A M WO C H E N E N D E WWW.SÜDDEUTSCHE.DE 1F1 MÜNCHEN, SAMSTAG/SONNTAG, 11./12. FEBRUAR 2017 FOTOS: ELI/MAURITIUS, DOMINIK BUTZMANN/LAIF, ILLUSTRATIONEN: SZ Gar nicht süß Wie die Hersteller von Cola und Limonaden vertuschen möchten, dass ihre Getränke noch immer ungesund sind Wissen, Seite 38 (SZ) Limburg ist in erster Linie bekannt für das dortige, sehr sonderbare Bistum. Um, wie man heute sagt, die Standortfaktoren zu optimieren, wurde das Domstädtchen in jüngerer Zeit an die ICE-Strecke und das Fernbusnetz angeschlossen, doch geriet selbst dies dem Ort zum Unglück. Offenbar nutzten ausweislich der Bevölkerungsstatistik manche Einwohner dankbar die neuen Möglichkeiten, Limburg auf schnellstem Wege zu verlassen. Daher muss der Bürgermeister natürlich besonders sensibel für die Nöte der Verbliebenen sein, und das erklärt vielleicht, warum die Stadt die Melodie von „Fuchs, du hast die Gans gestohlen, gib sie wieder her“ aus dem Glockenspiel des Rathauses strich. Das zugrunde liegende Lied geht nämlich mit der Zeile weiter: „sonst wird dich der Jäger holen, mit dem Schießgewe-he-her . . .“. Eine in Hörweite des Rathauses arbeitende Veganerin hatte die Verwaltung daher aufgefordert, die Töne zu entfernen, weil diese sie an die Schrecken des Textes erinnern. So erzählt man jetzt in Limburg. Wer das für kurios hält, der begreift die heutige Zeit leider nicht. Die Menschen verstehen Demokratie als einen Zustand, in dem sie nur noch hören müssen, was sie auch hören wollen. Eigentlich erstaunlich, dass das Glockenspiel erst jetzt ins Visier jener geriet, die jederzeit bereit sind, sich selbst um des Fortschritts willen zum Opfer zu erklären. Immerhin erklang trotz der außenpolitischen Militarisierung – die Bundeswehr erwägt sogar, einen Teil ihrer Hubschrauber wieder flugfähig zu machen – die Melodie eines Liedes, in dem offen vom Schießgewehr als Mittel der Konfliktlösung gesprochen wird. Und natürlich nimmt sich Herr Fuchs einfach die Freiheit, Frau Gans zu packen, als sei er Mister Trump. Nun könnte der Gesetzgeber „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“, ja alle Glockenspiele und Volkslieder verbieten, um Diskriminierungen in jeder Form zu unterbinden. Damit würden jene Deutschen bedient, denen das Verbot schon immer die liebste deutsche Tugend war. Geschickter ist es aber, Politik sprachlich so zu umschreiben, dass sie gar nicht erst als anstößig auffällt. Die Bundesregierung möchte durch Sammelabschiebungen die abgelehnten Asylbewerber loswerden. Aber wie das klingt! Und wie viel freundlicher es sich doch anhört, das „Zentrum zur Unterstützung der Rückkehr“ zu schaffen, über das derzeit beraten wird. Dieses Zentrum ist offenbar als Ort der Fürsorge gedacht, das den Wunsch möglichst vieler Menschen unterstützt, in die geliebte Heimat zurückzukehren; unabhängig davon, ob die Betreffenden von diesem Wunsch überhaupt etwas wissen. Aber vielleicht ist es ja ganz anders. Vielleicht kommen Kriegsflüchtlinge in einem Land einfach nicht gut zurecht, in dem die Leute nicht von Fassbomben traumatisiert werden, sondern vom Limburger Glockenspiel. Medien, TV-/Radioprogramm Forum & Leserbriefe München · Bayern Rätsel & Schach Traueranzeigen 46-48 16 45 63 32-34 61006 4 190655 803401 73. JAHRGANG / 6. WOCHE / NR. 35 / 3,40 EURO SCHANDFLECK DER NÄCHSTE, BITTE Dortmunder Ultras haben den Hass entfesselt. Aber auf wen eigentlich? Von Heuss bis Steinmeier: Was Bundespräsidenten bewirken können Die Seite Drei Buch Zwei, Seite 13 IM AUSVERKAUF Donald Trump wirbt für die Produkte seiner Tochter. Und verramscht die Würde seines Amtes Thema der Woche, Seite 2 Endspiel mit zwei Damen Festnahmen bei Mossack Fonseca Ein ehrgeiziger Plan von Kanzlerin Merkel soll die EU vor dem Zerfall bewahren: Bei Verteidigung und Grenzsicherung sollen die Staaten zusammenrücken – wer nicht mitzieht, soll es bleiben lassen Panama-Kanzlei soll „kriminelle Organisation“ sein von stefan kornelius Das Orakel hat gesprochen, nun darf gerätselt werden. Gleich zweimal in nur wenigen Tagen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel eine politische Formel in den Mund genommen, die in den Staatskanzleien des Kontinents und bei den professionellen Europa-Deutern prompt erhebliches Aufsehen verursachte. Die Geschichte habe gezeigt, so die Kanzlerin beim Brainstorming-Gipfel in Malta, „dass es auch eine EU der zwei Geschwindigkeiten“ geben wird, „dass nicht immer alle an den gleichen Integrationsstufen teilnehmen werden“. Wenige Tage später in Warschau legte sie nach: Zwei Geschwindigkeiten bei der Integration, die gebe es in manchen Politikfeldern schon seit Langem. Und künftig werde es sie noch viel häufiger geben. Bei Merkel weiß man: Sie mag in Rätseln sprechen, aber sie redet nicht unbedacht daher. Wenn die Kanzlerin also die zwei Geschwindigkeiten bemüht, dann steht dahinter eine grundlegende Einsicht: Es geht in der EU gerade um alles. Merkel sucht den Kampf mit denen, welche die Gemeinschaft zerstören wollen. Zwei Kräfte zerren momentan an der EU. Da sind zunächst die Briten, die mit ihrem Austrittswunsch gewissermaßen die Pforte zur Hölle geöffnet haben. Ihre Verhandlungen über die künftige Anbindung an die EU könnten zur Blaupause geraten für jene Europa-müden Staaten, die gerne von den Vorzügen der Gemeinschaft profitieren, Pflichten aber ablehnen. Dazu zählen aus Berliner Sicht neben den Briten die Polen und Ungarn. Auf der anderen Seiten stehen die ÜberEuropäer, die man vor allem in Brüssel findet und die immer enger zusammenrücken wollen. „Herz-Jesu-Europäer“ wer- Wenig ist besser als nichts. Dieses Motto muss man wohl dem Robert-Koch-Institut (RKI) unterstellen, das angesichts der in dieser Saison besonders heftigen Grippewelle akut zur Impfung aufruft. Mehr als 43 000 Erkrankungen und 126 Todesfälle durch die Influenza hat die zentrale Behörde zur Krankheitsüberwachung gerade gemeldet – so viele gab es schon seit Jahren nicht mehr. Im Süden und Westen sind die Praxen voll, der Krankenstand ist hoch. Nur der Norden ist bisher weitgehend verschont geblieben. „Es gibt zwar bessere Zeitpunkte, aber wir raten derzeit dennoch zur Impfung“, sagt Susanne Glasmacher vom RKI. „Besonders chronisch Kranke, Ältere und Schwangere sollten sich schützen.“ Zwar dauert es etwa zwei Wochen, bis die Impfung einen gewissen Schutz vor den Viren bieten kann, „aber in 14 Tagen ist die Grippewelle ja noch nicht vorbei“, sagt Glasmacher. Im Durchschnitt dauert der saisonale Schub im Herbst, Winter oder Frühling zwischen zwölf und 16 Wo- DIZdigital: Alle Alle Rechte Rechte vorbehalten vorbehalten –- Süddeutsche Süddeutsche Zeitung Zeitung GmbH, GmbH, München München DIZdigital: Jegliche Veröffentlichung Veröffentlichungund undnicht-private nicht-privateNutzung Nutzungexklusiv exklusivüber überwww.sz-content.de www.sz-content.de Jegliche den sie in Berlin despektierlich genannt. Merkel sind beide Gruppen suspekt. Wenn die EU Ende März den 60. Geburtstag ihrer Gründungsverträge feiert, dann soll nicht weniger als ein Manifest für die nächsten zehn Jahre entstehen: Was heißt EU heute, was bedeutet „Nation“, was soll künftig Brüssel machen, wo hat die Gemeinschaft überzogen? Merkel hat auf Malta und davor klargemacht, wo sie die EU sieht: Zusammenarbeit dort, wo es zusammen besser geht – bei Verteidigung, Grenzsicherung, Flüchtlingen. Rückbau dort, wo die EU überdehnt ist – bei „Regulierungen bis zum Kaffeelöffel“, wie ein hoher Regierungsbeamter sagt, wo also Brüssel das Leben der Europäer bis in die Einzelheiten normieren will. Die Vorbereitung für diese Generalinventur wurde durch das Brexit-Votum des britischen Unterhauses am vergangenen Donnerstag nicht leichter. Der frühe Zeitpunkt der Abstimmung bedeutet, dass die Briten wohl bereits Anfang März den Austrittswunsch offiziell erklären werden. Das heißt aber auch, dass der März-Gipfel in Brüssel und der Festtags-Gipfel in Rom wenige Wochen später von einer schrillen Austrittsdebatte überlagert werden. Premierministerin Theresa May hat schon seit Monaten ihre Pokerhaltung eingeübt, und es gibt EU-Regierungen, die den Briten großzügig entgegenkommen wollen – um des lieben Friedens willen. Merkel erwartet hingegen von ihrer britischen Kollegin detaillierte Pläne zur künf- Ein Europa, viele Geschwindigkeiten Europäische Union Euro-Zone Schengen-Raum Nato-Mitglied Großbritannien Irland Zypern Dänemark Österreich Belgien Estland Finnland Schweiz Frankreich Deutschland Griechenland Italien Island Lettland Litauen Luxemburg Malta Liechtenstein Niederlande Portugal Slowakei Slowenien Norwegen Tschechien Ungarn Polen Schweden Bulgarien Kroatien Rumänien Spanien SZ-Grafik; Quelle: HM Government Die perfide Welle In Deutschland grassiert die Grippe, viele Ärzte raten zur Impfung. Aber hilft die jetzt noch? chen. Derzeit wird die achte Woche der Erkrankungswelle notiert. Das Problem bei der Impfung ist nicht nur der Zeitpunkt, sondern vor allem ihre schlechte Wirksamkeit. Von allen Personen, die den Wirkstoff erhalten, sind im Durchschnitt nur 40 Prozent geschützt; in der wichtigen Gruppe der Älteren sogar nur 25 bis 30 Prozent. Im Vorjahr lag der Impfschutz lediglich bei 15 Prozent. „Wir haben uns von sehr niedrig auf ein niedriges Niveau gesteigert und sind besser als letzte Saison“, sagt Glasmacher. Die bescheidene Wirkung des Impfstoffs ist ein Grund, warum viele Ärzte und Forscher, die sonst Impfungen befürworten, bei der Grippe-Impfung skeptisch sind. „Der Nutzen ist unklar, in vielen Studien finden sich keine oder nur geringe Vorteile für die Menschen“, sagt etwa die Gesundheitswissenschaftlerin Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg. „Außerdem nimmt gerade im Alter, wenn die Menschen am ehesten gefährdet sind, der Impfschutz ab.“ In Studien drängt sich zudem der Eindruck auf, dass der mickrige Impfschutz auch nur bei denen auftritt, die sich sowieso gesundheitsbewusst verhalten, eher zum Arzt gehen und deshalb weitgehend tigen Bindung an die EU. Die Damen bereiten sich aufs Endspiel vor. Einen ganz anderen Vorstoß plant Polens Regierung – deren heimlichen Übervater, Jarosław Kaczyński, traf Merkel vorigen Dienstag in Warschau. Kaczyński hat ganz eigene Pläne mit der EU. Er will eine groß angelegte Vertragsänderung durchsetzen, das Parlament in Straßburg entmachten, das Einstimmigkeitsprinzip im EU-Rat wieder einführen und damit ein Vetorecht für jede Regierung. Außerdem möchte er das Vorschlagsrecht der Kommission abschaffen. Merkel sieht die Sonderwünsche mit Sorge – zu viele Kräfte treiben die EU auseinander. Darum stellt sie nun die Formel von den unterschiedlichen Geschwindigkeiten dagegen, was im Klartext bedeutet: Wer bei der Verteidigung nicht mitmachen will, soll eben draußen bleiben – aber auch nicht blockieren. Was in südeuropäischen Hauptstädten bereits als Warnung an Reformverweigerer interpretiert wird und in Paris als Liebäugelei mit dem schon lange diskutierten EU-Finanzminister, hat für Merkel eine pragmatische Essenz: Schluss mit der Extrawurst-Politik, Konzentration auf das Wesentliche. Und das ist für Merkel dies: Sie will Sicherheitspolitik und Terrorabwehr bündeln und die Migration bewältigen. „Wer glaubt, alles in der Union blockieren zu können, dem muss man andere Formen der Zusammenarbeit vor Augen halten“, heißt es im Kanzlerinnen-Orbit. Ob sie ihren Willen durchsetzt, entscheidet sich am Ende – wie immer in Europa – am Geld. Da hat Deutschland den größten Hebel, auch wenn es Merkel tunlichst vermeidet, über ihr bestes Druckmittel zu sprechen. Der nächste EU-Haushalt wird auch erst 2021 gebraucht. Die Gespräche zur sogenannten finanziellen Vorschau beginnen aber bereits dieses Jahr. von Symptomen verschont bleiben. Susanne Glasmacher vom RKI will nichts beschönigen: „Wir wissen, dass die Impfung nicht optimal ist, aber immerhin bietet sie ein wenig Schutz. Zudem verläuft die Krankheit milder, wenn jemand trotz Impfung erkrankt“, sagt sie. „Droht ein Wolkenbruch, nehme ich ja auch den alten Schirm, obwohl er löchrig ist.“ Der schlechte Impfschutz geht auf Launen der Biologie zurück, Influenza-Viren verändern sich stets. Jedes Jahr im Februar gibt die Weltgesundheitsorganisation eine Impfstoffempfehlung für den kommenden Herbst heraus. Das hat etwas von Kaffeesatzleserei: Womöglich haben sich die Viren bis dahin längst so verwandelt, dass die Impferei ins Leere läuft. Der lange Vorlauf lässt sich jedoch nicht umgehen, weil die Produktion aufwendig ist. Die Menschen haben aus dieser Unsicherheit ihre Schlüsse gezogen. Von den Älteren sind gerade mal 30 Prozent gegen Grippe geimpft, von den Jüngeren noch weitaus weniger. werner bartens München – Die Eigentümer der OffshoreKanzlei Mossack Fonseca sind festgenommen worden. Durch die Enthüllungen der Panama Papers wurde die Kanzlei weltweit bekannt. Der Deutsche Jürgen Mossack und sein panamaischer Kompagnon Ramón Fonseca wurden laut Medienberichten von Ermittlern vernommen. Die Büros ihrer Firma wurden am Donnerstag durchsucht. Den beiden Anwälten wird vorgeworfen, in den derzeit größten Korruptionsskandal Lateinamerikas verwickelt zu sein. Mossack Fonseca sei offenbar eine „kriminelle Organisation“, erklärte die zuständige Generalstaatsanwältin in Panama-Stadt. Die Ermittler werfen Mossack und Fonseca vor, dabei geholfen zu haben, Geld zweifelhafter Herkunft zu verstecken. Konkret soll die Firma in den sogenannten Lava-JatoSkandal verwickelt sein. Es geht um Schmiergeldzahlungen in Milliardenhöhe. fo Seite 4, Wirtschaft Gericht weist Trump in die Schranken San Francisco – Mit der weltweit meistbeachteten Entscheidung seiner bisherigen Amtszeit hat US-Präsident Donald Trump vor Gericht erneut Schiffbruch erlitten. Der von ihm verhängte Einreisestopp für Menschen aus sieben überwiegend islamischen Ländern bleibt außer Kraft. Ein Berufungsgericht in San Francisco lehnte den Antrag der US-Regierung ab, die Sperre wieder in Kraft zu setzen. Trump bezeichnete die Entscheidung als „skandalös“. sz Seiten 2, 4 MIT STELLENMARKT Dax ▶ Dow ▲ Euro ▼ Xetra 16.30 h 11652 Punkte N.Y. 16.30 h 20230 Punkte 16.30 h 1,0633 US-$ + 0,08% + 0,29% - 0,0021 DAS WETTER ▲ TAGS 8°/ -7° ▼ NACHTS Von Bayern bis nach Thüringen und Sachsen ist es am freundlichsten. Sonst überwiegen meist die Wolken. Im Osten und Norden fällt örtlich etwas Schnee, im Westen Regen oder Schnee. Minus drei bis plus acht Grad. Seite 16 Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München; Telefon 089/2183-0, Telefax -9777; [email protected] Anzeigen: Telefon 089/2183-1010 (Immobilien- und Mietmarkt), 089/2183-1020 (Motormarkt), 089/2183-1030 (Stellenmarkt, weitere Märkte). 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