Nummer 49 / Februar 2017 Zeitung für bos- und lachhafte Schreibkunst Ahnungslos first Brexit Brief an den Landwirtschaftsminister Friends Keith Safari Sixpack Dead Man Walking Wellness Wenn einer etwas bauen tut, dann... Die Anekdote von der Schote Peter Häring, Eichendorffstr. 24d, 92318 Neumarkt www.ahnungslos-online.de Editorial Ursprünglich sollte diese Ausgabe Make Ahnungslos great again heißen, aber dann dachte ich mir, Ahnungslos ist ja schon great. Anschließend verfiel ich auf Ahnungslos zerscht, was aber möglicherweise manchen Leser nichtbayrischen Blutes in tiefe Ratlosigkeit gestürzt hätte. Man muss heutzutage ja auf so viele Befindlichkeiten Rücksicht nehmen. In redaktioneller Liebe Euer Ahnungslos first 2 Brexit Langsam entfernte sich Britannien in Richtung Norden. Am Rande des Kontinents standen die Menschen und schauten stumm hinterher. Am Rande Britanniens standen ebenfalls Menschen und schauten herüber zum Kontinent. Sehen konnten sie sich dabei nicht, denn dazu waren sie zu weit von einander entfernt, wie schon seit Menschengedenken. Nordirland bewegte sich keinen Millimeter. Stur und standhaft krallte es sich an der Republik fest. Bei Schottland sah es zunächst so aus, als könnte es sich nicht aus Englands Umklammerung lösen, doch nachdem man etwa 50 Kilometer gemeinsam zurückgelegt hatte, begann sich ein Riss entlang der Grenze von der Nordsee bis zur Irischen See zu bilden, der über Stunden tiefer und tiefer wurde, bis sich Schottland endlich von seinem südlichen Nachbarn trennen konnte und gen Osten entfloh, in die Mitte der Nordsee. England trieb alleine weiter, nur Wales haftete unverbrüchlich an ihm. Als Cornwall an Nordirland vorbeigeschrammt war, drehte England, getrieben von ihm wohlgesonnenen Winden, seinen Kurs auf Südwest, in der Absicht, vor der Küste Neuenglands Anker zu werfen, als das 'echte' Neuengland sozusagen. Die USA waren mit diesem Arrangement einverstanden gewesen, hatten sich nur ausbedungen, dass einige Meilen Atlantik zwischen dem amerikanischen Kontinent und England verbleiben mussten, was vollkommen den Wünschen Englands entsprach, denn ein anderes als ein Inseldasein konnte man sich dort sowieso nicht vorstellen. Der Atlantik war fast zur Hälfte überquert, als Kleinbritannien in einen Jahrhundertorkan geriet, der den Kurs der Insel unaufhaltsam auf Nordwest drehte, Richtung Kanada. Tage- und nächtelang tobte der Sturm, so als ob er die Insel und seine Bewohner für irgendetwas bestrafen wollte. Als er sich legte befand sich England westlich der Südspitze Grönlands und hatte sich unglücklich zwischen Labrador und Baffin Island verkeilt. Noch dazu hatte es dabei eine Vierteldrehung vollzogen, sodass Nordengland jetzt Westengland war und die Hudsonstraße wie ein Pfropfen verschloss. 3 Ahnungslos first Wales lag nun, genau wie die Städte Bristol und Liverpool, im Süden der ehemaligen Insel, London im Nordosten. Böse erwischte es die Isle of Man, die zwischen Labrador und das englische Festland geriet und dabei knirschend ihr Leben aushauchte. Glücklicherweise war die Insel schon beim Auschecken aus Europa vorsichtshalber evakuiert worden, sodass es - außer dem starrköpfigen Leuchtturmwärter von Cregneash - keine Menschenleben zu beklagen gab. Die neue geographische Lage des nicht mehr ganz so Vereinigten Königreichs gefiel nicht nur den 56 Millionen Untertanen nicht, schließlich hatte man sich auf eine gute Nachbarschaft mit Massachusetts, Connecticut und New York City gefreut. Die Lage gefiel auch den Russen und den Chinesen nicht, denn England verstopfte nun den Ein- bzw. Ausgang der Nordwestpassage, der mittlerweile gern genutzten Abkürzung von und nach Asien. Die beiden Länder forderten England ultimativ auf, den Weg in die Passage unverzüglich wieder freizugeben. Wie denn?! fragte England, woraufhin Russen und Chinesen die Köpfe zusammensteckten und dann ihre Schiffe wieder durch den Panamakanal schickten. Den Neuankömmlingen standen schwierige Jahre bevor. Die Themse, die nunmehr nach Nordosten gen Grönland floss, fror regelmäßig zu und mit ihr natürlich Londons Hafen. Liverpool erging es mit dem Mersey nicht besser. Zumindest eine neue touristische Attraktion hatte Kleinbritannien zu verzeichnen, den Eisbären. Dankbar für das große Nahrungsangebot in dem so plötzlich hinzugewonnenen Jagdrevier vermehrte sich Ursus maritimus prächtig, wohingegen die Zahl der britischen Kühe, Schafe und Haushunde rapide abnahm. Um die Hühner kümmerte sich der ebenfalls einwandernde Polarfuchs, wobei seine Immigration naturgemäß sehr unkontrolliert verlief, was sogleich die ehemaligen Verfechter des Brexits auf den Plan rief, die lautstark eine sofortige Schließung der Grenzen verlangten. Die Landwirte beklagten sich derweil bitter über die ihrem Berufszweig von Januar bis Dezember durchgehend abträglichen Temperatur- und Witterungsverhältnisse und verlangten Schadensersatz von der Regierung, schließlich hatte man ihnen nach dem Verlassen der Europäischen Union blühende Landschaften versprochen. Abgesehen von Ahnungslos first 4 Eisblumen blühte in der Tat nicht mehr viel. Wo vorher Kartoffeln und Weizen und Schafe und Rinder gediehen, wuchsen jetzt Flechten und Moose und das Stängellose Leimkraut. Die Kochelite des Landes gab sich zwar alle Mühe, aus diesen Zutaten innovative Gerichte zu entwickeln, doch außer einem kulinarisch bedenklichen Mossburger brachte sie wenig zustande. Bald hüllten Treibhäuser das Land in einen zerbrechlichen Cocon. Auf seinem Weg durch den Atlantik waren England sämtliche Badestrände abhanden gekommen, kein großer Verlust angesichts neuer sommerlicher Höchsttemperaturen von 12°C. Alle Frei- und Strandbäder wurden geschlossen, was den Gemeinden enorme Einsparungen bescherte, die aber zum Kummer der Stadtkämmerer gleich wieder in Räum- und Streufahrzeuge investiert werden mussten. Die britische Autoindustrie versuchte sich an einer eigenständigen Produktion derartiger Spezialfahrzeuge, erlitt dabei allerdings mit dem Lotus Avalanche und dem McLaren Snow White böse Schiffbruch. Die Räumleistung der Fahrzeuge war verheerend. Offensichtlich hatten sich die Konstrukteure beim Design des Räumschilds zu sehr an den aerodynamischen Anforderungen eines Spoilers orientiert. Einen ungeahnten Boom erlebte dagegen das Baugewerbe. Neben den zwangsläufig notwendigen Gebäudeisolierungen ließen viele Bauherren ihre Terrasse oder ihren Balkon verlegen. Denn wo vorher Süden war, war jetzt Osten, wo vorher Osten, jetzt Norden und so weiter, und da die Sonne in ihrem natürlichen Lauf vermutlich nicht nachgeben würde, mussten es eben die Gebäude tun. Emsig wurden landauf landab Terrassen abgetragen und um die nächste Hausecke herum wieder angebaut. Die Tatsache, dass dafür viele Grundstücke nur bedingt geeignet waren, sorgte für zahllose Nachbarschaftsstreitigkeiten, was wiederum das Anwaltsgeschäft beflügelte und den Apotheken Rekordumsätze bescherte. Nicht alles war also schlecht auf 60° N. Die Attraktivität der Premier League sackte zügig auf Kreisklassenniveau. Schuld daran waren die neuerdings üblichen Permafrostböden, die im Sommer gar nicht und in den restlichen Monaten nur mit Knie- und Ellbogenschonern und Hüftprotektoren zu bespielen waren. Für festen Halt auf dem 'Rasen' sorgten Spikes, leider auch für neuartige Verletzungen, die sich alsbald in den Drehbüchern aktueller Splatterfilme 5 Ahnungslos first wiederfanden. Vor den Arbeitsämtern bildeten sich lange Schlangen ehemaliger Fußballspieler, die auf Eishockey, Curling oder andere Wintersportarten umschulen wollten. Regelrecht tragisch verlief die Entwicklung im Golfsport. Dass mit Schottland die besten Golfplätze des Königreichs verloren gegangen waren, konnte man verschmerzen. Beängstigend jedoch war der Anstieg der Sterberaten auf den verbliebenen Plätzen, hervorgerufen durch die in diesen Breiten heimischen Blizzards, die die Golfspieler samt Zubehör reihenweise und mühelos über die Klippen fegten. Der Buckingham Palast wurde aufgegeben. Zu dieser Maßnahme sah sich die Queen gezwungen, nachdem ihr Schatzmeister nach Sichtung der letzten Heizkostenabrechnung in ein mehrtägiges Koma gefallen war. Die königliche Familie bezog ein kleines Stadtschloss in Chelsea direkt an der Themse und übte sich dort fleißig im Schlittschuhlaufen, wobei es bereits im ersten Jahr im neuen Domizil zu einem schrecklichen Unglück kam, als Prinz Charles sich bei einer gekonnten Biellmann-Pirouette durch die Eisdecke bohrte und auf Nimmerwiedersehen in der Themse verschwand. Mittlerweile beginnen die ersten Briten auszuwandern. Schon haben Kanada und die USA angedroht, ihre See- und Flughäfen für Ankünfte aus England und Wales zu schließen, sollte sich die Ausreisewelle ungebremst fortsetzen. Andere Länder haben sich dem angeschlossen. Doch ein gesperrter Hafen wird die Verzweifelten nicht aufhalten. Sie werden den Weg über Labrador oder über Wasser entlang der kanadischen Küste wagen und es wird zu furchtbaren Tragödien kommen. Eisbären werden sich ihre geschwächten Opfer nach Belieben aus den Flüchtlingstrecks pflücken, draußen auf dem Meer werden überladene Boote an marodierenden Eisbergen zerschellen. Erneut fordert die UK Independence Party (UKIP) lautstark eine Abstimmung über einen Austritt, diesmal aus der Hudsonstraße. Der Sieg ist ihr gewiss. Ahnungslos first 6 Keith Mein Rasierwasser war zu Ende. Eigentlich heißt es ja Eau de Toilette, aber ich sage meist Rasierwasser. Das bin ich so gewohnt aus der Zeit, als es für Männer gar nichts anderes gab und die Haut nach Gebrauch gebrannt hat, als hätte man sein Gesicht in einen wimmelnden Ameisenhaufen getaucht. Also ging ich ins Fachgeschäft und kaufte ein neues Eau. Die Auswahl geht bei mir recht schnell, denn ich wechsle in der Regel zwischen zwei Anbietern (für Follower: Armani und Boss). Zum Dank, ich nahm die große Flasche, packte mir die Verkäuferin noch eine kleine Gratisprobe mit ein. Zuhause sah ich dann, was die Frau mir da mitgegeben hatte. Es war kein neues, revolutionäres Duftwässerchen, es war eine Creme. Auch recht, dachte ich, bis ich sah, was auf der Packung stand: Reparationsgel bei ausgeprägten Falten. Bitte?! Sollte da nicht was stehen von Der perfekte Duft für den perfekten Mann oder L'Odeur pour Pierre, von mir aus auch nur Creme die gut riecht? Doch da stand: Reparationsgel. Man repariert Dinge, die kaputt sind. Wen hatte die Verkäuferin in mir gesehen? Keith Richards? Ich las weiter: Regenerierende Gel-Creme für anspruchsvolle Männerhaut. Festigt die Haut und lässt Falten gemildert erscheinen. Die Gesichtszüge sind sichtbar gestrafft. Also Botox in der Tube. Wenigstens, so dachte ich, hat mir die Frau anspruchsvolle Haut zugebilligt. Hätte sie meine Haut als anspruchslos klassifiziert, wäre ich vermutlich mit einem Flakon Maschinenöl oder einem Bogen Schleifpapier beschenkt worden. 7 Ahnungslos first Sicherheitshalber eilte ich an den Badezimmerspiegel: Na ja, ok. Ein Fältchen hie und da, schließlich bin ich keine 25 mehr. Na gut, Falten. Na gut, ausgeprägte Falten. Trotzdem habe ich dieses ehrabschneidende Produkt sofort weggeworfen. Keith hätte, da bin ich mir sicher, nichts anderes getan. Sixpack Mit zittrigen Fingern tastete Jana über die wunderbar gleichmäßigen, sinnlichen Rundungen. Ihre Finger waren noch kalt von den winterlichen Temperaturen draußen, hatte sie doch erst vor ein paar Minuten die Wohnung betreten. Drin war sie nur schnell aus ihrem Mantel geschlüpft und dann ohne Umschweife zur Sache gekommen, wie sie das immer tat. Vorgeplänkel - erst mal eine Tasse Kaffee oder so was in der Art - war ihr ein Gräuel. Langsam wurden ihre Finger wärmer, das Gefühl kehrte in die Fingerspitzen zurück, sodass Jana jetzt etwas fester zupacken konnte. Nicht zu fest natürlich, damit war schließlich keiner Seite gedient. Stück für Stück arbeitete sie sich behutsam über die festen und doch so empfindlichen Wölbungen. Zufrieden mit der Qualität der Eier legte sie sie in den Kühlschrank. Das nächste Mal, dachte Jana, nehme ich gleich eine Zehnerpackung. Ahnungslos first 8 Safari "Da! Da ist einer!" rief der Mann aufgeregt und deutete mit seiner freien linken Hand auf ein erwachsenes Männchen, das sich beim Anblick des Fahrzeugs und der sich darauf befindlichen Touristen zu seiner vollen Größe aufrichtete. Die rechte Hand des Mannes drückte ekstatisch auf den Auslöser. Ruckartig bewegten sich die Köpfe der übrigen Passagiere in die angezeigte Richtung. Wieder klickten die Kameras. Der Guide bedachte den Mann mit einem scharfen Blick, hatte er ihnen allen doch vor Antritt der Pirschfahrt eingeschärft, sich besonnen und leise zu verhalten, um die hiesige Fauna so wenig wie möglich zu stören. Langsam fuhr der Jeep weiter. Auf seiner umgebauten Ladefläche hockten ein USamerikanisches, ein schweizerisches und ein deutsches Ehepaar, allesamt jenseits ihrer statistisch zulässigen Lebensmitte. Die Sichtung eben war die erste gewesen. Gestern hatte es schon eine Ausfahrt gegeben, in eine andere Gegend, doch zur großen Enttäuschung der Touristen war eine Sichtung ausgeblieben. Natürlich hatte das zu Gegrummel unter den Reisenden geführt, schließlich habe man gutes Geld bezahlt und dürfe dafür auch gute Leistung erwarten. Der Guide hatte zwar daran erinnert, dass es keine Garantie auf eine Sichtung geben könne, trotzdem blieb die Stimmung unter den Reisenden gestern Abend getrübt. Aber jetzt war der Frust wie weggewischt. "Da ist noch einer!" flüsterte der gleiche Mann von vorhin, der Deutsche. "Mit zwei Weibchen!" Dem Schweizer fiel vor Aufregung die Kamera aus der Hand und von der Ladefläche. Sofort stoppte der Jeep, der einheimische Fahrer, gleichzeitig ihr Guide, bedeutete dem Unglücklichen, auf der Ladefläche sitzen zu bleiben, sprang aus dem Führerhaus, ging zügig um das Fahrzeug herum, schnappte sich die Kamera und setzte die Fahrt im nächsten Moment wieder fort. Fünf Augenpaare richteten sich vorwurfsvoll auf den Schweizer, der sich seine Kamera jetzt um so sorgfältiger um den Hals hängte. 9 Ahnungslos first "Oh my God, oh my God!" kreischte kurz darauf die Amerikanerin und gestikulierte wild nach hinten. "Kids!" Wieder der strafende, aber nutzlose Blick des Guides. Ja, da waren sie, vier an der Zahl, und starrten neugierig zu ihnen her. Ein schon älteres Weibchen stellte sich sogleich schützend vor sie, ein junges, allem Anschein nach schlecht gelauntes Männchen gesellte sich dazu. "Wahnsinn!" sagte der Deutsche. Die Kameras verrichteten Schwerstarbeit. Der Jeep erklomm nun einen kurzen, aber steilen Hang. Oben machte der Pfad eine scharfe Rechtskurve, hinter der im Gras rechts und links des Wegs unverhofft mehrere Männchen in der Nachmittagssonne dösten. Die Anspannung unter den Touristen stieg spürbar. Zur Freude des Guides verhielten sie sich diesmal jedoch vollkommen ruhig, selbst die Kameras schwiegen. "No problem", beruhigte der Guide seine Schäfchen und sich selbst und manövrierte das Fahrzeug samt seiner wertvollen Fracht routiniert durch die Gefahrenzone. Nach etwa zwei Stunden war die Pirschfahrt durch die Favela von Rio vorüber. Die überglücklichen Touristen bedachten ihren Guide/Fahrer mit überschwänglichem Dank und einem mehr als großzügigen Trinkgeld. "Great", sagte der Amerikaner, "very authentic." "Genau", sagten die Schweizer. "Genau", sagten die Deutschen. Ahnungslos first 10 Wellness Da lag ich also auf der Massageliege, auf dem Bauch, Gesicht im Atemloch, und schaute hinunter auf den Holzfußboden, auf dem eine Vase mit einem Sträußchen roter Rosen stand. Mir gefallen Blumen. Aber man kann mir mit ihnen keine Freude bereiten, indem man sie mir schenkt oder indem man sie mir zu meiner Erbauung vor die Nase stellt. Ungepflückt draußen auf der Wiese sind sie mir lieber. Womit man mir hier tatsächlich eine Freude hätte machen können, wäre etwa gewesen, unter mir statt des Blumensträußchens ein frisch eingeschenktes Weißbier zu platzieren. Das hat ja auch eine Blume. Allerdings, das muss ich zugeben, wäre der schöne Anblick nicht von langer Dauer. Außerdem, selbst wenn ich das Glas mit meinen Händen hätte erreichen können, wie hätte ich es trinken sollen, so mit dem Gesicht nach unten? Nach einem überlangen Strohhalm verlangen? Die Masseurin bitten, mir das Getränk von der Seite her schlückchenweise einzuflößen, nur um bei knackenden Halswirbeln und trotz Udo Lindenbergscher Stülplippen die Hälfte des Nektars auf den Boden plätschern zu sehen? Nein, ein frisch eingeschenktes Weißbier wäre keine echte Alternative. Aber wie dieses Beispiel zeigt, es tut dringend Not, auch auf der Massageliege, beziehungsweise unter ihr, mehr auf geschlechtsspezifische Bedürfnisse einzugehen. Für die Frauen ein Blumenstrauß oder ein Schuhkatalog, für die Männer ein Männermagazin oder ein anderes Männermagazin, zum Beispiel. Das wäre nur fair. Da Mann dabei auf dem Bauch liegt, entstehen auch keine kompromittierenden Situationen. Ich weiß, das ist ein etwas einfältiges Geschlechterbild und demzufolge politisch nicht korrekt, aber ist es deswegen falsch? 11 Ahnungslos first Wenn einer etwas bauen tut, dann ... Das Bauvorhaben ist nach Art. 55 BayBO genehmigungspflichtig. Die Stadt Neumarkt i. d. Opf. ist nach Art. 53 BayBO i. V. mit Art. 3 Abs. 1 Nr. 1BayVwVfG und §1 Nr. 1 GrKrV zur Entscheidung über den Bauantrag sachlich und örtlich zuständig. Das Bauvorhaben ist aus städtebaulicher Sicht vertretbar. Schön zu wissen, dass unser Bauvorhaben die berühmte Skyline der Stadt Neumarkt nicht verschandelt. Das hätten wir nicht gewollt. Nebst obiger Abkürzungsorgie umfasst die Akte unseres Bauantrags inklusive aller Rechtsbelehrungen, Merkblätter, Katasterauszüge, Unterschriftsblätter, Anträge und Anzeigenformulare 30 Seiten. Dreißig Seiten. Man könnte nun aus diesen 30 Seiten schließen, dass wir beabsichtigt hätten, unser Häuschen um ein olympiataugliches Hallenbad oder drei Stockwerke plus Heliport zu erweitern. Doch es ging nur um eine Dachgaube. Genauer gesagt um die Erweiterung einer Dachgaube von einem auf zwei Meter Breite. Ergibt circa eine Aktenseite auf drei Zentimeter neuer Gaube. Da ist man als Bauherr schon ein bisschen stolz, dass das eigene Bauvorhaben von den Stadtplanern ernst genommen und vom zuständigen Baudezernenten nicht einfach mit einer Postkarte abgetan wird, auf der steht: Fangts halt an. Natürlich sind Vorschriften und entsprechende Genehmigungsverfahren sinnvoll, wenn man etwas bauen will, was die Sonne über Nachbars Grundstück nur noch am 21. Juni für eine halbe Stunde aufgehen lässt oder den Flugverkehr beeinträchtigen könnte. Die Verbreiterung einer Gaube erfüllt diese Kriterien meines Erachtens nicht, wenn man mal vom Flugweg einer verirrten Silvesterrakete absieht. Insofern hätte es also ein einfaches Fangts halt an auch getan. Ahnungslos first 12 An Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt Sehr geehrter Herr Minister, schon länger trage ich mich mit dem Gedanken, mich direkt an Sie zu wenden, doch hegte ich immer die Hoffnung, ich könnte mir diesen Brief sparen und Sie kommen irgendwann von selbst drauf. Leider habe ich mich getäuscht, Sie kamen nicht von selbst drauf. War wohl doch zu viel verlangt. Mein Anliegen, das ich gerne zu Ihrem Anliegen machen möchte, ist ganz einfach: Bitte lösen Sie ihr Ministerium auf. Bevor Sie jetzt empört aus Ihrem Ministersessel fahren und diesen Brief ungelesen in den Papierkorb werfen, lassen Sie erst meine Argumente auf sich wirken: 1) Obwohl Sie von der Gesamtheit der Bundesbürger bezahlt werden, und das sind ich habe das nachgeprüft - in der Mehrheit keine Landwirte, präsentieren Sie sich als oberster Bauernlobbyist. Die Bauern haben aber bereits eine eigene Standesvertretung, den Bauernverband. Sie kennen ihn aus vielen feucht-fröhlichen Zusammenkünften anlässlich der Krönung irgendeiner Wein- oder Wurst- oder Kartoffelkönigin. Dafür gibt es zahlreiche Bildbeweise. Merke: Ein Ministerium ist keine Standesvertretung. 2) Kein anderer Wirtschaftszweig in der Bundesrepublik hat ein eigenes Ministerium. Nicht Dienstleistung und Handwerk, nicht der Bau, nicht der Handel, noch nicht einmal die Automobilindustrie. Obwohl einen zugegebenermaßen manchmal durchaus Zweifel beschleichen, ob Ihrem Kollegen Dobrindt bekannt ist, dass es sich auch bei Bahn, Fahrrad und Fußgängern um Verkehrsteilnehmer handelt. Merke: Die Bundesrepublik hat schon ein Wirtschaftsministerium. 3) Es gab schon einmal ein Ministerium, das wegen Überflüssigkeit abgeschafft wurde: Das Postministerium. Ja wirklich, das gab es. Verrückt, oder? Das ist ja fast so, als gäbe es ein eigenes Ministerium für Reisebüros, oder gar eins für die 13 Ahnungslos first Bauern. (T'schuldigung, das ist mir jetzt so rausgerutscht). Auf Betreiben des damaligen Postministers Wolfgang Bötsch wurde es 1998 aufgelöst. Was für ein mutiger und weitsichtiger Mann! Merke: Mit der Abschaffung Ihres Ministeriums setzen Sie sich selbst ein Denkmal. Ich weiß, diese Fakten treffen Sie jetzt völlig unvorbereitet und machen Ihnen Angst. Die Wahrheit ist oft schmerzhaft. Besprechen Sie das Gelesene in aller Ruhe mit Ihrer Frau oder Ihrer Lieblingsweinkönigin, soviel Zeit muss sein. Für Ihre postministerielle Zukunft wünsche ich Ihnen schon mal alles Gute. Dead Man Walking Mit blauen Plastiktüten an den Füßen und auf dem Kopf und eskortiert von einer Krankenschwester schlurfe ich in den Operationssaal, eigentlich ein Operationszimmer. Die Schwester trägt eine mittels eines Schlauchs mit meiner linken Armbeuge verbundene Flasche Kochsalzlösung vor mir her wie ein Messdiener den Weihrauch bei einer Fronleichnamsprozession. Dass sie dabei keine Fürbitten murmelt nehme ich als Zeichen ihres Vertrauens in den Chirurgen. Das Ambiente des Raums lädt nicht zu längerem Verweilen ein und müsste auf hotel.de mit denkbar schlechten Bewertungen rechnen. Ich kann ja verstehen, dass so ein Raum nach den regelmäßigen Blutorgien leicht zu reinigen sein muss, aber selbst eine Metzgerei verströmt mehr Charme. Schon ein wenig Farbe würde hier Wunder bewirken, mal abgesehen von Rot. Man bittet mich, meinen nur noch spärlich bekleideten und partiell enthaarten Körper rücklings auf dem Operationstisch abzulegen, was ich gehorsam tue. Fünf grüne Ahnungslos first 14 Männchen weiblichen Geschlechts umringen mich, allesamt vermummt von den Zehen bis zum Scheitel. Ich komme mir vor wie das Opfer einer Ebola-Epidemie. Unverzüglich beginnt jede der fünf sich an einem Apparat oder an mir zu schaffen zu machen. Schade dass man erst auf einem OP-Tisch liegen muss, um so viele Frauen für seinen Körper zu begeistern. Der Operateur ist noch gar nicht erschienen, wahrscheinlich wird er erst den Raum betreten, wenn ich schlachtreif bin, begleitet von den Lobpreisungen seiner Assistentinnen und rituell besprenkelt mit einigen Tropfen Opferblut. Dann heißt man mich die Arme ausbreiten wie zur Kreuzigung. Und ich sehe Sean Penn. Und keine Susan Sarandon, die draußen vor dem Fenster sitzt, um mir Mut zu machen für das was jetzt kommt. Denn da ist kein Fenster. Natürlich nicht, denn nichts von dem was gleich passieren wird, soll an die Öffentlichkeit dringen. Die Anästhesistin versucht, mich halbherzig in eine Diskussion über die Zukunft der privaten Krankenversicherung zu verwickeln, gibt mir aber leider nicht genug Zeit, ihr meine Argumente darzulegen, denn gleich darauf outet sie sich als Urheberin des komischen Knisterns in meinem Kopf, und weg bin ich. Als ich wieder aufwache, bin ich an den vereinbarten Stellen operiert. Was sonst vorgefallen ist während meiner etwa einstündigen geistigen Abstinenz weiß ich nicht. Hat man herabwürdigende Witze gerissen über mein orange eingefärbtes Geschlecht? Sudokus gelöst auf meinem Bauch? Nach getaner Arbeit Rotkäppchensekt geschlürft aus meinem Nabel? Ich will es gar nicht wissen. 15 Ahnungslos first Friends "Hallo!?" "Hallo Patti, ich bin's, Bob." "Hi Bob. Lange nichts von dir gehört. Wie läuft's im Westen?" "Gut gut, hatte viel um die Ohren in letzter Zeit, du weißt ja wie das ist." "Ja ja, kenn ich." "Du, Patti, ich muss mal was mit dir besprechen, mir ist da was Verrücktes passiert." "Doch hoffentlich nichts Schlimmes." "Nichts Schlimmes, nein, eigentlich nicht." "Dann lass hören." "Ich kriege den Literaturnobelpreis." "Was?!" "Ich kriege den Literaturnobelpreis." "Du verarscht mich." "Tu ich nicht. Gestern hat mich einer aus dem Nobelpreiskomitee angerufen und mir eröffnet, dass die Wahl dieses Jahr auf mich gefallen ist." "Ich werd' verrückt, das is' ja ein Ding. Herzlichen Glückwunsch!" "Danke. Aber ich kann da nicht hin." "Wohin?" "Nach Stockholm, zur Verleihung." "Warum nicht, bist du krank?" "Nein, mir geht's gut. Aber ich bin Bob Dylan. Ich kann nicht zu einer Preisverleihung." "Geht das wieder los. Aber haben willst du den Preis schon, richtig?" ... "Bob?" "Ja, schon. Aber ich kann da nicht hin, Patti. Ich bin Bob Dylan, verstehst du, Bob Dylan!" Ahnungslos first 16 "Is ja gut, Bob, ich hab's verstanden. Sorry wenn ich das jetzt so geradeheraus sage: Ist dir das Image des Dauerpubertierenden nicht langsam über? Ich meine, du bist jetzt 75. Spring doch endlich mal über deinen Schatten." "Das schaff ich nicht, Patti, dafür ist er einfach zu groß." "Oh Bob, Bob, Bob. Und was willst du jetzt machen? Sollen dir die Schweden den Preis einpacken und nach Malibu rüberschicken oder was?" "Das machen die nicht, er muss abgeholt werden." "Na dann ist die Sache ja klar." "Er muss aber nicht unbedingt vom Preisträger selbst abgeholt werden." "Ach daher weht der Wind. Du willst, dass ich für dich nach Stockholm fliege." "Würdest du das machen?" "Nein." "Ach komm, Patti, stell dich nicht so an. Du kommst doch sowieso nur noch selten aus Queens raus. Ein bisschen Europa würde dir gut tun." "Das glaub ich jetzt nicht. Das hört sich ja so an, als würdest du mir damit einen Gefallen tun. Die gute Patti Smith macht den Laufburschen für den großen Bob Dylan. Vergiss es." "Bitte Patti." "Dann lehn' ihn doch ab. Ist ja nur der Nobelpreis." "Nein, ich will ihn haben! Du bist meine beste Freundin, und beste Freunde tun solche Dinge für einander." "Nobelpreise abholen? Das glaub ich eher nicht." "Bitte Patti, gib dir einen Ruck, ich bin's doch, dein alter Kumpel Bob." "Nein Bob, ich mach das nicht. Was kann ich dafür, dass dein Schatten so groß ist. Und jetzt hör auf, mich anzubetteln, das ist ja furchtbar." "Ist das dein letztes Wort?" "Jepp." Und so kam es, dass Bob Dylan verkleidet als Patti Smith den Nobelpreis für Literatur entgegennahm. 17 Ahnungslos first Die Anekdote von der Schote Liebe rote Chilischote, ich schnitt dich klein mit einem Messer und dachte eigentlich ich wüsst' es besser, doch wie so oft konnt' ich's nicht lassen, mir unbedacht ins Aug' zu fassen. Wie immer war der Schmerz erheblich, um nicht zu sagen unerträglich. Trotz allem bin ich dir nicht böse, im Gegenteil: es dankt dir herzlich mein Gekröse. Ahnungslos first 18
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