HISTORIE Ihr Ansprechpartner Nico Wendt Tel. 03421 721052 [email protected] DONNERSTAG, 23. FEBRUAR 2017 | SEITE 16 Doppelter Päckchenboden DDR-Jäger fangen Hasen für Export nach Frankreich Die fünfziger Jahre: Damals standen Bücher bei Kindern noch hoch im Kurs viel (kein Vergleich mit heute, da die Kinderzimmer übervoll mit Spielsachen sind), so schenkten wir Kinder uns auch gegenseitig Bücher zur Geburtstagsfeier. In die Kulturräume der Volkseigenen Betriebe wurden auch Schriftsteller eingeladen. „Die Schriftstellerin Alex Wedding wird im VEB Bau (Goethestraße) aus ihren Büchern lesen.“, wurde uns in der Schule gesagt. „Wenn ihr Lust habt…“ Da wir noch nie eine Schriftstellerin gesehen hatten, ging ich mit meinen Freundinnen hin. Alex Wedding hieß die Schriftstellerin, eine schöne dunkelhaarige Frau. Sie brachte mehrere Jugendbücher mit, die sie geschrieben hatte, las aus ihnen und erzählte dazu. Ede und Unku hieß ein Buch, die Geschichte der Freundschaft eines Berliner Jungen zu einem Zigeunermädchen aus dem Stamm der Sinti, deren Familie zur Zeit des Faschismus umgebracht wurde. Alex Wedding hatte die Geschichte nach einem wahren Erlebnis geschrieben. Mich berührte die Geschichte sehr, da oft mit einem Zirkus auch Zigeuner nach Torgau kamen. Zum Schluss der Lesung durften wir Fragen stellten, die sie freundlich beantwortete. Eine Frage war natürlich nach ihrem komischen Namen, der aus Berliner Bezirken bestand. So erfuhren wir, dass ihr Mann F.C. Weiskopf ein berühmter Schriftsteller ist und sie nicht in seinem Schatten stehen wollte. Ihre eigene Arbeit sollte anerkannt werden. Das konnten wir Kinder gut verstehen. Ein literarisches Erlebnis ganz anderer Art hatten wir im Theater in der ehemaligen Alltagskirche (heute Gymnasium) Geschlossen gingen die Klassen zu dieser Veranstaltung, die mit Spannung von uns erwartet wurde. Der Redner jedoch versuchte uns beizubringen, was Schundund Schmutzliteratur sei. Als Beispiele brachte er unter anderem ausgerechnet Indianergeschichten von Karl May, was natürlich Widerspruch in den Köpfen vieler Jungen hervorrief. Als er dann auch noch über die von uns Mädchen heimlich geliebten Micky-Maus Hefte herzog, Torgau – früher und heute TORGAU. Im Dezember kam ein neues Torgau-Buch heraus. Das Autorenduo Bernd Blume und Corinna Karl-Sander zeigt mit 55 eindrucksvollen Bildpaaren, wie sich die Stadt herausgeputzt hat. Hier die Spitalstraße. Quelle: „Torgau. Früher und heute“ – ISBN: 978-3-95400-780-6 wollten wir am liebsten nicht mehr zuhören. Die drei Entchen Tick, Trick und Track fanden meine Freundinnen und ich niedlich und spaßig. Nun sollten diese Geschichten die Kinder plötzlich zu hab- und geldgierigen Menschen erziehen. (Ich bin weder das eine noch das andere geworden) Zu Festtagen wünschte ich mir stets ein Heft von einer Tante aus Stuttgart, aber meist entnahm sie der Zoll an der Grenze, bis die Tante den Einfall mit dem doppelten Päckchenboden hatte. So erhielt ich doch einige der geliebten Exemplare. Viele Jahre später brachten Karl May Bücher dem Staat Devisen und man konnte sie, wenn auch zuerst nur unter dem Ladentisch, kaufen. Margot Weiß TORGAU. Nicht nur die Beschäftigten der damaligen Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebe (StFB) Oschatz und Torgau – ab 1974 zusammengeschlossen zum StFB Wermsdorf – können zum Thema Feldhasenexport etwas sagen. Viele der älteren Jäger, die damals in den Jagdgesellschaften mit Feldjagdgebieten Mitglied waren, kennen die Problematik ebenfalls aus eigenem Erleben und waren mehrheitlich wenig erfreut, dabei mitwirken zu müssen. Der über viele Jahre laufende Hasenexport war ein besonderes Kapitel der Wirtschaftspolitik der DDR. 1968 war seitens der Forstwirtschaft mit dem Deutschen Innen- und Außenhandel ein längerfristiger Vertrag abgeschlossen worden. Dessen Erfüllung bedeutete für die Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebe im Verband der Vereinigung Volkseigener Betriebe Forstwirtschaft Cottbus Auflagen im Hasenfang im Zeitraum 1968 bis 1976. Dazu war unter Verantwortung des StFB Torgau als Leitbetrieb in Doberschütz eine Umschlagstation für die Verladung eingerichtet worden, von der aus jeweils im Zeitraum November bis Februar nahezu 20 000 Hasen für den Export nach Frankreich versandfertig gemacht wurden. Die in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Jagdgesellschaften unter Federführung des Jagdsachbearbeiters des StFB zu organisierende Hasenfangaktion war sehr zeit- und kostenaufwendig. Im dazu auserwählten Feldgebiet wurden über größere Strecken engmaschige Netze locker gespannt. Die von einer Treiberkette aufgeschreckten Hasen verfingen sich in den Netzen und wurden von Fängern an den Hinterläufen gepackt und in Jutesäcke gesteckt. Nach der Bestimmung des Geschlechts wanderten die Tiere aus den Säcken in eine dreiteilige Kiste, jeweils ein Rammler in die mittlere Box, flankiert von zwei Häsinnen. Bis zum Weitertransport nach Doberschütz diente eine Halle im Sägewerk Luppa für den Bereich um Wermsdorf als Zwischenstation. Die Tiere durften nur bis zu drei Tage vor dem Transport gesammelt werden, Futterverweigerer waren nicht auf den Transport zu schicken. Für die viertägige Bahnfahrt waren genügend Heu sowie Möhren oder Rüben und ein Kolben Mais in den Boxen zu deponieren. Die Verluste auf dem Transport betrugen 2,6 Prozent, wie die Rückmeldung ergab. Alle Hasen waren mit Ohrmarken „DDR“ zu versehen. Insgeheim wurde orakelt, wie weit sich ein Hase am Bestimmungsort (meist Frankreich) wohl bewegen konnte, bevor er vor eine Flinte lief. In den 1970er-Jahren war der Bestand an Hasen in weiten Teilen Frankreichs aufgrund der enormen Jagdbegeisterung in diesem Land extrem zurückgegangen. Um für viel Geld an Jäger verpachtete Reviere dennoch ausreichend mit Hasen auszustatten, wurden sie importiert. Der Gewinn je Hase wurde 1971 mit 2,84 DDR-Mark ausgewiesen. Ab 1975 sank das Fangergebnis und es gab Kritiken, weil das verlangte Geschlechterverhältnis 2:1 den Bestand gefährdete. Die Jagdgesellschaften übten zudem Enthaltung beim Hasenabschuss. 1976 endete der Export. Heute ist der Hasenbestand in Ostdeutschland deutlich geringer als im Westen. Eckhard Riedel / A. G. Die Lampen fingen an zu wackeln Gab es auch in unserer Gegend schon Erdbeben? Pilzzucht in alten Gewölben TORGAU. Heimatkalender sind weit verbreitet. Vor hundert Jahren gab es diese Heimatboten auch für unser Gebiet, viele Jahrgänge. Damals gehörten Prettin und Annaburg mit Umfeld zum Kreis Torgau. Die damaligen waren ganz anders als die Torgauer Heimatkalender, die von 2006 – 2017 publiziert worden sind. Sehr erfreulich ist zu melden, es wird damit weiter gehen. Zu DDR-Zeiten gab es vor rund 65 Jahren drei Heimatkalender. Über diese soll berichtet werden, ohne Werbung und Wertung. Nicht nur, logischerweise, der Inhalt, auch Gestaltung und Charakter der Kalender haben sich auffallend verändert. Das Kalendarium ist das Schwierigste. Zu jedem Monat einen Beitrag mit Foto zu einem speziellen Themenkreis zu finden ist problematisch und aufwendig. Der Heimatkalender 1957, herausgegeben vom Kulturbund, hat diese Aufgabe elegant und locker gelöst. Ein passendes Foto zu jeder Jahreszeit ist leicht zu finden. Als Text dazu wird jeweils ein Gedicht verwendet, vom Eigenprodukt eines Redakteurs bis hin zu Raabe, Storm, Schiller, Goethe, Hebbel und Weinert. Die Fotos des Kalendariums sind, der Zeit entsprechend, alle in Schwarz-Weiß. Zahlreiche weitere Abbildungen, Fotos und Zeichnungen, illustrieren die Broschüre. Die allermeisten Textautoren und Künstler sind nicht mehr unter uns. Auf die Angabe von Namen wird verzichtet. Als angenehm empfinde ich, in allen drei Ein besonderes Kapitel der früheren Wirtschaftspolitik Fotos: privat TORGAU. Schon in den fünfziger Jahren wurde viel Wert auf das Lesen gelegt. In den Schulen gab es Bibliotheken mit einem verhältnismäßig guten Angebot, die durch Pionierleiter betreut wurden. Fleißige „Leseratten“ erhielten zu besonderen Anlässen auch einmal ein Buch geschenkt, worüber man sich in dieser Zeit sehr freute. Es waren nicht unbedingt der Politik entsprechende. Da ich mich für Biologie interessierte, bekam ich einmal ein Buch über Gräser, dann eines über Heilkräuter. Die betreffende Pionierleiterin schien in dieser Hinsicht sehr aufmerksam zu sein. So war die Freude auch wirklich echt. Spielsachen gab es ja nicht Blick in den Heimatkalender 1957 Kalendern gibt es keine Vakanz. Ein Spruch, ein Gedicht, ein Foto, sogar ein Witzchen füllen jeden anfallenden freien Raum. Natürlich wird im ersten Heimatkalender nach dem Zweiten Weltkrieg über die Begegnung an der Elbe berichtet, über den Neubau der Elbbrücken und über die Vereinigung von KPD und SPD. Die Konsumgenossenschaft wird vorgestellt, ebenso Pilzzucht in alten Gewölben. Wie das Heim für unsere Bären am Schloss Hartenfels wieder entstand, die 600-Jahrfeier der Oberschule und die Geschichte der Feuerwehr sind weitere Themen. Auch über das Gesundheitswesen wird geschrieben und ganz ausführlich über das Treffen Peter I. mit dem Philosophen Leibniz anno 1711 im Kanzleihaus. Der Wildschützer Steinbruch, damals großer Arbeitgeber, wird in Wort und Bild präsentiert, ebenso die landwirtschaftliche Entwicklung des Kreises. Der Windmüller von Melpitz und der prächtige Runderker am Torgauer Rathaus haben Platz gefunden. Die Pumphutstory und Koboldgeschichten sowie das Belgeraner Nixenkind fehlen nicht, auch nicht der Roland und seine Bedeutung in alter Zeit. Ausführlich wird aus der Weßniger Schulchronik vorgetragen. Unser prunkvolles Schloss Hartenfels, heute als Landratsamt, Schlosskapelle und museale Institution genutzt und in neuem Glanz auferstanden, war, das ist ebenfalls nachzulesen, einige Jahrzehnte Zucht- und Arbeitshaus Die heimat- liche Natur wird nicht vergessen, Wassernuss, damals noch im Welsauer Loch massenhaft vorhanden, und Frühlingslorchel werden vorgestellt, desgleichen Naturdenkmäler und Naturschutzgebiete, die zum Teil noch heute erhalten und geschützt sind. Was hier als Sammelsurium erscheint, ist für den Heimatfreund dennoch eine Fundgrube, und jeder mag sich das Passende heraussuchen. Die neuen Heimatkalender sind dem Wandel der Zeit unterworfen, und der war und ist bekanntlich gravierend. Nicht alle sonstigen Informationen auf den 124 Seiten sollen und können hier aufgeführt werden. Alte Maße und Gewichte, der Immerwährende Trächtigkeits- und Brutkalender, sind wahrscheinlich nicht mehr gefragt. Solcherlei holt man sich heutzutage bei Bedarf aus dem Internet. Die letzten zehn Seiten des Heimatkalenders 1957 sind der Werbung gewidmet. Sie zeigen nochmals sehr deutlich, was sich in Torgau verändert hat. Die allerletzte Anzeige betrifft die Leipziger Volkszeitung, „die Zeitung der Messestadt und Ihre Heimatzeitung“. Herbert Lehmann DOMMITZSCH. Radio und Fernsehen brachten in letzter Zeit viele Nachrichten von Erdbeben, auch in Europa. Schrecklich sind Fotos über das Chaos, was meist hinterlassen wurde. Viele Menschen verloren ihr Leben und viele wurden schwer verletzt. So mancher verlor sein ganzes Hab und Gut. Nun taucht immer wieder einmal die Frage auf, ob auch in unseren Wohngebieten hier ein Erdbeben auftreten könnte. Als Antwort hört man oft, das gibt es hier nicht, es ist noch nie passiert. Die so reden, irren sich. Sicher ist es eine große Seltenheit, aber möglich ist alles! Nach der alten Schrift über Dommitzsch aus dem Jahre 1862 soll ja das große, alte Dommitzsch durch Unwetter und Erdbeben, im 14. oder 16. oder 17. Jahrhundert vernichtet worden sein. Also – ob –wann –wie, muss hier nicht überdacht werden. Es fehlen einfach die genaueren Beweise! Weitere Hinweise über Erdbeben aus alter Zeit habe ich nicht gefunden; wohl aber Hinweise aus neuerer Zeit, zwei davon in den Pfarrbüchern. Niedergeschrieben von den Dommitzscher Pfarrern, wird doch hier wohl die Wahrheit enthalten sein. So wurde festgehalten, dass am 06. März 1872, gegen 4 Uhr nachmittags, ein Erdstoß wahrgenommen wurde, bei dem die Fenster ganz erheblich geklirrt haben. Größere Schäden waren aber glücklicherweise nicht zu verzeichnen. 42 Jahre später folgte erneut ein Erdstoß, in der Nacht vom 26. zum 27. Juni 1914, gegen 3 Uhr. Der Berichterstatter schreibt: „ Es war ein dumpfes Grollen und ein Klirren der Fenster zu hören. Der Hofhund verspürte dies auch, denn er fing laut an zu bellen.“ Am 15. November 1553 sollen bei Schildau Auswirkungen eines Erdbebens zu spüren gewesen sein, wie mir einst ein Torgau/Schildauer Historiker berichtete. Er hatte auf Nachfrage sogar eine Bestätigung darüber aus Berlin erhalten. Bei diesem Erdbeben wurde ein Maurer verschüttet, der in einem Brunnen arbeitete und erst nach vielen Stunden geborgen werden konnte, er hat aber überlebt. Ein Ereignis, das ich selbst erlebte und für das ich mich verbürgen kann, möchte ich auch noch dazu beitragen. Am 6. Mai 1976 war in den Abendstunden in Dommitzsch ein Erdbeben zu verspüren. Aus heiterem Himmel flatterten die Gardinen an den Fenstern und hängende Deckenlampen begannen erst langsam, dann etwas schneller zu pendeln. Das alles dauerte nur eine kurze Zeit, dann war wieder Ruhe. Wahrscheinlich sind, durch die Entfernung von den Zentren der Beben, bisher keine großen Schäden aufgetreten. Mir sind solche auf jeden Fall nicht bekannt. Hoffen wir, dass uns auch weiterhin ein großes derartiges Unglück erspart bleibt. Hermann Förster Dommitzscher Schule wurde 1963 erweitert i Der neue Torgauer Heimatkalender 2017, herausgegeben von der Torgauer Verlagsgesellschaft, ist an folgenden Stellen zu erwerben: Stadtmuseum, TIC, Kühne Bücher, Haus der Presse DOMMITZSCH. Dieses Bild zeigt die Grundsteinlegung für den ersten Schulanbau in Dommitzsch am 1. April 1963. Foto: Archiv Rabe
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