ARBEITS-, SOZIAL- UND TARIFRECHT A 030/2017 vom 09.03.2017 Gesetzliche Rentenversicherung Überblick über die Neuregelungen durch das Flexirentengesetz Das Flexirentengesetz enthält neben den namensgebenden Änderungen beim Hinzuverdienst bei vorgezogenen Renten insbesondere einen zunächst bis zum 31. Dezember 2021 befristeten Wegfall der Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung für Beschäftigte oberhalb der Regelaltersgrenze. Daneben wird die Möglichkeit von Ausgleichszahlungen bei abschlagsgeminderten vorgezogenen Renten erweitert. Am 13. Dezember 2016 ist das „Gesetz zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz)“ veröffentlicht worden (BGBI I 2016, S. 2838 ff.). Die Regelungen des Gesetzes treten zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen dem 14. Dezember 2016 und dem 1. Juli 2017 in Kraft. Das Flexirentengesetz enthält folgende wesentliche Punkte: Zentraler Inhalt des Flexirentengesetzes ist eine Ablösung des bisherig gestuften Teilrentensystems durch flexible Hinzuverdienstgrenzen. Im Unterschied zur bisherigen Gesetzeslage sieht die Neufassung des § 34 Abs. 2 und 3a bis 3g SGB VI vor, dass es bei vorgezogenen Renten nicht mehr eine nach der Höhe des Hinzuverdienstes festgelegte 1/3, 1/2 oder 2/3 Teilrente gibt, sondern eine „gleitende“ Anrechnung. Das System der Anrechnung eines Hinzuverdienstes auf die Rente gilt für jeden Altersrentenbezug vor dem Zeitpunkt des möglichen Regelaltersrentenbezugs nach §§ 35, 235 SGB VI, also vor dem seit Geburtsjahrgang 1947 von Alter 65 sukzessive bis Geburtsjahrgang 1964 auf Alter 67 ansteigenden Renteneintrittsalter. Das System der „FlexiRente“ gilt also vor der Regelaltersgrenze sowohl für die Rente für langjährig Versicherte nach §§ 36, 236 SGB VI als auch für vorgezogenen Bezug einer Rente für besonders langjährig Versicherte (§§ 38, 236b SGB VI) und den vorgezogenen Bezug einer Schwerbehindertenrente (§§ 37, 236a SGB VI). Das neue System der „Flexi-Rente“, das ab dem 1. Juli 2017 greifen wird, hat nach der Neufassung des § 34 Abs. 2, Abs. 3a - 3g SGB VI folgende Eckpunkte: Geschäftsstelle Hamburg • Loogestraße 8 • 20249 Hamburg • Tel.: 040 468656-0 • Fax: 040 468656-26 Geschäftsstelle Schleswig-Holstein • Ringstraße 54 • 24103 Kiel •Tel.: 0431 53548-0 • Fax: 0431 53548-14 E-Mail: [email protected] • Internet: www.biv-hh-sh.de -2• Ein Hinzuverdienst bis 6.300,00 €/Jahr (= 14 x 450,00 €) bleibt beim vorgezogenen Rentenbezug anrechnungsfrei. • • Ein Hinzuverdienst des Rentners oberhalb von 6.300,00 €/Jahr wird zu 40 % auf die Rente angerechnet. Rente und Hinzuverdienst dürfen in der Summe das höchste Entgelt der letzten 15 Jahre nicht überschreiten („Hinzuverdienstdeckel“). Ist die Summe aus der gekürzten Rente und dem Hinzuverdienst höher als das bisherige Arbeitseinkommen, gilt: Der darüber liegende Hinzuverdienst wird zu 100 % auf die verbliebene Rente angerechnet. Nach den komplizierten neuen Regelungen in § 34 Abs. 3a bis 3g SGB VI errechnet sich dieser „Hinzuverdienstdeckel“ wie folgt: Monatliche Bezugsgröße (2017: 2.975 € in den alten Bundesländern) x höchste Jahres-Entgeltpunkte der letzten 15 Kalenderjahre vor Rentenbeginn, mindestens 0,5 Entgeltpunkte. Der Hinzuverdienstdeckel beträgt jedoch mindestens 525 € + Monatsbetrag der Vollrente („Mindest-Hinzuverdienstdeckel“). Zur Verdeutlichung folgendes Beispiel (Beträge in brutto, teilweise gerundet): Ein Versicherter beabsichtigt, eine vorzeitige Altersrente für langjährig Versicherte ab 63 Jahren mit einem Abschlag von 9,6 Prozent in Anspruch zu nehmen. Seine monatliche Altersrente liegt zum Zeitpunkt des Rentenbeginns bei 1.240 € (45 EP, Abschlag eingerechnet), der jährliche Hinzuverdienst ab Alter 63 bei 18.000,00 €. Sein höchster Jahresentgeltpunktewert der letzten 15 Jahre liegt bei 1 EP (Entgelt entsprechend dem Durchschnittsentgelt aller Versicherten). Berechnung des Anrechnungsbetrages auf die vorgezogene Rente: 18.000 € - 6.300 € = 11.700 € 11.700 € : 12 = 975 € 975 € x 40% = 390 € 1.240 € - 390 € = 850 € = monatliche „Flexi-Rente“ Prüfung des Hinzuverdienstdeckels: („Flexi-Rente“ plus Hinzuverdienst dürfen in der Summe den Wert des „Hinzuverdienstdeckels“ nicht überschreiten; Untergrenze ist der “Mindest-Hinzuverdienstdeckel“) Hinzuverdienstdeckel = 2.975 € (mtl. Bezugsgröße 2.975 € x 1 EP) Mindest-Hinzuverdienstdeckel = 1.765 € (525 € + 1.240 €) -3Summe aus Monatsentgelt + „Flexi-Rente“: 18.000 € : 12 = 1.500 € 850 € + 1.500 € = 2.350 € Der Betrag von 2.350 € überschreitet den maßgebenden Hinzuverdienstdeckel von 2.975 € nicht, daher: Gesamtergebnis: Der Versicherte kann ab Alter 63 neben dem monatlichen Bruttogehalt von 1.500 € eine „Flexi-Rente“ von monatlich 850 € beanspruchen. Die Flexibilisierung der Hinzuverdienstgrenzen umfasst ab dem 1. Juli 2017 neben den vorgezogenen Altersrenten auch die Erwerbsminderungsrenten nach § 96a SGB VI. In einer ersten Bewertung bleibt festzuhalten, dass das neue System der „Flexi-Rente“ keineswegs einfacher und transparenter erscheint als das bisherige System der „Teil-Renten“. Problematisch ist vor allem der Umstand, dass – wie oben dargestellt – bei der Berechnung der „FlexiRente“ Jahresgrenzwerte herangezogen werden. Zur Bestimmung des Hinzuverdienstes prognostiziert die Deutsche Rentenversicherung nach § 34 Abs. 3c SGB VI zum Rentenbeginn und danach grundsätzlich zu jedem 1. Juli eines Jahres den voraussichtlichen Verdienst im laufenden und im folgenden Jahr, stellt ihn jeweils der kalenderjährlichen Hinzuverdienstgrenze von 6.300 € gegenüber und setzt die Rente für die Zeit ab dem 1. Juli und ab kommendem 1. Januar fest. Die Einkommensprognosen für das Vorjahr werden zum 1. Juli des Folgejahres mit dem tatsächlich erzielten Hinzuverdienst rückschauend centgenau verglichen („Spitzabrechnung“) und die Rente unter Berücksichtigung des tatsächlichen Hinzuverdienstes neu berechnet. Gegebenenfalls entstandene Überzahlungen werden – ohne Anwendung der §§ 24, 45 und 48 SGB X – zurückgefordert, Nachzahlungen werden ausgezahlt. Gleichzeitig wird für die nächsten 12 Monate eine neue Prognose erstellt (§ 34 Abs. 3d - 3g SGB VI). Dem Gesetzgeber ist es mit Erfolg gelungen, das bisherige Teilrentensystem, das wegen fehlender Transparenz kritisiert wurde, durch das neue „Flexirentensystem“ erheblich zu „verschlimmbessern“. Aus gutem Grund wird das neue System daher erst ab dem 1. Juli 2017 scharfgeschaltet, da auch die Deutsche Rentenversicherung sich erst in die neue Systematik einarbeiten muss. Beschäftigte sind von jeher nach Erreichen der Regelaltersgrenze – also dem Zeitpunkt, zu dem die von Alter 65 sukzessive auf Alter 67 ansteigende Regelaltersrente bezogen werden kann – nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI versicherungsfrei in der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie müssen dementsprechend keine Beiträge zur Rentenversicherung abführen; dagegen müssen Arbeitgeber ihren Beitragsanteil zur Ren- -4tenversicherung entrichten, ohne dass dies einen Zugewinn in der Rentenanwartschaft nach sich zieht, § 172 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI. Nach der neuen Gesetzeslage erhalten nun seit dem 1. Januar 2017 Beschäftigte nach Erreichen der Regelaltersgrenze die Möglichkeit, neben dem nach wie vor vorgesehenen Arbeitgeberanteil auch eigene Beiträge zur Rentenversicherung zu zahlen. Erforderlich ist hierfür eine Erklärung zum Verzicht auf die Versicherungsfreiheit gegenüber dem Arbeitgeber. Diese Verzichtserklärung ist für die Beschäftigungsdauer bindend. Durch die eigenen und die vom Arbeitgeber gezahlten Rentenversicherungsbeiträge erhöht sich die Rente durch ZuschlagsEntgeltpunkte nach §§ 66 Abs. 3a, 67d SGB VI ab dem 1. Juli des Folgejahres. Arbeitnehmer waren und sind nach Erreichen der Regelaltersgrenze in der Arbeitslosenversicherung versicherungsfrei nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III. Bislang mussten jedoch Arbeitgeber nach § 346 Abs. 3 SGB III für weiterbeschäftigte Regelaltersrentner einen Arbeitgeberanteil zur Arbeitslosenversicherung abführen. Nach der neuen Gesetzeslage entfällt diese Beitragspflicht der Arbeitgeber zur Arbeitslosenversicherung für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2021. Bei vorgezogenem abschlagsgeminderten Bezug einer Altersrente – möglich bei den Renten für langjährig Versicherte nach §§ 36, 236 SGB VI und der Rente für schwerbehinderte Menschen nach §§ 37, 236a SGB VI – sieht die Gesetzeslage seit jeher in § 187a SGB VI die Möglichkeit vor, durch Ausgleichszahlungen an die Rentenversicherung im Vorfeld des vorgezogenen Rentenbezugs die späteren Rentenabschläge teilweise oder sogar voll zu vermeiden. Bislang waren solche Ausgleichszahlungen ab Alter 55 möglich. Ab dem 1. Juli 2017 wird diese grundsätzliche Grenze auf 50 Jahre gesenkt. Die Höhe des Ausgleichsbetrages kann im Vorfeld auf Antrag von der Rentenversicherung erstellt werden. Bei begründetem, berechtigtem Interesse ist die Erteilung dieser besonderen Rentenauskunft sogar vor Alter 50 möglich. Je Kalenderjahr sind maximal zwei Teilzahlungen möglich. Von der Möglichkeit der Kompensation von späteren Rentenminderungen ist in der Praxis bislang wenig Gebrauch gemacht worden. In diesem Zusammenhang soll eine steuerliche Begünstigung nicht unerwähnt bleiben: Nach § 3 Nr. 28 EStG sind Zahlungen des Arbeitgebers zur Übernahme der Beiträge i. S. d. § 187a SGB VI, soweit sie 50 % der Beiträge nicht übersteigen, steuerfrei. Diese Regelung kann zur 50 %igen Vermeidung von Steuerzahlungen auf Abfindungen genutzt werden, wenn die Abfindung vom Arbeitgeber nicht an den Arbeitnehmer, sondern an die Rentenversicherung zur Vermeidung der Rentenabschläge nach § 187a SGB VI geleistet wird. -5Befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wurden bislang nicht vor Beginn des 7. Kalendermonats nach Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet, § 101 Abs. 1 SGB VI. In Einzelfällen konnte eine Sicherungslücke dadurch entstehen, dass ein Anspruch auf Kranken- oder Arbeitslosengeld vor Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung endete. Seit dem 14. Dezember 2016 (Tag nach der Verkündung des Flexirentengesetzes) ist durch einen ergänzenden § 101 Abs. 1a SGB VI dadurch eine Nahtlosigkeit geschaffen worden, dass befristete Renten wegen voller Erwerbsminderung, auf die Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, von dem Tag an geleistet werden, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Arbeitslosengeld, Kranken- oder Krankentagegeld endet. Versicherte sollen nun gezielter über ihre Gestaltungsmöglichkeiten zum Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand informiert werden. Die letzte Renteninformation vor Vollendung des 50. Lebensjahres weist seit Jahresbeginn 2017 mittels eines Beiblattes darauf hin, dass eine Rentenauskunft auch vor Alter 55 erteilt werden kann und dass auf Antrag auch die Höhe der Beitragszahlung ausgewiesen wird, die zum Ausgleich einer Rentenminderung bei vorzeitiger Inanspruchnahme eine Altersrente erforderlich ist. Die Rentenauskunft, die ab Alter 55 erteilt wird, wird nun insbesondere um Informationen zum möglichen Vorziehen oder Hinausschieben des Rentenbeginns und zur flexiblen Teilrente ergänzt.
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