Jagd auf Einwanderer

EPA/ALEXANDROS VLACHOS/DPA-BILDFUNK
Ausplünderung
Das Ende der Demokratie: Landraub
und Schuldknechtschaft – zwei neue
Bücher analysieren, wie ein deutscher Staat Griechenland zum zweiten Mal zerstört. Wirtschaftskrieg
weist Parallelen zur Zeit vor 1945 auf.
Von Hansgeorg Hermann
SEITEN 12/13
GEGRÜNDET 1947 · DONNERSTAG, 23. FEBRUAR 2017 · NR. 46 · 1,60 EURO (DE), 1,80 EURO (AT), 2,30 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT
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AfD: Schlechte Prognosen, Proteste
und Spaltungsängste machen
der Partei das Leben schwer
Trumps neuer Sicherheitsberater
McMaster will »Nachrüstung«
der US-Army gegen Russland
Faschisten feiern Putsch
Ukraine: Zum Jahrestag der Maidan-Machtergreifung fordern Neonazis bei einem
Aufmarsch in Kiew, den Krieg im Donbass zu verschärfen. Von Reinhard Lauterbach
VALENTYN OGIRENKO/REUTERS
E
twa 10.000 Faschisten haben
am Mittwoch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew
demonstriert. Sie zogen vom Stadtzentrum vor das Parlament und belagerten es für einige Stunden. Die
Rechten trugen teilweise Waffen bei
sich, machten von diesen aber kein
Gebrauch. Mehrere tausend Polizisten und Soldaten hielten die Faschisten vor dem Gebäude der Werchowna Rada auf Distanz.
Aufgerufen zu der Demonstration
am dritten Jahrestag der Machtergreifung des Euromaidans hatten die
größten faschistischen Organisationen der Ukraine: die Partei »Swoboda«, der »Rechte Sektor« und das aus
dem Freiwilligenbataillon »Asow«
hervorgegangene »Ostkorps«. Sie
forderten unisono eine Verschärfung
der Wirtschafts- und Handelsblockade der Aufstandsgebiete im Donbass, den Abbruch der diplomatischen
Beziehungen zu Russland und den
»Kampf bis zum Endsieg«. Zu den
politischen kamen soziale Forderungen nach einem Stopp des Handels
mit Grund und Boden sowie nach einem Abbruch der Unterwerfung des
Landes unter die »Reformen« des Internationalen Währungsfonds.
In die Kritik an der Regierung
mischten sich antisemitische Töne:
»Ihr Kosaken, sollen Groismänner
die Ukraine regieren?« rief einer der
Redner in Anspielung auf Ministerpräsident Wolodimir Groisman unter
großem Gejohle der Anwesenden. Der
als zentrales Versatzstück ukrainischer
»Identität« aufgeblasene Kosaken-Mythos ist seit dem Aufstand unter Bohdan Chmelnicki im 17. Jahrhundert untrennbar mit antijüdischen Pogromen
verbunden, die damals rund 50.000
Menschenleben kosteten.
Rechter Mob: Tausende Nationalisten demonstrierten am Mittwoch vor dem Parlament in Kiew
Während der Kundgebung vor dem
Parlament nahmen mehrere den Faschisten nahestehende Abgeordnete
ein »Ultimatum« mit Forderungen an
die Regierung entgegen. Der Abgeordnete Andrej Bilezkij, Mitbegründer des Bataillons »Asow« und mutmaßlicher Organisator des Pogroms
von Odessa im Mai 2015, erklärte den
»Kampf um die Macht« für eröffnet.
Kurzfristige Ziele seien die Selbstauf­
lösung des Parlaments sowie die
Amtsenthebung von Präsident Petro
Poroschenko.
Die markigen Worte ändern nichts
daran, dass die Faschisten offenbar
keine ausreichenden Kräfte für einen
Putsch haben. Das liegt unter an-
derem an deren Zersplitterung und
Korruption. Andererseits zeigt die
Verflechtung zwischen den Faschisten und offiziellen Strukturen, dass
ein offener Putsch gar nicht nötig ist.
Denn der Regierung ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die meisten der 2014 eher spontan entstandenen nationalistischen Kampfgruppen
finanziell oder durch die Erpressung
mit drohenden Strafverfahren – zum
Teil gegen deren Führung – an sich
zu binden.
Symbol dieser Symbiose ist Innenminister Arsen Awakow. Er hat
die meisten Freiwilligenba­
taillone
gegen Bezahlung seiner Nationalgarde unterstellt und verfügt damit
für künftige Machtkämpfe über
eine starke und kampferprobte
Hausmacht. Auch dem Geheimdienst SBU wird nachgesagt, einige kleinere faschistische Gruppen
zu steuern. Andere, etwa das Bataillon »Donbass« des »FacebookKommandeurs« Semjon Semjon­
tschenko, sind mit der mit etwa zehn
Prozent der Stimmen im Parlament
vertretenen Partei »Selbsthilfe« des
Bürgermeisters von Lwiw, Andryj
Sadowyj verbunden. Wieder andere
sind in die organisierte Kriminalität zurückgekehrt, aus der sie sich
ursprünglich auch rekrutierten. Für
sie ist der Krieg im Donbass primär
eine Erwerbsquelle.
Jagd auf Einwanderer
US-Administration droht Millionen Immigranten per Erlass mit Abschiebung
D
ie US-Administration verschärft ihr Vorgehen gegen
Migranten. Heimatschutzminister John Kelly wies am Dienstag
(Ortszeit) die Behörden an, all jene
Einwanderer ohne Papiere abzuschieben, die verurteilt wurden, eines Verbrechens angeklagt sind oder auch
nur einer Straftat beschuldigt werden.
Die neuen Richtlinien sehen vor, mit
verschärften Razzien gegen illegale
Einwanderer vorzugehen. Kelly erteilte dem Grenzschutz und den Einwanderungsbehörden am Dienstag zudem
Anweisungen, aus denen hervorgeht,
dass bis auf wenige Ausnahmen nahezu sämtliche der elf Millionen ohne legalen Aufenthaltsstatus im Land
lebenden Menschen ihre Deportation
fürchten müssen.
US-Präsident Donald Trump hatte
im Wahlkampf davon gesprochen, drei
Millionen »illegale« Einwanderer mit
krimineller Vergangenheit abzuschieben. Durch einen Erlass seines Amtsvorgängers Barack Obama waren bisher mehr als 700.000 Einwanderer ohne gültige Aufenthaltspapiere, die als
Kinder in die USA gekommen waren,
vor der Ausweisung geschützt. Menschenrechtsgruppen übten scharfe Kritik an den Maßnahmen der Regierung.
»Minister Kelly hat eine beispiellose
Hexenjagd eingeleitet, die Millionen
Einwandererfamilien trifft«, erklärte Angelica Salas von der Coalition
for Humane Immigrant Rights. Die
Richtlinien leiteten einen »unrechtmäßigen Prozess« ein, »eine Fahndung,
um nicht registrierte Einwanderer loszuwerden, die in den USA leben und
arbeiten«. Omar Jadwat von der Ame-
rican Civil Liberties Union erklärte,
er rechne mit rechtlichen Einwänden.
»Die Anordnungen zeigen, dass die
Trump-Regierung willens ist, eine hyperaggressive Politik der Massenabschiebung voranzutreiben.«
Die neuen Richtlinien würden der
nationalen Sicherheit schaden, erklärte der demokratische Senator Ben
Cardin. New Yorks Bürgermeister Bill
de Blasio erklärte, es würden »unnötig Familien auseinandergerissen«,
und es werde »Angst in Einwanderergemeinden geschürt«.
(AFP/dpa/jW)
Ecuador vor
Stichwahl
MARIANA BAZO/REUTERS
Eine Tagung in Berlin zum 90. Geburts- Amnesty International legt einen
tag des marxistischen PhilosoBericht zu Massenhinrichtungen
phen Hans Heinz Holz. Interview
in Syrien vor. Ohne klare Belege
Quito. Die Präsidentschaft in Ecuador
wird aller Voraussicht nach in einer
Stichwahl am 2. April entschieden.
Der linke Regierungskandidat Lenín
Moreno verpasst nach Auszählung
von 98,5 Prozent der Stimmen
hauchdünn einen Sieg schon in der
ersten Runde. »Die Tendenz ist
klar«, sagte der Präsident der Wahlbehörde (CNE), Juan Pablo Pozo,
am Dienstag (Ortszeit) in Quito.
Moreno erreichte 39,33 Prozent und
kann laut CNE wohl nicht mehr die
für einen unmittelbaren Sieg nötigen
40 Prozent holen. In der Stichwahl
muss Moreno gegen den konservativen Politiker Guillermo Lasso
(28,19 Prozent) antreten.
Bei den Parlamentswahlen hat
die Linke offenbar die absolute
Mehrheit der Sitze erreicht. Bei einem Auszählungsstand von 80 Prozent erlangte die Regierungspartei
Alianza País von Lenín Moreno
zusammen mit ihren Verbündeten
73 der 137 Sitze in der Nationalversammlung. (dpa/Andes/jW)
Beratungen zu
Griechenland in Berlin
Berlin. Der Chef des Euro-Rettungsfonds (ESM), Klaus Regling, geht
davon aus, dass Griechenland von
Mitte 2018 an »auf eigenen Beinen
steht«, sagte er der Süddeutschen
Zeitung (Mittwochausgabe). In
Berlin standen am Mittwoch abend
Gespräche von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit der Chefin
des Internationalen Währungsfonds
(IWF), Christine Lagarde, und
EU-Kommissionschef Jean-Claude
Juncker auf dem Programm. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte,
es handele sich um »ganz normale
immer wieder vorkommende Meinungsaustausche«. Eine Sprecherin
des Bundesfinanzministeriums hob
hervor, dass Ressortchef Wolfgang
Schäuble (CDU) seine Haltung in
puncto Griechenland nicht geändert
habe. Der Bundesfinanzminister
habe immer gesagt, dass Athen
vorangehen und »die notwendigen
Reformen angehen« müsse. (AFP/jW)
Siehe Seiten 8 und 12/13
wird herausgegeben von
2.022 Genossinnen und
Genossen (Stand 21.2.2017)
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