forum am sonntag

FORUM AM SONNTAG
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Sonntag, 26. Februar 2017, 06.05 Uhr und 17.05 Uhr
„Habe ein Haus gebaut dir zur Wohnung“
Wenn die Kirchen vermieten und verpachten
Von Alexander Meister
Redaktion: Dr. Claus Röck
Norddeutscher Rundfunk
Religion und Gesellschaft
Rudolf-von-Bennigsen-Ufer 22
30169 Hannover
Tel.: 0511/988-2395
www.ndr.de/info
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Atmo (Treppensteigen im Mietshaus)
O-Ton (Jürgen Kaiser):
Ich denke schon, dass der kirchlich-katholische Gedanke unser Selbstverständnis
im Hintergrund darstellt. Wir zwingen keinen, weil er ne Miete nicht bezahlt hat, auf
die Straße zu gehen. Oder mal ne Räumungskündigung. Das gibt’s bei uns äußerst,
äußerst selten.
O-Ton (Martina Huhß):
Keine Frage, die Klosterkammer ist sozial oder fördert für soziale Zwecke, für
schulische Zwecke ihre Ausgaben. Aber die Frage ist: Wo bleibt der soziale Gedanke,
bleibt der nicht auf der Strecke bei den Einnahmen? Ganz besonders bei den
Pächtern?
O-Ton (Tina Bomme):
Es fing mit einem Mieter an, der ist zum Mieterverein. Dann der zweite, dann der
dritte, und dann folgten die anderen auch. Und dann hat sich das nachher durch die
Masse zusammen zum Kampf entwickelt gegen diese Mieterhöhung.
Titelansage:
„Habe ein Haus gebaut dir zur Wohnung“
Wenn die Kirchen vermieten und verpachten
Eine Sendung von Alexander Meister
Atmo
Autor:
Sie zählen zu den großen Vermietern in Deutschland, und sie besitzen riesigen
Grundbesitz: Landeskirchen und Bistümer, Kirchenkreise und Gemeinden, Caritas
und Diakonie. Und dann sind da noch evangelisch und katholisch orientierte
Stiftungen und Wohnungsbau-Unternehmen. Wie groß ihr Besitz und ihre Erträge
zusammen in Deutschland sind, weiß niemand. Doch scheint allgemein fest zu
stehen: Christliche Eigentümer sollen die besseren sein, besser als jeder x-beliebige
Miethai oder Großgrundbesitzer. Sie sollen preiswerte Wohnungen für einkommensschwache Menschen schaffen und ein gutes Miteinander durch soziale Wohnkonzepte fördern. Doch lassen sich die hohen ethischen Ansprüche immer erfüllen,
wenn‘s ums Geld geht? Ein Beispiel für einen kirchlichen Vermieter ist der
Landesverein für Innere Mission in Schleswig-Holstein. Auch in Norderstedt im Kreis
Segeberg betreibt er Begegnungsstätten und therapeutische Wohngemeinschaften.
Vor ein paar Jahren erwarb der Diakonische Verband dort Häuser, um ein weiteres
soziales Projekt zu verwirklichen, sagt Pressesprecherin Regina Rocca.
O-Ton (Regina Rocca):
Wir haben diese drei Mietshäuser gekauft mit insgesamt 24 Wohnungen, weil wir
Wohnraum benötigen für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Die finden auf
dem allgemeinen Wohnungsmarkt nur schwer Wohnungen. Und was uns wichtig
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war, dass die Mieter, die dort wohnen, auch dort wohnen bleiben sollten und die
Klienten der ambulanten und teilstationären Psychiatrie dazu ziehen können.
Autor:
Bald nach dem Kauf der Häuser lässt der Landesverein für Innere Mission sie
umfangreich modernisieren: andere Fußböden, eine neue Heizungsanlage,
moderne Badezimmer. Alles in allem kostet der Umbau am Ende mehr als eine
Million Euro. Wie es das Gesetz erlaubt, legt der Vermieter später die Kosten auf alle
Mieter um. Und die Mieten steigen. Teilweise um mehr als das Dreifache, berichtet
Kurt Plagemann, Geschäftsführer des Mietervereins Norderstedt.
O-Ton (Kurt Plagemann):
Da die Menschen, die dort wohnen, über ein geringes Einkommen verfügen und
überwiegend auch Sozialhilfe beziehen bzw. Unterstützung vom Job-Center
bekommen, hat man die Mieter zu uns geschickt. Wir hatten vorher von der Inneren
Mission noch gar nichts gehört und waren dann sehr erstaunt über das kurze
knappe Schreiben der Rechtsanwältin, wo sehr wenig draus hervorging, nichts
nachvollziehbar war und wo man auch gleich mit Klage drohte, falls man nicht
zustimmen würde und dann noch – so verklausuliert ein wenig – verwies darauf,
dass es ja noch das Recht auf eine Kündigung gibt. Damit waren diese Menschen
dort völlig überfordert und haben sich dann an den Mieterverein Norderstedt
gewandt.
Autor:
Tina und Reinhard Bomme gehören zu den Mietern, die schon lange in den Häusern
an der Greifswalder Kehre in Norderstedt wohnen. Nach der Modernisierung durch
den Landesverein für Innere Mission beginnt für sie eine Zeit der Angst und
Ungewissheit.
O-Ton (Tina Bomme):
Da war das Gefühl gleich da: Die wollen uns hier raushaben. Es geht hier um was.
Irgendwie sind wir denen auch ein Dorn im Auge. Es wäre natürlich eine tolle
Mischung, dass Leute mit wenig Einkommen und psychisch erkrankte Menschen
zusammen leben können. Das wäre ne total tolle Mischung. Wenn man darüber
nachdenkt, was die versucht haben, ist das nen ganz schöner Hammer.
Autor:
Bis heute denken die Bommes, dass sie der Landesverein für Innere Mission damals
aus ihrer Wohnung vertreiben wollte. Tina Bomme und ihr Mann leben in einer
Anderthalb-Zimmer-Wohnung auf gerade mal 32 Quadratmetern. Anders als viele
ihrer Nachbarn bekommen sie kein Geld von den Sozialbehörden. Tina Bomme
arbeitet stundenweise als Postbotin. Reinhard Bomme ist Rentner. Beide zusammen
haben zurzeit gut 1.500 Euro netto im Monat. Das ist zu viel, um Wohngeld
beantragen zu können. Wegen der Modernisierung hat sich die Miete der Bommes
von 200 auf 400 Euro verdoppelt.
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O-Ton (Tina Bomme):
Es ist auf jeden Fall die Teilnahme an der Öffentlichkeit: Theater und Kino und Essen
gehen, das ist auf jeden Fall dann weniger. – Man merkt das schon, dass die Miete
erhöht worden ist.
O-Ton (Regina Rocca):
Wir mussten die Miete erhöhen, weil die Wohnungen wie auch die Häuser selbst
umfangreich modernisiert werden mussten. Und dabei ging es nicht um Luxus und
Komfort. Vielmehr mussten die Wohnungen erst in einen Zustand versetzt werden,
der einem normalen Wohnstandard entspricht.
Autor:
…sagt Regina Rocca vom Landesverein für Innere Mission. Und im Brief der Rechtsanwältin an das Ehepaar Bomme steht…
Zitatorin:
…. dass der Landesverein für Innere Mission in Schleswig-Holstein das Objekt unter
Einsatz von adäquaten Aufwendungen saniert hat, die darauf abzielen, nachhaltig
Wasser und Energie zu sparen.
O-Ton (Tina Bomme):
Unsere Stromkosten sind nicht gesunken. Sie sind irgendwie gestiegen. Wir hatten
mal Strom von 40,00 Euro im Monat. Jetzt haben wir mittlerweile 53,00 Euro im
Monat Stromkosten für die kleine Wohnung. Die Heizung konnten wir früher auch
mal anders einstellen. Jetzt haben wir sie so einstellen müssen. Die Euro-Stücke
fallen einfach so durch, durch den Durchlauferhitzer. Der frisst Strom. Auf jeden Fall:
Modernisierung sieht anders aus. Modernisierung sieht aus, dass man dann Kosten
spart.
Autor:
Erst nach Protesten im Sozialausschuss der Stadt Norderstedt orientiert sich der
Landesverein für Innere Mission an den Obergrenzen für Mietkosten, die die
Sozialbehörden übernehmen und setzt schließlich zehn Euro pro Quadratmeter fest.
So können die Mieter mit einem Anspruch auf Sozialhilfe und Hartz IV in ihren
kleinen Wohnungen bleiben. Tina und Reinhard Bomme aber haben nichts davon.
Zehn Euro pro Quadratmeter sind für sie viel Geld.
O-Ton (Tina Bomme):
Für zehn Euro kriegt man in Hamburg ne Wohnung in besserer Lage. Das hört man
und sieht man und liest man. Zehn Euro ist einfach Luxus. Und hier für die 1970
erbauten Häuser sind zehn Euro einfach zu viel.
Atmo (Haustür, Schritte im Treppenhaus)
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Autor:
Ein anderer christlicher Vermieter: Hier im ersten Stock eines kleinen Bürogebäudes in Hannovers Südstadt hat die Verwaltung des „Heimatwerks“ ihre Büros,
eine Wohnungsbau-Genossenschaft mit katholischer Tradition. Anders als der
Landesverein für Innere Mission in Schleswig-Holstein, ist das Heimatwerk mit 1540
Wohnungen ein gestandener Profi in Sachen Wohnen und Vermieten.
O-Ton (Jürgen Kaiser):
Für unsere Bestandswohnungen, also diese 1540 Wohnungen etwa, haben wir vor
drei, vier Monaten [etwa] eine Analyse durchgeführt – und gerade im Bezug auf den
neuen Mietspiegel, der kommen wird – und da haben wir dann also ausgewertet,
dass bei 600 von diesen Wohnungen der Mietpreis unter 5,00 Euro, teilweise
erheblich unter 5,00 Euro liegt.
Autor:
Das ist deutlich unter dem Durchschnitt der Mieten in Hannover, sagt Jürgen Kaiser,
kaufmännischer Vorstand des „Heimatwerks“. Es wurde 1949 von katholischen
Kriegsheimkehrern und ausgebombten Hannoveranern gegründet. Auch heute noch
spiele die katholische Ethik eine zentrale Rolle im täglichen Geschäft, erläutert
Jürgen Kaiser an einem Beispiel.
O-Ton (Jürgen Kaiser):
Wir haben eine ausgeklügelte Schuldnerberatung. Und meine Assistentin Frau
Mahn, die kümmert sich dann persönlich eigentlich um jeden einzelnen rückständigen Mieter, der in Zahlungsschwierigkeiten kommt. Und wir handeln dann mit
dem zum Beispiel irgendwelche Zahlungspläne, Ratenpläne aus.
Autor:
Die Nachfrage nach sozialen Konzepten im Mietwohnungsbau sei heute größer
denn je, sagt Jürgen Kaiser. Deshalb biete seine Genossenschaft verschiedene
Modelle an. Beispielsweise das Projekt „Wohnen 50 plus“ mit einem Konzept gegen
die Vereinzelung und Anonymität im Mietshaus. Und es gibt Modelle für preiswertes
Wohnen: etwa für Senioren, für tunesische Studenten oder spanische Azubis. Neben
seiner Tätigkeit beim „Heimatwerk“ ist Jürgen Kaiser auch für den Hauptausschuss
des Katholischen Siedlungsdienstes aktiv, als stellvertretender Vorsitzender. Dort
sind unter anderem die Siedlungswerke aller 27 katholischen Bistümer organisiert.
Die Siedlungswerke leiten einen Teil der Überschüsse aus den Mieterträgen an die
Bistümer weiter, sagt Jürgen Kaiser.
O-Ton (Jürgen Kaiser):
Grundsätzlich als Leiter einer Wohnungsgenossenschaft oder Immobilienunternehmen muss ich natürlich sagen: Was ich nach außen gebe, steht meinen
Beständen nicht mehr zur Verfügung. Wenn ich also breit aufgestellt sein will, will
hohen Modernisierungsstandard fahren, will Neubau betreiben, wenn ich das alles
erfüllen will, dann ist die Frage: Ist noch Platz da, um Gewinne letztlich abzuführen?
Oder brauche ich die Gelder für meine Bestände?
5
Autor:
In den evangelischen Landeskirchen sei man zurzeit nicht auf die Erträge aus
Immobilien und Grundstücken angewiesen, um sie für die kirchliche Arbeit zu
verwenden, heißt es in der Evangelischen Kirche in Deutschland, EKD. Noch komme
genug Geld über die Kirchensteuer rein. Die Frage, ob es Strategien in den
Evangelischen Landeskirchen gibt, mit denen später einmal rückläufige Kirchensteuereinnahmen durch Immobilien-Erträge aufgefangen werden sollen, verneint
Adalbert Schmidt. Er ist Vorsitzender der EKD-Grundstücks- und Baurechtskommission.
O-Ton (Adalbert Schmidt):
Die Frage ist insoweit etwas spekulativ, als man A wissen müsste, wie hoch dann der
Einnahmerückgang zum einen sein wird. Und zum anderen sind der weitaus größte
Teil der kirchlichen Immobilien keine Renditeobjekte, aus denen sich also
Einnahmen erzielen lassen, sondern Objekte, die für die kirchliche Arbeit benötigt
werden und im Grunde eigentlich eher Kosten verursachen, als das sich Einnahmen
ergeben.
Autor:
An der Basis jedenfalls, in den Kirchenkreisen und Gemeinden, fehlt es aber schon
jetzt häufig an Geld. Ist also zu erwarten, dass man dort mehr auf Rendite und
weniger auf soziales Wohnen setzt? Und weht ein frischer Wind durch die Büros der
Bauverwaltungen in den Kirchenkreisen?
O-Ton (Adalbert Schmidt):
Es gibt eine Brise, sicherlich zu gucken aufgrund der Umstellung der Finanzsysteme,
dass also wirklich die Kirchengemeinden nicht mehr Mittel zur Sicherstellung aller
Arbeiten von der Landeskirche bekommen können und künftig auf eigene
Einnahmen angewiesen sind. Um die Arbeit sicher zu stellen oder besondere
Projekte zu finanzieren, wird hier und da geschaut, dass Einnahmen auch aus
Immobilien erzielt werden können.
Autor:
Im Evangelischen Stadtkirchenverband Hannover sind es vor allem die Gemeinden,
die vermieten. Und zwar fast alle. Einen Teil der Erträge aus ihren Wohnungen
nutzen sie bereits jetzt, um den Küster, die Kirchenmusik oder die diakonische
Arbeit zu bezahlen. Auch die Dreifaltigkeits-Kirchengemeinde in Hannover vermietet
Wohnungen. Deren Kirchenvorstand kündigte vor einigen Monaten im
Gemeindebrief ein Neubauprojekt an:
Zitatorin:
In Gesprächen mit dem städtischen Bauplanungsamt und mit dem kirchlichen Amt
für Bau und Kunstpflege ist ein Plan entstanden, der vorsieht, das Gemeindehaus
sowie die Wohnhäuser abzureißen und dann mindestens dreigeschossig zu bauen.
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Wir freuen uns über Hinweise auf frei werdende Wohnungen im Stadtteil, die für
unsere jetzigen Mieter interessant sein könnten.
Autor:
Auf einer Gemeindeversammlung erfahren die Mieter dann: Nach dem Abriss der
Häuser sollen mehr Wohnungen entstehen als bisher. So hat es der Kirchenvorstand
beschlossen. Auslöser ist die Tatsache, dass das Gemeindehaus für die kirchlichen
Zuschuss-Richtlinien zu groß ist. In einem Zuge soll nicht nur das Gemeindehaus,
sondern gleich die gesamte Häuserzeile bei der Kirche neu gebaut werden. Mieter
wie Burkhart Vietzke und seine Frau müssen ausziehen.
O-Ton (Burkhart Vietzke):
Wir sind beide über 70 und sind hier in dem Viertel in den letzten 39 Jahren sehr
verwurzelt, auch durch die Mitarbeit in der Gemeinde, Mitarbeit am Gemeindebrief,
bei meiner Frau: Kindergottesdienst wieder mit eingeführt. Und wir würden gerne
im Viertel bleiben. Nachdem wir aber wissen, wir müssen uns nach einer anderen
Wohnung umsehen, haben wir den Immobilienmarkt hier ständig beobachtet und
festgestellt: Genau der Grund, der für die Gemeinde dazu führt, sich erhöhte
Einnahmen zu versprechen, nämlich der Immobilienboom gerade in der Oststadt,
wird dazu führen, dass wir in der Oststadt keinen bezahlbaren, zumutbaren
Wohnraum mehr finden werden. Das ist ziemlich sicher.
Autor:
Mit den höheren Einnahmen will der Kirchenvorstand die Gemeinde „zukunftsfähig“
machen und sich ein sicheres zweites Standbein neben der Kirchensteuer
aufbauen. Burkhart Vietzke bedauert den geplanten Abriss der alten Häuser auch
deshalb, weil sie nach dem Krieg mit amerikanischer Hilfe und mit Geldern des
Lutherischen Weltbundes wiederaufgebaut wurden.
O-Ton (Burkhart Vietzke):
Einer der bedeutendsten Theologen des Lutherischen Weltbundes, Carl Mau, war
hier selbst beteiligt, hat auch hier gewohnt. Dieser Theologe hat auch die
Haushalterschafts-Theologie nach Deutschland gebracht, also die Theologie zum
verantwortungsvollen Umgang mit dem Anvertrauten. Was hier aber mit den
Häusern geschehen ist, das hat mit verantwortungsvollem Umgang wenig zu tun:
Ein früherer KV-Vorsitzender hat uns eingestanden: Wir haben die Häuser auf
Verschleiß gefahren, keine Rücklagen gebildet, sondern damit die laufende
Gemeindearbeit finanziert aus den Mieten.
Autor:
Ein anderer Mieter, Axel Gerland, findet: Der Kirchenvorstand könne nicht einerseits
Fair-Trade-Produkte in der Gemeinde verkaufen lassen und sich andererseits
gegenüber den eigenen Mietern gleichgültig zeigen.
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O-Ton (Axel Gerland):
An der Stelle ist man schon enttäuscht, wenn man mitbekommt in einer Gemeindeversammlung, dass bei dieser sogenannten „großen Lösung“ auf die Interessen
einzelner Mieter, so wortwörtlich, keine Rücksicht genommen werden kann. Und an
der Stelle frage ich mich wirklich, inwieweit sozusagen da auch kirchlich –
Schrägstrich – kirchlich-diakonische Arbeit, sich an den eigenen Ansprüchen
messen lassen kann, messen lassen muss.
Autor:
Stadtsuperintendent Thomas Höflich gibt zu bedenken, dass die Kirchenvorstände
in den Gemeinden hohe ethische Standards zu berücksichtigen haben, wenn es um
Vermietungen geht. Im Stadtkirchenverband Hannover ist er zuständig für die
Finanzen und das Gebäudemanagement.
O-Ton (Thomas Höflich):
Mir ist kein Fall bekannt, wo ein Totalabriss von einem solchen Objekt wäre oder
eine solche Sanierung, die den kompletten Auszug erfordert. Kann ich mir eigentlich
auch nicht vorstellen, weil eigentlich die Objekte, also die Mietobjekte, meines
Wissens in nem sehr guten Zustand sind. Bei Einzelfällen, wenn es uns das bekannt
würde, würden wir natürlich entsprechend reagieren.
Autor:
Kirchliche Neubaupläne jedenfalls liegen im Trend, sagt der Stadtsuperintendent:
Ein Drittel aller 61 Gemeinden im Evangelischen Stadtkirchenverband Hannover
plant zurzeit einen Umbau, einen Neubau oder Sanierungen. Das liegt vor allem
daran, dass nach den kirchlichen Finanzregeln mehr Geld für Neubauten als für
Modernisierungen alter Gebäude gezahlt wird, erklärt Thomas Höflich. Haben die
kirchlichen Vermieter also inzwischen doch mehr die Rendite im Blick als das
Soziale – jetzt, da die Zuschüsse knapper werden und das Geld anders verteilt wird?
Beim Deutschen Mieterbund in Berlin sieht man die Kirchen und kirchennahen
Organisationen zwar nicht als Preistreiber unter den Vermietern. Aber in einer
Stellungnahme heißt es:
Zitatorin:
In letzter Zeit fällt uns auf, dass auch Kirchen als Vermieter oder kirchennahe
Organisationen Mieten erhöhen. Sie denken immer stärker wirtschaftlich. Das gilt
insbesondere für Fälle, in denen sie Gewerberaum vermieten. Hierbei gibt es immer
wieder Einzelfälle, wo wir feststellen: Diese Mieterhöhung ist hart an der Grenze des
Legalen. Besonders in den Großstädten nutzen kirchliche Vermieter die
vorhandenen Spielräume und erhöhen die Mieten. Wir erwarten von der Kirche, dass
sie sich ethisch anders verhält, als ein finanzorientiertes oder ein börsennotiertes
Wohnungsunternehmen.
Autor:
Ein anderes Beispiel: Auch diesmal geht es um hohe christlich-ethische Ziele, um
Anspruch und Wirklichkeit.
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Atmo (Werbespot zum Thema Erbbau)
Autor:
Auf der Homepage der Klosterkammer Hannover wirbt ein Spot für ErbbauGrundstücke. Das Prinzip scheint einfach: Auch Menschen mit kleinen und mittleren
Einkommen können sich ein Eigenheim bauen – indem sie Grund und Boden auf
Lebenszeit mieten, statt ihn zu erwerben. Die Klosterkammer Hannover ist mit
mehreren tausend Verträgen einer der großen Verwalter von Erbbaurechten in
Deutschland. Aus den Erträgen gibt die Klosterkammer jedes Jahr mehr als drei
Millionen Euro für wohltätige Zwecke aus: für die ehrenamtliche Arbeit im Hospiz,
für Projekte mit Behinderten und Nicht-Behinderten, für die Kirchenmusik. Zudem
bezahlt sie einigen Kirchengemeinden den Unterhalt und restauriert
denkmalgeschützte Kirchen und Klöster.
O-Ton (Martina Huhß):
Das sind ganz tolle Dinge, die unterstützt werden, gar keine Frage. Aber es ist die
Frage: Man kann nicht immer nur soziale Ausgaben leisten. Man muss sich auch mal
Gedanken machen: Woher kommen die Einnahmen? Wird da der soziale Aspekt
nicht inzwischen ganz ausgeblendet?
Autor:
Martina Huhß aus dem niedersächsischen Wennigsen lebt mit ihrem Mann im
selbstgebauten Haus auf dem Grund und Boden der Klosterkammer. Auch die
meisten anderen Grundstücke im Ort gehören der Kammer. Vor knapp sieben
Jahren gründeten die Erbbau-Berechtigten aus der Umgebung eine Interessengemeinschaft. Das Ziel war, die Klosterkammer zu bewegen, ihre regelmäßigen
Pachterhöhungen ein oder zwei Jahre auszusetzen, sagt die Sprecherin der
Interessengemeinschaft.
O-Ton (Martina Huhß):
Wenn man die Rezession zum Beispiel anführt… Es hat uns vor ein paar Jahren hier
mächtig in Deutschland erwischt. Und viele Familien, die ungeplant in Arbeitslosigkeit, in Frühverrentung und in diesen Dingen landen, haben auch Kinder noch in der
Ausbildung, da hätten wir ein Entgegenkommen der Klosterkammer erwartet. Denn
den Einzelnen trifft es doch sehr viel mehr als die Klosterkammer. Das tut manch
ein Wohnungsbesitzer auch, der seine ein oder zwei Eigentumswohnungen
vermietet. Zeigt ja auch seinen Mietern gegenüber Entgegenkommen.
Autor:
Doch stattdessen zahlen die Erbbau-Pächter stetig höhere Zinsen, je länger sie auf
den Grundstücken der Klosterkammer leben. Und die liegen zurzeit deutlich über
den Hypothekenzinsen, die man beispielsweise zahlen muss, wenn man sich ein
Grundstück mit geliehenem Geld kauft. So wie Martina Huhß hält auch Dietmar
Lange die regelmäßigen Zinserhöhungen für unangemessen. Vor 25 Jahren
pachtete er für sich und seine Familie ein Grundstück in Wolfsburg-Vorsfelde.
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O-Ton (Dietmar Lange):
Wir haben also von 1992 bis jetzt bis zum Jahr 2017 insgesamt 70.686 Euro bezahlt.
Das Grundstück erschlossen – die Erschließungskosten haben wir damals bezahlt –,
hat heute einen Wert von ungefähr 91.000 Euro. Und das heißt, dass wir [also] in ein
paar Jahren den Grundstückswert schon voll an Erbbauzinsen bezahlt haben.
Autor:
Doch das Grundstück bleibt trotzdem Eigentum der Klosterkammer Hannover. So
steht es im Vertrag. Für Matthias Nagel, den Leiter der Abteilung Liegenschaften in
der Klosterkammer, sind die Zinserhöhungen – auch als „Wertsicherung“ bezeichnet
– ein legitimer Vorgang.
O-Ton (Matthias Nagel):
Diese Wertsicherung stellt letzten Endes nichts anderes dar, als einen Inflationsausgleich während der langen Laufzeit des Erbbaurechtsvertrages. Und das heißt,
die Wertsicherung ist ja dann das Verhältnis, wie sich die Verbraucherpreise
innerhalb von fünf oder zehn Jahren entwickelt haben. Da habe ich natürlich keinen
Verhandlungsspielraum.
Autor:
Ebenso wie die Klosterkammer hat auch die Braunschweigische Landeskirche
Erbbaurechte vergeben. Zurzeit rund 1000 Stück. Auch sie erhöht regelmäßig die
Zinsen. Aus der Pressestelle der Landeskirche heißt es dazu schriftlich:
Zitatorin:
Die Zinssätze orientieren sich an der jeweiligen Marktlage. Hier gibt es gesetzliche
Vorgaben, an die sich die Landeskirche hält. Auch Anpassungen, die alle fünf Jahre
stattfinden, basieren auf geltendem Recht.
Autor:
Der Hinweis auf „gesetzliche Vorgaben“, die die Pachterhöhung als unausweichlich
erscheinen lassen, und der Satz, man habe keinen Verhandlungsspielraum – das
sind für Rainer Smektala bekannte Argumente. Er ist Pächter und einer der
Sprecher der Interessengemeinschaft Erbbau-Berechtigter in Wolfsburg.
O-Ton (Rainer Smektala):
Die Erbbaurechts-Verordnung, die spricht ja von „kann“ nach soundso vielen Jahren
oder „kann“ in regelmäßigen Abständen erhöht werden. Die Erbbaurechtsgeber
leiten natürlich da immer gerne ein Muss ab. Die sehen sich dann „gezwungen“
praktisch, aus dieser Kann-Regelung eine Erbbauzins-Erhöhung durchsetzen zu
müssen. Das ist natürlich eine Sache: Wenn im Gesetz steht „kann“, dann kann man
auch darauf verzichten, meines Erachtens. Man kann auch mal aussetzen.
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Autor:
Als Pächter der Landeskirche Braunschweig zahlt Rainer Smektala inzwischen
doppelt so viel Geld wie sein Nachbar in derselben Straße, der sein Grundstück von
der Stadt Wolfsburg gepachtet hat. 1919, als das Erbbaurecht entstand, verfolgte es
noch einen sozialen Zweck: Familien mit niedrigen Einkommen sollten die
Möglichkeit haben, sich ein Eigenheim auf preiswertem Baugrund zu errichten.
Atmo (Spot Klosterkammer)
Atmo (Schritte im Treppenhaus)
Autor:
Sind die Kirchen und die kirchennahen Organisationen also die besseren Vermieter
und Verpächter? Adalbert Schmidt, der Vorsitzende der EKD-Grundstücks- und
Baurechtskommission, bleibt zuversichtlich.
O-Ton (Adalbert Schmidt):
Nach meiner Wahrnehmung ist es [aber] so, dass daneben auch versucht wird, die
Mieten auf einem angemessenen Niveau zu halten, also tatsächlich nicht die völlige
Profitorientierung in diesem Bereich besteht.
Atmo (Schritte im Treppenhaus)
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