SWR2 OPER Moderationsmanuskript von Reinhard Ermen Johann David Heinichen: „Flavio Crispo“ Sonntag, 05.02.2017, 20.03 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. 1 Auf dem Spielplan steht der Mitschnitt einer Uraufführung. Das kommt auf diesem Sendeplatz schon mal vor. In diesem Fall ist das Werk allerdings gut 300 Jahre alt und solche Uraufführungen sind auch bei uns relativ selten. Sie hören also „Flavio Crispo“, den Text schrieb wahrscheinlich Stefano Bernado Pallavicini, die Musik ist von Johann David Heinichen. Ausgegraben und aufgeführt wurde diese Kostbarkeit von Jörg Halubek, der das Werk am 18. Juni 2016 mit seinem Ensemble il Gusto Barocco und einer Schar auserwählter Solisten im Konzertsaal der Musikhochschule Stuttgart aus der Taufe hob. Heinichen, 1683 in Weissenfels geboren und an der Thomasschule in Leipzig erzogen, ging 1710 nach Italien, um dort seine Musikkenntnisse zu vervollkommnen. 1716 wurde er in Rom an den Hof von August dem Starken nach Dresden engagiert, wo er bis zu seinem Tod 1729 als Hofkapellmeister wirkte. Zuständig war er unter anderem für die katholische Kirchenmusik; weniger für die Oper. Für die arbeitete bis 1719 der berühmte Antonio Lotti. Erst als dieser 1719 zurück nach Venedig ging kam Heinichen zum Zuge. Er, der bis dahin etwa sieben Opern unterschiedlichen Charakters andernorts erfolgreich über die Bühne gebracht hatte, erhielt den Auftrag für eine große Seria. „Flavio Crispo“ entstand, wurde aber nicht aufgeführt, und das kam so. Das Stück wurde Opfer einer Intrige. Es heißt, der Kastrat Senesino, der Superstar der Dresdner Oper, habe sich beklagt über die Art und Weise, wie Heinichen, das Italienische in Musik gesetzt habe. Hinter vorgehaltener Hand ist allerdings zu hören, dass Senesino diesen Skandal erzwingen wollte, um seine (Senesinos) Entlassung selbst zu betreiben, da ihm seinerzeit von Georg Friedrich Händel ein ertragreicheres Engagement nach London angeboten worden war. Wie auch immer die Sache wirklich hergegangen ist, sie liegt partiell im Dunkeln. Das ist außerdem Schnee von gestern. Die Musik hat den Skandal überlebt, an ihr kann es nicht gelegen haben, wie Sie gleich selbst hören können. Das Werk ist annährend vier Stunden lang, viel Zeit für Spekulationen über die alte Geschichte ist nicht vorhanden. – Die Ausführenden sind: Flavio Crispo, Costantinos Sohn: Leandro Marziotte Elena, Englische Prinzessin am Hof: Dana Marbach Fausta, Gemahlin Costantinos, in Crispo verliebt: Alessandra Visentin Imilee, Assaricos Tochter, des ostfränkischen Königs: Silke Gäng Gilimero, Heerführer und Freund von Flavio: Nina Bernsteiner Massenzio, Bruder von Fausta, Gegner Flavios: Tobias Hunger Costantino, Römischer Kaiser und Faustas Gemahl: Ismael Arroniz Und, wie schon gesagt: il Gusto Barocco - Das Stuttgarter Barockorchester Leitung: Jörg Halubek Die Erzählung der Handlung ist bei Barockopern fast immer komplizierter als der Verlauf selbst. Umständlich werden die Bedingungen bereitgestellt, nach denen sich Konflikte abwechslungsreich und dankbar für die damit verbundene Musik entwickeln können. In diesem Fall geht es um einen Fall in der spätrömischen Geschichte. Kaiser Diokletian, der 305 nach Christus die Herrschaft niederlegte, hatte in einem Viererbund, also mit drei weiteren Kaisern und Nebenkaisern regiert. Nach seiner Abdankung steht allerdings ein neuer starker Mann bereit, Konstantin, der sich auf seine gallischen Heere stützen kann und eigentlich allein regieren will. Einer der ehemaligen Mitregenten Massenzio, der um die Hausmacht seiner Familie fürchtet, reiste also nach Gallien und traf mit Konstantin folgende Abmachung: Konstantin wird sich von seiner Gattin Minerva, der Mutter des Flavius, trennen und Massenzios Tochter Fausta heiraten. Damit sind die herrschaftlichen Verhältnisse vorerst abgesichert. Flavio Crispo soll im Übrigen Nebenkaiser, bzw. Konstantins Nachfolger werden. Damit sind die Konflikte vorgeprägt. Sie beginnen zu gären, denn Fausta liebt Crispo, der sich in der Zwischenzeit in Gallien Ruhm erworben hat, dabei aber auch einen regen Briefwechsel mit der Prinzessin Elena geführt hat, die er liebt. Und als sei das nicht genug, hat Konstantin (im Italienischen Costantino) für seinen Sohn Crispo eine ostfränkische 2 Prinzessin, Imilee auserwählt; als politische Absicherung, als Friedenspfand. Diese Imilee liebt Crispo, wird aber selbst von Gilimero geliebt, dessen freundliches Bekenntnis an eine unbestimmte Hoffnung auf Imilee steht am Ende des ersten Aktes, in dem die oben angedeuteten Verhältnisse exponiert werden. - Wie gesagt, Erzählen ist schwerer als Hören. Bei der Orientierung helfen die Stimmlagen. Die Titelfigur ist ein Altus, Elena, ein Sopran und Imilee ein Alt. Gilimero, der unglücklich verliebte Heerführer ist ein kerniger Sopran. Und dann gibt es noch einen Tenor: Massenzio, der Bruder von Fausta, der dummerweise auch ein Auge auf Elena geworfen hat. Mit seiner Schwester Fausta wird er das zum Anlass einer Intrige machen. Doch soweit sind wir im Augenblick noch nicht. Massenzio hat die Ehre, die erste Arie in diesem Stück zu singen, und das ist ein galantes Stück: „Möge das undankbare Schicksal meiner Liebe nicht im Wege stehen …“ „Flavio Crispo“, - der erste Akt dauert eine Stunde und 16 Minuten. „Flavio Crispo“, 1. Akt = 1.15.56 SWR2 Opernabend, Sie hören „Flavio Crispo“ von Johann David Heinichen als Mitschnitt der Welturaufführung vom Juni 2016 aus der Musikhochschule Stuttgart mit il Gusto Barocco unter Jörg Halubek. Flavio Crispo, Costantinos Sohn: Leandro Marziotte, außerdem: Elena, Englische Prinzessin am Hof: Dana Marbach Fausta, Gemahlin Costantinos, in Crispo verliebt: Alessandra Visentin Imilee, Assaricos Tochter, des ostfränkischen Königs: Silke Gäng Gilimero, Heerführer und Freund von Flavio: Nina Bernsteiner Massenzio, Bruder von Fausta, Gegner Flavios: Tobias Hunger Costantino, Römischer Kaiser und Faustas Gemahl: Ismael Arroniz Der zweite Akt geht an die Intrige. Fausta, Kaiserin durch die Heirat mit Costantino, ist gekränkt, dass Crispo sich von ihr abgewendet hat. Die Rache der Abgewiesenen ist indessen effizient. Durch Massenzio erfährt sie, dass Elena und nicht Imilee ihre wahre Rivalin ist, außerdem bekommt sie durch den Bruder die Briefe Crispos, die dieser aus Gallien an Elena geschrieben hat. Die reicht sie an den Kaiser weiter, allerdings mit der Behauptung, Crispo habe diese Liebesepisteln an sie Fausta, die Stiefmutter und Gattin des Kaisers geschrieben. Costantino ist außer sich! Crispos Schicksal scheint besiegelt zu sein. Zuvor kann er aber noch mit dem treuen Gillimero die Sache mit Imilee klären. Der Kaiser setzt ihn gefangen. Massenzio versucht vergeblich mit Elena anzubändeln … Wie schon ganz zu Beginn angedeutet, die Erzählung hechtet dem Eigentlichen, dem musikalischen Drama hinterher. Die Kette der Missverständnisse und Schlichen schafft Raum für entsprechende Affekte; etwa, wenn der Kaiser die Briefe zu Gesicht bekommt. Die Lektüre gerät zu einem effektvollen Accompagnato, das in eine imperiale Arie mündet. Ziel dieser verwinkelten Handlungsführung ist, die Figuren in immer neuen Situationen zu eindringlichen Reaktionen zu bringen. Am Schluss des zweiten Aktes erleben wir in diesem Sinne die bestürzte Elena, die um das Leben ihres Geliebten fürchtet. „Flavio Crispo“, - der zweite Akt dauert eine Stunde und 21 Minuten. „Flavio Crispo“, 2. Akt = 1.21.07 3 SWR2 Opernabend, Sie hören „Flavio Crispo“ von Johann David Heinichen als Mitschnitt der Welturaufführung vom Juni 2016 aus der Musikhochschule Stuttgart mit il Gusto Barocco unter Jörg Halubek. Flavio Crispo, Costantinos Sohn: Leandro Marziotte, außerdem: Elena, Englische Prinzessin am Hof: Dana Marbach Fausta, Gemahlin Costantinos, in Crispo verliebt: Alessandra Visentin Imilee, Assaricos Tochter, des ostfränkischen Königs: Silke Gäng Gilimero, Heerführer und Freund von Flavio: Nina Bernsteiner Massenzio, Bruder von Fausta, Gegner Flavios: Tobias Hunger Costantino, Römischer Kaiser und Faustas Gemahl: Ismael Arroniz Die Kunst der Barocken Operndramaturgie besteht darin, die raffiniert geschnürten Knoten in einem „Lieto Fine“, in einem glücklichen Ende, selbstverständlich zu lösen. Crispo soll sterben. Gilimero bringt ihm diesen Beschluss des Kaisers in Gefängnis. Der tief Getroffene greift zum Giftbecher und nimmt Abschied vom Leben. Mit Anmut und Würde macht Heinichen daraus Szene und Arie! Die anderen, Elena, Gilimero und Imilee sehen ihn sterben. Aber Fausta, die all das eingefädelt hat, spürt keine Triumphgefühle; ganz im Gegenteil. Der Bruder Massenzio wird einen Aufstand gegen Costantino anzetteln. Der Kaiser sieht sich von allen verlassen. Und dann kommt auch noch Fausta, sie gesteht ihre Intrige. Alles scheint zusammenzubrechen. Fausta nimmt sich das Leben, Massenzios Aufstand nimmt Formen an. Doch die Guten formieren sich; der getreue Gilimero und FLAVIO CRISPO! Der ist nämlich gar nicht tot. Gilimero ließ statt Gift ein starkes Schlafmittel reichen. Crispo besiegt also Massenzio. Alles wird (erstaunlich schnell) wieder gut. In Nullkommanichts kehrt wieder Ordnung ein. Crispo wird Elena ehelichen und Gilimero Imilee. „Flavio Crispo“, - der dritte Akt dauert knapp eine Stunde und acht Minuten. „Flavio Crispo“, 3. Akt = 1.07.16 SWR2 Opernabend, auf dem Spielplan stand „Flavio Crispo“ von Johann David Heinichen. Sie hörten den Mitschnitt der Uraufführung vom 18. Juni 2016 aus dem Konzertsaal der Musikhochschule Stuttgart. – Die Ausführenden waren: Flavio Crispo, Costantinos Sohn: Leandro Marziotte Elena, Englische Prinzessin am Hof: Dana Marbach Fausta, Gemahlin Costantinos, in Crispo verliebt: Alessandra Visentin Imilee, Assaricos Tochter, des ostfränkischen Königs: Silke Gäng Gilimero, Heerführer und Freund von Flavio: Nina Bernsteiner Massenzio, Bruder von Fausta, Gegner Flavios: Tobias Hunger Costantino, Römischer Kaiser und Faustas Gemahl: Ismael Arroniz Außerdem: il Gusto Barocco - Das Stuttgarter Barockorchester Leitung: Jörg Halubek Ton und Technik: Gabriele Starke, Fabian Vossler und Caroline Rebstock. Redaktion Reinhard Ermen. 4
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