Die »verschärfte Haftung« des

Juristische Ausbildung 2016(3): 260–267
Grundstudium ZR
Professor Dr. Anne Röthel*
Die »verschärfte Haftung« des
Bereicherungsschuldners
DOI 10.1515/jura-2016-0054
I. Einführung
Wer »nur« auf Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung gemäß § 812 BGB haftet, gilt als privilegiert.
Die Bereicherungshaftung wird zumeist als eine »leichtere«, »mildere« oder »günstigere« Haftung, etwa gegenüber der Haftung des Rücktrittsschuldners (§ 346 BGB)
oder der Haftung des Deliktsschuldners (§ 823 BGB) herausgestellt.1 Dies ist im Grundsatz auch zutreffend. Denn
wenn das Erlangte nicht mehr in Natur beim Bereicherungsschuldner vorhanden ist, schuldet er anstatt dessen
zunächst lediglich Ersatz des objektiven Wertes (§ 818
Abs. 2 BGB), nicht aber Ersatz des dem Bereicherungsgläubiger entstandenen Schadens. Hinzu kommt, dass
die Verpflichtung zum Ersatz des objektiven Wertes ausgeschlossen ist, soweit der Bereicherungsschuldner
»nicht mehr bereichert« ist (§ 818 Abs. 3 BGB). Ist das
Erlangte nicht mehr im Vermögen des Bereicherungsschuldners vorhanden, schuldet er weder Herausgabe
des Erlangten in Natur (§ 812 Abs. 1 BGB) noch Ersatz des
Wertes (§ 818 Abs. 2 BGB).2
Diese beiden Privilegien kommen dem Bereicherungsschuldner aber nur zugute, wenn er schutzwürdig ist. Daran fehlt es, wenn der Empfänger zur Herausgabe verklagt
ist (§ 818 Abs. 4 BGB) oder Kenntnis von seiner Herausgabepflicht hatte (§ 819 BGB, unten II.). In diesen Fällen
haftet der Empfänger vielmehr »verschärft«. Diese »verschärfte Haftung«, wie sie auch in den amtlichen Überschriften zu §§ 819, 820 BGB heißt, ist als Ausnahme zur
1 Siehe nur Medicus JuS 1993, 705; Looschelders SchR BT, Rn. 1117.
2 Dazu bereits die früheren Beiträge Röthel, Der Anspruch auf Herausgabe des Erlangten, JURA 2012, 844 ff.; Röthel, Der Wegfall der
Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB): Eine Einführung, JURA 2015, 922 ff.
 
 
*Kontaktperson: Anne Röthel, die Verf. ist Inhaberin des Lehrstuhls
für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Privatrecht
der Bucerius Law School, Hamburg, und Mitherausgeberin dieser
Zeitschrift.
Regel konzipiert worden: Die Regel ist die mit § 818 Abs. 2,
Abs. 3 BGB privilegierte Haftung des unverklagten Bereicherungsschuldners, der nichts von seiner Herausgabepflicht wusste; die Ausnahme ist die verschärfte
Haftung des verklagten oder bösgläubigen Bereicherungsschuldners, der nicht nur Wertersatz- sondern auch Schadensersatz schuldet, und der regelmäßig auch dann noch
haftet, wenn das Erlangte nicht mehr in seinem Vermögen
vorhanden ist (unten III.).
II. Wer haftet verschärft?
Das BGB hat in §§ 818 Abs. 4, 819, 820 BGB abschließend die Schwelle bezeichnet, ab der ein Bereicherungsschuldner verschärft haftet. Der gemeinsame Gedanke ist,
dass derjenige verschärft haftet, dessen Vertrauen darauf,
das Erlangte behalten und nach eigenem Belieben damit
verfahren zu dürfen, nicht schutzwürdig ist. An diesem
schutzwürdigen Vertrauen fehlt es, wenn der Bereicherungsschuldner damit rechnen muss, das Erlangte herauszugeben, sei es weil er zur Herausgabe verklagt worden ist
(§ 818 Abs. 4 BGB), sei es weil er von dem Mangel des
Rechtsgrundes und damit von seiner Herausgabepflicht
weiß (§ 819 Abs. 1 BGB) oder sei es schließlich, weil er sich
aus anderen Gründen so behandeln lassen muss (§§ 819
Abs. 2, 820 BGB).
1. Verschärfte Haftung
nach Rechtshängigkeit
(§ 818 Abs. 4 BGB)
Gemäß § 818 Abs. 4 BGB haftet der Empfänger »von dem
Eintritt der Rechtshängigkeit an« verschärft. Rechtshängigkeit meint generell die Erhebung einer Klage durch Zustellung beim Beklagten (§§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO). Da
es um die Schutzwürdigkeit des Empfängers gerade in
Bezug auf das Behaltendürfen des Erlangten geht, kann
nicht die Erhebung »irgendeiner« Klage gemeint sein. Vielmehr tritt Rechtshängigkeit i. S. des § 818 Abs. 4 BGB nur
bei Erhebung einer Leistungsklage auf Herausgabe des Er 
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langten ein,3 genauso wie bei § 989 BGB.4 Ob der Empfänger die Klage für berechtigt hält, ist unerheblich. Entscheidend ist die generelle »Warnfunktion« der Klageerhebung: Wer zur Herausgabe verklagt worden ist, muss
damit rechnen, das Erlangte herausgeben zu müssen.5
2. Verschärfte Haftung bei Kenntnis
vom Mangel des Rechtsgrundes
(§ 819 Abs. 1 BGB)
Verschärft haftet darüber hinaus, wer den Mangel des
rechtlichen Grundes kennt (§ 819 Abs. 1 BGB). Dies ist der
praktisch wichtigste Fall einer verschärften Haftung.
a) Positive Kenntnis vom Mangel des Rechtsgrundes
Allerdings liegt die Hürde für Bösgläubigkeit hier besonders hoch: Es schadet nur positive Kenntnis, nicht grobfahrlässige Unkenntnis (lies § 819 Abs. 1 BGB im Gegensatz zu § 990 Abs. 1 S. 1 BGB und § 932 Abs. 2 BGB).6 Zudem muss sich die Kenntnis auf den Mangel des rechtlichen
Grundes beziehen. Erforderlich ist also Rechtskenntnis
(»der Kaufvertrag ist unwirksam, daher besteht kein rechtlicher Grund zum Behaltendürfen des Erlangten, und ich
bin zur Herausgabe verpflichtet«), nicht bloß Tatsachenkenntnis (»der Käufer war 12 Jahre alt«). Wer einem Rechtsirrtum unterliegt, also positive Kenntnis der die Rechtsgrundlosigkeit begründenden Tatsachen hat, aber irrig
meint, dass daraus kein Mangel des rechtlichen Grundes
folge, haftet demnach nicht verschärft. Anders entscheidet
der BGH aber, wenn ein »redlich Denkender« den rechtlichen Schluss auf die Herausgabepflicht gezogen hätte,
während sich der Empfänger dieser Einsicht »bewusst verschließt«.7
Beruht die Herausgabepflicht auf einer Anfechtung,
ist § 142 Abs. 2 BGB zu beachten: Dann kommt es zur verschärften Haftung schon in dem Zeitpunkt, in dem der
Empfänger nur Kenntnis von der Anfechtbarkeit aufgrund
3 BGHZ 93, 183, 186; 118, 383, 390 f.
4 Siehe zu § 989 BGB RGZ 61, 430 ff.; BGH NJW 1985, 1553 ff.
5 Dies gilt selbst dann, wenn die Klage auf Herausgabe nur hilfsweise erhoben ist; so RGZ 117, 112, 114.
6 BGHZ 133, 246, 250.
7 BGHZ 133, 246, 250 f. in Fortführung der in BGHZ 26, 256, 260; 32,
76, 92 zu § 990 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätze. Siehe zuletzt
BGH NJW 2014, 2790, 279 = Röthel, JK 3/15, BGB § 819/2 – Vertriebsschaden. Für eine Gegensicht Wieling BerR, § 5, II 1 a (S. 83): »Abzulehnen sind die bisweilen anzutreffenden Versuche, gröbste Fahrlässigkeit der Kenntnis der Bereicherung gleichzustellen.«
 
 
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eigenen Anfechtungsrechts erlangt8 und nicht erst dann,
wenn der Empfänger aufgrund erklärter Anfechtung den
Mangel des rechtlichen Grundes i. S. des § 819 Abs. 1 BGB
kennt.
 
Beispiel Nr. 1: V verkauft am 25.2. an K ein Kfz und täuscht ihn
dabei arglistig über die gefahrene Laufleistung des Fahrzeugs. Am
1.3. wird K klar, dass an dem Fahrzeug manipuliert worden ist. Am
3.3. klärt ihn Rechtsanwalt R darüber auf, dass er den Kaufvertrag
anfechten und den Kaufpreis zurückverlangen könne. Am 5.3. erklärt K dem V schließlich, dass er den Kaufvertrag rückabwickeln
wolle und verlangt den Kaufpreis zurück. Bereits am 4.3. war ihm
das Fahrzeug allerdings gestohlen worden.
a) Sowohl K als auch V haben gegeneinander Rückgewähransprüche gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB; zulasten des arglistig Getäuschten findet keine »Saldierung« der wechselseitigen Bereicherungsansprüche statt.9 Der Rückgewähranspruch des V ist auch
nicht gemäß § 814 Alt. 1 BGB ausgeschlossen: Zwar ist auch hier
die Kenntnis von der Anfechtbarkeit der Kenntnis von der Nichtschuld gleichzustellen (§ 142 Abs. 2 BGB). Doch hindert nur die
Kenntnis von dem eigenen Anfechtungsrecht die Rückforderung.10
b) Ab wann haftet K verschärft? Nicht erst ab dem 5.3., obwohl er
erst zu diesem Zeitpunkt positive Kenntnis vom Mangel des rechtlichen Grundes erlangt hat (Rückgewährpflicht infolge erfolgter
Anfechtung), sondern wegen § 142 Abs. 2 BGB bereits ab dem 3.3.
(positive Kenntnis des eigenen Anfechtungsrechts). Ab diesem
Zeitpunkt muss K mit der Herausgabe rechnen und die Gegenleistung bereithalten. Unter welchen Voraussetzungen daraus eine
Haftung für Zufallsschäden (Untergang durch Diebstahl) folgt,
wird noch unten III.3.b erläutert.
b) Zurechnung von Drittkenntnis
Es gibt zwei gegenläufige Gründe, warum es für richtig
gehalten wird, für die Frage der Kenntnis i. S. des § 819
Abs. 1 BGB nicht (nur) auf den Bereicherungsschuldner,
sondern auf Dritte abzustellen. Einmal geht es darum, den
Bereicherungsschuldner an seinem eigenen Verhalten festzuhalten (Gedanke des venire contra factum proprium):
Wer sich bei dem Empfang des Erlangten rechtsgeschäftlich vertreten lässt, muss sich die Kenntnis seines Vertreters
zurechnen lassen, wenn es auf den Mangel des rechtlichen
Grundes ankommt (§ 166 Abs. 1 BGB) und kann sich nicht
damit entlasten, dass er selbst keine Kenntnis habe.11 Der
 
 
 
 
8 RGZ 101, 389, 390.
9 BGHZ 53, 144 ff.; siehe schon Röthel, Die sog. Saldotheorie, JURA
2015, 1287 ff.
10 Vgl. RGZ 151, 361, 376; MünchKommBGB/Schwab § 814 Rn. 13;
Staudinger/Lorenz § 814 Rn. 3.
11 In BGHZ 83, 293, 295 ff. hielt der BGH § 166 Abs. 1 BGB auch im
Verhältnis von Ehegatten für anwendbar und rechnete dem Ehegatten
 
 
 
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262
Bereicherungsschuldner haftet vielmehr schon ab dem
Zeitpunkt verschärft, ab dem sein Vertreter solche Kenntnis
erlangt hat.12
In anderen Fällen steht der Schutz des Bereicherungsschuldners im Vordergrund: Es soll gerade nicht auf dessen Kenntnis ankommen, sondern einzig auf die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters. Dies gilt unstreitig für den
geschäftsunfähigen Bereicherungsschuldner, der auf diese Weise vor einer verschärften Haftung bewahrt werden soll.13 Für den beschränkt geschäftsfähigen Bereicherungsschuldner hat sich der BGH in seiner »Flugreise-Entscheidung« ausnahmsweise dafür ausgesprochen, auf die
Kenntnis des beschränkt Geschäftsfähigen selbst abzustellen:
Beispiel Nr. 2 (vereinfacht nach BGHZ 55, 128 ff.): Dem 17-jährigen S gelingt es, wenige Tage vor Vollendung seines 18. Lebensjahres ohne gültigen Fahrschein in Hamburg ein Flugzeug nach
New York zu besteigen. Die Fluggesellschaft L verlangt von S u. a.
die Zahlung des tariflichen Flugpreises Hamburg/New York.
 
 
zu einem Zeitpunkt erfahren haben, als M schon wieder auf dem
Rückflug und daher nicht mehr bereichert war. Der BGH entschied
zulasten des S: »Handelt es sich um einen kurz vor der Vollendung seines 18. Lebensjahres stehenden Minderjährigen, so
kommt es auf dessen Kenntnis (und nicht die seines gesetzlichen
Vertreters) jedenfalls dann an, wenn er sich in den Genuss der
Leistung durch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung gebracht
hat und die erforderliche Einsicht in die Erkenntnis hatte, zur
unentgeltlichen Inanspruchnahme der Leistung nicht berechtigt
zu sein« (Lts. 2).
Diese Entscheidung lässt sich dahingehend verallgemeinern, dass es analog §§ 827, 828 BGB dann auf die Kenntnis des Minderjährigen selbst ankommen soll, wenn der
Bereicherungsvorgang eher deliktsrechtliche Züge trägt,
der beschränkt Geschäftsfähige das Erlangte also nicht im
Rahmen einer Leistungsbeziehung, sondern durch vorsätzliche unerlaubte Handlung gewonnen hat.15 Viele Fürsprecher hat diese Entscheidung nicht gefunden. Heute
überwiegt der Gegenstandpunkt: Es sei mit dem Schutzzweck der §§ 104 ff. BGB nicht vereinbar, auf die Kenntnis
des beschränkt Geschäftsfähigen selbst abzustellen. Dies
sei im Rahmen des Bereicherungsausgleichs (!) auch dann
richtig, wenn sich der beschränkt Geschäftsfähige das Erlangte durch vorsätzliche Handlung verschafft habe.16
 
In dieser »großen« Entscheidung geht es um mehrere Rechtsfragen. Der BGH hatte zunächst zu klären, worin das bereicherungsrechtlich Erlangte i. S. des § 812 Abs. 1 BGB bei Dienstleistungen zu
sehen ist: In der Dienstleistung selbst oder in der Ersparnis von
Aufwendungen? Der BGH sprach sich dafür aus, als erlangt die
Ersparnis von Aufwendungen anzusehen. Dies wird heute im
Schrifttum überwiegend kritisiert: Ob sich der Empfänger Aufwendungen erspart habe, sei nicht die Frage danach, was der Empfänger erlangt habe i. S. des § 812 Abs. 1 BGB, sondern die Frage
danach, ob der Empfänger noch um das Erlangte bereichert sei
i. S. des § 818 Abs. 3 BGB.14
 
 
 
Unabhängig davon, ob man mit dem BGH die Dienstleistung
selbst oder mit der heute überwiegenden Lehre eine Ersparnis von
Aufwendungen als »erlangt« ansieht, wirft dieser einfache Fall
dann die Folgefrage auf, ob S zu Ersatz verpflichtet ist, obwohl er
sich nachweislich keine Aufwendungen erspart hat. Dies hängt –
nach beiden Auffassungen übereinstimmend – davon ab, ob
S verschärft haftet gemäß § 819 Abs. 1 BGB (zu den Rechtsfolgen
der verschärften Haftung noch unten, III.). Denn dann schuldet
S der L Schadensersatz auch dann, wenn er sich keine Aufwendungen erspart hat. Eine verschärfte Haftung kam hier allerdings
nur in Betracht, wenn es auf die Kenntnis von S selbst und nicht
auf die Kenntnis seiner gesetzlichen Vertreter (§§ 166 Abs. 1,
1626, 1629 BGB) ankommt, die von der eigenmächtigen Reise erst
auf diese Weise die Kenntnis seiner Ehefrau zu; kritisch dazu Wilhelm
AcP 183 (1983) 1, 15 ff.; Häsemeyer JuS 1984, 176, 180 f.; Larenz/Canaris
SchR II/2, § 73 II 2 b.
12 Vgl. RGZ 79, 285, 287.
13 KG NJW 1998, 2911 ff.
14 MünchKommBGB/Schwab § 812 Rn. 16; Canaris JZ 1971, 560 ff.;
Larenz/Canaris SchR II/2, § 71 I 2 a; Medicus/Lorenz SchR BT,
Rn. 1166; Schwarz/Wandt Gesetzliche Schuldverhältnisse, § 10 Rn. 5;
Röthel, Bereicherungsausgleich für Nutzungen, JURA 2013, 1110 f.
 
3. Verschärfte Haftung bei Kenntnis
vom Gesetzes- oder Sittenverstoß
(§ 819 Abs. 2 BGB)
Wer eine Leistung annimmt und mit dieser Leistung gegen
ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstößt,
haftet »von dem Empfang der Leistung« verschärft (§ 819
Abs. 2 BGB). Dies zielt auf Bereicherungsansprüche gemäß
§ 817 S. 1 BGB, die nicht schon gemäß § 817 S. 2 BGB wegen
Sittenverstoßes des Leistenden ausgeschlossen sind. Anders als in § 819 Abs. 1 BGB ist die verschärfte Haftung in
§ 819 Abs. 2 BGB aber nicht an irgendwelche Kenntnis geknüpft. Dies wird heute nicht mehr für richtig gehalten.
Soweit nicht schon für die Begründung der Kondiktion aus
§ 817 S. 1 BGB zumindest ein »Bewusstsein« des Empfängers von der Gesetzes- bzw. Sittenwidrigkeit erforderlich
sein soll,17 wird ein solches Bewusstsein jedenfalls für
§ 819 Abs. 2 BGB vorausgesetzt.18
 
 
 
 
15 Medicus/Petersen BürgR, Rn. 176; wohl auch Wieling BerR, § 5 II
1 b bb (S. 83 Fn. 34).
16 Larenz/Canaris SchR II/2, § 73 II 2 a (S. 312 f.); Staudinger/Lorenz
§ 819 Rn. 10; Looschelders SchR BT, Rn. 1120.
17 So BGH NJW 1992, 310, 311; NJW 2005, 1490, 1491.
18 Staudinger/Lorenz § 819 Rn. 13.
 
 
 
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4. Verschärfte Haftung bei Ungewissheit
über das Behaltendürfen aufgrund des
Inhalts des Rechtsgeschäfts (§ 820 BGB)
Mangelnde Schutzwürdigkeit des Empfängers im Vertrauen auf das Behaltendürfen des Empfangenen kann sich im
Übrigen daraus ergeben, dass sich der Empfänger schon
»nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts« darauf einstellen
musste, das Empfangene möglicherweise zurückgewähren
zu müssen. Diese Fälle sind in § 820 Abs. 1 BGB zusammengefasst. Dies gilt erstens für die Kondiktion wegen
Zweckverfehlung (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB, sog. condictio ob rem),19 wenn mit der Leistung ein Erfolg bezweckt
wurde, dessen Eintritt »nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts« und daher sowohl vom Leistenden als auch vom
Empfänger als ungewiss angesehen wurde (§ 820 Abs. 1
S. 1 BGB). Bleibt in solchen Fällen der Erfolg dann tatsächlich aus, so haftet der Empfänger, der mit einer solchen
Unsicherheit »nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts« rechnen musste, verschärft. Gleiches gilt für einen Kondiktionsanspruch wegen späteren Wegfall des rechtlichen
Grundes (§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB, sog. condictio ob
causam finitam), wenn der Wegfall des Rechtsgrundes
»nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts« als möglich angesehen wurde (§ 820 Abs. 1 S. 2 BGB).20
III. Inhalt der verschärften Haftung
(§ 818 Abs. 4 BGB)
1. § 818 Abs. 3 BGB gilt nicht
263
tung abgeleitet.22 Allerdings muss auch der verschärft haftende Bereicherungsschuldner nicht in jedem Fall Ersatz
leisten: Bei unverschuldetem (zufälligem) Untergang kann
auch der verschärft haftende Bereicherungsschuldner frei
werden (unten III.3.b). Wenn es also heißt »§ 818 BGB gilt
nicht«, so ist damit nicht gemeint, dass der verschärft haftende Bereicherungsschuldner stets haftet und niemals frei
wird. Gemeint ist vielmehr, dass nicht nach der »günstigen« Regel des § 818 Abs. 3 BGB, sondern nach anderen,
strengeren Vorschriften (§ 818 Abs. 4 BGB i.V. mit den »allgemeinen Vorschriften«) darüber entschieden wird, ob der
Bereicherungsschuldner Ersatz schuldet.
2. Verpflichtung zum Wertersatz
(§ 818 Abs. 2 BGB)
Ähnliches gilt im Hinblick auf die Verpflichtung zum Wertersatz (§ 818 Abs. 2 BGB). Es erschiene erstaunlich, wenn
der verschärft haftende Bereicherungsschuldner nicht zum
Wertersatz verpflichtet bliebe, obwohl der redliche, unverklagte Bereicherungsschuldner Wertersatz schuldet. Dass
dem verschärft Haftenden § 818 Abs. 3 BGB nicht zugute
kommt, soll nicht heißen, dass auch die Verpflichtung zum
Wertersatz entfiele. Insoweit bleibt es bei § 818 Abs. 2 BGB:
Ist das Erlangte nicht mehr in Natur vorhanden, schuldet
der Empfänger dafür Wertersatz.
Beispiel Nr. 3: V schenkt S einen Sack mit Äpfeln im Wert von
50 €. Später ficht V den Schenkungsvertrag an und verlangt von
S Herausgabe der Äpfel. S tauscht die Äpfel bei seinem Nachbarn
gegen einen genauso wertvollen Sack mit Birnen ein.
 
Da S das Erlangte i. S. des § 812 Abs. 1 BGB – Eigentum und Besitz
an den Äpfeln – nicht herausgeben kann, schuldet er anstatt
dessen Wertersatz (§ 818 Abs. 2 BGB), also Zahlung von 50 €. Dies
gilt sowohl für den redlichen, unverklagten, also nicht verschärft
haftenden Bereicherungsschuldner als auch für den verschärft
haftenden Bereicherungsschuldner. Unabhängig davon, ob S die
Äpfel vor oder nach der Anfechtung gegen Birnen getauscht hat,
kann V also von S Zahlung von 50 € gemäß §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1,
818 Abs. 2 BGB verlangen.
 
Wesentliche Folge der verschärften Haftung ist, dass zugunsten des Bereicherungsschuldners, der mit seiner Herausgabepflicht rechnen muss, die pauschale Regel des
§ 818 Abs. 3 BGB »keine Ersatzverpflichtung ohne Bereicherung« nicht gilt. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem
Wortlaut des § 818 Abs. 4 BGB und wurde vom BGH bisher
auch nur beiläufig erwähnt,21 doch wird dieses Ergebnis
ganz überwiegend aus dem Zweck der verschärften Haf-
19 Dazu schon näher Röthel, Der Anspruch auf Herausgabe des
Erlangten, JURA 2012, 844 ff.
20 BGH NJW 1992, 2417 ff.: Beide Teile müssen von der »Unsicherheit« ausgegangen sein.
21 Siehe schon RGZ 137, 171, 177; 151, 361, 373 sowie BGHZ 55, 128,
135 – Flugreise: Die »Beschränkung auf den gleitenden Betrag der
noch vorhandenen Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB [soll] nur den
gutgläubigen Empfänger begünstigen.«; ähnlich später BGHZ 72, 252,
255; 132, 198, 213.
 
 
 
 
Ein Unterschied zwischen dem nicht verschärft haftenden Bereicherungsschuldner und dem verschärft haftenden Bereicherungsschuldner ergibt sich erst dann, wenn
das Erlangte nicht mehr im Vermögen des Bereicherungsschuldners vorhanden ist. Dann entfällt die Verpflichtung
zum Wertersatz für den nicht verschärft haftenden Be-
22 Wieling BerR, § 5 II (S. 83); Giesen JURA 1995, 280, 285; Looschelders SchR BT, Rn. 1123; Staudinger/Lorenz § 818 Rn. 52 m. w. N.
 
 
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264
reicherungsschuldner nach § 818 Abs. 3 BGB, während
der verschärft haftende Bereicherungsschuldner nur
dann frei wird, wenn sich auch nach § 818 Abs. 4 BGB i.V.
mit den allgemeinen Vorschriften keine Ersatzpflicht ergibt.
Beispiel Nr. 3 (Abwandlung): Angenommen, S hat die Äpfel
nicht gegen Birnen getauscht, sondern vergammeln lassen und
dann als Biomüll entsorgt. Hier ist das Vermögen des S nicht mehr
um das Erlangte gemehrt. Der nicht verschärft haftende Bereicherungsschuldner wird also von seiner Verpflichtung zu Wertersatz
frei (§ 818 Abs. 3 BGB). Anderes gilt für den verschärft haftenden
Bereicherungsschuldner: Er wird nur dann von seiner Verpflichtung zu Wertersatz frei, wenn er nach den »allgemeinen Vorschriften« auch nicht zu Schadensersatz verpflichtet wäre.
Anmerkung: Zwar ist eine Wertersatzpflicht des verschärft haftenden Bereicherungsschuldners nicht ausdrücklich geregelt. Doch ist
mit der Verpflichtung zu Schadensersatz nach den »allgemeinen
Vorschriften« zugleich mit über die Wertersatzpflicht entschieden
(a maiore ad minus).23
Aus der Anwendbarkeit von § 818 Abs. 2 BGB und der
Nichtanwendbarkeit von § 818 Abs. 3 BGB folgt also nicht,
dass der verschärft haftende Bereicherungsschuldner stets
zum Ersatz verpflichtet bleibt, auch wenn das Erlangte
nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden ist. Dies entscheidet sich vielmehr nach den nun zu betrachtenden »allgemeinen Vorschriften«. Die Haftung des Bereicherungsschuldners nach den »allgemeinen Vorschriften« geht, wie
gleich deutlich wird, nicht so weit, dass der verschärft haftende Bereicherungsschuldner nun automatisch auch für
jeden zufälligen Untergang des Erlangten einstehen müsste; eine Zufallshaftung ist vielmehr an besondere Voraussetzungen geknüpft (unten 3.b). Ergibt sich hiernach keine
Ersatzpflicht, wird auch der verschärft haftende Bereicherungsschuldner frei. Man kann dieses wichtige und nicht
einfach zu verstehende Ergebnis als »Restwirkung« des
§ 818 Abs. 3 BGB beschreiben.24
3. Haftung nach den
»allgemeinen Vorschriften«
Zu den »allgemeinen Vorschriften«, auf die § 818 Abs. 4
BGB verweist, werden jedenfalls die allgemeinen Vorschriften über die Herausgabe von Geld und Gegenständen
gezählt (§§ 291, 292 BGB). Darüber hinaus hat der BGH
punktuell auch einzelne Vorschriften des allgemeinen
Leistungsrechts (z. B. § 285 BGB) herangezogen (dazu noch
unten 4.).25
Die Anwendung der §§ 291, 292 BGB führt vor allem
dazu, dass der Bereicherungsschuldner nicht nur Wertersatz, sondern auch Schadensersatz schuldet. Darin liegt
insoweit ein »mehr«, als Schadensersatz nicht nur Ersatz
des objektiven Wertes des Erlangten, sondern darüber hinaus auch sämtliche Folgeschäden umfasst. Dies hat der
BGH im Jahr 2014 noch einmal besonders betont: Der
Bereicherungsgläubiger kann »den vollen Ersatz seines
Schadens einschließlich eines entgangenen Gewinns verlangen.«26
 
Beispiel Nr. 4: A schenkt seinem Sohn S ein mit Apfelbäumen
bepflanztes Grundstück. Der Schenkungsvertrag ist allerdings unwirksam, was S auch von Anfang an wusste. S lässt die Apfelbäume vergammeln. Außerdem sichert er die Bewässerungsleitungen nicht vor Frost, so dass die gesamte Drainage zerstört wird.
Da S aufgrund seiner Kenntnis gemäß § 819 Abs. 1 BGB verschärft haftet, kann A von S wegen des verschuldeten Untergangs
der Apfelbäume und der Drainage nicht nur Ersatz des objektiven
Wertes der Apfelbäume und der Bewässerungsleitungen, sondern auch Ersatz seiner Folgeschäden verlangen, etwa indem
er seine voraussichtlichen Erwerbsverluste bis zu dem Zeitpunkt
darlegt, an dem die Apfelplantage wieder den üblichen, bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung erwartbaren Ertrag erbringen
kann.
a) Verschuldensabhängige Schadensersatzpflicht
(§§ 292 Abs. 1, 989 BGB)
Zu den »allgemeinen Vorschriften« i. S. des § 818 Abs. 4
BGB gehört jedenfalls § 292 BGB (»Haftung bei Herausgabepflicht«). Die Haftung des verschärft haftenden Bereicherungsschuldners, der »einen bestimmten Gegenstand«
herauszugeben hat, bestimmt sich von dem Eintritt der
Rechtshängigkeit an nach den Vorschriften über das Verhältnis zwischen dem Eigentümer und dem Besitzer (lies
 
23 Man kann diese Wertersatzpflicht des verschärft haftenden Bereicherungsschuldners entweder als akzessorisches »Minus« gegenüber
der Schadensersatzpflicht des verschärft haftenden Bereicherungsschuldners verstehen (§ 818 Abs. 4 BGB i.V. mit § 292 Abs. 1 BGB) oder
aber als selbständige Ersatzpflicht unmittelbar aus § 818 Abs. 2 BGB.
In diese letzte Richtung etwa Larenz/Canaris SchR II/2, § 73 II 5 a
(S. 319 f.).
24 So etwa Medicus JuS 1993, 707, 709 f.; genauso Staudinger/Lorenz
§ 818 Rn. 41.
 
 
 
25 Siehe BGHZ 75, 203 ff. und BGHZ 83, 293 ff.
26 BGH NJW 2014, 2791, 2793 = Röthel, JK 3/15, BGB § 819/2 –
Vertriebsschaden.
 
 
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Grundstudium ZR – Anne Röthel: Die »verschärfte Haftung« des Bereicherungsschuldners
§ 292 Abs. 1 BGB). Damit kommt § 989 BGB in den Blick.
Zugleich wird der ursprüngliche Anwendungsbereich des
Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses von Sachen, also körperlichen Gegenständen (§ 90 BGB), auf unkörperliche Gegenstände wie z. B. eine erlangte Schuldbefreiung erweitert. Gegenbegriff zum »bestimmten Gegenstand« i. S. des
§ 292 BGB ist »Geld«: Die Haftung des Bereicherungsschuldners, der Geld herauszugeben hat, bestimmt sich
nach § 291 BGB (unten d).
Der verschärft haftende Bereicherungsschuldner, der
einen bestimmten Gegenstand herauszugeben hat, wird
stets in den Anwendungsbereich des § 292 Abs. 1 BGB fallen. Denn entweder gründet sich seine verschärfte Haftung
ohnehin auf Rechtshängigkeit (§ 818 Abs. 4 BGB) oder
aber er wird aufgrund seiner Kenntnis einem verklagten
Bereicherungsschuldner gleichgestellt (»wie wenn der Anspruch zu dieser Zeit rechtshängig geworden wäre«, § 819
Abs. 1 BGB).27 Die zentrale Voraussetzung für eine Schadensersatzpflicht gemäß §§ 292 Abs. 1, 989 BGB ist dann,
dass den Bereicherungsschuldner ein Verschulden hinsichtlich der Verschlechterung, des Untergangs oder der
sonstigen Unmöglichkeit der Herausgabe trifft. Die Schadensersatzpflicht des verschärft haftenden Bereicherungsschuldners ist hiernach verschuldensabhängig, aber nicht
notwendig kenntnisabhängig.
 
 
Beispiel Nr. 5: A hat B ein Fahrrad im Wert von 200 € geschenkt.
Als dem A klar wird, dass er im Zeitpunkt der Schenkung nicht
geschäftsfähig war, verlangt er das Fahrrad zurück und verklagt
den B auch sogleich auf Herausgabe; er hat inzwischen einen
Interessenten für das Fahrrad gefunden, der ihm 300 € dafür
bietet. B hält die Klage für völlig an den Haaren herbeigezogen.
Einen Tag später wird das Fahrrad bei B, der es in seiner verschlossenen Garage untergebracht hatte, gestohlen. Welche Ansprüche
hat A gegen B?
 
 
A kann von B jedenfalls Wertersatz gemäß §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1,
818 Abs. 2 BGB, hier in Höhe von 200 €, verlangen. Einen Anspruch
auf Zahlung von 300 € hat A indes nur, wenn er von B auch
Schadensersatz verlangen kann. Als verklagter Bereicherungsschuldner haftet B dem A gemäß §§ 818 Abs. 4, 292 Abs. 1, 989
BGB hingegen nur auf Ersatz des Schadens, der infolge verschuldeten Untergangs entstanden ist. Daran fehlt es hier: Den B trifft kein
Verschulden daran, dass ihm die Herausgabe des Fahrrads unmöglich geworden ist. – Dass B hier keine Kenntnis von seiner
Herausgabepflicht hatte, ist indes unbeachtlich. Seine verschärfte
Haftung beruht allein aufgrund der Rechtshängigkeit, unabhängig
davon, ob der Bereicherungsschuldner infolge der Klageerhebung
zu der Überzeugung gelangt, dass die behauptete Herausgabepflicht tatsächlich besteht (siehe schon oben II.1.).
 
 
265
b) Verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht
(§§ 292 Abs. 1, 990 Abs. 2 BGB)
Nicht ganz eindeutig ist, unter welchen Voraussetzungen
der verschärft haftende Bereicherungsschuldner, der die
Herausgabe eines bestimmten Gegenstands schuldet, verschuldensunabhängig, d. h. auch für Zufallsschäden Ersatz
schuldet. Den Weg dorthin bereitet § 292 Abs. 1 BGB a. E.
mit dem Hinweis auf die Regeln des Verzugs (»soweit sich
nicht aus dem Verzug … ein anderes ergibt«). Damit ist die
Zufallshaftung für den in Verzug befindlichen Besitzer gemäß §§ 990 Abs. 2, 287 S. 2 BGB angesprochen.
Im Rahmen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses
muss der Besitzer allerdings nur dann für Zufallsschäden
einstehen, wenn er bösgläubig (§ 990 Abs. 2 i.V. mit Abs. 1
BGB) und aufgrund Rechtshängigkeit oder Mahnung (§ 286
BGB) in Verzug mit der Erfüllung der Herausgabepflicht ist.
Will man die Abstufung innerhalb der §§ 989 f. BGB zwischen verschuldensabhängiger Haftung des entweder nur
verklagten (§ 989 BGB) oder nur bösgläubigen (§ 990 Abs. 1
BGB) Besitzers einerseits sowie verschuldensunabhängiger
Haftung des bösgläubigen und gemahnten oder verklagten
Besitzers (§ 990 Abs. 2 BGB) andererseits auch für die Haftung des Bereicherungsschuldners aufrechterhalten, muss
man »irgendwo« im Gefüge von §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4,
292 Abs. 1 BGB eine Korrektur vornehmen. Im Schrifttum
wird zumeist für richtig gehalten, die mit § 819 Abs. 1 BGB
nur fingierte Rechtshängigkeit nicht auf den Verzug zu erstrecken. Oder anders gewendet: Den bösgläubigen Bereicherungsschuldner soll nur dann eine Haftung für Zufallsschäden treffen, wenn er »wirklich« im Verzug mit der
Herausgabe ist, weil er tatsächlich gemahnt oder tatsächlich verklagt ist i. S. des § 286 BGB.28
Soll dann jedenfalls der redliche, aber (wirklich) verklagte Bereicherungsschuldner, der gemäß § 818 Abs. 4
BGB verschärft haftet, auch für Zufallsschäden verantwortlich sein? Der Wortlaut des § 292 Abs. 1 BGB mit seiner
Eröffnung der Verzugshaftung scheint wiederum in diese
Richtung zu weisen. Den Abstufungen des EigentümerBesitzer-Verhältnisses zwischen der Haftung des nur-verklagten Besitzers (§ 989 BGB) und der Haftung des sowohl
bösgläubigen als auch verklagten Besitzers (§ 990 Abs. 2
BGB) würde dies indes abermals zuwiderlaufen.29
 
 
 
 
28 So Bamberger/Roth/Wendehorst § 818 Rn. 86; genauso Larenz/Canaris SchR II/2, § 73 II 4 c (S. 318); siehe auch Staudinger/Lorenz § 819
Rn. 16: Die Voraussetzungen des Verzugs »bedürfen einer selbständigen Prüfung«; wohl auch Medicus JuS 1993, 705, 707 (Fn. 18): »regelmäßig unentbehrlich ist eine eigene Mahnung dabei bei § 819 I.«
29 Kritisch wiederum Larenz/Canaris SchR II/2, § 73 II 4 b (S. 317);
Bamberger/Roth/Wendehorst § 818 Rn. 86; eine Verzugshaftung des
 
 
27 Vgl. Prot. III, 348.
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266
Grundstudium ZR – Anne Röthel: Die »verschärfte Haftung« des Bereicherungsschuldners
c) Ersatzpflicht wegen Nutzungen
(§§ 818 Abs. 4, 292 Abs. 2, 987 BGB)
Der verschärft haftende Bereicherungsschuldner, der Herausgabe eines bestimmten Gegenstands schuldet, ist dem
Bereicherungsgläubiger ohnehin gemäß § 818 Abs. 1 und
Abs. 2 BGB zur Herausgabe bzw. zum Ersatz gezogener
Nutzungen verpflichtet. Dies entspricht der Nutzungsherausgabepflicht des Besitzers im Eigentümer-Besitzer-Verhältnis gemäß § 987 Abs. 1 BGB; insoweit ist die Verweisung in § 292 Abs. 2 BGB auf § 987 BGB also bedeutungslos.
Eine echte Haftungsverschärfung ergibt sich erst aus §§ 292
Abs. 2, 987 Abs. 2 BGB. Der verschärft haftende Bereicherungsschuldner ist danach auch zum Ersatz nach Eintritt
der verschärften Haftung schuldhaft nicht gezogener Nutzungen verpflichtet.
d) Verpflichtung zur Verzinsung einer Geldschuld
(§ 291 BGB)
Die allgemeinen Vorschriften unterscheiden zwischen
der Verpflichtung zur »Herausgabe eines bestimmten Gegenstands« (§ 292 BGB) und einer Zahlungsverpflichtung
(§ 291 BGB, Geldschuld). Der verschärft haftende Bereicherungsschuldner, der Zahlung von Geld schuldet, hat die
Geldschuld vom Eintritt der verschärften Haftung an zu
verzinsen, auch wenn er nicht in Verzug ist (§ 291 S. 1 BGB).
4. Haftung gemäß §§ 275 ff. BGB?
 
Es ist schon angeklungen (oben 3.), dass nicht ganz
eindeutig ist, ob auch die Regeln des allgemeinen Leistungsstörungsrechts als »allgemeine Vorschriften« i. S. des
§ 818 Abs. 4 BGB gelten sollen. Im Schrifttum wurde dies
zunächst abgelehnt, da § 818 Abs. 4 BGB nur diejenigen
Vorschriften meine, die gerade an die Rechtshängigkeit anknüpften.30 Der BGH hat allerdings in zwei Fällen punktuell anders entschieden: Erstens um einen Anspruch gegen den Bereicherungsschuldner auf Herausgabe des Veräußerungserlöses (sog. commodum ex negotiatione) gemäß § 285 BGB zu begründen31, und zweitens um dem
Bereicherungsschuldner eine verschuldensunabhängige
Ersatzpflicht für ein zwischenzeitlich verbrauchtes Darlehen aufzuerlegen (»Geld hat man zu haben«, gestützt auf
§ 279 BGB a. F.).32
Gemeinsames Anliegen war, die Haftung des bösgläubigen oder verklagten Bereicherungsschuldners gegenüber der regulären Haftung des redlichen, unverklagten
Bereicherungsschuldners zu verschärfen. Denn der redliche, unverklagte Bereicherungschuldner schuldet gemäß
§ 818 Abs. 1 BGB nur Herausgabe des »commodum ex re«,
nicht aber Herausgabe des »commodum ex negotiatione«.33 Außerdem kann der nicht verschärft haftende Bereicherungsschuldner in Bezug auf rechtsgrundlos erlangtes
Geld einwenden, dass es sich nicht mehr in seinem Vermögen befindet (§ 818 Abs. 3 BGB), etwa weil er es ausgegeben hat, ohne sich dabei Aufwendungen zu ersparen
(selten) oder weil er den Betrag einer Bank anvertraut hat,
die inzwischen zahlungsunfähig geworden ist.
In beiden Fällen geht es darum, ob der verschärft haftende Bereicherungsschuldner auch dann noch Ersatz
schuldet, wenn ihn weder ein Verschulden daran trifft,
dass er das Erlangte nicht mehr herausgeben kann (sonst:
§§ 818 Abs. 4, 292 Abs. 1, 989 BGB), noch dass er verschuldensunabhängig dafür einstehen muss (sonst: §§ 818
Abs. 4, 292 Abs. 1, 990 Abs. 2, 287 S. 2 BGB). Bei näherer
Betrachtung liegen die beiden Fälle doch unterschiedlich.
Für die Anwendbarkeit des § 285 BGB im Rahmen von § 818
Abs. 4 BGB spricht, dass auf diese Weise der verschärft
haftende Bereicherungsschuldner nur dem angemaßten
Geschäftsführer gleichgestellt wird, der stets Herausgabe
des Erlöses schuldet (§§ 687 Abs. 2 S. 1, 681 S. 2, 667
BGB).34 Keine rechten Fürsprecher hat indes die vom BGH
einmal bejahte »Garantiehaftung« für erlangtes Geld gefunden.35
 
 
32 BGHZ 83, 293, 299. § 279 BGB a. F. lautete: »Ist der geschuldete
Gegenstand nur der Gattung nach bestimmt, so hat der Schuldner,
solange die Leistung aus der Gattung möglich ist, sein Unvermögen
zur Leistung auch dann zu vertreten, wenn ihm ein Verschulden nicht
zur Last fällt« – Diese Entscheidung wurde weniger in ihrem Ergebnis
(Fortbestehen der Wertersatzpflicht ohne Entreicherungseinwand)
als in ihrer Bezugnahme auf § 279 BGB kritisiert; siehe nur die Auseinandersetzung von Medicus JuS 1993, 705, 709.
33 BGHZ 24, 106, 110 f.; 75, 203, 206; 112, 288, 294 f.; 158, 63, 67;
anders noch MünchKommBGB/Lieb, 4. Aufl. 2004, § 818 Rn. 31.
34 Vgl. die Argumentation von BGHZ 75, 203, 209; genauso Larenz/
Canaris SchR II/2, § 73 II 3 b (S. 315); für eine Gegensicht MünchKommBGB/Schwab § 818 Rn. 301.
35 BGHZ 83, 293, 299 ff.; dazu die Kritik von Medicus JuS 1993, 707,
708 ff.; Staudinger/Lorenz § 818 Rn. 50; differenzierend Larenz/Canaris SchR II/2, § 73 II 2 3 c (S. 315 f.). Eine Garantiehaftung für Geld
annehmend aber wohl Wieling, BerR § 5 II 2 (S. 85): »Ging der Bereicherungsanspruch auf eine Geldsumme, so kann sich der Bereicherte
 
 
nur-verklagten Bereicherungsschuldners ablehnend auch MünchKommBGB/Schwab § 818 Rn. 294.
30 Wilhelm, Rechtsverletzung und Vermögensentscheidung als
Grundlagen und Grenzen des Anspruchs aus ungerechtfertigter Bereicherung, 1973, S. 182 ff.; Teichmann JuS 1972, 247, 250.
31 BGHZ 75, 203, 204 f.; 83, 293, 300; NJW 2014, 2791, 2794 = Röthel,
JK 3/15, BGB § 819/2 – Vertriebsschaden.
 
 
 
 
 
 
 
 
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Grundstudium ZR – Anne Röthel: Die »verschärfte Haftung« des Bereicherungsschuldners
Beispiel Nr. 6: A gewährt B ein Darlehen über 5.000 €. Der Darlehensvertrag ist nichtig, was B auch von Anfang an wusste. B zahlt
den Betrag bei der X-Bank ein, die kurz darauf zahlungsunfähig
wird. Nun verlangt A von B »Rückgewähr« der erhaltenen 5.000 €.
Zu Recht?
 
 
Der redliche Bereicherungsschuldner wäre hier in jedem Fall von
einer Haftung befreit: Zwar schuldet er Wertersatz (§ 818 Abs. 2
BGB), doch ist das Erlangte nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden (§ 818 Abs. 3 BGB).
Schwieriger liegen die Dinge beim unredlichen und also verschärft
haftenden Bereicherungsschuldner (§§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4
BGB). § 291 BGB (Verzinsung) trifft hierüber allerdings keine Aussage. Eine Ersatzpflicht des B könnte sich nur gemäß §§ 292 Abs. 1,
989, 990 Abs. 2, 287 S. 2 BGB ergeben. Da den B aber kein Verschulden an dem Untergang trifft (oben 3.a) und er auch nicht
verklagt oder gemahnt ist und sich daher nicht »wirklich« im Verzug befindet (§§ 818 Abs. 4, 291 Abs. 1, 990 Abs. 2, 287 S. 2 BGB,
oben 3.b), ergibt sich hiernach keine Haftung des B.
Zu einem anderen Ergebnis gelangt man nur, wenn man eine
Garantiehaftung für Geldschulden annimmt, wie sie der BGH in
einem Einzelfall gestützt auf § 279 BGB a. F. bejaht hat.36 Im
Schrifttum ist diese Lösung u. a. wegen der unterschiedlichen Bereicherungshaftung des verschärft haftenden Bereicherungsschuldners für Wertersatz, wenn das Erlangte in Geld besteht, und
 
 
mit dem Eintritt der verschärften Haftung nicht mehr auf eine Entreicherung berufen, er haftet nach § 276 I 1 auf Zahlung dieser Summe und nach § 291 auf Zinsen«.
36 BGHZ 83, 293, 299 ff.
 
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der Bereicherungshaftung, wenn das Erlangte in einem Gegenstand besteht, kritisiert worden.37
Diese Frage verdeutlicht zugleich die schon oben (III.2.)
angesprochene »Restwirkung« des § 818 Abs. 3 BGB. Auch
ein verschärft haftender Bereicherungsschuldner muss
nicht stets Ersatz leisten, wenn das Erlangte nicht mehr in
seinem Vermögen vorhanden ist. Vielmehr schuldet der
verschärft haftende Bereicherungsschuldner Ersatz nur
dann, wenn sich eine Ersatzpflicht nach § 818 Abs. 4 BGB
i.V. mit den »allgemeinen Vorschriften« ergibt. Ist dies
ausnahmsweise einmal nicht der Fall, also bei unverschuldetem Untergang ohne »wirklichen« Verzug des verschärft
haftenden Bereicherungsschuldners (oben III.3.b), wird
auch er frei. Dies sollte gleichermaßen in Bezug auf erhaltenes Geld gelten.
Vertiefungshinweis: Allerdings wird in Bezug auf erhaltenes Geld
ohnehin nur selten die Bereicherung des Empfängers gänzlich wegfallen. Wer 50 € rechtsgrundlos erhält und den Betrag für zwei
Opernkarten aufwendet, bleibt zur Zahlung von 50 € verpflichtet.
Dies gilt schon für den redlichen, unverklagten und also nicht
verschärft haftenden Bereicherungsschuldner, der insoweit nicht
als entreichert gilt, weil er sich eigene Aufwendungen erspart hat.
Erst recht bleibt der verschärft haftende Bereicherungsschuldner
zum Ersatz verpflichtet, der den Geldbetrag vorsätzlich eingesetzt
hat und daher für den verschuldeten (!) Untergang gemäß §§ 818
Abs. 4, 292 Abs. 1, 989 BGB stets Ersatz schuldet.
 
 
37 Medicus JuS 1993, 707, 709; genauso schon ders. JuS 1983, 897,
902; siehe auch Wilhelm AcP 183 (1983), 1, 11; MünchKommBGB/
Schwab § 818 Rn. 297 f.
 
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