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HISTORIE
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DONNERSTAG, 23. FEBRUAR 2017 | SEITE 16
Doppelter Päckchenboden
DDR-Jäger fangen Hasen
für Export nach Frankreich
Die fünfziger Jahre: Damals standen Bücher bei Kindern noch hoch im Kurs
viel (kein Vergleich mit heute, da die Kinderzimmer übervoll mit Spielsachen sind),
so schenkten wir Kinder uns auch gegenseitig Bücher zur Geburtstagsfeier.
In die Kulturräume der Volkseigenen Betriebe wurden auch Schriftsteller eingeladen. „Die Schriftstellerin Alex Wedding
wird im VEB Bau (Goethestraße) aus ihren Büchern lesen.“, wurde uns in der
Schule gesagt. „Wenn ihr Lust habt…“ Da
wir noch nie eine Schriftstellerin gesehen
hatten, ging ich mit meinen Freundinnen
hin. Alex Wedding hieß die Schriftstellerin, eine schöne dunkelhaarige Frau. Sie
brachte mehrere Jugendbücher mit, die
sie geschrieben hatte, las aus ihnen und
erzählte dazu. Ede und Unku hieß ein
Buch, die Geschichte der Freundschaft
eines Berliner Jungen zu einem Zigeunermädchen aus dem Stamm der Sinti, deren Familie zur Zeit des Faschismus umgebracht wurde.
Alex Wedding hatte die Geschichte
nach einem wahren Erlebnis geschrieben. Mich berührte die Geschichte sehr, da oft mit einem Zirkus
auch Zigeuner nach Torgau kamen.
Zum Schluss der Lesung durften wir
Fragen stellten, die sie freundlich
beantwortete. Eine Frage war natürlich nach ihrem komischen Namen,
der aus Berliner Bezirken bestand.
So erfuhren wir, dass ihr Mann F.C. Weiskopf ein berühmter Schriftsteller ist und
sie nicht in seinem Schatten stehen wollte. Ihre eigene Arbeit sollte anerkannt
werden.
Das konnten wir Kinder gut verstehen.
Ein literarisches Erlebnis ganz anderer
Art hatten wir im Theater in der ehemaligen Alltagskirche (heute Gymnasium)
Geschlossen gingen die Klassen zu dieser Veranstaltung, die mit Spannung von
uns erwartet wurde. Der Redner jedoch
versuchte uns beizubringen, was Schundund Schmutzliteratur sei. Als Beispiele
brachte er unter anderem ausgerechnet
Indianergeschichten von Karl May, was
natürlich Widerspruch in den Köpfen vieler Jungen hervorrief. Als er dann auch
noch über die von uns Mädchen heimlich
geliebten Micky-Maus Hefte herzog,
Torgau – früher und heute
TORGAU. Im Dezember kam
ein neues Torgau-Buch
heraus. Das Autorenduo
Bernd Blume und Corinna
Karl-Sander zeigt mit 55
eindrucksvollen Bildpaaren, wie sich die Stadt herausgeputzt hat. Hier die
Spitalstraße.
Quelle: „Torgau. Früher
und heute“ – ISBN:
978-3-95400-780-6
wollten wir am
liebsten nicht mehr zuhören.
Die drei Entchen Tick, Trick und Track
fanden meine Freundinnen und ich niedlich und spaßig. Nun sollten diese Geschichten die Kinder plötzlich zu hab- und
geldgierigen Menschen erziehen. (Ich bin
weder das eine noch das andere geworden)
Zu Festtagen wünschte ich mir stets ein
Heft von einer Tante aus Stuttgart, aber
meist entnahm sie der Zoll an der Grenze, bis die Tante den Einfall mit dem doppelten Päckchenboden hatte.
So erhielt ich doch einige der geliebten
Exemplare. Viele Jahre später brachten
Karl May Bücher dem Staat Devisen und
man konnte sie, wenn auch zuerst nur unter dem Ladentisch, kaufen.
Margot Weiß
TORGAU. Nicht nur die Beschäftigten der
damaligen Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebe (StFB) Oschatz und Torgau – ab
1974 zusammengeschlossen zum StFB
Wermsdorf – können zum Thema Feldhasenexport etwas sagen. Viele der älteren
Jäger, die damals in den Jagdgesellschaften mit Feldjagdgebieten Mitglied waren,
kennen die Problematik ebenfalls aus eigenem Erleben und waren mehrheitlich
wenig erfreut, dabei mitwirken zu müssen.
Der über viele Jahre laufende Hasenexport war ein besonderes Kapitel der Wirtschaftspolitik der DDR. 1968 war seitens
der Forstwirtschaft mit dem Deutschen Innen- und Außenhandel ein längerfristiger
Vertrag abgeschlossen worden. Dessen
Erfüllung bedeutete für die Staatlichen
Forstwirtschaftsbetriebe im Verband der
Vereinigung Volkseigener Betriebe Forstwirtschaft Cottbus Auflagen im Hasenfang im Zeitraum 1968 bis 1976.
Dazu war unter Verantwortung des StFB
Torgau als Leitbetrieb in Doberschütz
eine Umschlagstation für die Verladung
eingerichtet worden, von der aus jeweils
im Zeitraum November bis Februar nahezu 20 000 Hasen für den Export nach
Frankreich versandfertig gemacht wurden. Die in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Jagdgesellschaften unter Federführung des Jagdsachbearbeiters des
StFB zu organisierende Hasenfangaktion
war sehr zeit- und kostenaufwendig. Im
dazu auserwählten Feldgebiet wurden
über größere Strecken engmaschige Netze locker gespannt. Die von einer Treiberkette aufgeschreckten Hasen verfingen
sich in den Netzen und wurden von Fängern an den Hinterläufen gepackt und in
Jutesäcke gesteckt. Nach der Bestimmung des Geschlechts wanderten die Tiere aus den Säcken in eine dreiteilige Kiste, jeweils ein Rammler in die mittlere
Box, flankiert von zwei Häsinnen. Bis zum
Weitertransport nach Doberschütz diente
eine Halle im Sägewerk Luppa für den
Bereich um Wermsdorf als Zwischenstation.
Die Tiere durften nur bis zu drei Tage vor
dem Transport gesammelt werden, Futterverweigerer waren nicht auf den Transport zu schicken. Für die viertägige Bahnfahrt waren genügend Heu sowie Möhren oder Rüben und ein Kolben Mais in
den Boxen zu deponieren. Die Verluste
auf dem Transport betrugen 2,6 Prozent,
wie die Rückmeldung ergab. Alle Hasen
waren mit Ohrmarken „DDR“ zu versehen.
Insgeheim wurde orakelt, wie weit sich
ein Hase am Bestimmungsort (meist
Frankreich) wohl bewegen konnte, bevor
er vor eine Flinte lief. In den 1970er-Jahren war der Bestand an Hasen in weiten
Teilen Frankreichs aufgrund der enormen
Jagdbegeisterung in diesem Land extrem
zurückgegangen. Um für viel Geld an Jäger verpachtete Reviere dennoch ausreichend mit Hasen auszustatten, wurden
sie importiert.
Der Gewinn je Hase wurde 1971 mit 2,84
DDR-Mark ausgewiesen. Ab 1975 sank
das Fangergebnis und es gab Kritiken,
weil das verlangte Geschlechterverhältnis 2:1 den Bestand gefährdete. Die Jagdgesellschaften übten zudem Enthaltung
beim Hasenabschuss. 1976 endete der Export. Heute ist der Hasenbestand in Ostdeutschland deutlich geringer als im Westen.
Eckhard Riedel / A. G.
Die Lampen fingen an zu wackeln
Gab es auch in unserer Gegend schon Erdbeben?
Pilzzucht in alten Gewölben
TORGAU. Heimatkalender sind weit verbreitet. Vor hundert Jahren gab es diese Heimatboten auch für unser Gebiet,
viele Jahrgänge. Damals gehörten Prettin und Annaburg mit Umfeld zum Kreis
Torgau. Die damaligen waren ganz anders als die Torgauer Heimatkalender,
die von 2006 – 2017 publiziert worden
sind. Sehr erfreulich ist zu melden, es
wird damit weiter gehen. Zu DDR-Zeiten gab es vor rund 65 Jahren drei Heimatkalender.
Über diese soll berichtet werden, ohne
Werbung und Wertung. Nicht nur, logischerweise, der Inhalt, auch Gestaltung
und Charakter der Kalender haben sich
auffallend verändert. Das Kalendarium
ist das Schwierigste. Zu jedem Monat einen Beitrag mit Foto zu einem speziellen Themenkreis zu finden ist problematisch und aufwendig. Der Heimatkalender 1957, herausgegeben vom Kulturbund, hat diese Aufgabe elegant und
locker gelöst. Ein passendes Foto zu jeder Jahreszeit ist leicht zu finden. Als
Text dazu wird jeweils ein Gedicht verwendet, vom Eigenprodukt eines Redakteurs bis hin zu Raabe, Storm, Schiller,
Goethe, Hebbel und Weinert. Die Fotos
des Kalendariums sind, der Zeit entsprechend, alle in Schwarz-Weiß. Zahlreiche weitere Abbildungen, Fotos und
Zeichnungen, illustrieren die Broschüre.
Die allermeisten Textautoren und Künstler sind nicht mehr unter uns. Auf die
Angabe von Namen wird verzichtet. Als
angenehm empfinde ich, in allen drei
Ein besonderes Kapitel der früheren Wirtschaftspolitik
Fotos: privat
TORGAU. Schon in den fünfziger Jahren
wurde viel Wert auf das Lesen gelegt. In
den Schulen gab es Bibliotheken mit einem verhältnismäßig guten Angebot, die
durch Pionierleiter betreut wurden. Fleißige „Leseratten“ erhielten zu besonderen Anlässen auch einmal ein Buch geschenkt, worüber man sich in dieser Zeit
sehr freute. Es waren nicht unbedingt der
Politik entsprechende. Da ich mich für
Biologie interessierte, bekam ich einmal
ein Buch über Gräser, dann eines über
Heilkräuter. Die betreffende Pionierleiterin schien in dieser Hinsicht sehr aufmerksam zu sein. So war die Freude auch
wirklich echt. Spielsachen gab es ja nicht
Blick in den Heimatkalender 1957
Kalendern gibt es keine Vakanz. Ein
Spruch, ein Gedicht, ein Foto, sogar ein
Witzchen füllen jeden anfallenden freien Raum. Natürlich wird im ersten Heimatkalender nach dem Zweiten Weltkrieg über die Begegnung an der Elbe
berichtet, über den Neubau der Elbbrücken und über die Vereinigung von KPD
und SPD. Die Konsumgenossenschaft
wird vorgestellt, ebenso Pilzzucht in alten Gewölben. Wie das Heim für unsere Bären am Schloss Hartenfels wieder
entstand, die 600-Jahrfeier der Oberschule und die Geschichte der Feuerwehr sind weitere Themen.
Auch über das Gesundheitswesen wird
geschrieben und ganz ausführlich über
das Treffen Peter I. mit dem Philosophen
Leibniz anno 1711 im Kanzleihaus. Der
Wildschützer Steinbruch, damals großer
Arbeitgeber, wird in Wort und Bild präsentiert, ebenso die landwirtschaftliche
Entwicklung des Kreises. Der Windmüller von Melpitz und der prächtige Runderker am Torgauer Rathaus haben Platz
gefunden. Die Pumphutstory und Koboldgeschichten sowie das Belgeraner
Nixenkind fehlen nicht, auch nicht der
Roland und seine Bedeutung in alter
Zeit. Ausführlich wird aus der Weßniger
Schulchronik vorgetragen.
Unser prunkvolles Schloss Hartenfels,
heute als Landratsamt, Schlosskapelle
und museale Institution genutzt und in
neuem Glanz auferstanden, war, das ist
ebenfalls nachzulesen, einige Jahrzehnte Zucht- und Arbeitshaus Die heimat-
liche Natur wird nicht vergessen, Wassernuss, damals noch im Welsauer Loch
massenhaft vorhanden, und Frühlingslorchel werden vorgestellt, desgleichen
Naturdenkmäler und Naturschutzgebiete, die zum Teil noch heute erhalten und
geschützt sind.
Was hier als Sammelsurium erscheint,
ist für den Heimatfreund dennoch eine
Fundgrube, und jeder mag sich das Passende heraussuchen. Die neuen Heimatkalender sind dem Wandel der Zeit unterworfen, und der war und ist bekanntlich gravierend.
Nicht alle sonstigen Informationen auf
den 124 Seiten sollen und können hier
aufgeführt werden. Alte Maße und Gewichte, der Immerwährende Trächtigkeits- und Brutkalender, sind wahrscheinlich nicht mehr gefragt. Solcherlei holt man sich heutzutage bei Bedarf
aus dem Internet. Die letzten zehn Seiten des Heimatkalenders 1957 sind der
Werbung gewidmet. Sie zeigen nochmals sehr deutlich, was sich in Torgau
verändert hat. Die allerletzte Anzeige
betrifft die Leipziger Volkszeitung, „die
Zeitung der Messestadt und Ihre Heimatzeitung“.
Herbert Lehmann
DOMMITZSCH. Radio und Fernsehen
brachten in letzter Zeit viele Nachrichten
von Erdbeben, auch in Europa. Schrecklich sind Fotos über das Chaos, was meist
hinterlassen wurde. Viele Menschen verloren ihr Leben und viele wurden schwer
verletzt. So mancher verlor sein ganzes
Hab und Gut.
Nun taucht immer wieder einmal die Frage auf, ob auch in unseren Wohngebieten hier ein Erdbeben auftreten könnte.
Als Antwort hört man oft, das gibt es hier
nicht, es ist noch nie passiert. Die so reden, irren sich. Sicher ist es eine große
Seltenheit, aber möglich ist alles!
Nach der alten Schrift über Dommitzsch
aus dem Jahre 1862 soll ja das große, alte
Dommitzsch durch Unwetter und Erdbeben, im 14. oder 16. oder 17. Jahrhundert
vernichtet worden sein. Also – ob –wann
–wie, muss hier nicht überdacht werden.
Es fehlen einfach die genaueren Beweise! Weitere Hinweise über Erdbeben aus
alter Zeit habe ich nicht gefunden; wohl
aber Hinweise aus neuerer Zeit, zwei davon in den Pfarrbüchern. Niedergeschrieben von den Dommitzscher Pfarrern, wird
doch hier wohl die Wahrheit enthalten
sein. So wurde festgehalten, dass am 06.
März 1872, gegen 4 Uhr nachmittags, ein
Erdstoß wahrgenommen wurde, bei dem
die Fenster ganz erheblich geklirrt haben.
Größere Schäden waren aber glücklicherweise nicht zu verzeichnen.
42 Jahre später folgte erneut ein Erdstoß,
in der Nacht vom 26. zum 27. Juni 1914,
gegen 3 Uhr. Der Berichterstatter
schreibt: „ Es war ein dumpfes Grollen
und ein Klirren der Fenster zu hören. Der
Hofhund verspürte dies auch, denn er fing
laut an zu bellen.“ Am 15. November
1553 sollen bei Schildau Auswirkungen
eines Erdbebens zu spüren gewesen sein,
wie mir einst ein Torgau/Schildauer Historiker berichtete. Er hatte auf Nachfrage
sogar eine Bestätigung darüber aus Berlin erhalten.
Bei diesem Erdbeben wurde ein Maurer
verschüttet, der in einem Brunnen arbeitete und erst nach vielen Stunden geborgen werden konnte, er hat aber überlebt.
Ein Ereignis, das ich selbst erlebte und für
das ich mich verbürgen kann, möchte ich
auch noch dazu beitragen.
Am 6. Mai 1976 war in den Abendstunden in Dommitzsch ein Erdbeben zu verspüren. Aus heiterem Himmel flatterten
die Gardinen an den Fenstern und hängende Deckenlampen begannen erst
langsam, dann etwas schneller zu pendeln. Das alles dauerte nur eine kurze
Zeit, dann war wieder Ruhe. Wahrscheinlich sind, durch die Entfernung von den
Zentren der Beben, bisher keine großen
Schäden aufgetreten. Mir sind solche auf
jeden Fall nicht bekannt. Hoffen wir, dass
uns auch weiterhin ein großes derartiges
Unglück erspart bleibt. Hermann Förster
Dommitzscher Schule wurde 1963 erweitert
i
Der neue Torgauer Heimatkalender
2017, herausgegeben von der
Torgauer Verlagsgesellschaft, ist
an folgenden Stellen zu erwerben:
Stadtmuseum, TIC, Kühne Bücher,
Haus der Presse
DOMMITZSCH. Dieses Bild zeigt die Grundsteinlegung für den ersten Schulanbau in Dommitzsch am 1. April 1963.
Foto: Archiv Rabe