Mehr Aufgeschlossenheit

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WELTFRAUENTAG
Mehr Aufgeschlossenheit
Rebecca Beerheide
in Klagelied, dass auch zum 106. Weltfrauentag
einen unveränderten Text hat: Zu wenige Führungsetagen in Deutschland werden von Frauen geleitet
– ganz gleich, ob in der Verwaltung, bei Konzernen, in
Universitätskliniken oder großen Forschungsinstituten.
Dabei ist die Medizin ein Berufsfeld, in der es am wenigsten zu verstehen ist, warum es nicht schon heute in
vielen Kliniken, großen Praxen oder auch in berufspolitischen Spitzengremien üblich ist, dass eine Ärztin an
der Spitze steht. Seit den 1990er-Jahren sind über die
Hälfte der Erstsemester Frauen, im Studienjahr 2016
wurden die 11 000 Studienplätze mit 65 Prozent belegt.
Doch die Ärztinnen, die in den 1990er-Jahren studierten, sind bis heute kaum in Führungspositionen angekommen: In Deutschland gibt es an den Unikliniken
nach einer Erhebung des Deutschen Ärztinnenbundes
zehn Prozent bei den Chefärztinnen, 31 Prozent bei
Oberärztinnen.
„Verbale Aufgeschlossenheit, bei weitgehender Verhaltensstarre“ – so bezeichnete schon 1986 der inzwischen verstorbene Soziologe Prof. Dr. Ulrich Beck die
deutschen Gesellschaftsdebatten zum Rollenbild von
Männern und Frauen. Aufgeschlossen sind bereits viele
– Männer wie Frauen, allerdings oft nur in ihren Sonntagsreden. Kommt es zum Schwur – „Willst Du den
Job?“ „Willst Du das berufspolitische Amt?“ – schrecken viele (Frauen) zurück oder das Angebot (von
Männern) für einen Posten wird gar nicht erst ausgesprochen.
Die Verhaltensstarre kann nur von den Ärztinnen
und Berufspolitikerinnen aber auch ihren männlichen
Kollegen selbst aktiv beendet werden – wenn es denn
einen gesellschaftlichen Wandel geben soll. Vor einigen
Monaten wurden die KV-Vertreterversammlungen
landauf, landab neu gewählt – aus frauenpolitischer
Sicht hat sich nur wenig geändert: Eine neue KV-Chefin dort, andernorts eine weniger. Zwei Frauen stehen
künftig der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung (KBV) vor – im KBV-Vorstand ist
keine Ärztin mehr. Im Vorstand der Bundesärztekam-
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Deutsches Ärzteblatt | Jg. 114 | Heft 10 | 10. März 2017
mer sind es fünf Ärztinnen (und 14 Ärzte). Frauen, die
jetzt in den (Spitzen-)Gremien sind, sollten sich die
Zeit und Kraft nehmen, in den kommenden Jahren
mehr Kolleginnen für die Berufspolitik zu gewinnen.
Nur so kann die „Verhaltensstarre“ aufgebrochen werden. Zur Veränderung der ärztlichen Arbeitswelt – von
der natürlich auch Männer profitieren – müssen die jungen, neuen, aber auch weiblichen Stimmen in den Gremien integriert werden.
Denn das Gesundheitswesen in Deutschland darf es
sich gar nicht leisten, so viele gut ausgebildete Ärztinnen speziell während der Weiterbildungszeit zu verlieren. Auch für die Leitung von Kliniken oder großen Instituten werden die hoch qualifizierten Frauen benötigt.
Für den Traumberuf Ärztin – mit eigener Familie –
braucht es mehr innovative Arbeitsmodelle, Klinikleitungen oder Praxischefs. Einige Häuser in privater Trägerschaft oder auch in ländlichen Gebieten scheinen
sich inzwischen zu bewegen: mobiler Pflegedienst für
kranke Kinder, damit die Chirurgin operieren kann.
Flexible Arbeitszeitmodelle, von denen Ärztinnen, aber
auch Ärzte an Unikliniken oft nur träumen können. Ist
das die neue Familienfreundlichkeit? Nein – diese Klinikgeschäftsführer denken wirtschaftlich: Es ist viel zu
teuer, wenn Operationen ausfallen oder immer wieder
neues ärztliches Personal gesucht werden muss.
Rebecca Beerheide
Ressortleiterin Politische Redaktion
A 441