetzt will sie Hilfe von mir? Ich glaube,
ich spinne! Annas Gedanken schlugen gerade wilde Kapriolen.
„Wenn es doch so wichtig ist, wieso rufst du dann nicht
deine neue Mutter an, die ja so wahnsinnig toll und lieb ist? Die
wird dir sicherlich gerne helfen wollen!“
„Mama bitte, lass uns nicht jetzt darüber sprechen.“
„Wieso nicht?“
„Weil es nicht geht.“
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„Wieso geht es nicht? Ich würde es aber gerne wissen!“
„Ich hätte dich ganz sicher nicht damit belästigt, wenn es
nicht so wichtig wäre.“ Sie wich ihrer geschickt Frage aus…….
Ende der Leseproben.
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