HISTORIE Ihr Ansprechpartner Nico Wendt Tel. 03421 721052 [email protected] DONNERSTAG, 29. DEZEMBER 2016 | SEITE 20 Von Bauern, Böllern und Budenzauber Die 70er Jahre: Betriebe, die es nicht mehr gibt Wie es am Bienenwagen plötzlich nach Silvester andersrum ging TORGAU. Torgaus wohl bedeutendste Chronistin und Fotografin Erdmute Bräunlich hat 80. Geburtstag gefeiert. Ihr zu Ehren bringt TZ wöchentlich einen besonderen Schnappschuss (oder mehrere), die fast allesamt dem Buch „Torgau – Als die Schornsteine noch rauchten“ entstammen. Diese Bilder aus den 70 er Jahren zeigen Betriebe, die es nicht mehr gibt. Das waren neben dem Kohlehandel auch der Haushaltsgeräte-Service sowie ein ReparaturstützReparaturstütz punkt für Robotron-Büromaschinen. Im VEB Energie war noch viel Arbeit per Hand zu leisten, wenn die Prüffix-Geräte zum Versand kamen. Fotos: Archiv Bräunlich TORGAU. Zwischen den Jahren, Weihnachten vorbei, Silvester vor der Tür. Die Zeit, in der wir Kinder von der Mahla Pläne für Silvester schmiedeten. Wen sollten wir in diesem Jahr mit einem Silvesterscherz ins neue Jahr schicken, Kandidaten gab es genug. So zum Beispiel unseren Willi – ein Bauer oder besser gesagt Bruder oder Helfer des eigentlichen Bauern. Wenn wir irgendwelchen Blödsinn verzapft hatten, jagte er uns schon mal mit der Mistgabel über den Hof oder drohte uns mit einem Knüppel oder was er gerade zur Hand hatte. Wir wollten in diesem Jahr Willi eine Lektion erteilen, wie er seine Kraft oder seinen Jähzorn anderweitig abreagieren könnte. An diesem Silvester war es besonders kalt, das kam unserer Vorstellung entgegen. Bei Einbruch der Dunkelheit holten wir Willis Mistkarre aus dem Stall, schoben sie auf den Misthaufen und füllten sie mit Wasser, also würde am Neujahrsmorgen aus dem Wasser ein Eisblock entstanden sein. Es würde also etwas länger dauern, den Block zu zerkleinern und man würde auch etwas Kraft benötigen. Wie wir später erfuhren, brauchte Willi fast zwei Stunden, um den Block zu entfernen, er soll wahre Schimpftiraden von sich gegeben haben, wobei der Ausspruch Teufelsbraten noch das Harmloseste war. Seit dieser Zeit hielt er im Winter seine Mistkarre unter Verschluss. Nun gab es zu dieser Zeit Knallkörper, genau wie heute am 29. Dezember. Der Unterschied zu heute ist, man musste sich Stunden vorher anstellen , um an selbige zu kommen. Uns war das aber zu teuer, als Kinder oder Heranwachsende hätten wir sowieso keine bekommen, also bauten wir uns eigene Knallkörper, das ging ganz einfach. Wir Je mehr Funken sprühten, desto schöner leuchteten die Kinderaugen nahmen einen alten hohlen Schlüssel, einen Nagel und verbanden diese. In den hohlen Schlüssel füllten wir Streichholzkuppen, steckten den Nagel hinein und schlugen diese an eine Hauswand. Auch das gab einen Knall, zwar nicht so kräftig wie ein Blitzknaller, aber für uns reichte es. Es war einfach billig und hatte schließlich denselben Effekt wie die teuren Knaller aus dem Laden und dazu war es noch ungefährlich. Wir achteten stets darauf, bei dieser Knallerei nicht in unmittelbarer Nähe von Türen und Stallungen zu kommen, denn Tiere reagieren äußerst sensibel auf solche Geräusche und konnten schon mal in Panik verfallen. Wir, die täglichen Umgang mit den Tieren hatten, wussten das, also hielten wir uns daran. In unserem Nachbarhaus, ich nannte es immer das Doktorhaus, wohnte Dr. Parisius, ein sehr beliebter und hochgeschätzter Arzt mit seinen Eltern ohne jeglichen Standesdünkel, der auch mal mit uns Jungs Fußball spielte. Aber auch ein Doktor Schicketanz, ein Tierarzt, der mit uns nichts anfangen konnte, wir auch nicht mit ihm. Er hatte auf den sogenannten Trockenplatz einen Bienenwagen gestellt. Diese Bienen nahmen den ganzen Trockenplatz in Beschlag. Sie taten zwar niemanden etwas, aber die Angst war da, sie könnten doch mal stechen. Besondere Angst hatte die Mutter von Dr. Parisius, ich war oft Zeuge, wie Dr. Parisius mit dem Tierarzt sprach und ihn bat, die Bienen an einen anderen Standort zu bringen, aber es passierte nichts. Nun war es Silvester, die Familie Parisius war verreist, also unsere Stunde. Die Gelegenheit war günstig, es würde kein Verdacht auf unseren Doktor fallen können, denn er war ja nicht da. Also machten wir uns ans Werk, wir drehten den Bienenwagen Richtung Gutspark, sodass die Einflugslöcher nicht mehr in Richtung Trockenplatz zeigten, sondern zum Park. Der Wagen konnte also bleiben, doch die Bienen würden zu ihren Flugzeiten nicht mehr stören. Auf der Rückseite, die jetzt die vordere Seite war, schrieb ich mit Kreide: Bienchen, Bienchen, summ herum, zum Eingang geht es ab heute andersrum. In den ersten Tagen des neuen Jahres kam ich aus der Schule, auf dem Mahlaweg begegnete ich Doktor Parisius, er kam mit dem Fahrrad, wie immer aus dem Krankenhaus. Ein Auto hatte er nicht. Er fragte mich, Jürgen, hast du was mit dem Bienenwagen vom Viecherdoktor zu tun? Ich tat ganz entsetzt: Ich, warum? Na, weil ich keinen kenne , der solche Sprüche draufhat, dieser Spruch hat den Viecherdoktor mehr geärgert als der ganze Wagen. Unser Doktor stieg wieder auf sein Fahrrad, drehte sich noch einmal um und sagte, bleib so, wie du bist und wage es ja nicht, dich zu ändern. So muss ein Streich nicht nur des Streiches wegen gemacht werden, sondern sollte möglichst auch einen Sinn haben. In der jetzigen Zeit knallt es fast täglich, es ist das ganze Jahr Silvester. Wenn ein Jahr „friedlich“ zu Ende geht, ist es nicht selbstverständlich, dass es so weitergeht. Die Zündschnur zum großen Knall ist ziemlich kurz, sorgen wir alle, auch im kommenden Jahr, dafür, dass sie gar nicht erst entzündet wird, denn unsere Erde ist zu schön, um sie zu vernichten. Vernichten wir lieber jene, die immer wieder versuchen, zu zündeln. In diesem Sinne ein friedvolles Jahr und persönliches Wohlergehen. Jürgen Schulz Sonntags- Spaziergang in den 20ern Wunderkerzen waren der Beginn der Pyrotechnik: Silvester in Torgau und anderswo TORGAU. Die meisten Silvesterabende haben wir gemeinsam mit unseren Kindern und Enkelkindern erlebt, des Öfteren in der Torgauer Bahnhofstraße, in der Fischeraue nach der Wiedervereinigung, aber auch in einigen Orten in Bayern. Ein beliebter Treffpunkt um Mitternacht und zum Neujahr war der Torgauer Markt. Das gemeinsame Erleben und die Silvesterknaller waren doch etwas Besonderes. Beliebte Treffpunkte waren auch damals vor dem Centralhotel oder vor der damaligen HO-Sternburg-Quelle in der Bahnhofstraße. Noch viel früher erlebten wir auch schöne Silvesterfeiern im Kreiskulturhaus, Centralhotel oder im HO-Eiscafé. Wunderkerzen waren der Beginn der Pyrotechnik. Je mehr Funken sprühten, umso schöner leuchteten die Kinderaugen. Da Wunderkerzen nur langsam abbrennen, zählen die Leuchtstäbe zu den wenigen Feuerwerkskörpern, von denen eine geringe Gefahr ausgeht. Zur fröhlichen Silvesterstimmung trug schon der alte Brauch des Bleigießens bei. Luftschlangen waren damals schon der Deko- kracher. Einmal kräftig pusten und schon wanden sich kunterbunte Luftschlangen über Tisch und Partygäste. Selbstverständlich wurden auch viele Girlanden verwendet und Unmengen Konfetti gestreut. Das Letztere haben aber Hausfrauen und -männer nicht so gerne. Es lässt sich schlecht wieder entfernen, vor allen Dingen aus den Kleidungsstücken. So ausgelasssen wie die Dekoration war auch die Stimmung, denn angestoßen wurde natürlich nicht erst um Mitternacht. Früher war nicht alles Käse. Alle Jahre wieder das Ritual: Eine Gruppe von Leuten sitzt um einen Topf voll blubbernden Käses und tunkt trockenes Brot hinein. Dank kurzer Vorbereitungszeit entwickelt sich das Schweizer Käsefondue schnell zum kulinarischen Dauerbrenner für gesellige Silvesterabende. Absoluter Partyklassiker in den Siebzigern war der Engtanz mit Luftballons. So manches Pärchen hat sich dabei kennenund lieben gelernt. Aber auch Tischspiele gehörten dazu. Als Höhepunkt spielten wir alle das von meinem Schwiegervater selbst erfundene „Große Spiel“ mit Steinne und Würfel. Besonders für unsere Kleinen darf Tischfeuerwerk nicht fehlen. Einen einzigen Silvesterabend war ich mal mit meiner Frau ganz alleine. Selbst der große Enkel wollte mit seinen 16 Jahren lieber mit seinen Kumpels feiern. Es war trotzdem ein sehr schöner Abend. Es hatte viel geschneit und kalt war es auch. Da haben wir uns warm angezogen und auf dem Balkon den Elektro-Grill angemacht. Das gegrillte Fleisch schmeckte besonders gut, zumal wir zu Mittag Karpfen blau gegessen hatten. Vom Balkon winkten wir den Spaziergängern zu und um 24 Uhr war großer Treffpunkt vor der Haustür. Silvesterknaller, Prosit, ein gesundes neues Jahr! Einen Silvesterabend bei meiner Schwägerin und unserem Schwager in der Thomas-Müntzer-Straße haben wir auch nicht vergessen. Da fiel eine brennende Kerze um und plötzlich brannten die Girlanden. Wir konnten das Feuer jedoch ziemlich schnell ohne die Feuerwehr löschen. Günther Fiege BEILRODE. Diese wunderbare Aufnahme hat Jutta Reinhardt aus Beilrode dankenswerterweise zum Abdruck zur Verfügung gestellt. Das Foto zeigt ihren Urgroßvater in der Schöppenthaustraße, die damals noch unbebaut war und entstand Mitte der 20er Jahre. Zu sehen sind im Hintergrund auch Kirche und Schule. Wer ebenfalls solche Raritäten besitzt, kann sich gerne melden. Repro: TZ Eine „fliegende Wahlurne“ und zwei abgestürzte Sowjet-Flugzeuge Rückblick auf die Jahre 1965/66: Was in der Stadt Dommitzsch alles passierte und was die Einwohner zu dieser Zeit bewegte DOMMITZSCH. Das ehemalige Hotel und Gasthaus „Zum Roten Hirsch“ wird seit 1964 zum „Kaufhaus“ umgebaut. Im Dommitzscher Waldbad wird noch fleißig gearbeitet, für die diesjährige Eröffnung. Viele Badelustige werden sicher wieder erscheinen, wie in den vorhergehenden Jahren. Bei Reparaturarbeiten im Mai 1965 wird der Holzsteg durch eine massive Brücke ersetzt. Im Juni gibt es viel Arbeit bei der Vorbereitung des „Volksfestes mit Radio DDR“, was vom 17. bis 20. Juni 1965 stattfindet. Beim Umzug durch die Stadt marschiert auch die Blaskapelle der Schule unter Leitung von Musiklehrer Horst Schumann mit. Horst Strähle wird Bürgermeister in Dommitzsch. Die PGH Rundfunk /Fernsehen Torgau eröffnet im Oktober einen Reparatur- Stützpunkt im Laden Torgauer Straße 8. Man muss die Geräte also nicht mehr nach Torgau schaffen. Am 7. Oktober, zum Jahrestag der DDR, findet im Rathaussaal eine Festsitzung statt. Am 10.10. wird ein neues „Stadtparlament“ gewählt. Wie immer wird versucht, eine sehr hohe Wahlbeteiligung zu erhalten. Wähler werden zum Teil in den Wohnungen aufgesucht und aufgefordert doch zur Wahl zu kommen. Ich kann mich noch erinnern an Fahrten zur Arbeitsstelle, um mit der „fliegenden Wahlurne“ eine Stimme zu ergattern! Die Feuerwehr des Ortes war sehr aktiv. Am 24. November wurde eine Gruppe nach Torgau gerufen zum Einsatz beim Großbrand in der Ziegelei. 15 Löschgruppen taten ihr Möglichstes beim Löschen, aber das Objekt brannte vollständig nieder. 320 Mitglieder versuchen bei der BSG- Stahl (Betriebssportgemeinschaft) ihren Körper fit zu halten. In den Sektionen Fußball, Turnen, Gymnastik und Kegeln wird ihnen hierzu die Möglichkeit geboten. Der Arzt, Herr Dr. Bredow, ist 1964 in sein Haus Leipziger Straße 65a verzogen. In der ehemaligen Praxis von ihm, in der Pretzscher Straße 38, werden Staatspraxen eingerichtet. Dr. Helmut Liebau, der in der bisher ersten Staatspraxis vom Kreis Torgau, in der Leipziger Straße 23 arbeitete, erhält hier seine neue Praxis. Eine weitere Praxis im Haus übernimmt Frau Dr. Paul als Zahnärztin. Die Bewohner der Wittenbergerund der Jahnstraße, die noch nicht an das Wasserleitungsnetz angeschlossen sind, erhalten endlich ihre Hausanschlüsse. Am Ratskeller war 1921 ein Vorbau aus Holz errichtet worden, den man im Sommer als Veranda nutzen konnte. Er war auch ein historisches Relikt. (Im April 1945, in den letzten Kriegstagen, mussten unter ihm kranke indische Kriegsgefangene übernachten. Die Gesunden schliefen auf dem freien Markt. Am anderen Morgen mussten alle ihren mühseligen Marsch fortset- Holzvorbau Dommitzscher Ratskeller um 1935. Archiv H. Förster zen.) 1965 wurde dieser Vorbau abgerissen um Platz für einen Neubau zu schaffen. Da die HO Gaststätte „Ratskeller“ oft fast überfüllt war, und auch zum Abhalten von Familienfeiern, wurde ein massiver Anbau errichtet, der derartige Feiern erlaubte, wie auch kleine Feste von Vereinen. Baukapazitäten waren nicht vorhanden also engagierten sich Dommitzscher Bürger im NAW (Nationales Aufbauwerk) und errichteten den Anbau. Einige Jahre vorher waren schon 4 andere Gaststätten geschlossen worden, nämlich der „Rote Hirsch“, „Der Schwarze Adler“, die Gaststätte „Gentzsch“ und die Gaststätte „Kürsten“. Als Kapellen wurden genannt, die Kapelle Gerhard Hirsch und die „Elektras“. Im Jahr 1966 hat Dommitzsch 80 Wohnungssuchende, davon 20 Familien ohne Wohnung. 13 Familien wohnen noch auf dem Osterberg. 22 Wohnungsanträge können 1966 erledigt werden, aber es kommen schon wieder neue dazu. Am 30. Juli wird die FFW zum Einsatz gerufen. Zwei Sowjetische Flugzeuge sind abgestürzt, eins davon an den Neustücken. Es brennt völlig aus. Wegen der explodierenden Munition ist an ein Löschen nicht zu denken. Die Jagdgesellschaft beginnt im Juli mit dem Bau eines Schießstandes in der Nähe vom Weinberg. Hier werden in den Folgejahren die jährlichen, gut besuchten, Schützenfeste abgehalten. Im Laden Torgauer Straße 8 wird die städtische „Näh- und Bügelstube eingerichtet. Die Bibliothek bietet im November 1966 6.300 Bücher zur Ausleihe für die 800 Leser. Im Jahr werden 14.000 Ausleihen vorgenommen. August. An der Schule unterrichten 35 Lehrer und Lehrerinnen in 24 Klassen 774 Schüler. Im Nov. wird die Neidener Schule aufgelöst. Auch diese Schüler kommen zur Dommitzscher Schule. Im Jahr wurden 16 Schüler nicht versetzt, das entspricht 2,2 %. Schulrektor ist Hans Ritschel. Die LPG besitzt 814 ha Land. Sie ist die größte LPG vom Typ I im Kreis Torgau. Die Glocken der Kirche, bisher mit der Hand geläutet, erhalten elektrischen Antrieb. 1947 bis 1967 lag das Amt des Friedhofswärters in den Händen von Otto Koch jr. 1967 wurde er abgelöst von seinem Schwiegersohn Georg Spychala und Ehefrau Gisela geb. Koch. 1966/67 muss ein altes Mühlenrelikt weichen. Die Lindemühle am Waldbad wird abgerissen. (Aus der Chronik) Hermann Förster.
© Copyright 2024 ExpyDoc