Glaubenssachen -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Sonntag, 12. Februar 2017, 08.40 Uhr Wert oder Würde Wofür es sich zu leben lohnt Von Gotthard Fuchs Redaktion: Florian Breitmeier Norddeutscher Rundfunk Religion und Gesellschaft Rudolf-von-Bennigsen-Ufer 22 30169 Hannover Tel.: 0511/988-2395 www.ndr.de/ndrkultur - Unkorrigiertes Manuskript Zur Verfügung gestellt vom NDR Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für private Zwecke des Empfängers benutzt werden. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des NDR. 2 Sprecher: In schwierigen oder gar extremen Situationen steht die Frage im Raum, was uns eine Sache wert ist – im Großen wie im Kleinen. Angesichts der Flüchtlingsfragen z.B. wird die europäische Wertegemeinschaft beschworen, eine neue Grundwertedebatte angemahnt, wertschätzendes Verhalten begrüßt. Wie schillernd sie auch sein mag: Die Kategorie „Wert“ ist in vielerlei Hinsicht dominant und nicht aus der Welt zu schaffen. Aber bei Licht besehen, transportiert sie mindestens so viele Fragen wie Antworten. Um das Problem gleich vorweg zu benennen mit einem berühmten Satz von Immanuel Kant: „Was einen Wert hat, hat auch einen Preis. Der Mensch aber hat keinen Wert, er hat Würde.“ Sprecherin: Damit sind Anlass und Thema der folgenden Überlegungen markiert. Denn wie es um die Menschenwürde in der Welt steht, ist bekannt: allzu oft wird sie mit Füßen getreten oder für politische und wirtschaftliche Eigeninteressen missbraucht. Die derzeitige Konjunktur des Wertbegriffs gibt deshalb zu denken. Angesichts schwerster Krankheit z.B. kann sich die Frage stellen, was das Leben noch wert ist – nicht nur für den Einzelnen, sondern für die Gesellschaft insgesamt. Soll man um jeden Preis noch lebensverlängernd operieren? Ist das noch lebenswert und lohnt es sich? Und was ist mit den Kosten? Sprecher: Wie passt das zusammen: Unantastbare Würde und ständig verhandelbare Werte? In einem der neuen Bücher zu diesem Thema vertritt der Freiburger Philosoph Andreas Urs Sommer die These, Werte seien deshalb so wichtig und in aller Munde, weil es davon so viele gebe und weil sie höchst veränderungsfähig seien. Heutzutage gelten z.B. sexuelle Vielfalt oder ökologisch korrekte Ernährung als höchst werthaltig – vor 50 Jahren wusste man davon fast noch nichts. Die Debatten etwa um Homosexualität oder elterliche Fürsorge zeigten, wie schnell Werte sich wandeln – und das sei in der herkömmlichen Pflicht- oder Tugendethik laut Urs Sommer eben anders gewesen, denn da sei es um letztgültige Werte, um das Absolute, eben um die unhintergehbare Würde gegangen. Kurzum: Der Philosoph meint, die Vielfalt und der ständige Wechsel der Werte fordere ein ständig neues Austarieren ihres jeweiligen Nutzens in konkreten Situationen. Dabei wird die Grundfrage, ob und wie Werte ethisch begründet sind und ob es gar eine Hierarchie von Werten gibt, allzu oft unterschlagen. Sprecherin: Umso dringlicher steht deshalb mit Sommer die Frage im Raum: „Was verrät es über eine Gesellschaft, dass sie ausgerechnet Werte braucht? Welchen Sinn, welchen Nutzen hat es für eine Gesellschaft, sich über Werte zu definieren?“ Zudem: was meint das Grundgesetz mit dem Mottosatz, die Menschenwürde sei unantastbar? Sprecher: Ein kurzer Blick in die Geschichte der Begriffe kann Aufschluss geben, denn „Wert“ ist natürlich zuerst eine Kategorie der Wirtschaft und des Handels. Schon Aristoteles machte sich Gedanken über den Zusammenhang von Wert und Preis. Spätestens mit 3 Beginn der liberalen Wirtschaftsordnung und ihrer kapitalistischen Explosion gerät das Prinzip eines Adam Smith ins Zentrum der Betrachtung, wonach eine unsichtbare Hand den Markt leitet wie ein verborgener Gott. Die klassische Pflicht- und Tugendlehre aber spricht nicht von Werten, sondern von Gütern, ja vom höchsten Gut und seiner unhintergehbaren Würde. Natürlich wusste man von der relativen Eigendynamik ökonomischer Prozesse auch damals, und da hat das Spiel von Angebot und Nachfrage, von Wert und Preis durchaus einen Sinn. Aber seit dem 18. Jahrhundert wurde Wert zunehmend zur zentralen Leitkategorie überhaupt und in allen Lebensbereichen. Das sah Immanuel Kant sehr genau. Wo sich Kategorien des Wirtschaftlichen verselbständigen und verabsolutieren, geht der trennscharfe Unterschied zwischen Wert und Würde tendenziell verloren. Sprecherin: Ein halbes Jahrhundert nach Kant analysierte Karl Marx die vermeintliche Reduzierung aller Personen und Dinge auf ihren Warencharakter, auf ihren Geldwert bzw. Mehrwert. Aus Wertschätzung wurde Wertschöpfung. Den kapitalistischen und nihilistischen Abgrund im Blick wollte Nietzsche entsprechend eine Umwertung aller Werte. Die Philosophen Max Scheler und Nicolai Hartmann begründeten dann eine materiale Wertethik, und seitdem ist, inzwischen längst selbstverständlich, von Grundwerten die Rede, natürlich auch von ständigen Wertkonflikten – und immer muss man die Herkunft des Ökonomischen mitdenken. Das Leben insgesamt ist nicht nur lebenswert, es wird zu einem einzigen Riesenpool an Werten und der Mensch selbst wird als „wertsüchtig“ bestimmt. Selbstwert und Marktwert, Geltung und Geld rücken nicht nur sprachlich immer enger zusammen. Letztentscheidend wird de facto das wertsetzende und wertschöpfende Ich, und unhintergehbar ist nichts. Sprecherin: In fataler Konsequenz haben dann die Nazis vom „unwerten Leben“ gesprochen und entsprechend ökonomisch und mörderisch gehandelt. Dass es so etwas wie Würde gibt, die nicht zur Disposition steht, ist so absolut nicht mehr selbstverständlich und bedarf jeweils eigener Wertschätzung. Spitz formuliert in diesem Kontext der Philosoph Urs Sommer: Zitator: „Was das Geld in der sozialen Alltagspraxis ermöglicht, ermöglichen die Werte in der sozialen Denk- und Gefühlspraxis. Werte sind ein Zaubermittel, alles mit allem in Beziehung zu setzen.“ Sprecher: Eine schwierige Nebenfolge dieser Konjunktur des Wert-Denkens ist es, dass sämtliche Sachprobleme als Moralfragen deklariert werden können und sich damit auf ein Feld verlagern, in dem letztlich jeder selbst sich ein Urteil zutraut. Zum Schluss bestimmt jeder für sich, was noch einen Wert hat, wieviel und warum. Darin äußern sich zweifellos Autonomie und Selbstbewusstsein des modernen Menschen. Schon Kant lag bekanntlich viel an diesen Begriffen. Aber wo der Unterschied zwischen Würde und Wert eingeebnet wird, kommt es letztlich doch zu einer totalen Ökonomisierung und 4 tendenziell zu einem rigorosen Kosten- Nutzen-Denken in allem. Darin steckt eine Gefahr. Nichts ist dann mehr unantastbar, nichts bekommt man geschenkt, alles gehört auf den Markt mit Preisschild und dem schier unentrinnbaren Druck, zu bewerten und zu ver-werten. Sprecherin: Noch einmal sei festgehalten: Es soll hier auf keinen Fall der Eindruck der SchwarzWeiß-Malerei entstehen. Die Sorge um Richtwerte z.B. ist durchaus sinnvoll. Im Bereich vermarktbarer Dinge ist die Wertkategorie zweifellos notwendig, aber der Begriff wird verdächtig oft auch in nicht ökonomischen Zusammenhängen verwendet. Selbst dort, wo etwa mit Blick auf Europa von einem Wertekorsett gesprochen wird, mit den drei Grundpfeilern: Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Demokratie. Das ist gewiss nicht nur falsch, aber eine so absolut gesetzte Wert-Kategorie wird ihren ökonomischen Schatten nicht los und lässt unhintergehbare Letztbestimmungen nicht zu. Nicht zufällig hatte Walter Benjamin den Kapitalismus als die neue Religion bezeichnet: die vermeintlich gottlose, jedenfalls nachchristliche Welt werde sehr wohl von einem Gott regiert, und sie sei diesem sehr fromm untertan: von der „Gottwerdung des Geldes“ und der „Geldwerdung Gottes“ sprach griffig schon Heinrich Heine. Geldwert gleich Selbstwert, lautet die fatale Konsequenz. Längst hat dieses Denken auch das Leitwort von der unhintergehbaren Menschenwürde und dessen Gebrauch erreicht. Wie viele Kriege sind unter der Fahne einer Verteidigung der Menschenrechte geführt worden! Gewiss: Die Befreiung Deutschlands im Mai 1945 fällt darunter, und das Ende manch anderer Diktatur. Aber zur ganzen Wahrheit gehört eben auch der Blick in den Nahen Osten. Viele Kriege werden dort rhetorisch zur Verteidigung der Menschenrechte geführt und faktisch zu Gunsten eigener Wirtschaftsinteressen und geopolitischer Vorteile. Der Menschenrechtsforscher und Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt, spricht deshalb aufrüttelnd-ernüchternd vom „Auslaufmodell Menschenwürde“. Hat also die Würde im Kanon der Tugenden und politischen Herausforderungen inzwischen schon den geringsten Wert? Noch einmal zurück zu Immanuel Kant: „Was einen Wert hat, hat auch einen Preis. Der Mensch aber hat keinen Wert, er hat Würde.“ In dieser Überzeugung sammeln sich die besten Erträge altgriechischer Philosophie und Menschheitsüberlieferung einerseits und biblischer Traditionen andererseits. Die Würde des Menschen ist es, sich selbst mit Vernunft und Gewissen bestimmen zu können und zu sollen. Jeder Mensch ist biblisch betrachtet Gottes Ebenbild, Gottes Stellvertreter auf Erden – und zwar unabhängig von Geschlecht, Rasse, Alter und Einkommen. Gemessen an allen KostenNutzen-Zusammenhängen ist das Dasein des Menschen wertlos. Die einen machen deshalb mit diesem Dasein, was sie wollen bis hin zu den terroristischen Exzessen. Die anderen sehen im Menschen gerade deshalb seine einmalige Größe, die nie ent- und verwertet werden darf. Menschwerdung gelingt nur jenseits der Denkmuster von Wert und Unwert, jenseits von Preis-Leistungs-Verhältnissen. Größer kann vom Menschen nicht gedacht werden, als dass er Gottes Ebenbild und Stellvertreter ist. In christlicher Perspektive findet diese biblische Grundüberzeugung noch eine massive Zuspitzung: 5 Nicht nur jeder Mensch, sondern gerade der gekreuzigte Mitmensch aus Nazareth ist Gottes Bild und Gleichnis. Das Evangelium von ihm ist eine wertlose Wahrheit – aber nicht deshalb, weil sie nichts taugen sollte, sondern weil sie im Gegenteil daran erinnert, dass Menschwerden aus Liebe und in Freiheit und Gerechtigkeit immer grundlos ist, geschenkt und nicht verrechenbar. Der Siegeszug des Christlichen, den Kant in aufklärender Weise neu zur Vernunft bringt, markiert die Würde des Menschen, wie sie grösser nicht gedacht - und gelebt werden kann. Sprecher: Freilich bleiben Kirchen und Christen immer wieder hinter der Wahrheit ihres Bekenntnisses zurück. Immer noch wird in törichter Weise behauptet, wer an Gott glaube, müsse sich abwerten oder klein machen. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Im Namen dessen, der biblisch Gott heißt, kann vom Menschen gar nicht groß genug gehandelt werden. Christenmenschen geben gerade Jesus den Ehrennamen, über den hinaus kein größerer vergeben werden kann. Zitator: „Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt.“ Sprecher: So heißt es schon in einem der alten Psalmen Israels. Das jüngste Konzil der katholischen Kirche erklärte in diesem Sinne: „Wer an Christus glaubt, wird nicht weniger Mensch, sondern mehr.“ Das meint die Würdigung jedes Menschen. Der Golfstrom christlicher Mitmenschlichkeit durchzieht seit 2000 Jahre humanisierend die Menschheitsgeschichte. Denken wir nur die an die Geschichte der Nächstenliebe, der Krankenhäuser, der Sozialfürsorge: welch eine Erfolgsgeschichte zur Würdigung jedes Menschen. Auch die Geschichte der Menschenrechte gehört in diesen Zusammenhang. Diese wurden gegen Adel und höheren Klerus nicht zuletzt von der kirchlichen Basis und aus christlichem Geist erstritten. All das ist kein Anlass zu christlichem Triumphalismus, denn es gibt zu viele dunkle und blutige Stellen auch in der Kirchengeschichte. Aber die Aufdeckung und Durchsetzung der Menschenwürde und Menschenrechte für jeden und alle ist ein christlicher, ein emanzipatorischer Glanzpunkt besonderer Art, und der ist in einem totalen Markt- und Wertedenken hoch gefährdet. Aber selbst die Leitungen der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland hatten vor einigen Jahren eine Denkschrift herausgegeben, in der sie die zehn Gebote Gottes als Grundwerte auslegten, fast hätte ich gesagt, verkauften. Aber die Gebote Gottes wie das gesamte Evangelium sind die wertlose Wahrheit von des Menschen Gotteswürde, wie der Theologe Eberhard Jüngel spitz formulierte. Die zehn Gebote dürfen nicht nach Kosten und Nutzen ausgelegt werden. In ihnen geht es um Würdigung durch Gott, nicht um Werte, die zur Disposition stehen. Sie leben von der befreienden Zusage Gottes, der aus Knechtschaft befreit und stets zuvorkommende 6 Liebe ist, unabhängig von Vor- oder Nachleistungen. „Gottes Gebote haben die Gestalt von Bitten“, notierte treffend die französische Religionsphilosophin Simone Weil. Sie sind Geschenk und Verheißung. Mit ihrer Befolgung antwortet die Gemeinschaft der Glaubenden, jüdisch wie christlich, auf die Erfahrung jenes Gottes, der den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis schafft und die Welt trotz allem schöpferisch erhält. Die Gebote Gottes sind nicht zuerst ge- bietende oder ver-bietende Botschaften, sie sind im Gegenteil das dankbare und verbindliche Antworten auf jenen Gott, der als absolut wohltuend und befreiend erfahren und glaubhaft wurde. Wer im Namen Gottes den Menschen klein macht, macht Gott klein und tötet ihn. Denn die Größe des Menschen ist es, Gottes zu bedürfen. Die Größe Gottes aber ist es, des Menschen bedürfen zu wollen und mit ihm einen schöpferischen Bund wechselseitiger Freundschaft in Gerechtigkeit und Liebe zu schaffen. Das ist die Würde des Menschen, nämlich dem lebendigen Gott und seinem Wirken schöpferisch und in Freiheit zu entsprechen. Mag man die 10 Gebote dann auch Grundwerte nennen; Hauptsache, es ist klar, was damit gemeint ist und was nicht. Alles Menschliche erschließt sich erst im Raum von Freiheit und Liebe, und im Mut, jene unmenschlichen selbstzerstörerischen Tendenzen wahrzunehmen und möglichst zu überwinden, die aus der Angst vor der Freiheit kommen, aus der Angst, ins Nichts zu fallen oder nichts wert zu sein. In der Tat, auch gerade das vermeintlich unwerte Menschenleben hat eine Würde: genau das ist ja zu lernen. Sprecherin: Martin Luthers Reformation jährt sich zum 500. Male. Was er neu zur Geltung brachte, was von den Ursprüngen an in allen Kirchen zentral war und bis heute ist, ist aktueller denn je. Er sprach von „Rechtfertigung aus Glauben allein“, wir könnten auch sagen: Würdigung des Menschen aus Gottes zuvorkommender Güte allein – nicht aufgrund von Wert und Unwert, nicht aufgrund von Leistung und Gegenleistung, nicht gegen Bezahlung und nach der Logik des Tausches oder gar des kapitalistischen Geldverkehrs. Hellsichtig hatte Luther, wie übrigens nicht wenige vor ihm schon, die Sache mit Gott und der Menschenwürde zusammengebracht mit dem Thema Geld und Kapital. Selbstwert oder Geldwert, Wertschätzung oder Wertschöpfung ist dann die Frage, genauer: Würde oder Wert. Nur wenn wir unserem Dasein gemäß der ständigen Vorgabe Gottes wirklich gerecht werden und uns also als längst gerecht Gemachte begreifen dürfen, können wir dann auch dort, wo es zu wirtschaften oder zu handeln gilt, uns um Gerechtigkeit bemühen. Aber die Kategorien des Marktes dürfen nie die des gesamten menschlichen Zusammenlebens sein und auch nicht den Umgang mit der nicht-menschlichen Schöpfung dominieren. Das Evangelium durchkreuzt diese Verwertungszusammenhänge, zumal wenn sie sich absolut setzen und als alternativlos gelten wollen. „Es gibt eine Sprache des Marktes und eine Sprache des Brautgemachs“, meinte Simone Weil, - und nicht nur Sprache, sondern Leben. Für die Zukunft der Menschheit und der Erde dürfte deshalb alles davon abhängen, ob und wie wir zu einer Kultur des Würdigens und der Mitgeschöpflichkeit zurückkehren können. Ziel muss doch sein, dass alle Menschen, wohlgemerkt alle, in Würde leben können, ohne dass wir egoistisch den Planeten zerstören. Dazu braucht es den Abschied von einem totalisierenden Leistungs- und Verwertungsdenken, ja es braucht den klugen Kampf dagegen. Zu dealen nach dem Motto: quid pro quo, ich gebe, damit Du etwas 7 gibst, ist nicht alles. Diese Einsicht ist umso aktueller, als wir eine Menge Dealer an den Schaltstellen der Weltmächte haben. Sprecher: Aus diesem Grund wird der Papst auch nicht müde, eine totale Ökonomisierung der Welt- und Selbstverhältnisse anzuprangern und als das zu bezeichnen, was sie christlich ist: gottlos und menschenunwürdig, also sündig. Mit Recht hatte Luther angesichts der Zeichen seiner Zeit an diesen Kern des Christlichen erinnert: Nicht unsere Werke und unsere Leistungen sind es, die alles ins Lot bringen. Umgekehrt ist es: Wenn der Mensch im Lot ist, wenn die Verhältnisse gottgemäß aus der zuvorkommenden Güte Gottes gerecht gemacht und gerechtfertigt sind, dann können auch wir in aller Demut und mit allem Selbstbewusstsein als Stellvertreter Gottes hier und jetzt Verantwortung übernehmen. Für Christen zeigt das keiner so, wie der Unvergessliche aus Nazareth. „Unwahrscheinlicher als Jesus Christus ist nichts“, heisst es kantig und lapidar in einem Tagebuch des Schriftstellers Botho Strauß. Diese Unwahrscheinlichkeit des Evangeliums zeigt sich wesentlich in der Unterscheidung von Würde und Wert. Mindestens die Würde des Menschen ist unantastbar, gerade die des verletzten und erniedrigten. Aber ist nach der Bibel nicht sogar die ganze Schöpfung unbedingt gutgeheißen und dankbar zu würdigen? Das Wasserzeichen in allem, was ist, aber lautet: Würdigen. Biblischer gesagt: Gut heißen. Also segnen. *** Zum Autor: Dr. Gotthard Fuchs, Theologe und Publizist; Arbeitsschwerpunkt: „Geschichte und Gegenwart christlicher Spiritualität und Mystik im interreligiösen Gespräch“
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