Manuskript Beitrag: Kinderehen in Deutschland – Minderjährig, verheiratet, schutzlos Sendung vom 7. Februar 2017 von Beate Frenkel Anmoderation: Weltweit wird alle sieben Sekunden ein Mädchen verheiratet, das nicht mal 15 Jahre alt ist - meistens zwangsweise. In Deutschland dürfte es sowas eigentlich gar nicht geben. Denn hier gilt fürs Heiraten in der Regel das Mindestalter 18. Gibt es aber. Denn unter den hunderttausenden Asylsuchenden sind auch viele verheiratete Minderjährige. Und manche verbotene Ehe wird sogar hier geschlossen - unbemerkt. Alter: 15, Familienstand: verheiratet, Zustand: schutzlos. Beate Frenkel berichtet. Text: Irina ist 15 Jahre alt, als ihre Familie aus Georgien nach Deutschland flieht. Sie sind Jesiden. Kurz darauf beschließt ihr Vater, sie hier zu verheiraten - mit einem 24-jährigen Mann, auch er Jeside, den sie vorher nie gesehen hat. O-Ton Irina Badavi: Ich hätte niemals diesen Menschen geheiratet oder in dem Alter erst mal, geschweige von dem Menschen, in dem Alter geheiratet. Niemals, wenn ich eine Wahl hätte. Die deutschen Behörden bemerken nichts von dieser Kinderehe, sagt Irina, denn offiziell bleibt sie bis zur Volljährigkeit beim Vater gemeldet. Irina darf keine Schule besuchen, lernt kein Deutsch. Sie bleibt ihrem Ehemann und seiner jesidischen Großfamilie schutzlos ausgeliefert. O-Ton Irina Badavi: Ich war acht Jahre mit ihm verheiratet und acht Jahre lang hatte ich Angst. Als ich einmal gesagt habe, lass mich gehen - aber das war schon Ende der Ehe sozusagen - lass mich gehen, hat er gesagt: „Echt, möchtest du gehen? Klar, aber dein Kopf bleibt in meiner Hand.“ Er hat mich jedes Mal bedroht: „Ich ersteche dich, ich werde dir den Föhn in die Badewanne schmeißen.“ Ein Leben in Todesangst. Irina wagt schließlich die Flucht mit den zwei Kindern. Heute ist sie 34 Jahre alt. Ihren richtigen Namen darf sie nicht nennen. Sie lebt unter strikten Sicherheitsvorkehrungen, um sich vor der Familie zu schützen. Immer wieder werden Mädchen mitten in Deutschland zwangsverheiratet - erleiden ein ähnliches Schicksal wie Irina, meist unbemerkt von der Öffentlichkeit. Knapp 1.500 verheiratete Jugendliche registrierte das Bundesinnenministerium im vergangenen Juli – die Dunkelziffer aber sei viel höher, so der Rechtswissenschaftler Mathias Rohe. Er befasst sich mit den Auswirkungen von Paralleljustiz und Abschottung in Deutschland. Und warnt davor, die Folgen für die Mädchen zu unterschätzen O-Ton Prof. Mathias Rohe, Rechts- und Islamwissenschaftler, Universität Erlangen: Das Hauptproblem ist, dass man sie schlicht nicht wahrnimmt. Dass in vielen Fällen der Staat schon gar nicht weiß, dass sie in solchen prekären Verhältnissen leben, dass umgekehrt diese Mädchen, diese Frauen auch nicht wissen, an wen sie sich wenden können, und dass wir viel zu wenig effektive Schutzmaßnahmen auch in diesem Bereich haben. Und solange das noch fehlt, stehen wir da vor einem sehr großen Problem. Bundesjustizminister Heiko Maas will deshalb auch im Ausland geschlossene Ehen mit Minderjährigen per Gesetz verbieten. Denn mit den vielen Flüchtlingen hat sich das Problem im vergangenen Jahr noch einmal verschärft. Klingt gut, nur in Fällen wie ihrem wird das kaum nützen. Wir nennen sie Amira. Mit zwölf Jahren wurde sie in Syrien verheiratet - eine Kinderbraut. Inzwischen ist sie 15, hat eine Tochter und lebt in Berlin. Weil sie minderjährig ist, dürfen wir nicht mit ihr sprechen. Ihr 24-jähriger Ehemann aber gibt uns bereitwillig Auskunft: O-Ton Ehemann: Bei uns in Syrien ist das ganz normal, wir heiraten sehr früh. Hauptsache die Eltern sind einverstanden. Amira lebt mit Mann und Tochter in einer Berliner Flüchtlingsunterkunft - mit dem Segen des Jugendamtes. Caroline Razzak ist ihr Vormund, soll dafür sorgen, dass sie in die Schule geht, Deutsch lernt -bislang ohne Erfolg. O-Ton Caroline Razzak, Caritas-Vormundschaftsverein Berlin: Ich bräuchte viel mehr Zeit mit der Familie, damit ich intensiver an der Familie dran sein kann. Und dafür hat der Gesetzgeber einen Personalschlüssel für Vormünder geschaffen, der dem nicht entspricht einfach. Ich habe pro Monat einen Pflichtbesuch von einer Stunde. Was kann ich da machen? So bleibt es doch der Ehemann, der meist für Frau und Kind entscheidet. Amiras Schulbesuch hat er bislang verhindert. Seit bald einem Jahr leben sie in einer Einzimmerwohnung in dieser Berliner Unterkunft und es passiert nichts. Ein Fall, den es laut Berliner Sozialsenat gar nicht geben dürfte. In einer Pressemitteilung beruft sich die Behörde vielmehr auf folgende Regelung, die schon seit einem Jahr gelte: Zitat: „Alle verheirateten Asylbewerberinnen unter 16 Jahren werden durch die Clearingstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betreut und in Einrichtungen für diese spezielle Gruppe getrennt von ihren Ehemännern untergebracht...“ Die Realität sieht anders aus, berichtet Rebecca Riedel vom zuständigen Jugendamt. Sie ist Amtsvormund und betreut drei syrische Mädchen, alle verheiratet, Mütter und unter 16. Sie und ihre Kollegen hier sind für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in ganz Berlin zuständig. Rund 1.000 Akten, 1.000 Fälle und sie sind gerade mal zu zwölft. Die verheirateten Mädchen gehen da fast unter. Es fehlt an Personal und Einrichtungen, erklärt Rebecca Riedel. Ihre Erfahrung: O-Ton Rebecca Riedel, Amtsvormund Jugendamt Berlin: Gerade diese Mütter-Kind-Einrichtungen fehlen erst recht. Und das ist das Problem. Und teilweise werden die wirklich von der Senatsverwaltung, muss man ganz ehrlich sagen, von der Clearingstelle weggeschickt. Es gibt eine Vollmacht für den Vater und damit sind sie nicht unbegleitet. O-Ton Frontal 21: Das heißt, als begleitet gilt die Tatsache, dass sie mit ihrem Ehemann unterwegs sind? O-Ton Rebecca Riedel, Amtsvormund Jugendamt Berlin: Ja. Richtig. In dem Moment gilt das als begleitet. Wir fragen nach beim Berliner Jugendsenat, der für die getrennte Unterbringung dieser Mädchen sorgen müsste. Die schriftliche Erklärung, Zitat: „Alle minderjährigen verheiraten Asylbewerberinnen haben in jedem Fall die Möglichkeit, um Inobhutnahme zu bitten. Sie werden dann (…) getrennt von ihrem „Ehemann“ untergebracht.“ Nur, wie soll das gehen, wenn dieser Ehemann nicht von ihrer Seite weicht? O-Ton Prof. Mathias Rohe, Rechts- und Islamwissenschaftler Universität Erlangen: Letztlich geht es hier um Kapazitätsfragen: Haben wir genügend Leute, die dann auch die Zeit haben, sich tatsächlich intensiv um diese Fälle zu kümmern? Haben wir genügend Mittel für Dolmetscher? Haben wir auch adäquate Möglichkeiten der Unterbringung? Ein Gesetz, dass die Ehe nur aufheben würde oder gar für nichtig erklären würde, reicht deshalb nicht, weil sich ja dann immer noch die Frage stellt, wer soll jetzt eigentlich für dieses Mädchen, für diese junge Frau, sorgen. Die Justiz schützt sie jedenfalls nicht. Frontal 21 liegt ein Beschluss des Familiengerichts Tempelhof-Kreuzberg vor. Es geht um eine schwangere 13-Jährige: geboren 2002, Staatsangehörigkeit syrisch. Der Richter entscheidet: „ …die Anordnung einer Vormundschaft hier abzulehnen“ - und beruft sich auf ein Schreiben der Mutter des Mädchens. Die habe den Ehemann „befugt, rechtsverbindliche Erklärungen für die Jugendliche abzugeben“. Im Klartext: Das Gericht überlässt die 13-jährige Schwangere ihrem zehn Jahre älteren Ehemann und gibt sich „in der Familiensache“ mit folgender Erklärung zufrieden: Der Ehemann habe „bestätigt, dass seine Frau und er in getrennten Betten schlafen und es keinen Geschlechtsverkehr zwischen den beiden gibt, da er sich dadurch in Deutschland strafbar machen würde“. Das Familiengericht will sich auf Nachfrage zu dem Fall nicht äußern. Wir zeigen Mathias Rohe den Gerichtsbeschluss. Formal sei so eine Entscheidung durchaus möglich, so der Jurist. Daran würde auch ein neues Gesetz nichts ändern. Doch von so einem Beschluss gehe ein verheerendes Signal aus. O-Ton Prof. Mathias Rohe, Rechts- und Islamwissenschaftler, Universität Erlangen: Dass dieses Mädchen in einem extrem jungen Alter verheiratet wurde, dass sie nicht weiß, was sie machen soll, dass jetzt dann auch noch mit deutschem staatlichen Stempel das irgendwie auch als in Ordnung angesehen wird, dass es nun just dieser Ehemann ist, der weiterhin maßgeblich über sie zu befinden hat. Dass ausgerechnet ein deutscher Richter die Herrschaft des Ehemanns besiegelt, macht Irina Badavi fassungslos. In einem Land, in dem sonst so viel über Frauenrechte gesprochen wird, hätte sie das nicht erwartet. Sie weiß, wie das ist, wenn ein Mädchen der Willkür des Mannes schutzlos ausgeliefert ist. Sie hat darüber ein Buch geschrieben und fordert: Nicht wegsehen! O-Ton Irina Badavi: Mein Appell wäre, auf gar keinen Fall dem Mann die Vormundschaft zu geben. Und mit 18 kann man diese junge Frau nochmal fragen: Möchtest du ihn heiraten? Sie wird sagen: nein, weil sie wird sehen, welche Möglichkeiten sie hat, Schule, Sprache erlernen, einfach selbstbestimmt zu lernen, leben. Also, welches Recht hat irgendein Gericht, auch in Deutschland, ihr diese Selbstbestimmtheit wegzunehmen? Ein Kind gehört nicht in eine Ehe. Kinderschutz aber kostet Geld und Personal. Solange beides fehlt, bleiben Mädchen wie Amira ihrem Schicksal überlassen. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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