Merkel will von nichts gewusst haben

Ausgehöhlt
HENDRIK SCHMIDT/DPA
Seit 1990 verfallen in Ostdeutsch­
land Kulturinstitutionen. Mas­
senhaft wurden Bibliotheken
geschlossen, Theater und Orchester
aufgelöst. Progressive Kultur stützt
sich auf private Initiativen.
Von Markus Schneider
BLÜHT WAS IM OSTEN
GEGRÜNDET 1947 · FREITAG, 17. FEBRUAR 2017 · NR. 41 · 1,60 EURO (DE), 1,80 EURO (AT), 2,30 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT
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Auspressung
Diktaturwerbung
Gegenwind
Pixelproletariat
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Berlin: Mieterhöhungen für Hunderte
Sozialwohnungen ab März.
Interview mit Rouzbeh Taheri
Türkischer Ministerpräsident Yildirim
kommt zum Wahlkampf nach
Oberhausen. Von Nick Brauns
Betriebsrat von Tata Steel in den Niederlanden befürchtet Jobverlust
bei Fusion mit Thyssen-Krupp
SEITE 3
Aus der digitalen Boheme sind längst
panische Mikrounternehmer
geworden. Von Timo Daum
Faule Deals mit Ansage
Syrien-Gespräche in
Astana fortgesetzt
YVES HERMAN/REUTERS
Schäuble vor Untersuchungsausschuss: Finanzsystem stabil – Banker schrieben
Gesetze für »Cum-Ex-Geschäfte«. Von Simon Zeise
Astana/Moskau. Bei den Syrien-Gesprächen in der kasachischen Hauptstadt Astana haben die beteiligten
Seiten am Donnerstag über eine
Festigung der seit Ende Dezember
geltenden Waffenruhe beraten. Es
gehe darum, wie die drei Garantiemächte Russland, Türkei und Iran
gemeinsam die Einhaltung der Waffenruhe überwachen könnten, sagten
Diplomaten der Agentur Interfax.
Die letzten erwarteten Teilnehmer
aus den Reihen der syrischen Opposition waren erst in der Nacht zum
Donnerstag in Astana eingetroffen.
Deshalb hatte sich die Konferenz um
einen Tag verschoben. Das Treffen
soll gleichzeitig die kommende
Woche geplanten Friedensgespräche
unter Führung der UNO in Genf vorbereiten. Sie sollen am 23. Februar
beginnen, bestätigte der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura bei
einem Treffen mit dem russischen
Außenminister Sergej Lawrow in
Moskau. (dpa/jW)
Investoren wurden vorgewarnt, erst danach wurde das Dividendenstripping verboten
M
it oder ohne? Am Ende
gewinnt immer die Bank.
Um bis zu zwölf Milliarden Euro sollen Investoren den
Staatshaushalt zwischen 2002 und
2012 durch »Cum-Ex-Geschäfte« geprellt haben. Am Donnerstag wurde
Finanzminister Wolfgang Schäuble
(CDU) hierzu im Untersuchungsausschuss des Bundestages befragt.
Im Vorfeld der Ausschusssitzung
hatte der Spiegel berichtet, Schäuble
sei bereits 2011 über Gesetzeslücken
informiert worden. Das haute den Minister nicht von den Socken. Von den
»Anlagemodellen«, bei denen Käufern die Kapitalertragssteuer mehrfach erstattet wurde, wollte Schäuble
sogar schon zum Amtsantritt im Oktober 2009 erfahren haben. Es habe
schlichtweg drei Jahre gedauert, bis
die Gesetzeslücke geschlossen werden konnte. Es habe sich schließlich
um »außergewöhnlich komplexe«
und »außergewöhnlich anspruchsvolle« Änderungen gehandelt. Ganz normale Vorgänge in deutschen Amtsstuben also. Patzig gab sich der Minister
und nahm auh die Finanzaufsichtsbehörde in Schutz: »Die Aufgabenstellung der Bafin ist es nicht, den
Vollzug von Steuergesetzen zu prüfen.« Diese solle nur die Solvenz der
Banken und die Stabilität des Finanzsystems sicherstellen – im Sinne der
Kapitalisten ist das außerordentlich
gut gelungen. Ob das Gezocke jetzt
vorbei sei? Schäuble sprach sibyllinisch: Bis heute gebe es keine Anzeichen, dass diese Systemumstellung
die missbräuchliche Gestaltung nicht
beendet habe.
Nichts Genaues weiß man nicht –
stinknormaler Alltag in bundesdeutschen Amtsstuben. Eines hat der
Ausschuss deutlich gemacht: Die investorenfreundlichen Gesetze im Finanzministerium (BMF) wurden von
Bankern selbst geschrieben. Der Bundesverband deutscher Banken (BdB)
hatte 2002 dem Finanzministerium
einen Gesetzesentwurf vorgelegt,
der die Freizügigkeit für Finanzhaie
erst ermöglichte und der eins zu eins
vom damaligen SPD-Finanzminister
Hans Eichel übernommen wurde.
Der Referatsleiter für Steuerrecht im
Ministerium, Michael Gierlich, hatte
im vergangenen September dem Ausschuss erklärt, seine Abteilung sei
mit der Besteuerung von Finanzprodukten »völlig überfordert« gewesen.
Ständig hätten Mitarbeiter gekündigt.
Deshalb habe man sich gefreut, als
ein Fachmann aus der Finanzwelt seine Hilfe angeboten habe. Zwischen
2004 und 2008 war die graue Eminenz Arnold Ramackers als Experte
für Investmentsteuerrecht als Mitarbeiter tätig. 2009 ließ er sich beurlauben, um gleichzeitig für den BdB und
das BMF zu arbeiten. Zu einer Zeit,
in der die Geschäfte mit den Steuertricks florierten. 2011 warnte er den
BdB, dass Schäubles Behörde gegen
»Cum-Ex-Geschäfte« vorgehen werde. Ein Jahr später wurden die Deals
verboten. Somit war noch genug Zeit
für Investoren, ihre Machenschaften
reinzuwaschen.
Gegenüber jW erklärte Oskar Lafontaine, 1998 Finanzminister mit
SPD-Parteibuch und heutiger Vorsitzender der Linksfraktion im Saarland, am Donnerstag: »Die Kleinen
hängt man, die Großen lässt man
laufen. Nach dieser Maxime bleiben
die meisten Verbrechen der Finanzmafia in Deutschland ungeahndet.
Und wie in den USA saßen und sitzen die Lobbyisten der Banken im
Finanzministerium. Meine Nachfolger als Finanzminister waren durch
Unterlassung bei der Plünderung der
Staatskasse behilflich. Das ist ein
Skandal.«
Merkel will von nichts gewusst haben
USA: Trump-Kabinett
fehlt Arbeitsminister
Washington. US-Präsident Donald
Trump ist der nächste Minister
abhanden gekommen. Der FastFood-Unternehmer Andrew Puzder,
Kandidat für den Posten des Arbeitsministers, gab am Mittwoch abend
seine Entscheidung bekannt, auf
das Amt verzichten zu wollen. Nach
Informationen der Washington Post
hatten mindestens sieben Senatoren
von Trumps Republikanischer Partei
dem Chef der Hamburgerketten
Carl’s Jr. und Hardee’s die Unterstützung für das Ministeramt entzogen.
Puzder war einer der umstrittensten
Kabinettskandidaten des neuen Präsidenten. Ihm wird vorgeworfen, für
eine Aushöhlung der Arbeiterrechte
zu stehen. Puzder hatte sich vehement gegen die Forderung nach einer
Erhöhung des landesweit geltenden
Mindestlohns gestellt.
(AFP/jW)
jW-Shop
Freitag, 17. Februar 2017,
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Winte
ade
Nr. 41
Spezial
Freitag, 17. Februar 2017, Nr.
Vernehmung vor dem NSA-Untersuchungsausschuss bringt keine Ergebnisse
B
undeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat jede Täuschung der Öffentlichkeit in
der Affäre um die massenhafte Datenspionage des US-Geheimdienstes
NSA zurückgewiesen. Als sie in der
Hochphase des Skandals gesagt habe: »Ausspähen unter Freunden – das
geht gar nicht«, habe sie nicht gewusst, dass auch der Bundesnachrichtendienst (BND) selbst solche
Spionage betrieb. »Ich habe keinerlei
Anlass gehabt, dass der Satz bei uns
seitens des BND nicht eingehalten
wurde«, sagte Merkel am Donners-
tag in ihrer Vernehmung vor dem
NSA-Untersuchungsausschuss des
Bundestags.
Merkel betonte, sie halte an dem
Satz fest. Mit ihm hatte Merkel 2013
auf den wahrscheinlichen, aber nicht
bewiesenen Lauschangriff des USGeheimdienstes NSA auf ihr Handy
reagiert. Inzwischen ist aber klar, dass
auch der BND selbst über Jahre sogenannte Partner, Regierungen und
Institutionen ausspähte. Die Aufsicht
über den BND liegt beim Kanzleramt.
Die Opposition wirft Merkel Augenwischerei vor.
Die Datenspionage der NSA war
durch Enthüllungen des Ex-NSAMitarbeiters Edward Snowden bekanntgeworden. Merkel sagte aus,
sie habe im Juni 2013 aus den Medien erfahren, dass die NSA »Datensammlungsprogramme« unterhalte.
Der NSA-Ausschuss leuchtete über
Monate aus, wie der BND der NSA
beim Datenabgriff half. Die NSA
gab zum Ausforschen der Datenströme massenhaft sogenannte Selektoren an den BND, etwa Telefonnummern, E-Mail- oder IP-Adressen.
Die Linke-Obfrau im Ausschuss,
Martina Renner, warf dem Kanzleramt »massives Versagen« vor. Merkel wies dies zurück. Der GrünenAbgeordnete Hans-Christian Ströbele
hielt Merkel vor, im Fall Snowden
nur die »Viertelwahrheit« zu sagen.
Es geht dabei um den Widerstand der
Regierung, den NSA-Enthüller Snowden aus seiner russischen Zuflucht
nach Deutschland zu holen. Merkel
gab als Grund fehlende Asylgründe
an. Ströbele warf ihr vor, Snowden aus
Rücksichtnahme auf die USA nicht im
Land haben zu wollen.
(dpa/jW)
was
Blüht
Osten?
im
Die Serie.
Vom 11.
Nach Anschluss der DDR
7
bis 18.2.201
wurden sieben von zehn
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1
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■ Seiten 2/3
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an der FDJ-Juseurin Kirsi Marie Liimatainen
Pieck« die Lehren
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LiimaJahre später suchte
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