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Donnerstag, 29. Jänner 2015
Bauernregeln aus
der Steiermark
LOS
GEHT’S
Bernd
Chibici
Schatzsuche
im ganzen Land
Nach dem überwältigenden
Erfolg unserer großen Vulgo-Initiative, wenden wir uns
mit dieser Ausgabe (siehe Bericht rechts) einem weiteren
wichtigen bäuerlichen Kulturgut-Thema zu – den berühmten Bauernregeln.
Diese alten, meist in Reimen
geschmiedeten Volkssprüche
haben eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Einst waren sie die wichtigste – über
Generationen weitergetragene – Grundlage zur Wettervorhersage, die naturgemäß in der
Landwirtschaft von existenzieller Bedeutung ist. Dann wurden sie mit der aufkeimenden Begeisterung für die neuen technischen Möglichkeiten
der Wetterbeobachtung lange
Zeit in die Ecke der Phantasie
und des Aberglaubens gerückt.
Erst seit etwas mehr als einem Jahrzehnt sieht man sie
wieder mit weit mehr Respekt.
Erstens stellte sich bei genaueren Überprüfungen heraus,
dass sie mit ihren Prognosen
– bezogen auf das Gebiet ihrer Entstehung – beeindruckend oft richtig liegen. Zweitens schätzt man sie als Kleinkunstwerke, die mancherorts
auch zu einer gewissen Selbstironie anregen. Und drittens
entdeckte man ihre symbolische Kraft. Sie dokumentieren
eindrucksvoll die hohe Kompetenz der Bäuerinnen und Bauern im Umgang mit der Natur.
Mit Ihrer Hilfe, werte Leserinnen und Leser, wollen
wir auf die Suche nach den
vielen Schätzen dieser Art
im ganzen Land gehen. Regie dabei führt mit unserem
stellvertretenden Chefredakteur Karl Brodschneider ein
Kollege, der mit seiner sachkundigen Leidenschaft schon
die Vulgo-Initiative geprägt
hat. Das lässt viel erwarten!
Bernd Chibici
Etwa bis in die 1930er-Jahre waren
die Menschen bei der Wettervorschau auf ihr eigenes Geschick und
auf Überlieferungen angewiesen. Dabei spielten Bauernregeln, Lostage,
der Mandlkalender und der Hundertjährige Kalender eine entscheidende
Rolle. Gerne beobachtete man Tiere,
weil ihr äußerst sensibles Nervensystem schon lange vorher auf Wetterveränderungen anspricht, bevor sie
der Mensch verspürt.
Die Redaktion von NEUES LAND
möchte alte Bauernregeln, die in verschiedenen Gebieten der Steiermark
Gültigkeit hatten beziehungsweise
noch immer haben, sammeln und lädt
die Leser ein, ihre Erfahrungen bekannt zu geben. Einsendungen an
Karl Brodschneider, Reitschulgasse
3, 8010 Graz oder karl.brodschneider
@neuesland.at
Alte
Weisheit
stark
gefragt
Bauernregeln und Lostage beruhen
auf Wetter-, Tier- und Pflanzenbeobachtungen. Auch heute werden
sie noch von vielen Menschen,
nicht nur von Bauern, gerne gelesen.
■ Karl Brodschneider
W
arum man laut Bauernregel just am Vinzenztag, dem 22. Jänner,
nicht in den Wald gehen darf,
ist für den Weststeirer Wolfgang
Gutschi ein Rätsel. Aber weil
seine Eltern auf diesen Ratschlag
stets großen Wert gelegt haben,
hält sich auch der Predinger
nach wie vor daran.
Gutschi zählt zu jener großen
Gruppe von Menschen, für die
Bauernregeln einerseits ein purer Aberglaube sind aber andererseits eine sehr präzise Wetterbeobachtung darstellen. Auch
der Südoststeirer Johann Scheucher aus Straden gesteht, dass er
Ernst Zwanzleitner: „Wenn die
Bäume stieren.“
in jungen Jahren wenig auf Bauernregeln gehalten habe. Heute sieht er das anders, weil er
weiß, dass gewisse Wetterphänomene klar zu deuten sind. Als
Beispiel nennt er ziehende Wolken: „Külber (Wolken) gegen die
Mur, Bauer geh` Fuhr! Külber gegen die Raab, Bauer geh unter`s
Dach!“ Oder wenn „der Nirgl
prellt“ (Specht klopft), kommt
bald Regen. Noch ein Beispiel zitiert Scheucher: „Wenn die Stallgabel rostig wird, kommt mit Sicherheit schlechtes Wetter.“
Die Hl. Kunigunde
Ernst Zwanzleitner, der aus dem
Rundfunk bekannte obersteirische Bauer aus St. Gallen, ist von
Hans Scheucher kennt typische
Schlechtwetter-Zeichen.
der Sinnhaftigkeit gewisser Bauernregeln fest überzeugt, weil in
ihnen ein großer bäuerlicher Erfahrungsschatz steckt. Dass die
Hl. Kunigunde (3. März) diejenige ist, die eingefrorene Wasserleitungen am Hof wieder auftauen
lässt, hat er vor zwei Jahren selbst
erfahren. Schmunzelnd interpretiert er allerdings eine andere
Bauernregel, demnach ein besonders fruchtbares Jahr folgen wird,
wenn zwischen den Rauhnächten der Wind geht („die Bäume
stieren“). „Bei uns am Erbsattel
bläst schon seit dem Spätherbst
ständig der Wind, wird wohl ein
besonders fruchtbares Jahr werden, oder?“
Erst am vergangenen Wochenende hat Zwanzleitner mit dem
heute 88-jährigen Cousin seines
Vaters ein Gespräch geführt, wo
ihm die Bedeutung der Bauernregeln und Lostage richtig bewusst geworden ist. Der Verwandte hat ihm erzählt, dass er
früher als Bergbauer, vor allem
in den Kriegsjahren, bis auf die
Bauernregeln, den Mandlkalender und den Hundertjährigen
Kalender überhaupt keine anderen Möglichkeiten für eine Wettervorschau gehabt hat.
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zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Gültigkeit mehr aufweisen müssen!
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