Presseinformation März | April 2017 Eine der aufsehenerregendsten filmhistorischen Wiederentdeckungen gilt derzeit dem Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland. Das von Olaf Möller kuratierte Projekt nahm seinen Ausgang beim Festival in Locarno und wird 2017 vielfältig ausdifferenziert. In Wien, im Filmmuseum richtet sich der Blick nun auf die enorme Stoßkraft, die das Stil- und Ideen-Gerüst „Film Noir“ im Kino der BRD hatte – nicht nur im Kriminalfilm, sondern auch in anderen Genres. Was hier unter anderem auf dem Spiel steht, ist eine völlig neue Betrachtung dessen, was in unseren Breiten allzu lange als „überholt“ oder „bieder“ abgetan wurde: ein westdeutsches Filmschaffen der 50er Jahre, das für die Malaise dieser Gesellschaft außerordentlich empfänglich war. Kameraleute hatten weltweit starken Anteil an der Kultur des Film Noir – und einem Kameramann ist auch die zweite Schau des Monats gewidmet: Peter Suschitzky. Bei ihm, dem Sohn des aus Wien emigrierten (und kürzlich verstorbenen) Wolf Suschitzky, handelt es sich allerdings um einen Vertreter der modernen Ära. Um einen, der seit 30 Jahren eine ungewöhnlich enge Arbeitsbeziehung pflegt: jene mit dem großen kanadischen Regisseur David Cronenberg. Wir freuen uns, dass Peter Suschitzky anlässlich dieser Schau nach Wien kommen wird. Am 16. März gedenkt das Filmmuseum einem seiner beiden Gründer und langjährigen Direktoren: Peter Konlechner, der am 18. Dezember 2016 im Alter von 80 Jahren verstorben ist. Ein besonderer Abend rund um einen entscheidenden Erneuerer der heimischen Filmkultur. In den ersten April-Tagen schließlich setzen wir die Reihe retrospektiver „Porträts“ von Ikonen des New American Cinema fort: Das Werk des jung verstorbenen Künstlers, Filmemachers und Theoretikers Hollis Frampton wird im Filmmuseum zum ersten Mal seit 1981 zu sehen sein. Bruce Jenkins, Kurator und Professor für Kunstgeschichte an der School of the Art Institute of Chicago, wird alle Programme vorstellen und über Frampton sprechen. Auch an anderem Ort, bei der Diagonale in Graz, ist im März ein Filmmuseum-Programm zu sehen: This is not America – Austrian Drifters widmet sich dem Zusammenspiel von Pop und Film. BRD Noir Der bundesdeutsche Film der 1950er Jahre ist seit Dekaden ein weißer Fleck auf der cinephilen Kinoweltkarte. Wenn man sich’s einfach machen wollte, könnte man behaupten: Schuld daran ist das Junge Deutsche Film-Establishment, das spätestens seit dem Oberhausener Manifest (1962) so vehement gegen das Kino der Vätergeneration Front machte, dass man irgendwann aufhörte, nach der Produktion der Adenauerjahre zu fragen. Man glaubte einfach, dass hier nur peinliche Unterhaltung von korrupten Regieroutiniers rausgehauen worden wäre. Partiell stimmt das durchaus. Aber die Wirklichkeit ist ungleich komplizierter, denn: Schon weite Teile der Nachkriegsfilmkritik in Deutschland agitierten nicht nur gegen die als unzulänglich diskreditierte Genrekonfektion, sondern auch gegen das große Kino von Regiestars wie Helmut Käutner oder Kurt Hoffmann, mit dem die BRD international reüssierte. Der bundesdeutsche Film besaß damals weltweit eine bemerkenswerte Präsenz, auf Festivals wie im Verleihalltag; er wurde von renommierten Kritikern häufig gelobt und gewann zudem allerhand Preise (so erhielt von 1954 bis 1959 jedes Jahr auch mindestens eine BRD-Produktion den stets ex aequo ausgelobten Golden Globe für den Besten Ausländischen Film des Jahres). Zuhause aber, so scheint es, konnte dieses Kino nie etwas richtig machen. Das passt wiederum perfekt zu einem Land, welches Heinrich Böll in seinem Essay Hierzulande (1960) als „ungenau“ bezeichnete. Damit meinte er, dass die BRD nie dem entsprach, was man sich von ihr erwartete – sie war immer schlechter und besser als man dachte, widersprach jedem Klischee und machte es politisch niemandem recht, am wenigsten sich selbst. Kurz: Das Land war eine einzige Neurose – und damit der perfekte Nährboden für einen film noir, so innerlich zerfetzt, von Dämonen bevölkert und Albträumen gequält wie keine andere Erscheinungsform dieses Stils in Europa. Noir konnte in der BRD alles sein, nicht nur der Kriminalfilm in sämtlichen Spielarten vom Journalistenreißer (Der Fall Rabanser) über den Kalten-Krieg-Spionagethriller (Victor Vicas‘ Weg ohne Umkehr) bis hin zum Justizkrimi (Der letzte Zeuge von Wolfgang Staudte). Auch der Heimatfilm konnte tres noir werden (wie im erstaunlichen Todesmelodram Rosen blühen auf dem Heidegrab); detto der Horrorfilm (1950: Vom Teufel gejagt, 1959: Die Nackte und der Satan) und natürlich auch das bundesrepublikanischste aller Genres, der Zeitfilm (Sündige Grenze und Nasser Asphalt). Nicht zu vergessen: das Liebesdrama (Der gläserne Turm); der von Halbstarken belebte Straßenfilm (Gerd Oswalds Am Tag, als der Regen kam); und die allen Zuordnungen sich verweigernden Experimente in Erzählperspektiven-Verschiebung wie Peter Pewas‘ Viele kamen vorbei, die Seelenstudie eines Serienmörders. Noir war fast die einzige Art und Weise, wie man über die Verhältnisse in der BRD angemessen sprechen konnte – der Realismus einer Nation voller odds against tomorrow. In diesem Kino findet man denn auch einige der wahrhaftigsten Bilder dieses Landes – gesehen oft von Emigranten, Remigranten oder Regisseuren, die ihre Heimat aus politischen Gründen verließen. Es brauchte vielleicht einen Tschechen, um das Niemandsland an der innerdeutschen Grenze, die Fluchten und Tunnel unter der Reichskanzlei als eine Stein- und Unkrautwüste zu zeigen (Die Spur führt nach Berlin von Franz Cap); einen Hollywood-erfahrenen Regieroutinier, um die US-Stützpunkte im BRD-Hinterland in ihrer ganzen verführerischen Verkommenheit schillern zu lassen (Die goldene Pest von John Brahm); einen Unbehausten mit Nazipropaganda-Vergangenheit und zerschlagenen Amerika-Träumen, damit Westberlin zwischen Brache und Architektur-Aufbruch sein singuläres Flair entfalten konnte (Banktresor 713 von Werner Klingler). Hier zeigt sich die BRD von ihrer welterfahrungshungrigsten Seite – hier träumt sie von Pulp-Helden, gibt sich gefährlich wie das mythenumrankte Chicago der 1930er, sucht den Anschluss rückwärts, zur Weimarer Moderne, sowie seitwärts zu allem, was aufregend und neu ist im Kunstlebens Frankreichs, Italiens, der USA. Diese Filme sind eine Schule des Sehens für den BRD-Film der Adenauerjahre – ein Schlüssel, der es ermöglicht, dieses Kino als Ganzes noch einmal anders zu befragen. Erfahrbar wird eine Filmkultur der Brüche, die alle politischen und sozialen Fragen jener Jahre verhandelt, manchmal allegorisch, manchmal erstaunlich direkt. Und es zeigt sich ein Kino, dessen Zeit erneut gekommen ist: Die Trümmer und Grenzverläufe sind andere, die Flüchtlinge strömen aus neuen Richtungen herein, die politischen Allianzen haben sich verschoben – doch gewisse Machenschaften der Mächtigen sind dieselben geblieben, und auch an den Verhältnissen zwischen den Geschlechtern hat sich weniger verändert, als wir uns weismachen wollen. Es gibt noch viel zu lernen. Olaf Möller, Kurator der Schau, wird zahlreiche Einführungen sowie einen Vortrag über den westdeutschen Kriminalfilm der Jahre 1949–53 halten. 10. März bis 2. April 2017 2 Für Peter Konlechner Am 18. Dezember 2016 ist Peter Konlechner im Alter von 80 Jahren gestorben, am 10. Jänner 2017 wurde er zu Grabe getragen: „a larger-than-life personality“, so die MoMA-Kuratorin Eileen Bowser, „dieser geniale Konlechner“ (Herbert Achternbusch). Jedes Mal, wenn man das Österreichische Filmmuseum besucht, kann man unmittelbar das Großartige berühren, das er und Peter Kubelka, die Gründer und Leiter dieses Hauses bis 2001, geschaffen haben. Ein bisschen von dem vielen, das es zu Peter Konlechners „Larger-than-Lebensleistung“ zu sagen gäbe, soll im Rahmen einer Gedenkveranstaltung am 16. März zur Sprache kommen – mit einigen seiner Wegbegleiter/innen als Gästen und mit Filmen bzw. Video- und Tondokumenten von den 1960er Jahren bis in die jüngste Gegenwart. 16. März 2017 Peter Suschitzky │ David Cronenberg Im britischen Kameramann Peter Suschitzky (*1941) hat der kanadische Ausnahmeregisseur David Cronenberg (*1943) vor knapp drei Jahrzehnten einen kongenialen Partner gefunden. Seither haben sie elf Spielfilme gemeinsam realisiert – eine der überragenden Kollaborationen des Gegenwartskinos. Das Filmmuseum zeigt sämtliche dieser Werke, begleitet von einem WienBesuch Suschitzkys, der am 26. und 27. März über sein Metier und über diese außergewöhnliche „Langzeitbeziehung“ sprechen wird. Als Sohn des emigrierten Wiener Kameramanns und Fotografen Wolf Suschitzky (Get Carter) wurde Peter der Beruf praktisch in die Wiege gelegt: Seit den 1960ern arbeitete er mit so unterschiedlichen Autorenfilmern wie Kevin Brownlow, Ken Russell, Peter Watkins und John Boorman, drehte aber auch Blockbuster-Spektakel wie den zweiten Star Wars-Film The Empire Strikes Back. Doch die Begegnung mit Cronenberg führte zu einer „Berufsehe“, so Suschitzky: „Ich arbeite lieber an intimen Filmen – intensiven Filmen wie seinen.“ Ein Musterbeispiel für diese oft beunruhigende Intensität war bereits die erste Zusammenarbeit Dead Ringers (1988) – zugleich auch ein visuell bahnbrechender Film, was die Realisierung der Doppelrolle von Jeremy Irons als gestörtem Gynäkologen-Zwillingspaar betrifft. Die ganz auf intuitivem (Ein-)Verständnis basierende Methode von Cronenberg und Suschitzky hat sich in zehn weiteren Filmen bewährt, darunter moderne Klassiker wie Crash (1996), A History of Violence (2005) oder Cosmopolis (2012), ein Film, der zu 90 Prozent in einer Limousine gedreht werden musste: „Jedes Mal andere Herausforderungen“, so Suschitzky – und dabei ein Œuvre wie aus einem Guss in seiner Klarheit, Präzision, seinem unverwechselbarem Tonfall. Das Projekt findet in Kooperation mit dem Stadtkino Wien und der Diagonale statt. Im Stadtkino präsentiert Peter Suschitzky am 31.3. den Kinostart des neuen Dokumentarfilms „Auf Ediths Spuren“ von Peter Stephan Jungk; in Graz ist er am 1. April zu Gast bei einer Hommage an seinen Vater, organisiert von SYNEMA und der Diagonale. 22. März bis 6. April 2017 3 Hollis Frampton Mit Hollis Frampton (1936–1984) würdigt das Filmmuseum nach Bruce Baillie eine weitere Zentralfigur der New American Cinema-Revolution der Sechziger und Siebziger Jahre – diesmal nicht an der West-, sondern der Ostküste. Der in Ohio geborene Frampton zog nach einem prägenden „Lehrjahr“ 1957/58 beim Dichter Ezra Pound nach New York, um sich als bildender Künstler zu etablieren. Von der Fotografie kam er zum (16mm-)Film und wurde schon bald als Visionär des Strukturellen Films gefeiert. Er selbst empfand diese Bezeichnung freilich als einschränkend – ihm ging es, auch in seiner Arbeit als Film- und Kunsttheoretiker, um eine Fusion von Wissenschaft und Poesie. Die strenge Form ist in seinem Œuvre eng verschweißt mit den Kräften des Sinnlichen und einer großen Verspieltheit. Einen Instant-Meilenstein setzte Frampton mit dem Einstünder Zorns Lemma (1970), der die Buchstabenkette des Alphabets in immer komplexere Bildfolgen überführt. Dieses perfekte Exempel strukturellen Filmdenkens ist zugleich ein vieldeutiges und witziges Kino-Rätsel. In (nostalgia) (1971) wiederum genügen zwölf seiner Fotos, eine heiße Herdplatte und eine – zeitlich versetzte – autobiografische Erzählung aus dem Off, um ein ganzes Borges-Labyrinth aus Wort, Bild und Erinnerung zu beschwören. Mit (nostalgia) beginnt Framptons großer Hapax Legomena-Zyklus, dem das aberwitzige, auf 36 Stunden Gesamtdauer konzipierte Magellan-Projekt folgen sollte. Doch sein früher Krebstod mit 48 Jahren verhinderte die Fertigstellung. Die realisierten Teile aus Magellan – etwa das glühende Hochofen-Gedicht Winter Solstice (1974) oder Gloria! (1979), eine Verbindung aus frühen Stummfilmen und (damals neuester) Computertechnologie – zeigen Frampton als Pionier bis zuletzt. Sein singulärer Entwurf zum Kino als Kunst ist immer noch ein Zukunftsversprechen. Hollis Framptons Werke werden in vier Programmen gezeigt, vorgestellt von Bruce Jenkins, Kurator und Professor für Kunstgeschichte an der School of the Art Institute of Chicago. 3. bis 6. April 2017 Diagonale: Filmmuseum on location This is not America – Austrian Drifters Auf Einladung der Diagonale kuratiert das Österreichische Filmmuseum jedes Jahr ein FestivalSpezialprogramm. Der heurige Themenschwerpunkt ist dem Zusammenspiel von Pop und Film in Österreich gewidmet. Das sechsteilige Programm This is not America – Austrian Drifters geht von jenem Moment aus, als mit der Besetzung der Wiener Arena im Sommer 1976 Pop, Film und politische Haltung einander in besonderer Weise näher rückten. Die Figur des Drifters steht im Zentrum einer Bewegung, die herausfinden möchte, wie Popkultur in Filmen sichtbar wird, was an Pop grundlegend filmisch sein könnte und wie Pop und Film sich gegenseitig infizieren – sei es in dokumentarischen Zugängen oder fiktionalen Formen. Die Schau versammelt Arbeiten von John Cook, Peter Ily Huemer, Barbara Albert, Kurt Kren, Dietmar Brehm, Karin Fisslthaler u.v.a. 29. März bis 2. April 2017, Diagonale (Graz) 4 BRD Noir. Die Filmauswahl Schicksal aus zweiter Hand 1949, Wolfgang Staudte Epilog 1950, Helmut Käutner Der Fall Rabanser 1950, Kurt Hoffmann Vom Teufel gejagt 1950, Viktor Tourjansky Sündige Grenze 1951, Robert A. Stemmle Der Verlorene 1951, Peter Lorre Die Alm an der Grenze 1951, Walter Janssen Die Spur führt nach Berlin 1952, Franz Cap Rosen blühen auf dem Heidegrab 1952, Hans H. König Weg ohne Umkehr 1953, Victor Vicas Die goldene Pest 1954, John Brahm Die Ratten 1955, Robert Siodmak Viele kamen vorbei 1956, Peter Pewas Banktresor 713 1957, Werner Klingler Der gläserne Turm 1957, Harald Braun Nachts, wenn der Teufel kam 1957, Robert Siodmak Es geschah am hellichten Tag 1958, Ladislao Vajda Nasser Asphalt 1958, Frank Wisbar Die Nackte und der Satan 1959, Victor Trivas Am Tag, als der Regen kam 1959, Gerd Oswald Der letzte Zeuge 1960, Wolfgang Staudte Schwarzer Kies 1961, Helmut Käutner Weitere Informationen und Fotos finden Sie auf www.filmmuseum.at oder Sie wenden sich direkt an: Alessandra Thiele, [email protected], T + 43 | 1 | 533 70 54 DW 22 5
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