Unser NETZWERK wächst - Regionalwert AG Hamburg

16 HAMBURG
WELT AM SONNTAG
NR. 6
5. FEBRUAR 2017
„Unser NETZWERK wächst“
Ulf Schönheim und
Malte Bombien leiten
die Regionalwert AG in
Hamburg. Ein Gespräch
über ökologische
Landwirtschaft,
Lebensmittel aus
heimischer Produktion
und eine Agrarwende
in Norddeutschland
BERTOLD FABRICIUS
Malte Bombien (l.)
und Ulf Schönheim auf
dem Öko-Milchhof von
Achim Bock in Lutzhorn
D
ie konventionelle
Landwirtschaft in
Deutschland steht
unter Druck wie
seit langer Zeit
nicht: Die Überdüngung von Äckern
mit Gülle, exzessive Massentierhaltung,
ruinöser Wettbewerb am Milchmarkt
schädigen die Umwelt und das Image
der Bauern. Hamburg will gegensteuern
und den Verbrauch regional und ökologisch erzeugter Lebensmittel fördern.
2016 trat die Hansestadt dem bundesweiten Biostädte-Netzwerk bei. Vom 24.
bis zum 26. Februar präsentieren Erzeuger und Händler bei der Messe hamburg.bio in der Handelskammer Lebensmittel aus regionaler Produktion.
VON OLAF PREUSS
Auch die Regionalwert AG Hamburg
nimmt an der Messe teil. Das Unternehmen will dazu beitragen, die ökologische Landwirtschaft in der Metropolregion Hamburg und die Vermarktung
heimischer Agrarprodukte zu stärken:
mit der Einwerbung von Kapital zur Investition in Höfe und Verarbeitungsbetriebe, durch die Beratung von Landwirten und die Vernetzung von Erzeugern
und Verbrauchern. Ein Gespräch mit
den
Regionalwert-Vorständen
Ulf
Schönheim und Malte Bombien über
Potenziale und Perspektiven einer ökologischen, regionalen Landwirtschaft.
WELT AM SONNTAG: Herr Schönheim,
Herr Bombien, wo kaufen Sie Ihre Lebensmittel?
MALTE BOMBIEN: Bei lokalen und regionalen Erzeugern, gern auf Marktständen in meiner Umgebung, ich wohne in der Nähe von Kiel. In Supermärkten nicht so oft.
ULF SCHÖNHEIM: Ich wohne auch
ländlich, bei Winsen im Süden von
Hamburg, und habe das Glück, dass es
dort eine Art dörfliche Vollversorgung
mit Lebensmitteln gibt, von Eiern und
Milch bis zu Gemüse, Obst und Fleisch.
Außerdem bekomme ich einmal in der
Woche eine Biokiste. Aber natürlich
kaufe ich auch mal im Supermarkt und
in der Drogerie ein.
BOMBIEN: Bei uns gibt es einen EdekaMarkt, der sehr gute regionale Bioprodukte führt. Das schließt sich nicht aus.
Der Umsatz mit Biolebensmitteln in
Deutschland steigt seit Jahren kontinuierlich an, der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Agrarfläche
ebenfalls, wenn auch langsam. Ist am
deutschen Agrar- und Lebensmittelmarkt insofern alles in Butter?
WAMS_Dir/WAMS/WSHH-RVP1
05.02.17/1/Ham16 ASEIFERT
BOMBIEN: Überhaupt nicht. Es gibt
zwar ein gutes Wachstum beim Umsatz
mit Biolebensmitteln, aber leider nicht
bei der ökologisch bewirtschafteten
Agrarfläche in Deutschland.
Es fällt auf, dass in Schleswig-Holstein nur rund vier Prozent der Agrarfläche nach ökologischen Standards
bewirtschaftet werden, also möglichst ohne Kunstdünger und ohne
chemische
Pflanzenschutzmittel.
Zum Vergleich: Das Saarland hat einen Anteil von 13 Prozent Ökolandbau, Brandenburg rund zehn Prozent.
BOMBIEN: In Schleswig-Holstein hat
der Ökolandbau in den vergangenen
Jahren mehr oder weniger stagniert. In
Norddeutschland gibt es tendenziell
größere Höfe als etwa in Südwestdeutschland, wo auch die RegionalwertBewegung ihre Wurzeln hat. Das hängt
unter anderem mit dem historischen
Erbrecht zusammen. Im Süden war die
Hofteilung verbreitet, im Norden übernahm hingegen traditionell ein Sohn die
Scholle von den Eltern. Tendenziell
werden eher die kleineren Betriebe ökologisch bewirtschaftet.
SCHÖNHEIM: Die Nachfrage nach Biolebensmitteln wächst in Deutschland
stärker als der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Flächen. Das führt dazu,
dass immer mehr Biolebensmittel importiert werden, teils sogar aus China.
Außerdem gewinnen die Handelsketten
immer mehr Einfluss in diesem Geschäft. Der Biomarkt unterliegt mittlerweile denselben Einflüssen wie der
Handel mit konventionellen Lebensmitteln. Auch bei Biolebensmitteln
steht der Landwirt inzwischen am Ende
der finanziellen Wertschöpfungskette.
Das war einer der Gründe dafür, dass
vor drei Jahren, auch mithilfe regionaler
Landwirte, die Regionalwert AG Hamburg gegründet wurde.
Das bedeutet, die ökologische Landwirtschaft und der Handel mit biologischen Lebensmitteln scheitert am
eigenen Erfolg, wenn die Marktstrukturen letztlich wieder dieselben sind
wie zuvor?
BOMBIEN: Nein, so ausschließlich ist es
nicht. Die Verbreitung von Biolebensmitteln wächst, bei den Verbrauchern
nimmt die Aufmerksamkeit für eine regionale Erzeugung aus der ökologischen
Landwirtschaft zu.
Ist Regionalität der Schlüssel zu einer
umweltgerechteren Landwirtschaft
und weniger Schadstoffen im Essen?
BOMBIEN: Regional erzeugte Lebensmittel sind nicht automatisch besser,
sie werden ja oft mit einem hohen Ein-
satz von Chemie erzeugt. Wichtig ist eine Kombination aus regionaler Erzeugung, ökologischer Landwirtschaft und
Transparenz darüber, woher die Produktionsmittel der Landwirtschaft
stammen.
SCHÖNHEIM: Was ist regional? Ist ein
Kohlrabi tatsächlich regional, nur, weil
er in den Vier- und Marschlanden herangewachsen ist – wenn das Saatgut
dafür konventionell in Asien gezüchtet,
im Container nach Europa gebracht, in
den Niederlanden zum Setzling entwickelt wurde und der Mineraldünger dafür aus Osteuropa stammt? Transparenz für den Verbraucher ist ein entscheidender Faktor, auch bei der Wertschöpfungskette eines Lebensmittels.
Wie sieht die Zwischenbilanz der Regionalwert AG rund drei Jahre nach
ihrer Gründung aus?
SCHÖNHEIM: Wir hatten bislang zwei
Aktienausgaben, die zweite muss noch
ins Handelsregister eingetragen werden. Das Grundkapital der Regionalwert AG Hamburg wird dann rund 1,3
Millionen Euro betragen, gehalten von
insgesamt 347 Aktionärinnen und Aktionären. Ein Teil des Kapitals ist bereits investiert, etwa im Hof Koch in
Glüsingen bei Lüneburg. Auf der anderen Seite haben wir im Moment Investitionsanfragen über rund drei Millionen
Euro für acht verschiedene Projekte.
Das können wir allein nicht leisten. Wir
werden für künftige Projekte Co-Investoren und andere Partner suchen.
Welche Projekte treiben Sie voran?
BOMBIEN: Im Vordergrund steht weiterhin die Vernetzung der regionalen
ökologischen Landwirtschaft mit den
Verbrauchern in der Metropolregion
Hamburg und in Schleswig-Holstein –
sei es durch die finanzielle Unterstützung von Höfen, die anders nicht an Eigenkapital kämen, sei es der Aufbau regionaler Vermarktungsstrukturen.
SCHÖNHEIM: Wir arbeiten derzeit an
einem Lizenzsystem, für das wir unterschiedliche Unternehmen aus der Landwirtschaft, der Weiterverarbeitung, der
Vermarktung und der Gastronomie gewinnen wollen. Unser jüngstes Treffen
mit potenziellen Lizenzpartnern war
sehr vielversprechend. Die Betriebe
wollen alle dabei sein: ein Biohof mit
Getreideanbau, eigener Bäckerei und eigenem Hofladen aus dem Landkreis
Stade, eine Craft-Beer-Brauerei aus
Hamburg, ein Bio-Legehennenbetrieb
aus der Nähe von Schleswig, der auch
nach Hamburg liefert, ein noch zu gründender Bio-Geflügelhof aus dem Landkreis Uelzen. Dazu sind wir unter anderem in Gesprächen mit einem Käse-Af-
Melkburen ihre Milch verarbeiten lassen, kann zuverlässig größere Mengen
an heimischen Bio-Milchprodukten liefern und ist damit auch ein geeigneter
Partner für den Lebensmitteleinzelhandel. Für viele kleine Ökohöfe hingegen
ist es schwierig, zeitlich exakt zuverlässig immer dieselbe Menge an Ware zu
liefern, wie es die Handelsketten wollen. Kleinen Anbietern bietet eine
Markthalle einen viel besseren Rahmen.
Malte Bombien,
Diplom-Agraringenieur
Ulf Schönheim,
Diplom-Soziologe
Malte Bombien (41) ist neben Ulf
Schönheim seit Ende 2015 Vorstand der Regionalwert AG
Hamburg. Deren Aufbau hatte er
seit 2012 in einem Netzwerk von
Landwirtschaftsbetrieben und
Vermarktern mit vorbereitet, um
eine regionale, ökologische Landwirtschaft zu fördern. Bombien
studierte nach Abitur und Zivildienst Agrarwissenschaften in
Kiel und Rendsburg. Beruflich
widmete er sich anschließend als
Manager und Sachverständiger
bei verschiedenen Unternehmen
und Institutionen der Landwirtschaft. Für die Regionalwert AG
berät er unter anderem Landwirte bei der Übernahme eines
Hofes oder beim Umbau eines
Betriebes. Neben Englisch und
Spanisch zählt der SchleswigHolsteiner Plattdeutsch zu seinen
Fremdsprachen.
Ulf Schönheim (45) arbeitete
viele Jahre lang in Marketing und
Kommunikation für die maritime
Wirtschaft in Hamburg. Seit
deren Gründung im Mai 2014 ist
er Vorstand der Regionalwert AG
Hamburg. Schönheim machte
eine Ausbildung zum Werbekaufmann in Hamburg und studierte
Soziologie in Paris und Bielefeld.
Anschließend arbeitete er als
Marketingmanager beim Unternehmen Nordcapital des Hamburger Reeders und Schiffsfinanzierers Erck Rickmers, später als Leiter der Unternehmenskommunikation für die Buss
Group und für Buss Capital, die
dem Unternehmer Johann Killinger gehören. Schon vor der Gründung der Regionalwert AG Hamburg machte er sich mit einem
Online-Bestelldienst für regionale
Agrarprodukte selbstständig.
fineur, einem Hamburger Lieferdienst
sowie mit der Meierei Horst und mit
dem Unternehmer Thomas Sampl für
eine Markthalle mit Gastronomie in
Hamburg. Unser Netzwerk wächst.
der Wirtschaftsbehörde arbeiten sehr
engagiert an der Umsetzung dieses
Ziels. In Kopenhagen ist das Modell, in
öffentlichen Einrichtungen bis zu 80
Prozent biologische, regionale Lebensmittel anzubieten, bereits so erfolgreich, dass es nun auf ganz Dänemark
übertragen werden soll.
BOMBIEN: Als Regionalwert AG wollen
wir diese Strategie der Stadt einerseits
mit unserem eigenen Netzwerk begleiten. Außerdem wollen wir in diesem
Jahr helfen, in der Hamburger Innenstadt eine Markthalle zu eröffnen, in
der unsere Partner Biolebensmittel aus
regionaler Erzeugung anbieten werden
und wo es auch eine Gastronomie geben
soll. Die Sichtbarkeit solcher Produkte,
aber auch eine gute räumliche und zeitliche Erreichbarkeit für die Kunden ist
entscheidend, damit dieser regionale
Lebensmittelmarkt weiter wächst.
Wichtige Anlaufpunkte dafür sind natürlich auch ökologisch bewirtschaftete
Höfe in der Region, in der die Menschen
sehen, riechen und schmecken können,
wie diese Art von Landwirtschaft und
Lebensmitteln funktioniert.
Womit erwirtschaftet die Regionalwert AG Umsatz und Gewinn?
BOMBIEN: Durch die Verzinsung des
von uns eingesetzten Eigenkapitals,
aber auch mit der Betriebsberatung etwa bei Nachfolgen oder dem Aufbau
von Höfen. Drittes Standbein wird unser Lizenzsystem sein. Das vierte
Standbein sollen Projektfinanzierungen
werden. Derzeit finanzieren diejenigen,
die unsere Aktien gezeichnet haben,
den Aufbau des Unternehmens noch
mit. Bei voraussichtlich vier bis fünf
Millionen Euro investiertem Eigenkapital trägt sich die Regionalwert AG wirtschaftlich selbst.
Wie sollen der Anteil der ökologischen Landwirtschaft und der Verbrauch regionaler Biolebensmittel
hier im Norden wachsen?
SCHÖNHEIM: Der Beitritt Hamburgs
zum Biostädte-Netzwerk im vergangenen Jahr, die neue Strategie der Stadt, in
öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Kantinen oder Kitas regionale Biolebensmittel anzubieten, wird eine große Nachfrage erzeugen. Die Mitarbeiter
Wollen Sie eine Parallelstruktur zum
Lebensmitteleinzelhandel aufbauen?
SCHÖNHEIM: Nein, eine Ergänzung.
Die Meierei Horst zum Beispiel, in der
die Höfe der Organisation De Öko
Abgezeichnet von:
Abgezeichnet von:
Abgezeichnet von:
Abgezeichnet von:
Chef vom Dienst
Artdirector
Textchef
Chefredaktion
5%
25%
Sind die Verbraucher generell bereit,
mehr Geld für regionale Biolebensmittel auszugeben?
BOMBIEN: Das Bewusstsein nimmt zu,
aber der Preis spielt nach wie vor eine
große Rolle. Gerade bei Menschen mit
geringeren Einkommen ist auch die Bereitschaft geringer, mehr Geld für regionale, ökologisch erzeugte Lebensmittel
auszugeben. Im Zweifel können sie es
einfach nicht.
SCHÖNHEIM: Hier kommt auch wieder
die Frage der Transparenz ins Spiel. Die
tatsächlichen Kosten für unsere heutige
industrielle Art, billige Lebensmittel zu
erzeugen, sind weitgehend versteckt.
Am Ende verlieren dabei aber die meisten der Beteiligten, vor allem bei der
Fleisch- und der Milcherzeugung – der
Hersteller von Kraftfutter in einem
Schwellenland, der unter hohem Preisdruck steht, der Kunde des Wasserwerks in Deutschland, der die Umweltschäden für die Überdüngung von
Äckern mit Gülle und Kunstdünger bezahlen muss, das Gesundheitssystem,
das enorme Folgekosten unserer Fehlernährung zu bewältigen hat. Billige
Milch basiert im wahrsten Sinne auf einer Milchmädchenrechnung.
BOMBIEN: Es geht nicht nur um den Inhalt, sondern auch um die Herkunft von
Agrarprodukten. Eine intensive Landwirtschaft ist keineswegs effizient, wie
deren Lobby gern behauptet, ganz im
Gegenteil. Landwirtschaft hat historisch immer dazu gedient, den lokalen
oder regionalen Raum zu ernähren.
Heutzutage gelten für viele Agrarprodukte die Maßstäbe des Weltmarktes,
gefördert in Europa vor allem von der
Agrarpolitik der Europäischen Union –
eine völlige Fehlentwicklung.
Was kann man tun, um das deutlicher
zu machen?
SCHÖNHEIM: Die Kennzeichnung von
Eiern zum Beispiel mit einem einfachen
Zahlensystem funktioniert in Deutschland sehr gut – viele Verbraucher wollen
keine Eier aus industrieller Massenhaltung mehr. Sie können heutzutage im
Supermarkt oder auf dem Wochenmarkt sofort erkennen, aus welcher Art
Haltung die Eier stammen.
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