2017_Hirtenwort_Österliche Bußzeit

Sperrfrist für die Presse: 04. März 2017, 18.00 Uhr
Der Bischof von Augsburg
Hirtenwort zur österlichen Bußzeit 2017
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Das gab es wohl seit Jahrhunderten nicht mehr! Dass
der Bischof von Augsburg das heilige Weihnachtsfest
nicht in seiner Kathedrale feiern konnte.
Sie wissen, warum. Wegen der Entschärfung einer
Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg ausgerechnet am ersten Weihnachtsfeiertag musste ein
ganzer Stadtteil evakuiert werden. Dazu gehörten
auch der Dom und das Bischofshaus. Nach einem
ersten Schreck musste ich an die Unzähligen denken,
die mit einem Schlag Haus, Lebensgrundlage und
Lebensperspektive verloren haben, und gerade noch
mit dem nackten Leben davongekommen sind.
Wir hatten schon bald eine Lösung gefunden. Die
große St. Antonius-Kirche außerhalb des Sperrbezirks sollte uns zur Festfeier dienen.
Ob es wohl eine noch eindrucksvollere Feier mit noch
größerer Beteiligung der Gläubigen geben wird? Das
waren mein innerer Gedanke und leiser Zweifel zugleich. Meine Bedenken wurden dann leider auch bestätigt. Die Beteiligung an diesem Gottesdienst hielt
sich durchaus in Grenzen. Da war es, so schien es
mir, aus welchen Gründen auch immer, auf den
Punkt gebracht:
- II -
Was wir aus diesem Anlass zu Weihnachten erfahren
haben, das erleben wir auch an vielen ganz normalen
Sonntagen des Jahres: Der Besuch des Gottesdienstes hat drastisch abgenommen. Davon berichten
auch zahlreiche Mitbrüder, das erfahre ich auch bei
den Visitationen, das wissen wir alle nur zu gut. Und
wir leiden darunter.
Auch aufwendig gestaltete Familiengottesdienste mit
vielen Akteuren und wahren Drehbüchern, wie mir ein
Mitbruder einmal sagte, haben diesen Abwärtstrend
nicht aufhalten können. Für die Mitbrüder, die schon
lange im priesterlichen Dienst stehen, ist das eine
ziemliche Herausforderung, wenn nicht sogar eine
schwere Anfechtung.
Wie man denn wieder mehr Gläubige in die Kirche
bringen könnte, vor allem Kinder und Jugendliche,
wurde ich bei einer Visitation gefragt. Und man war
vielleicht nicht wenig überrascht, als ich antwortete,
dass es uns gar nicht zuerst darum gehen kann, Kirchen zu füllen. Vorrangigste Aufgabe unserer Seelsorge und Verkündigung muss es sein, Menschen in
eine lebendige Beziehung mit Jesus Christus zu bringen. Vor allem die, die schon getauft sind, sollen sich
daran erinnern, dass ihnen diese lebendige Beziehung von Gott bereits geschenkt worden ist.
Man mag der Kirche heute alles Mögliche vorwerfen,
aber sie hält alles für jeden von uns nach wie vor bereit, um eine lebendige Beziehung zu Jesus Christus
zu entwickeln und zu pflegen. An zentraler Stelle
steht dabei die sonntägliche Feier der Eucharistie und
der Sakramente.
- III -
Die Bewunderung seiner Mitbrüder darüber, dass nur
so um die 50 Leute von allen Dorfbewohnern den
sonntäglichen Gottesdienst nicht besuchten, beantwortete ein schlesischer Landpfarrer seinerzeit mit
dem Aufschrei: Was, nur 50? Das sind jeden Sonntag
50 Todsünden in meiner Gemeinde! Der aufgeklärte
Zeitgenosse wird dafür vielleicht nur ein müdes Lächeln übrig haben.
Und doch spricht aus dieser Klage die tiefe Sorge eines Seelsorgers um die Heiligung seiner Gemeinde
und um seine eigene Verantwortung.
Aus eigener leidvoller Erfahrung schon in sehr jungen
Jahren bin ich davon überzeugt: Einer Einladung zu
folgen, ist eine Tat der Nächstenliebe. Aber der Einladung Gottes zu Feier von Tod und Auferstehung
unseres Herrn zu folgen, ist ein lebendiges Zeichen
der Liebe zu Gott.
Wenn nun aber schon die Vernachlässigung einer
Einladung unter uns dazu angetan sein kann, die
zwischenmenschlichen Beziehungen schwer zu stören, um wieviel mehr belasteten wir unsere Beziehung zum lebendigen Gott, wenn wir vielleicht sogar
seine Einladung einfach übergingen und ausschlügen!?
Zugleich verweigerten wir damit auch das notwendige
gegenseitige Glaubenszeugnis, schwächten unsere
Gemeinschaft und versündigten uns damit schwer an
Gott und den Mitmenschen!
- IV -
Nun schreibe ich aber diesen Brief an Sie, liebe
Schwestern und Brüder, die Sie gekommen sind, um
Gottes Wort zu hören und das Opfer Jesu Christi zu
feiern und somit Jesus Christus zu begegnen in seinem Wort und Sakrament. Dabei bin ich weit davon
entfernt, mit meinem Schreiben etwa diejenigen anzuklagen, die vielleicht nur recht selten und über das
Jahr verstreut, ja, vielleicht sogar nur zu Weihnachten
die Kirche aufsuchen.
Freilich, beklagenswert ist das schon, und es darf uns
auch nicht zur Ruhe kommen lassen: Es sind allzu
viele, denen es schon zur Gewohnheit geworden ist,
unseren Zusammenkünften fern zu bleiben, wie
schon der Brief an die Hebräer zu berichten weiß1.
Um jeden einzelnen und um jede einzelne muss es
uns gehen. Jeder Getaufte, der uns fehlt, ist einer zu
viel. Darum darf uns die Tatsache, dass Sie, liebe
Schwestern und Brüder, die Einladung Gottes angenommen haben, nicht nur ein Grund zur Dankbarkeit
und Freude sein, sondern muss in uns auch die Sorge um die Heiligung unserer Brüder und Schwestern
wach werden lassen.
Als einer unserer Theologieprofessoren zum ersten
Mal den evangelischen Pfarrer seines Wohnbezirks
traf und sich ihm vorstellte, rief dieser ganz spontan
aus: Ach, da gehören sie ja zu meiner Gemeinde! Der
Professor hat uns das erzählt, um uns klar zu machen, wie wir unsere Verantwortung füreinander zu
verstehen hätten. Das war nun aber bestimmt nicht
nur ein Beispiel für künftige Seelsorger. Über die
1 vgl. Hebr 10, 25
-V-
Grenzen unserer Pfarreien und Pfarreiengemeinschaften hinaus tragen wir alle füreinander Verantwortung. Sonntag für Sonntag und darüber hinaus
bestätigen wir das auch schon mit unseren Fürbitten.
Liebe Schwestern und Brüder, und wenn es nur ein
einziges Wort wäre, das Sie diesem meinem Brief zur
österlichen Bußzeit entnehmen und beherzigen, dann
möge es doch meine herzliche Bitte sein, in Ihren
Gebeten regelmäßig derer zu gedenken, die wir zwar
nur selten oder niemals mehr in unseren Gottesdiensten antreffen, die aber nach wie vor zu uns gehören.
Auch wenn es nicht als kirchenamtliche Verfügung
daherkommt: Vergessen wir doch niemals die, mit
denen wir in ganz besonderer Weise durch das Sakrament der Taufe verbunden sind. In jedem Gottesdienst sollte eine Fürbitte ausdrücklich für sie an
Gott gerichtet werden.
Wiederum kann es uns dabei nicht nur darum gehen,
die leergewordenen Plätze in unserer Kirche wieder
aufzufüllen. Sollte es dazu kommen, wollen wir es
dankbar als ein willkommenes Geschenk und weitere
Ermutigung betrachten. Aber auch wenn es die Älteren in anderer Erinnerung haben sollten: Kirche war
niemals eine Veranstaltung der breiten Masse.
Wir machen auch nicht aus der Not eine Tugend,
wenn wir uns in diesem Zusammenhang an ein Wort
des damaligen Theologieprofessors Joseph Ratzinger erinnern: Die kleine Herde, der Jesus im Evangelium Mut zuspricht2, ist keine soziologische Größe
2 vgl. Lk 12, 32
- VI -
nach der Art einer gesundgeschrumpften Elite, sondern sie ist eine theologische Größe von Menschen,
die sich trotz aller bleibenden Sündhaftigkeit für ein
Leben mit Gott und füreinander entschieden haben.
Damit sind wir auch ganz schnell bei einem anderen
großen Theologen, der die Prognose abgegeben hat:
Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein, oder er
wird nicht mehr sein. Das heißt ganz einfach übersetzt: Der Christ der Zukunft wird einer sein, der mit
dem Gott lebt, an den er glaubt, oder er wird nicht
mehr sein. Der Christ der Zukunft wird also einer
sein, der etwas erfahren hat vom Leben mit Gott und
der Gemeinschaft der Gläubigen.
Als sich die hl. Monika, die Mutter des hl. Augustinus,
des späteren Kirchenlehrers, noch vor seiner Bekehrung beim hl. Ambrosius über die Eskapaden ihres
Sohnes beklagte, gab er ihr zur Antwort: Ein Sohn so
vieler Tränen kann nicht verlorengehen.
Kann man die Klage einer Mutter um ihren Sohn etwa
nicht mit unserer Verantwortung füreinander vergleichen?
Nun, ob es die Liebe der Eltern zu ihren Kindern ist,
oder unsere ungebrochene Treue zur sonntäglichen
Eucharistiefeier, oder unser Eintreten für die Schwestern und Brüder in unseren Gebeten – die Liebe, die
von Gott kommt, ist unteilbar.
Ich kann Ihnen nichts Besseres wünschen, als darin
zu wachsen und zu reifen!
- VII -
Dazu segne Sie der allmächtige und barmherzige
Gott
+der Vater und +der Sohn und +der Hl. Geist.
Augsburg, am Fest der Darstellung des Herrn 2017
Dr. Konrad Zdarsa
Bischof von Augsburg
Dieses Hirtenwort ist am 1. Fastensonntag, 05. März 2017, in allen
Gottesdiensten einschließlich der Vorabendmessen zu verlesen.
Sperrfrist für die Presse: 04 März 2017, 18.00 Uhr.
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