Ausgabe 1/2017

VB 3 – Arbeits- und Sozialrecht
Rund ums Recht
Ausgabe 1/2017
Aktuelles und Informationen
aus den Bereichen Arbeits- und Sozialrecht
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Editorial
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
auch in diesem Jahr setzen wir unseren Flyer „Rund ums Recht“ fort. Euch
liegt jetzt die erste Ausgabe des neuen Jahres vor, und wir informieren euch
wieder, wie gewohnt, über aus unserer Sicht wichtige Entscheidungen aus
dem Arbeitsrecht und dem Sozialrecht.
Bereits mit unserer Veröffentlichung „Rund ums Recht Extra 2/2016“ haben
wir über die neue Rechtslage ab dem 1. Juli 2016 zu einer 40-Euro-Verzugspauschale gem. § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB informiert. Das Landesarbeitsgericht
Köln hat nunmehr in einem Urteil vom 22. November 2016 unsere Rechtsauffassung, wonach gem. § 288 Abs. 5 BGB die 40-Euro-Verzugspauschale geltend zu machen ist, bestätigt. Da das Landesarbeitsgericht die Revision zugelassen hat, ist in absehbarer Zeit mit einer abschließenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Problematik zu rechnen.
Eine weitere wichtige Entscheidung stellt der Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Dezember 2016 an den Gerichtshof der
Europäischen Union dar. Hier geht es um die Frage, ob das deutsche Urlaubsrecht in einem weiteren Punkt europarechtswidrig ist.
Die von uns dargestellte Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 20. Dezember 2016 zeigt eindeutig auf, dass sich die Rechtsprechung
bezüglich der in der Praxis angewandten MdE-Tabellen mehr Verbindlichkeit erhofft. Das Bundessozialgericht stellt heraus, dass die MdETabellen lediglich rein verwaltungspraktische „Hilfsmittel“ darstellen, deren juristischer Stellenwert unklar bleibe. Während bei einer Verordnung
im Rechtssinne „Inhalt, Zweck und Ausmaß“ der zu regelnden Tatbestände im Gesetz selbst konkret umschrieben sein müssen, sei bei den
MdE-Tabellen unklar, welche Referenzgrößen die jeweils nicht rechtsstaatlich legitimierten Verfasser der Tabellen in ihre Überlegungen einstellten. Das Bundessozialgericht appelliert insoweit an den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber, die Maßstäbe und das Verfahren der Erstellung
der MdE-Tabellen, wie etwa in der Versorgungsmedizin-Verordnung geschehen, zu normieren.
Mit einem herzlichen Glück auf!
Ralf Sikorski, Mitglied des gHV der IG BCE
Inhalt
Ausgabe 1/2017
Editorial
Seite 2
Hoher Preis für Tupperware-Partys
Seite 8
Aus der Welt des Arbeitsrechts
40-Euro-Pauschale – Anwendbarkeit auf Arbeitsentgeltansprüche
Seite 3
Rechtsprechungsschnelldienst
Betriebsratstätigkeit - Arbeitszeit
Seite 10
Verfall von Urlaubsansprüchen – Urlaubsgewährungspflicht des
Arbeitgebers?
Seite 4
Lohnanspruch ab dem ersten Tag
Seite 11
Buchempfehlungen / Neuerscheinungen
Seite 12
Kündigung unwirksam – Arbeitgeber verstößt gegen Pflicht zur
Massenentlassungsanzeige
Seite 5
Service, Kontakte, Impressum
Seite 12
Aus der Welt des Sozialrechts
Keine Herabsetzung einer Verletztenrente in der gesetzlichen Unfallversicherung wegen neuer prothetischer Versorgung eines Unfallverletzten
Seite 6
2
Aus der Welt des Arbeitsrechts
40-Euro-Pauschale – Anwendbarkeit auf Arbeitsentgeltansprüche
Gericht bestätigt unsere Rechtsauffassung zu 40-Euro-Verzugspauschale gemäß § 288 Abs. 5 Satz 1 BGB. In
unserer Veröffentlichung „Rund ums Recht Extra 2/2016“ haben wir im Einzelnen über die neue Rechtslage ab
dem 1. Juli 2016 berichtet.
von 40,- Euro pro Monat gemäß § 288 Abs. 5 BGB geltend
gemacht.
Entscheidung:
Hinsichtlich einiger Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis hat
das Landesarbeitsgericht der Klage teilweise stattgegeben.
Wegen des Branchenzuschlages wurde die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der hierfür maßgeblichen
Darlegungs- und Beweislast nicht genügt. Das Gericht hat
sich im Wesentlichen damit beschäftigt, ob einem Arbeitnehmer eine Verzugsschadenspauschale von 40,- Euro zusteht.
Leitsätze:
1. Die Neuregelung des § 288 Abs. 5 BGB findet auch auf
arbeitsrechtliche Entgeltansprüche Anwendung.
2. Eine Bereichsausnahme für das Arbeitsrecht ist nicht
aufgrund der Wertung des § 12a ArbGG geboten. Es
fehlt an einer für eine Analogie zu § 12a ArbGG erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.
Sachverhalt:
Die Parteien stritten zunächst über die Zahlung eines höheren Branchenzuschlages für Arbeitnehmerüberlassungen in
der chemischen Industrie.
Der tariflich geschuldete Stundenlohn des Klägers betrug
8,50 Euro bis einschließlich 31. März 2015 sowie 8,80 Euro
ab dem 1. April 2015.
Lediglich für den letzten Monat des Arbeitsverhältnisses
(Juni 2015) zahlte der Arbeitgeber ohne Angabe von Gründen nur einen Stundenlohn von 8,50 Euro statt 8,80 Euro.
Darüber hinaus hat der Kläger für einen Zeitraum von drei
Monaten jeweils einen Pauschalschadensersatz in Höhe
Der Arbeitgeber befand sich im Annahmeverzug. Die Beklagte hat schuldhaft dem Kläger für Juni 2015 ohne Angabe
von Gründen zunächst nur einen Stundenlohn von 8,50 Euro
statt der geschuldeten 8,80 Euro ausgezahlt.
Anders als im allgemeinen Zivilrecht besteht jedoch im Arbeitsrecht in Analogie zu § 12a Arbeitsgerichtsgesetz
(ArbGG) kein außergerichtlicher Kostenerstattungsanspruch. § 12a ArbGG sieht vor, dass im arbeitsgerichtlichen
Urteilsverfahren des ersten Rechtszuges kein Anspruch der
obsiegenden Partei auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Hinzuziehung eines
Prozessbevollmächtigten oder Beistandes besteht. In analoger Anwendung des § 12a ArbGG wird hieraus in ständiger
Rechtsprechung abgeleitet, dass erst recht im Arbeitsrecht
auch kein Kostenerstattungsanspruch für vorgerichtliche
Rechtsverfolgungskosten aus § 286 BGB besteht. Nach
überwiegend in der Literatur vertretener Auffassung kommt
aufgrund des Fehlens eines außergerichtlichen Kostenerstattungsanspruches für Rechtsverfolgungskosten im Arbeitsrecht der Vorschrift des § 288 Abs. 5 Satz 2 BGB bei
arbeitsgerichtlichen Entgeltforderungen keine Bedeutung
zu. Anders als diese Literaturauffassungen hat das Landesarbeitsgericht Köln in der vorliegenden Entscheidung sich
ausführlich mit der Auslegung der Regelung des § 288
Abs. 5 BGB auseinandergesetzt. Dies ergäbe eine entsprechende Auslegung.
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Außerdem habe der Gesetzgeber systematisch völlig eindeutig die 40-Euro-Pauschale in § 288 Abs. 5 BGB gerade
im unmittelbaren Anschluss an die gesetzliche Regelung
zum Verzugszins und Verzugsschaden in den gleichen Paragraphen des BGB aufgenommen. Aufgrund der gesetzlichen Regelung gehe es auch darum, den Druck auf potentiell säumige Schuldner zu erhöhen, ihren Zahlungsverpflichtungen pünktlich und vollständig nachzukommen. Eine
solche Zweckrichtung besteht gerade auch bei Arbeitsentgeltansprüchen.
Fazit:
Da das Landesarbeitsgericht die Revision für die Beklagte
zugelassen hat, kann in naher Zukunft mit einem Urteil des
Bundesarbeitsgerichts in dieser Sache gerechnet werden.
Bis dahin bleiben wir bei unserer Rechtsauffassung, wonach
gemäß § 288 Abs. 5 BGB die 40-Euro-Verzugspauschale
geltend zu machen ist.
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 22. November 2016,
Az.: 12 Sa 524/16
Ansgar Claes, Abteilung Arbeits- und Sozialrecht
Verfall von Urlaubsansprüchen – Urlaubsgewährungspflicht des
Arbeitgebers?
Ist das deutsche Urlaubsrecht in einem weiteren Punkt europarechtswidrig? Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat unter dem 13. Dezember 2016 (Az. 9 AZR 541/15 [A]) einen Vorlagebeschluss gefasst.
Sachverhalt:
Der Kläger war vom 1. August 2001 bis zum 31. Dezember
2013 aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge beim Beklagten als Wissenschaftler beschäftigt. Mit Schreiben vom
23. Oktober 2013 bat ihn der Beklagte, seinen Urlaub vor
dem Ende des Arbeitsverhältnisses zu nehmen. Der Kläger
nahm am 15. November und am 2. Dezember 2013 jeweils
einen Tag Erholungsurlaub und verlangte mit Schreiben vom
23. Dezember 2013 vom Beklagten ohne Erfolg die Abgeltung von 51 nicht genommenen Urlaubstagen.
Entscheidung:
Das Arbeits- und das Landesarbeitsgericht haben der Klage
auf Urlaubsabgeltung stattgegeben.
Nach den nationalen Bestimmungen waren die Urlaubsansprüche des Klägers mit Ablauf des Urlaubsjahres 2013
zwar verfallen. Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG verfällt der
im Urlaubsjahr nicht genommene Urlaub des Arbeitnehmers
grundsätzlich am Ende des Urlaubsjahres, wenn - wie hier keine Übertragungsgründe nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG
vorliegen. Der Arbeitgeber ist nach nationalem Recht nicht
verpflichtet, den Urlaub ohne einen Antrag oder Wunsch des
Arbeitnehmers im Urlaubsjahr zu gewähren und somit dem
Arbeitnehmer den Urlaub aufzuzwingen. Die Frage, ob Unionsrecht dem entgegensteht, ist vom Gerichtshof der Europäischen Union noch nicht so eindeutig beantwortet worden,
dass nicht die geringsten Zweifel an ihrer Beantwortung bestehen. Im Schrifttum wird aus dem Urteil des Gerichtshofs
der Europäischen Union vom 30. Juni 2016 (- C-178/15 [Sobczyszyn]) teilweise abgeleitet, der Arbeitgeber sei gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG verpflichtet, den
Erholungsurlaub von sich aus einseitig zeitlich festzulegen.
Ein Teil der nationalen Rechtsprechung versteht die Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union im Urteil
vom 12. Juni 2014 (- C-118/13 -[Bollacke]) so, dass der Mindestjahresurlaub gemäß Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG
auch dann nicht mit Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums verfallen darf, wenn der Arbeitnehmer in
der Lage war, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen (vgl.
LAG Köln, 22. April 2016 - 4 Sa 1095/15 -).
Ferner besteht Klärungsbedarf, ob die vom Gerichtshof der
Europäischen Union möglicherweise aus Art. 7 Abs. 1 der
Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRC entnommene
Verpflichtung zwischen Privatpersonen unmittelbare Wirkung entfaltet.
Das Bundesarbeitsgericht (Beschluss vom 13. Dezember
2016 - 9 AZR 541/15 [A]) hat dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) daher folgende Fragen vorgelegt:
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1. Steht Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November
2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung
(Richtlinie 2003/88/EG) oder Art. 31 Abs. 2 der Charta
der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) einer
nationalen Regelung wie der in § 7 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) entgegen, die als Modalität für die Wahrnehmung des Anspruchs auf Erholungsurlaub vorsieht,
dass der Arbeitnehmer unter Angabe seiner Wünsche
bezüglich der zeitlichen Festlegung des Urlaubs diesen
beantragen muss, damit der Urlaubsanspruch am Ende
des Bezugszeitraums nicht ersatzlos untergeht, und die
den Arbeitgeber damit nicht verpflichtet, von sich aus
einseitig und für den Arbeitnehmer verbindlich die zeitliche Lage des Urlaubs innerhalb des Bezugszeitraums
festzulegen?
2. Falls die Frage zu 1. bejaht wird:
Gilt dies auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis zwischen Privatpersonen bestand?
Praxistipp:
Dieser Vorlagebeschluss hat in der Beratungspraxis die
Konsequenz, dass nunmehr zwingend eine Geltendmachung bisher oftmals als verfallen geglaubter Urlaubsansprüche in Fällen, wie dem oben geschilderten, zu erfolgen
hat und auch Rechtsschutz für eine gerichtliche Auseinandersetzung zu gewähren ist.
Bundesarbeitsgericht, 13. Dezember 2016, Az.: 9 AZR 541/15 (A)
Peter Voigt, Abteilung Arbeits- und Sozialrecht
Kündigung unwirksam- Arbeitgeber verstößt gegen Pflicht zur
Massenentlassungsanzeige
Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer werden bei der regelmäßigen Beschäftigtenzahl des § 17 Abs. 1
Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nicht mitgezählt.
1. in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger
als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,
2. in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 von 100 im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als
25 Arbeitnehmer,
3. in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer
innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt.
Die Regelungen des § 17 Abs. 1 KSchG stellen ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB dar. Sie verwehrt es dem
Arbeitgeber, Kündigungen auszusprechen, bevor er seine
Anzeigepflicht erfüllt hat. Handelt er diesen Vorgaben zuwider, führt das zur Unwirksamkeit der Kündigung (u. a. BAG
21. März 2013 – 2 AZR 60/12).
Nach § 17 Abs. 1 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der
Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er
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Der Sachverhalt:
Unser Mitglied erhielt eine betriebsbedingte Kündigung. Der
Arbeitgeber unseres Mitglieds hatte im maßgeblichen Zeitraum zwischen 123 und 124 Personen beschäftigt. Hiervon
waren 3 bis 4 Personen Leiharbeitnehmer. Somit waren im
streitgegenständlichen Zeitraum durchschnittlich 120 eigene
Personen beschäftigt. Es wurden 12 Kündigungen ausgesprochen. Eine Massenentlassungsanzeige gegenüber der
örtlichen Agentur für Arbeit gab der Arbeitgeber nicht ab. Er
meinte, Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen seien
für den Schwellenwert des § 17 Abs. 1 KSchG mitzuzählen.
Somit sei der Schwellenwert des § 17 Absatz 1 Nr. 2 KSchG
von 10 % nicht erreicht. Erstinstanzlich hat unser Mitglied vor
dem Arbeitsgericht Essen verloren.
Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen beim § 17
KSchG bei der Beschäftigtenzahl nicht mitzuzählen - anders
als bei den zutreffenden und lobenswerten Entscheidungen
des 1. Senates, des 2. Senates und des 7. Senates des Bundesarbeitsgerichts zu anderen Schwellenwerten wie
z. B. dem § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG (Kleinbetriebsklausel)
oder § 111 Satz 1 BetrVG (Betriebsänderung), (BAG vom
4. November 2015 – 7 ABR 42/13, BAG vom 13. März 2013
– 7 ABR 69/11 und BAG vom 24. Januar 2013 –
2 AZR 140/12).
Der Schutzzweck des § 17 KSchG führt dazu, dass unter
den Arbeitnehmerbegriff des § 17 KSchG nur die eigenen
Arbeitnehmer des Arbeitgebers und nicht die zusätzlich beschäftigten Leiharbeitnehmer fallen können.
Die Entscheidung:
Zweitinstanzlich konnten wir mit unserem Mitglied vor dem
Landesarbeitsgericht Düsseldorf im Berufungsverfahren das
Klagebegehren durchsetzen. Das Arbeitsverhältnis wurde
wegen fehlender Massenentlassungsanzeige nicht durch die
Kündigung beendet.
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf, welches noch im
ersten Kammertermin die Rechtsauffassung vertreten hat,
dass Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen bei dem
Schwellenwert des § 17 KSchG mitgezählt werden, änderte
auf unseren Sachvortrag hin seine Auffassung. Es ist auf
den Schutzzweck der Norm abzustellen. Somit sind die
Dieses Urteil des LAG Düsseldorf (Az.: 11 Sa 705/15) ist
noch nicht rechtskräftig. Für die Beklagte besteht die Möglichkeit, die Revision einzulegen, da noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde, ob Leiharbeitnehmer beim
Schwellenwert des § 17 Abs. 1 KSchG mitzuzählen sind
oder nicht.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 8. September 2016,
11 Sa 705/15
Peter Voigt, Abteilung Arbeits- und Sozialrecht
Aus der Welt des Sozialrechts
Keine Herabsetzung einer Verletztenrente in der gesetzlichen Unfallversicherung wegen neuer prothetischer Versorgung eines Unfallverletzten
Am 20. Dezember 2016 hatte der 2. Senat des Bundessozialgerichts über die Frage zu entscheiden, ob eine Verletztenrente in der gesetzlichen Unfallversicherung vom Unfallversicherungsträger herabgesetzt werden kann, weil der Versicherte eine neue mikroprozessorgesteuerte Beinprothese
erhalten hat.
Nach § 56 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII) richtet sich die
Minderung der Erwerbsfähigkeit in der gesetzlichen Unfall-
versicherung nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens
ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens.
Gemäß § 48 Sozialgesetzbuch X (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in
den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim
Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
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Fraglich ist also, ob die Versorgung eines Unfallverletzten
mit einer neuen mikroprozessorgesteuerten Beinprothese
eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des §
48 SGB X darstellt, sodass die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 56 SGB VII herabgesetzt werden kann.
Erfolg der prothetischen Versorgung zu beurteilen, denn
eine Prothese für die Gliedmaßen könne den Schaden derzeit bei Weitem nicht voll kompensieren. Nur wenn ein Hilfsmittel einen physiologisch vollwertigen Ersatz darstelle bzw.
Ausgleich schaffe, sei es gerechtfertigt, dies bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen.
Sachverhalt:
Der Kläger erlitt im Jahre 1998 als Schüler einen Unfall, der
zur Amputation des linken Beines im Bereich des Oberschenkels führte. Er wurde von dem beklagten Unfallversicherungsträger mit einer Prothese versorgt. Für die Unfallfolgen wurde ihm eine Verletztenrente nach einer Minderung
der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 70 v. H. bewilligt, wobei
die Unfallfolgen auf chirurgischem Fachgebiet mit 60 v. H.
und leichte Leistungseinschränkungen und eine Wahrnehmungsbeeinträchtigung nach Schädel-Hirn-Trauma mit einem Einzel-Wert von 10 v. H. bewertet wurden.
Im Jahre 2005 bewilligte der Beklagte dem Kläger anstelle
der bisherigen Prothese die Versorgung mit einer mikroprozessorgesteuerten Oberschenkelprothese, einem sogenannten C-Leg, die er im März 2006 erhielt.
Daraufhin hob der Beklagte den ursprünglichen Rentenbewilligungsbescheid wegen einer wesentlichen Änderung der
Verhältnisse nach § 48 SGB X teilweise auf und gewährte
dem Kläger ab dem 1. August 2007 nur noch eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in
Höhe von insgesamt 60 v. H..
Durch die Versorgung mit der C-Leg-Prothese sei eine deutliche Funktionsverbesserung des linken Beines eingetreten,
die zu einem flüssigeren Gangbild und einer Erhöhung der
Gang- und Standsicherheit geführt habe. Die Mobilität des
Klägers sei so verbessert, dass die Unfallfolgen nach der
Versorgung mit der C-Leg-Prothese ab März 2006 mit
50 v. H. auf chirurgischem Gebiet und insgesamt mit 60 v.
H. zu bewerten seien.
Auf die gegen diese Entscheidung des Beklagten gerichtete
Klage hob das Sozialgericht Stralsund die entsprechenden
Bescheide des Beklagten auf.
Auch die Berufung des Beklagten vor dem Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern blieb ohne Erfolg. Das Landessozialgericht hat ausgeführt, die Voraussetzungen für
eine Rentenherabsetzung seien nicht erfüllt, weil keine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X eingetreten
sei. Die chirurgischen Unfallfolgen hätten sich nicht verändert. Ebensowenig begründeten die Gebrauchsvorteile der
prothetischen Versorgung mit einem C-Leg eine wesentliche
Änderung. Jedenfalls beim Verlust von Gliedmaßen sei der
objektive funktionelle Körperschaden unabhängig von dem
Die Funktionsbewertung bleibe nicht völlig unberücksichtigt,
sondern werde nur im Sinne einer Durchschnittsbewertung
in die MdE-Tabellen einbezogen. Auch die Anhaltspunkte für
die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) und die der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) würden beim Verlust
von Gliedmaßen nicht danach differenzieren, ob die prothetische Versorgung zu einer Funktionsverbesserung geführt
habe.
Mit der gegen diese Entscheidung des Landessozialgerichts
geführten Revision beim Bundessozialgericht rügte die Beklagte u. a. die Verletzung der §§ 48 SGB X und 56 SGB VII.
Nach seiner Auffassung habe die Versorgung des Klägers
mit dem C-Leg zu einer signifikanten Verbesserung seiner
Körperfunktionen geführt und begründe damit eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X.
Die durch das Landessozialgericht vorgenommene ausschließlich am Verlust der Extremitäten orientierte Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens“ in § 56 Abs. 2
Sozialgesetzbuch VII sei unzutreffend. Die Minderung der
Erwerbsfähigkeit bemesse sich nach den auf dem gesamten
Gebiet des Erwerbslebens verbliebenen verminderten Arbeitsmöglichkeiten nach Abschluss der Heilbehandlung.
Entscheidungsgründe:
Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat am 20. Dezember 2016 die Revision des beklagten Unfallversicherungsträgers zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für die Herabsetzung der bisher gewährten Verletztenrente hätten nicht
vorgelegen, weil durch die Versorgung mit einer mikroprozessorgesteuerten Oberschenkelprothese keine wesentliche zu einer niedrigeren Rente führende Änderung eingetreten sei. Grundsätzlich sei das Bundessozialgericht als Revisionsgericht bei der Überprüfung der MdE-Höhe an die tatsächlichen Feststellungen des Landessozialgerichts gebunden. Die Prothese bewirke aber nach den tatsächlichen
Feststellungen des Landessozialgerichts gerade keine entscheidende Verbesserung der Erwerbsfähigkeit.
Das Bundessozialgericht hätte deshalb aus eigener Kompetenz nur dann eine geringere Minderung der Erwerbsfähigkeit zu Grunde legen können, wenn es zu der Überzeugung
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gelangt wäre, die als medizinische Erfahrungssätze herangezogenen MdE-Tabellenwerte seien wissenschaftlich nicht
mehr haltbar, bzw. entsprächen nicht dem aktuellen Erkenntnisstand. Die MdE-Tabellenwerte stellten insofern allgemeine (generelle) Tatsachen dar, die als Rechtstatsachen
einer Überprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich
seien. Die Rechtsprechung habe bereits bisher die MdE-Tabellen auf ihre „inhaltliche Richtigkeit“ und darauf überprüft,
ob die Tabellen dem neuesten Stand der Wissenschaft entsprechen. Das Landessozialgericht habe den in den meisten
Standardwerken enthaltenen Tabellenwert für einen Verlust
des Oberschenkels im mittleren und unteren Drittel von 60 v.
H. zu Grunde gelegt und dabei berücksichtigt, dass bislang
keine grundsätzliche Änderung der gängigen Tabellenwerte
bei der Amputation der unteren Gliedmaßen erfolgt sei.
Nach der wohl überwiegenden Auffassung der unfallmedizinischen Literatur sei entgegen der Auffassung des Beklagten nicht zusätzlich nach der Qualität der Prothese zu differenzieren.
Zwar gebe es in der medizinischen Literatur eine Diskussion,
nach der die MdE-Tabellenwerte bei besserer prothetischer
Versorgung niedriger anzusetzen seien.
Da sich eine solche Auffassung bislang erkennbar jedoch
nicht durchgesetzt habe, könne daraus nicht geschlossen
werden, dass der aktuell geltende MdE-Tabellenwert als wissenschaftlich unhaltbar von der Rechtsprechung zu korrigieren sei.
deren juristischer Stellenwert unklar bleibe. Während bei einer Verordnung im Rechtssinne „Inhalt, Zweck und Ausmaß“
der zu regelnden Tatbestände im Gesetz selbst konkret umschrieben sein müssen, sei bei den MdE-Tabellen unklar,
welche Referenzgrößen die jeweils nicht rechtsstaatlich legitimierten Verfasser der Tabellen in ihre Überlegungen einstellten. Insofern wäre zuvorderst der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber berufen, die Maßstäbe und das Verfahren der
Erstellung der MdE-Tabellen – wie etwa in der Versorgungsmedizin-Verordnung geschehen – zu normieren.
Anmerkungen:
Zunächst einmal ist aus dieser Entscheidung des Bundessozialgerichts festzuhalten, dass auch entgegen vermehrt vorgebrachten abweichenden Auffassungen der unfallversicherungsrechtlichen Literatur die allgemein angewandten MdETabellen nach wie vor Gültigkeit haben und auch von den
Unfallversicherungsträgern anzuwenden sind.
Darüber hinaus hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts
dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber die dringende Empfehlung gegeben, wie bei der Versorgungsmedizin-Verordnung geschehen, die Maßstäbe und das Verfahren der Erstellung der MdE-Tabellen zu normieren, um ihnen noch
mehr Verbindlichkeit zu geben.
Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Dezember 2016,
B 2 U 11/15 R
Jürgen Leite, Abteilung Arbeits- und Sozialrecht.
Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die MdE-Tabellen
lediglich rein verwaltungspraktische „Hilfsmittel“ darstellten,
Hoher Preis für Tupperware-Partys
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass auch Verluste aus einer selbständigen Tätigkeit Einkommen
im Sinne des Elterngeldrechts sind und zur Verschiebung des Bemessungszeitraums für das Elterngeld führen können.
Sachverhalt:
Die Klägerin ist Beamtin auf Lebenszeit und brachte 2011 ihr
erstes Kind zur Welt.
Nach der Geburt nahm sie Elternzeit in Anspruch und übte
zwischen April und November 2012 eine selbständige Tätigkeit als Tupperware-Beraterin aus. Diese Tätigkeit führte zu
ca. 1.500 Euro Verlust. Nach der Entscheidung für ein zweites Kind beendete sie diese Tätigkeit, seit Oktober 2012 arbeitete sie wieder in Vollzeit im Finanzamt. Sie nahm einen
Nebenjob in einer Bäckerei an, um – wie sie im Klageverfahren mehrfach deutlich gemacht hat – für die Elternzeit nach
der Geburt des geplanten zweiten Kindes höheres Elterngeld zu erreichen. Die zweite Tochter wurde im November
2013 geboren. Die Klägerin verlangte nunmehr, ihr Elterngeld auf der Grundlage ihrer Beamtenbezüge und sonstiger
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Einkünfte in den zwölf Kalendermonaten vor der Geburt ihres zweiten Kindes (November 2012 bis Oktober 2013) zu
bemessen.
Familienplanung und der Höhe des Elterngeldes nicht richtig
gesehen hat. Sie hatte erwartet, mit dem einen Jahr Vollzeittätigkeit vor der vorgesehenen Geburt des zweiten Kindes
das Elterngeld optimieren zu können. Dabei hatte sie übersehen, dass dieser Effekt wegen ihrer verlustreichen Tätigkeit als Tupperware-Beraterin nur hätte eintreten können,
wenn die Tochter erst 2104 geboren wäre; dann wäre das
günstige Jahr 2013 ohne Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit für die Berechnung des Elterngeldes maßgeblich gewesen.
Eine Randfrage muss jedoch noch geklärt werden, weshalb
das Bundessozialgericht die Sache nach Hamburg zurückverwies: Warum ist die beklagte Stadt vom Steuerjahr 2011
und nicht vom Steuerjahr 2012 ausgegangen? Das Landessozialgericht Hamburg müsse prüfen, ob die Elterngeldbehörde den Bemessungszeitraum für das Elterngeld der Klägerin vom Jahr 2012 zutreffend noch weiter auf das Jahr
2011 verschoben hat. Das Gesetz räume der Klägerin insoweit ein Wahlrecht ein. Bisher sei jedoch nicht geklärt, ob sie
einen entsprechenden Antrag gestellt habe.
Stattdessen berechnete der beklagte Stadtstaat Hamburg
das Elterngeld aber nach dem Einkommen der Klägerin im
letzten steuerlichen Veranlagungszeitraum vor ihrer ersten
Elternzeit, dem Jahr 2011.
Dem hat sich – mit einer geringfügigen Modifikation – auch
das Bundessozialgericht angeschlossen, nachdem das Landessozialgericht Hamburg noch zugunsten der Klägerin entschieden hatte.
Entscheidung:
Nach Auffassung des Bundessozialgerichts ist das Abstellen
auf einen abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum grundsätzlich zu billigen. Bei sogenannten Mischeinkünften aus selbständiger Tätigkeit und abhängiger
Beschäftigung schreibe das maßgebliche Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz seit der Neuregelung vom
10. September 2012 grundsätzlich zwingend die Wahl des
letzten Steuerjahres als Bemessungszeitraum vor. Nach dieser jetzt vom Bundessozialgericht bestätigten Regelung lösten auch Verluste, d. h. negative Einkommensbeträge, den
Rückgriff auf abgeschlossene steuerliche Veranlagungszeiträume aus. Selbst wenn diese Verschiebung des Bemessungszeitraums im Einzelfall zu einem erheblich geringeren
Elterngeldanspruch führe, sei dies durch das gesetzgeberische Ziel der Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt und
nicht gleichheitswidrig.
Die Härte, die auch das Bundessozialgericht gesehen hat,
beruht hier darauf, dass die Klägerin den Zusammenhang
zwischen ihrer Tätigkeit als Tupperware-Beraterin 2012, der
Praxistipp:
Gemäß § 2b Abs. 1 BEEG wird für die Berechnung des Elterngeldes, das als Prozentsatz des vor der Geburt des Kindes erzielten monatlichen Einkommens gezahlt wird, grundsätzlich als Bemessungszeitraum die letzten zwölf Monate
vor der Geburt zugrunde gelegt. Dies gilt aber nur, wenn die
Mutter im letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum (Kalenderjahr) nur Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit hatte, also als Arbeitnehmerin oder Beamtin erwerbstätig war. Wenn sie im letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraum nur oder zumindest auch selbständig tätig war, tritt dieser Zeitraum, so wie im Falle der
Klägerin, an die Stelle der letzten zwölf Monate vor der Geburt gemäß § 2b Abs. 3 BEEG.
In der Beratungspraxis sollte deshalb unbedingt danach gefragt werden, ob neben dem abhängigen Beschäftigungsverhältnis noch eine selbständige Tätigkeit ausgeführt wird,
auch wenn diese noch so gering ist. Denn Tätigkeiten, wie
die einer Tupperware-Beraterin oder Ähnliches werden von
den Mitgliedern in der Beratung möglicherweise nicht sofort
erwähnt, so dass dann von einer unzutreffenden Rechtslage
ausgegangen wird, was dann wiederum zu einer falschen
Erwartungshaltung bezüglich der Elterngeldhöhe führen
kann.
Bundessozialgericht,Urteil vom 27. Oktober 2016,
B 10 EG 5/15 R
Elvira Wittke, Abteilung Arbeits- und Sozialrecht.
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Rechtsprechungsschnelldienst
Betriebsratstätigkeit - Arbeitszeit
Ein Betriebsratsmitglied, das zwischen zwei Nachtschichten außerhalb seiner Arbeitszeit tagsüber an einer
Betriebsratssitzung teilzunehmen hat, ist berechtigt, die Arbeit in der vorherigen Nachtschicht vor dem Ende
der Schicht einzustellen, wenn nur dadurch eine ununterbrochene Erholungszeit von elf Stunden am Tag gewährleistet ist, in der weder Arbeitsleistung noch Betriebsratstätigkeit zu erbringen sind. Das entschied das
Bundesarbeitsgericht in Erfurt mit Urteil vom 18. Januar 2017 - 7 AZR 224/15.
Nach § 5 Abs. 1 ArbZG ist dem Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen
Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden zu gewähren.
Es kann dahinstehen, ob die Zeit der
Erbringung von Betriebsratstätigkeit Arbeitszeit i. S. v. § 2 Abs. 1 ArbZG ist und
§ 5 Abs. 1 ArbZG deshalb Anwendung findet. Jedenfalls ist
bei der Beurteilung, ob dem Betriebsratsmitglied in einer solchen Situation die Fortsetzung der Arbeit in der Nachtschicht
wegen der bevorstehenden Betriebsratstätigkeit unzumutbar
ist, die Wertung des § 5 Abs. 1 ArbZG zu berücksichtigen.
Entscheidung:
Sachverhalt:
Was lange währt wird endlich gut. Zwar stellen die Erfurter
Richter nicht fest, dass Betriebsratsarbeit Arbeitszeit im
Sinne des Arbeitszeitgesetzes ist, jedoch stellen sie schon
in der Pressemitteilung zu dem Urteil klar, dass die Wertungen des Arbeitszeitgesetzes auch auf die Betriebsratstätigkeit anzuwenden seien. Dieser gewerkschaftliche Kampf
scheint gewonnen zu sein. Kein Arbeitgeber kann von seinen Betriebsratsmitgliedern verlangen, nach der Betriebsratstätigkeit ohne Einhaltung der elfstündigen Ruhepause
des Arbeitszeitgesetzes die Tätigkeit wieder aufzunehmen.
Auch kann bei feststehender Betriebsratsarbeit das Betriebsratsmitglied die Arbeit 11 Stunden zuvor niederlegen.
Eine rundum lobenswerte Entscheidung.
Der Kläger ist Mitglied des im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebsrats und arbeitet im Dreischichtbetrieb. Er war in
der Nacht vom 16. Juli auf den 17. Juli 2013 für die Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr bei einer Pause von
02:30 Uhr bis 03:00 Uhr eingeteilt. Am 17. Juli 2013 nahm
der Kläger von 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr an einer Betriebsratssitzung teil. Mit Rücksicht auf diese Betriebsratssitzung
stellte er in der vorherigen Nachtschicht seine Arbeit um
02:30 Uhr ein. Ihm wurde für diese Nachtschicht von der Beklagten nur der Zeitraum bis 03:00 Uhr und von 05:00 Uhr
bis 06:00 Uhr auf seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben.
Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger u. a. die Gutschrift
der beiden weiteren Stunden von 03:00 Uhr bis 05:00 Uhr
verlangt.
Die Klage hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts - ebenso wie zuvor beim Landesarbeitsgericht - Erfolg. Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats auch dann von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts zu befreien, wenn eine außerhalb
der Arbeitszeit liegende erforderliche Betriebsratstätigkeit
die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar gemacht
hat. Vorliegend war dem Kläger die Erbringung der Arbeitsleistung am 17. Juli 2013 jedenfalls ab 03:00 Uhr wegen der
um 13:00 Uhr beginnenden Betriebsratssitzung unzumutbar,
weil ihm bei Fortsetzung seiner Arbeit zwischen den Arbeitsschichten keine durchgehende Erholungszeit von elf Stunden zur Verfügung gestanden hätte.
Praxistipp:
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Januar 2017, 7 AZR 224/15
Peter Voigt, Abteilung Arbeits- und Sozialrecht
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Lohnanspruch ab dem ersten Tag
Darf eine Schwangere wegen eines Beschäftigungsverbots nicht arbeiten, muss der Arbeitgeber ihr dennoch
den Lohn zahlen. Das gilt auch, wenn das Beschäftigungsverbot vor Beginn des Arbeitsverhältnisses bestanden hat.
Sachverhalt:
Die Klägerin schloss zu Beginn ihrer Schwangerschaft am
13. November 2015 einen Arbeitsvertrag, gemäß dem ein
Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit am 1. Januar 2016
beginnen sollte. In der Zwischenzeit ergaben sich Komplikationen bei der werdenden Mutter. Ihr Arzt verhängte noch vor
Arbeitsantritt ein absolutes Beschäftigungsverbot gemäß
§ 3 Abs. 1 MuSchG. Die Klägerin teilte dies und die bestehende Schwangerschaft der Beklagten mit Schreiben vom
20. Dezember 2015 mit. Der Beklagte weigerte sich aber zu
zahlen. Er begründete seine Haltung damit, dass das
Arbeitsverhältnis zu keinem Zeitpunkt in Vollzug gesetzt worden sei. In einem solchen Fall bestünden keine Zahlungsansprüche. Die Erstattung eines Verdienstausfalls nach
§ 11 MSchG komme nicht in Betracht, weil mangels vorherigem Verdienst kein schwangerschaftsbedingter Verdienstausfall vorliege.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage durch Urteil vom
21. April 2016 abgewiesen. Das LAG Berlin–Brandenburg
gab der Klägerin jedoch Recht und verurteilte den Arbeitgeber dazu, den vereinbarten Lohn von Anfang an zu zahlen.
Wie das Bundesarbeitsgericht den Fall beurteilen wird, steht
noch aus, denn das LAG Berlin-Brandenburg hat die Revision zugelassen.
Die Entscheidung:
Die Klägerin fällt unter den Geltungsbereich des
§ 1 MuSchG. Hiernach gilt dieses Gesetz für Frauen, die in
einem Arbeitsverhältnis stehen. Dies ist bei der Klägerin der
Fall, da die Parteien ein Arbeitsverhältnis beginnend ab
1. Januar 2016 vereinbart hatten. Ein Arbeitsverhältnis wird
durch Abschluss eines Arbeitsvertrages begründet und nicht
erst dadurch, dass es durch eine tatsächliche Arbeitsaufnahme „in Vollzug“ gesetzt wird. Der Anspruch nach § 11
MuSchG setzt keine vorherige tatsächliche Arbeitsleistung
oder Entgeltansprüche für die Zeit vorhergehender Zeiten
voraus. Vielmehr setzt § 11 Satz 1 MuSchG nur voraus, dass
die betroffene Frau „unter den Geltungsbereich des
§ 1 MuSchG fällt“. § 1 MuSchG stellt lediglich auf ein bestehendes Arbeitsverhältnis ab. Eine weitere Voraussetzung
enthält die Regelung nicht.
Der Zweck des § 11 MuSchG besteht insbesondere darin,
Anreize zu vermeiden, entgegen einer ärztlichen Anordnung
aus wirtschaftlichen Gründen zu arbeiten und dadurch die
schwangere Frau oder ihr ungeborenes Kind zu gefährden.
Für diesen Zweck kommt es nicht darauf an, ob bereits eine
tatsächliche Arbeitsleistung in einem Arbeitsverhältnis erfolgt ist oder nicht.
Auch das Risiko eines Verdienstausfalls für die Zeit eines
Beschäftigungsverbots besteht unabhängig davon, ob vorher gearbeitet wurde oder das Arbeitsverhältnis erst zu einer
Zeit aufgenommen werden sollte, für die ein Beschäftigungsverbot erteilt wurde. Es fällt gleichermaßen der Verdienst
aus, der ansonsten im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses erzielt worden wäre.
Anmerkung:
Diese Entscheidung zeigt einmal mehr, dass Schwangerschaft keine Krankheit ist, sondern lediglich ein besonderer
Zustand. Im Gegensatz zu § 3 Abs. 3 Entgeltfortzahlungsgesetz, wonach ein Arbeitnehmer bei Krankheit nur dann weiter seinen Lohn erhält, wenn das Arbeitsverhältnis zuvor vier
Wochen ununterbrochen bestanden hat, sieht das Mutterschutzgesetz eine solche Wartezeit eben nicht vor. Allein
das mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbot führte in
dieser Entscheidung dazu, dass die schwangere Klägerin
mit der Arbeit ausgesetzt hat, es lag gerade keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vor. In der Hoffnung, dass
das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung bestätigt, ist das
Urteil sehr zu begrüßen und dürfte bei vielen werdenden
Müttern die Angst eines möglichen Verdienstausfalles nehmen.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom
30. September 2016, 9 Sa 917/16
Elvira Wittke, Abteilung Arbeits- und Sozialrecht
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Erschienen im März 2017
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