Zu Martin Scorseses Film "Silence" - Umschau von

UMSCHAU
Wer schweigt?
Zu Martin Scorseses Film „Silence“
Es ist ein großer Film. Gut besetzt. Gekonnt
inszeniert. Tolle Aufnahmen. Wie nicht anders zu erwarten. Martin Scorsese ist einer
der erfolgreichsten Regisseure unserer Zeit.
Und natürlich weiß er, wie man einen echten
Block-Buster dreht. Am 29. November 2016
ergab sich ein ungewöhnliches Bild: Im „Orientale“, dem Päpstlichen Institut für die Ostkirchen, drängten sich um die 300 Jesuiten in
der Bibliothek, die zum Kinosaal umfunktioniert worden war. Sie konnten den Film
exklusiv sehen. Dass dies sogar noch vor dem
Besuch bei Papst Franziskus und der erneuten Vorführung im Vatikan möglich war, lag
an verschiedenen Faktoren, u. a. daran, dass
Jesuiten und ein Teil ihrer Geschichte im
Mittelpunkt von „Silence“1 stehen.
Es war ein Anliegen Scorseses, den Film in
diesem religiösen Ambiente zu zeigen. Doch
handelt es sich um einen christlichen oder gar
kirchlichen Film? Wohl kaum. Wenn auch die
Darsteller nun in Interviews von ihrer Beschäftigung mit Meditation, dem Christentum, der ignatianischen Spiritualität und folglich den Geistlichen Übungen (Exerzitien)
berichten, so wirkt das zunächst einmal nicht
anders als die Beschreibungen einer intensiven
Auseinandersetzung mit dem Gegenstand,
um den ihre Rolle kreist. Anders scheint dies
beim Regisseur selbst zu sein. Er spricht immer wieder von einem „Herzensprojekt“.
Entscheidend ist wohl, dass sich ein 74-jähriger Mann, der sich als von der Katholischen
Kirche geprägt beschreibt, fragt, um was es
beim Glauben eigentlich geht.
Dafür hat er einen zunächst abgelegen
scheinenden Zugang gewählt. Die Grundlage
3/2017 – www.stimmen-der-zeit.de
des Drehbuchs ist ein Buch des Japaners
Shūsaku Endō (1923-1996)2. Dieser war
selbst Katholik – und damit in Japan zu einer
verschwindenden Minderheit (unter ein Prozent) gehörend. Nichtsdestotrotz wurden
ihm in seiner Heimat die wichtigsten literarischen Ehren zuteil. Besonders sein Roman
„Schweigen“ zog große Aufmerksamkeit auf
sich. Scorsese bekam das Buch 1989 empfohlen. Seither arbeitete er an einer filmischen
Umsetzung. Dass es mehr als 25 Jahre benötigte, bis das Projekt abgeschlossen werden
konnte, hat verschiedene Gründe. Zunächst
scheint das Thema nicht gerade für einen
Kassenschlager prädestiniert zu sein: die Geschichte der christlichen Mission Japans im
16. und 17. Jahrhundert.
Konkret dreht sich der Plot um den Jesuiten und Missionar Sebastião Rodrigues (gespielt von Andrew Garfield), der, begleitet
von seinem Mitbruder Francisco Garpe
(Adam Driver), nach Japan aufbricht, um
herauszufinden, was aus einem weiteren Pater und in gewisser Weise beider Vorbild,
Christóvão Ferreira (Liam Neeson), geworden ist. Ob dieser, wie gerüchteweise erzählt,
vom Glauben abgefallen und kein Priester
mehr in der einst erfolgreichen Mission sei.
Dass zeitgleich eine grausame Christenverfolgung in Japan vor sich geht und ein
Aufbrechen in jenes Land lebensgefährlich
ist – das wird rasch und gekonnt zu Beginn
des Films erzählt. Die beiden Priester werden
nach ihrer Ankunft ein Leben im Untergrund führen. Mit Hilfe eines Einheimischen, der mehrere Jahre im Exil lebte und
durch sein Verhalten großes Misstrauen bei
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Umschau
den Missionaren hervorruft, werden sie zwar
von einer Gemeinde aufgenommen, doch
diese können aufgrund der Verfolgung ihre
Gottesdienste und Treffen nur nachts, unter
größter Geheimhaltung, durchführen.
Einige Messfeiern, Taufen oder Beichten
werden exemplarisch gezeigt. Dabei werden
diese durch die Stimme des Protagonisten
kommentiert. Nach einer gewissen Zeit werden die beiden Missionare aufgrund einer
Unachtsamkeit entdeckt. Da es sich um andere Christen handelt, die um Hilfe und Unterstützung bitten, ist die Gefahr zunächst
abgewendet. Aber nur vorläufig. Bald schon
werden die ersten Christen von Truppen aufgegriffen, die die letzten verborgenen Christen ausfindig machen wollen.
Aufgespürte Personen müssen ihre Rechtgläubigkeit zum Buddhismus bekennen und
dem christlichen Glauben abschwören.
Reichte zunächst die mündliche Aussage,
später das Treten auf christliche Insignien
(sogenannte Fumie), werden die Repressalien
immer stärker. Ein Zögern wird bereits als
Bekenntnis zum Christentum interpretiert.
Die entdeckten Gläubigen werden in abscheulichen Szenarien gequält. Können sich
die Missionare zunächst entziehen und getrennt weiter im Verborgenen arbeiten, so ist
das Thema genannt: Christen werden auf
vielfache Weise schrecklich zu Tode gequält.
Ist das der Glaube wert? Wie soll man mit
einem System auskommen, das kein Entrinnen zuzulassen scheint? Was ist zu tun? Den
Glauben leugnen, um das eigene Leben zu
erhalten?
Die Fragen spitzen sich zu, als auch Rodrigues aufgrund eines Verrats aufgegriffen
wird. Der Jesuit wird nicht gequält, sondern
muss zuschauen, wie die aufgegriffenen
Christen gepeinigt und umgebracht werden.
Die einzige Möglichkeit, die anderen zu retten, besteht darin, dem Glauben abzuschwören, indem der Priester auf ein christliches
Symbol tritt. So entsteht ein moralisches Pro-
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blem, das der japanische Inquisitor auf den
Punkt bringt, wenn er zu dem Jesuiten im
Hinblick auf die Qualen der Christen sagt:
„The price for your glory is their suffering“
(Der Preis für deinen Ruhm ist ihr Leiden).
Der Film wird sicher für Diskussionen
sorgen. Muss gerade diese Geschichte heute
erzählt werden? Welche Haltung nimmt der
Film gegenüber Religionen und Kulturen
ein? Lassen sich die Deutungen der historischen Tatsachen halten? Muss eine derart
drastische Darstellung der Gewalt sein?
Solche Rückfragen zeigen zunächst einmal
nur die Schwierigkeit, die gerade heute mit
Begriffen der Missionierung, der Religionsverfolgung und Glaubensbekenntnissen einhergeht. Abgesehen von Kriterien, die für die
filmische Qualität angelegt werden müssen,
ist der Stoff der Geschichte brisant. Dabei
gelingt es Scorsese, Motive und Hintergründe offenzulegen. Welche Rolle spielt
Religion tatsächlich? Inwieweit geht es nicht
auch um einen Kampf der Kolonialisierung
und wirtschaftliche Interessen? Wie werden
Überzeugungen mit Wahrheitsanspruch vermittelt?
Der Film hat eine Stärke in der Beleuchtung der Komplexität des Martyriums. Wie
stark eine Gemeinschaft vom leidvoll herbeigeführten Tod eines Mitglieds, das für gemeinsame Werte eintritt, geprägt wird und
wie stark sich die Frage nach einem Ausweg,
nach Kompromissen, nach Schuld und Vergebung stellt, das wird erzählend gezeigt.
Dazu braucht es oft eben keine Worte, und
hier wird der Film seinem Titel gerecht: Silence – Schweigen.
Ebenso wie die Frage nach Gott und wie
er Gewalt und Leid zulassen kann, also die
Frage der Theodizee, drängt sich hier eine
Anthropodizee auf: Wie können sich Menschen solches Leid antun? Es sind nicht unbedingt die Abgründe in Gott, die nach einer
Antwort schreien, sondern die Abgründe im
Menschen. Der Film führt diese in harten
Umschau
Bildern vor Augen. Die Nichtkommentierung wird dabei zur Stärke und öffnet einen
Raum für Interpretationen: Welche Rolle
spielt ein Bekenntnis? Für welche Werte
stehe ich ein? Was hätte ich getan?
Darüber kann kontrovers diskutiert werden. Die eigentliche Transferleistung, die der
Zuschauer aufzubringen haben wird, besteht
im Nachvollziehen der Bedeutung einer
Apostasie, also in diesem Falle einer Handlung, mit welcher der Priester seinen Glauben verleugnen kann. Eine Antwort, die sich
in heutiger Zeit vielleicht schnell aufdrängt,
ist die Trennung eines äußerlichen und inhaltlichen Glaubensaktes. Aber eben diese
scheint dem Jesuiten nicht zur Verfügung zu
stehen – wenn er sie auch teilweise den Gemeindemitgliedern empfiehlt –, da er um die
innere Verbindung und Einheit des Bekenntnisses weiß. Wie er sich zu einer Antwort
durchringt, wie mögliche Antworten aussehen könnten, was nicht nur durch seine Gedanken, sondern auch durch handelnde Personen aufgezeigt wird, das macht die Essenz
des Filmes aus.
In der christlichen Tradition und Mystik
haben Menschen ihre Antwort gefunden, ein
Leben mit Gott auch im Angesicht des Leidens und seines Schweigens oder scheinbarer
Abwesenheit. Im Film wird diese silence
nicht durchgehalten. Nur eine Deutung
scheint richtig und beinhaltet folglich eine
Handlung. Das ist legitim. Aber der Realität
entspricht wohl eher das Aushalten der
selbstgefundenen Antwort. Diese wird sich
den Fragen aus den Exerzitien stellen, die
paraphrasiert im Film aufgegriffen werden:
„Was habe ich für Christus getan? Was tue
ich für Christus? Was soll ich für Christus
tun?“ Jörg Nies SJ
Silence. Ein Film von Martin Scorsese mit Andrew
Garfield, Adam Driver u. Liam Neeson. Drehbuch: Jay Cocks & Martin Scorsese. Regie: Martin
Scorsese. Concorde Filmverleih GmbH 2016. Kinostart: 2. März 2017.
2
Shūsaku Endō: Schweigen. Roman. Aus dem Japanischen v. Ruth Linhart. Mit einem Vorwort v.
Martin Scorsese u. einem Nachwort v. William
Johnston. Wien: septime 2015. 309 S. Gb. 22,90.
1
Christliche Ethik oder Ethik für Christen?
Anmerkungen zu Gudula Frielings Studie
Die vorliegende Dissertation wurde unter
Betreuung von Thomas Ruster in Dortmund
geschrieben1. Die Autorin, die von 2008 bis
2011 dort Wissenschaftliche Mitarbeiterin
war, bezeichnet sich im Internet selbst als
„Expertin für christlich biblische Wirtschaftsethik“. Anlass ihres Buches ist die
Empörung darüber, dass unsere demokratische, christlich geprägte, auf den Prinzipien
der Menschenrechte und der sozialen
Marktwirtschaft aufbauende Gesellschaft so
wenig Mitgefühl, so wenig Hilfeleistung und
so wenig Willen zur Veränderung zugunsten
all der Millionen und bald Milliarden von
Menschen aufbringt, die Opfer der globalen
Erderwärmung werden (vgl. 21). Auch die
bisherige „Christliche Ethik“ scheint gescheitert.
Dagegen möchte Gudula Frieling – inspiriert von Jon Sobrinos SJ „Christologie aus
der Persepktive der Opfer“ – einen neuen,
biblisch fundierten Ansatz einer „Ethik für
Christen“ (der Sinn dieser unterschiedlichen
Bezeichnungen hat sich mir nicht erschlossen) entwickeln, für die die Solidarität der
Christen mit den Armen und Notleidenden,
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