2014 n° 9 IM FOKUS Ist die Institution der österreichischen Finanzprokuratur noch zeitgemäss? 222 2014 n° 9 European Law Reporter Inhaltsverzeichnis Board of Editors PROF. DR. DR. CARL BAUDENBACHER LUXEMBURG/ ST. GALLEN (PRÄSIDENT) PROF. DR. DR. GENERALDIREKTOR A.D. WALTER BARFUß WIEN FÜRSTLICHER RAT ALT REGIERUNGSCHEF HANS BRUNHART VADUZ PROF. DOTT. ALDO FRIGNANI AVVOCATO TORINO PROF. DR. CHRISTIAN KOHLER SAARBRÜCKEN RECHTSANWALT DR. FRANK MONTAG BRÜSSEL DR. SVEN NORBERG BRÜSSEL EUROPEAN L AW REPORTER 2 0 1 4 no 9 E u ro p e a n L a w R e p o r t e r Carl Baudenbacher*, Luxemburg/St.Gallen und Theresa Haas**, Luxemburg Ist die Institution der österreichischen Finanzprokuratur noch zeitgemäss? Die österreichische Finanzprokuratur ist «Anwalt und Berater der Republik».1 Sie wurde im Hochmittelalter geschaffen2 und hat seitdem bis auf einige Unterbrechungen bestanden. Traditionell wird sie als «grösste Rechtsanwaltskanzlei Österreichs» bezeichnet.3 Die wichtigste Änderung in der Geschichte der Finanzprokuratur war die Trennung der Aufgaben von Finanzprokuratur und Staatsanwaltschaft, die der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schrittweise erfolgte und im Jahr 1898 abgeschlossen wurde.4 Mit der Dienstinstruktion vom 9. März 1898 wurde «im wesentlichen jener Rechtszustand geschaffen welcher auch noch heute die Aufgaben bestimmt.»5 Im Fokus Seither ist, nach Kritik des Rechnungshofes,6 im Jahr 2008 zwar ein neues Finanzprokuraturgesetz («ProkG») verabschiedet worden, doch hat sich am Aufgabenbereich wenig geändert. Insbesondere wurden bestimmte prozessuale Sonderbestimmungen aufrecht erhalten, welche die Mandanten der Finanzprokuratur besser stellen als Mandanten, die von anderen vertreten werden.7 Obwohl die institutionalisierte Rechtsberatung und Rechtsvertretung als solche kein österreichisches Spezifikum ist, sind diese Privilegien anderen Rechtsordnungen fremd. 222 Die Literatur zur Finanzprokuratur ist gespalten: Auf der einen Seite gibt es scharfe Kritiker, wie den unlängst verstorbenen ordentlichen Professor an der TU Wien und Richter am Staatsgerichtshof des Fürstentums Liechtenstein Josef Kühne8 oder die Österreichische Rechtsanwaltskammer.9 Die Verteidiger der Finanzprokuratur sind auf der anderen Seite immer Teil der Institution.10 Die Einrichtung der Finanzprokuratur ist schon lange umstritten. Bedenken bestehen sowohl aus Sicht der Bundesverfassung (Art 7 B-VG, allgemeiner Gleichheitsgrundsatz) als auch der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 EMRK, Recht auf ein faires Verfahren). 1998 wurde die Hoffnung geäussert, der demokratischen Republik möge gelingen, «was die Stände der absoluten und konstitutionellen Monarchie bei und seit Maximilian I nicht erreichten, eine gleichheitswidrige Privilegierung des Staates und der begünstigten Rechtsträger als eine verfassungs- und konventionswidrige Funktion aufzuheben und einen letztlich überholt-entbehrlichen Staatsapparat zum Nutzen seines notleidenden Haushaltes einzusparen und die Aufgaben an die berufene Rechtsvertretungen zu privatisieren.»11 Im Lichte jüngster Entwicklungen stellt sich die Frage, ob das österreichische Spezifikum der Finanzprokuratur noch zeitgemäss ist. (1) Gesetzliche Grundlagen Im Jahr 2008 wurde das seit 1945 bestehende Prokuraturgesetz12 neu gefasst.13 Darüber hinaus finden sich vereinzelte Regeln zur Finanzprokuratur in der Zivilprozessordnung («ZPO») und in Sondergesetzen, wie etwa dem Bundesbahngesetz. (a) ProkG 2008 2006 haben sowohl das Finanzministerium, dem die Finanzprokuratur untersteht, als auch der Rechnungshof eine Restrukturierung der Finanzprokuratur vorgeschlagen.14 Anstatt das bestehende Gesetz zu novellieren oder die Aufgaben der Finanzprokuratur in bestehende Behörden einzugliedern, wurde 2008 ein neues Gesetz geschaffen.15 Nachfolgend wird auf seine wichtigsten Bestimmungen eingegangen. In § 1 ProkG wird der Aufgabenbereich der Finanzprokuratur als Anwalt («Rechtsvertretung im Interesse des Staates») und Berater («zur rechtlichen Beratung […] im Interesse des Staates») der Republik allgemein umschrieben, während in § 2 Abs. 1 ProkG eine demonstrative Aufzählung diesen Aufgabenbereich konkretisiert. Bemerkenswert ist, dass der Finanzprokuratur nicht nur die Rechte eines Rechtsanwaltes zukommen (§ 2 Abs. 2 ProkG). Darüber hinaus sind «alle öffentlichen Dienststellen einschliesslich der Gerichte [verpflichtet] die Finanzprokuratur zu unterstützen und ihr auf Ersuchen die gewünschten Akten zur Einsicht und Abschriftnahme zu übermitteln.»16 Diese Bestimmung wurde fast wörtlich aus dem alten ProkG übernommen,17 obwohl sie bereits damals als gleichheitswidrig bezeichnet worden war.18 Der Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer Michael Auer hat das neue ProkG im Hinblick auf die Verfassungsmässigkeit dieser Vorschrift scharf kritisiert und geltend gemacht, damit entstehe eine «Kontrollinstanz, mit der sich das Finanzministerium eine komplette Übersicht über alles schaffen kann, was in der Republik geschieht».19 Da die entsprechende Regelung für Rechtsanwälte in § 170 der Geschäftsordnung für die Gerichte der I. und II. Instanz («Geo») zwar
© Copyright 2024 ExpyDoc