Wladimir Schirinowski will erneut Präsident werden

Wie
immer
–
Wladimir
Schirinowski
will
erneut
Präsident werden
Der bizarre Chef der rechtsliberalen LDPR will wieder für das
Präsidentenamt kandidieren. „Kommersant“ geht der Frage nach,
welche Rolle nationalistische Parteien bei der Wahl 2018
spielen könnten.
Wladimir Schirinowski ist bereit, an den Präsidentenwahlen
teilzunehmen, aber noch ist offen, ob ihm nicht die Puste
ausgeht. Können irgendwelche anderen Nationalisten, außer der
LDPR, an den Wahlen teilnehmen und der Staatsmacht dabei keine
Probleme bereiten – das ist die Frage, die im Vorfeld des
Urnengangs immer aktueller wird.
Wladimir Schirinowski hat mit der Vorbereitung auf die Wahlen
begonnen. Der Chef der LDPR (…) beabsichtigt, praktisch alle
erdenklichen Parteiposten auf sich zu vereinigen. (…) Er
bleibt Parteivorsitzender und übernimmt die Leitung des
Obersten Rates. Früher hatte sein Sohn, Igor Lebedew, diesen
Posten inne, aber der darf laut Satzung keine dritte Amtszeit
antreten.
Schirinowski
bleibt
auch
Chef
der
Duma–Fraktion.
Das wichtigste ist aber: Mit fast hundertprozentiger
Sicherheit wird der Parteiführer seine Kandidatur
für die Präsidentenwahlen im kommenden Jahr
bekräftigen. Das sieht wenn nicht logisch, so doch
gewöhnlich aus: Schirinowski hat seine Partei bei
allen Wahlen angeführt (bis auf eine Ausnahme), und
das immer mit viel Nutzen für die Partei selbst und
die Staatsmacht.
Meilensteine eines großen Schreis
Als
die
Abgeordneten
des
Kongresses
der
Volksdeputierten der RSFSR im Mai 1991 unter
Gelächter und Gejohle dafür stimmten, dass der Chef
der (wie es damals schien) Zwergpartei LDPSS
(Liberaldemokratische Partei der Sowjetunion – Anm.
d. Ü.) die Möglichkeit bekommt, für das
Präsidentenamt zu kandidieren, hatte wohl keiner den
Gedanken, dass damit nicht nur eine neue Zeile auf
dem Stimmzettel auftaucht, sondern der Startschuss
für eine große politische Karriere gegeben wird.
Der Sieger war eh bekannt, das Team von Boris Jelzin
befürchtete lediglich, dass der Sieg nicht gleich im
ersten Wahlgang errungen wird. Ein Grund für die
Sorge war die offensichtliche Vorherbestimmtheit des
Ergebnisses. Und da kam Schirinowski gerade richtig.
Der extravagante Anführer einer kaum bekannten
Partei belegte mit 7,8 Prozent der Stimmen den
dritten Platz. Die Losung für die Wahlen lautete so:
„Ich möchte die russische Frage auf die Tagesordnung
bringen!“ Seitdem ist die gesamte Agitation der
künftigen LDPR mit dieser „russischen Frage“
verbunden, weswegen der Partei und ihrem Chef
wiederholt Rassismus, Schüren von nationalem Zwist
und Kriegspropaganda vorgeworfen wurden. „Die
antiwestliche Rhetorik hinderte die LDPR damals
nicht daran, Gelder von der Friedrich-NaumannStiftung zu erhalten; die Deutschen saßen dem Namen
auf“, erinnert sich der Politologe Konstantin
Kalatschow.
Schon bei den ersten Wahlen zur Staatsduma im Jahr
1993 kam der Erfolg. Die LDPR bekam 22,92 Prozent
der Stimmen und nahm bei der Abstimmung nach
Parteilisten den ersten Platz ein. Die Partei der
Macht, deren Rolle damals „Die Wahl Russlands“
spielte, war zweite; die KPRF (Kommunistische Partei
der Russischen Föderation – Anm. d. Ü.), die als
wichtigste Oppositionskraft galt, kam nur als dritte
ins Ziel. „Schirinowski sprach das aus, was viele
dachten, es aber vorzogen zu schweigen. Er stützte
sich auf zielgerichtete und vereinfachte Appelle an
soziale Schichten“, erinnert sich Kalatschow.
Für die Staatsmacht war es übrigens wichtiger, dass
die LDPR und Schirinowski den Entwurf zur Verfassung
unterstützten, die Gegenstand eines Referendums war,
das zeitgleich mit den Wahlen zur Duma und zum
Föderationsrat stattfand. Die Verfassung wurde
angenommen – auch dank der Agitation der
Oppositionspartei.
Der Erfolg bei den Wahlen ebnete Wladimir
Schirinowski den Weg in die große Politik, besonders
in internationale Angelegenheiten. Der Chef der LDPR
interessierte sich aktiv für internationale Politik:
Er traf sich mit Saddam Hussein, dem Staatschef des
Irak, und mit dem libyschen Führer Muammar Gaddafi.
Diese Politiker lagen im Clinch mit dem Westen,
besonders mit den USA. Diese Begegnungen taten viel
für Schirinowskis Image – seitdem werden ihm die
Worte zugeschrieben, dass „russische Soldaten ihre
Stiefel im Indischen Ozean waschen werden“. Die
Wahlversprechen waren nicht weniger bizarr
formuliert, als Beispiel kann etwa die angeblich von
Schirinowski gemachte Erklärung dienen, seine Partei
garantiere „jedem Weib einen Kerl, jedem Kerl eine
Flasche Wodka“. Während des Wahlkampfs 2011
verneinte Schirinowski jedoch, jemals etwas
Derartiges gesagt zu haben.
Den Erfolg von 1993 bei den Parlamentswahlen konnte
Schirinowski nie wiederholen. Es gab bessere
Ergebnisse, wie 1995 und 2003, als die Partei elf
Prozent bekam, und schlechtere, wie 1999, als die
LDPR gerade einmal die Fünfprozenthürde überwand.
Aber gerade in der Mitte der neunziger Jahre bildete
sich der politische Stil der Partei und ihres
Anführers heraus, für den man gewisse Opfer bringen
musste. Er sah vor allem politische Allesfresserei
und Vereinbarungsfähigkeit vor.
„Wie es aussieht, hat Wladimir Schirinowski in den
1990er Jahren das Resultat gegen politische
Langlebigkeit eingetauscht“, nimmt Kalatschow an. Am
anschaulichsten zeigt das die Geschichte mit dem
Versuch, 1999 ein Amtsenthebungsverfahren gegen
Präsident Boris Jelzin anzustrengen (die Prozedur
wurde von der KPRF initiiert). „Wenn das
durchgegangen wäre, hätten auf Jelzins Tisch zwei
Anordnungen gelegen: die eine zur Auflösung der
Staatsduma, die andere über das Verbot der KPRF. Und
das wäre unbedingt direkt am 18. Mai, am Morgen,
passiert. Und dann hätten wir die Demokratie
verloren, die KPRF wäre verboten worden, und Jelzin
wäre für lange Jahre Präsident geblieben. So aber
ging er fünf Monate später mit Tränen in den Augen.
Deshalb haben wir die KPRF gerettet, die Demokratie
gerettet, und Jelzin ist trotzdem gegangen“ – so
erklärte Wladimir Schirinowski bei „Radio Liberty“
diesen Schritt. Er fügte hinzu, dass die Kommunisten
der LDPR keine Posten in der Regierung angeboten
hätten und das ein weiterer Grund gewesen sei, das
Amtsenthebungsverfahren nicht zu unterstützen.
Oleg Finko, LDPR-Abgeordneter der Staatsduma in den
ersten drei Legislaturperioden (später gehörte er
dem „Gerechten Russland“ an), ist überzeugt, dass
der LDPR und ihrem Chef der „ideologische Kern“
gefehlt hat: „Schirinowski konnte den Kapitalismus
kritisieren und sich dann gegen den Kommunismus
aussprechen. Dabei war er ein glänzender Polemiker
und Parteiorganisator.“ In den Neunzigern wurde dann
auch klar, dass es nicht wichtig ist, wer außer
Wladimir Schirinowski noch in der LDPR ist.
Kalatschow ist der Meinung, dass die Wahlkämpfe der
LDPR stets supertechnologisch aufgebaut waren. „Aber
ich habe keine Technologen gesehen, die zugegeben
hätten, dass sie für die LDPR gearbeitet haben“,
fügt er hinzu.
Die Staatsmacht war bereit, mit der LDPR Posten zu
teilen: 1998 wurde der Duma-Abgeordnete Sergej
Kalaschnikow Arbeits- und Sozialentwicklungsminister
in der Regierung von Jewgeni Primakow, dessen
Kandidatur für den Posten des Premierministers von
der LDPR unterstützt wurde. Die Partei stimmte auch
für Sergej Kirijenko als Regierungschef (im selben
Jahr). Und bei den Präsidentenwahlen 1996 rief
Wladimir Schirinowski dazu auf, gegen Gennadi
Sjuganow zu stimmen, womit er Boris Jelzin half. In
der Staatsduma (dritte bis siebte Legislaturperiode)
setzten Wladimir Schirinowski und seine Mitstreiter
die Zusammenarbeit mit der Staatsmacht aktiv fort
und unterstützten die Mehrheit der Initiativen von
Präsident Wladimir Putin.
Der Platz der LDPR in der Duma wird niemals in
Zweifel gezogen, und wenn man die heute dort
vertretenen Parteien als Fraktionen betrachtet, so
hat die LDPR die Nische der nationalistennahen
Fraktion gepachtet – wie es scheint, auf Lebenszeit.
In diesem Sinne sah die Losung von 2003 – „LDPR für
die Armen, LDPR für die Russen!“ – aus wie ein
universeller Schlüssel zum Stimmenfang. Wladimir
Schirinowski hatte übrigens vor 2011 erklärt, die
Partei habe beschlossen, sich von ihm zu trennen –
und erstmals sank die LDPR bei den Dumawahlen auf
den vierten Rang (11.67 Prozent), hinter dem
„Gerechten Russland“, obwohl das vorhergegangene
Resultat verbessert werden konnte. Dafür hätte die
LDPR 2016 bei den Parlamentswahlen fast die KPRF
hinter sich gelassen und die Kommunisten von ihrem
üblichen zweiten Platz vertrieben.
Wechsel der Wegzeichen und keinerlei Interesse
Schirinowski hat wohl selbst nie damit gerechnet,
bei den Präsidentenwahlen zu gewinnen. Es ist kein
Zufall, dass er bei diesen Urnengängen gewöhnlich
weniger Stimmen bekam als bei den Dumawahlen, die
für ihn mehr Wert besaßen. Aber jedes Mal hatte
seine Teilnahme eine wichtige praktische Bedeutung.
1996 nahm er Gennadi Sjuganow Stimmen ab. 2000 und
2008 gab er dem neuen Präsidenten (erst Putin, dann
Medwedew) die Möglichkeit, sich als Besieger aller
bestehenden erfahrenen politischen Kämpfer zu
fühlen. 2012 war die Kampagne des Kandidaten
Wladimir Schirinowski eine der Bastionen gegen die
politische Protestbewegung. Das einzige Mal, als
Schirinowski nicht gebraucht wurde, war 2004: Damals
überließ er seinen Platz auf dem Stimmzettel mit
größtem Vergnügen seinem Mitstreiter Oleg
Malyschkin.
Was wird 2018 – eine äußerst aktuelle Frage
Ein Nebeneffekt, vielleicht aber auch der
Haupteffekt der politischen Tätigkeit der LDPR und
von Wladimir Schirinowski war in all den Jahren das
Nichtvorhandensein
von
alternativen
nationalistischen Projekten. Dafür gab es einfach
weder Stimmen noch Platz auf dem politischen Feld.
Schirinowskis politische Talente schlossen die
Möglichkeit des Auftauchens einer Alternative an
sich aus.
Die LDPR aus der Duma und der Politik zu werfen,
haben viele versucht, aber ernsthafte Ansprüche auf
ihre Positionen hatte nur der Block „Heimat“ (2003).
Der Erfolg von Sergej Glasjew, Dmitri Rogosin und
ihren Mitstreitern erwies sich übrigens als nur von
kurzer Dauer: 2007 gab es bereits keine „Heimat“
mehr in der Politik, und die LDPR war erneut in der
Duma.
Von Jahr zu Jahr investierte die Partei immer mehr
Mittel in die Technologien. Die Vorbereitung auf die
Dumawahlen hatte die LPDR schon vor 2,5 Jahren
begonnen – Agitationszüge fuhren durch das Land,
Parteileute besuchten die Regionen. „In den Straßen
tauchten Reklameschilder mit der Aufschrift „LDPR“
auf – das ist bereits Parteitradition. Man sieht die
bekannten Buchstaben und stimmt ab“, räsoniert Oleg
Finko. Auch die erprobten Losungen kehren zurück:
2016 zog die Schirinowski-Partei unter der Losung
„Es reicht, die Russen zu erniedrigen!“ in den
Wahlkampf.
Aber für 2018 könnten dem nicht mehr jungen Chef der
LDPR die Technologien und die Puste ausgehen. Dabei
geht es weniger um menschliche als um politische
Ressourcen. Die potentiellen Wähler haben den
abgeschwächten Nationalismus in Schirinowskis
Version ein wenig satt, er wird nicht als wirklich
aktuelles politisches Angebot wahrgenommen. Vor 15
bis 20 Jahren war das Opposition, nur keine
politische, sondern phraseologische.
Der Chef der LDPR sagte das, was sich andere
Politiker entweder nicht trauten oder worüber sie
nicht reden wollten. Aber heute ist die imperialnationalistische Terminologie derart im Umlauf, dass
die LDPR kaum etwas tatsächlich Neues anbieten kann.
Was die expressive Vermittlung angeht, so ist das
heute bei weitem kein exklusives Angebot mehr. Jeder
beliebige Besucher einer politischen Talk Show kann
schreien und schimpfen, wenn auch vielleicht ein
wenig schlechter als der Anführer der LDPR.
Der Kandidat Wladimir Schirinowski ist nicht die
Ware, wegen der es sich lohnt, ins Wahllokal zu
gehen, umso mehr, da von seinem Sieg nicht die Rede
sein kann.
Bisher sind zwei Varianten möglich. Die eine, eher
unwahrscheinliche, besteht in der Schaffung einer
neuen politischen Kraft, die mit der Zeit die LDPR
ersetzen und deren Kandidat die Stimmen der
Nationalisten akkumulieren könnte, dabei aber völlig
neu für das Publikum wäre. Soll heißen: Er würde die
Rolle spielen, die Schirinowski selbst 1991 gespielt
hatte. Aber solch ein Mensch ist nicht da. Ihn zu
finden, ist nicht so einfach. Zudem braucht es
Garantien, dass der neue Mensch sich an die Regeln
hält, wie Schirinowski das tat.
Eine etwas wahrscheinlichere Variante wäre das
Aufziehen eines solchen Menschen innerhalb der LDPR,
wobei Wladimir Schirinowski die volle Kontrolle über
die Partei, den Apparat und alle Ressourcen
behielte, die sie besitzt. In dem Fall würde das Maß
an Kontrolle steigen, aber es würde die Möglichkeit
sinken, den potentiell Kandidaten als neuen
hinzustellen.
Deshalb wird wohl alles so bleiben, wie es ist:
Wladimir Schirinowski tritt seine sechste
Präsidentenwahl an.